[Casa Scribonia ] Posteingang und Sklavenunterkunft

  • Bevor nun die tragische Geschichte um die traurige Sklavin Selnya fortgesetzt werden wird, soll dem geneigten Zuschauer eine kleine Geschichte erzählt werden:


    Es begab sich nämlich einst, dass Marcus Cordius Fuscus, ein hochangesehenes Mitglied der römischen Gesellschaft schon seit Generationen im Besitz derjenigen wunderschönen Villa ist,



    die der bescheidenen italischen Residenz des Gaius Scribonius Curio benachbart ist. Diese Residenz des Fuscus geschmückt durch einen prachtvollen Garten, hatte als Sehenswürdigkeit freilaufende Pfaue, die in eben jenem Garten lebten und dem Viertel als Glücksbringer sehr wertvoll war.



    Dieser Fuscus, der nun über 60 Jahre zählt und dem nur noch wenige Jahre zum Leben gegeben waren, war in seiner Jugend sei es in der Politik oder bei den Frauen äusserst erfolgreich. Schon bald fand er sein Glück in einer jungen Patrizierin, die er sehr lieben und schon bald ehelichen sollte. Das Glück war vollkommen, die Welt drehte sich im Rausche.



    Doch eines fehlte zu ihrem Glück und zwar war dies ein liebliches Kind, das einerseit den stolzen Familiennamen weiterführen, aber vor allem auch Ziel der Zärtlichkeiten und Fürsorge der glücklichen Eheleute sein sollte.
    Auch hier war ihnen das Glück hold und Fortuna zeigte sich in ihrer ganzen Pracht. Die junge blühende Patrizierin trug des stolzen Fuscus Kinde im Leibe.


    Doch jäh zerrissen die Götter die Banden des Glückes. Die Knospe starb ab, die erschöpfte Patrizierin überlebte das Kind nicht. Ebenso ward dem Kinde die Gnade des Lichtes der Welt verweht. Ein doppelter Verlust. Der vielversprechende Fuscus wurde in einem Moment zum hadernden Greisen.



    Unser ehemals teurer Fuscus, noch vor kurzer Zeit jung im Geist und voller Hoffnung, war nun irr geworden ab dieser Geschehnisse. Niemanden wollte er mehr um sich haben, keine Verwandten, keine Besuche von Klienten. Nur eines blieb ihm: Eine Sklavin und die Pfaue im Garten.
    Der Mann wollte seinen Schmerz mit niemandem teilen und über Jahrzehnte sah man über den Zaun blickend niemanden mehr als eben die farbenprächtigen Pfaue.


    Doch dem Fuscus, als Mensch gebrochen, versagte gar sein Wille zur Einsiedelei. Den Mensch zu meiden war sein Ziel, doch er war Mensch nicht mehr genug und seine Absichten wirr.
    So geschah es, dass die germanische Sklavin, das einzige Lebewesen neben den Pfauen auf der Residenz, eines Tages schwanger wurde.


    Ein Sohn war geboren, welcher den Namen Gaidemar bekam. Es war ein schönes Kind und bald reifte er zu einem gesunden Jüngling heran, der reges Interesse an der Natur bekundete.



    Dem Knaben, ohne Vater und mit einer Sklavin als Mutter, war indessen ein trauriges Schicksal bestimmt. Dazu verdammt mit niemandem Kontakt zu haben und das Anwesen nicht zu verlassen, sass er tagelang in den Gärten und seine einzige Freude war das zärtliche Flüstern zu den Pfauen und deren Betrachtung. Die Hoffnungen der Sklavin erfüllten sich nicht, dass das Herz ihres Herren, ob des Knabes sich erweiche.
    Das Gegenteil war der Fall. Der Greise die Schuld des Todes seiner Frau dem Kinde gebend, sah in Gaidemar nichts als Sünde.
    So konnte er es nicht ertragen, dass jemand Glück verspürt und somit war es dem gebrochenen Alten zur Aufgabe geworden das Kind von den Pfauen fernzuhalten. Doch gelang dem Argen dies nicht immer und in jenen glücklichen Stunden, in denen Gaidemar alleine mit den gelieben Geschöpfen in Harmonie sein konnte, durfte er wieder Kind sein und die Freuden des Lebens empfangen.


    Er ward in solchen Momenten so eins mit sich selbst und den Pfauen, dass er leise die melancholische Melodie der germanischen Chatten summte. Eben jene Melodien, die die mühselig arbeitende Mutter dem Kinde vor dem Einschlafen vorsang.



    Doch wieso nun diese lange Einleitung?
    So war es denn, dass die Veranda der Casa Scribonia auf eben diesen Garten mit den Pfauen Einsicht hatte. Und eben auf dieser Verande, war der Pfahl verankert. Der Pfahl, an dem die klägliche Selnya gebunden wurde. Der Pfahl, an dem Selnya den fröhlichen Knaben singen hörte: Die Melodien der gemeinsamen Heimat. Der Pfahl von dem aus man sah, wie der Alte mit Stöcken auf den Gaidemar einschlug, auf dass er die innigen Banden des Glückes zu den Pfauen immer wieder auf's Neue zerschlage.


    Dies war also die neue Situation der Selnya, dieses Schauspiel immer und immer wieder ansehen und die heimatlichen Klänge immer und immer wieder anhören zu müssen. Selbst zu kaum einer Bewegung fähig.

  • Bevor ich das Messer hatte nutzen können, war Malachias mir in die Pläne gekommen. Ich hätte ihn, wie auch vorher Helena ignorieren könne, zumal ich ihn nur am Rande wahrnahm, aber dann packte er mich und schlefte mich mit sich. Dabei verlor ich das Messer.
    Ich fand mich an dem Pfahl wieder, angebunden mit Blick auf den Garten, doch nahm ich das nicht wahr. Auch, obwohl der Junge gerade drüben saß und zu den Pfauen schaute, ich bemerkte ihn nicht, nicht die Pfaue, nicht einmal mehr Malachias, der stinkend neben mir stand und dem es scheinbar eine Freude war mich so gefesselt zu sehen.
    Meine Gedanken waren längst an anderen Orten, wanderten über grüne Wiesen und durch dunkle Wälder und ich zog mich immer weiter zurück.

  • Malachias hatte Order bekommen einen Stuhl herzustaffen, auf dem Selnya, wiewohl noch gebunden, sich setzen musste. Dies hatte einerseits zur Folge, dass diese Lage ungleich bequemer war, als dass sie auch noch besseren Einblick in den Garten bekam. Nun war Essenszeit. Es gab festes Brot und sogar Äpfel...offensichtlich wollte man Selnya bei Kräften lassen, was Malachias nicht einsehen konnte.


    "Du schreckliches Ding, du. Hier iss!"


    Er bröckelte ein Stück Brot ab und spuckte hinein.

    "Iss nur du Ding, iss...!"


    Poltert er los und lacht mit einem bösartigen Grinsen.


    Doch in eben jenem Moment, begann der kleine Junge drüben zu singen. Malachias hatte strenge Order sich in solchen Momenten zurückzuhalten. Er verschwand von der Veranda.

  • Ich hatte schon in der Casa Vinicius kaum gegessen und seit ich hier war nur wenig Flüssigkeit zu mir genommen aber nichts gegessen. So interessierte mich auch nicht das, was Malachias mir anzudrehen versuchte. Ich hörte seine Worte nur aus der Ferne. Das er ins Brot spuckte bekam ich auch nur bedingt mit. Aber was sollte es schon. Ich hatte nicht vor etwas zu essen. Ich war noch schmaler geworden in den letzten Tagen und eigentlich fast nur mehr Haut und Knochen. Ich war müde. Alles müde.


    Meine Gedanken wanderten durch meine Heimat und ich floh dorthin. Mein Körper mochte noch in Italia sein, an diesen Pfahl gebunden, aber meine Gedanken waren frei. Und diese saßen am Ufer des Baches, meine Kinder und meine jüngeren Geschwister bei mir. Als der Junge gegenüber zu singen begann, drang der Gesang nach einer Weile zu mir durch, aber nicht zu der Selnya am Pfahl, sondern zu der Selnya am Bach. In meinen Gedanken war ich glücklich und sang mit.


    Wer mich da so sitzen saß, musste denken, dass ich, ja, was eigentlich? Es war mir egal. Mein Blick nach aussen war apathisch, aber nach Innen war er klar und glücklich strahlend.

  • What is going on here???...Selnya, where are you??? Slave, come here when I call you!!!
    What are you doing here Malachias, tell me, where that slave is? I'm already tired, how can I always search for it?!...

  • Irgendwann verstummte der Gesang des Jungen, aber in meinem Kopf war er weiter zu hören.


    Ich saß mit meinen Söhnen am Bach und beobachtete lächelnd, wie sie hinter meiner jüngeren Schwester herkrabbelten und dabei immer wieder hinplumbsten, weil sie es, besonders auf dem unebenen Boden noch nicht gut beherrschten. Ach meine Sonnenscheine, mein Leben. In meiner Traumwelt, in der ich mich geflüchtet hatte, war es, wie vor meiner Gefangennahme. Damals waren die Wanen und Asen mir sehr hold gewesen und hatten mir ein glückliches und erfülltes Leben mit meiner Famillie geschenkt. Sie vervollständigten mich.


    Es war ein gutes Leben gewesen. Ich lehrte die Kinder der Sippe und auch in manchen Gebieten die Erwachsenen. Ich hatte einen Mann, den ich über alles liebte und der auch mich liebte und zwei wunderbare Zwillingssöhne, die mein Herz jeden Tag aufs Neue eroberten. Meine Schwester, die stets an meiner Seite war, wenn ich mit den beiden losging um Kräuter zu sammeln oder andere Dinge zu tun, liebte die beiden ebenso und kümmerte sich immer gut um sie, wenn ich andere Dinge zu tun hatte.


    Ein einzelner Gedanke schlich sich in meine Traumwelt: Antiope.
    Ich sah auf, sowohl in meiner Traumwelt als auch an dem Pfahl gebunden. Meine Augen in der realen Welt waren weiterhin stumpf und ich sah apathisch drein, doch in meiner Traumwelt fingen sie an zu strahlen. Auf der anderen Seite des Baches stand sie plötzlich. Antiope, meine Blutsschwester. Ich lächelte sie an, nein, strahlte sie an und winkte. Sie winkte zurück und kam, ein wunderschönes Pferd an der Hand über den Bach zu uns. Mein Herz schlug schneller vor Glück. Fast all jene, die ich liebte waren auf dieser schönen Wiese vereint und ich durfte mit ihnen zusammen sein. Ich war glücklich.


    An dem Pfahl gebunden sank mein Kopf wieder hinab und meine Augen schlossen sich müde. Seit ich von Antiope getrennt worden war, aß ich nichts mehr, trank kaum und schlief auch nur wenig. Von meiner Umwelt bekam ich nur selten mit, denn fast in dem selben Moment, wo ich begriffen hatte, dass ich von ihr getrennt wurde, für länger oder vermutlich gar für immer, hatte ich begonnen mich in meine eigene Welt zu flüchten. War ich einmal halbwegs klar bei Verstand in der Realität, hatte ich nur noch einen Wunsch: in das Reich Hels einzukehren. Aber im Moment, im Moment durchlebte ich in meinem Kopf mein eigenes Glück und selbst Malachias sein Gestank, der wieder neben mir aufgetaucht war und das "Gezeter" von Helena drangen dorthin nicht ein.

  • Jetzt ward es wieder soweit. Wie von Curio geweisssagt, werden nach längerem Gesang die Augen der Selnya träumerisch und sie wähnt sich in glücklich. Und genau in DIESEN Momenten ist sie jäh zu wecken, auf dass ihr die Unglückseeligkeit ihrer Lage immer wieder bewusst wird.


    Und so geschah es denn auch.


    "Heda, alte Schlagen, wach auf!"


    Er rüttelt grob und hatte Erfolg.


    In diesem Moment erschien Helena.


    "Herrin, ja sogleich. Ich will erkären. Kommt nur mit in den unteren Stock."

  • In einem Moment war ich noch in meiner Heimat und Sekunden später rüttelte mich etwas grob daraus hervor.
    Was war los? Wo war ich? Wieso? Und dann fiel es mir wieder ein. Mit müdem, trägen Blick sah ich mich um und langsam wurde ich meiner Umgebung gewiss und auch meiner Situation. Das Messer, wo war das.... oh, natürlich. Malachias war mir zuvor gekommen.
    Und nun saß ich hier. Wieder alleine, denn Malachias war mit irgendwem weg gegangen. Meine Gedanken schwirrten wieder zu meiner Familie: Bele, Hergen, Thorvald und auch meine Geschwister, meine Sippe und nicht zuletzt bei Antiope.


    Ich sehnte mich so sehr nach ihnen und zugleich nach Hels Reich.


    Heilir Æsir, heilar Ásynjur, ok öll ginnheilög go !
    Ich rufe Dich, der du Grim heißt,
    Herrscher und Helmträger,
    Walvater, Allvater,
    Grimur, Jalk, Wegtam,
    Haptagott, Herian, Oski,
    Wunschherr, Graubart,
    Biflindi, Har, Omi,
    Siegvater, Odin, Wotan,
    ... deine Ankunft Hoffnung spendet, auf daß dein Sohn das Schicksal wendet!
    Schütze meine Familie, meine Söhne, meinen Mann, meine Geschwister, meine gesammte Sippschaft und Odin, Allvater, schütze auch Antiope, meine Blutsschwester.
    Heilir Æsir, heilar Ásynjur, ok öll ginnheilög go !


    Immer wieder wiederholte ich dieses Gebet in meinem Kopf, ehe mein Kopf langsam wieder zur Brust sank und die Erschöpfung mich übermannte. Immer noch an den Pfahl gebunden schlief ich einen unruhigen und unbequemen Schlaf.


  • Malachias, was ist passiert? Warum willst du, dass ich dir folge? ... Ich hoffe, du miserabler Sklave, hast einen ernsten Grund für all das, sonst bekommst du Ärger.


    *Helena folgte Malachias*

  • Ich hörte die Schreie. Sah das Blut spritzen und dann die Reiter. Aus dem Gebüsch links von mir brach ein Römer hervor. Ich griff mir Hergen und reichte ihn meiner Schwester, die auch Thorvald schon im Arm hatte.
    "Lauf," sagte ich eindringlich. "Rette Dich und die Kinder! Ich werde sie aufhalten und nachkommen. Lauf!"


    Sie wollte nicht, aber sie verstand und sie wusste, dass ich Recht hatte. Wenn ich es nicht versuchen würde, würden sie uns alle bekommen. Sie lief los, Hauke unser kleiner Bruder dichtauf. Ich schickte ein Stoßgebet zu Odin und bat ihm um seinen Beistand für meine Familie. Dann drehte ich mich den Römern zu. Ich hatte kein Schwert, aber ein Dolch, mit dem ich recht gut umzugehen wusste. Ich liess den vorderen auf mich zukommen. Als er nur noch wenige Schritte entfernt war, warf ich aus dem Handgelenk heraus den Dolch, welcher ihm in die Kehle drang. Röchelnd kippte er nach hinten und ich war mit wenigen Schritten bei ihm, zog den Dolch und sein Gladius. Nicht eine Sekunde zu früh, denn da kamen schon die Reiter. Ich sah fünf, aber ich wusste, da mussten noch mehr sein. Auch noch mehr Fußsoldaten. Aber ich musste sie so lange aufhalten, wie nur möglich.


    Der erste Reiter kam heran, holte mit seinem Gladius aus, aber ich liess mich fallen und hieb mit dem Gladius auf die Beine des Pferdes ein. Das wieherte Schrill und stürzte, begrub den Soldaten unter sich und einen Sekundenbruchteil spürte ich Bedauern für das Pferd. Dem zweiten Reiter konnte ich ausweichen, aber ich konnte ihn nicht aufhalten. Dann kam schon der dritte. Gerade wollte ich mit ihm ähnliches wiederfahren lassen wie mit dem Ersten, als ich einen Schlag am Hinterkopf verspürte und in die Knie sackte. Alles in meinem Blickfeld verschwamm und ich kippte um, verlor das Bewusstsein in dem Moment, wo ich auf dem Boden aufkam.


    Ich ruckte auf und sah verwirrt um mich. Immer noch saß ich an dem Pfahl gebunden und war in Rom, als Sklavin. Leise Verzweiflung machte sich in mir breit, einmal mehr. Ich versuchte mich in meine Traumwelt zu flüchten, doch diesmal hielt sie Schreckensbilder für mich bereit. Ich sah, wie die Römer auch meine Geschwister und Kinder fanden und wie sie meine Schwester schändeten, meinen Bruder in Ketten legten und meine Söhne erschlugen, weil sie keine Babys haben wollten. Ich sah, wie sie meine Familie versklavten.


    Entsetzt riß ich die Augen auf. Mein Atem ging schwer, stoßweise, panisch. Meine Hände rissen an den Fesseln, die sich immer tiefer in die Handgelenke schnürten und sie aufscheuerten. Ich musste hier weg, musste meine Familien retten, musste zu ihnen. In diesem Moment hatte ich keinen Bezug zur Realität mehr. Bis... ja, bis dann plötzlich eine feine Jungenstimme langsam zu meinem Verstand durchkam und ich leise seinen Gesang hörte. Jedes Wort, was er sang, führte dazu, dass ich mich ein wenig beruhigte und langsam, ganz langsam driftete ich wieder ab und war auf der Wiese.


    Mein Körper entspannte sich und meine Augen wurden glasig, wieder apathisch, aber in mir drin, begannen sie erneut zu strahlen. Die Schmerzen an meinen Handgelenken, die ich mir so sehr aufgescheuert hatte in meiner Panik, dass ein paar Tropfen Blut zu Boden fielen und die das Blut selber so sehr abschnürten, dass ich schon kein Gefühl mehr in den Händen hatte, registrierte ich nicht mehr. In meiner Traumwelt war alles schön und schmerzfrei. Und ich war wieder mit jenen zusammen, die ich liebte.


    Auch wenn Curio vielleicht das Gegenteil hatte bewirken wollen, so tat er mir mit dem Gesang des Jungen einen Gefallen. Alpträume wegen meiner Familie hatte ich, seit man mich gefangen genommen hatte, aber der Gesang des Jungen sorgte diesmal dafür, dass ich mich schnell beruhigte und in meine Welt, die Welt, die seit dem Verlust von Antiope meine geworden war, zurück kehren konnte.

  • Irgendetwas riss mich wieder aus meiner Traumwelt, doch konnte ich nicht ausmachen, was. Eigentlich war es mir auch egal, solange ich gleich wieder zurückkehren konnte, aber das schien mir nicht vergönnt. Ich hörte ein Schreien und etwas, dass sich wie Schläge anhörte. Zunächst dachte ich, es wäre noch die Nachwirkung einer meiner Alpträume, aber es schien vielmehr real zu sein. Ich sah auf und mich um. Wirklich interessieren taten mich die Geräusche nicht, aber ich wollte zumindest wissen, woher sie kamen, um sie leichter ignorieren zu können. Aber ich konnte nichts erkennen. Meine Sicht verschwamm, es schien, als läg ein Schleier über meinen Augen. Auch hatte ich das Gefühl, als würde ich leicht schweben, irgendwie komisch und doch frei. Wäre nicht die leichte Übelkeit gewesen, die mir langsam bewusst wurde, hätte ich es wohl ignoriert und die Augen wieder geschlossen, aber so wurde ich doch ein wenig aus meiner Apathie gerissen, wenn auch nicht komplett.


    Für einen Moment fragte ich mich, wieso mir übel war und schwindelig, obwohl ich die Antwort wusste. Mein Körper rebellierte gegen die Askese und vor allem dagegen, dass ich, seit ich vor Stunden an den Pfahl gebunden worden war, oder etwa schon Tage, nichts mehr getrunken hatte und seit einiger Zeit die Sonne, wenn auch immer noch nur die des Frühjahrs, warm auf mich schien. Wo ich darüber nachdachte, verspürte ich auch den Durst, der durch einen ganz trockenen Mund deutlich wurde. Und je mehr ich begann zu spüren, um so mehr wurden mir auch all meine Schmerzen bewusst. Auch wenn ich saß, so saß ich doch, besonders, wenn ich schlief oder in meiner Traumwelt war, in einer sehr unbequemen Position und meine Muskeln verkrampften sich schon teilweise. Insbesondere spürte ich die von meinen Schultern, Rücken und Armen. Meine Arme, ja, auch diese taten weh, aber auch noch anders. Ich spürte das ziehen und brennen der Wunden an meinen Handgelenken, die ich mir durch meine eigene Panik nach dem letzten Alptraum selber zugefügt hatte ohne es zu bemerken. Auch meine Beine schmerzten, hielt ich sie doch meist in der selben Position. Sie erschienen mir so unendlich schwer und mein Kopf hämmerte und hinderte mich am Denken, aber das war mir im Moment sehr lieb. Ich spürte die Erschöpfung, körperlich und seelisch und wollte nur noch schlafen. Aber auf eine Art und Weise, wie sie mir das Hier und Jetzt nicht würde bieten können.


    Die Schreie waren längst verstummt und ich bemerkte es am Rande. Es herrschte, ausser dem Zwitschern vereinzelter Vögel und den Geräuschen der Stadt, die auch hier, hinter dem Haus zu hören waren, Ruhe. Mein Kopf sank wieder auf meine Brust und meine Augen schlossen sich. Sobald sie zu waren, hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass mein Kopf sofort explodieren würde, der Schmerz wurde ein klein wenig erträglicher. Ich versuchte den Durst zu verdrängen und bemühte mich, meine Gedanken schweifen zu lassen. Hunger verspürte ich schon lange nicht mehr und Kraft noch etwas zu tun, was mehr war als mich auf die Reise in Hels Reich zu bringen ebenso wenig. Nach einer Weile gelang es mir meine Gedanken wandern zu lassen und ich dachte an Antiope und wie sehr sie mir fehlte. Ich dachte an die letzten Monate und auch an die Zeit, bevor ich sie kennen lernte und dann, dann kam ich wieder dahin, woran ich immer wieder mit einem Schaudern dachte: den Tag meiner Gefangennahme. Und mit diesem Gedanken kamen sogleich wieder die Fragen in mir auf: Was war mit ihnen geschehen? Hatten sie sich retten können? Waren sie noch am Leben? Wo waren sie? Würde ich sie jemals wieder sehen? Würde ich jemals wieder frei und ich sein?


    Nein, die letzte Frage konnte ich zumindest teilweise mit Gewissheit beantworten: Ich würde niemals mehr ich sein. Die Selnya von damals war tod. Gestorben in dem Moment, als ein rachsüchtiger Sklavenhändler vor ihren Augen eine Leidensgenossin von ihr zu Tode geprügelt hatte, um ihnen allen ein Exempel zu statuieren. Sie war gestorben, als sie beschlossen hatte nie wieder in Gegenwart von Menschen zu sprechen. Ja, vielleicht sogar schon an dem Tag ihrer Gefangennahme. Und dabei hatte sie immer Glück gehabt, im Vergleich zu vielen anderen. Sie war nie geschändet worden. Man hatte sie gepeitscht, geschlagen und einiges mehr, aber man hatte nur einmal gewagt mehr zu versuchen und es bitter bereut. Danach hatte es niemals mehr einer gewagt.


    Oh ja, was das betraf, hatte ich Glück gehabt, aber dessen erfreuen konnte ich mich garantiert nicht. Denn es war nur ein Tropfen auf einem glühendheissen Stein. Ich war gefangen und alleine. Meine Familie war irgendwo, irgendwo weit weg und ich würde sie wohl niemals wiedersehen. Meine einzige Freundin ward mir genommen und ob ich sie jemals wiedersehen würde, war fraglich, eher sogar unwahrscheinlich. Wie gerne würde ich ihr sagen, wie stolz und glücklich ich war, dass ich sie hatte kennen lernen dürfen und wie glücklich, dass sie mir zumindest die Chance auf das Wiedersehen mit meiner Familie gegeben hatte. Wie sehr sehnte ich mich nach einer Berührung, einem Wort von ihr. Und wie sehr sehnte ich mich zugleich nach meinen Kindern, meinem Mann, meiner Sippe, meiner Heimat.


    Eine Träne rann meine Wange hinab, aber es war das einzige Zugeständnis, das ich meiner Trauer gewährte: eine einzelne Träne. Als diese zu Boden fiel, war nichts mehr davon zu sehen. Ausser mein blasses, hohlwangiges Gesicht, mit dunklen Ringen unter den Augen und immer noch an manchen Stellen das farbliche Schillern der Blutergüsse, die ich im Kampf gegen den Sklaven hatte einstecken müssen. Falten der Trauer und Entbehrung hatten sich hineingegraben.


    In meine Trauer hinein drangen erneut die Klänge des Gesangs. Doch dieses Mal sorgten sie nur dafür, dass mein Herz noch schwerer wurde und es schien, als würden die Klänge mir die letzte Kraft Silbe für Silbe entziehen. Ich sackte noch ein wenig mehr in mich zusammen und wenn ich nicht durch die Fesseln gehalten würde, wär ich vermutlich längst bewegungs- und kraftlos zur Seite gefallen. So hing ich mehr am Pfahl, als das ich saß und gab irgendwann auf gegen die Schmerzen und den Gesang kämpfen zu wollen. Ich driftete ab, aber diesmal fand ich mich nicht auf der Wiese wieder sondern im Chaos. Im Chaos meiner eigenen Gedanken, meiner Erinnerungen, meiner Ängste, Hoffnungen, Freude, Angst, Trauer, Glück, einfach allem. Als das Chaos mich zu überrollen drohte, beschloss mein Kopf, dass es an der Zeit sei nun endlich eine Pause einzulegen. Gnädige Schwärze verdrängte das Chaos und ich blieb ohne Bewusstsein, halb zur Seite und nach vorne gekippt, flach atmend, still auf dem Hocker sitzen.

  • Dort, wo mich Malachias nicht einmal eine Stunde zuvor, oder gar eine halbe Stunde zuvor unwirsch geweckt und fortgeholt hatte, wurde ich wieder hingesetzt und gebunden. Ich hatte nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit Hand an mich zu legen.


    Und so saß ich da wieder. Der einzige Unterschied zu vorher war, dass ich nun nicht mehr den entsetzlichen Durst litt. Ich lehnte meinen Kopf gegen den Pfahl, schloss erschöpft die Augen und sperrte die Wirklichkeit und ihre Schmerzen, mental und physisch irgendwie aus. Meine Handgelenke brannten, da die neuen Fesseln wieder tief in das schon verletzte Fleisch schnitten, meine Muskeln hatten sich nur bedingt erholt und mein Kopf drehte sich immer noch. Aber ich sperrte es aus, verdrängte es, wie alles um mich herum, auch die anwesenden Sklaven.


    Wenig später wanderte ich wieder durch den Wald. Neben mir ging eine junge Frau und wir unterhielten uns. Sie hielt die Zügel des Pferdes, welches hinter uns hertrottete locker in den Händen und lachte zwischendurch hell und zufrieden. Ich sah sie an und lächelte glücklich. Ihr schwarzes Haar wehte im Wind sanft und sie trug mal nicht ihre Xailla. Es war ein Gefühl, als wäre es nie anders gewesen.

  • 'Antiope, wo bist Du?'


    Panik stieg in mir auf. Irgendetwas stimmte nicht. Um mich herum herrschte Dunkelheit, ich hörte nur Schreie und das Knistern von Feuer, vermeinte den Rauch zu riechen und die Hitze zu spüren. Dann sah ich es, nur wenige Meter vor mir und aus dem Feuer heraus liefen sie, brennend. Ich wollte schreien, aber kein Ton drang über meine Lippen. Ich wollte aufspringen, aber ich konnte mich keinen Zentimeter rühren und dann änderte sich die Szenerie. Ich sah noch, wie sie etwas von hinten durchbohrte, ihre Körper tod zu Boden sanken und dann wachte ich auf.


    Meine Augen waren in Panik und Entsetzen aufgerissen und ich versuchte verzweifelt mich von dem Pfahl zu befreien. Immer und immer wieder zerrte ich in Panik an den Fesseln. Sie gruben sich immer tiefer in meine Handgelenke, aber ich merkte es nicht, spürte nicht die Schmerzen, spürte nur die Panik. Und die Panik war es auch, die mir ungeahnte Kräfte zu verliehen schien, Kräfte, die ich noch vor kurzem nicht mehr gespürt hatte und über die ich auch eigentlich nicht mehr verfügen dürfte.
    Ich stand, zerrte an den Fesseln, vor meinem inneren Auge sah ich immer und immer wieder diese letzte Szene. Der Hocker war mit lautem gepolter umgekippt, meine Beine zitterten ob der Anstrengung, meine Handgelenke bluteten, meine Lippen bewegten sich stumm vor entsetzen und dann machte es plötzlich Klick in meinem Kopf. Die Schreckensbilder verschwanden vor meinem Auge und ich sah die reelle Umgebung, sah die Veranda, sah den Garten vom Nachbarn und dann begann die Welt sich immer schneller zu drehen und meine Beine gaben nach. Ich sackte in die Knie und nach vorne und nur die gefesselten Arme bewahrten mich davor auf dem Boden zum Liegen zu kommen.


    Ich spürte mehr, als das ich es sah, dass jemand neben mich trat, aber es war egal. Meine Brust hob und senkte sich unter den schnellen und krampfhaften Atemzügen und ich wartete nur noch auf die erlösende Schwärze, aber diese tat mir nicht den Gefallen zu kommen.

  • Malachias wollte Selnya gerade ein wenig Essen bringen. Der Herr Curio hatte diese Anweisung gegeben, da Selnya zusammengebrochen war. Ihm war das eigentlich ganz recht gewesen, es bereitete ihm Schadensfreude sie so zu sehen. Selber schuld.


    Doch als sie in Sichtweite kam bemerkte er einen Ausbruch von ihr und beobachtete ihn eine kurze Weile. Da warf sie den schönen Hocker um und sank zu Boden. Malachias trat neben sie, mit einem gehässigen Grinsen.


    Kleines, dreckiges Ding! Ist der Gesang nicht wunderschön?


    Er grinste dreckig auf sie herab. Das kalte Wasser was er bei sich hatte schüttete er leicht über ihren Schopf, um sie richtig aufzuwecken.

  • Das Wasser, was kalt auf meinen Kopf geschüttet wurde holte mich langsam zurück, machten meinen Kopf etwas klarer und halfen mir auch bei der Atmung. In sofern tat Malachias sogar etwas Gutes. Aber ich sah nicht zu ihm auf. Immer noch drehte sich alles um mich und so schloss ich die Augen und versuchte es zu verdrängen, zusammen mit ihm.

  • Malachias positionierte erst einmal wieder den Hocker und hob dann mit schierer Körperkraft die Selnya hoch und setzte sie wieder darauf. Sie saß nach vorne geneigt, nun, es waren ihre Handgelenke die leiden würden. Und eine vermeintliche Schwäche hatte er auch schon im Sinne...


    Wäge dich froh, nicht in Antiopes Haut zu sein...


    Er hatte sich auf einen anderen Schmel gesetzt und konnte Selnya nun ansehen. Ihre Augen schienen ein wenig aufzublitzen als er von Antiope berichtete. Nun, da der Knabe nicht sang konnte er ja für schlechte Stimmung sorgen.


    Wenn sie nicht bereits halbtot geprügelt wurde, ihr elender Sturkopf ist gewiss gebrochen!


    Ohja, wie sehr er den beiden diese Schmach an den Hals wünschte.

  • Ich ignorierte ihn, spürte zwar, dass er mich anhob, aber ignorierte es, bis er von Antiope sprach.
    Nun wurde ich aufmerksam. Es gab nur noch wenig, was mich dazu brachte. Ich sah ihn an und hatte das Gefühl eineinhalb bis zwei Malachiasse vor mir zu sehen, aber egal wie viele es waren. Seine Worte waren es, die wieder ein Gefühl in mir auslösten. Wut und Verzweiflung. Ich zerrte weiter an den Fesseln, ignorierte die Schmerzen udn Blut, sah nur ihn. Mein Gesicht blieb ausdruckslos, aber meine Augen sprachen Bände, und wenn Blicke hätten töten können, wären beide Malachiasse vor meinen Augen vom Blitz erschlagen worden in diesem Moment.

  • Die vermeintlich schwache Stelle hatte sich als schwach erwiesen, dachte sich Malachias, kurz davor sich vor Freude die Hände zu reiben. Wie würde er am Besten weitermachen können?


    Er wusset nicht, wie Curio auf dies alles reagieren würde und er wusste nicht, ob er ungeschoren davon kommen würde. Doch eines war klar: Er wollte seinen Spaß und Meister Curio war nicht in Sicht.


    Schonmal was vom Hungaricus gehört? Er ist der Praefekt der Praetorianer und gegen den wird Antiope nichts ausrichten können. Außer dass er ziemlich skrupellose Methoden haben soll, weiß ich nicht viel. Und wie Antiope aussieht möchte ich lieber auch nicht wissen.


    Denn ihr Körper gefiel ihm ja schon ganz gut, ebenso auch wie der Selnyas. Aber wagen sollte er es lieber nicht... oder sollte er?

  • Ich kannte ihn nicht, zumindest nicht bewusst. Ich wusste nicht einmal, dass ich in dessen Haus gewesen war. Ich nutzte die Kraft, die mir die Wut verlieh um an den Fesseln zu zerren. Ich spürte den Schmerz, aber er verlieh mir nur noch mehr Kraft. Meine Augen nagelten ihn fest, fixierten ihn und wurden dunkel vor Zorn. Ich wusste, dass er mich herausfordern wollte und wenn ich mehr bei Sinnen gewesen wäre, dann hätte ich vielleicht auch mehr Besinnung gezeigt, aber so war ich nicht mehr klar bei Verstand.

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