Der engste, den ich habe. Irrational war die Furcht, welche in Gracchus ob Corvinus' Worte erwuchs, erneut schlich ein Hauch von Eifersucht durch die Räume seines Gedankengebäudes, gerade so filigran, als dass er mit einem direkten Blicke nicht zu fassen war, nur allenthalben in den Augenwinkeln als diffuser Schatten sich abzeichnete und sich sogleich verflüchtigte, so Gracchus versuchte ihn zu fixieren. Doch mochte bisweilen der Aurelier womöglich auch mehr in Aquilius sehen denn nur einen Freund, Gracchus vertraute seinem geliebten Vetter, mehr als sonst irgendwem auf dieser Welt, und jener hatte die Furcht längst von ihn genommen, in eindringlichen Worten und eindringender Tat, so dass im Grunde sie nicht mehr war vorhanden - wenigstens so lange niemand die massive Türe zum Kellergewölbe des mentalen Gebäudes hin aufschloss, die Tausend krummen Stufen aus tief schwarzfarbenem Granit dort hinab stieg, den Deckel der schweren, eisernen Truhe anhob und letztlich noch die dünne, lederne Schicht entfernte, welche jenen kleinen Kern stetigen, furchtsamen Zweifels umhüllte, welchen Gracchus bezüglich seines Geliebten dort hatte verborgen.
"Für uns selbst mögen wir akzeptieren können, was wir sind, Aurelius. Doch dies bedeutet längst nicht, dass die Welt um uns herum dies tut. Gleichsam mag die Welt vergessen, so man das Fundament der Erinnerung ihr entzieht, doch wie können wir diese Grundlage ihr entziehen, wenn wir doch sind, was wir sind und gleichsam dies nicht verleugnen können, ohne uns selbst dabei zu verlieren?"
Es sagte dies kaum mehr als eine substanzielle Philosophie aus für jenen, welchem nicht gegeben war, auf jene grazile Schwingung zu reagieren, welche unweigerlich in Gracchus' Tonfall anklang, doch gleichsam schufen seine Worte eine Brücke zum anderen Ufer, so der Schall dieser auf einen Klangkörper stieß, welcher ihn zu fassen vermochte. Ein leises Gefühl beschlich Gracchus selbst beim Anblick seines Gegenübers, das reagible Schwingen feinster Sinne, Gräsern gleich, die im Winde erzitterten, ident dem Erbeben marginalster Härchen im Inneren der Nase im Hauche eines fremden Odeurs oder jener Membran im Inneren des Ohres beim Herannahen eines Flüsterns. Er war schön, jener Aurelius Corvinus - harmonische Züge umschmeichelten starke, ausdrucksvolle Augen, die Lippen schwangen sich in perfekter, ebenmäßiger Linie und allenthalben durchfurchte die Verwunderung seine Stirne, was einen Ausdruck von starkem Charakter ihm verlieh. Zu früheren Zeiten, vor Jahren einmal, mochte dieser Anblick dazu gereicht haben, Gracchus' Sinne schwindeln zu lassen, ihn zu übergießen mit einem wohligen Schauer dürstenden Verlangens, einem warmen Sommerregen gleich, ihn eintauchen zu lassen in einen Ozean aus dahintreibender, vergeblicher Sehnsucht - doch dieser Tage war alles Verlangen gestillt, jede Sehnsucht erfüllt, und seine Sinne von tiefster Zufriedenheit hinsichtlich seiner Bedürfnisse saturiert. Caius war alles, nach was sein Herzen es je hatte gedürstet, und er war kein Mann, welcher sich nach Erreichen seiner Ziele in blinde Willkür musste ergeben, um die Suspense des Reizes aufrecht zu erhalten, gegenteilig wusste er genau, dass sein Leben lang er sich würde in nie endender Hingabe, in ewiglich währender Euphorie an seinem Geliebten würde delektieren können, ohne dass auch nur eine Spur von Ennui würde in ihm erwachsen, denn beständige Sicherheit war ihm weitaus agreabler denn abwechslungsreiches Abenteuer, von welchem ohnehin nur ihm wurde allzu schnell blümerant vor Augen. Die Wahrheit zu leben indes bezog sich in diesem Augenblicke nicht nur auf jene brisante Nähe zu seinem Vetter, welche er zwar nicht würde verleugnen können, doch gleichermaßen nie würde freiwillig offenbaren, sondern gleichsam auch auf den ihm innewohnenden Makel, für welchen es keine Alternative gab denn nicht ihn zu verhehlen, um von seiner Gattin ihn dadurch abzuwenden.
"So die Götter uns dies verwehren, muss ich lange vor dem Staat sie bereits erzürnt haben. In manchen Angelegenheiten jedoch sind selbst die Götter machtlos und müssen dem Schicksal sich beugen. Doch es ist müßig darüber zu sinnieren, glaube mir, ich habe dies lange genug getan und längst nicht beendet."
Letztlich begann und endete alles mit jenem Fluch, welcher beständig auf der Flavia zu lasten schien, doch selbst dessen war Gracchus sich längst nicht mehr gänzlich sicher. Manch eine Begebenheit im Leben indes erfüllte einen klandestinen Zweck, welcher erst weit danach wurde deutlich, manches mal allfällig niemals in diesem Leben dies mochte werden.
"Dennoch danke ich dir für das Angebot deiner Diskretion, wie auch ich trotz allem weiter eingestehen muss, dass mein Auftreten in der Tat mehr als unangemessen war."
Ein sublimes Lächeln kräuselte langsam Gracchus' Lippen, versuchte in seiner marginalen Spannung diejenige aus seinem Inneren zu lösen.
"Beinahe bin ich versucht anzunehmen, es sei deine Person, welche bald regelmäßig dazu gereicht, mich aus der geradlinigen Bahn meiner Selbst hinaus zu katapultieren. Ich hoffe darob, wir werden im Senat stets auf gleicher Seite stehen oder zumindest nicht vis á vis."
Immerhin gab es im Senat zwischen gleichen Seiten und vis á vis eine Menge diffizilster Grade, in welchen man zueinander stehen konnte. Für einen kurzen Augenblick sog Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne, bevor er weiter sprach.
"Dies ist sonstig tatsächlich nicht meine Art, derart impulsiv zu reagieren, es ist nur ... nun, sobald es die Familie tangiert, wirft das Leben augenscheinlich mich ein wenig rapider und resoluter aus der Bahn als gewöhnlich."
Es war dies durchaus ein wenig blamabel, denn obgleich die Familie einer jener wichtigsten Werte der römischen Gesellschaft war, bedeutete dies Eingeständnis dennoch eine Schwäche. Ungleich unangenehmer jedoch war jene Eröffnung, welche Corvinus folgen ließ, denn dass jener ihn und seinen Intellekt schätzte, dies mochte ihm und womöglich auch anderen kein Geheimnis sein, Gracchus indes war es bis dahin nicht unbedingt bewusst. Selten sah er sich in einer Position, in welcher von anderen er geschätzt wurde, zudem war im Angesichte solcherlei ihm stets unbehaglich, da fortwährend hinter der Ästimation er ein Missverständnis vermutete, aus jenem Grunde da er einen Eindruck erweckt haben mochte, welcher nicht im mindesten seine Person tatsächlich wiederspiegelte, und sogleich selbst sich der Subreption schuldig sah, da solcherlei Wertschätzung gänzlich jener Vorstellung entgegen stand, welche er selbst von sich hegte. Es drängte ihn danach, sich zu rechtfertigen, sich zu exkulpieren für jenen falschen Eindruck, welchen er erweckt haben mochte, doch Aquilius hatte geduldig ihm ausgetrieben, solchermaßen zu reagieren, da dies die Situation im Allgemeinen nurmehr verkomplizierte, so dass er solcherlei höchstens seinem Vetter gegenüber noch wagte. Gracchus schwieg darob diesbezüglich - denn was auch er würde sagen, es würde letztlich nur in einer notdürftigen Rechtfertigung enden - fasste den Kelch aus schimmerndem Glas, vergoss ebenfalls einen Schluck den Göttern zu Ehren, und hob hernach ihn an.
"Auf den Wert der Familie."
Während der kühle, verdünnte Wein - obgleich er keinen sonderlich ausgeprägten Gaumen für den Saft der Reben besaß, so musste selbst Gracchus bemerken, dass dies ein äußerst passabler Tropfen war - über ihre Lippen hinweg perlte, ihre Rachen umspülte, um letztlich die Kehlen hinab zu rinnen und wohlig in ihren Mägen sich auszubreiten, hing die Stille des Schweigens schwer in der Luft zwischen ihnen. Da die Situation indes bereits solchermaßen gegeben war, dass er im Hause des Aurelius eben jenem gegenüber saß, und zudem es sich anbot, um vom eigentlichen Thema ein wenig ab zu kommen, sprach Gracchus denn die Zukunft an.
"Wirst du dich zur kommenden Amtszeit erneut zur Wahl für den Cursus Honorum aufstellen lassen? Dein Vigintivirat war immerhin äußerst erfolgreich, so dass einer Quästur kaum wohl etwas entgegen steht."
Kaum einen Zweifel hegte Gracchus daran, dass Corvinus sich würde bei Zeiten für ein weiteres Amt aufstellen lassen, doch ein Mann, welchem die rechten Mittel und damit die Möglichkeit gegeben war, nicht auf ein senatorisches Amt mit aller Gewalt hin zustreben zu müssen, um die maroden Kassen wieder aufzufüllen, konnte sich immerhin Zeit dabei lassen, die Stufen des Cursus Honorum zu erklimmen, und seine Aufmerksamkeit dabei durchaus auf andere Pflichten konzentrieren.