Der Zug gen Osten

  • Sie lauschte aufmerksam seinen Worten und nun hatte sie doch arg mit den Tränen zu kämpfen. Sie wischte sich die leichten Ansätze schnell aus den Augenwinkeln und sah ihn an.

    "Aber das alles war nicht deine Schuld, was hättest du den tun sollen? Er hat dich angegriffen und..."


    Seufzend suchte ihr Blick den seinen. Ihre Hand fand auf seine Wange und liebkoste sie sanft. Auf seine Frage, was er sonst hätte tun können, wusste sie keine Antwort.


    "Ja, hier gibt es 1, 2 Leute die mir mächtig ans Herz gewachsen sind und die mir bislang aus jeder misslichen Lage herausgeholfen haben. Die Frauen behandeln mich wie eine der Ihren und... es ist einfach heimisch. Erst jetzt bemerke ich, wie sehr ich Germanien vermisst habe, so zynisch es sich bei meinem Anblick auch anhören mag..."

  • Seine Augen schimmerten leicht, aber er schwieg. Nahm nur ihre Hand an seiner Wange und drückte leicht die Finger.
    "Werden sie es auch können, wenn der Mann, der Dich töten lassen will soweit kommt?"
    Seine Frage war voller Sorge und sein Blick ebenso. Sein Magen zog sich zusammen bei dieser Frage und er hatte Mühe sie zu stellen. Und doch musste sie gestellt werden. Denn wenn er nicht siegen würde, dann würden vielleicht nur noch jene sie retten können.

  • Ihr Blick wurde völlig ruhig und keine Spur von Hetze stand mehr in ihnen geschrieben. Vertrauensseelig lächelte sie ihn an und nahm seine Hand in die ihre und drückte sie an ihr Herz.

    "Ich lege mein Schicksal in die Hände der Götter. Ich wage es nicht, mich gegen sie zu stellen. Entweder sie fordern mich als ein Opfer oder es ist meine Bestimmung eine Wicca zu werden. Wobei der Gode sich des Letzteren sicher ist. Und sollte dieser Modorok sich gegen die Götter stellen, wird er hart dafür bezahlen müssen!"

  • Er wurde bleich.
    "Was?"
    Seine Frage war mehr ein Flüstern denn etwas anderes. Sie wollte sterben, wenn er....
    "Das...."
    Seine Hand, in ihrer gehalten wurde eiskalt und ihm ebenso.
    "Und was ist mit Flavius und Eurer Liebe? Was mit Deiner Familie? Jetzt wo alles.... Was...?"
    Er wusste nicht, was er sagen sollte.

  • "Unsere Liebe würde immer geheim gehalten werden müssen: vor römischem Recht und germanischem Brauch. Doch warum bist du so erschrocken, liebster Bruder...? Ich glaube fest daran, dass ich den Weg einer Wicca zu begehen habe..."


    Sie fand es seltsam, diese Worte aus ihrem Munde zu hören, doch der Gode hatte sie wahrlich überzeugt. Oder war es die Nähe der Götter, als sie sich in Trance befand?

  • "Würde sie nicht....," erwiederte er murmelnd und halb zu sich selbst.
    Er liess die Arme hängen und sah sie mit einem seltsamen Blick an. Er hatte irgendwie das Gefühl sie verloren zu haben. Er wusste nicht wieso oder gar, ob es stimmte, aber er fühlte sich plötzlich leer und einsam.
    "Wenn Du dieser Überzeugung bist, ist ein Kampf nicht mehr nötig."
    Er wusste, dass die Worte genauso leer waren wie er sich fühlte, denn er würde davon nicht mehr zurücktreten können.
    "Dann werden die Götter Dich auch so bewahren."
    Und er würde am Morgen antreten und wahrscheinlich bei dem Versuch sterben. Aber das war ihm in diesem Moment egal.
    Seiner Stimme merkte man kaum die Veränderung in ihm an.
    "Dann soll es wohl so sein," sagte er noch. Er wollte fort von ihr, brauchte Zeit für sich, Zeit sich auf den Tod vorzubereiten. Er sah nun keine Notwendigkeit mehr darin für einen Sieg zu beten und zu opfern.
    Selbst Desi oder Sextus, selbst jeder, den er kannte und liebte, war in diesem Moment vergessen.

  • Sie sah Valentin traurig an und lehnte ihren Kopf an seine Brust.


    "Ich weiß, ich befinde mich wahrscheinlich auf einem sinkenden Kahn. Ich glaube nicht, dass die Germanen gegen die Römer gewinnen werden und wenn sie mich hier finden, wird es ihnen egal sein, dass ich einst in Rom lebte, sie werden mich wie all die anderen hier... versklaven oder gar töten..."
    Die Stimme klang belegt und in Julia machte sich ein beklemmendes Gefühl breit.


    "Ich kann die Leute hier nicht im Stich lassen. War ich zu Beginn unfreiwillig hier, so hat mir der Gode doch Pforten in mein Inneres geöffnet. Geschahen hier auch grausige Dinge, so war da doch dieses kleine Mädchen das ein Lächeln auf mein Gesicht zaubern konnte. Verstehst du? Dieses Dorf ist ein Teil meines Lebens geworden, genau wie meine Familie."


    Sie schloss an seiner Brust die Augen und atmete langsam durch... Leise sprach sie weiter, senkte den Tonfall wieder der eben erregt und laut geworden war...


    "Valentin... Ich will dich nicht verlieren... Geh, nimm' Sextus und geh. Für mich wird es keine Zukunft mehr geben! Ich bin bereits verloren..."


    Sie wusste, sie klang pessimistisch, doch sie glaubte nicht an einen Sieg der Germanen an die Römer. Und im römischen Reich würde sie sich wie an Ketten gelegt fühlen, würde überall den Hauch der zwangsvollen Vereinigung wittern...

  • Er schluckte hart und hielt sie leicht fest. Unbeholfen.
    Ja, er hatte sie verloren. Das wusste er in diesem Moment.
    Er strich ihr kurz über die Haare.
    "Wir werden gehen. Morgen früh."
    Er sagte nicht nach dem Kampf. Aber das würde es so oder so sein. Denn entweder würde er zu den Ahnen gehen oder eben doch gehen.
    "Was soll ich Flavius sagen?"
    Oder besser, was sollte ihm Sextus sagen? Denn das er seinen Bruder je wieder sehen würde, daran glaubte er nicht.

  • Sie ließ Valentin los und sah ihm für den Bruchteil einer Sekunde in die Augen. Es war der Blick eines Menschen, der jegliche Hoffnungen an ein Wiedergutwerden verloren hatte, der sein Leben gänzlich in die Hände anderer legte. Der Blick eines Menschen, der den Sinn des Lebens nicht mehr erkennen wollte.



    "Sag ihm, dass er mir das Wichtigste in meinem erbärmlichen Leben war!"


    Sie wandte den Blick ab, sie hasste es vor ihrem Bruder zu weinen. Es ließ sie so schwach darstehen, sie wollte nicht mehr schwach sein. Dabei ahnte sie gar nicht, dass dies die schwächste Zeit ihres Lebens war. Sie tat 2 Schritte von Valentin weg und atmete einmal tief durch, drehte sich allerdings nicht mehr um.


    Sie sagte nicht, dass sie sich danach sehnte, Flavius wiederzusehen, ihn zu umarmen. Sagte nicht, dass nur der Gedanke an ihn sie am Leben gehalten hatte. Eines Tages würde es scheitern. Am römischen Imperium. Die Liebe würde der Vergangenheit angehören und wenigstens so konnte sie im Herzen für die Ewigkeit bewahrt werden.


    Sie sagte nicht, wie sehr sie Valentin liebte. Sagte nicht, dass sie immer für Sextus da sein wollte. Sagte nicht, dass sie gerne Kinder haben würde. Und für ihr verlogenes Schweigen hasste sie sich.

  • "Er wird es nicht auf sich beruhen lassen, das weisst Du, oder?"
    Er sprach nur mehr leise. Nur noch so, dass sie es gerade so hörte. "Schon gar nicht, wenn er erfährt, dass ihr eine..."
    Er schwieg. Würde es etwas bringen es ihr zu sagen?

  • "Er wird auch wütend sein, dass ihr ihn nicht benachrichtigt habt. Valentin, doch tu mir einen Gefallen, beende deine Sätze bitte. Nahezu jeden Satz der von deinen Lippen kommt unterbrichst du..."


    Sie sah weiterhin mit dem Rücken zu ihm gekehrt auf den Boden.

  • Julia schwieg. Doch lange konnte sie dieses Schweigen nicht halten.

    "Es ist inzest und verboten. Und dieser Inzest wird auffliegen, ich bin sicher, ich bin schwanger... Und dann wird ohnehin alles aus sein. Ich kann ihm diese Schande nicht antun...."


    Ihre Stimme begann zu beben.

  • "Doch, Bindung zwischen Bruder und Schwester gab seit jeher nur Probleme und Leid. Die Kinder warden Fehlgestalten, wenn sie überhaupt überlebten und der Schande wurde Schande ins Haus gebracht..."


    Er wusste es doch, wieso stellte er sich so stur?


    "Es ist einfach nicht natürlich, von den Göttern anders bestimmt..."

  • Er legte seine Hände aufs Gesicht und rieb dieses, spürte, dass er sich schon ein paar Tage nur notdürftig rasiert hatte und seufzte.
    "Wenn die Geschwister leiblich sind, so ist dem so. Doch wenn nicht, ist es kein Problem. Auch nicht im Angesicht der Götter. Und obwohl sie Geschwister sind, können sie Liebende sein."

  • Julia drehte sich halb zu ihm hin und sah ihn voller Skepsis an. Und doch auch voller Angst. Ihre Worte wurden in monotonem Tonfall gesprochen:


    "Was willst du damit sagen...? Ihr seid meine Geschwister... Ihr seid es einfach... Da helfen keine Wortspiele"

  • "Du warst immer meine Schwester und wirst es immer sein. Aber..."
    Er atmete tief durch, trat auf sie zu, zwang sie mit sanfter Gewalt ihm in die Augen zu sehen.
    "Auch wenn Du immer meine Schwester bist, und ich sage es Dir gerne jeden Tag, jede Stunde, Minute und Sekunde, sieht es doch so aus, als wenn wir nicht von selbem Fleisch und Blut abstammen."
    Jetzt war es raus.
    "Und doch ändert das für mich nichts!
    Nur für die Liebe, die Dir und Flavius bestimmt ist."

  • Julias Verwirrtheit wich blankem Entsetzen. Sie starrte Valentin wie erstarrt an. Er hatte es gewusst? Und er hatte ihnen nichts erzählt? Oder hatte Flavius es gar auch gewusst und mit Absicht verschwiegen? Aber warum sollte er das tun? Um ihr nicht wehzutun, aber eine Ehe auszuschließen? Nein, das würde er nicht tu... Oder doch?


    "Nein... NEIN!"


    Mein ganzes Leben, meine Herkunft: Alles war eine Lüge. Sie sah ihn nur noch einen Moment an und drrehte sich augenblicklich um, um einfach davonzustürmen. Hatte Flavius gelogen? Das durfte nicht sein, das konnte einfach nicht sein. Und Valentin? Warum war Flavius dann nicht hier, wenn es eine Lüge war? Hatte er sich nicht gewundert, wo sie war?


    Und all die Leute, sie waren niemals ihre wahre Familie gewesen. Wo waren ihre wahren Eltern? Was war mit ihnen?

  • Er konnte gar nicht schnell genug reagieren. Aber das brauchte er auch nicht. Die Männer, die sie beobachteten reagierten für ihn. Zwei stellten sich ihr in den Weg. Hielten sie fest. Nicht unsanft, aber bestimmt. Er eilte zu ihnen. Bat sie zu gehen, während er Julia in seinen Arm zwang. Sie zwang sich in seiner Umarmung zu halten. Sie zwang ihm zuzuhören.
    Die Männer nickten nur und machten Platz. Valentins Blick sah kurz zu Sextus, der besorgt angerannt war und sich wieder etwas zurückzog.
    "Du wirst mir zuhören."
    Er achtete nicht darauf, was sie tat oder sagte, wollte nur, dass sie ihm zuhörte.

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