Das Atrium

  • “Na, austrinken, nicht absetzen“, kommandierte Elfleda als erstes gleich wieder, als Witjon sie so skeptisch beäugte. Immerhin sollte er nicht vor lauter Schreck gleich alles fallen lassen, nachdem sie sich so viel Mühe gegeben hatte, alles zusammenzusammeln. Und da blieb sie auch stur und redete nicht weiter, bis sie nicht gesehen hatte, dass er weitertrank.
    “Na also“, meinte sie noch wenig hilfreich und wartete noch einen Moment, ehe sie wieder zu sprechen anhob. Es gab vermutlich keinen diplomatischen Weg, ihm das schonend beizubringen, und es war ja auch noch nicht endgültig, sondern nur eine Möglichkeit. Und eigentlich war es ja auch nicht zwangsläufig eine schlechte Nachricht.
    “Callista ist schwanger“, sagte sie also ohne Umschweife oder irgendeine Vorwarnung. “Wir haben es zunächst nicht gemerkt, weil sie noch ein paar Mal dennoch eine schwache Blutung hatte, aber sie ist schwanger. Bald müsste man es auch richtig sehen können. Deshalb erholt sich ihr Körper auch gerade so schlecht.“
    Sie gab ihm nicht wirklich Gelegenheit, diese Nachricht zu verdauen, als sie auch gleich weiter sprach. Es nutzte ja nichts, ihm das ganze häppchenweise zu servieren, denn schlucken musste er ja sowieso alles, ob es ihm passte oder nicht. Dann lieber alles auf einmal, und ihn hinterher wieder aufbauen, wenn es denn nötig sein sollte. “Allerdings ist ihr Körper sehr geschwächt. Ich weiß, sie will das Kind unbedingt haben, mehr als alles andere, aber ich halte das für keine so gute Idee. Wenn sie es wirklich behalten will, solltest du dich in jedem Fall um eine Amme kümmern, denn ich bezweifle, dass sie stark genug sein wird, um das Kind entsprechend zu versorgen.“ Wenn sie das denn überlebt, fügte sie in Gedanken noch an. Aber das sagte sie dann doch nicht.

  • Witjon knurrte mürrisch, als Elfleda ihn so herumkommandierte. Doch fügte er sich und setzte den Becher an, um ihn mit großen Schlucken zügig zu leeren. "Lääcker..." grunzte er mit ausgestreckter Zunge und drückte damit in seinen Augen die erwartete Dankbarkeit zur Genüge aus. Er schluckte ein paar Mal und versuchte den widerlichen Geschmack der Medizin herunterzuwürgen, während er darauf wartete, dass Elfleda endlich mit der Sprache herausrückte. Und das tat sie auch, indem sie Witjon einen Schrecken einjagte. "Schwanger? Endlich?" keuchte er in Ermangelung der angemessenen Zurückhaltung, die er sonst gelegentlich pflegte. Doch bevor er noch mehr sagen - oder vor Erleichterung jubeln - konnte, schüttelte ihn ein weiterer Hustenkrampf, der ihn weiters zum stillen Zuhören verdammte. Die anfangs so fröhliche Nachricht offenbarte natürlich schnell ihre kritischen Aspekte. Erschöpft seufzte Witjon. Er wollte sich vor Elfleda keine Schwäche eingestehen, doch die Krankheit hatte ihn schon hart gepackt und so sah er sich nach einer der Bänke im Atrium um und ließ sich müde darauf plumpsen.
    "Eine Amme," wiederholte er, sich Elfledas Worte noch einmal vor Augen führend. Sorge zeigte sich in seiner Miene, als er die Mattiakerin ansah. Nach einem Augenblick der Stille musste er den Gedanken, der sich manifestierte und der peinigend wie eine heiße Klinge durch Witjons Geist schnitt, aussprechen: "Wird es sehr ... gefährlich für sie sein?" Er wusste natürlich, dass eine Geburt immer ein Gefahrenpotenzial für beiderlei Mutter und Kind barg. Doch in diesem Fall war es wohl offensichtlich, dass Callista keine leichte Geburt haben würde. Ohne es zugeben zu wollen: In Witjon stieg panische Angst um sein Weib auf, ohne dass er etwas dagegen zu tun vermochte! Ein grausiger Albtraum kam ihm wieder ins Gedächtnis und eine böse Vorahnung schlich sich ein, die kein vernünftiges Argument zu entkräften vermochte.

  • Na, da sollte er froh sein, dass es noch nur ein Husten war und noch keine Entzündung. Wenn er jetzt sich schon über den Geschmack beschwerte, was hätte er dann erst zu Schaflunge gesagt? “Na, wenn's dir so gut schmeckt, kannst du dich ja freuen. Das gibt es jetzt jeden Tag, bis du aufhörst, zu husten“, meinte sie vollkommen sachlich, allerdings konnte sie ein gehässiges Blitzen in den Augen nicht unterdrücken. Manchmal musste frau auch die Männer quälen, damit die nicht zu übermütig wurden.


    Die Nachricht mit der Schwangerschaft nahm Witjon recht gut auf. Elfleda hatte schon schlimmere Ausbrüche von Gefühl erwartet, aber im großen und Ganzen hatte er wohl nur einen kleinen Schock und blieb recht ruhig. Natürlich machte er sich Sorgen, das sah man ihm an, aber er vollführte weder Freudentänze noch schien er wirklich starr vor Angst. Braver germanischer Mann eben. Elfleda musste ganz kurz schmunzeln, aber nur den Bruchteil einer Sekunde. Dafür war das Thema an sich zu ernst, als dass man über irgendeinen Teilaspekt hätte amüsiert sein können.
    “Ja, wird es.“ Es brachte ja doch nichts, drum herum zu reden und so zu tun, als wäre nichts. Witjon war ein erwachsener Mann, und Elfleda würde nicht anfangen, ihn wie ein Kind zu behandeln und Händchen zu halten, nur weil das Leben eben gerade nicht fair war. Sie ging zu ihm und setzte sich neben ihm auf die Bank. Sie kam sich albern vor, wenn sie stand und zu ihm heruntersah. Sowas besprach man am Besten auf Augenhöhe.
    “Wäre ihr Körper nicht momentan so geschwächt, würde ich ihr ein Mittel verabreichen, dass sie das Kind verliert.“ Elfleda sagte das ganz gerade heraus. Das Leben einer Mutter war immer wichtiger als das eines ungeborenen Kindes, da gab es nichts, worüber man nachdenken musste. Wenngleich die Mattiakerin das mit Callista nicht besprechen konnte, denn seitdem sie dieser auch gesagt hatte, dass sie ein Kind bekäme, hatte sie die ganze Zeit nur noch davon geredet und gar nicht zuhören wollen, als Elfleda die Möglichkeit angesprochen hatte, es erst einmal nicht zu bekommen. Sie war sogar regelrecht wütend geworden und hatte Elfleda das Wort abgeschnitten und anschließend auf stur geschaltet. Das war mitunter ein Grund, warum Elfleda das ganze nun mit Witjon besprechen wollte.
    “Aber im Moment habe ich die Befürchtung, dass sie das nicht überstehen könnte. Ich versuche, sie zu stärken bis zur Geburt, damit sie die übersteht. Aber wenn sie weiterhin so kränklich und schwächlich bleibt...“ Elfleda machte eine hilflose Geste mit den Händen. Sie konnte nur heilen, nicht hexen. “Es tut mir wirklich leid, Witjon, dass ich keine besseren Nachrichten habe. Ich tue was ich kann, aber... ich mach mir Sorgen, dass das nicht reichen könnte.“

  • Elfledas Diagnose kam nicht gerade unerwartet. Dennoch traf sie Witjon tief, der sich nur an einen winzigen Hoffnungsschimmer zu klammern schien. Das Kind loszuwerden um die Mutter zu retten wäre auch seine erste Wahl gewesen, doch wenn Elfleda sagte, dass das bei Callistas Zustand keine Option war...nun, dann blieb wohl keine andere Wahl. Elfleda setzte sich neben ihn und teilte ihm nun ihre Sorgen mit, das ganze Ausmaß der Gefahr schildernd. Aber wenn sie weiterhin so kränklich und schwächlich bleibt... wiederholte Witjon in Gedanken. Er malte sich bereits das Schlimmste aus. Am Ende war er kinderloser Witwer und musste sich ein neues Weib suchen. Ein klebriger Kloß setzte sich bei dieser Zukunftsversion in seinem Hals fest, machte es ihm für einen Moment unmöglich zu sprechen. "Ich..." krächzte er, wurde aber vom Husten unterbrochen. Als er Elfleda wieder ansah, sprachen Sorge und Hilflosigkeit aus seinem Blick. "Ich danke dir für deine Mühen, Elfleda. Tu was in deiner Macht steht, ich werde es dir zu vergelten wissen." Ehrliche Worte eines verzweifelten Mannes sprach er da aus. Er war der Mattiakerin wahrhaft zutiefst dankbar, was er sogar durch eine Geste ausdrückte. Denn seine Hand fand sich auf ihrer Schulter wieder und eine kurze, verlegene Umarmung folgte daraufhin. "Mir bleibt nichts, als die Götter um ihren Beistand zu bitten," stellte er dann nüchtern fest. Erste Anzeichen eines gewissen Fatalismus machten sich erkennbar. Wenn selbst eine begabte Heilerin nicht mehr viel tun konnte, so lag Callistas Leben und das des Ungeborenen einzig in den Händen der Nornen.

  • Offensichtlich trafen ihn die Worte, aber er nahm das ganze doch recht gefasst auf. Einzig vielleicht die kleine Umarmung zeugte von der Tiefe seiner Gefühle bei dieser Sache, und kurz erwiderte Elfleda die Geste und strich ihm einmal aufbauend mit der Hand über den Rücken. Er gehörte zur Familie, da fand sie das nicht verwerflich oder anrüchig.
    “Wenn sie das Kind wirklich so sehr will, wie sie sagt, dann kämpft sie auch darum. Ich werde tun, was ich kann, um ihr dabei zu helfen.“ Mehr konnte Elfleda ihm da nicht sagen, und schon das klang grausam pathetisch in ihren Ohren. Nun, ein wenig Pathos ab und an mal war durchaus auch angebracht, und in dieser nicht gerade einfachen Situation konnte Elfleda ihn auch kurz etwas aufzubauen versuchen. Jeder gute Politiker wusste, dass das auch manchmal wichtig war.


    Dennoch war der Moment etwas merkwürdig, und so sammelte sich Elfleda auch recht schnell wieder und stand auf, den Rock dabei glattstreichend. “Gut, dann werd ich auch mal wieder weitersehen. Nach eurer tollen Aktion im Garten ist Naha etwas quengelig“ Witjon bekam deshalb noch einen kleinen, vorwurfsvollen Blick aus den Augenwinkeln, aber gerade so, dass er ihn auch auf jeden Fall mitbekam. Er sollte ruhig ein schlechtes Gewissen deshalb haben. So für den Rest seines Lebens. Denn Elfleda würde diese Begebenheit sicher zu irgendeiner passenden Gelegenheit wieder hervorkramen und ihm dann eiskalt servieren.
    “Und falls dein Husten schlimmer wird, melde dich. Ich hab keine Lust, dich wochenlang pflegen zu müssen.“ Das war nicht ganz ernst, aber auch nicht wirklich gescherzt. Elfleda überlegte noch kurz, ob sie etwas vergessen hatte, und streckte die Hand dann nach dem Becher aus. Sie kannte die Männer, die ließen Geschirr gerne überall stehen, und sie wollte sowieso in die Küche.

  • Mehr als nicken konnte Witjon nicht ob der Versicherung Elfledas. Callista würde kämpfen, ja. Aber ob sie siegreich war stand in den Sternen. Jedenfalls halfen Elfledas Worte ein wenig und bestärkten Witjon in seiner plötzlichen Tatkräftigkeit. "Mach das," erwiderte er auf ihre Feststellung, den Naha-Vorfall geflissentlich ignorierend. Er sah sich in keiner Weise schuldhaft an der Eistaufe oder gar an Nahas kurzem Höhenflug. Auch ihre Anweisungen bezüglich des Hustens tat er mit einer lapidaren Handbewegung ab. "Ist gut, mach ich. Wird schon werden." Er erhob sich, von neuem Tatendrang - nicht ohne bitteren Beigeschmack - erfüllt und wandte seine Schritte Richtung Garten. "Auf dass die Götter meine Bitten erhören," warf er ihr noch über die Schulter zu, keine Reaktion abwartend. Dann ging er hinaus zum Gebetsfelsen, wo er lange knien würde. Nur gelegentliches Husten unterbrach die andächtige Stille.

  • Nach römischer Sitte betrug die Aufbahrungszeit eines verstorbenen Angehören bis zu sieben Tage. In dieser Zeit war Callista im Atrium aufgebahrt worden. Nach ihrem Tod hatte Witjon darauf geachtet, dass alles genauestens nach römischer Tradition gehandhabt wurde. Oder zumindest so genau wie möglich. Eine Sklavin aus benachbartem römischen Hause hatte beim Schminken der Toten geholfen und ausgezeichnete Arbeit geleistet. Dann hatte Witjon seinen Maler kommen lassen, der ein Portrait der jungen Frau anfertigte. Das war am zweiten Tag nach ihrem Tod geschehen. Von da an hieß es warten und Beileidsbekundungen entgegennehmen. Viele Freunde kamen schon vor der offiziellen Bestattung und sprachen Witjon mut zu, machten ihm Hoffnung und drückten ihre Anteilnahme aus. Nur wenige dieser ganzen Worte bedeuteten dem Witwer wirklich etwas. So zum Beispiel, als Ortwini kam. Er sagte nicht viel, ganz entgegen seiner Art. Doch er stellte sich neben Witjon vor die aufgebahrte Tote und sah lange Zeit einfach nur still drein. Er war da. Und das war es, was Witjon so sehr an seinem besten Freund schätzte.
    Aber bis zur Bestattung waren es immer noch einige Tage, die Witjon überbrücken musste. Er wollte Callistas Andenken nicht entehren, indem er sich bereits sinnlos betrank, bevor sie überhaupt ins Totenreich gefahren war. Daher riss er sich zusammen, betete viel, verfluchte mal die Götter, mal seine eigene Naivität, oft genug auch das Neugeborene, das indirekt ja Grund für Callistas Tod gewesen war. Doch es half ja alls nichts, das musste er sich irgendwann eingestehen. Und so saß er immer öfter einfach nur herum und starrte in die Luft. Oder arbeitete sich im Haus halbtot, indem er Holz hackte, Aktenstapel etliche Male hintereinander neu sortierte, die Ställe ausmistete oder sonst irgendetwas tat. Aber es war ja noch die erste Woche der Trauer und so scheuchten ihn - zurecht - alle Hausbewohner fort, wenn er ihnen irgendwo in die Quere kam, und er musste sich wieder seiner Trauer hingeben. Lando, Phelan, Ragin und alle anderen waren natürlich auch für ihn da. Und er liebte sie alle dafür. Er liebte seine Familie, diese große, größenwahnsinnige, oft so ordentliche, viel öfter total chaotische, fröhliche, vom Unglück verfolgte, liebevolle, häufig ungeliebte Familie. Doch je weiter die Woche voranschritt und je mehr Vorbereitungsarbeiten Witjon auf seiner Liste abhakte, desto düster wurden seine Gedanken. Langsam fand er die Zeit, über die Geschehnisse nachzudenken. Und das war fatal. Immer öfter stand er einfach nur im Atrium herum, den Blick auf die vermeintlich Schlafende gerichtet. Dann stromerte er in den Gängen der Casa herum. Ruhelos, mit unverändert ernster Miene, in den meisten Nächten völlig schlaflos.
    Und dann war es so weit. Der siebte Tag brach an, die Aufbahrungszeit neigte sich dem Ende zu. Es war Zeit für die Bestattung am Grab der Prudentier.

  • Natürlich war Callista Römerin. Daran hatte es nie einen Zweifel gegeben, und auch, wenn Elfleda ihr möglichstes getan hatte, um die junge Prudentia zu germanisieren, sie war eine Römerin. Und irgendwie war es da auch logisch, dass sie nach römischer Sitte aufgebahrt wurde.
    Aber das hieß nicht, dass das Elfleda gefallen musste. Es war zwar auch bei ihrer Sippe üblich, die Toten aufzubahren, aber nicht ganze 7 Tage lang! Es war auch bei ihr üblich, die Toten in gute Kleidung zu stecken und herzurichten, aber das mit dem Schminken wollte Elfleda nach wie vor nicht gefallen.


    Es hatte sich bald herumgesprochen, dass Callista gestorben war, und immer wieder kam jemand vorbei, der von dem Leichnam Abschied nehmen wollte. Natürlich ließ Elfleda sie ein, wenn jemand kam, natürlich mit der gebotenen Trauer in ihren Bewegungen, aber innerlich war es ihr bald zu viel. Vor allem, als die Sklavin darauf bestanden hatte, die Tote täglich zu waschen und neu einzuparfümieren, hätte Elfleda ihr am liebsten nur noch einen Vogel gezeigt. Ihre Sorge galt weniger dem toten Körper, als vielmehr Callistas Geist, und ihrer Meinung nach warteten sie schon viel zu lange damit, sie zu Hel zu schicken, wie es ihr gebührte. Wenn sie noch länger warteten, würde die Tote noch als Wiedergänger aufstehen – auch wenn das wohl nur ein Märchen war, mit dem man kleine Kinder erschreckte. Aber Elfleda fand es einfach falsch, ihr so lange die Bestattung zu verweigern.


    Daher war sie dieser Tage auch recht schweigsam und zog sich ein wenig zurück. Witjon, vor Trauer halb von Sinnen, wurde von ihr meistens beiseite gescheucht, wenn er drohte, irgendwo zu versumpfen. Noch hielt er sich ganz wacker, wenngleich er besonders kurz angebunden und barsch derzeit war, aber das machte Elfleda nichts aus. Im Gegenteil, es lenkte sie davon ab, sich mit ihren eigenen Gefühlen auseinander zu setzen. Denn Wut war weitaus leichter zu verdauen als Trauer.


    An dem Morgen, bevor am Abend dann endlich die Bestattung sein sollte, war Elfleda kurz allein im Atrium. Es war noch nicht einmal die Sonne richtig aufgegangen, und die anderen schliefen alle noch. Sie war aufgewacht, weil das Kind in ihrem Bauch sie geweckt hatte mit seinen Bewegungen. Vorsichtig ging sie zu der Toten, berührte sie sanft am Arm. Sie war ganz kalt, natürlich, und Elfleda streichelte sie einmal freundschaftlich. Angst vor Toten hatte sie keine, nicht wirklich. Der Tod war schließlich allgegenwärtig.
    Sie ging zum Kopfende der Bahre und streichelte Callista auch einmal kurz über die schön zurechtgemachten Haare. “Heute ist es so weit. Du darfst ruhen.“ Elfleda sah sich nochmal um, ob auch wirklich niemand da war. Sie hatte sich ihre Position hier zu hart erkämpft, um sie in einem rührseligen Moment zunichte zu machen. Aber es war niemand da. Sie griff in eine Tasche in ihrem Rock und holte einen schön geschnitzten Kamm heraus, aus Holz und mit Gold verziert. Callista hatte er immer sehr gefallen. “Für dich, ich schenk ihn dir“, flüsterte sie schnell und steckte ihn Callista an einer unauffälligen Stelle ins Haar. Es sollten nicht alle mitkriegen, dass sie das getan hatte.
    Ein paar Momente blieb sie noch und streichelte die Tote fast wie ein Kind, das schlief, ehe sie ging. Es gab noch viel zu tun heute, trotz des Begräbnisses.

  • In letzter Zeit schlief Lando nicht gut. Garnicht gut. Er erwachte immer wieder, weil er das Gefühl hatte zu ersticken. Und wenn er dann erwachte, hörte er nichtmehr die üblichen Geräusche des ruhenden Hauses, die der schlafenden Stadt oder den ruhigen Atem seiner Frau, nein, das erste was er hörte war das Rasseln in seinen Lungen. Irgendwie wusste er, dass ihn dieses Rasseln umbringen würde. Drei Männer waren schon an den Folgen des großen Brandes verreckt, und er spürte, dass Hel nicht weit war.


    Weit war Hel allerdings für die tote Römerin, die seit Tagen im Atrium des Hauses aufgebahrt war. Für Lando ein seltsames Geschehen. Die Herrichtung der Toten war ihm unheimlich, gerade weil er Angst vor dem hatte, was passieren konnte wenn man Toten ihre Ruhe nicht gönnte. Aber sie war Römerin, und Witjon hatte auf der Einhaltung der römischen Traditionen bestanden. Was dafür sorgte, dass sämtliche Menschen, die in den drei Tagen der germanischen Totenruhe gekommen wären sich nun auf sieben Tage verteilten, was Lando weniger in den Kram passte. Bei drei Tagen hätte er den ganzen Öffentlichkeitszirkus schnell hinter sich gehabt, so aber wurde er immer wieder aus dem Tagestrott gerissen, um die Besucher zu empfangen nachdem sie Witjon ihr Beileid ausgesprochen hatten.
    Sowieso: Witjon. Die sehr heftige Reaktion nach Callistas Tod machte Lando große Sorgen. Natürlich hatte er damit gerechnet, dass Callista draufgehen konnte, gerade weil sie die Wochen zuvor quasi nur krank gewesen war. Um ehrlich zu sein: es hatte ihn gewundert, dass sie nicht mitsamt Ungeborenem lange vor der eigentlich Geburt verstorben war, was ihm dann doch Respekt abnötigte. Sie hatte ihren Zweck erfüllt, wenn auch nur einmal. Jetzt musste das Balg nurnoch überleben, und die Situation sah nicht ganz so düster aus.


    Das waren die Gedanken, die Lando durch den Kopf schossen nachdem er wieder einmal außerplanmäßig aufgewacht war. Nachdem er begriffen hatte, wie absurd die Situation war, sich noch im Halbschlaf über sowas den Kopf zu zerbrechen, bemerkte er, dass er alleine war. Er warf sich ein langes Hemd über und schlüpfte in eine Hose bevor er einen Blick in das kleine Bettchen seiner Tochter warf. Die Kleine schlief noch tief und fest, was für das Mädchen in letzter Zeit immer typischer wurde. Ein Segen für die Eltern.
    Leise versuchte er die Treppe zum Rundgang hinab zu steigen, und dann sah er seine Frau, wie sie bei der toten Römerin stand. Wenige Augenblicke später stand er bei ihr, und schlang seine Arme um sie und küsste sie auf ein Ohr.


    "Warum bist du schon wach?", fragte er, als wäre Callista garnicht da. Er hatte Stunden hier zugebracht, und über die aktuelle Situation nachgrübelnd die Aufgebahrte angestarrt bis ihm die Augen weh taten. Irgendwann hatte er einfach aufgehört, sie zu sehen.. wenn sie noch länger hier lag, würde er beginnen sie als Einrichtungsstück wahrzunehmen.

  • Wie konnte ein Kerl, der so groß war, sich so leise bewegen? Elfleda versetzte es immer wieder in Erstaunen, wie leise Lando sein konnte, wenn er wollte. Normalerweise war er ja durchaus laut und schwer zu übersehen, aber gerade hatte sie ihn nicht bemerkt und wollte sich schon herumdrehen und gehen, als sie doch einen Schritt hörte und eine Sekunde später auch schon seine Arme um ihren Körper hatte.
    Ihre Hand fuhr hoch zu seinem Gesicht und sie streichelte ihm einmal über den Bart, kuschelte sich ein wenig zurück in seine Umarmung. Er konnte ja so sanft und lieb sein, wenn er wollte. Und ab und zu – wenn sie nicht grade Marga Konkurrenz machte und ihn zusammenkeifte, oder nicht gerade meinte, hart sein zu müssen, um nicht als zu weich zu gelten – hatte Elfleda diese stille Vertraulichkeit sehr gern. Dann gehörte er ihr und ihr allein, so wie sie ihm dann gehörte. Sie musste ihn nicht teilen. Und das genoss sie noch viel mehr.
    “Ich konnte nicht mehr schlafen. Das Kind fängt an, sich zu bewegen, und ich konnte nicht ruhig liegen bleiben.“ Sie wendete leicht ihren Kopf und gab ihm einen kleinen Kuss auf die Wange. Sein Bart kitzelte.
    Ganz kurz war Elfleda durch den Kopf geschossen, ihrem Mann von dem Kamm zu erzählen, aber sie hatte es gleich wieder verworfen. Das war etwas zwischen ihr und Callista. Noch dazu etwas sehr emotionales. Und auch, wenn Lando inzwischen wissen durfte, dass sie oftmals sich härter gab, als sie eigentlich war, wollte sie nicht einen schwächlichen Eindruck auf ihn machen. Sie war per se kein harmoniebedürftiges Wesen, war nicht übermäßig romantisch oder emotional. Zumindest kannte sie Frauen, die da weitaus irrationaler als sie reagierten. Sie durchdachte die meisten Dinge, die sie äußerte, sehr genau. Und da war dieser Kamm etwas, was nicht unbedingt dazu passen mochte, wie sie sich sonst gab.
    “Aber was machst du so früh schon auf? Noch immer der Husten?“ Elfleda hatte ihren Mann schon mit allerlei schleimlösenden Pflanzentinkturen gequält, damit er den restlichen Rauch abhustete, ebenso wie die anderen Männer. Drei hatten zuviel Rauch eingeatmet, und kein noch so guter Heiler hätte sie wohl retten können. Aber Lando war stark. Sie würde ihn auf keinen Fall sterben lassen, und wenn sie dafür den ganzen Wald einmal umgraben musste für die richtigen Kräuter. Dennoch war sie nicht naiv genug, zu glauben, dass sich schon alles einrichten würde, wenn sie es sich nur fest genug wünschte. Sie machte sich Sorgen.


    Ihr blick ruhte wieder auf Callista, die so tot und bleich dalag. Elfleda wedelte einmal leicht mit ihrer Hand, als sie eine Fliege auf ihrem Augenlid bemerkte, und verscheuchte das Ding. Es wurde wirklich Zeit, die gute zu Hel zu bringen – oder wie auch immer die Römer ihr Totenreich gleich nannten. Für ihren Geschmack war es einfach zu lange.
    “Haben die Prudentier wohl noch mehr Töchter? Witjon sollte vielleicht bald wieder heiraten, was meinst du?“ Auch für Elfleda waren Hochzeiten vor allen Dingen politische Fragen, und zwar war Audaod bislang stark und gesund, aber ehe er nicht sein zweites Lebensjahr vollendet hatte, war er wohl keine gesicherte Verbindung zu jener römischen Sippe. Da wäre nach der Trauerzeit eine neue Hochzeit vielleicht anzustreben, wenngleich Elfleda sehr wohl um den Schmerz von Landos Vetter wusste. Aber so war es nunmal. Ihr Vater hatte auch eine neue Frau genommen, nachdem ihre Mutter gestorben und die Trauerzeit vorbei war. So war der Lauf der Welt – und der Lauf der Politik.

  • "Tut es das?", fragte Lando, und legte beide Hände auf ihren Bauch als ob er prüfen müsste, was sie sagte. Einen Moment der Stille, in dem er den Atem anhielt, einen Moment, in dem er sich nur auf seine beiden Greifer konzentrierte und darauf wartete, dass sich die Bauchdecke seiner Frau von innen heraus gegen sie verformte. Als Naha sich in Elfleda gebildet hatte, hatte er diese Momente genossen, in der er einfach Mann, Elfleda einfach Frau und beide zusammen werdende Eltern waren. Doch bei dem neuen Nachwuchs war das anders... die Ereignisse der letzten Wochen hatten kaum Zeit für solch kostbare Momente gelassen.


    "Ja. Noch immer der Husten.", wiederholte Lando mit monotoner Stimme. Er wusste, es würde sich nichts daran ändern.. zumindest nicht allzu schnell. Und das Gefühl, nichts tun zu können nagte an ihm fast schlimmer als die eigentliche Ursache. Er hasste es, nichts tun zu können, abgrundtief. Er hatte das Gefühl zu hassen gelernt, als seine Schwester von ihm getrennt wurde, und er nichts tun konnte um sie zu retten.


    Lando, Elfledas Bauch streichelnd, genoss ihre kleinen Zärtlichkeiten, aber als sie auf die Prudentii zu sprechen kam verzog er eine Miene. Ach, da war ja was. Er hätte es begrüßt, die Tote vor seiner Nase noch ein wenig weiter ausblenden zu können, so aber wurde er direkt wieder mit ihrer Präsenz konfrontiert.
    "Nein.", antwortete er, nachdem er die Familienverhältnisse der Prudentii durchgegangen war, "Haben sie nicht. Und ich glaube auch nicht, dass Balbus noch einmal eine Tochter seiner Sippe in den Norden verheiraten wird. In den letzten drei Jahren haben drei von ihnen hier den Tod gefunden. Das würde auch mich misstrauisch machen... ich muss mir für Witjon was anderes überlegen. Vielleicht doch eine Heirat mit einer der Sippen im Norden.. ich weiß es nicht. Die Mädels von hier scheinen auf jeden Fall mehr auszuhalten als die aus dem Süden." Bei den letzten Worten kniff er ihr kurz in den Hintern, Neckereien wie sie eigentlich seine Art waren, und doch selten geworden waren.

  • Warum konnte es nicht immer so vertraut sein wie in diesen, kurzen Momenten. Landos Hände lagen auf ihrem leicht gewölbten Bauch, und es dauerte auch nicht lange, bis von innen sanft der Gegendruck vom Kind kam. Und dieses war besonders reaktiv, mehr noch als Naha es gewesen war. Wo ihre Tochter meist nur mit einem Bein oder Arm zurückgedrückt hatte, nahm ihr Ungeborenes gerne mal auch alle Viere, um lustige Wackler ihrer Bauchdecke hervorzurufen. “Merkst du es?“, meinte sie fast flüsternd.
    Es lag weniger ruhig, und Elfleda hatte weniger Phasen, in denen sie einfach durchschlafen konnte. Aber das störte sie nicht. Im Moment war sie in jenem wundervollen Abschnitt ihrer Schwangerschaft, wo gerade alles wunderbar war. Die morgendliche Übelkeit war seit ein paar Wochen vorbei, und noch war das Kind nicht so groß, als dass es ihr ständig auf die Blase drückte. Ihre Haut war reiner und strahlender denn je, das einzig negative war, dass sie schnell müde wurde. Aber das war ein geringer Preis.


    Dass sein Husten ihn noch immer so plagte, ließ aber einige bedrückende Sorgenfalten auf Elfledas stirn entstehen. So langsam machte sie sich wirklich große Sorgen, weil es scheinbar nicht besser wurde. “Dann mach ich dir nachher nochmal einen Tee mit Bertram, der hat letztens doch geholfen.“ Zumindest war dann ein ganzer Batzen Schleim herausgehustet worden, was schonmal gut war.


    So in trauter Zweisamkeit und Lando in ihrem Rücken sah Elfleda das Verziehen seiner Mundwinkel nicht, aber sie hörte in seiner Stimme, dass es ernster war. Und auch die Worte waren nicht so einfach. Sie wollte gerade etwas sagen, als er sie einfach kniff und sie kurz ungewollt quietschte und ihn dann gespielt schlug. “Frechdachs!“ tadelte sie ihn, grinste dabei aber. Diese Momente der Leichtigkeit könnten öfter vorherrschen, auch wenn die Welt nicht so einfach war. “Ja, wir Frauen von hier, besonders die Mattiakerinnen, können gut einstecken, und auch gut austeilen.“ Kurzerhand zog Elfleda ihm kurz an seinem Bart, der sich bei den Streicheleinheiten geradezu anbot, und streckte ihm leicht die Zunge heraus.
    “Hast du schon eine Sippe im Blick? Ansonsten könnte ich meinem Onkel auch einen Boten schicken...?“ Sie musste so oder so einen Boten schicken, wenn ihr Kind auf der Welt war. Ihr Vater sollte wissen, dass er Großvater war, und außerdem wollte sie doch Neuigkeiten aus ihrer Heimat hören. Hier in der Stadt erreichte einen längst nicht alles von dem, was jenseits des Rhenus so los war.

  • Lando drückte leicht zu, ganz sachte, als er die Reaktion in Elfledas Bauch bemerkte. Er hatte keine Ahnung, warum es so war, aber es ließ ihm einen kalten Schauer über den Rücken laufen. Ein wohliger, keiner des Schreckens.
    "Ja..", flüsterte er zurück, so wie ein Mann nur zustimmen konnte. Er küsste Elfledas Hals, als er seine Hände über ihren Bauch wandern ließ. Es war schon paradox, sie standen hier vor der toten Callista und freuten sich über das neue Leben, das in der Mattiakerin heranwuchs.


    Den Tee mit Bertram entlockte Lando nur eine mürrische Miene, jedoch hatte er es lange zuvor aufgegeben, mit Elfleda über sowas zu diskutieren. Er fügte sich da einfach in sein Schicksal und überließ ihr die vollkommene Autorität über eine ganze Bandbreite von Entscheidungen die im Hause Wolfriks getroffen wurden.
    Die Sache mit der Wiederverheiratung ließ ihn nicht los, und genau aus dem Grund wischte er sie mit einer Handbewegung beiseite: "Darüber mach ich mir später Gedanken.. das hat noch Zeit. Wann hat Witjon die Bestattung angesetzt? Ich müsste noch in der Curia vorbei, wegen den Marktständen in der Basilika. Und dann natürlich die Händler, die nicht wollen und noch überzeugt werden wollen."
    Lando hatte sich in der Tat einen Schlachtplan ausgedacht, um die darniederliegende FMQ wieder auf die Beine zu bringen, und den benutzte er gerade als willkommene Ablenkung vom ungeliebten Thema der politischen Bindungen. Natürlich würde er einen Teufel tun und es seiner Frau auf die Nase binden, aber er wollte garkeine weitere Bindung zu den Mattiakern. Eine Bindung nach Rom war immernoch wichtiger, besonders, da sie schon eine funktionierende Bindung in den Osten hatten.

  • Seine Zärtlichkeiten taten gut. Elfleda schloss einen Moment die Augen und genoss das kitzelnde Gefühl von seinen Barthaaren auf ihrer Haut. Sie fragte sich allen Ernstes, warum die römischen Frauen verlangten, ihre Männer müssen sich rasieren. Das piekte und kratzte doch nur andauernd, wenn es nachwuchs.
    Sie beiden standen also einige Momente einfach nur da, genossen die Zweisamkeit und das Gefühl des Lebens, das sie beide bald in die Welt setzen würden. Schon verblüffend, wie nah Leben und Tod doch immer beieinander lagen. Und Callista war der groteske Beweis dafür, war sie doch gestorben, als sie Leben zur Welt gebracht hatte.


    Zu ihren Plänen mit der Medizin sagte Lando nichts. Nicht, dass er da eine Chance gehabt hätte, zu widersprechen, aber dennoch nahm Elfleda es als Hinweis, dass sie da nicht weiter nachbohren musste. Sie wollte ja nur, dass er wieder gesund wurde und sich erholte. Immerhin hatte sie vor, mit ihm noch sehr alt zu werden.
    Und auch zu Rodewini sagte er nichts, sondern überging das ganze einfach mit einer anderen Frage. Aber noch war es ja nicht akut. Wenn ihr Kind in ein paar Monaten auf der Welt war und Witjon getrauert hatte, dann konnte sie ihrem Mann damit auf die Nerven gehen. Jetzt war es nur eine Gedankenspielerei und mehr nicht. Kein Grund, die traute Verbundenheit zu stören.
    “Bei Sonnenuntergang bringen wir sie wohl zum Gräberfeld der Römer. Und wenn es nacht wird, wird sie verbrannt.“ Elfleda gefielen die Römischen Bräuche immernoch nicht so recht. Sie waren zwar ähnlich den germanischen, aber nunmal nicht gleich. Sieben Tage eine Leiche unbestattet liegen zu lassen wäre ihr nie eingefallen.
    “Du hast also Zeit für deine Händler. Den ganzen Tag werden die schon nicht streiten wollen, oder?“ Sie schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. So langsam wurde es wirklich Morgen, und bald würde die Hektik losgehen. Aber noch war es so herrlich friedlich hier, dass Elfleda gar nicht daran denken wollte.

  • "Nein, hoffentlich nicht.", konstatierte Lando mit Gedanken an die Händler, die es zu überzeugen galt. Und schon kündigten sich die dunklen Wolken des Tagesgeschäfts an. Sich dem zu entziehen war Landos tiefster Wunsch, schon seit Tagen, und so drückte er die Gedanken noch einmal entschieden zur Seite, und starrte seiner Frau hinterher, als diese sich von ihm löste und das Atrium in Richtung Küche verließ. Hunger, natürlich. Sie hatte immerhin zwei Hunger zu stillen, doch Lando kam nicht umhin, ihr die paar Schritte auf leichtem Fuße zu folgen, und sie zurück in seine Arme zu beordern. Seine Hände ruhten wieder auf ihrem Bauch, und er drückte sie eng an sich, als wollte er sie zwischen sich und die anstrengenden Tage schieben, die hinter und vor ihm lagen, doch mit dem Gefühl ihrer Wärme kamen wieder eindeutig männliche Gedanken in seinen Geist. Angenehmere Gedanken, wohlgemerkt.


    "Sag...", flüsterte er ihr ins Ohr, während seine Hände von ihrem Bauch zielstrebig höher wanderten, und schließlich verlangend zugriffen, "Wie wäre es, wenn wir den Tag ein wenig später beginnen, und noch ein wenig nach oben zu gehen... um für das nächste zu proben?"

  • So schön der Moment der Zweisamkeit auch war, der Morgen kam. Und mit ihm auch das Tagewerk, das erledigt werden musste. Und das erste davon hieß Frühstück – worauf Elfleda schon regelrecht Heißhunger hatte. Sie versuchte zwar, nicht so viel und vor allem nicht so durcheinander zu essen. Sie hatte das Gefühl, dieses Mal viel mehr aus allen Nähten zu platzen als bei ihrer ersten Geburt. Aber es gab eben Momente, da hatte sie einfach das dringende Bedürfnis nach in Essig eingelegten Rüben und Honigbrot. Wie jetzt zum Beispiel, weshalb sie sich mit einem kleinen Kuss in Richtung Küche verabschiedete.


    Womit sie allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass Lando ihr nachkam und nochmal zurück in seine Arme zog. Seine Hände lagen wieder auf ihrem Bauch, seine Nase war irgendwo in ihrem Haar, und er flüsterte ihr unmissverständlich seine Vorstellung eines perfekten Tagesanfangs ins Ohr. Ganz leicht entspannte sich Elfleda und lehnte sich in seinen Armen zurück. Eigentlich hatte sie Hunger. Eigentlich hatte er Husten. Eigentlich war ihr Bauch schon so groß, dass sie nicht mehr sollten. Eigentlich war heute Callistas Beerdigung. Wie gesagt, eigentlich.
    Ihre Hände legten sich auf seine, und als müsse sie darüber nachdenken, tippelte sie mit ihren Fingern auf seinen Handrücken herum. “Du weißt ja, wenn das Kind sich bewegt, soll die Liebe ruhen...“, meinte sie mit diesem bestimmten Unterton in der Stimme, der schon anzeigte, dass gleich noch ein 'Aber' folgen würde. Sie neigte leicht den Kopf, so dass sie ihn ansehen konnte. “Aber ich könnte ja heute eine Ausnahme machen, wenn du so lieb nachfragst...“
    Nach dem ganzen Stress in den letzten Tagen und den vielen trüben Gedanken war ein wenig Zweisamkeit sicher nicht die schlechteste Art, in einen Tag zu starten. Und gerade war Elfleda nicht danach, ihn anzukeifen und zurückzuweisen. Das konnte sie beim nächsten Mal noch machen, wenn sie selber gerade nicht in so einer liebesbedürftigen Stimmung war.

  • Lando erstarrte, als sie ihm mit der typischen Ausrede "Wenn ein Kind im Bauch ist, gehört da nix anderes rein." ankam. Es war doch immer das gleiche... waren sie nicht schwanger, hatten sie Kopfschmerzen. Oder Migräne. Was auch immer das war. Oder ihre Tage. Oder alles auf einmal.
    Und wenn sie schwanger waren, änderten sie diesen Status je nach Stimmung. Mal waren sie weniger schwanger, dann wieder mehr, und manchmal so schwanger, dass man sie kaum anrühren durfte, weil sie Angst hatten zu platzen.


    Und dann reichte sie ihm einen Strohhalm. Den er ohne zu zögern ergriff. Kaum hatte sie das Wort "Ausnahme" ausgesprochen, packte er sie mit einem lauten "MUHARRRR!!!!", hob sie in seine Arme und trottete durch das Atrium zur Treppe, um sie nach oben zu tragen, wo der Tag einen vergnüglicheren Anfang nehmen würde.

  • [Blockierte Grafik: http://i50.tinypic.com/21kxsma.jpg]
    [SIZE=7]keine Realitätsgetreue Wiedergabe des fiktiven Toten[/SIZE]


    Auch wenn der Schock allen tief in den Gliedern saß, Landos Leichnam wurde den Traditionen der Väter entsprechend aufgebahrt. Man hatte den Toten nach Hause gebracht, ihn gewaschen und die feinste Kleidung gesteckt, die man in seinen Habseligkeiten finden konnte (was nicht wirklich viel war, hatte Lando doch seit je eine gewisse bäurische Abneigung gegen zuviel Prunk gepflegt). Man hatte ein Gestell aus massivem Holz im Atrium aufgestellt, darauf eine Lage Eibenzweige gelegt. Eine schmale, doppelt gefaltete Bahn aus grünen Leinen trennte die Zweige vom herrschaftlich hergerichteten Leichnam. Lando selbst trug in diesem Moment einen dunkelroten Mantel, mit einer silbernen Brosche zusammen gehalten, darunter ein ebenso feines Hemd aus schneeweißer sowie eine Hose aus grüner Wolle. Ein aus dem Leder eines Kalbs gefertigter Gürtel hielt eine kleine Tasche mit kleinen Holzfiguren mit Darstellungen aus dem Götterreich, sowie eine Brosche mit dem Bildnis des duccischen Wolfs. Sein Kopf war auf mehrere Falten des Leinen gebettet, seine Haare im Sinnbild des Kriegers zu seinem seitlichen Zopf gebunden. Seine Arme lagen neben ihm, im Rechten das Sax mit dem er den letzten Kampf seines Lebens geschlagen hatte, in der rechten sein Trinkhorn.
    Lando war dem Tode entsprechend bleich, kein Mittel wurde verwendet um seinem Körper die Anzeichen des Todes zu nehmen. Mit strengem, aber doch friedlichen Blick schaute er durch die geschlossenen Lieder in den Himmel über dem Atrium.


    Nachdem Lando für die Überfahrt nach Valhall vorbereitet worden war, fiel die Casa in tiefe Stille. In den Räumen des Hauses, in denen man normalerweise immer irgendwen wirken hören konnte, war es einfach nur gespenstisch still. Nicht einmal zum Essen hatte man sich getroffen, weil allen der Apetit vergangen war. Doch am Tage nach den Geschehnissen des vergangenen Tages war die Nachricht, dass Lando gestorben war, wenn auch in leicht abgewandelter Form (man wollte eine Kollision der germanischen Traditionen mit dem römischen Gesetz insoweit verhindern, in dem man die Todesursache leicht abwandelte) durch die ganze Civitas und noch weiter gewandert, und schon am Morgen hatten sich die ersten Trauergäste eingefunden um dem Toten ihre Aufwartung und Ehrerbietung zu machen und den verbliebenen zu kondolieren.

  • Witjon war einer der ersten, die sich am Morgen nach Landos Dahinscheiden im Atrium eingefunden hatten, denn er war nun das Sippenoberhaupt und er war es auch, der die Trauergäste willkommen hieß und deren Mitgefühlsbekundungen entgegennahm, solange Elfleda noch nicht anwesend war.
    Er hatte kein Auge zugetan in dieser Nacht und hatte sich bereits vor Sonnenaufgang gewaschen und angemessen eingekleidet. So war er nach germanischer Mode gewandet und trug wie der Aufgebahrte ein feines weißes Wollhemd. Dazu hatte er seine dunkelbraune Hose mit seinem prächtigsten Ledergürtel umgeschnallt und auf seinen Schultern hielt eine ebenfalls silberne Brosche seinen grünen Mantel. Witjon wollte nämlich demonstrieren, dass er nun Landos Nachfolger war, ohne dabei die Aufmerksamkeit von diesem abzulenken. Man sollte sehen, dass die Duccii nicht Herrenlos waren und, dass sie weiterhin eine starke Sippe in Mogontiacum darstellten. Hoffentlich brachte dieses Vorgehen wirklich den Nutzen, den Witjon sich davon versprach. Er hatte sich nämlich mit Albin zusammengesetzt und Rat gesucht, wie er weiter vorgehen sollte. Der Alte war in diesem Moment nämlich der einzige gewesen, dem er zugetraut hatte bereits weitreichende Gedanken über die Zukunft der Sippe anzustellen, anders als zum Beispiel Phelan oder Ragin, die noch nicht wirklich ansprechbar waren.
    An diesem düsteren Morgen jedenfalls trat Witjon ins Atrium und verharrte vor der Bahre, um zu beten. Oder anders ausgedrückt: Er stand geistesabwesend da und starrte den Leichnam an, während seine Gedanken wild allerlei Fragen durcharbeiteten. Wieso Lando? Wieso jetzt? Wie sollte es weitergehen? Was sollte Witjon tun? Was würde aus Eila und Elfleda werden? Was würde insgesamt aus der Sippe werden? War das der Anfang vom Ende? Waren die Duccii verflucht? War dies alles Teil eines Plans der Nornen oder übten sie reine Willkür an seiner Sippe?
    Witjon wusste es nicht. Doch eines wusste er: Wenn er die Götter und Ahnen weiterhin ehrte, konnte er auf das Wohlwollen der höchstens Weltenwesen hoffen. Sein Vetter würde in Valhall gut über die seinen reden und irgendwann würde Gerechtigkeit herrschen. Irgendwann...
    Ein ferner Hahnenschrei riss den verzweifelten Ubier aus seinen rastlosen Gedanken. Die Sonne ging auf, der Tag brach an. Schwere Zeiten kamen auf sie zu.

  • Seitdem sie aus dem Wald zurückgekehrt waren hatte Elfleda nicht mehr geweint. All ihre Traurigkeit war zu einer Ruhe geworden, die ebenso schweigsam war wie die ihres Mannes. Sie hatte auch kaum etwas gesagt, und wenn doch, war es leise gewesen und nicht so stark und nachdrücklich wie sonst.
    Sie hatten Lando gewaschen und gesäubert, bis kein Blut mehr aus der Wunde gesickert war. Danach hatten sie ihn in seine besten Kleider gesteckt und aufgebahrt. Die ganze Zeit war Elfleda bei ihm gewesen. Als der Abend hereingebrochen war, hatte sie noch immer schweigend neben ihm gestanden. Selbst, als ihre Beine schwer vom Wasser waren und der Schmerz darin sich selbst betäubte, war sie einfach nur an seiner Seite gestanden und hatte zu ihm herunter geschaut.
    Irgendwann in der Nacht war Marga zu ihr gekommen, hatte sie aus ihrer Trance hochgeschreckt und sie gezwungen, sich hinzulegen. Sie konnte dort nicht stehen bleiben, und sie konnte sich auch nicht zu ihrem Mann dazulegen. Allerdings war es sehr schwer, sich zu bewegen, nachdem sie so lange gestanden hatte, und schließlich hatte auch Lanthilda helfen müssen, damit Elfleda mit den schweren Beinen überhaupt die Treppe in ihr Zimmer hochkam. Erst dort, als sie allein war – Naha schlief bei Ida zusammen mit deren Kindern und auch Audaod – war sie noch einmal zusammengebrochen und hatte so lange geheult und geschluchzt, bis sie schließlich vor Erschöpfung dabei eingeschlafen war.


    Der nächste Morgen war gekommen. Wenngleich sie länger geschlafen hatte, als sie wollte und das Bett sich ganz schrecklich leer anfühlte. Im ersten Moment des Aufwachens hatte sie auf Landos Seite mit ihrem Arm gelangt, und ihr war erst wieder zu Bewusstsein gekommen, was geschehen war, als sie nur das kalte Laken berührte und nicht seinen warmen Körper, an den sie sich sonst gerne im Halbschlaf noch ein wenig gekuschelt hatte.
    Ihre Beine schmerzten noch immer, aber Elfleda überging es einfach, als sie sich anzog. Ihre Kleidertruhe gab vieles her für so einige Anlässe, aber nur sehr weniges für Trauer. Sie kleidete sich also dem Umstand angemessen und wusch sich die getrockneten Tränen gründlich aus dem Gesicht, ehe sie nach unten ging. Bevor sie um die letzte Ecke ging, holte sie noch einmal tief Luft und wappnete sich für den Anblick, der sich ihr gleich bieten musste. Dennoch durchfuhr sie ein Schmerz, als sie Lando da liegen sah. Sie schluckte kurz und ging dann so würdevoll es in ihrem hochschwangeren Zustand möglich war zu Witjon und ihrem toten Mann hinüber.
    “Du bist früh auf“, begrüßte sie ihn nur knapp und leise und stellte sich dann neben ihn. Zärtlich streichelte sie einmal über Landos Bart und seinen Arm. Nicht zum ersten Mal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, ob sie nicht einfach mit ihm gehen sollte. Es gab immer wieder Frauen, die das machten. Es war nichts verwerfliches daran, im Gegenteil.
    Aber Elfleda war jung. Sie war gerade einmal 20 Jahre alt. Und sie war schwanger. Und sie hatte eine kleine Tochter. Und ihr Onkel brauchte sie am Leben, ebenso wie ihr Kind. Jetzt, da die Duccier geschwächt waren, musste sie umso stärker sein und versuchen, so gut die Macht zu erhalten, wie es ging. Und sie musste Landos Erbe nach seinen Wünschen verteilen. Sie konnte sich nicht einfach zu ihm legen und die Welt um sie herum ins Chaos fallen lassen. Denn auch, wenn Witjon sich mühte, den Platz auszufüllen, und man ihm das auch ansah: Elfleda glaubte nicht, dass er das ganz alleine schultern konnte. Es war eine verdammt große Lücke, die auszufüllen war. Er brauchte sie, auch wenn er das vielleicht nicht sah und sie da wohl auch nicht um Hilfe bitten würde.


    Elfleda hörte die Tür, und wie Albin jemanden hereinbat. Sie schluckte noch einmal und riss ihren fast zärtlichen Blick von Lando los. Es würden heute sicher viele kommen, die kondolieren wollten. Wenngleich Elfleda nicht gedacht hätte, dass so bald schon jemand kommen würde.

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