Auch Amytis war amüsiert. Vor allem, dass der Herr auch selbst mitmachte, machte ihn sympathisch, so dass sie unweigerlich lächeln musste, auch wenn sie es sich schnell wieder verkniff. Dass aber auch Sporus lächelte, war mehr wert als alles andere. Immerhin hatte sie so etwas von ihm noch nie gesehen.
[Atrium] Unterweisung der Sklaven in den Riten der Serer
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Die fast perfekt synchrone Verbeugung zeigte, dass die Übung erfolgreich war. In meinen Gedanken dankte ich Prinz Jiénzĭ. Seine Worte rekapitulierte ich noch einmal. Wenn Strenge, Disziplin und Eifer nicht helfen, dann versuche es mit Humor. Mein Freund lag richtig, wie ich jetzt feststellen konnte. "Píng shēn," befahl ich mit sanfter Stimme und zu meiner Überraschung klappte auch das Aufrichten ziemlich synchron. "Sehr gut, das nenne ich Fortschritte."
Ich ließ eine knappe Stunde lang immer wieder die synchrone Verbeugung wiederholen. Es klappte immer besser. Deshalb hatten sich alle eine Pause verdient. "Bevor unsere Konzentration nachlässt, machen wir eine kleine Pause." Ich gab Begoas ein Zeichen, damit er schwarzen Tee und Honig hereinbrachte. Ich erhielt meinen Tee natürlich in einer serischen Porzellanschale.
Während ich meinen Tee trank, winkte ich Sporus zu mir. "Ich habe eine Frage an dich, wenn du gestattest. Mein Verwandter Iunius Scato in Mogontiacum hatte einen Sklaven mit dem Namen Sporus zur Pflege, wenn man es so nennen will. Kennst du ihn zufällig? Der Name Sporus ist nicht so häufig, deshalb frage ich mich, ob ihr euch kennt."
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Sporus ging zu Tacitus, als er ihn zu sich winkte und verbeugte sich leicht. "Ja, Yunzi. Das war ich. Iunius Scato hatte mich geheilt, soweit es möglich ist. Ich habe seit dem keine Schmerzen mehr. Er ist ein guter Medicus.", sagte Sporus, etwas traurig darüber, dass er ihn lange nicht mehr gesehen hatte. Und Terpander, den Sklaven von Scato, in den sich Sporus einst verliebt hatte. Und er liebte ihn immer noch, genau wie Terpander, Sporus liebte. Auch Terpander hatte er lange nicht mehr gesehen. Er ist wahrscheinlich wieder in Germania, dachte sich Sporus.
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"Ja, das ist er wohl," antwortete ich. "Wann bist du abgereist? Weißt du, wie es meiner Schwester Matidia geht? Ist sie gesund?" Man konnte mir anmerken, dass ich hier über eine Person sprach, die mir sehr viel bedeutete.
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"Verzeih mir, Yunzi. Ich kenne leider deine Schwester nicht. Ich habe Sie, in der Zeit, in der ich bei Scato war, nicht kennengelernt." sagte Sporus etwas ängstlich. War es schlimm, dass er nicht sagen konnte, wie es ihr geht? Yunzi wird sicherlich enttäuscht sein, über diese Antwort. "Abgereist bin ich vor einigen Wochen, glaube ich. Terpander, der Sklave von Scato, hatte mich begleitet.", fügte Sporus noch hinzu und verbeugte sich leicht. Er wollte Yunzi wohl nicht in die Augen sehen müssen, wenn dieser seine Enttäuschung zeigen würde. Sporus wollte nicht jemanden unglücklich machen. Er konnte damit auch nicht umgehen. Würde Yunzi ihn für diese unvollkommene Antwort bestrafen, so wie es Aulus machen würde?
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Dass er meine Schwester nicht kennengelernt hatte, war bedauerlich, aber nicht seine Schuld. "Zu schade, aber das lässt sich nicht ändern." Mehr konnte ich dazu nicht sagen. Immerhin war ich es auch gewesen, der sich auf eine Reise in ferne Länder begeben hatte. Als er Terpander erwähnte, ließ mich an eine Nachricht denken, die ich noch nicht gelesen hatte. Die Wachstafel war mit einem Dokument versehen, das auf Terpander hingewiesen hatte. "Danke für deine ehrlichen Antworten."
Schnellen Schrittes begab ich mich zur Porta, wo der Ianitor die Wachstafel und das Schriftstück verwahrte. Ich sah mir zuerst das Schriftstück an, das ein etwas zerknittertes, aber von Scato gesiegeltes Stück Papyrus war und recht mitgenommen aussah. Es wies Terpander als Sklave von Scato aus und gestattete ihm, sich frei im Imperium zu bewegen, ohne als flüchtig zu gelten. Ich kennte solche Schriftstücke. Sie fanden sich bei im Auftrag ihres Herrn reisenden Sklaven. Warum war das hier? Und ohne Terpander? Und so schlecht gepflegt? Also öffnete ich die gesiegelte Wachstafel. Ich las eilig den Text. Der Absender stand deutlich darauf, ein Römer aus Forum Claudii Augusti. Der Empfänger war eigentlich Scato, aber adressiert an die Domus Iunia in Rom. Nunja, konnte vorkommen. Also der Inhalt... Felssturz am Summus Poeninus... mehrere Personen verschüttet... Papyrus gefunden... unter Geröll und Bergschutt... Ich erfasste die Worte und schließlich auch die Bedeutung.
Kurz wies ich den Ianitor an, das Schreiben nicht zu lesen und es niemandem zu geben. Ich sah in Richtung Sporus und versuchte einzuschätzen, wie er wohl zu Terpander gestanden hatte. Er hatte ihn zumindest auf der Reise von Mogontiacum nach Rom kennengelernt. Hatte er ihn gut gekannt? Und wie würde er die Nachricht aufnehmen? Ich wusste es nicht, wollte aber auch keine unnötige Unruhe aufkommen lassen. Ohne irgendeine erkennbare Emotion ging ich dann wieder zu Sporus. "Ich habe dich eben einfach so stehen lassen, weil mir etwas in den Sinn gekommen ist, das ich fast vergessen hatte und nicht schon wieder vergessen wollte. Wo waren wir noch gleich? Terpander hatte dich begleitet, richtig? Da er nicht hier ist, gehe ich davon aus, dass er sich wieder auf den Rückweg nach Mogontiacum gemacht hatte. Korrekt?" So konnte ich das Schreiben besser einschätzen.
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"Ja,Yunzi", sagte Sporus mit fast schon mit funkelnden Augen. "Ich denke, er ist zurück nach Germania. Wir wollten eigentlich zusammen bleiben, und uns irgendwie durchschlagen. Ich liebe ihn, und ich denke, er mich auch. Er ist mein Glück, und ich freue mich, ihn vielleicht bald wieder sehen zu dürfen. Aber er hat seinen Herrn Scato und er konnte ihn nicht wirklich verlassen", sagte Sporus noch und wurde zusehens trauriger. "Ich vermisse ihn", fügte er noch hinzu. Niemals hatte Sporus so offen gesprochen, zumal er erwähnte, dass er mit Terpander flüchten wollte. Aber irgendwie hatte er Vertrauen zu Tacitus gefasst. Er würde ihn verstehen.
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Das machte alles schwieriger. Ich hatte das Gefühl, dass ich Sporus die schlechte Nachricht irgendwie schonend beibringen musste. Ich wusste nur nicht, wie. Und so nickte ich nur kurz und lächelt höflich. "Danke für deine Ehrlichkeit, Sporus."
Daraufhin ließ ich die Sklaven wieder antreten und ließ noch bis Mittag die synchrone Verbeugung üben, auch wenn ich gedanklich nicht ganz anwesend war. Fehler nahm ich dennoch wahr und korrigierte sie.
Als ich dann die Mittagspause anordnete, in der die Sklaven wieder gut versorgt wurden, begab ich mich selbst in die Bibliothek. Ich suchte nach einem bestimmten Werk, das ich aus Serica mitgebracht hatte. Im Prinzip war es eine ganze Sammlung. Ich musste nicht lange suchen, bis ich die Sammlung fand, deren Bücher aus Bambusstreifen in Seide gehüllt waren. Die Aufschrift 禮記, "Buch der Riten" war es, die ich suchte. Innerhalb der Sammlung suchte ich das Buch mit der Aufschrift 喪大記, "Größere Aufzeichnung der Trauer-Riten". Doch waren dort keine Riten für verstorbene Diener verzeichnet. Die tiefen Grundsätze konnte ich vielleicht für die Situation verwenden, aber mehr nicht. Die römischen Sitten gaben mir ebenfalls keine Hinweise, denn Sklaven waren wie Sachen bewertet und daher gab es keine Bestattungsriten für Sklaven, an die sich ein Herr halten sollte. So schlug ich ein weiteres Buch nach... Das erste Buch aus der Sammlung, 曲禮上下, "Regeln der Schicklichkeit". Es war die Grundlage von allem in Serica. Ich las mir den ersten Eintrag selbst vor. "Qū Lǐ yuē: 'Wú bù jìng, yǎn ruò sī, ān dìng cí.' Ān mín zāi!" Mit Respekt sprechen, ernsthaft sein, ruhig und bestimmt sprechen. Das soll dem Volk Frieden bringen. Ruhig packte ich die Bücher wieder in ihre seidenen Hüllen, bevor ich mich aus der Bibliothek ins Atrium begab. Es waren fast zwei Stunden vergangen.
"Mir ist etwas dazwischen gekommen. Deshalb habt ihr für den Rest des Tages und für morgen frei. An der Bezahlung eurer Herren ändert sich dadurch natürlich nichts. Holt die zwei Aurei für eure Herren bitte beim Maiordomus ab." Noch bevor alle gingen, deutete ich Amytis und Sporus, noch zu bleiben. Als alle fremden Sklaven gegangen waren und nur noch die iunischen Sklaven, sowie Amytis und Sporus vor Ort waren, ließ ich alle im Atrium versammeln.
"Ich weiß nicht, wie ich es anders sagen kann, deshalb bin ich geradeheraus." Meine Stimme war ruhig und fest. "Terpander, der geschätzte oberste Sklave meines guten Verwandten Iunius Scato und deshalb auch oberster Sklave dieses Haushalts, ist auf dem Weg zurück nach Germanien auf einem der Alpenpässe durch einen Felssturz verschüttet worden. Er hat nicht überlebt. Ihr habt für den Rest des Tages und für morgen frei. Dennoch erwarte ich, dass alle, die ihn gekannt haben, sich heute Abend hier einfinden. Ich werde die Riten des Andenkens persönlich leiten, auch wenn es keine festgeschriebenen Riten gibt." Ich konnte bei den meisten einen schockierten Gesichtsausdruck feststellen. Bei einigen sah ich auch Tränen, was es mir nicht leichter machte. "Sporus, es steht dir frei, bis heute Abend hier zu bleiben." Dann wandte ich mich an Amytis. "Amytis, ich benötige eine Person, die nicht persönlich betroffen ist, um mich zu unterstützen. Ich wäre dir persönlich dankbar, wenn du mir diesen Gefallen erweisen würdest."
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Amytis war durchaus verwirrt von der Ansage des Herrn. Sie hatte mitbekommen, dass Sporus und er sich unterhalten hatten, aber offensichtlich steckte da mehr dahinter, als sie erwartet hatte. Yúnzi wirkte nicht wie jemand, der aus einer Laune heraus sein Programm änderte. Es blieb keine Gelegenheit, Sporus zu fragen, daher wartete sie die Erklärung ab.
Diese war dann ohne Umschweife und direkt, aber was blieb auch sonst zu sagen? Es war offensichtlich, das dies ein schwerer Schlag für das Haus war, und Amytis war sich gleichzeitig sicher, dass ihr Herr ihr kaum eine Träne nachweinen würde. Was in Anbetracht dieser Reaktion hier nur noch trauriger war.
Bei Yúnzis Bitte nickte Amytis direkt, schaute zu Sporus, dann erst verbeugte sie sich. "Jederzeit, Júnzi." Was ihr immer noch nicht bewusst war, war die Beziehung zwischen Sporus und Terpander. -
Sporus war wie versteinert. "Was ist passiert?" fragte er mit spottender Stimme. Dann brach er zusammen. Er fiel hin und fing an, bitterlich zu weinen, zu schreien. "Nein, nein....das kann nicht....." Sporus kniete auf dem Boden, nicht imstande auch nur einigermaßen Luft zu holen. Seine Verzweiflung war endlos.
Terpander war der erste Mensch in seinem Leben, der ihm Liebe entgegengebracht hatte. Er war sein Held, seine große Liebe, sein persönlicher Gott, wenn man so will. Sporus nahm in seiner Verzweiflung einen Stein, der neben ihm auf dem Boden lag, und versuchte sich mit einer Spitze des Steines eine Pulsader aufzuschneiden. Ohne Erfolg. Es war auch eine Verzweiflungstat, nicht überlegt. Er schmiss den Stein wieder weg.
"Ich möchte bleiben", fügte er noch leise schluchzend hinzu und gab sich seiner endlosen Trauer hin.
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Dafür, dass hier ein Stein herumlag, hätte Terpander dem für die Sauberkeit im Atrium verantwortlichen Sklaven sicher eine schallende Ohrfeige verpasst. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich das auch machen sollte. Und sei es im Gedenken an Terpander. Ich konnte am Gesicht des entsprechenden Sklaven erkennen, dass er den selben Gedanken hatte. Doch ich war nicht Terpander, und es erschien mir nicht angemessen. Mit Sporus konnte ich zu einem gewissen Maße mitfühlen. Ich mochte Terpander. Aber ich hatte gelernt, meine Gefühle im Griff zu haben, auch wenn es mir gerade sehr schwer fiel.
Ich winkte den Paedagogus heran. "Aias, kümmere dich um ihn," befahl ich mit ruhiger Stimme, während ich einen besorgten Blick auf Sporus warf.
"Ja, Herr," erwiderte Aias und ging zu Sporus. "Ruhig, Junge," sagte er beruhigend zu Sporus, "beruhige dich. Was würde wohl Terpander zu dir sagen?"
"Flenn nicht rum und reiß dich zusammen, das würde Terpander sagen," brummte Malachi, der ehemalige Gladiator und jetzige Custos Corporis. "Und eine Ohrfeige hätt's obendrein gegeben."
"Malachi, nicht jetzt!" zischte Aias, obwohl er wusste, dass Malachi nicht ganz falsch lag. "Der Junge leidet." Dann kniete er er sich neben Sporus und nahm ihn in den Arm. "Lass es raus, Junge, lass es raus."
Da ich das Gefühl hatte, dass die Lage erstmal im Griff war, ging ich zu Amytis. "Bitte, folge mir ins Peristylium. Dort können wir uns in Ruhe der Planung widmen. Um Sporus wird sich gut gekümmert, da habe ich keine Zweifel."
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Im Arm gehalten zu werden, tat Sporus gut. Zumal er ist nicht gewohnt war, so fürsorglich behandelt zu werden, außer von Terpander, und Scato. Und er ließ alles raus. Er heulte, wie er noch nie geheult hatte. Und langsam beruhigte er sich auch wieder.
"Danke, Herr." sagte er zu Aias. Er nannte alle "Herr", auch wenn es ein Sklave war. Ihm wurde einst beigebracht, dass er selbst immer auf der untersten Stufe stand, und jedem anderen mit Respekt zu behandeln hatte.
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Fasziniert betrachtete Amytis das Geschehen und war wirklich überrascht von Sporus' Reaktion. Der arme Kerl tat ihr aufrichtig leid, und auch ihre Augen wurden bei seinem sichtbaren Leiden feucht. Ein schwerer Schlag, das war deutlich zu sehen, und sie nahm sich vor, ihm zu helfen, wie auch immer sie das anstellen wollte.
Sie nickte auf die Bitte Yúnzis hin und folgte jenem, ließ es sich aber nicht nehmen, Sporus im Gehen noch einmal die Hand auf die Schulter zu legen. Sie sagte nichts, denn Worte halfen hier wohl nicht mehr, aber sie war da, und das war wichtiger. -
Aias nickte Amytis dankbar zu und kümmerte sich dann wieder um Sporus. "Es wird noch länger weh tun, Junge," sagte Aias mitfühlend, "aber das zeigt, dass du ihn wirklich geliebt hast. Liebe kann weh tun. Aber tu dir deshalb nichts an, hörst du? Terpander würde das nicht wollen. Er würde wollen, dass du glücklich bist."
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