Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    "Wie bereits angedeutet, halte ich es für äußerst bedeutsam, die Stabilität und Ordnung des Staates zu wahren. Dies kann nur dadurch geschehen, dass Gesetze und Verordnungen eingehalten werden. Besonders die Marktordnung wird darob meine Aufmerksamkeit finden, denn es ist dies etwas, was jeden von uns betrifft, ob einfacher Bürger oder Senator."
    Unbezweifelt trafen Verstöße der Marktordnung nicht jeden gleichermaßen, doch dies war eine andere Angelegenheit.
    "Darüber hinaus liegt mir auch die kultische Infrastruktur sehr am Herzen, in meiner Funktion als Pontifex erwarte ich mir hier ein wenig mehr Möglichkeiten noch, als den Aedilen üblicherweise gegeben ist. Vor allem die Sanierung des Tempels des Mars Ultor, welche seit langer Zeit bereits überfällig ist, werde ich zu einem Abschluss bringen."
    So es notwendig würde sein durch seine eigenen Arbeiter und mit seinem eigenen Vermögen, denn fehlende Instandhaltung der Tempel war stets ein Zeichen von moralischem Verfall, doch erwähnte er dies nicht, da sein Unmut ob des schleichenden Vorankommens dieser Sanierung nicht Angelegenheit des Senates war. Das Aedilat würde ihm auch im Collegium Pontificium den notwendigen Einfluss verschaffen, dies mit mehr Nachdruck voran zu treiben.
    "Natürlich sollen auch die Spiele nicht zu kurz kommen, vermutlich werden es die Ludi Ceriales sein, so die Möglichkeit mir gegeben wird."
    Auch, dass dabei unbezweifelt Ludi Scaenici würden Bestandteil sein, erwähnte Gracchus nicht, denn zu vielen der Senatoren stand der Sinn stets mehr nach trivialer Belustigung durch die Spiele der Arena oder des Circus, doch bevor nicht gesichert war, dass er überhaupt Spiele würde ausrichten, wollte er sich vorerst nicht festlegen, ob er wie traditionell zu den Cerealia vorgesehen zusätzlich vorwiegend auf Circusspiele würde setzen oder doch auf die Kämpfe der Arena.

    Trotz der Tatsache, dass seit geraumer Weile er einen Gutteil seiner Zeit in diesem Gebäude verbrachte, trotz dessen, dass an den geführten Diskussionen er längst sich ohne Zaudern beteiligte, so beschlich Gracchus dennoch ein klammes Gefühl, als vom Consul aufgerufen er vor den Senat trat, um erneut sich um ein Amt des Cursus Honorum zu bewerben. Doch in diesem Falle würde er nicht um ein Amt bitten, in welchem er den Weisungen anderer Magistrate würde folgen, er würde um ein Amt bitten, welches nicht nur Einfluss, sondern auch enorme Verantwortung würde mit sich bringen. Ein klandestines Zittern legte sich ob der Aufregung wegen über seine Finger, doch mit ein wenig Fortunas Glück würde es allenfalls in der ersten Reihe noch zu bemerken sein, gleichsam bestand die Hoffnung, dass die Aufmerksamkeit der Senatoren weniger auf seinem Körper, denn auf seinen Worten würde liegen.
    "Patres conscripti, seit geraumer Weile nun bin ich, Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titus Vespasianus, Teil dieses ehrwürdigen Gremium, so dass ich meine Zeit nun gekommen sehe, dem Staat erneut mit all meiner Kraft zur Verfügung zu stehen. Aus diesem Grunde kandidiere ich zum Amte des Aedilis Curules und bitte euch darob um eure Stimmen bei der kommenden Wahl. Gerade in diesen prekären, ein wenig ungeordneten Zeiten muss es unsere Pflicht als Senatoren sein, dem Staat und seinen Bürgern jene Stabilität zu gewährleisten, für welche das römische Imperium steht, und dies kann nur dadurch geschehen, dass wir unermüdlich den Aufgaben des Cursus Honorum nachgehen. Den Aedilen fällt hierbei eine essentielle Rolle zu, denn ihrer Verantwortung obliegt die Kontrolle und Aufsicht über zahlreiche Bereiche des Lebens dieser Stadt. Es ist mir ein Anliegen, dass in all jenen Bereichen die Ordnung und Stabilität gewahrt bleibt, welche Rom stets groß gemacht haben, wobei mir besonders die Sicherheit der Stadt, die Einhaltung der Marktordnung und die Aufsicht über die Tempel am Herzen liegen. So ihr gewillt seid, mir jene Verantwortung anzuvertrauen, werde ich mein Amt mit der Gewissenhaftigkeit und dem Pflichtbewusstsein ausfüllen, welche mich stets im Staatsdienste leiten."

    Keinesfalls war Gracchus verstimmt von Zorn oder Wut, obgleich der leise Klang seiner Selbst noch immer ein wenig unharmonisch schwang ob der Derangierung und Missbilligung des bisherigen Verlaufes des Mahls. Den Disput in all seiner Couleur hatte er gelernt, studiert, geübt, doch trotz allem war nie ein streitbarer Mensch aus ihm geworden, ließ ein jeder Streit ihn nicht nur unbefriedigt, sondern gleichsam mehr nur ratlos zurück. Caius' Nahen indes wischte Hader, Sorge und Missstimmung hinfort, bereits sein Anblick gereichte dazu, die Mundwinkel Gracchus' zu heben, eine Woge warmen, wohligen Schauers ihn umspülen zu lassen, an welchem selbst die offensichtliche Erschöpfung seines Vetters kaum nur konnte etwas ändern. Während Gracchus noch in der Degustation des Anblickes seines Geliebten gefangen war, stellte Lucanus bereits seine Schwester vor, und da Gracchus in diesem Augenblicke es an der notwendigen Aufmerksamkeit mangeln ließ, war im Nachhinein er sich nicht mehr gänzlich sicher, ob sein Neffe die genaue Art der Verwandtschaftsbeziehung bereits erwähnt hatte oder nicht. Noch einmal hob Gracchus den Becher, diesmalig im Ansinnen, Lucanus' Prosit auf die Familie noch einmal aufzugreifen.
    "Da wir nun vollzählig sind, auf die Familie, anwesende, wie auch jene in der Ferne und jene, welche bereits uns verlassen hat."
    Nach einem Schluck Wein drehte Gracchus das Gespräch einmal um sich selbst und wandte es in eine gänzlich andere, arbiträre Richtung, als wären sie eben erst zusammen gekommen.
    "Nun, da die Amtszeit bald vorüber ist, hast du dir bereits Gedanken darob gemacht, wie es weiter geht, Lucanus?"
    Dass Aquilius seinen Weg bereits vorausgeplant hatte, stand für Gracchus außer Frage.

    Die Stille, welche sich für einige Herzschläge zwischen ihnen ausbreitete, war keine jener Art, welche unangenehm auf das Gemüt schlug und welche man darob eiligst versuchte, zu vertreiben, es war ein klandestines Flüstern im eisigen Winterwind, Atemhauch im flirrenden Licht eines heißen Sommertages, gleich dem Rascheln nackter Füße auf weichem, anschmiegsamem Frühlingsgras, gleich dem säuselnden Vorhang fallender Herbstregentropfen, ein merkwürdiges Verständnis, welches zwischen ihnen hing. Corvinus' Worte durchsegelten diese Stille in einer sanften Strömung, das sublime Lächeln auf seinen Lippen malte zarte, von den Strahlen einer aufgehenden Sonne in lachsfarbene Couleur getauchte Cirrocumuli vor den seichten, hellblaufarbenen Himmel, auf welchem die Bewegung seiner Hand, den Pokal abstellend, feine, konzentrische Kreise hinterließ, gleich einem Stein, welcher die ruhige Oberfläche eines Sees durchstieß, um zum Grunde dessen hinab zu sinken.
    "Das politische Amt mit der kultischen Pflicht zu vereinen, erscheint auch mir nicht einfach. Es bleibt stets so viel zu tun, allem voran dann, wenn nicht mit nichtigen Halbherzigkeiten man sich zufrieden geben möchte, und noch viel mehr, wenn im Grunde die Zeit ohnehin knapp ist."
    Wie geschickt ein Mann auch seine Zeit organisieren und einteilen mochte, stets gereichte das Schicksal dazu, sie ihm dann zu rauben, wenn es ihm bereits an ihr mangelte, während an ohnehin ob ihrer Ödnis fatiganten Tagen kaum je Unerwartetes geschah, was Zeit für sich einforderte.
    "Dennoch bin ich der Meinung, dass dies ebenso Chancen bietet, welche einem Magistraten oder Angehörigen eines Collegium nicht gegeben sind. Gerade jene Quaestoren, welche sekretarische Aufgaben wahrnehmen, haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf jene, welche sie mit diesen Aufgaben unterstützen. Nicht nur ob dessen kannst du mit meiner Stimme rechnen, sowohl in Hinsicht auf die Wahl, als auch deinen Wunsch in Rom zu bleiben betreffend. Es ist wichtig, dass die Collegien besetzt sind, gleichsam kann ich deine Bedenken hinsichtlich der Familie durchaus nachvollziehen. Wir tragen stets Verantwortung für jene, welche uns nahe sind, doch es ist schwer, dieser nachzukommen, so sie fern sind."
    Einen Moment lang dachte er an seine Schwester, welche sich auf eines der Güter außerhalb der Stadt hatte zurück gezogen - ein Grund hierfür war unbezweifelt auch ihr Wunsch seiner Verantwortung und Reichweite zu entkommen, denn in patrizischen Familien galten andere Gesetze denn die des Staates, welche einem Mitglied sui iuris die Verfügungsgewalt über sich selbst allzu bald zugestanden. Lange hatte Gracchus mit sich in Hader gerungen, was diesbezüglich zu unternehmen sei, doch letztlich tolerierte er dies ebenso wie die Untätigkeit seines Bruders, nicht nur ob dessen, da solange sie fern Roms weilten, sie nicht nur nicht der Pflicht ob des Staates und der Familie konnten nachkommen, sondern gleichsam sie auch nicht in rebellischer Weise gegen sie konnten aufbegehren - wie er bei Minervina stets die Befürchtung hegte, dass sie solcherlei in ihrer Impulsivität würde tun. Es brachte darob weder Ruhm, doch auch keine Schande über die Familie, so dass Gracchus dies nicht weiter wollte in Frage stellen und sich an der daraus resultierenden diesbezüglichen Ruhe erfreute, da das Leben in Rom ohnehin stets für genügend anderweitige Aufregung Sorge trug.
    "Ich selbst haderte ebenfalls ob meiner Pflichten als Pontifex mit der Entscheidung, das Aedilat anzustreben, unbezweifelt ist es eines der arbeitsintensivsten Ämter, zudem nicht eben ein kostengünstiges Unterfangen. Doch letztlich ist es längstens Zeit dazu, zudem bin ich der Ansicht, dass gerade in der augenblicklichen Situation es von eminenter Bedeutsamkeit ist, die Stabilität des Staates zu wahren, worauf eben die Aedile großen Einfluss nehmen können, sind sie es doch, welche für Kontrolle und Einhaltung zahlreicher Verordnungen Sorge tragen, welche das alltägliche Leben Roms tangieren."

    Kalt und schneidend fuhr die Luft durch Gracchus' Kopf, als er um Contenance bemüht sie scharf durch seine Nase einsog. Obgleich es die Familie war, welche stets ihm an erster Stelle stand, so verstand er sich selbst doch augenscheinlich bestens darauf, jener vor den Kopf zu stoßen. Lucullus schwieg sich aus, doch schwang immer leiser Vorwurf gegenüber seinem Bruder in seiner Stimme mit, Minervina dagegen brauste in flavischem Temperament auf und bekundete ihren Unmut ob seiner familiären Vorstellungen ganz offen, und Serenus - Serenus hatte ähnliche Vorhaltungen ihm entgegen gebracht wie Lucanus nun. Sensibel, feinfühlig - er mochte dies sein, unbezweifelt, doch nur in sich selbst, tief in sich verborgen, denn dies waren Eigenschaften welche ein Philosoph oder ein Künstler zur Schau konnte stellen, einem Patrizier jedoch, einem Flavier stand solcherlei nicht gut zu Gesicht, von welchem stets Strenge, Härte und Durchsetzungsvermögen wurde verlangt. Allfällig war dies der Grund, dass die Götter ihm die eigene Familie verwehrten, denn so er nicht einmal für jene konnte Sorge tragen, welche außerhalb seiner direkten Verantwortung standen, wie sollte er dies für seine Nachkommen? Gleich Lucanus wollte Gracchus sich erheben, die Flucht antreten, doch er blieb wo er war, denn es war an ihm, diese Familie zusammen zu halten, noch immer und immer noch. Er sehnte sich nach Caius, dessen Ausgewogenheit und Ruhe, welche stets dazu gereichte, die Welt um ihn herum, seine Welt in Harmonie zu halten. Mühsam unterdrückte Gracchus ein Seufzen.
    "Setze dich wieder, Lucanus. Bitte."
    Kein Widerwort duldete seine Stimme, keine Flucht, obgleich die Härte daraus verbannt war. Viel zu genau verstand er Lucanus, kannte er den Schmerz ob des Todes eines geliebten Menschen, kannte er die Wirrungen des Lebens. Dass sein Neffe eben dies nun in den Raum warf, verriet deutlich, wie sehr der Tod seiner Mutter noch immer ihm nach hing.
    "Der Verlust ist es, von welchem wir uns stets wünschen, dass er allmählich erst in unsere Sinne dringt, da der Mensch dazu neigt, zu glauben, mit einem Stück Verlust besser zurande zu kommen denn mit dem ganzen. Glaube nicht, dass ich darob nicht wüsste, Lucanus, denn ich habe fortwährend stets ihn mit einem kräftigen Schlage ins Gesicht erhalten. Doch das Auftauchen einer Schwester ist kein Verlust. Es ist dies eine freudige Überraschung, ein Ereignis, welches in dem Augenblicke, da es sich in deinem Leben materialisiert, zu feiern gilt. Sie ist deine Familie, Lucanus, deine engste Familie, das Wertvollste, was in deinem Leben derzeit existiert, und es ist dein Recht, sie ab dem ersten Augenblicke ihres Erscheinens zu schätzen. Vor allem Gedanken an Verlust, vor jedem Zweifel, welcher dir ob dessen an deiner bisherigen Existenz erwachsen mag, vor all dem steht diese deine Familie, und weder kann dich irgendetwas auf dies vorbereiten, noch ist dies notwendig."
    Langsam lehnte Gracchus sich zurück.
    "Vor allem dann nicht, wenn dies ohnehin nur Farce ist, wenn jener marginale Augenblick des sorglosen Glückes längst vergangen ist."
    Was blieb hernach? Gracchus hatte keine Antwort darauf, denn das Schicksal hatte ihm seine neu gewonnene Familie ebenso schnell geraubt, wie sie ihm gegeben worden war. Er hatte alles gegeben und er hatte alles genommen, geblieben war nur der Verlust, nicht nur seines Bruders, auch der seiner Base.

    Allmählich versteifte sich Gracchus' Körper, die legere Haltung des Abends verflüchtigte sich und wieder baute eine Spannung sich auf, eine fest gezurrte, strapazierte Lyrasaite, welche bei feinster Berührung würde bersten und ihre beiden Enden schnalzend durch die Luft fahren lassen. Es war keine sonderlich gute Idee, ihn dieser Tage zu reizen, denn noch immer lastete die Konstellation seiner Ehe schwer auf Gracchus' Gemüt, so dass der flavische furor beständig in ihm auf und ab schwankte, und er all zu leicht nur dem Vermächtnis seiner Ahnen verfiel.
    "Wie hättest du sie sonst erwartet?"
    zwängte Gracchus zwischen zusammen gepressten Zähnen hervor, entschloss sich doch dann, sie auseinander zu bringen für die nachfolgenden Worte.
    "Sie wird dir auf dem Silbertablett serviert, ist dies nicht genug für deinen zarten Gaumen? Du bist erwachsen, Lucanus, ein Flavier dazu. Du solltest lernen, dass sich unvorhersehbare Ereignisse nicht mit den Fanfaren eines Triumphzuges ankündigen und darauf warten, bis du auf deinem mit weichen Kissen gesäumten Throne sie in Empfang nimmst. Dies ist Rom. Unvorstellbares und Unerwartetes ereignet sich beständig, ob auf dem Forum, in einer schäbigen Insula der Subura, zwischen den Ufern des Tibers oder aber in deinem eigenen Heim. Gewöhne dich daran, bevor es Dispater ist, welcher dir von hinten auf die Schulter klopft."
    Der Teller vor ihm wanderte ein Stück zur Mitte des Tisches hin, obgleich noch immer drei sorgsam arrangierte halbe Eihälften auf ihre Vernichtung warteten, doch Gracchus griff nach dem Becher mit verdünntem Wein, ein Caecuber, an der Küste Latiums angebaut, und nahm einen kräftigen Schluck.

    Wie so oft bereits zuvor, in unzähligen Gesprächen, an zahllosen Tagen, zu ungezählten Gelegenheiten, relativierten Aquilius' Worte nicht nur ein Leben, sie gaben ihm den Sinn, die Berechtigung des Daseins und ließen jeglichen Zweifel und Hader zu diffuser Unkenntlichkeit verwischen. Mochte das Leben eine Lüge sein, mochte es ein Spiel sein, solange nur Caius ein Teil davon war, so lange war es wert, gelebt zu werden, dessen war Gracchus sich ein jedes Mal mehr als nur sicher, und ein schmales, beinahe glückliches Lächeln kräuselte ob dessen sein Lippen, zumindest so lange, bis dass sein Vetter ihm vor Augen führte, was er seit jeher wusste und gleichsam fürchtete, die sittsame Tugendhaftigkeit seiner Gemahlin. Welchen Mann sollte sie schon wählen, der neben Dir bestehen könnte, mein Manius? Welchen von all den Tausenden, welche weit besser dazu geeignet waren als er, welchen aus der Masse, welche Antonias Körper von den kleinen Zehen an bis in die Haarspitzen würden begehren und würdigen, welchen von all jenen, welche sich nach ihr würden verzehren wie er stets sich nur nach einem konnte verzehren?
    "Schließe nicht von dir auf sie, mein Caius, sie hat mitnichten nur halb so viel Wohlgefallen an mir wie du selbst. Ist es nicht ein Unterschied, ob eine Frau dich begehrt oder sie bei dir liegt, weil dies ihre Pflicht ist? Ich kann nicht mir ihren Körper einverleiben, kann nicht ihn unter meinen Händen zum Beben und Erzittern bringen, kann nicht mit allen Sinnen sie verschlingen und Teil ihrer werden, wie mir dies bei dir möglich ist. Sie hat so viel mehr verdient als das."
    In aller Fasson verstand es Aquilius, sein Schwert Stück um Stück in Gracchus' Körper hinein zu treiben, ihm Ausflucht um Ausflucht zu zerstören, und letztlich keinen Ausweg denn die Akzeptanz der Wahrheit zu bieten. Es ging nicht darum, ob er glaubte, dass Antonia besseres würde verdient haben, es ging einzig und allein darum, was seine Gemahlin brauchte, was sie sich wünschte. Er wusste dies nicht, noch immer nicht. Langsam ließ er seinen Kopf nach vorne hin sinken, auf Aquilius' Schulter hinab, und ließ ihn auf dem Körper des Geliebten ruhen.
    "Oh, Caius, warum nur, warum? Wie viele unzähligen Ehen werden geschlossen, welche weit schlimmer sind als die unsere, wie viele zahllosen Ehemänner huren tagein, tagaus in fremden Betten, während ihre Gemahlinnen Kind um Kind austragen? Warum kann nicht ich dich lieben und dennoch ..."
    Er kniff die Augen zusammen und presste die Lippen aufeinander, während er mit sich kämpfte, den Wallungen der langsam sich empor drückenden Emotion Einhalt zu gebieten.

    Ein wenig noch rückte Gracchus die Berge auf den Eiern zurecht, zog einen schmalen Gebirgspass mit dem Messer darüber, bevor er sie in der Mitte teilte und die erste Hälfte der Hälfte - ein Viertel darob, um genau zu sein - in seinem Munde verschwinden ließ, der gustatorischen Pläsier sich hingab. Exquisit zeigte sich die Kombination als das türkisfarbene Eierboot mit dem roséfarbenen, flaumigen Segel auf dem dunkelblaufarbenen Meerestrom an seinem Gaumen vorbei segelte, ihn zärtlich liebkoste und nach dem Sturz in die Tiefe seiner Kehle einen samtigen Nachgeschmack auf der Zunge verbleiben ließ. Der Tadel seines Neffen indes blieb nicht folgenlos, schon bahnte eine Rechtfertigung in seinen Sinnen sich den Weg, eine Exkulpierung gleichermaßen, ehedem er sich dessen bewusst wurde, dass Lucanus' Entrüstung völlig unbotmäßig war, da kein Scherz im Raume schwang.
    "Familiäre Angelegenheiten gereichen mir niemals zu Scherzen, Lucanus."
    Ohnehin überkam Gracchus selten der Drang, einen Scherz zu äußern, auch anderer Angelegenheit nicht.
    "Es ist dies eine Tatsache und Celerina weiß darum. Desweiteren ist sie nicht deine Halbschwester, sondern ebenso Tochter deiner Mutter."
    Allmählich löste sich die heimliche Pläsier ob der Überraschung und Gracchus begann vielmehr sich ob dessen zu sorgen, was eine solche Erkenntnis in Lucanus mochte auslösen. Seine eigenen Eltern waren der Täuschung erlegen gewesen, ihren Sohn Quintus verloren zu haben, doch Gracchus wusste, dass er ihnen in anderem Falle hätte gezürnt, dass er selbst in diesem Falle ihnen ein wenig ob dessen zürnte, da sie seinen Zwilling allzu bald hatten aufgegeben. Celerina mochte die Phase des Haders, allfällig des Zornes bereits durchschritten haben, doch Lucanus mit solcherlei Tatsache beim Essen zu konfrontieren, zeugte nicht eben von wohl überlegter Sensibilität. Viel zu oft ertappte sich Gracchus letztzeitig dabei, solcherlei Entscheidungen allzu hastig zu treffen, sich der wohlbedachten Reflexion zu berauben, welche ob dessen wäre angebracht. Während die glibberigen Austern Lucanus' Kehle hinab rauschten, begann Gracchus seine Kiefer aufeinander zu pressen und den stets in solcherlei Augenblicken der Reue aufbrandenden Fluchtreflex zu unterdrücken.

    "Aber nein, nicht Celerinus."
    Unerträglich war die Spannung, beinah mit einem der auf dem Tisch liegenden Messern zu durchschneiden, doch zwang sich Gracchus zur Ruhe und lud sich zwei Eihälften auf den Teller. Muscheln konnten ihn nicht locken, doch er wusste um diese Vorliebe vieler Flavier, und auch Lucanus schien hierbei keine Ausnahme zu sein. Gracchus selbst widmete sich mit größter Entzückung eher absonderlichen Kombinationen, darum er die Pinienkernhaube von den Eiern abkratzte, reihum die Löffel aus den kleinen Schälchen mit Tunke hob und vor seine Nase hielt, deren Flügel im Hauche des Odeurs leicht bebten. Honig-Kümmel - eine Spur von Violett in einem Meer aus Rot-, Melone-Anis - grasfarbene Schlieren in dunkelgrünfarbenem Sumpf-, Haselnuss-Senf - ockernfarbener Grundton überlagert von sattem Gelb-, und - Gracchus zögerte, während seine Augen marginal sich weiteten und seine Nasenflügel im neuerlichen Luftzug der Geruchsschwingung erzitterten. Ein leicht öliger Grundton, im Blau des Meeres, allfällig Olive, darüber der feine Klang von ... ja von was? Kirsche? Traube? Pflaume? Verwirrt tippte Gracchus seinen kleinen Finger in die zähe Masse auf der Laffe des Löffels und kostete davon. Kaskadierendes Rosé inmitten eines tief dunkelblaufarbenen Warmwasserstromes vor der Küste Achaias, von einer fedrigen, flaumigen Konsistenz. Genüsslich leckte Gracchus sich mit der Zungenspitze über die Lippen und kleckste einen kleinen Berg der Tunke je auf die Eihälften. Welch überaus delektabler Abend. In feierlichem Ernst genoss Gracchus so auch seine nächsten Worte.
    "Gaius Flavius Maximus natürlich, dein Vater, Lucanus."
    Wäre dies ein Komödienstück des Plautus, ein Raunen müsste nun durch die Zuschauermenge gleiten, doch da dies einzig ein ganz privates flavisches Mahl war, störte nichts dergleichen den Moment der - vermuteten - Überraschung, so dass nurmehr die leise Kulisse aus Besteck- und Geschirrklappern und dem Schaben der Sklavenfüße über den Boden blieb.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Er war ein junger Bursche, gerade angekommen in Achaia, und alt genug eingeweiht zu werden in die Geheimnisse des Lebens. Der Septemvir Valerius Victor, jener Mann, welcher ihn in die Strukturen des Cultus Deorum hatte eingeführt und darob das Paradigma eines Lehrmeisters war, trat vor seine jungen Schüler hin und erhob den Zeigestab.
    "Wehrte discipuli, am heutigen Tage werden wir die Gattung Flavius ein wenig näher in Augenschein nehmen. Zuerst einmal sammeln wir die Anforderungen, welche gemeinhin durch die Gesellschaft und die Familie an ein Exemplar eines vollwertigen Flavius, Flavius maior, gestellt werden. Dies wären da ein umfassendes Maß an Bildung, ein ausreichendes Maß an persönlichem Ehrgeiz die Familie öffentlich in Perfektion zu repräsentieren, ein stets aufs härtester trainierte Körper, denn mens sana in corpore sano, die gerade, aufrechte Haltung und das stolz empor gereckte Haupt, eine makellose Karriere, eine überaus favorable Bindung zur Gattin aus ebenbürtigem Hause und mindestens einen Nachkommen, welcher die Linie in eben so adäquater Weise fortführt. Sieht sich der Flavius außer Stande, eines dieser Kriterien zu erfüllen, so rutscht er zu einem Flavius minor ab, ein leidlich von Gesellschaft und Familie geduldetes Exemplar, welches allenfalls aus Mitleid noch als niederrangiges Mitglied der Familie toleriert wird. Betrachten wir nun eingehend einige Exemplare der Gattung Flavius."
    Valerius Victor klappte eine überdimensional große Schreibtafel in Lebensgröße auf und Felix trat aus ihrem Inneren hervor, hinterließ den Abdruck seines Körpers im weichen Wachs.
    "Flavius Felix"
    , setzte Valerius an.
    "Der äußerst erfolgreiche Senator, ein wenig nachlässig mit seinem Körper, doch die besten Jahre liegen bereits hinter ihm, und für seine Nachkommen hat er längstens Sorge getragen, denn neben seiner prächtigen Karriere hat er zwei prächtige Söhne vorzuweisen und lässt es darum weder an gesellschaftlicher, noch an familiärer Akzeptanz mangeln."
    Der Septemvir klappte erneut die Wachstafel auf und Aristides stolperte daraus hervor.
    "Flavius Aristides, stets korrekt, auf dem besten Wege zu politischer Karriere, der Körper durch hartes, militärisches Training wohl geformt und die Sinne stets beieinander, wenn auch nicht immer geradeaus gerichtet."
    Valerius drehte Aristides an der Schulter, so dass sie ihn von allen Seiten konnten bestaunen.
    "Standbild des perfekten Vaters und mehr als nur in der Lage, intelligente, prächtige Nachkommen zu zeugen, so dass auch seine Akzeptanz außer Frage steht."
    Erneut öffnete sich die Wachstafel, Furianus trat daraus hervor, den Kopf stolz erhoben.
    "Senator Flavius Furianus, ich muss wohl nicht erwähnen, wie erfolgreich seine Karriere ist, und es versteht sich von selbst, dass er hierbei über jeden Zweifel erhaben ist. Sein Durchsetzungsvermögen gleicht aus, was an guter Kinderstube und Weitsicht fehlt, seine Ehe wurde bereits arrangiert und es steht außer Frage, dass er in Kürze mit wundervollen Nachkommen gesegnet sein wird."
    Ein letztes Mal öffnete sich die große, wächserne Schreibtafel und entließ Aquilius aus ihrem Inneren, hinterließ eine geschmeidige Form, deren unausgefüllte Leere bereits Begierde in ihn zu erwecken vermochte. Jedoch, er schluckte diese herab, konzentrierte sich auf den Körper und die zugehörigen Erläuterungen des Valerius Victor.
    "Der Flavius maior in seiner Perfektion, Flavius Aquilius. Ein wohl gestalteter Körper in all seiner Güte, bis ins letzte Detail adorabel, Verstand und Esprit, mühelos erringt er die Herzen der Gesellschaft, wie auch der Familie. Er zeugte bereits erfolgreich einen Sohn, der wenngleich er auch ein Bastard sein mag, bester Beweis ist, dass Aquilius zukünftig seine Linie in vielfältiger und zahlreicher Art und Weise fortzusetzen wird wissen. Dies, meine lieben discipuli, ist ein Flavius maior, wie er euch allen als Vorbild dienen sollte. Die vollkommene Perfektion indes erreicht er mit einer adäquaten Gattin, welche nicht notwendigerweise die seine sein muss, da er in der Lage ist, jeden Ehemann aufs beste zu ersetzen, explizit und insbesondere einen solchen, welcher nicht seinem Standard entsprechen kann. Womit wir die Spitze der Perfektion nun hinter uns lassen müssen, und uns mit einem kurzen Überblick jene traurigen Geschöpfe zu Gemüte führen wollen, welche wenn überhaupt nur noch den Titel Flavius minor verdienen."
    Der Setpemvir öffnete eine gewaltige Pergamentrolle, pinnte diese an der Wand fest. Mit seinem Zeigestab deutete er auf das erste, aufgemalte Bildnis.
    "Flavius Domitianus - dessen Name ich nicht einmal nennen dürfte, wenn dies kein Traum wäre -, fehlgeleiteter, dem Wahnsinn anheim gefallener Kaiser, welcher die Dynastie der flavischen Kaiser zu Grabe trug. Zwar zeugte er ein Kind, doch jenes war ebenfalls minderwertig und zu schwach zum Leben, weshalb er keinen Erben hinterließ."
    Valerius deutete auf das nächste Bildnis.
    "Flavius Animus, selbst ernanntes Oberhaupt der Christen, unzweifelhaft ebenfalls vom Wahnsinn besessen, Verrat an der Familie, ohne einen einzigen Nachkommen."
    Mit einem lauten Klacken traf Valerius' Zeigestab auf das nächste Bild.
    "Quintus Flavius Gracchus, Verbrecher und Versager auf ganzer Linie, Abschaum der Gesellschaft, durch Fremdverschulden zwar, doch tut dies in der allgemeinen Bewertung nichts zur Sache. Möglicherweise ein Nachkomme, jedoch unwahrscheinlich, vermutlich makelbehaftet."
    Ein maliziöses Lächeln schlich sich auf das Gesicht des Septemvirs.
    "Schlussendlich mit weitem Abstand das rangniederste Exemplar des Flavius minor, Manius Flavius Gracchus."
    Der Zeigestock schlug hart auf das Pult vor ihm, so dass augenblicklich er zusammenzuckte.
    "Gescheiterte Existenz von Anfang bis Ende, ebenfalls Versager auf der ganzen Linie."
    Das Gesicht Valerius' schob sich näher vor ihn, seine Augen wurden bedrohlich größer und funkelten gefährlich als ein rotfarbenes Glühen in ihnen aufloderte.
    "Mäßige, langatmige Karriere, zu tumb, eine Ehe zu führen, treibt seine Frau und seinen Geliebten gleichermaßen in den Abgrund, und zu guter letzt, was ihn gänzlich disqualifiziert, ist er nicht einmal in der Lage, zu vollbringen, was einen Mann zum Manne macht. Keine Nachkommen ist er fähig zu zeugen, der Versager, nicht einen winzig kleinen Nachkommen, nicht die Spur eines Erben, zwingt seine Frau zu ewigem Darben, Abschaum der Gesellschaft, egoistischer Verbrecher an der Ehe! Du!"
    "I-ich"
    , stotterte er und wünschte sich zu jenem unbedeutenden Staub zu zerfallen, welcher seinem Wert entsprach. Zu allem Überflusse bemerkte er schlussendlich, dass er splitternackt vor der Klasse stand, welche in größter Belustigung sich an diesem Umstande erfreuten und mit schallendem Gelächter ihn quittierten.

    ~~~


    Unruhig wälzte Gracchus im Schlafe sich umher, strampelte die Decke von sich und schaffte es gar, das Kissen aus dem Bett zu schieben, so dass sein Sklave Sciurus endlich sich anschickte, eben dies wieder in Ordnung zu bringen. Als jedoch dieser seinem Herrn den Kopf anhob, um das Kissen darunter zu schieben, erwachte jener und blinzelte verwirrt in die Dunkelheit.
    "Mnh?"
    , war der einzig unverständliche Laut, welcher seiner Kehle entrinnen mochte.
    "Nichts, Herr."
    "Hmn."
    Die Decke wieder über sich, drehte Gracchus sich um und schlief weiter.

    Derweil die Herrschaften ihre Plätze um den Tisch herum einnahmen, traten bereits Sklaven heran, kredenzten Wein, Wasser und Saft - seit Lucanus' Einzug in die Villa war der Verbrauch dessen rapide angestiegen, nachdem er mit Serenus' Abreise vorerst beinah gegen Null gesunken war -, und legten die Gedecke auf. Mit ihnen, doch gleichsam in einer völlig anderen Spähre, näherte sich ebenso Sciurus, Gracchus' Leibsklave, Agenda, Betthupferl und mehr. "Herr, ein Bote deines Vetters Aquilius erreichte soeben die Villa, mit einer Nachricht eben jenes. Die Amtspflicht hält den Herrn in der Stadt und er wird sich ein wenig verspäten, weshalb die cena bereits ohne ihn beginnen soll."
    Für einen Augenblick war ernstliches Bedauern auf Gracchus' Antlitz zu sehen, denn Aquilius war stets sein Bollwerk gegen jede Widrigkeit, vor allem gegen die Widrigkeit seiner Gemahlin, von deren Existenz er sich noch immer nicht ganz hatte lösen wollen, solange er nicht wieder mit Antonia hatte gesprochen.
    "Ach, wie überaus deplorabel. Doch der Amtspflicht bleibt wenig uns entgegen zu setzen."
    Ein Gutes immerhin hatte dies, denn so würde es doppelte Überraschung bescheren und damit gleichsam doppelte Freude.
    "So lasse das Mahl beginnen."
    Der Sklave entfernte sich leisen Schrittes, Gracchus wandte der Familie seine Aufmerksamkeit wieder zu und wartete kurz, bis alle sich einigermaßen bequem platziert hatten.
    "Ihr wisst, wie verworren bisweilen die Zweige unserer Familie sich gestalten ..."
    Im Grunde war es für die Anwesenden nur graue Theorie, denn der einzige, welcher die Verwirrungen der Familie seit langem stets hatte erlebt, war Gracchus selbst, doch wie so oft vergaß er darauf, dass nicht allen Menschen der gleiche Blickwinkel auf die Welt gegeben war.
    ... und oftmals gereichte uns dies nicht eben zum Vorteil, doch manches Mal birgt dies ebenso freudige Überraschungen. Heute ist ein Tag, welcher uns letzteres einbringt."
    Zwei Sklaven traten heran und stellten eine Platte mit hart gekochten Eiern, welche mit einer Kräuter-Pinienkernhaube überzogen waren, und eine Platte mit diversen Früchten des Meeres - rohe Austern, überbackene Klammermuscheln, Krebsbeine und Calamare in Ringen -, samt einer Auswahl diverser Tunken, auf dem Tisch ab, währenddessen Gracchus sich mühevoll zu einer Pause zwang, um die Spannung zu steigern, welche vermutlich für niemanden schwerer zu ertragen war denn ihn selbst.
    "Celerina ist solch eine freudige Überraschung, denn sie ist die Tochter des Gaius Maximus."
    Wie ein Kind vor den Saturnalia freute sich Gracchus, obgleich wenig davon nach Außen drang, während er auf die Reaktion Lucanus' wartete, diesen nicht aus den Augen ließ. Zu gut wusste er selbst, wie es war, sich einem bis dato unbekannten Geschwister gegenüber zu stehen, obgleich es noch ein wenig merkwürdiger mochte sein, seinem erschreckend similären Abbild gegenüber zu stehen, und er hätte viel darum gegeben, sein eigenes Gesicht in jener Situation gesehen zu haben, obgleich das Mienenspiel seines Bruders durchaus eine Entschädigung für die Unmöglichkeit dessen gewesen war.

    Je näher sie körperlich sich kamen, desto mehr wurde sich Gracchus einmal mehr dessen bewusst, dass er keinem Menschen je würde näher kommen, dass kein Mensch je konnte für ihn wichtiger sein denn sein über alles geliebter Vetter. Weshalb hatte die Natur nur solcherlei vorgesehen, während gleichsam dagegen sie sich wehrte?
    "Es war dies so, Caius, eine Lüge seit ich Athen verließ, seit ich versuchte dem Leben zu entkommen, welches mir vorbestimmt war, gleichsam wie auch mir selbst. Als dieses Leben in Rom seinen Anfang sollte nehmen schob ich meinem Vater weitere Studien vor, dir selbst schrieb ich nur ennuyante, sinnentleerte Nichtigkeiten, während auf Creta ich mein Vermögen verschleuderte und versuchte ein Bildnis zu geben, welches nicht im geringsten mir entsprach, noch je wird entsprechen. Es fand dies seine Spitze schlussendlich in einem Desaster, welches mich letztlich dennoch nach Rom hin trieb, da es keinen anderen Ausweg mehr gab, doch selbst hier fand der Trug nicht sein Ende, fand nurmehr seine Fortführung in dieser Ehe und der Politik dieses Reiches. Weder für das eine, noch für das andere sehe ich mich sonderlich befähigt, und doch folgte ich stets den Erwartungen, trieb ich stets diese Lüge voran, denn was bleibt uns sonst, Caius? Allmählich gewinne ich einen gelösten Blick über all dies, allfällig schleicht sich Einsicht und Erkenntnis doch mit dem zunehmenden Altern in unseren Geist, doch gerade ob dessen möchte ich nicht all dies von neuem wieder beginnen. Ich bin es leid, meine Energie darauf zu verwenden, zu verschwenden, eine Illusion um mich herum zu erschaffen. Meine Ziele sind noch immer die selben, doch sie sind längst nicht mehr der einzige Sinn dieser Existenz, betreffen sie doch längst nicht mehr nur mich selbst."
    Er hatte gehofft, sie würden eines Tages seine Söhne und Töchter betreffen, und obgleich er sie aus seinen Worten vertrieb, so war die schmerzliche Qual der Endgültigkeit längstens nicht aus ihm entwichen. Doch er würde nicht diesen Schmerz auf Caius und Antonia abladen, nicht auf Caius, niemals wieder.
    "Wohl hast du recht, Caius. Das Schweigen allein und die Tatsache, dass Antonia weiter an meiner Seite wird harren, wird ohnehin der Welt Beleg dafür sein, dass dies nicht ihre Unzulänglichkeit ist. Doch mir liegt sehr viel daran, dass sie nicht dies mehr ertragen muss als ohnedies, denn trotz allem haben wir dieser Ehe vor den Göttern geschworen und mehr denn je ist es meine Pflicht, ist es mein Wunsch, sie zu schützen vor allen Widrigkeiten. Die Liebe erwächst in der Ehe - heißt es nicht so? Leidenschaft wird kaum je Teil dessen sein, womöglich gereicht es nicht einmal dazu die Bezeichnung Liebe zu verdienen, und doch ist es ein Gelöbnis, eines jener, welchen ein Mann ohne Hader folgen muss."
    Beinahe fühlte sich Gracchus an die philosophischen Stunden mit seinem Vetter erinnert, endlose Überlegungen, tiefgründige Ideen, theoretische Betrachtungen, und so er verdrängte, dass er es war, von dessen Ehe sie sprachen, so wollte er all die Gedanken wortreich mit Aquilius teilen, welche sonstig so tief in ihm verborgen blieben.
    "Wenn die Götter uns würden zürnen, so zürnten sie bereits von Beginn dieser Ehe an, doch erinnere dich, dass dies nicht der Fall war. Ich bin nicht einfältig diesbezüglich, mag gegenteilig die Praktiken des Cultus Deorum besser kennen als viel andere, doch der Flamen Dialis selbst führte das Opfer bei unserer Eheschließung durch und er war nicht angewiesen, die vitalia schön zu lesen."
    Zumindest Gracchus selbst hatte nicht dafür Sorge getragen, obgleich bei näherem Nachsinnen womöglich Felix seine Hände im Spiel gehabt haben mochte. Dennoch, Antonia und er hatten auch hernach noch gemeinsam geopfert und kein Widerwillen der Götter entdecken können.
    "Was soll ich noch tun, Caius? Wahllos Frauen begatten und warten bis eine von ihnen ein Kind mir gebiert, an welchem ich dennoch würde Zweifel hegen, denn wie sollte ich sicher sein, dass sie dies nicht mir unterschiebt aus diversen Gründen? Oder Antonia bedrängen, Abend um Abend, bis allfällig sie ein Kind in sich trägt, von welchem ich sodann nur würde bezweifeln, dass nicht einem Sklaven sie es abgerungen hat? Glaubst du nicht, dass bereits zu viel Zeit verstrichen ist, in welcher nichts geschah?"
    Auch die Endgültigkeit betreffend hatte Aquilius gewiss recht, doch gleichsam war es längst zu spät. Gracchus' Chance war vertan, letztlich würden je nur Zweifel in ihm bleiben. Ob dessen wandte er seinen Blick von den Augen seines Vetters, an ihm vorbei dem Grund zu, der wie stets einem endlosen Abgrund glich.
    "Ich will nicht Antonia noch unnötig plagen, da ich niemals ihren Körper in solcher Art werde wertschätzen können, wie sie dies verdient hätte."
    Es war nicht, dass er sich selbst dies wollte ersparen, denn er hatte nie Aversion gegen den Körper einer Frau verspürt, war stets der Erwartung nachgekommen, ohne doch je jenes unbändige Verlangen zu spüren, jenes elysäische Vergnügen, welches ihn im Angesicht eines männlichen Körpers überkam. Doch Antonia hatte besseres verdient als einen pflichtschuldigen Körper und einen weit abschweifenden Geist. Sie würde Alternativen sich suchen, wie so viele andere Frauen vor, mit und nach ihr, Sklaven und Liebhaber, und er würde nicht einmal dabei wegsehen müssen, obgleich er längstens nicht sich darob sicher war, mit welchem Gefühl er würde solcherlei begegnen. Vordergründig würde kaum ihn dies tangieren, doch letztlich würde es ebenso seinen Stolz treffen, wie er dies beständig selbst Antonias Ehre widerfahren ließ.

    Ad Consul Sextus Seppius Septimus, Villa Seppia Septima, Roma



    Senator Manius Flavius Gracchus Consul Sextuo Seppio Septimo s.p.d.


    Hiermit möchte ich meine Kandidatur zum Amte des Aedilis Curulis für die Wahl zum Cursus Honorum ANTE DIEM VII KAL MAR DCCCLVIII A.U.C. (24.2.2008/105 n.Chr.) bekannt geben und ersuche um die Möglichkeit, dieses Anliegen vor dem Senat vertreten zu dürfen.


    M.F.G.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Leise und unscheinbar plätscherte das Wasser silbernfarben dahin, Tropfen um Tropfen rann aus dem Winkel des leblosen Auges, schwebte hinab in den purpurfarbenen Ozean, und warf dort unbändige Wellen auf, die in schäumender Weise das kahle Ufer zu umarmen suchten. Fremdartig verlief die ausgedachte Spur vor ihm im Sande und doch passte jeder Schritt, passte die Form seines Fußes in jede vorgeformte Mulde. In freudigem Entzücken küssten die granularen Körner die oberen Schichten der Haut unter seinen bloßen Füßen, drängten sich freudig beieinander in die Zwischenräume seiner Zehen, um einzugehen in ihrem trockenen Hader in das Zaudern seines Körpers hinein. Mauvefarben umhüllte ihn der Hauch der Bedrängnis, umschmeichelte seinen Körper, der an Konsistenz verlor, denn als der Himmel sich bäumte und die Schatten sich überwarfen, waren Füße längst nicht mehr angebracht, da der Weg verloren war. Nur mehr ein Wort blieb von ihm, die Idee eines Gedankens, und ein ferner, leiser Name aus der Vergangenheit, der in entzücktem Reigen um die pergamentenen Säulen sich wandte, um darauf sich zu ergießen ihn orphischer Manier. Schwebend, in einer tragenden Schwere, fließend, in stofflicher Konsistenz, erwachte die Glut im Inneren des Vulkanes und entzücktes sich in persistierendem Gleichmut, bis dass er jeden Berg spüren konnte, das Gewicht des Felsens, die endlose Höhe, jeden Baum hören, das leise Flüstern der Blätter, das Rascheln der Wurzeln im Grund. Er war sich jedes Ozeans bewusst, der endlosen Tiefe, der blaufarbenen Weite, und er schmeckte jedes Meer, das bitter kalte, algige Wasser, er sah den Frühling ankommen, er sah den Sommer erblühen, er sah den Herbst ausharren und den Winter einschlafen. Er war jeder Wald, endlos verworrenen, er war jeder Baum, vom Keim bis zum Ahn, er war alles, er war in sich, war alles, war jeder Ozean, jedes Land, er war jedes Meer, jeder Atemhauch. Er war ...

    ~~~


    ... bis zum Anbrechen des Morgens, denn mit dem Öffnen der Augen, mit der Rückkehr in die festen, unumstößlichen Dimensionen seiner Realität war er schlicht und einfach nur Gracchus. Wie jeden Tag zuvor.

    Es war eine bedeutende Grenze, die erste Mauer Roms, jene Stadtumrahmung, welche Romulus selbst hatte um seine Stadt gezogen, der heilige Bezirk des pomerium. Längst hatte Rom die Grenzen jener Mauern gesprengt, hatte selbst die nächsten Umfassungen schon hinter sich gelassen, drängte mehr und mehr nach Außen, so dass das pomerium selbst nur mehr einen kleinen Anteil an der ewigen Stadt ausmachte. Die lustratio hatte es diese Grenzen noch nicht einmal erreicht und Gracchus wurde gewahr, dass er nie in seinem Leben je das pomerium hatte zu Fuß umrundet. Wie hatte er dem nur im Collegium Pontificium zustimmen können? Er spürte seine Füße, obgleich er hatte geglaubt, dass nichts an dem brennenden Schmerz in seinen Knien vorbei kommen konnte - welcher allmählich sich nach dem Abwärts vom Capitol nun zu seinen Hüften hin auszubreiten begann und von oben durch den Druck in der Schulter Unterstützung erhielt -, so war er sich doch unzweifelhaft jedes einzelnen Partikels seiner Füße bewusst. Ein wenig hatte Gracchus während seiner Ausbildung in Achaia auch die Anatomie des Menschen studiert und obgleich er nicht bis ins Detail über solcherlei Dinge bescheid wusste, so schien es ihm, als seien die zahllosen Knochen, welche in den Füßen üblicherweise für einen stabilen Schritt sorgten, zerbarsten und bohrten sich nun in unzähligen Splittern von Innen heraus in seine Fußsohlen hinein. Jeder Schritt schien sich schmerzhaft durch den ganzen Körper auszubreiten und letztlich zurück zur Schulter zu führen, auf welcher der halbe Ochse zu ruhen schien. Zumindest letztere Annahme schien allfällig - wenn auch völlig exorbitiert - nicht gar so weit hergeholt, denn tatsächlich glaubte Gracchus, dass Sulpicius Geta direkt vor ihm - ein Vetter oder Neffe des dacischen Statthalters, genau konnte man solcherlei nie wissen, denn ähnlich wie auch in der Flavia wurden Verwandtschaftsgrade in vielen Familien nicht gar so genau gezählt, es sei denn, sie waren besonders eng und vorteilhaft -, ein wenig zu tief in den Knien ging und die Schulter eine flache Hand breit unter der Tragestange trug, spärlich nur durch den Stoff der Toga verdeckt, und dies bereits seit sie den kapitolinischen Hügel hinter sich hatten gelassen.
    "Sulpicius."
    "Ja?"
    "Bedenke, die Götter sehen alles. Doch bedenke ebenfalls, dass du an vorderster Position stehst und noch genauer als die Götter darum jene Männer hinter dir deine Arbeitsscheu bemerken. Sei dir dessen gewiss, dass solcherlei der Beginn einer langen politischen Durststrecke könnte werden."
    Der Körper vor Gracchus richtete augenblicklich sich wieder ein Stück weit gerade, das Holz kam auf Sulpicius' Schulter auf.
    "Ich ... oh ... keine Sorge, Flavius, nie zuvor war mir das Gewicht der Verantwortung des Senates deutlicher, doch ich trage es mit allem Stolz eines Senators."
    "Nichts anders habe ich vermutet, Sulpicius, nichts anderes."
    Zumindest lenkte die Acht auf den Vordermann für einige Momente die Acht auf den eigenen Körper ab.

    Noch ehe Antonia zu Wort kam - womöglich war dies ohnehin besser - trat bereits Celerina in den Raum, jene Flavia, ob deren Erscheinen Gracchus die Gelegenheit hatte genutzt, die Familie abendlich zusammenkommen zu lassen, obgleich durchaus auch andere Dinge anstanden, angesprochen zu werden. Da Celerina bereits selbst ihre Vorstellung übernahm, wäre er beinahe darum herum gekommen, folgte ihr nicht auf stehendem Fuße ihr Bruder Lucanus, welcher noch immer nichts von seinem geschwisterlichen Glück wusste - so nahm Gracchus an-, ein Umstand, welcher ihm ein schalkhaftes Blitzen in die Augen trieb.
    "Guten Abend, Lucanus."
    Da an diesem Abend keinen Förmlichkeiten musste genüge getan werden, wies Gracchus über die Klinen, welche je seitlich derjenigen standen, auf welcher Antonia und er ihren Platz fanden.
    "Wohin du möchtest, es wird sich nur die Familie einfinden."
    Womit eben die junge Dame bereits einsortiert war.
    "Lucanus, dies ist Flavia Celerina. Celerina, dies ist Cnaeus Lucanus, Sohn des Gaius Maximus."
    Die Katze aus dem Sack - in diesem Falle die Schwester - wollte er erst dann lassen, wenn auch Aquilius sich hatte eingefunden, welcher vermutlich ohnehin würde zu spät kommen, da er seine Aufgaben als Vigintivir stets mit größter Sorgfalt erledigte und darob oft bis in den Abend hinein beschäftigt war. Zumindest Celerina indes wusste bereits jetzt, wer wie einzuordnen war - dass sie dies ohnehin bereits wusste, davon ahnte er nichts, und bedachte die junge Frau mit aufmerksamen Blick ob ihrer Regung in Hinsicht auf ihren Bruder.