• Die Welt blieb stehen, wie von einer wundersamen Macht angehalten. Eine innere Gewissheit schien sich zu erheben und Stella wachsam zu halten. Seine Worte waren eine hoffnungsvollen Beschwörung gleich und trafen durch das feurige Eis ihres Panzers. Jede Mauer, die Stella erbaut hatte, um sich von der Welt zu trenne, damit diese sie nicht mehr verletzte, wurde von Claudius mühelos überwunden. Er wollte nicht hören, dass ihr Vater tot war. Doch er war es! Er musste es sein, denn nur so war ihr Leid erklärbar. Ihr Vater hätte es niemals zugelassen. Tiberius Verus musste tot sein, denn diese unmögliche Schonungslosigkeit hatte ihr in den verzweifelten Stunden, allein mit Pluto, Sicherheit gegeben. Claudius wollte es nicht hören. Vielleicht wollte sie es selbst nicht mehr hören? Eine kleine Hoffnung flammte auf. Etwas erblühte in Stella, dass sie längst verloren geglaubt hatte. Wollte es dieser Claudius nicht sehen und nicht wissen? Er strickte eine für Stella unverständliche Logik. "Seine Getreuen haben für uns gesorgt. Er hatte viele Menschen, die ihm einen Gefallen geschuldet haben," erklärte sie und versuchte damit der Logik zu folgen und etwas preiszugeben, warum sie bis jetzt überlebt hatte. "Ich glaube, bei allem, was er Schlechtes getan hat, hat er auch vielen Menschen geholfen," dachte sie laut nach. Sie wollte die ganze Geschichte berichten aber dafür war jetzt keine Zeit mehr, denn Claudius hatte bereits Pläne für den Abend geäußert. "Mein Vater schätzte dich sehr und das Vertrauen in dich war so groß, dass er uns ...," sie brach ab, als ihr bewusst wurde, dass sie auch für ihren Bruder sprach, der schmerzlich nicht hier war. "... mich zu dir schickte, wenn ich in Gefahr wäre." Stella atmete schwer aus, während sie eine Sekunde lang nervös auf ihre Unterlippe biss, um sich zu vergewissern, dass dieser Moment echt war. Zu oft waren Träume in Albträume verschwommen; und diese Albträume in Realität.


    Baden. Einkleiden. Essen. Das klang gut. Fast so, als ob ihr Vater vom Dienst nach Hause kam, und sich eine schnelle Familienzusammenkunft gewünscht hatte. Ja, fast, wirkte der Claudius, wie ihr Vater. Möglicherweise wünschte sich das Stella auch nur. "Gerne," sagte sie sehr leise als Antwort für den Claudius, während sich stille Sterne aus ihren Augen lösten und über ihre Wange hinabfielen. Die Hoffnung lebte wieder. Stella lächelte tragisch. Er wiegte sein Haupt. Stella beobachtete ihn genau mit ihren eisklugen Augen. "Das ist mehr als ich jemals erwartet habe," schmetterte sie fast und streckte ihre Arme aus, um Claudius Menecrates spontan aus Dankbarkeit zu umarmen. Alle weiteren Pläne waren erstmal dahin. Jene Pläne mit denen sie hierher gekommen war und die sie sich klug überlegt hatte. Ja, das alles war ab jetzt bedeutungslos, da sie einfach nur einen Ort gesucht hatte, wo sie einmal ohne Angst schlafen konnte. Claudius Menecrates strahlte diese geheime Wärme aus, die ihr jene Hoffnung gab, dass dies ein echter Ort der Zuflucht war. "Danke!"

  • Stella öffnete ein Kapitel vergangener Zeit, das Menecrates geprägt und gleichsam bewegt hatte. Erst vor Monaten hielten ihn wehmütige Erinnerungen daran gefangen. Sie entzogen ihm Kraft, bremsen ihn und schmerzten. Zum Glück hatte ihn damals Faustus gefunden, abgelenkt und aus dem Tal geführt. Seither richtete er den Blick auf anderes. Er lenkte sich mit Arbeit ab, sprang aber sofort an, wenn er eine Chance witterte, das damals verübte Unrecht an seinem Freund und Klienten zu quittieren. Er wünschte, der Praefectus Praetorio tappte in die Falle.

    Die Hoffnung auf Verus' Rückkehr wollte er nicht aufgeben, auch wenn er in manchen Stunden resignieren wollte, doch wo befand sich der Tiberier und von welchen Getreuen sprach Stella.

    "Dein Vater führt Befehle aus", erklärte Menecrates, um die erwähnten schlechten Dinge zu begründen. "Vieles ist notwendig, auch wenn es auf den Betrachter verstörend wirkt und dem Unkundigen eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Ich war anfangs auch entrüstet." Daraus machte er grundsätzlich keinen Hehl.

    "Losgelöst von seinen Aufgaben", seine Stimme wurde brüchig, "als Privatmann, vertritt er noble Ansichten und weist eine ehrbare Haltung auf." Ehrbarer als der Durchschnittsrömer und sogar eine Vielzahl Senatoren - zumindest damalige. Menecrates schüttelte die Rührung ab und atmete einmal durch, bevor er fortfuhr. "Deswegen besitzt er neben Feinden auch Freunde. Es ist gut, dass du hier bist." Er lächelte sanft.

    Gleichzeitig dachte er über den Holperer in Stellas Aussage nach. "Wir?" Er versuchte, sich an den Wortlaut des gesamten Satzes zu erinnern, aber es misslang. Zudem lenkten ihn ihre Tränen ab, die einen Kloß in seiner Kehle produzierten.

    Zum Glück musste er nicht sprechen, nur zuhören. Seine Selbstbeschreibung schreckte sie nicht ab, denn nichts wäre in diesem Augenblick schlimmer gewesen, als wenn sie wieder ging. Wenn es nicht Verus war, der zurückkehrte, dann wenigstens sein Vermächtnis. Menecrates spürte, er könnte Stella lieben wie eine Tochter - vielleicht sogar ein wenig mehr, denn bei den eigenen Kindern hatte er versagt. Erst bei den Enkeln agierte er väterlicher.

    Ihm fiel ein Stein vom Herzen, als sie freudig zustimmt, es mit dem ungelenken Greis aushalten zu wollen, und sein Herz ging endgültig auf, als sie ihre Arme ausstreckte. Ohne zu überlegen, trat er den letzten Schritt auf sie zu und schloss sie in die Arme. "Alles wird gut!", versprach er flüsternd. Vielleicht nicht restlos alles, aber alles, was er möglich machen konnte.

    Momente verstrichen, in denen er sich um Fassung bemühte, dann löste er sich.

    "Wir sehen uns gleich beim Essen. Wenn du es nicht findest, lass dir das Triclinium zeigen." Er selbst würde die Wartezeit für einen Gang durch den Garten nutzen. Es gab viel zu verarbeiten und viel zu planen.

    Mittlerweile nahm er auch wieder die Umgebung war und sein Hirn sprang an, damit er organisieren konnte. Er ordnete in Richtung der abseits stehenden Sklaven an: "Mein Gast bekommt das Zimmer direkt neben meinem - jenes, das Faustus bis zu seiner Abreise gehörte." In einem leerstehenden Bereich der Villa wollte er Stella nicht unterbringen. Vielleicht später, wenn sie sich heimisch fühlte.

  • Befehle. Wie sie dieses Wort hasste. Ihr Vater war stets diesen Befehlen gefolgt und sie hatten ihn von seiner Familie getrennt. Befehle verdarben ein jedes Herz, so sah es Stella. Wenn es keine freie Wahl etwas zutun gab, war kein Platz für Freiheit und Freiheit war doch etwas, was das Herz brauchte. Es musste frei schlagen können. Stella wollte frei sein, und doch folgte auch sie Befehlen, die sich als Tradition und Gesellschaft tarnten. "Diese Befehle haben ihn zerstört," meinte sie erbost und wollte diese Rechtfertigung des Claudius nicht hören. Befehle waren keine Entschuldigung und keine Sühne, sie war schlicht Ursache aber nicht Verantwortung. Viele versteckten sich hinter Position, Funktionen und diesen Befehlen, obwohl sie selbst Verantwortung trugen. "Zu uns war er der beste Vater und doch kann ich nicht leugnen, dass ich vieles nicht verstand. Doch habe ich die Sorge, dass ihm seine Arbeit gefallen haben könnte. Wir müssen uns keine Illusionen machen, dass er mit Sicherheit nicht unschuldig war. Ich selbst habe gesehen, wie er Varia und viele weitere hingerichtet hatte. Er hat Menschen ans Kreuz gebracht. Menschen am lebendigen Leibe verbrennen lassen, auch auf dein Urteil hin. Du hast es doch gesprochen," fügte sie Sätze zusammen, um diese Ausflucht des Claudius zu unterbrechen. "Ich verurteile dich nicht dafür aber bitte verstecke dich nicht." Stella hatte genug gesehen und ihr eigentlich weiches Herz war daran zerbrochen. Die Grausamkeit ihres Vaters, seine Heimtücke, aber auch sein Heldenmut und seine Tapferkeit, hatten ihn letztlich vernichtet. Vom guten Verus, ihrem Papa, war nicht viel geblieben. Nicht nach den Christianern und Varia. Dieser Konflikt hatte ihn endgültig verändert. Sie fürchtete darum, dass auch Claudius Menecrates unheilvolle Veränderungen an sich feststellen konnte. Keine Person blieb von Gewalt unberührt. Der Ausführende, wie auch der Erleidende, wurden durch Gewalt verändert und dies oft zum Schlechteren.


    "Du hast doch auch ihre Schreie gehört als sie an den Kreuzen verbrannten? Ich habe meinen Vater, obwohl er es mir verboten hatte, dabei beobachtet, wie er Varia höchstselbst hinrichtete. Du standest auf deinem Podium, blicktest herab und riefst laut - lege age! - und auch du hast es gesehen. Es sogar gerochen, wie das Fleisch der Feinde verbrannte. Du hast dabei nichts gefühlt?" Stella blickte den Claudius klug an. "Mein Vater war stets loyal gegenüber seinen Befehlen und seinen Herren und doch war dort etwas, was er verloren hatte. Ich glaube, dass er selbst ein Gefangener seiner Befehle war und niemals wirklich frei war," versuchte sie selbst eine Erklärung zu finden. Auch als geheime Tochter einer Sklavin, die germanische Seherin gewesen war, die ihr Vater sehr geliebt hatte, und somit wahrscheinlich nie ganz Römerin, konnte die Welt wahrscheinlich mit anderen Augen sehen. "Ich bin dankbar für seine Freunde, denn eines ist sicher, dass er für jeden Vertrauten genauso kämpfte, wie für seine Sache, welche das auch immer sein mochte," meinte sie und rang sich ein trauriges Lächeln ab. "Wären diese bösartigen Christianer und diese Varia nicht gewesen, wäre er wahrscheinlich nicht in diese Dunkelheit gefallen," äußerte sie ihren groben Verdacht, den sie bereits ihr ganzes Leben mit sich herumtrug. Sie gab den Christianern die Schuld für diese Entwicklung der Gewalt, die alles erfasst hatte.


    "Mein Vater wollte uns immer beschützen und hat es auch irgendwie geschafft, selbst aus der... toten Ferne ... etwas zu hinterlassen. Mein Bruder wollte immer genauso stark sein." Sie lächelte sanftmütig, die dunklen Gedanken vertreibend, die mit der Erinnerung an die Hinrichtung aufkamen. Diese Brutalität ihres Vater hatte sie zwar erahnt, denn ein Mann in seiner Position war und musste hart sein, doch sie real vor sich zu sehen, wie er kalt in seiner Prunkrüstung einen Menschen tötete und hunderte weitere verbrennen ließ, veränderte auch ihre Sichtweise. Es zu sehen, hatte es ihr begreifbar gemacht, warum ihr Vater sie ausgebildet hatte, denn wer ein solches Leben führte, konnte auch alles dadurch verlieren. Seine Kinder wollte er davor schützen. Genauso, wie er den römischen Staat betrogen hatte, um seine beiden Kinder als Bürger eintragen zu lassen. Er hatte Unterlagen fälschen lassen, nur damit sie eine Römerin sein konnte, ansonsten wäre sie einfach eine Sklavengeborene gewesen und somit eine Sklavin. Verus war nicht einfach zu verstehen und was ihn letztlich wirklich antrieb, mochte selbst seine Tochter nicht sagen. "Du erinnerst mich ein wenig an...," sagte sie mit einem lieblichen Hauch an Andenken. "... an meinen Großpapa, der leider viel zu früh von uns ging. Auch er hatte diesen Ausdruck von Stärke und gleichzeitigem Mitgefühl. Dein Herz hat Mitgefühl. Es lebt und ich bin dankbar, dass dich meine Familie einen Freund nennen darf. Du errettest nicht nur mich, sondern auch unser ganzes Haus," bedankte sie sich und nickte dann auf seinen Ausspruch hin, dass alles gut werden würde.


    "Das wird es." Für einen Moment ließ sich Stella in die Illusion fallen, dass dies hier ein Zuhause sein konnte und ihr Gesicht verlor jene Härte und erstrahlte in weichem Sanftmut. Sie war einfach erleichtert und für einen Moment frei von allen dunklen Erinnerungen und Sorgen, jenem Vermächtnis des Hauses Tiberius, welches Flüche und Verdammung an sich zog, wie andere Häuser Schätze. Die Umarmung fand ihr Ende und Stella blickte den Claudius mit einem fast fürsorglich-vertrauten Lächeln an. "Wir sehen uns gleich...", warf sie ihm freundlich entgegen und hob ihre Hand zu einem freundlichen Winken, wobei sie nur sanft ihre Finger bewegte. Stella stellte sich neben den Sklaven. "Kannst du mich herumführen?" Sie wirkte dabei etwas perplex.

  • Offensichtlich gab es nicht nur viel zu besprechen, sondern auch aufzuarbeiten. Menecrates spürte die Bitterkeit, verstand sie auch, würde sie aber nur ungern im Stehen thematisieren. Sie würden alles Stück für Stück durchgehen, nachdem sich Stella hoffentlich in ihrer Haut wieder wohler fühlte.

    "Wir machen es so, wie ich es sagte: Du badest und lässt dich neu einkleiden. Im Tricliniumsprechen wir über alles, was wir tun wollen und was wir getan haben." Er nickte ihr aufmunternd zu und freute sich über ihr zaghaftes Winken, bevor sie mit den Sklaven verschwand. Nachdem er nichts mehr hörte, wurde er ernst. Er fragte sich, wie Stella auf die Idee kam, dass er sich verstecken würde. Weder bereute er sein damaliges Urteil noch die Vollstreckung. Das Schreien der Opfer hatte ihn weniger berührt als der Todeskampf eines unschuldigen Tieres. Christen sah er als Feinde des Reiches an und verabscheute sie persönlich, Tiere hingegen verloren zumeist unverschuldet ihr Leben.

    Nachdem er Anweisungen zur Vorbereitung eines reichhaltigen Essens gegeben hatte, schlenderte er Richtung Garten, um den Kopf frei zu bekommen. Möglicherweise musste er Stella einige Illusionen über seine Person zerstören.

  • Am Abend nach Stellas Einzug fasste Menecrates den Entschluss, aktiv nach Verus suchen zu lassen. Nachforschungen konnten nie schaden, ganz gleich, wo Verus weilte, was ihn zu dem jeweiligen Ort trieb, oder wer ihn geholt hatte. Er brauchte Klarheit und auch Stella würde erst zur Ruhe kommen, wenn sie entweder ihren Vater umarmen oder ihn mit Ehren bestatten konnte.

    Gleichzeitig nach dem Bruder zu suchen, würde die Kräfte halbieren, was die Erfolgschancen minderte. Außerdem kannte er den Sohn so wenig wie gestern noch Stella. Verus wollte er aus eigenem Antrieb finden.

    Er ließ Linos zu sich rufen und erwartete ihn in seinem Arbeitszimmer. Die letzten Tage verbrachte sein ehemaliger Sekretär eher wie ein Gast als ein Sklave und Menecrates hoffte, diese Sonderstellung war ihm nicht zu Kopf gestiegen. Es blieb abzuwarten, wie er auftrat und ob noch derselbe von früher, oder durch die lange Trennung ein gänzlich anderer Linos vor ihn trat.


    Als sein langjähriger Sklave eintrat, wartete er dessen Begrüßung ab und prüfte anschließend die Lage. "Die Tage der Ruhe haben hoffentlich Gutes vollbracht. Wie steht es aktuell um deine Gesundheit?"

  • Nun war es soweit, ich stand vor der halb geöffneten Türe des Arbeitszimmer meines Herrn, der mich rufen lies und spähte vorsichtig hinein. Erst einmal die Stimmung zu prüfen schien mir angebracht. Zu sehen war natürlich außer einem lesenden Menecrates nichts. Sicherheitshalber klopfte ich doch an und meinte beim eintreten: „Salve Dominus, du hast mich rufen lassen.“ Seine Fragen folgten gleich darauf. „Ja Domiminus die Tage der Ruhe und vernünftigen Ernährung haben mir fast zur alten körperlichen Stärke verholfen.“

    Nach einer kurzen Pause mit gesenktem Blick, der mir bei der letzten Herrschaft eingebleut worden war fragte ich: "Welche Arbeit wird mir zugewiesen, denn wie ich erfuhr, hast du einen Scriba mit dem du mehr als zufrieden bist.“ Wobei ich mich aber fragte wieso der so lange weg sein konnte, hatte der Claudier keinen Posten mehr inne und
    erledigte alles selber?

  • Vom Auftreten seines Sklaven hing vieles ab. Menecrates musste klären, ob er ihm noch immer vertrauen und mit pikanten Aufträgen betrauen konnte, daher kam diesem Gespräch besondere Bedeutung zu und Linos galt die ungeteilte Aufmerksamkeit. Der Claudier lehnte sich zurück, faltete die Hände über dem Bauch, der nur wegen des üppigen Abendmahles ein wenig hervorwölbte, und hörte zu. Er nickte zufrieden, als er von der Gesundung hörte. Bevor er zur Antwort ansetzte, erhob er sich und trat hinter dem Schreibtisch hervor.

    "Ganz richtig, wir sprechen heute über deine zukünftige Arbeit. Um die zu definieren, bräuchte ich zunächst einmal eine Erklärung, was nach meinem letzten Auftrag geschehen ist. Der Bürgerkrieg erklärt vieles: Menschen verschwanden, Nachrichten gingen unter, aber warum bist du erst jetzt zurückgekehrt?"

    Sein Blick studierte das Antlitz seines Sklaven, der oft genug mit Sonderaufgaben betraut wurde, allerdings einmal auch entfliehen wollte.

  • Nur wenn man kein Sklave war konnte man solch eine Frage stellen. Das galt erst recht wenn man Claudius Menecrates hieß. Noch nie hatte ich erlebt, das ihm ein Sklave entlaufen war oder er befohlen hatte einen Sklaven zu züchtigen, geschweige es selber getan. Wenn dies in der Villa Claudia geschah so waren es seine Kinder oder Enkelkinder. Im Gegensatz zu ihnen behandelte er uns trotz unseres Status doch irgendwie wie Menschen.

    Ich holte Luft und blickte meinen Herrn traurig an. „Glaube mir Dominus die Sehnsucht nach der Villa Claudia war sehr oft übergroß. Wenn auch nur der Hauch einer Möglichkeit bestanden hätte wäre ich schon lange wieder hier. Auf einem Sklavenschiff wird man nicht mehr bewacht, als dort wo ich war. Der Weg aus der Provincia Gallia
    Narbonensis nach Rom ist sehr weit. Von der Villa rustica aus musste ich zuerst einmal nach Tolosa und dann noch zum Hafen nach Narbo Martius gelangen. Dies gelang mir nur durch den glücklichen Umstand, dass mein Gebieter einen Gast aus Griechenland erwartete und ich als Übersetzer dienen sollte. In dem Gedränge am Hafen gelang mir
    endlich die Flucht.“

    Unsicher schaute ich zu meinem Dominus auf, las ich etwa Unglaube oder gar Misstrauen in seinen Auge? Selber Schuld Linos, zu oft hast du dich mit deiner Uschuldsmine und deinem Gequasel durchgemogelt. Aber niemals Menecrates angelogen redete ich mir selber zu.

  • Die Auskunft beinhaltete leider nicht den Umstand, wie Linos - einst weitgehend frei beweglich - in diese bewachte Situation geraten war. Menecrates begann eine der für ihn typischen Wanderung durch das Zimmer und dachte nach. Er fragte sich, ob die Kenntnis über das fehlende Teilstück der Vergangenheit die Situation verändern würde. Linos blieb für Jahre verschwunden, tauchte nun wieder auf und begab sich freiwillig in die Versklavung. Wieso entschied sich jemand dafür? Natürlich bot die Villa Claudia einen besonderen Komfort auch für Sklaven, gute Kleidung, regelmäßig Essen und Sicherheit, aber wog das die verlorene Freiheit auf? Der Claudier bezweifelte dies. Vielmehr kam er zu dem Schluss, dass Linos entweder eine persönliche Bindung zu seinem Herrn aufgebaut hatte, deren Wert ihm während der Trennung vor Augen stand, oder er über einen sehr anständigen Charakter verfügen musste, der es nicht zuließ, auf unkorrektem Weg das Verhältnis zu beenden.

    Menecrates blieb stehen und strich sich über die Stirn. Die letzte Möglichkeit passte nicht zu Linos, zumindest nicht zu dem, der er früher war. Zwar musste er den neuen Linos erst einschätzen lernen, aber er riskierte nichts, wenn er die angebotenen Dienste annahm. Er drehte sich zu seinem Sekretär und entschied: "Wir knüpfen dort an, wo wir vor Jahren aufgehört haben."

    Damit machte er deutlich, dass alles zwischen ihnen als geklärt galt. Er ging zu seinem Schreibtisch und nahm Platz.

    "Dein letzter Auftrag bestand in einer Reise mit heiklem Auftrag. So in etwa wird deine erste Aufgabe auch sein und sie beginnt, sobald du dich reisefähig fühlst." Er blickte hoch und erkundete die Reaktion, bevor er zu einer Karte griff und sie Richtung Linos schob. "Ziel deiner Reise wird Themiskyra sein. Das ist eine Stadt weit im Osten, in der Provinz Cappadocia. Ich kann von hier aus nicht einschätzen, ob es ratsam ist, zunächst die Hauptstadt aufzusuchen, oder direkt nach Themiskyra zu reisen. Du wirst selbstständig Entscheidungen treffen müssen."


    Er wartete auf die Reaktion, bevor er Einzelheiten preisgab. Sollte sich Linos nicht in der Lage sehen, hielt Menecrates es für klug, ihn nicht mit Wissen über die Mission auszustatten.

  • Entsetzen tat sich in mir auf. Wie ich musste schon wieder weg aus Rom, von hier, der Villa Claudia? Ich spürte und merkte es selber, wie sich dieses Entsetzen in meinem Gesicht wiederspiegelte. Osten,Themiskyra, Cappadocia
    schwirrten durch meinen Kopf die ander Richtung. Die Richtung meiner Heimat. Unbewusst tat sich ein Hoffnungsschimmer in mir auf. *selbstständig Entscheidungen treffen* klar ich traf immer wieder selständige Entscheidungen, deren Ergebnis aber leider öfter nicht so gut ausgingen.

    Entsetzen aber auch Traugigkeit lagen wohl in meinem Blick als ich den Claudier anschaute. „Dominus auf der Impetus, dass letzte woran ich mich von dort erinnere ist, ich hatte mich zum Wasserfass gebeugt eine Kelle voll Wasser geschöpf und trank. Was dann weiter geschah keine Ahnung, als ich aufwachte schmerzte mein Kopf und ich war in Ketten. Wird das wieder geschehen? Gibt es die Impetus noch? Wenn ja benutze ich die? Muss ich alleine weg? Willst du das ich verschinde? Glaub mir ich gehe auch so wenn du das möchtest. Oder verkauf mich einfach. Ein wenig wirst du bestimmt noch für mich erhalten.“

    Bestimmt war es besser denn ausser Menecrates war keiner mehr hier den ich noch kannte und der schien auch genug von mir zu haben. Was um Gottes Willen sollte ich in Cappadocia und dann noch in dieser mir unbekannten Stadt? Zurerst Mogontiacum dann Tolosa und jetzt wohl Themiskyra. Wer wollte dort schon sein?

    Noch immer schaute ich mit dem mir eigenem Blick der zur Zeit einiges von seinem alten Funkeln eingebüßt hatte zu meinem Herrn. Da war kein unterwürfiges zu Boden schauen mehr, welches man mir eingebleut hatte.

  • Menecrates sah das Entsetzen und hörte die von Furcht getragenen Worte. Er konnte unmöglich einen solchen Sklaven auf eine der wichtigsten Missionen der letzten Jahre schicken. Ein Scheitern wäre vorprogrammiert. Wie gut, dass bislang außer dem Reiseziel keine Einzelheiten zur Sprache kamen. Er würde jemand anderem den Auftrag anvertrauen müssen. Ein Sklave, der bei der Übertragung von Eigenverantwortung als erstes daran dachte, man wolle, dass er verschwindet, war weder belastbar noch vertrauenswürdig. Menecrates eignete sich von Person her nicht zum Seelentröster und aktuell schlug er sich mit etlichen Problemen herum. Er brauchte Unterstützung und keine weiteren schwierigen Situationen. Er brauchte Personal, das ihn unterstützte, entlastete, Arbeit abnahm.


    "Tja, so wird das nichts", entgegnete er, während er den Kopf schüttelte. "Ich werde den Auftrag jemand anderem geben. Danke Linos, du kannst dann wieder gehen." In Gedanken ging er die anderen Sklaven durch, aber schloss diese Möglichkeit beizeiten aus. Er würde einen bezahlten Mann beauftragen.

  • Panik breitete sich in mir aus. Das Leben war so etwas von ungerecht, jetzt war ich einmal wirklich ehrlich gewesen und hatte einen kurzen Einblick in meine Gefühle und Gedanken gegeben, da misstraute man mir. Sonst wusste Menecrates, dass ich mir alles zurecht bog wie es gerade passte und er schickte mich los. Ich durfte mich sogar um
    Familienangelegenheiten kümmern. Dies jagte mir durch den Kopf als ich nach draußen ging.

    „Nein Dominus so geht das nicht.“ Abrupt drehte ich mich um und ging zurück. „Auch wenn ich jetzt wegen meines Widerspruchs bestraft werden sollte muss du mich anhören. Ich bin zurückgekommen weil ich wusste, du hast mir trotz meiner Fehler vertraust und jetzt wo ich einmal ehrlich bin und kurz etwas von mir zeige, misstraust du mir?
    Wenn ich dir nun sage ich kann das und schaffe das muss du mir glauben. ....Was auf dem Schiff geschah, ich weiß es nicht, was ich aber weiß, es war nicht meine Schuld. Ich bin alleine durch Germanien bis nach Belgica gestreift, von Tolosa nach Rom und du wunderst dich über einen Augenblick des Schreckens wenn ich sofort wieder los soll. Das
    bedeutet aber doch nicht das ich versage. Heißt es nicht, wer Furcht hat ist ein guter Kämpfer, wer nicht ist dumm oder so ähnlich. Ich habe keine militärische Ausbildung und bin doch immer durchgekommen. Bitte lass es mich machen.“

    Was sollte ich noch anführen um einiges seiner Zweifel zu zerstreuen. War von nun an mein Leben sinnlos? Ich wollte nicht zum Feld- und Wiesensklaven werden.

  • In Gedanken vertieft bemerkte Menecrates kaum, wie Linos den Raum verließ. Als der Sklave kurz darauf wieder eintrat, blickte er ihn verwundert an. Die Verwunderung wuchs, je länger Linos sprach.

    "Ich muss dich anhören?" Das Erstaunen spiegelte sich auf seinem Gesicht wider, gleichzeitig machte sich ein Schmunzeln breit. Er hatte offensichtlich die richtigen Knöpfe gedrückt, um die Lebensgeister in Linos zu wecken. Dieses weinerliche Hampelmännchen von eben konnte er nicht ernst nehmen und nicht gebrauchen. Nicht einmal die Porta hätte Menecrates ihm anvertraut.

    "Wie ich sehe, hast du deinen Mut draußen wiedergefunden. Nimm‘s mir nicht übel, Linos, aber du warst in erster Linie dumm. Deine Schlussfolgerung von eben verdient dieses Siegel. Ich gebe dir einen Auftrag, erwähne die Wichtigkeit dessen und erwarte selbstständiges Handeln, während du annimmst, ich will dich loswerden. Man konnte dir in der Vergangenheit viel nachsagen, aber an schräge Rückschlüsse kann ich mich nicht erinnern."

    Insgeheim freute sich Menecrates, in seinem ehemaligem Scriba wieder mehr von der alten Persönlichkeit zu erkennen. Die garantierte zwar keine Umgänglichkeit, aber stattdessen Klugheit, Witz und Tatendrang.

    "Ich muss dir gar nichts glauben, aber ich werde es", antwortete er auf die erneut gewählte, recht unverschämt klingende Formulierung. Ein Sklave, der seinem Herr anwies, was er tun müsse, gehörte nicht zu Menecrates' Idealvorstellung eines Unfreien, aber so verhielt sich Linos schon immer. Der Claudier hatte sich längst daran gewöhnt.

    "Furcht und Angst sind keine guten Wegbegleiter", widersprach er. "Sie entziehen Kraft, die schwächt, oder sogar lähmt. Respekt vor Herausforderungen halte ich für angebrachter."

    Die Planung konnte beginnen und Menecrates zog erneut die Karte heran. Dieses Mal blickte er selbst darauf. Linos konnte sich neben ihn stellen, wenn er was sehen wollte. "Gut, gehen wir es an. Der Seeweg ist der kürzeste und vor allem einfachste: Sicilia, Achaia und dann zwischen Thracia und Bithynia durchfädeln. Themiskyra ist eine Hafenstadt.Wie praktisch für uns."

  • CharislausHatte ich es nicht gesagt? Vor kurzem noch in der Taberna Palindromos , *er appelliert an die Vernunft und den Verstand.* Ja Claudius Menecrates mochte alt geworden sein, hatte aber nichts eingebüßt, weder Verstand, Wille noch Sturheit. Ich hatte ja erfahren er war beim Militär. Wieder einmal oder noch immer ich wusste es nicht. Aber wenn er wie Charislaus sagte bei den Cohortes Urbanae war konnte er eigentlich nur noch das höchste sein. Welcher Titel, Rang oder wie das hieß wusste ich nicht, denn ich hasste das Militär, war gegen Waffen und Gewallt und das wusste mein Herr. Das war schon seltsam, ich war gegen alles wofür er stand und trotzdem vertraute er mir, schickte mich wieder los.

    Interessiert trat ich neben Menecrates und schaute auf die Karte. Mein Herz begann zu flattern, ich sah Griechenland und wenn auch nicht nicht so nahe bei der von Menecrates ausgewählten Route, mein Kreta. Ich musste ganz schön schlucken. Um mich zu fassen begann ich wie üblich mit reden. "Benutze ich dein Schiff oder organisierst du oder ich ein anderes Schiff. Kommt der gleiche Kapitän mit, bin ich alleine unterwegs?" Und dumm sollte er mich nicht nochmal nennen.

  • Die Fragen prasselten, ohne dass Menecrates eine Chance bekam, zwischendurch zu antworten. Immerhin zeugte das Stakkato vom erwachten Tatendrang. Als die Frage nach dem Kapitän kam, blickte der Claudier verwundert auf. "Hast du etwas gegen Plato?" Das Interesse an ihm konnte natürlich auch einen amourösen Hintergrund haben, weswegen er grinsen musste, bevor er sich erneut der Karte zuwandte. Linos und Plato konnten kaum verschiedener sein, aber mitunter zogen sich Gegensätze an. "Auf dem Schiff bist du nicht alleine, sonst schon", antwortete Menecrates, während er weiter die Karte studierte. Schließlich gab er auf, Reisezeit und Proviantmenge zu überschlagen. Plato konnte das besser und würde den Auftrag dazu erhalten.


    Der Claudier richtete sich auf. "Natürlich nehmen wir mein Schiff. Wozu sonst habe ich es, wenn nicht für spontane Einsätze. Nimm mit, wen du für brauchbar hältst, aber aus der Villa kann ich momentan niemand entbehren. Ich habe lange alleine gelebt und die Sklavenanzahl dementsprechend angepasst. Jetzt ist nach Victor und dir auch Stella eingezogen und ich möchte nicht so lange mit der Abreise warten, bis ich das Personal aufstocken konnte. Die Impetus liegt in Ostia vor Anker. Du bekommst ausreichend Geld mit." Da niemand vorhersehen konnte, welche Bedingungen Linos erwarteten, musste der Betrag groß ausfallen, damit das Unterfangen nicht an fehlenden Mitteln scheitern würde. Kurzzeitig flammten Bedenken auf, weil er den neuen Linos noch nicht einschätzen konnte, aber er schob sie fort. Linos eignete sich damals und aktuell musste er das Risiko eingehen. Bei einem Fremden konnte er nicht einmal auf vergangenes Vertrauen setzen.


    "Verwahre es gut."

    Weder Befehl noch Bitte, er formulierte es als Empfehlung, die Hoffnung beinhaltete. "Außerdem gebe ich dir - wie das letzte Mal - ein Schreiben mit, das dir die Unterstützung staatlicher Stellen sichert und du nirgends aufgehalten wirst. Du reist in meinem Auftrag. Basta!" Er setzte dabei nicht auf sein innewohnendes Amt, sondern auf die Tatsache, dass der Name Claudius für Vermögen stand.


    "Das sind die Reisebedingungen. Reiseziel ist das Auffinden eines mir nahe stehenden Römers. Sein Name ist Aulus Tiberius Verus. Es wird viel von deiner Findungsgabe abhängen, ob die Reise von Erfolg gekrönt ist, denn wäre die Aufgabe leicht, müsste ich nicht nach ihm suchen. Dann stünde er längst allein vor meiner Tür." Er atmete einmal hörbar durch, dann fügte er an: "Bring ihn nach Möglichkeit lebend nach Hause. Solltest du von seinem Tod hören, dann erwarte ich Beweise."

    Er wartete, ob Linos Fragen zum Auftrag äußerte.

  • „Ich gegen Plato, nein, er aber gegen mich und wenn ich so zurück denke hatte ich ja eine Zeit lang den Verdacht er hätte mir einen übergezogen und mich über Bord geworfen. Doch Macro hätte das bestimmt nie zugelassen.“

    Ja er war der den ich am meisten vermisste.

    Sicher Menecrates Schiff, was stellte ich auch so eine dumme Frage. Victor und Stella, wer war das denn nun schon wieder? Über nichts war ich hier mehr informiert. Dabei war ich einst hier der wichtigste Sklave, zumindest hatte ich das angenommen. Dabei fiel mir wieder ein.
    “Dominus, bitte entschuldige bitte ich habe da eine Frage dich mich schon seit Tagen beschäftigt, was hast du zur Zeit für ein Amt inne?“ So nun war es raus.

    Ja gut, das mit dem Geld ging in Ordnung, doch Menecrates wusste bestimmt noch, das Geld für mich nicht so wichtig war. Aber es beruhigt eben wenn man es hatte.

    Bei der Erwähnung des Schreibens nickte ich heftig, ja das war eine gute Sache und konnte sehr hilfreich sein. Langsam war ich aber gespannt wen ich da suchen sollte. Einen Sohn oder Enkel einen anderen Verwandten oder einen Bekannten?

    Aha, Aulus Tiberius Verus. Der Name sagte mir nun gar nichts. „Der Tiberier war privat unterwegs oder hatte er einen Auftrag? Ist er einfach verschwunden oder wollte er verschwinden? Versteckt er sich vor der Welt oder dem Gesetz?“

    Hoffentlich nahm der Claudier, mir die vielen Fragen, die nicht alle freundlich waren, übel. Immerhin schien er ihn gut zu kennen und sich um ihn zu sorgen.

    „Ich werde mein bestes geben um ihn ausfindig zu machen.“

    Ein beruhigender Gedanke schlich sich ein, ich konnte mitnehmen wen ich wollte, nur die Auswahl war mehr als gering.

  • Beruhigend klang die Erklärung zu seiner Nachfrage in Bezug auf Plato nicht, aber weder konnte Menecrates Linos auswechseln, noch den Kapitän. "Ihr müsst euch miteinander arrangieren. Er ist ein ungehobelter Klotz, aber ich traue ihm nicht zu, mein Eigentum ruinieren zu wollen. Dafür geht es ihm bei mir viel zu gut. Ich vertraue ihm."

    Plötzlich griff Linos ein gänzlich anderes Thema auf. Zunächst legte sich Menecrates' Stirn in falten, aber dann leuchtete ihm ein, dass sein Sklave - sollte er jemals befragt werden - natürlich wissen musste, welches Amt sein Herr innehatte. Wo auch immer Linos die letzten Jahre weilte, es musste weit hinter den Bergen sein, denn das Amt des Stadtpräfekten übte Menecrates seit Jahren aus. Vielleicht gab es aber auch keine Möglichkeiten, an Nachrichten aus dem Imperium zu gelangen.

    "Praefectus Urbi, mit einer kurzen Unterbrechung seit Jahren", antwortete er. "Die Zeit vergeht, ohne dass wir es bemerken." Er sann der Vergangenheit nach, riss sich aber nach Kurzem los und konzentrierte sich auf das Thema Verus samt Linos' Reise - zumal er die diesbezüglichen Nachfragen nicht eindeutig beantworten konnte.

    "Kompliziert", warf er als Erstes ein, rückte sich auf dem Stuhl zurecht, lehnte sich mit verschränkten Armen an und bemühte sein Gedächtnis, um an längst verstaubte Erinnerungen zu gelangen. "Tiberius Verus war Trecenarius bei der Garde. Das Komplizierte an der Sache ist, dass er einerseits Befehle vom Kaiser empfing, aber gleichzeitig kurz vor seinem Verschwinden von seinem Praefectus in unkorrekter Weise in den Boden gestampft wurde." Da Linos ein kluges Bürschlein war, holte Menecrates weiter aus. Je mehr Linos wusste, umso besser konnte er im Zweifel schlussfolgern. "Um ehrlich zu sein schien mir Tiberius , als ich ihn zuletzt gesprochen hatte, zerstört. Nicht verstört, sondern zerstört." Sein Blick streifte Linos, bevor er sich einen imaginären Punkt im Zimmer suchte und weiter in Erinnerungen schweifte.

    "Ich habe ihn als Klient angenommen, um ihn zu stützen. Tiberius handelte damals richtig, im Übrigen im Einklang mit mir, und der Praefectus Praetorio agiert mit Willkür. Ich kann also nicht ausschließen, dass sich Tiberius um den Sinn seines Daseins gebracht sah, aber ich will nicht daran glauben. Es besteht ebenso eine realistische Möglichkeit, dass er im Auftrag des Kaisers reiste, untergetaucht ist, oder aus irgendwelchen Gründen keine Möglichkeit besteht, dass er von allein nach Rom zurückfindet."

    Menecrates breitete die Hände aus, weil er die Möglichkeiten nicht eingrenzen, Linos aber hoffentlich trotzdem weiterhelfen konnte.

  • Sicher,was sollte ich auch anders machen als mich mit dem Kerl arrangieren, schließlich war ich auf ihn angewiesen und nicht umgekehrt. "Praefectus Urbi, darüber gibt es nur noch den Kaiser“, sinnierte ich vor mich hin. Was soll mir da also passieren?

    Trecenarius war der also, er gehörte zu den Schwarzen, wie wir unteren sie nannten. Gehörte der dann nicht zu den gemeinen Fieslingen der Praetorianer, den Speculatores? Herje was hatte mein Herr nur für Freunde, und ich musste für so, einen durch die halbe Welt reisen. Auf das Zusammentreffen war ich jetzt schon gespannt.

    Hoffentlich sah mir Menecrates meine Gedanken nicht gleich an, der hatte ja bekanntlich einen Blick für so etwas. Deshalb nickte ich hin und wieder Bedeutungsschwer zu seinen Ausführungen. Man hatte ihn, den Tiberier also zerstört, bedeutete das jetzt etwa, er war schwachsinnig oder noch schlimmer verrückt geworden? Wie jetzt, der Kaiser schickt so einen für Sonderaufträge los? Was hatte ich doch für ein Glück ich konnte die ganze Kraft meiner Gebete zu einem Gott schicken und nicht wie die Römer auf hunderte von Göttern verteilen. Er der wahre würde mir schon beistehen.

    „Dominus wenn ich kurz zusammenfassen darf. Den Reiseweg hast du soweit es geht für mich abgesichert. Alles was nach der Schiffsanlandung geschieht ist meine Sache. Und da gibt es auch keinen weiteren Punkt an den ich mich noch orientieren könnte. Außer das er möglicher Weise in Themiskyra ist und dort meine Suche beginnt.“

    Ausgerechnet als Speculator ist er unterwegs, da kann er ja alles und jeder sein.

    Vorsichtig begann ich: „Wenn keiner weiß in welchem Zustand er ist woran kann ich ihn denn erkennen?“

    Bisher hatte ich immer versucht meine Ziele irgendwie zu erreichen, doch das hier schien mir eine fast unlösbare Aufgabe zu sein.

    Schwer atmete ich ein. „Wann geht es los? Bleibt mir noch Zeit einen Freund zu fragen ob er mitkommt?“ Inständig hoffte ich das Charislaus mitkommen würde, so einen wie ihn brauchte ich jetzt. Sein Herr war Optio noch was, bei meinem Herrn, konnte dieser den Befehl geben das der Gute mit kam? Das wusste ich leider nicht, also musste ich vorerst abwarten. Auf jeden Fall würde ich die Taberna aber noch aufsuchen, denn verabschieden war schließlich das mindeste was ich machen konnte.

  • In den Hierarchien kannte sich Linos offensichtlich aus, daher sparte sich Menecrates einen Kommentar darauf. Vielmehr befasste er sich mit den nachfolgenden Äußerungen, denen er zunächst aufmerksam lauschte. Linos sollte ohne jede Unklarheit auf Reisen gehen, denn unterwegs gab es niemand, bei dem er nachfragen konnte.

    Der Claudier nickte, als Linos feststellte, dass er - sobald er von Bord ging - auf sich alleine gestellt war. "Kein weiterer Punkt", bestätigte Menecrates, während er bedauernd den Kopf schüttelte. Stella kannte immerhin den Ort Themiskyra, um die Suche überhaupt an einem bestimmten Fleck starten zu können. Nicht auszudenken, wenn sie zunächst die Provinzen hätten einkreisen müssen.

    "Das ist der Grund, weswegen ich kaum jemand anderen losschicken kann. Du bist gescheit, auch gewieft, weißt dir zu helfen, kannst dich in verschiedenen Sprachen verständigen, kannst Lesen und Schreiben. Du eignest dich als Kundschafter." Das Gelingen einer Mission hing entscheidend von den Kundschaftern ab. Im Fall von Linos fand Menecrates den Alleingang sogar von Vorteil, denn mit Linos kam nicht jeder zurecht und auch Linos nicht mit jedem. Eine Gruppe fiel außerdem mehr auf als ein Einzelgänger. Mehr als zwei Personen sollten keine Nachforschungen anstellen.

    Auf die nächste Frage, fand Menecrates nicht sofort eine Antwort. Da er nicht wusste, wo und in welchem Zustand sich Verus befand, konnte er unmöglich erahnen, woran dieser zu erkennen sein würde. Er kratzte sich vor dem Ohr, strich sich anschließend über den Bart und blickte Linos ratlos an. "Ich befürchte, er wird nichts bei sich haben, was ihn ausweist. Seinen Ring trug Stella, seine Tochter, bei sich." Er atmete einmal durch, während er grübelte, dann aber fiel ihm etwas Unverwechselbares ein. Er lächelte, bevor er antwortete: "Verus' Ausstrahlung ist einzigartig. In dem Moment, wo du dich über die Maßen unwohl fühlst, vielleicht Angst um dein Leben oder deine Gesundheit hast, DANN stehst du Verus gegenüber - kalte Augen, Todesverachtung." Menecrates freute sich, dass ihm dieses Erkennungsmerkmal eingefallen war. Sein Lächeln stand in einem irrwitzigen Kontrast zum Inhalt seiner Auskunft.

    "Los geht es so schnell wir möglich. Ich lasse umgehend Vorbereitungen zum Ablegen treffen. Heute hast du in jedem Fall noch Zeit, eine Begleitung zu ordern, vielleicht auch noch morgen. Sie sollte allerdings verlässlich sein, oder du hältst dich in Äußerungen zum Zweck der Reise zurück. Wir wissen ja nicht, welche Umstände Verus von der Rückkehr abhalten."

  • Über das Lob, von wegen der Eignung als Kundschafter freute ich mich, leider verging mir diese bald.

    *Verus' Ausstrahlung ist einzigartig. In dem Moment, wo du dich über die Maßen unwohl fühlst, vielleicht Angst um dein Leben oder deine Gesundheit hast, DANN stehst du Verus gegenüber - kalte Augen, Todesverachtung.* hörte ich.

    Ich stand da, vergaß Gott und die Welt und starrte ein Loch in die gegenüberliegende Wand. Das konnte Menecrates nicht wirklich meinen was er da sagte. Er lieferte mich tatsächlich so einem Ungeheuer aus. Wie sollte ich den denn nach Rom schaffen? Mehrmals musste ich schlucken ehe ich begann: „Er hat“ , krächzte ich, räusperte und begann wieder: „Er hat keine Narbe oder Tätowierung, an der er zu erkennen ist?"

    Ich wartete auf ein ja oder nein als Antwort auf meine Frage, um danach möglichst schnell das Atrium zu verlassen. Mir ging einfach nicht Menecrates Lächeln aus dem Sinn. War er jetzt stolz auf sich, weil ihm diese Beschreibung eingefallen war oder auf Verus, weil der so ein irrer Kerl war?

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