Das Atrium

  • "Heilsa Sönke."


    Witjon bedachte den jungen Mann mit einem knapp bemessenen Blick, dann sah er wieder den Schneeflocken bei ihrem Treiben zu. Sönke wirkte blass im Gesicht. Vermutlich hatte er wieder einmal deutlich zu tief in den Bier- oder Metbecher geschaut. Soweit Witjon gehört hatte, führte der Marius ein durchaus alkoholhaltiges Leben.


    "Ein Jahr ist schnell vorbei," konstatierte der Duccius. Er nahm einen Schluck Glühwein, genoss das warme Brennen in seinem Hals, dann in seinem Bauch.


    "Was hält das nächste Jahr für dich bereit, Sönke?" fragte Witjon seinen römischbürgerlichen Muntling dann, während er sich einen Spaß machte und ihm seinen Becher mit stummer Geste anbot und auffordernd nickte.

  • Die vage Hoffnung, einfach zum Holzhacken geschickt zu werden verpuffte in dem Moment, in dem Witjon ziemlich kryptisch über das Jahr zu sprechen begann, was Sönke vom ersten Wort an überforderte. Er versuchte gar nicht erst sich vorzustellen wohin dieses Gespräch führen könnte, dazu reichte sein Hirnschmalz im Moment einfach nicht aus.


    "Eh...", stockte er daher, denn so trunken und verkatert war er noch nicht, als dass er nicht eine Falle riechen würde. Dummerweise roch er nicht weit genug um zu verstehen in welche Richtung diese Falle führte: "..die Frühjahrswerke auf den Feldern? Saat, Hege, Jagd, Ernte?"

  • Sönke gab mal wieder ein Bild der schönsten Ahnungslosigkeit ab.


    "Ach?" Witjon zog gespielt verwundert die Augenbrauen krumm und schlürfte dann noch etwas Glühwein, um Sönke weiter auf die Folter zu spannen.


    "Ich dachte, du hättest andere Pläne?" fragte Witjon schließlich, den forschenden Blick nun wieder auf seinen Gesprächspartner gerichtet. "Oder wolltest du ewig auf dem Hof deines Vaters bleiben?" Hoffentlich zündete jetzt endlich der Funke!

  • "Pläne?", fragte Sönke unwillkürlich, obwohl selbst ein Mensch nicht gerade prächtiger kognitiver Begabung wie er sich denken konnte worauf sein Muntherr hinauswollte, "Was für Pläne, Witjon?"


    Er wollte dieses Gespräch nicht führen, das war ihm klar. Andererseits, was wollte er dann? Witjon zwang ihn geradezu sich Gedanken über seine Zukunft zu machen, einfach weil er es ihm mit der Organisation des Bürgerrechts quasi befohlen hatte, aus dem üblichen Lebenslauf in der Muntherrschaft auszubrechen und sich anderem zuzuwenden. Für andere Menschen, aus älteren Bürgersippen und -stämmen war das vielleicht anders. Er hatte keine besseren Lebensoptionen gehalten, nur andere... dabei hatte er sich so sehr darüber gefreut. Er würde sich wohl oder übel daran erinnern müssen, warum.

  • Jetzt wurde es dem Oberduccius aber doch etwas zu bunt. War der Kerl ernsthaft so begriffstutzig? Oder hatte er sich innerhalb eines Jahres noch das letzte bisschen Verstand kaputtgesoffen? Witjon bedachte Sönke mit einem genervten Blick und kam jetzt lieber direkt auf den Grund zu sprechen, weshalb Sönke herbeordert worden war.


    "Ja sag mal, wofür habe ich dich denn zum Civis gemacht?!" fragte er in der Hoffnung, dass Sönke irgendwo in seinem Hirn den Ansatz einer Ahnung hinsichtlich einer passenden Antwort hierauf hatte.
    "Hattest du nicht davon gesprochen, Soldat werden zu wollen?" half er daher lieber etwas genauer auf die Sprünge.

  • "Eh, ja... also...", schrumpfte Sönke sichtbar in sich zusammen, "Ich kann das erklären. Ich wollte zur Legion, doch dann... dann... dann hat Vater sich einen Knöchel verstaucht, und deshalb musste ich ihm helfen.. ich kann meinen alten Herrn ja nicht einfach so im Stich lassen..."


    Das war freilich gelogen wie gedruckt, sein Vater hatte sich seiner eigenen Art nach von dem verstauchten Knöchel nicht beunruhigen lassen, und bedächtig weiter gemacht wie bisher. Sönke hatte derweil im weingetränkten Delirium gelegen und nicht einen Finger auf der Rus gerührt. Nicht. Einen. Finger.

  • "Ahja." Witjon war es egal. Er wollte gar keine unsinnige Ausrede oder Entschuldigung oder gar die Wahrheit hören. Er wusste nur, dass es ihn nervte, dass Sönke nicht in die Puschen kam. Und, dass er Witjon vorher so sehr damit auf den Geist gegangen war...soweit er sich erinnern konnte.
    "Und du bist nicht auf die Idee gekommen, mich um Hilfe zu bitten? Ich könnte deinem Vater jeden meiner Muntlinge zur Unterstützung auf die Rus schicken, aber du verschiebst deinen Traum vom Soldatenleben lieber auf über-über-übernächstes Jahr, nur um auf dem Feld zu schuften?" Witon schüttelte den Kopf. "Sönke, ich bin ernsthaft enttäuscht. Ich dachte mit dir hätte ich einen fähigen Muntling in eine Position gebracht, die er zu seinem eigenen Vorteil zu nutzen weiß. Aber bisher hast du noch nicht bewiesen, dass du das kannst." Und mit einem skeptischen Blick fügte er lieber eine direkte Erklärung seiner vorangegangen Worte hinzu, damit der arme Kerl nicht wieder auf dem Schlauch stand. "Bist du in der Lage, dein Soldatenleben endlich zu beginnen?"

  • Das hatte schon einmal nicht funktioniert.. aber es war Sönke auch ein wenig zuviel, dass Witjon tatsächlich mit ihm diskutieren wollte. Diskutieren taten jene, die die Freiheit einer ebenso freien Meinung hatten, also ein Bruchteil der zur Zeit lebenden Menschen. Die Vorwürfe und impliziten Fragen, die Witjon seinem Muntling jetzt also stellte, hagelten auf ihn ein wie Schleudergeschosse.. und er war nackt.


    "Natürlich, Witjon. Sicher, Witjon. Wie du sagst, Witjon.", haspelte Sönke, der noch weiter in sich zusammen zu sacken schien. Was sollte er auch sonst sagen? Er KONNTE seinem Muntherrn nicht sagen, dass er sich zu den Eisriesen scheren sollte. Noch irgendwas anderes in der Richtung.. ihm blieb ja nichts anderes übrig. Diskutieren musste man ebenso lernen wie Befehlen zu gehorchen. Ersteres war anscheinend Witjons Brot... zweiteres das von Sönke und seiner Sippe.


    "Das bin ich, Witjon.", antwortete er daher mit einer Überzeugung, die sich daraus gerierte, dass Sönke gar nicht anders tun konnte als überzeugt. Hier spielte es überhaupt keine Rolle was er wollte... dass er sich seit Monaten davor verdrückt hatte lag mehr in dem 'einfach tun' als in dem 'wollen'. Mit Nachdenken hatte das wenig zu tun. Genauso wenig wie mit dem, was hier von ihm erwartet wurde.

  • "Gut," kommentierte der Diskutierer die überzeugte Antwort seines Befehlsempfängers und gab sich dabei recht zufrieden. Er beobachtete jetzt wieder die Schneeflocken, die etwas weniger dicht fielen. Witjon hatte Sönke genau da, wo er ihn haben wollte. Beziehungsweise...es war egal, denn im Grunde genommen hatte Witjon Sönke sowieso immer an den Eiern und deshalb konnte er ihn auch in ganz anderem Ton zur Legion kommandieren, als er es gerade tat. Die Vorstellung seinen Muntling mit einem kräftigen Tritt in den Hintern vor das Castellum zu scheuchen ließ Witjon kurz schmunzeln, bevor er sich erinnerte, dass der Unglückliche ja noch direkt neben ihm stand.
    "Äh...du bist ja immer noch hier?!" Er warf Sönke einen verwunderten Blick zu, als hätte der hier gar nichts zu suchen. "Na los!" forderte er den jungen Trottel auf wie man eine Herde Schafe vor sich her trieb. "Pack ein paar Sachen und dann meldest du dich umgehend bei der Porta Praetoria Castelli." Er machte eine scheuchende Bewegung mit der Hand und rief Sönke dann noch hinterher: "Und schöne Grüße an den Vater! Hoffe der Knöchel heilt gut!" Er würde in den nächsten Tagen wohl einen Knecht schicken, der Sönke ersetzen musste. Die Arbeit wurde ja nicht weniger.

  • Sönke fiel nicht viel mehr ein, als belämmert stehen zu bleiben. Sollte er jetzt einfach gehen? Sicher nicht. Andererseits hatte Witjon auch nicht klar gemacht, was er jetzt eigentlich von ihm erwartete.. sein Gesicht brannte, obwohl er keine wirkliche Ohrfeige erhalten hatte. Es war wohl die Scham, noch nach dem seltsamen Gespräch mit seinem Vater auf diese Art und Weise von Witjon davon geschickt zu werden. Eine Möglichkeit, sich selbst vor sich selbst zu verstecken hatte er nun nicht mehr.


    "Wie du wünschst, Witjon.", brummte Sönke noch, als er nun tatsächlich von seinem Muntherrn davongeschickt wurde, "Werde ich ausrichten... danke."
    Zum Jubeln war ihm sicherlich nicht zumute, allerdings machte sich mit jedem Schritt, den Sönke aus dem verschneiten Atrium tat, eine Art der Erleichterung in ihm breit... Erleichterung darüber, dass ihm jemand die Entscheidung abgenommen hatte, und ihn förmlich dazu zwang sich seinen Dämonen zu stellen.

  • "ALBIN!!" , schallte es durch die Casa, als Vala diesselbe vom Garten her betrat und nach der treuesten Seele verlangte, die die Casa zu bieten hatte. Das erstaunte Gesicht des Stallburschen Thorgall war schon zig Sesterzen wert gewesen, hatte er sich doch alles andere als vorher angemeldet... niemand wusste, dass er kommen würde, und nun war er hier.


    "ALBIN!! KOMM RAUS, ALTER MANN!" , rief er erneut in die Casa hinein, "MIR VERLANGT ES NACH BEKANNTEN GESICHTERN!"

  • Von irgendwoher vernahm man alsbald ein heimliches Schlurfen und ein verärgertes Gebrumme. [size=6]"Bei[/size] Donars donnernder Faust, was zum... ALRIK?!" Albin erstarrte und rieb sich ungläubig die Augen, bevor er noch einmal genau hinsah. "Ja, gibt's denn das? Was machst du denn hier?" Ausnahmsweise war der unerschütterliche alte Mann so überrascht, dass er sämtliche Formen der Höflichkeit vergaß. "Solltest du nicht..." Wo auch immer. "...irgendwo weit südlich von hier sein?"

  • Als sich der alte Mann auf seine übliche Art und Weise fluchend zeigte, strahlte Vala ihn breit an, war die unerschütterliche Griesgrämigkeit des heimlichen Hausherrn doch eine absolute Grundkonstante des Familienlebens.. die sich anscheinend auch nicht in den Jahren seiner Abwesenheit geändert hatte. Ein wenig irritierte es ihn aber dann doch, bei seinem alten Namen genannt zu werden... wie lange hatte man ihn schon nicht mehr Alrik genannt? Gut... Witjon adressierte seine Briefe stets mit Valas altem Namen, doch las Sirius die Briefe zumeist vor und kam stets zum wesentlichen ohne den ganzen Standardkram mitzuschwätzen.. und hier war er wieder einfach Alrik. Nicht Vala... früher war das kein Unterschied gewesen, aber Alrik war in Mogontiacum geblieben, während Vala sich auf in den Süden gemacht hatte.
    Dass sie Latein sprachen fiel ihm gar nicht mehr auf..


    "Genau der, Albin." , versuchte Vala sich doch wieder in breiter Freude, "..sagen wir, ich hatte Sehnsucht nach meiner Familie, und einer Gegend in der sich im Sommer nicht die eigene Haut schält. Wie ich sehe, hast du dich kaum verändert, Albin... wie stehen die Dinge um den Rest?"

  • Albin schmunzelte süffisant. Irgendwann bekamen sie doch alle Sehnsucht nach der Familie. Heimweh. Wie konnte es auch anders sein? Der alte Mann selbst konnte sich nie im Leben vorstellen, sein Zuhause - die Casa Duccia war das wohl gemerkt erst spät in seinem Leben geworden, aber dennoch - und damit die Sippe der Söhne Wolfriks zu verlassen. Außer natürlich, Witjon entschied sich für einen Umzug, aus welchem schwachsinnigen Grund auch immer.


    "Tja, es ist Ostermond. Kann also gut sein, dass du nochmal Schnee zu sehen bekommst, wenn der Winter meint er müsse seine Klauen noch ein letztes Mal ausstrecken." Draußen war es zwar schon wesentlich wärmer geworden, aber im Ostermond oder Aprilis, wie die Römer ihn nannten, gab es bekanntlich die verrücktesten Wetterschwankungen.


    "Du hast dich allerdings verändert", gab Albin dem jungen Mann dann zurück, denn Alrik schien durchaus in seiner Zeit unter Römern einige zumindest äußerliche Wandlungen durchlaufen. "Den anderen geht es soweit gut, würde ich behaupten. Die jungen Herren und Damen leben ihre Leben. Hadamar ist mittlerweile in der Legion. Eila ist wieder da, in einem Stück. Verwunderlich, wenn du mich fragst. Und...Witjon hat sein Amt in der Curia niedergelegt." Albin zuckte mit den Achseln. Er hatte davon nicht so viel Ahnung, wollte auch gar nichts Genaueres wissen.

  • "Achwas?", entwich es Vala bevor er drüber nachdenken konnte... war es tatsächlich schon Ostera? Er hatte vollkommen das Gefühl für die Zeit verloren, wann hatten sie sich von Rom losgesagt? Wie lange war er auf dem Meer gewesen? Alles nurnoch undeutlicher Nebel in seinem Geist, der verdächtig nach Seetang und Kotze roch.
    "Haben die Stämme schon Ostera gefeiert?" , fragte er noch einmal genauer nach, auch wenn ihm der Gedanke seltsam anmutete nach Jahren im Süden auf einmal wieder alte Traditionen der Völker des Nordens wahrzunehmen.


    "Najo..." , murrte Vala und strich sich durch den Bart, den er sich auf der Reise hatte stehen lassen weil keine Zeit für Körperpflege gewesen war, "..ein wenig mehr Haar und Farbe im Gesicht, joa.. aber sonst?2
    Während der alte Mann von der Familie erzählte ließ Vala den Blick durch das Atrium und den hölzernen Gang gleiten, aber es zeigte sich niemand, wahrscheinlich alle ausgeflogen.
    "Moment, wie war das?" , hakte Vala nach, "Witjon hat sein Amt niedergelegt? Hatte das nen bestimmten Grund? Ich dachte der Mann führt die Civitas bis er tot umfällt...."

  • "Aber sicher haben sie das", gab Albin knapp zurück, ein wenig verwundert über Alriks kalendare Orientierungslosigkeit.


    "Sonst?" Albin zog die Augenbrauen zusammen und bedachte sein Gegenüber mit einem kritischen Blick. "Ein bisschen schmaler geworden vielleicht", stellte er dann fest, wobei aus seiner Mimik nicht klar hervorging, ob das ein Scherz sein sollte, oder aber todernst gemeint war.


    "Du hast richtig gehört. Am besten du fragst ihn selbst nach seinen Gründen. Du findest ihn im Arbeitszimmer, Hadamar ist auch gerade zu Besuch. Wenn du einen alten Mann jetzt entschuldigen würdest, ich habe noch Arbeit zu tun..." Wobei er natürlich wusste, dass Alrik für die arbeitende Bevölkerung nicht viel Verständnis haben würde. In Gedanken dann schon wieder bei seinem Besen und der nächsten Staubfluse trollte Albin sich gemächlich von dannen.

Jetzt mitmachen!

Du hast noch kein Benutzerkonto auf unserer Seite? Registriere dich kostenlos und nimm an unserer Community teil!