Die Rechtsprechung in Rom
Die Rechtsprechung wird in zwei Bereiche unterteilt. Auf der einen Seite der zivilrechtliche Bereich, in dem Konflikte zwischen zwei privaten Streitparteien geregelt werden, auf der anderen Seite der strafrechtliche Bereich, in dem Konflikte zwischen einer privaten Streitpartei und der Öffentlichkeit behandelt werden.
Der Zivilprozess
Um im antiken Rom einen Prozess in Gang zu setzen, musste man zusammen mit dem Prozessgegner eine Klagformel (legis actio) verfassen und mündlich vor einem Prätor vorbringen. Damit beantragte man ein Verfahren.
In diesem Verfahren (in iure) entschied der Prätor, ob in der Sache ein Prozess von Nöten war. War dies der Fall wurde aus einer Richterliste ein Geschworener (iudex) gewählt. Meistens war dieser Geschworene Senator oder Ritter.
Der Gewählte entschied dann unter Anwendung des geltenden Rechts, ob der Beklagte schuldig oder unschuldig war (apud iudicem). Bei unzureichender oder uneindeutiger Beweislage wurde der Beklagte freigesprochen.
War ein Prozessteilnehmer mit dem Urteil unzufrieden, konnte er kein Berufungsverfahren einleiten.
Der Strafprozess
Das Altertum kannte weder Staatsanwalt noch Untersuchungsrichter. Deshalb musste ein Zeuge des Verbrechens gefunden werden, der dann als privater Ankläger im Auftrag der Allgemeinheit die Anklage beim Prätor anmeldete (delatio nominis).
Wie beim Zivilprozess untersuchte ein Prätor die Zulässigkeit der Anklage. Außerdem bestimmte er „durch eine göttliche Eingebung geleitet“ (divinatio) aus der Gruppe der Zeugen den Ankläger.
Nach Annahme der Anklage wurde der Beschuldigte als „Angeklagter“ (reus) zum Verhör geladen (in ius vocare).
Entweder der Prätor stellte während des Verhörs die Schuld bzw. die Unschuld des Angeklagten fest oder er setzte einen Termin vor einem öffentlichen Gericht (iudicium publicum), das mit Geschworenen besetzt war, fest.
Das Verfahren
An dem vom Prätor bestimmten Termin trafen sich Ankläger, Angeklagter, Prätor, ein Geschworenenrat (quaestio) und eine Menge interessierter Zuschauer (corona). Der Prätor nahm auf einem erhöhten Stuhl (sella curulis), auf einer erhöhten Bühne (tribunal) Platz. Er hatte von dort den Vorsitz über das Richterkollegium.
Der Ankläger eröffnete das Verfahren durch sein Plädoyer (accusatio). Der Angeklagte hatte die Möglichkeit zur direkten Antwort (defensio). Der Angriffs- und der Verteidigungsrede folgten die Beweisaufnahme, die Zeugenvernehmung und das Verlesen relevanter Urkunden.
Gleich im Anschluss wurde in einer Abstimmung unter den vereidigten Richtern die Schuldfrage geklärt.
Das Abstimmungsverfahren
Jeder Richter erhielt eine Holztafel, die beidseitig mit Wachs beschichtet war. Auf einer Seite war der Buchstabe „A(bsolvo)“ (dt.: Ich entlasse) eingetieft, auf der anderen Seite der Buchstabe „C(ondemno)“ (dt.: Ich verurteile) . Der Richter löschte nun einen oder - bei Enthaltung - beide Buchstaben auf seiner Tafel. Nach Auszählung der Stimmen verkündete der Prätor das Urteil.
Das Recht der Prozessteilnehmer
Jeder römische Bürger konnte mit Hinweis auf sein Bürgerrecht (civitas) Verhöre in Verbindung mit Folter abwenden. Das galt für jeden Bürger (civis), später auch in den Außenbezirken des Reiches. Berühmtestes Beispiel mag der Apostel Paulus sein, der, wie in Apostelgeschichte 25,9 ff. geschildert, sein Bürgerrecht wahrnimmt. In der Kaiserzeit war der Kaiser der Verteidiger des Rechts, der „Wahrer des Rechts des römischen Volkes“ (protector iuris populi Romani), wie ihn die Römer nannten.
Nachwirkungen
Unsere moderne Zivilisation hat weite Teile des römischen Rechts übernommen und verbreitet es über die gesamte Erde. So finden in den USA immer noch Geschworenenprozesse statt. Auch das „Tribunal“ ist noch ein Begriff in der Judikative. Ebenso entstammt das Wort „Judikative“ selbst der lateinischen Sprache.
Auch das Rechtsverständnis der alten Römer ist uns nicht fremd. So sind Recht und Gerechtigkeit für uns immer noch die Ausgewogenheit zweier Seiten, die in Form der bekannten „Iustitia“ verbildlicht wurde.