• Als ich zum Arbeitszimmer laufen wolle, um das Schreibzeug zu holen, wäre ich fast mit meiner Herrin zusammengestoßen. Erstaunt hob ich die Brauen, ich verstand nicht. Ein leichtes Schulterzucken war die Antwort. Sie erwartet jetzt doch wohl nicht, dass ich sie an die Hand nehme. Ich schüttelte den Kopf und ging wortlos weiter.


    Auf dem Schreibtisch lag Papyrus. Zusammen mit dem Glas dunkler Tintenfischflüssigkeit - die aus Ruß ließ ich lieber stehen - und einer Feder aus Bronze kehrte ich zurück. Schmunzelnd übergab ich das Schreibzeug in die ausgestreckten Hände meiner Herrin.


    „Stell dich nicht so albern an“, flüsterte ich ihr zu. Über ihren grimmigen Blick konnte ich nur lachen.

  • Hatte ich bisher angenommen, das Herzklopfen ausgelöst durch ihn wäre auf nimmer Wiedersehen verschwunden, wurde ich nun eines besseren belehrt. Die wenigen Schritte bis zum Tisch fluchte ich innerlich über diese Tatsache. Hoffentlich würde ich die Tinte nicht verschütten.


    ‚Erst absetzen, dann reden’, dachte ich. Anders herum wäre es bestimmt schief gegangen. Ich lächelte verlegen und schob ihm die Sachen zu. Sicherheitshalber noch setzen … so, jetzt ging es. Ich lächelte erneut.


    „Grüß dich, Flavius.“


    Eilig suchte ich den Blick meiner Sklavin.


    „Samira, ich brauche heute auch ein Trinkgefäß.“

  • Aurelius war nun doch etwas erstaunt, als er sah, wer ihm da die Schreibutensilien brachte.


    "Mit deiner Gesellschaft habe ich hier nicht gerechnet...Salve. Ich nahm an, Misenum sei von großen Teilen der Familia zum bevorzugten Wohnort auserkoren worden. Was führt dich nach Mantua?"


    Aurelius fingerte an der Bronzefeder herum und nahm erst mal einige kräftige Schlucke Wein.

  • Verwundert blickte ich in den soeben geleerten Weinbecher. Das Zeug hatte vielleicht eine prompte Wirkung, schlagartig war mir heiß geworden. Oder lag es vielleicht doch eher an ihm? Erhitzt pustete ich eine Haarsträne aus der Stirn. Dabei war ich mir so sicher gewesen, dass er seine Wirkung auf mich verloren hatte. Dankbar griff ich die sachliche Frage auf. Während sich meine Hand am Becher und mein Blick am Tisch festhielten – ihn ansehen war einfach nicht möglich – begann ich zu erklären.


    „In den letzten Monaten war ich nirgends ansässig. Nachdem ich Florus und Macer in Germania besucht hatte und von dem Sterbelager des Flavius Catus gehört hatte, reiste ich kurzentschlossen nach Achaia. Der Aufenthalt bei Catus hat mich sehr aufgewühlt. Sofort nach meiner Rückkehr habe ich deswegen meinen offiziellen Wohnsitz wieder nach Mantua gelegt. Das Unversehrte, das Reine in dieser Stadt habe ich zur Regeneration benötigt, aber noch musste ich Wege in Rom erledigen.“


    Ich erinnerte mich an meine Stimmung vor knapp zwei Wochen, die aktuelle überlagerte sie jedoch. Unwillkürlich legte ich die kühlen Hände auf die heißen Wangen.


    „Catus hatte mich gebeten, Felix aufzusuchen, was ich umgehend getan habe. Die Unterredung mit Felix gehört wohl zu den beeindruckendsten in meinem gesamten Leben. Ja, eigentlich sollte ich auch noch Messalina aufsuchen, aber zu meiner Erleichterung traf ich sie weder in der von Felix angegebenen Casa noch kam sie in Rom vorbei. Wie versprochen habe ich einige Tage gewartet und bin anschließend wie beabsichtigt nach Mantua gereist.


    Um ehrlich zu sein, du siehst mich nicht minder überrascht, dass du hier weilst.“


    Metellus gab mir den guten Rat, nicht zu fragen was war, sondern nur ein Lächeln zu schenken. Das Lächeln kam ohnehin automatisch, jedwede Frage schenkte ich mir.

  • "So überraschend kommt das nicht. Gewiss, das Leben im Kastell ist eine Herausforderung, ich werde mit Aufgaben regelrecht überschüttet und niemals ist eine Art der Langeweile gegeben. Dennoch mangelt es dort an Witz, an einer Form geistreichen Lebenswandels, welche die menschliche Seele reinigt, formt, ordnet, zu einer höheren Weisheit führt - kurzum: Ich spreche von der Philosophie. Fehlt jene durch hindernde Umstände oder wird in ihrer Wirkung beschnitten, gibt man sich allzu leicht jener Derbheit und Verrohung der Sitten hin, welche das Dasein des weitläufigen proletarischen Kreises zu kennzeichnen pflegt."


    Als Deandra lächelte, wurde ihm helle, dass auch eben jener Liebreiz abwesend war, nunmehr jedoch zurückkehrte, eine Erinnerung an Zeiten, welche noch nicht allzu lange zurücklagen, dennoch als Teil einer völlig anderen Epoche erschienen. Sophus genoss es, den Berichten Deandras zu lauschen. Nicht so sehr wegen deren Inhalt, sondern vielmehr aufgrund der geistigen Entspannung, welche eintrat, wenn ihr Mund Worte formte.


    "Germanien?", fragte er schließlich, als davon berichtet worden war.
    "Du hast Macer getroffen? Und was hat diese Erzählung vom Sterbelager des Catus zu bedeuten?"

  • Soph besaß eine gute Bildung, das war mir nicht neu. Seine Worte überraschten mich dennoch. Vielleicht lag es daran, weil ich vergessen hatte, wie er war. Möglicherweise lag es auch daran, dass ich in der Vergangenheit zwar viele witzige Unterhaltungen, aber zumeist weniger anspruchsvolle geführt hatte. Oder lag es am Wein? Hatte diese im Grunde scheußlich schmeckende Flüssigkeit die Macht, alles in einem lieblicheren Licht sehen zu können?


    „Germanien?“ Wie erkläre ich Soph am besten meine Einfälle? „Hm, Macers Umzug nach Germanien hatte mich sehr getroffen. Du warst nicht für mich da und dann ging auch noch er. Mir fehlten die beiden wichtigsten Menschen in Mantua. Ich wollte ihn sehen und habe - da bin ich ehrlich - eine bereits in Mantua gerichtete Bitte um ein Gespräch zum Anlass genommen und bin ihm hinterher gereist.“


    Verlegen schaute ich zur Seite. Es war wirklich eine verrückte Idee, die ich allerdings mit dem praktischen Besuch bei Florus kombiniert hatte. Mir fehlten damals der Halt und die Orientierung.


    Der Wein produzierte soeben einen Geistesblitz.


    „Bei seinem Fortgang bist du Praefectus geworden, ich habe es in der Acta gelesen. Herzlichen Glückwunsch nachträglich!“ Zunächst ein Schmunzeln … „Das ändert aber nichts daran, dass ich bei uns der Praefectus bin. Du selbst hast mich einmal dazu ernannt.“ Meine Augen blitzten vor Vergnügen, bevor ich zum Thema Catus kam.


    „Was Catus betrifft … ich habe nie gelernt, andere Schicksale spurlos an mir vorüberziehen zu lassen. Mich bestürzt vor allem, dass so viele starke Männer in meinem Umfeld brechen. Ich bin im Grunde schwach, auch wenn ich stark erscheine. Ich suche Anlehnung und doch … bei Catus ist mir klar geworden, dass ich mehr Kraft besitze, als mir bewusst ist und dass ich sogar welche abgeben kann. Und noch etwas ist geschehen. Du weißt, dass Felix und ich oft sehr viel Stress miteinander hatten? Ich kenne ihn nun besser, er ist vollkommen anders als ich dachte. Wir haben nun ein fast freundschaftliches Verhältnis.“


    Nachdenklich sah ich Sophus an.


    „Es ist so ungewohnt, dass du hier sitzt. Ich habe mir oft gewünscht, dich zu treffen, aber irgendwann habe ich aufgegeben zu hoffen und mir sogar Mühe gegeben, dich zu vergessen.“


    Ich sagte es leise, denn ich wollte ihn nicht verletzen. Ihn zu vergessen war mir ohnehin nicht gelungen. Er stand bei jeder Begegnung mit einem anderen dazwischen.

  • Ungefragt stellte ich meiner Herrin eine Tischamphore mit Wasser hin und schob den Wein des Herrn außer Reichweite. Auf ihren Protest hin blickte ich streng. Sie war nicht einmal verdünnten Wein gewöhnt und nüchtern war sie mir lieber. Dem Herrn hingegen schien eine gewisse Dosis gut zu tun.


    Auch fragte ich mich, wogegen sie eigentlich ankämpfte. Ich kannte ihre Wünsche ebenso wie ihre Ängste.

  • Es entstand eine kurze Pause, welche Sophus dazu nutzte, einen sinnierenden Gesichtsausdruck zu fabrizieren, schließlich auch das Thema zu wechseln.


    "Wie ich hörte, ist Maxentius Magistratus von Misenum geworden. Guter Junge. Was meinst du, hat er den Ehrgeiz, die Ämterlaufbahn zu besteigen - ähnlich, wie es mein Onkel Eugenius plant?"


    Als die Rede auf den Cursus Honorum kam, blitzten die Augen des Paters auf, hatte er doch in den letzten Jahren eine merkwürdige Form des Ehrgeizes entwickelt, den großen Politikern in seiner Ahnenreihe nachzueifern. Hin und wieder hatte er selbst mit dem Gedanken gespielt, den Schritt in den Senat zu wagen, doch für eine von Erfolg gekrönte politische Kampagne für die höheren Ämter reichte der Wirkungsgrad seines Einflusses nicht aus. Noch nicht, aber die Zeit würde kommen.

  • Während ich über das Innenleben anderer mitunter mehr als mir lieb war unterrichtet wurde, blieb es bei Sophus stets der Phantasie überlassen, wie man den jeweiligen Gesichtsausdruck deuten sollte. Ich seufzte vernehmlich. Und dann fing er auch noch ein Thema an, was ich gern vermieden hätte. Der Sprung von den Beweggründen meines Besuches an Catus’ Krankenlager zur Politik war extrem kurz. Wieder rutschte ich in diese bedrückende Stimmung hinein, die ich bereits bei Catus empfunden hatte.


    Nun ja, jetzt waren wir einmal dabei. Da konnte ich auch meine Gedanken zur Politik loswerden.


    „Seit Monaten frage ich mich, welche Zukunft eigentlich unser Geschlecht hat. Ebenso halte ich die Zukunft Roms für gefährdet. Patrizier und Traditionen, die gehören untrennbar zusammen und in dem Maße, wie die Patrizier untergehen, versinkt das Reich im Müll des Plebs. Was ist schon noch übrig von den Werten unserer Vorfahren? Konservativ eingestellter Männer geben einfach auf. Flavius, es gibt einen patrizischen Senator – einen! Wen wundert es, dass Sitten und Traditionen verkommen.“


    Mir war nach Bewegung, deswegen stand ich auf. Vor einem Mosaikbild hielt ich inne. Ich betrachtete es, als wäre es neu.


    „Ich bezweifle derzeit, ob Maxentius’ Ehrgeiz für diesen Aufstieg reicht. Er macht einen kränklichen Eindruck. Eugenius hingegen ist entschlossen, aber er missachtet meinen Rat, sich nach derart langer Abwesenheit erneut in Erinnerung zu rufen, Kontakte zu knüpfen, aktiv zu sein. Er verlässt sich ausschließlich auf seinen Rostraauftritt und wir wissen beide, dass andere daran schon mehrfach gescheitert sind.“


    Mein Blick wanderte zum Tisch zurück.


    „Du hast meinen Vater in deiner Aufzählung vergessen.“

  • Aurelius blickte ernst an Deandra vorbei und betrachtete ebenfalls das Mosaik.


    "Um offen zu sein, halte ich den Senat für ein großes Lügengespinst, nicht nur unseres Princeps, sondern all seiner Vorgänger - bis zu Augustus, welcher die republikanische Fassade, in der wir nun leben, begründet hat.
    Gib dem Pöbel Geld, gib ihm Macht - am Ende bleibt es nur die dumme, törichte Volksmasse, eine Ansammlung von Narren.
    Dieses System ist nicht überlebensfähig und schließlich benötigen wir einen echten Kaiser von solcher Macht, wie sie der letzte der etruskischen Könige nicht hatte. Das Prinzipat zerstört sich selbst und der Pöbel dient als beflissener Steigbügelhalter für denjenigen, den sie jahrhundertelang erbittert bekämpfte.


    Was Eugenius betrifft, so werde ich ihm schreiben.
    Welches Leiden quält den Maxentius? Hat er sich nicht in Kur begeben?"

  • „All seiner Vorgänger? Crassus war auch einmal Princeps.“


    Ansonsten hatte Sophus Recht - leider. Unzufrieden verzog ich das Gesicht. Nachdenklich tippte ich mit dem Zeigefinger auf die Lippen, während ich auf Samira zuschlenderte. Flink griff ich nach dem Stiel einer Traubenrebe.


    „An der Person des Kaisers wird sich nichts ändern. Der Senat hat aber immer noch Möglichkeiten, auf ihn einzuwirken. Es kommt eben auch auf seine Zusammensetzung an. Leider ist gerade vor Wochen eine wichtige Stütze - zwar dem Volk entstammend, aber konservativ - weggebrochen. Einzelkämpfer resignieren, so war das schon immer.“


    Zunächst verspeiste ich ein paar Trauben, bevor ich zum Thema Verwandtschaft kam. Ich kannte Maxentius’ Leiden, konnte sie aber unmöglich an Sophus weitertragen. Nicht, weil ich ihm nicht vertrauen würde, sondern weil es sich um sehr persönliche Gründe handelte, die mir mein Bruder anvertraut hatte. Einer der Gründe war jedoch bedenkenlos zu äußern, war er doch offensichtlich.


    „Mein Bruder leidet an dauerhaften Kopfschmerzen. Sie beeinträchtigen seine Arbeit und Leistungsfähigkeit. Hm, und was Eugenius betrifft ... derzeit hält er sich wie Severina in Germania auf.“


    Die Reise hatte einen Grund und konnte zum augenblicklichen Zeitpunkt auch nicht abgebrochen werden.

  • Beim Stichwort Reise fiel mir wieder Catus ein. Eine innere Stimme, *seufz* sie war recht laut, veranlasste mich nun doch, etwas in der Sache Messalina zu unternehmen. Meine Ehre als Patrizierin war beträchtlich und nur ungern ließ ich daran kratzen. Bereits Felix hatte die entsprechenden Fäden bei mir gezogen.


    Kurz entschlossen nahm ich wieder Platz, lächelte Sophus schelmisch an und entzog ihm die Bronzefeder aus der Hand. „Du gestattest, mein Lieber?“ Nun hatte er nichts mehr zum fingern. Mal sehen, wie er sich nun ablenken würde. Erneut lächelte ich, diesmal ein klein wenig amüsiert.


    Schließlich zog ich einen Bogen Papier heran, tauchte die Feder in die Schreibflüssigkeit und ließ sie in leichter Weise über das Blatt gleiten. Bereits bei der Anrede stockte ich. ‚Salve, Messalina’, würde ja wohl nicht zu vertraulich klingen. Gemocht hatte ich sie nie. Irgendwann unterbrach mich Sophus, immer wieder legte ich den angefangenen Brief fort. Am Abend war er dann endlich fertig. Ich übergab ihn Samira und wies sie an, nach Corduba zu reisen.

  • Sim-Off:

    Mit "Princeps" ist der "primus inter pares" gemeint, also die Person, welche hier weitläufig als "Kaiser" bezeichnet wird. Dies jedoch ist ein Anachronismus, denn eine römische Kaiserzeit hat nie existiert.


    Schelmisch war sie. Etwas frivol vielleicht. Aber eine willkommene Abwechslung, das musste Aurelius zugeben.


    "Wie lange bleibst du hier?"

  • Sim-Off:

    Ah, und ich dachte Princeps Senatus. So herum machen deine Worte auch mehr Sinn. ;)
    Frivol? Sorgst du dich gar nicht um meine Revanche? :D


    „Bis ich anfange, mich zu langweilen.“


    Die Herausforderung war nicht zu überhören, allerdings kamen die Worte gesprudelt, bevor der Verstand sie bremsen konnte. Nun ja, ich war nicht mehr das geknickte Mädchen vom Sommer. Die Lebensfreude und die Kampfeslust waren zurückgekehrt.

  • Ein von Annaeus bezahlter Bote ritt von Rom nach Mantua...und nahm dafür einen prallen Sack voll Münzen......doch die Nachricht war dringend. Er übergab die Nachricht und wartete auf Antwort.


    Salvete, meine Patronin,


    soweit ich weiß, verweilst Du derzeit in Mantua. Ich müsste Dich dringend sprechen, da ich Deine Hilfe benötige. Sofern Du dort anzutreffen bist, übergib dem Boten eine Nachricht, ob, bzw. wann ich kommen kann.


    Annaeus Metellus

  • Als Eirene etwas von der Abendspeise nachgeliefert hatte, schlug Sophus nicht gerade schlecht zu, denn wann hatte er im Kastell schon die Möglichkeit, Gerichte zu verschlingen, welche selbst den Ansprüchen verwöhnter Gaumen genügten?


    Als der erste Hunger gesättigt war, schielte er argwöhnisch auf den Brief, den sein Gegenüber gerade schrieb und trommelte mit einigen Fingern auf den Holztisch.


    "An wen schreibst du?"

  • Ich blickte auf, betrachtete für lange Augenblicke sein Gesicht und lächelte alsbald.


    Das ist keine Antwort auf einen Brief eines meiner vielen Verehrer.“


    Leugnen hätte nichts gebracht … ich freute mich diebisch, ihm diese Antwort geben zu können. Ein schlechtes Gewissen musste ich nicht haben, niemand hatte bisher bei mir eine Chance. Da er sich aber kaum um mich kümmerte, nahmen viele an, ich sei zu erobern und diejenigen, die irgendwann einmal von seiner Werbung gehört hatten, nahmen sie nicht ernst oder sahen sie als übertreffbar an.


    Noch immer schmunzelnd, erklärte ich wenig später: „Der Brief ist an Messalina gerichtet. Ich wurde aufgefordert, sie vom Tod ihres Mannes Catus zu unterrichten, von dem sie noch nichts ahnt, dem ich aber mehr oder weniger beigewohnt habe.“

  • Im Laufe des Abends stellte ich den Brief an Messalina fertig. Nachdem die Tinte getrocknet war, rollte ich das feine Papier zusammen und legte es samt Feder zur Seite. Mein Blick fiel auf Sophus, der oft sehr widersprüchliche Gefühle in mir wachrief. Er war rätselhaft und gleichzeitig leicht zu durchschauen - eine Mischung aus Extremen, und zwar nur Extreme, nichts an ihm war durchschnittlich.


    Schon manches Mal hatte ich den Wunsch verspürte alles hinzuschmeißen, weil sich vieles anders gestaltete, als ich es mir erhofft oder er es versprochen hatte. Stand ich kurz davor, wurde mir jedoch klar, dass ich mit keinem anderen Mann Vergleichbares teilen konnte: Uns verband die Liebe und die Sorge um die Gens. Keine andere Familie würde bei mir je diesen Stellenwert erlangen wie die Aurelia.


    Und da war noch etwas, das mich hielt: Ich ahnte, nein ich wusste, er war verletzbar. Seine kalte, oft abweisende oder von Ignoranz geprägte Art, verbarg geschickt ein feinnerviges Wesen - seit Monaten wusste ich das. Vielleicht kannte ich ihn inzwischen besser als er sich selbst.


    Ich würde ihn und gleichzeitig mich verletzen, sollte ich gehen. Also blieb ich trotz der schon mit Gewissheit erwarteten weiteren Blessuren, die unvermeidlich kommen mussten, denn ich war sensibel veranlagt und er beharrte darauf, mich in der Bedeutungslosigkeit zu halten, redete es sich, vor allem aber mir ein. Und doch war es mir unmöglich, ihm gegenüber meine Schutzrüstung wieder anzulegen.


    Gern hätte ich ihn gefragt, wovor er versuchte, sich zu schützen. Wieso er krampfhaft bemüht war, durch sein enormes Wissen, irgendwelche vorzeigbaren Leistungen, ein volles Tagesprogramm und seine harte Schale Sicherheit zu bewahren. Dort, wo man vertraut, durfte man sich auch einmal schwach zeigen, und was, bitte, war so schlimm daran?


    Das alles ging mir durch den Kopf, als ich ihn betrachtete - ein Ausnahmemann, wie ich fand, aber gefangen in sich selbst.

  • Die Tage, an denen ich darüber nachgrübelte, warum und vor allem wie es die Götter zuwege gebracht hatten, derart unterschiedliche Menschen zu erschaffen, häuften sich. Heute wollte ich dem auf den Grund gehen und begab mich in die Bibliothek. Mir lag aus Kindertagen, in denen ich dem Unterricht meiner Brüder beiwohnen durfte, in Erinnerung, einmal Erklärungsansätze darüber gehört zu haben, wusste aber nicht mehr, von welchem Gelehrten diese stammten. War es Hippokrates von Kós, Aristoteles oder gar Theophrastos von Eresos?


    Der Stapel an Büchern um mich herum wuchs, aber noch war ich nicht auf die passende Stelle gestoßen. Dummerweise las ich mich bei anderen Themen fest, wenn mich diese nach dem Anreißen faszinierten und so kam es, dass ich bereits Stunden in der Bibliothek zubrachte ...

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