• Nachdem wir in Taprobana in See gestochen waren, umfuhren wir binnen einer Woche die Südspitze Indiens, um dann eine weitere Woche gegen ungünstige Winde der Küste zu folgen. Schließlich erreichten wir die Hafenstadt, die auf Koiné Muziris genannt wurde. Die hiesige Bevölkerung nannte ihre Stadt Muciṟi. Für den Kapitän der Dschunke war es das Ende seiner Reise. Er gestattete mir aber, meine Waren noch an Bord zu lassen, bis ich ein Schiff fand, das mich weiter nach Westen bringen würde.


    So gingen wir von Bord und ich erblickte etliche Menschen in mediterraner Kleidung. Mir begegneten auch häufig römische Münzen, vor allem Aurei und Denare. Ganz offensichtlich war ich meiner Heimat ein ganzes Stück näher gekommen. Auf den Märkten wurden Gewürze, Halbedelsteine, Perlen, Diamanten und Saphire, aber auch Elfenbein und serische Seide angeboten. Aus dem Westen wurden dünne Kleidung, auch aus hauchdünner, durchscheinender Seide, bestickte und gefärbte Stoffe, Kupfer, Zinn, Blei und Koralle, aber auch Glaswaren und Wein angeboten. Ich hatte das Gefühl, dass sich an diesem Ort Orient und Okzident trafen. Neben Griechen, Ägyptern, Malaien, Parthern, jeder Menge Indern und ein paar Serern begegnete mir auch eine kleine Gruppe von Menschen, die ich an ihrer Sprache erkannte. Sie sprachen Latein! Es kam mir so ewig lang vor, dass ich zuletzt Latein gehört und erst recht gesprochen hatte, dass ich die Männer einfach ansprechen musste. "Salvete!"


    Sie drehten sich zu mir um und schienen unschlüssig zu sein, was sie mit meinem Gruß anfangen sollten. Meine serische Gelehrtenkleidung mit dem Schwert im Gürtel und dem Amtssiegel aus hellgrüner Jade, das am Gürtel baumelte, schien ihnen nicht zu einem Menschen zu passen, der Latein sprach. So ergriff ich weiter das Wort, wobei ich mir Mühe gab, so präzise wie vor Gericht die Worte auszusprechen. "Ich war nun eine Weile nicht mehr im Imperium Romanum, aber als ich vor wenigen Jahren auf Reisen ging, pflegte man einen Gruß zu erwidern. Hat sich das inzwischen geändert? Zum Nachteil, wie ich meinen möchte."


    Das schien das Eis gebrochen zu haben. Der am besten Gekleidete aus der Gruppe streckte mir seine Hand entgegen. "Nein, das hat sich nicht geändert. Doch habe ich noch nie jemanden wie dich gesehen, Fremder. Mein Name ist Titus Porcius Natta. Und dies sind die Offiziere meines Handelsschiffs. Mit wem habe ich die Ehre?"


    Ich ergriff seine Hand. "Es freut mich, dich kennenzulernen, Porcius. Ich bin Aulus Iunius Tacitus."


    Er sah mich skeptisch an, während seine Männer zu lachen begannen. "Nie und nimmer bist du ein Römer!" Dann lachte er auch.


    Ich deutete auf den Ring an meinem Finger. "Das Siegel der Iunier ist dir geläufig? Ansonsten helfe ich dir gerne auf die Sprünge. Aulus Iunius Tacitus aus Rom, studiert am Museion zu Alexandria, Jurist in Rom, Klient des Lucius Annaeus Florus Minor. Des Annaeus Florus Minor, der vor wenigen Jahren Praetor Urbanus war. Na, klingelt da etwas in deinem Gedächtnis?" Natürlich rechnete ich nicht damit, dass er von meinem Namen gehört hatte. Doch zusammen mit dem Ring sollte ihm nun klar sein, dass ich Römer war.


    Wie erwartet, endete das Lachen und man konnte Porcius ansehen, dass er nachdachte. Schließlich schien ihm meine Vorstellung wohl plausibel zu sein, wozu das klare Oberschicht-Latein sicher seinen Beitrag geleistet hatte. "Gut, ich glaube dir. Aber warum kleidest du dich komplett in Seide? Und dann noch in diesem Zuschnitt? Und so dicht gewebt? Ist das nicht zu warm?"


    Nun musste ich mir ein Lachen verkneifen. "Ja, es ist zu warm für dieses Wetter. Aber ich werde dennoch die Würde wahren und mich ordentlich kleiden. Es ist die Kleidung eines serischen Gelehrten. Und ich kleide mich so, weil ich nicht nur Student des Museions, sondern auch serischer Gelehrter bin." Seine Augen wurden größer. "Und bevor du fragst: Ja, das war auch in Serica teuer. Aber deutlich günstiger, als in Rom. Was mich zu einer wichtigen Frage bringt: Hast du Platz auf deinem Schiff, um mich und meine Waren von hier nach Aegyptus zu bringen?"


    "Naja... kommt auf den Platzbedarf an. Ein Schlafplatz kostet Geld. Frachtraum kostet Geld. Je weniger Platz du brauchst, umso günstiger wird es." Dann schien ihm etwas durch den Kopf zu gehen. "Serischer Gelehrter? Warum bist du ein serischer Gelehrter?"


    "Lange Geschichte," erwiderte ich, "aber ich will sie kurz zusammenfassen. Vor wenigen Jahren fand ich in Mogontiacum eine Karte des Alexanderreichs, die auch Straßen, Wege, Landschaften und teilweise die dort gehandelten Waren verzeichnete. Das schien mir ein Zeichen der Götter zu sein, dass ich den Weg nach Osten erkunden sollte. So zog ich über Antiochia am Orontes, Babylon, Antiochia in Parthien und andere Orte bis nach Transoxanien, nach Alexandria Eschate. Von dort überquerte ich ein hohes Gebirge, zog an einer Wüste entlang und über ein weiteres Gebirge bis in eine große Stadt in Serica. Dort weilte ich über ein halbes Jahr und diskutierte und lernte mit serischen Gelehrten, die mich als einen der ihren anerkannten."


    "Warte... du bist den Landweg gegangen? Das muss doch ewig gedauert haben!" Porcius und seine Offiziere sahen mich fasziniert an.


    Ich nickte knapp. "Fast ein Jahr. Und weil das so beschwerlich war, habe ich den Rückweg mit einem Umweg zur serischen Hauptstadt angetreten. Dort erhielt ich eine Audienz beim Kaiser von Serica, der mich beauftragte, meinem Kaiser eine Grußbotschaft zu überbringen. Von dort ging es über Kanäle an die Mündung eines großen Flusses und weiter über den Seeweg bis hierhin. Und nun benötige ich eine Weiterfahrt. Also: Ja oder nein?"


    Die Gruppe beriet sich flüsternd. Schließlich kam Porcius auf mich zu. "Wir reisen in einer Woche ab und nehmen dich mit. Aber das kostet umso mehr, je mehr Platz du haben willst. Und wir verlangen, dass du uns deine Geschichte mit viel mehr Einzelheiten erzählst. Abgemacht?" Er streckte mir seine Hand zu.


    Ich ergriff seine Hand. "Dafür wird auf See mehr als genug Zeit sein. Abgemacht!"

  • In den nächsten Tagen versuchte ich, Platz zu sparen. Meine Aufzeichnungen konnte ich unmöglich aufgeben. Auch die Kleidungsstücke, Keramik und die beiden zusätzlichen Schwerter standen nicht zur Diskussion. Ebensowenig die Geschenke für den Kaiser. Also blieben nur die Seidenballen. Die besten Qualitäten würde ich ebenfalls nicht abgeben, aber die mittleren und geringeren Qualitäten, von denen ich auch am meisten besaß, konnte ich veräußern. Gewürze zu veräußern machte für mich keinen Sinn.


    Den Ertrag aus dem Verkauf der Seidenballen nutzte ich, um Diamanten, Saphire und Gewürze zu kaufen. Dabei gab ich den Edelsteinen eindeutig den Vorzug. So viel Wert bekam man anders nicht für einen so geringen Platzbedarf. Dennoch konnte ich nicht unterhalb von sechs Kamelladungen landen. Das würde teuer werden. Und das wurde es auch. Dennoch war es mir das wert, so dass ich schließlich mit Porcius Natta eine Einigung fand. Der Bugbereich des ersten Unterdecks sollte mir gehören und sogar mit einem Vorhang vom restlichen Schiff abgetrennt werden. Bei dem Preis von einigen Karat Diamanten konnte man das aber auch erwarten. Verpflegung war natürlich inklusive, wobei ich die gleiche Kost erhalten sollte, die auch die Mannschaft erhielt.


    Bevor die Waren auf Nattas Schiff umgeladen wurden, gab es aber noch etwas zu erledigen. Für Arpan würde die Reise hier enden. Er hatte mit den Mönchen im lokalen Tempel der Buddhisten gesprochen und sie waren bereit, ihn aufzunehmen. Ich half ihm bei seinen Vorbereitungen. Sorgfältig rasierte ich sein Haupthaar, seinen Bart und seine Augenbrauen, sowie seinen Rücken. Den Rest konnte er selbst rasieren. Es war zwar eigentlich unter meiner Würde sowohl als Römer, als auch als hoher serischer Beamter. Doch Arpan war ein Freund und es war eine gute Übung in Demut, dass ich ihm diesen Gefallen tat. Schließlich badete er sich, wobei ich mit einem Schwamm seinen Rücken reinigte. Danach hüllte er sich in eine einfache orangene Baumwolltoga, so wie sie die buddhistischen Mönche hier trugen. Während er sich so relativ schnell ankleidete, beschloss ich, mich in die volle Hoftracht eines Beamten dritten Ranges zu kleiden. Lediglich auf mein Schwert verzichtete ich.


    So kamen wir beide so unterschiedlich zur Inordinationszeremonie in den buddhistischen Tempel, wie es nur sein konnte. Arpan war barfuß und lediglich in die orangene Toga gekleidet. Ich hingegen trug rote Seidenschuhe, Unterkleidung aus weißer Seide, ein Gewand aus roter Seide und ein weites Übergewand mit weiten Ärmeln aus roter Seide, das von einem breiten roten Seidengürtel umschlossen wurde, an dem ein hellgrünes Jadesiegel hing. Dazu eine Kappe aus schwarzer Seide mit goldenen Verzierungen. Hier der in beste Seide gekleidete hohe Beamte, dort ein einfacher Mensch in einem Baumwollgewand, an dem die orangene Farbe noch das Teuerste war.


    Der Abt begrüßte uns beide und verbeugte sich vor mir. Ich gab mir Mühe, mich vor dem Abt tiefer zu verbeugen, als dieser sich vor mir verbeugt hatte. Arpan fiel vor dem Abt auf die Knie und verbeugte sich dreimal, bis seine Stirn den Boden berührte. Schließlich gingen wir in den Tempel. Vor einer steinernen Statue des Buddha saßen die Mönche auf einem erhöhten Teil des Tempels. In ihrer Mitte war ein Platz frei, an dem der Abt sich niederließ. Arpan wiederholte seine Verbeugung, die er vor dem Abt geleistet hatte, während ich mir erneut tief, aber stehend verneigte. Im Folgenden rezitierten die Mönche in einer mir unbekannten Sprache vermutlich heilige Texte. Dann trat Arpan drei Schritte hervor und gelobte auf Sanskrit, dass er fortan in Armut und Keuschheit leben wollte und sich dem Studium der Schriften und der Meditation widmen wollte. Dass er das gelobte, wusste ich, weil er es mir zuvor erklärt hatte. Sanskrit beherrschte ich nicht. Am Ende der Zeremonie erhielt er eine eiserne Bettelschale und durfte am Rand neben den Mönchen auf dem erhöhten Boden Platz nehmen. Ich verneigte mich vor dem Abt, dann vor ihm und schließlich vor jedem einzelnen Mönch, so wie ich es bereits zuvor getan hatte. Dann verließ ich den Tempel und wartete, während ich in Richtung des Meeres blickte.


    Nach einer Weile vernahm ich Arpans Stimme. "Ich danke dir, dass du mich bei der Zeremonie unterstützt hast, mein Freund."


    Ich drehte mich zu ihm. "Kein Grund, mir zu danken. Es war nicht allzu viel, was ich getan habe."


    "Du hast deinen Stolz bezwungen, um mich vorzubereiten."


    "Stolz ist die Illusion, mehr zu sein, als man ist," entgegnete ich. "Der Edle ist an seiner Würde interessiert, aber nicht an Stolz. Ihn interessiert nur die Harmonie der Welt."


    Arpan lächelte. "Dann glaubst du, die Stufe des Edlen erreicht zu haben?"


    Ich lächelte zurück. "Nicht einmal Meister Kǒng glaubte, dass er diese Stufe erreicht hatte und es ist fraglich, ob sie überhaupt jemals ein Mensch erreichen wird. Doch wäre es vermessen, das als Entschuldigung dafür zu nehmen, dem Edlen nicht nachzustreben."


    "Hàn hat dich stark geprägt. Bist du sicher, dass du noch nach Rom gehörst?" Arpans Frage war ernst gemeint, das merkte ich.


    "Mein lieber Arpan, es gibt nur einen Weg, das herauszufinden." Wieder lächelte ich. "Doch ist diese Frage irrelevant. Ich habe einen Befehl des Sohns des Himmels zu erfüllen. Erst danach mag ich mir diese Frage stellen. Falls ich sie für relevant erachte."


    Arpan erwiderte mein Lächeln. "Du wirst deinen Weg machen, Aulus Iunius Tacitus. Ich danke dir für den Weg, den wir zusammen gegangen sind. Du hast mir gezeigt, dass nicht alle Römer so sind wie diejenigen, die meine Herren waren. Bleib so, wie du bist. Ich werde hier meinen Frieden finden."


    Das war nun also der Moment des Abschieds. "Ich hoffe doch, dass ich dereinst ein besserer Mensch sein werde, als jetzt. Ich bin dir zutiefst dankbar, mein lieber Arpan. Für deine Loyalität, deine Freundschaft und dafür, dass du mich auf dieser langen Reise begleitet hast. Mögest du deinen Frieden finden. Ich werde dir stets in Freundschaft verbunden sein." Schließlich verneigte ich mich so, wie ich mich vor dem Abt verneigt hatte.


    Arpan ergriff meine Schultern und drückte mich wieder nach oben, bis ich aufrecht stand. "Bitte, mein Freund, bitte... du brauchst dich vor mir niemals zu verbeugen. Wir sind Freunde!"


    Ich atmete tief durch, denn am liebsten hätte ich ihn zum Abschied umarmt. Und ich musste auch ein wenig mit mir kämpfen, um nicht emotional zu werden. So, wie auch Arpan, das sah ich ihm an. "Ich verneige mich nicht vor dem Menschen, sondern vor dem Mönch," sagte ich mit fester Stimme. Er schien mich zu verstehen. Dann ging ich drei Schritte rückwärts und verneigte mich erneut, bevor ich mich schließlich aufrichtete, Arpan noch einmal zulächelte und mich schließlich zum Gehen wendete. Dabei glaubte ich, eine Träne in Arpans Augenwinkel entdeckt zu haben. Wenn ich noch länger hier gestanden hätte, wäre es mir wohl ähnlich ergangen. Doch so bewahrte ich meine Würde und verließ den Tempel.

  • Als ich dann im Hafen ankam, ließ ich meine Waren von der Dschunke auf die zweimastige Corbita von Porcius Natta umladen. Er erwartete mich bereits und führte mich kurz über sein Schiff. Dann ließ er mich allein in dem für mich vorgesehenen Bereich. Man hatte mir eine Koje und einen Tisch ins Quartier gestellt, das noch sehr groß aussah. Doch mit jeder Ladung waren und Aufzeichnungen, die hinein transportiert wurden, schrumpfte der Platz, der mir zur Verfügung stand. Am Ende war nur noch ein schmaler Weg zwischen der Koje, dem Tisch und dem Vorhang, der mein Quartier vom Rest des Schiffes abtrennte, frei. Das würde also meine Unterkunft für die nächsten Wochen sein.


    Bevor ich mich von dem Kapitän der Dschunke verabschiedete, stellte ich ihm noch ein gesiegeltes Empfehlungsschreiben aus. Es sollte ihm als Beleg dafür dienen, mich wirklich in Indien abgesetzt zu haben, aber vor allem als Nachweis seiner Zuverlässigkeit, wenn er sich um Aufträge der Regierung des Reiches Hàn bemühen wollte.


    Die Nacht verbrachte ich bereits an Bord der Corbita, die am nächsten Morgen in See stach. Wir hatten einen guten, raumen Wind, der uns schnell auf das offene Meer trug. Je weiter wir auf das Meer hinausfuhren, umso angenehmer wurden die Temperaturen. Nachdem alle Segel ordentlich gesetzt waren und das Schiff ruhig und so weit wie möglich gerade nach Westen fuhr, kam Porcius Natta auf mich zu und bat mich, von den ersten Abschnitten meiner Reise zu berichten. Ich hatte mein Wort gegeben, und so berichtete ich in den nächsten Tagen von Antiochia am Orontes, der syrischen Wüste, von Dura Europos und schließlich von Babylon.

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