Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Mit jeder Gabe lösten sich mehr und mehr Tropfen aus Gracchus' Augenwinkeln, mehr noch, als der Regen auf seiner Haut hinterließ. Ein Zittern hielt seinen Körper umfasst, die starre Kälte und die bedrückende Anwesenheit der Unterirdischen, die er glaubte in jedem Schatten, jedem Lumineszieren am Horizont und jedem Windhauch zwischen den Zweigen des Scheiterhaufens zu erkennen. Viel zu lange dauerte es, bis endlich alle Gaben waren abgelegt, doch hätte nicht lange genug es können andauern, da unweigerlich das Ende dessen nur zum Fortgang des Zeremoniells und dem devinitv Unwiederbringlichen führte. Keiner der Anwesenden war Leontia in Verwandschaft nah oder fern, doch niemand hatte Gracchus' Anspruch auf die Fackel in Frage gestellt, so dass nun von einem Sklaven er jene entgegen nahm, die ob des Regens beständig leises Zischen von sich gab, und erneut vor trat zum Scheiterhaufen hin. Er hoffte so sehr, dass der Geist seiner Base mit der Befreiung der Stofflichkeit des stellvertretenden Leichnams würde der Welt sich entziehen können, der entrichtete Tribut dem Fährmann würde gereichen, sie in das Reich der Toten überzusetzen, auf dass sie die Ruhe würde finden können, welche ihr zustand. In klandestiner Weise schniefte Gracchus und sog einen Atemzug lang tief die feuchte, kalte Luft in seine Lungen, um seine Stimme für die Totenrede von der Larmoyanz seines Wesens zu befreien. Keine großen politischen Taten wollten gerühmt werden, keine militärischen Erfolge, keine juristischen Schachzüge, nicht einmal die Perfektion einer Ehe - nur ein Mensch, ein Kleinod, wie die Welt es nicht wieder würde finden. Und doch war so viel mehr sie für Gracchus in ihrer Existenz gewesen - ein Muse, seine Muse - und ihr ganz allein galten die einzigen Worte seines Schaffens, welche je er hatte zu einem Ende geführt. Sie mochten nicht besonders sein, nicht exzeptionell, doch sie gehört ihr allein, mit ihr würden sie verbrennen, in tief schwarzer Tinte auf edelstes Pergament gebannt und in der ledernen Rolle verborgen, ein einziges Mal nur in die Welt entlassen, für die Unendlichkeit, für den Augenblick, für sie allein, um hernach in ewiges Schweigen sich zu ergeben.
    "Lebewohl geliebte Leontia, mögest du ewig in meinem Herzen leben,
    Denn du warst die Kraft, welche zusammen hielt, was zerrissen wurde,
    Dein Flüstern war wie der zarte Hauch der Sonne über dem Land.
    Nun gehörst du dem Elysium und die Sterne rufen deinen Namen.


    Es scheint, als lebtest du dein Leben wie eine Flamme im Wind,
    Niemals verschwandest du mit dem Sonnenuntergang,
    Nicht wenn der Regen die Welt benetzte.
    Ewiglich werden deine Spuren hier verharren,
    Entlang der Wege dieses Lebens,
    Deine Flamme erlosch, doch die Erinnerung bleibt.


    Dein entzückender Esprit ging verloren,
    Leer sind die Tage ohne dein warmes Lächeln,
    Das güldene Strahlen deiner Augen
    Und den sanften Druck deiner Berührung.
    Selbst wenn ich versuche meinen Blick zu verschließen,
    Die Wahrheit bringt Tränen in meine Augen
    Und all diese Tränen können nicht ersetzen
    All die Freude, welche du in deinen Jahren gabst.


    Lebewohl geliebte Leontia, mögest du ewig in meinem Herzen leben,
    Du warst die Kraft, welche zusammen hielt, was zerrissen wurde,
    Dein Flüstern war wie der zarte Hauch der Sonne über dem Land.
    Nun gehörst du dem Elysium und die Sterne rufen deinen Namen.


    Lebewohl, geliebte Leontia,
    Von dem Geist, welcher verloren ist ohne deine Seele,
    Welcher die Flügel deines Geistes vermissen wird,
    Mehr als du je wissen wirst.*"

    Mit zitternder Hand hob Gracchus die Fackel an den Scheiterhaufen, wandte den Blick ab. Zäh nur wollten die Zweige im Nieselregen sich entflammen - als wollten sie protestieren gegen der Base Tod - erst als er halb schielend eine Stelle fand, an welcher Pech und Öl dem Brand nach halfen, glitten langsam die Flammen auf den Haufen und schließlich auf den Leichnam über, stets jedoch begleitet von zischendem Prasseln und beißendem, graufarbenen Qualm. Die rund um den Verbrennungsplatz stehende Menge teilte sich, um dem Rauch auszuweichen, quälend langsam nur verzehrten die Flammen das Holz, während stetig das kühle Nass die Umstehenden durchnässte, und einzig vorteilhaft war, dass das auf den Haufen geworfene Parfüm nicht musste den beißenden Geruch von schwelendem Fleische überdecken. Als der Scheiterhaufen endlich so weit war herunter gebrannt, dass man mit Wein ihn konnte ablöschen, hatte längst Unruhe in die Trauerschar überkommen, manch einer trat von einem Bein aufs andere, um die Kälte aus seinem Körper zu vertreiben, manch einer rieb fortwährend seine Hände und manch einer mochte gar bereits leise mit den Zähnen klappern. Nichts davon hatte von Gracchus Besitz ergreifen können, welcher die Kälte in sich einziehen ließ, ihr Platz schuf, dass nichts je wieder sie ihn würde vergessen machen - nur das beständige Zittern seines Leibes wies auf diese Kälte, als er sich vor der Asche niederkniete, mit seinen Händen sie in die Urne aus grünfarbenem Marmor schöpfte. Nicht weit entfernt wurde alsbald das flavische Familiengrab geöffnet, ein silberner Schlüssel ließ ein in die Gruft, welche ihren gierigen Schlund preis gab, ein weiteres Mitglied der flavischen Familie zu empfangen. Verschiedene Grabbeigaben fanden neben der Urne ihren Weg in das Grabmal hinein, komplettierten die Ausstattungen, welche dort für längst Verstorbene bereits vor Jahren waren hinterlegt worden, so dass auch Leontia im jenseitigen Leben bestens würde versorgt sein. Um das schlussendlich wieder geschlossene Grab herum nahmen die Trauernden ein letztes Mal Aufstellung, auf dass sie die rituelle Reinigung konnten empfangen, obgleich die wenigen Tropfen, welche von dem in der Abenddämmerung fahlfarbenen Olivenzweig auf ihre Leiber gelangten, kaum noch konnten durch die Nässe des Regens dringen.
    "Ilicet!" fuhr scharf das Wort einer der sizilianischen Klageweiber durch die windige Dämmerung, doch kaum einer der Gäste wagte seine Stimme für ein lautes Vale zu erheben, als sie mit leisem Gruß sich vom Grabmal entfernten. Als einer der letzten verließ Gracchus den Ort, an welchem nichts als der Tod seiner Familie beständig war, sein Abschied nur ein Hauch im Wind.
    "Vale, geliebte Base."


    ~~~ finis ~~~


    *Gut geklaut ist halb gedichtet.

    Langsam schüttelte Gracchus den Kopf.
    "Nicht die Götter, Furianus, denn gegen das Schicksal sind selbst die Götter machtlos. Regno, regnavi, sum fine regno, regnabo* - es ist der Fortunens Rad, welches unaufhörlich sich weiter dreht, und ich habe gelernt, dass dieses Rad einen weit größeren Durchmesser hat, als man glauben mag. Wer weiß schon, wann endlich er am Grunde der Bewegung angelangt ist? War nach Arrecinas Raub und Minervinas Entführung nicht bereits Leontias und Arrecinas Tod längstens genug für diese Familie? Hattest du glauben wollen, dass schlimmer es könnte uns noch treffen, hattest du glauben wollen, dass Agrippina auf den Stufen zum Heiligtum der Vesta würde ermordet werden? Hattest du wirklich geglaubt, es würde noch schlimmer uns treffen in so kurzer Zeit? Ich sage dir, Furianus, es kann immer schlimmer kommen und es wird schlimmer kommen ..."
    Augenblicklich hielt Gracchus inne. Denn diese Familie ist verflucht, waren die Worte, welche aus seiner Kehle wollten echappieren, über seine Lippen sich wollten drängen. Längstens war er sich des Ursprungs dessen nicht mehr gewahr, hatte dies alles doch bereits viel früher begonnen, als er lange hatte vermutet. Alles ergab somit einen Sinn, die Sinnlosigkeit der Sühnung, der Fortgang des Fluches, welcher längst nicht mehr nur seine eigene Existenz tangierte, das Auf und Ab fern jedweder Muster. Mit einem Funken harter Verzweiflung in den Augen blickte Gracchus seinen Neffen an. Er war Teil dessen, medial darin gefangen, und doch war es weitaus besser, sich dessen nicht bewusst zu sein.
    " ... denn so ist das Leben und wir haben es gleich jeder anderen Bürde zu tragen. Nur, wer nicht auf dem Gipfel ruht, kann diesen erklimmen."
    Trocken waren seine Worte, wie eine leere, fadenscheinige Begründung klangen sie, die sie denn waren, und er überspielte dies, indem rasch er jenes Thema aufgriff, welches Furianus zuvor hatte in den Raum geworfen, jene Politik, welche weit unverfänglicher war.
    "Du glaubst tatsächlich, jemand will das Proconsulat Hispanias dir entziehen? War es nicht so, dass der Senat sich vor deiner bereitwilligen Erklärung schwer tat, überhaupt einen Mann zu finden, welcher dies noch auf sich wollte nehmen?"
    Den Hinweis auf einen Erben überhörte Gracchus großzügig, zwar war sein Neffe ein paar Jahr älter als er, doch wäre längstens es Gracchus Pflicht in seiner Ehe, für einen Nachkommen Sorge getragen zu haben - seine größte Sorge überhaupt in dieser Ehe, zudem eine, welche ihm mehr und mehr zur Sorge gereichte und welche ob dessen er doch kaum wollte in Worte fassen.



    *Ich herrsche, ich herrschte, meine Herrschaft ist beendet, ich soll herrschen.

    Augenscheinlich war alles gesagt, was gesagt werden musste, was danach drängte, gesagt zu werden, so dass Gracchus sich schlussendlich erhob.
    "Ich danke dir für das offene Gespräch, Decima Lucilla, und wünsche dir weiterhin einen angenehmen Feiertag."
    Er nickte ihr zu, öffnete die Türe zum Gastraum - lautes Stimmengewirr schlug ihm daraus entgegen - und schloss sie wiederum hinter sich. Augenblicklich trat sein Leibsklave Sciurus zu ihm heran, Gracchus jedoch schüttelte nur andeutungsweise den Kopf und nickte zu dem gallischen Wirt hin, auf dass der Sklave die Rechnung beglich, während er selbst bereits zum Ausgang hin strebte. Auch vor den Mauern des Etablissements wollte das Lärmen nicht verstummen, denn noch immer wurde in den Straßen und Höfen das Fest der Fides gefeiert. Gracchus' Sklaven bahnten den Weg zurück zu seiner Sänfte und erst dort, umgeben von einer wenn auch nicht tatsächlichen, so doch symbolischen Mauer, fiel die leise Anspannung von seinem Gemüt, welche seit dem tätlichen Übergriff der Decima und der Nennung Quintus' Namens auf dem Kapitol ihn hatte im Griff gehalten. Selbst im Tode war sein Zwilling augenscheinlich noch für die ein oder andere Überraschung gut, doch Gracchus hoffte, dass dies die letzte derer würde gewesen sein.

    Zitat

    Original von Caius Flavius Aquilius


    Mit der Andeutung eines Nickens rieb Gracchus seine Hände an einer Serviette ab und tunkte sie in eine Schüssel allzeit bereit stehenden lauen Wassers, um sie zu säubern, was aufgrund seiner spärlichen Nahrungsaufnahme des Abends nicht unbedingt war von Nöten, doch in solcher Weise zum Zeremoniell des Soupierens gehörte, dass er nicht weiter darüber nachdachte.
    "Mitnichten, dies liegt auch kaum in meiner Absicht. Ich werde mit dir kommen, ein solch exzeptionelles Fest verdient adäquaten Dank."
    Viel eher würde Gracchus seinen Vetter keinen Augenblick lang aus den Augen lassen, ihm keine Möglichkeit bieten, auch nur Sekunden mit Aurelius allein zu sein, nicht aus Eifersucht, nicht aus Zorn, sondern da er nicht würde zulassen, dass sein Vetter an diesem Abend in eine verfängliche Situation würde geraten, da der Gastgeber zu sehr im Mittelpunkt seines Festes würde stehen, sicherlich noch bis in den Morgen hinein. Er erhob sich und blickte suchend sich nach Aurelius Corvinus um.

    "Nach welcher Art und Weise besetzte der Senat dieses Amt in vergangener Zeit?"
    warf Gracchus ein.
    "Voraussetzungen gibt es augenscheinlich keine, welche ein Kandidat den Gesetzen zu folgen müsste erfüllen, nach welchen Gesichtspunkten also wurden die vormaligen Auctores ausgewählt?"

    "Ich bin ebenfalls dafür"
    , ereiferte sich der Flamen Quirinalis.
    "Selbst wenn es Mars letztlich gleich sein sollte, was wird das für einen Aufschrei geben, wenn wir einem Mann wie Germanicus dieses Projekt anvertrauen!"
    "Einem Magister Architecturae?"
    "Einem Frevler wider die Götter! Hat er sich nicht öffentlich gegen sie gestellt und dies bis zum heutigen Tage nicht gesühnt? Wer weiß schon, welches Interesse er tatsächlich verfolgt."
    Unwillkürlich sog Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne und kaute darauf. Letztlich schien es tatsächlich, als wäre dem Senator einzig an der Mehrung seiner pekuniären Situation oder beruflichen Renommees gelegen, so dass seine Beauftragung ob des an ihm lastenden Frevels womöglich wahrlich keine gute Idee würde sein.
    "Wer hat derzeit das Amt des Curator operum publicorum inne?"

    Als wäre dies das alltäglichste der Welt, legte Gracchus seinen Arm um Aquilius' Schultern, stützte haltsuchend sich auf seinen Vetter und schwankte gemeinsam mit ihm zu den Cubicula hin. Überschattet waren seine Sinne durch den Nebel des Weines, dumpf die Wahrnehmung der schummrig beleuchteten Gänge, der konturenlosen Schatten, welche über die Wände zu ihren Seiten flackerten, der seltsam klingenden Stille, durch das Schlurfen ihrer Füße durchbrochen. Nicht hätte er bemerkt, hätte Aquilius ihn zum falschen Gemach gleitet, sah doch eine Türe aus wie die andere, glich eine Vase auf ihrem Wege der nächsten, und selbst die Götterstatuen verschwammen zu gesichtslosen, marmornen Silhouetten, nur einzig Caius' Präsenz blieb mehr als alles andere deutlich, scharf die gedämpfte Welt durchschneidend, die Empfindung seiner Berührung, des warmen Körpers, des sanft dahinwallenden Odeurs, der fließenden Bewegung der Sehnen und Muskeln unter seiner Haut, und das leise Atmen. Vor Gracchus öffnete sich eine Türe, gemeinsam wankten die beiden Vettern hindurch und betraten sein eigenes Reich, seltsam vertraut und gleichsam fremd in dieser Nacht, bevor er von Aquilius halb gestützt und halb gezogen seinem Bett entgegen schwebte. Vor dem Zimmer huschte ein Schatten heran, schloss leise die Türe hinter ihnen und postierte sich auf dem kleinen Schemel neben der Türe - gleich, wie lange Aquilius in Gracchus' Cubiculum würde verweilen, Sciurus würde unermüdlich Wacht halten, dafür Sorge tragen, dass niemand würde hinein und keine Gerüchte würden hinaus gelangen. Im Cubiculum selbst brannte eine einzige Lampe, ließ ihr honigfarbenes Licht über die karge Einrichtung gleiten, über die beiden Männer, die Seite an Seite vor dem Bett standen, warf durch die Bewegung im Raum entfacht tanzende Schatten, Nymphen und Faunen gleich. Mit langsamen, gewichtigen Bewegungen, gleich denen eines Traumes, löste Gracchus sich von Aquilius' Körper, beließ jedoch eine Hand auf dessen Schulter, legte die andere ebenfalls darauf, verharrte keine Armeslänge entfernt vor seinem Vetter und blickte aus glasigen Augen ihn an, glasig vom Weine, aus Verklärung, womöglich auch befeuchtet durch die eigene innere Hoffnungslosigkeit. Die Luft zwischen ihnen vibrierte leicht im Takte ihrer Herzschläge, jeder Atemzug bewog ein Aufbrausen der Wellen, endete in einem Sturm und durchschlug Donnertosen gleich die Stille. Zaghaft näherte Gracchus' Kopf langsam sich dem seines Vetters, hielt kurz davor inne.
    "Verzeih mir, Caius, doch ich kann nicht zulassen, dass in dieser Nacht mit leerem Herzen in des Todes Bruders Fänge wir uns ergeben."
    Der Raum zwischen ihnen verflüchtigte sich und gleich der Detonation eines Tropfens, welcher in eine Schale voll Wasser fiel, trafen Gracchus' Lippen auf die weichen, sanften Lippen seines Gegenübers. Binnen Herzschlägen keimte ein Samen, schob seinen zaghaften Sprössling aus dem humiden Erdreich empor, ließ Blätter ihm treiben und reckte seine lavendelfarbene Blüte dem Himmel zu, prächtiger, als je ein Sommer dies hätte vermocht. Noch ehe Gracchus seine Lippen löste, pflückte er jenes Kleinod aus der devastierenden Ödnis und verbarg es tief in seinem Herzen, verwahrte es dort für die Ewigkeit. Mochte dies Traum sein oder Wachen, mochte dies Trug sein oder Wahrheit, nichts würde je ihm diesen Augenblick können rauben, welchen er selbst hatte in waghalsiger Desperation dem Fluss der Zeit gestohlen. Zu viel indes strömte auf seine Sinne, so dass schlussendlich er sich dem Drängen der Dämmerung umgab, abließ von seinem Vetter und zurück sich sinken ließ auf sein Bett. Umständlich nestelte er an dem Band, welches seine Tunika gegürtet hielt, löste schließlich unter Mühe es und ließ den Gürtel zu Boden fallen.

    "Manius Flavius"
    , berichtigte Gracchus Senator Matinius, denn obgleich er kaum erwartete, dass sein Name überhaupt sehr weit in dieser Halle bekannt war - immerhin saß er erst seit kurzer Zeit darin und hielt sich mitnichten für bekannt genug, dass alle Welt ihn müsste kennen - so war es doch womöglich besser, sich letztlich unter dem richtigen Namen bekannt zu machen - womöglich auch nicht, doch war es nicht angebracht, über solcherlei all zu früh zu sinnieren.
    "Der christlichen Götter und Baal indes brauchen sich weder die römischen Bürger, noch die römischen Götter zu sorgen, Senator Matinius, wurden sie doch nicht in Rom eingeführt, sondern werden schlichtweg in ihrer Marginalität geduldet, gleich jenen unzähligen nördlichen, westlichen und südlichen Göttern. Letztlich werden sie sich unserer eigenen Welt unterordnen oder im Laufe der Geschichte verblassen, doch sie waren nie eine ernsthafte Gefahr und werden dies niemals sein. Gerade wir, die wir hier sitzen, sollten uns dessen bewusst sein."
    Es war dies nicht eigentliches Thema der Sitzung, doch Gracchus kam nicht umhin, dies zu erwähnen, dass nicht erst auf falschen Grundlagen der weitere Fortgang der Entscheidungen würden aufgebaut werden. Viel harschere Worte noch hätte er vor dem Collegium Pontificium gefunden, doch in Kreisen der Senatoren wollte er nicht gar so weit gehen, immerhin lag durchaus im Interesse des Collegium, dass auch die Senatoren die Spielregeln der Religio achteten.
    "Der Mord indes an der virgo vestalis maxima ist eine römische Angelegenheit, welche wir Römer mit unseren römischen Göttern zu klären haben müssen, und der Senat muss als Vertretung des römischen Volkes diese seine Pflicht wahrnehmen. Ich kann Senator Tiberius hierbei nur zustimmen, dies ist Angelegenheit ganz Roms und nur eine Entscheidung des Senates kann die Einsicht in die sibyllinischen Bücher gewähren, ebenso wie kein einzelner über die durchzuführende procuratio wird richten können, sondern das Collegium Pontificium im Anschluss an die Divination dies in seiner Ganzheit ausarbeiten und dem Senat vorlegen wird müssen."
    Glücklicherweise war dies so, denn mit dem Schicksal Roms auf den Schultern wäre Gracchus beileibe mehr als nur überfordert. Letztlich lief nur alles auf eine formelle Abstimmung hinaus.

    Dem Vorschlag der Abstimmung zustimmend nickte Gracchus, sparte sich jedoch das Wort, da er weder dem Octavier noch dem Annaer zuneigende Präferenz verspürte, noch mit Sicherheit entscheiden konnte, welcher von beiden mehr für welches Amt würde taugen, und solange sein Vetter in seinem Wunsch nicht wurde tangiert ohnehin nur von Bedeutung war, dass jedes der Ämter wurde besetzt.

    Nun endlich wurde auch Gracchus sich des Ausmaßes der Angelegenheit bewusst, als Durus auf die öffentliche Entgleisung des Germanicus zu sprechen kam.
    "Womöglich sucht er gerade ob dessen um die Renovierung des Tempels des Mars Ultor an, um sich mit eben jenem ins Reine zu stellen? Andererseits stehen dem seine Forderungen entgegen."
    Es war in der Tat eine äußerst diffizile Angelegenheit. Wäre dem Senator an einer Inschrift als Gelübdeschrift gelegen, so hätte er dies gegenüber dem Cultus Deorum sicherlich explizit erwähnt, müsste doch auch an der Publizität dessen ihm gelegen sein. War es dies jedoch nicht, so waren Tiberius Zweifel mehr als gerechtfertigt.
    "Bleibt uns eine Alternative? Womöglich kann der Curator operum publicorum uns einen geeigneten Architekten nennen?"

    "Vergiss nicht, Senator Matinius, dass einige der östlichen Götter auf Geheiß der sibyllinischen Bücher und damit auf Weisung der römischen Götter wurden in Rom eingeführt. So ihre Anwesenheit die Götter erzürnt, würden diese nicht viel eher deren Tempel zerstören, anstatt ihrem eigenen Volk die Wurzeln zu rauben? Indes ist Mord noch immer eine äußerst profane Angelegenheit, weniger den Verlust der virgo vestalis maxima sollten wir den Göttern zuschreiben, denn ihren Zorn ob dieser Tat fürchten. Ein lustrum könnte in der Tat ein probates Mittel zur procuratio sein, doch liegt vor der interpretatio die Entscheidung dieses Gremius, eine Entsühnung anzustreben. Ist dies getan, so steht auch der Konsultation der sibyllinischen Bücher nichts im Wege, denn häufig bereits haben jene uns in Zeiten der Ratlosigkeit den richtigen Weg weisen können."

    Klandestin trat Sciurus noch einige Schritte weiter in die Dunkelheit der Schatten zurück, obgleich seine Diskretion nicht von Nöten war, bemerkte Gracchus seine Bewegungen doch meist nicht einmal, solange er nüchtern war.
    "Du hast Recht, Caius, wie du immer Recht hast. In diesem Zustand würde sogar ich mir die Welt ansehen, denn wenn schon die Welt schwankt, dann kann das Meer mich nicht mehr schrecken."
    Mühevoll kämpfte sich Gracchus auf die Beine, blieb in leichtem Schwanken stehen, als vertraue er nicht seinem Körper und horchte still in sich hinein, ob es wiederum notwendig war, sich zu setzen oder ob sein Leib in der Senkrechte würde verharren.
    "Wenn du wüsstest, wie erschreckend es ist, wie oft er meine Gedanken liest, dann wüsstest du, wie erschreckend es ist, wie oft er meine Gedanken liest."
    Wiederum hielt er inne, ein wenig derangiert, horchte in die Welt hinaus - das leise Prasseln des Feuers, das ferne Zirpen eines Nachtvogels - da irgend etwas an seinen Worten merkwürdig klang, obgleich er nicht erkennen konnte, was dies war.
    "Weißt du eigentlich, weshalb er Sciurus heißt?"
    Mit panurgischer Freude erwartete Gracchus die Antwort seines Vetters, fing doch im nächsten Augenblick an leise zu lachen und winkte ab, als hätte eben er erst erkannt, wen er vor sich hatte, seinen Caius, welcher sein halbes Leben mit ihm hatte geteilt und ein langes Stück davon mit dem ersten Sciurus.
    "Natürlich weißt du es, wenn es einer weiß, dann wir beide!"
    Allmählich begannen die Worte zu stolpern, sich in missklingenden Reihungen zu gruppieren, und Gracchus fürchtete bereits, sich demnächst in einen Solözismus zu ergeben.
    "Gegenseitig"
    , nickte er darum bekräftigend, voller Tatendrang, den Weg zu seinem Cubiculum anzutreten.
    "Eine formidable Idee, so ich nicht auf dem Fußboden nächtigen will. Was nur würde ich ohne dich tun, mein Freund?"
    Traumwandlerisch wankte Gracchus zu seinem Vetter, angezogen vom sublimen Hauch seines Körpers, von jenem unsichtbaren Band gezogen, welches sie verbunden hielt, nichts mehr ersehnend, als seinen Arm für einige Schritte um Caius' Schulter legen zu können, die Nähe zwischen ihnen zu spüren, trunken vor Sehnsucht seine Haut zu berühren, nur einen winzigen Moment vor dem zu Bett gehen, eine kleine Aufmerksamkeit, ein kleines Betthupferl für das verzweifelte Herz in seinem Inneren, um eine einzige Nacht nur den Schlaf zu finden mit Caius' Präsenz als dem letzten Gut, was vor den Träumen vom Tage blieb.

    "So?"
    In die Länge war das o gezogen, gedehnt und bereits alleine einer ausschweifenden Frage würdig. Ohne Zögern trat nun Grachhus an den Sklaven heran, neben ihn, maß ihn mit seinen Blicken, hob schlussendlich seine Hand und strich mit der Kuppe seines Zeigefingers über die Rundung des ihm zugewandte Ohres des Sklaven, behutsam, beinahe zärtlich.
    "Caius also."
    Für einen Augenblick schwebte die Frage in der förmlich knisternden Luft zwischen ihnen, ob er ein Geschenk würde sein, ein Geschenk an Aurelius womöglich, doch der Sklave beantwortet diese Frage, noch ehe sie gestellt war, selbst - Aquilius' Haushalt, dies war ein Teil dieses Haushaltes, in eben diesem Hause.
    "Er hatte schon immer ein Auge für besondere Stücke."
    Viel zu lange schon hatte Gracchus sich in Hinsicht auf seine physischen Bedürfnisse zurück gehalten, seit seiner Hochzeit genau genommen, denn seitdem hatte er sein Verlangen nicht einmal mehr außerhalb des Hauses gestillt, sich einzig auf Sciurus beschränkt, in der Hoffnung, so überbrücken zu können, was ihn zu seiner Gemahlin auf Distanz hielt - vergeblich indes. Gleichsam hatte jedoch auch kein anderer Sklave im Haus seine Aufmerksamkeit auf solche Weise erregt, wie Straton dies tat. Dass jener Besitz seines Vetters war, konnte die Angelegenheit vereinfachen oder verkomplizieren, dieser Zeit jedoch nur verkomplizieren, da Gracchus selbst augenblicklich sich in solch zwiespältigem Verhältnis zu Aquilius befand.
    "Wie lange bist du bereits im Besitz meines Vetters?"
    Noch immer stand Gracchus neben dem Sklaven, musterte das kantige Gesicht von der Seite, so dass dieser ohne sich zu ihm zu wenden ihn nicht würde anblicken können.

    "Falsche Fragen gibt es nicht und schlimmer kann es immer werden, glaube mir"
    , konterte Gracchus, mehr unbewusst, denn sich seiner Worte gewahr, starrte am Rand der Kline vorbei auf den Fußboden ,folgte den Spuren der Platten gleich durch ein Labyrinth.
    "Der Schatten über unserer Familie ist längst tiefer als jener über Rom und doch bleibt dies bedeutungslos, denn wir haben kein Recht darauf, Larmoyanz zu zeigen. Wir sind Flavier, wir haben als solche zu leben und wir haben als solche zu sterben. Der Verlust einzelner muss durch die Familie getragen werden, doch nicht dadurch, dass einzelne ihre Last auf sie verteilen, sondern dadurch, dass jeder einzelne das Gewicht der Pflicht und Verantwortung unermüdlich auf seinen Schultern trägt."
    Merkwürdig weit fort klangen die Worte in Gracchus' Ohren, als wären sie aus einer fernen Zeit, wie sie dies tatsächlich waren, aus dem Munde seines Vaters, in den Ohren eines Kindes. Hatten sie so auch einst in den Ohren seines Vater geklungen, seltsam unvertraut, wie die Worte eines Fremden? War dies der Fluch der Familie, welcher von Generation zu Generation weiter sich zog? Langsam hob Gracchus den Blick, um jenen seines Neffen zu suchen.
    "Doch du bist nicht nur deswegen hier, weil du dich ob der Familie mit Sorgen trägst. Sind es Schwierigkeiten in der Provinz?"
    Zu viele Ungewissheiten gab es, nachdem Furianus sich der aufständigen und herunter gewirtschafteten Provinz hatte angenommen, darunter mussten zwangsläufig Schwierigkeiten mehr oder minder großen Ausmaßes sein.

    Wie eine sanfte Melodie umwehten Aquilius' Worte Gracchus' Sinne, die Nennung seines Namens in solch vertrauter Couleur strich wohlig über sein Gemüt und alles in ihm drängte danach, sich dem leisen Ausklang des Abends zu ergeben, die Augen zu schließen und das Leben Leben sein zu lassen. Ein glucksendes Geräusch echappierte ihm schlussendlich auf die Frage seines Vetters hin, womöglich ein unterdrücktes Lachen, schwerfällig schob er die Beine über die Kline und drückte sich mit den Händen von der Liege auf, seine Worte drangen ein wenig gedehnt über seine Lippen.
    "Ein äußerst verlockender Gedanke, mein liebster Vetter, welcher mir zu größtem Wohlgefallen gereicht."
    Zur Flamme eines der Feuer hin blinzelnd, drückte Gracchus seine Schultern durch, sog tief Luft ein und ließ sie mit aufgeplusterten Backen entweichen.
    "Die Welt ist seltsam flaumig, schwankend, weich und mit fransigen Konturen, und trotzdem scheint mir alles so klar und prächtig wie selten. Wahrlich, Caius, wenn nicht ich genau wüsste, dass morgen mir kleine salische Tänzer mit ihrem Stampftanz durch den Kopf ziehen werden, ich könnte mich jeden Tag im Wein verlieren gleich jenen Männern, welche die Welt so verachtet, denn Verachtung wäre dies allemal und wenigstens gerechtfertigt!"
    Die Worte lagen schwer auf seiner Zunge, polterten beinahe schon ein wenig unbeholfen aus seinem Munde, Aquilius schien ihm endlos weit weg dort auf seiner Kline ihm vis á vis und Sciurus, welcher schräg hinter ihm im Schatten verharrte, hatte Gracchus völlig aus dem Blickfeld verloren. Er stemmte sich in die Höhe, ließ sich jedoch alsbald wieder zurück sinken.
    "Dann jedoch würde gleich ich in meinem Cubiculum die Amphoren leeren, somit wäre der Weg zurück nicht gar so beschwerlich."
    Suchend wandte er den Kopf.
    "Wo ist nur das Oachkatzl, wenn man es braucht?"
    Unbewegt stand Sciurus noch immer hinter seinem Herrn, blickte abwartend dessen Vetter an, denn obgleich Gracchus nicht offen mit ihm über seine verhängnisvolle Affäre sprach, so war doch Sciurus nicht blind, nicht taub und nicht dumm.

    Einige Augenblicke lang glaubte Gracchus wahrhaftig, die Claudia wäre womöglich letztenendes doch darauf hin aus, ihn zu sekieren, doch da ihr Wesen von Beginn an auf ein eher unbeschwertes Gemüt wies, so hob nur marginal er seine rechte Braue und legte den Kopf ein wenig schief.
    "Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf, der Wolf ist dem Menschen ein Ungeheuer, und das Ungeheuer ist dem Menschen der Löwe. Doch die Maus ist es, welche der Löwe fürchtet."
    Einige Herzschläge lang hingen die Worte grave im Raum, legten sich wie eine düstere Prophezeiung über die Zukunft, auch dann noch, als Gracchus konspirativ den Kopf zu Epicharis neigte, seine ohnehin sonore Stimme noch ein wenig senkte und ihr einen Hauch von Apokalypse bei gab.
    "Ein Wolf, ein Ungeheuer, ein Löwe - meinetwegen, wenn denn es beiträgt, Serenus' Verstimmung ob der Verlobung wegen zu lösen, so mag es denn sein, solange ..."
    Eine bedeutungsschwere Pause folgte, in welcher sich Gracchus' Blick förmlich in jenen Epicharis' bohrte.
    " ... solange du keine Maus ihm als Haustier überreichst. Denn, und dies haben der Löwe und ich gemein, obgleich wenig sonstig mich mit jenem güldenen Herrscher der Wüste verbindet, ich teile seine Frucht vor der Maus und mag die Anwesenheit eines haarigen Ungetüms mich durchaus sekieren, so gereicht die Anwesenheit jener kleinen, flinken Fellknäueln mir zu weit mehr als nur Grausen. Du möchtest doch nicht wahrhaft dafür verantwortlich sein, mich in eine solch prekäre Lage zu bringen und den eben erst gewonnenen Anschein von Ehre eines Senators und Pontifex mir damit zu entreißen?"
    Endlich löste sich die Ernsthaftigkeit aus seinen Zügen, er lehnte wieder sich zurück und ein nun tatsächlich schalkhaftes Lächeln überzog seine Lippen, so dass nicht gänzlich zu erkennen sein mochte, ob seine Worte waren humorig oder gar ernst intentioniert. Er nahm einen Schluck von dem überaus vorzüglichen Weingemisch und nickte sodann grave, dieses mal unzweifelhaft in ernster Absicht.
    "Das Amt eines Pontifex bringt wahrhaftig nicht nur Ehre mit sich, sondern gleichsam Pflichten. Einem Mann, welcher nicht bereit ist, diese Pflichten des Collegiums auf sich zu nehmen, gebührt auch nicht die Ehre, Teil dessen zu sein. Ein Pontifex muss über jeden Zweifel erhaben sein und mag dies womöglich der ein oder andere in den Reihen des Collegiums auch nicht wahrhaben wollen, so ist dies dennoch kein Grund, sich dem zu ergeben, und die Werte Roms mit Füßen zu treten. Niemand ist perfekt, selbst die Götter nicht, dennoch sollte dies niemanden davon abhalten, nach Perfektion zu streben."
    Obgleich Gracchus nicht unzufrieden war mit der Entwicklung, an Rom gebunden zu sein, so würde er auf Weisung des Collegiums ebenso pflichtgemäß bis ans hinterste Ende des Imperium Romanum reisen, obgleich kaum grauenvolleres er sich konnte vorstellen - doch bargen seine Worte nicht nur anerzogene Dogmata, sondern gleichsam eine tiefe, persönliche Überzeugung, welche bisweilen äußerst exorbitante Dimensionen konnte annehmen, vor allem in Hinblick darauf, dass er selbst der angestrebten Perfektion nicht im Geringsten war gewachsen, was regelmäßig dazu gereichte, ihn in tiefe Desperation ob dessen zu treiben, was nach Annahme des kultischen Amtes sicherlich nicht würde sich verringern.
    "Dennoch, ich werde darüber nachdenken, ob ich vertreten kann, dies mir freiwillig entgehen zu lassen."
    Auch dies waren nicht leere Worte, denn obgleich bereits in dem Wissen um die letztlich notwendige Antwort, sprach nichts niemals dagegen, eine Thematik mehr als einmal zu überdenken.

    Sooft dies war noch möglich, drängte es Gracchus des Abends hinaus unter den freien Himmel, um die Endlosigkeit dessen zu goutieren, gleich, ob seine Aufmerksamkeit auf den Zeichen einer Schrift in seinen Händen lag oder er nur auf einer Kline in kontemplativen Gedanken versunken die Schlieren und Schatten über sich zu betrachten gedachte. Da das Peristyl von schützendem Gemäuer war umgeben und die Flammen allzeit in großen Schalen brennender Feuer die winterliche Kühle aus der Luft vertrieben, war solcherlei Delektierung in der Villa Flavia das ganze Jahr über hin möglich. Dieser Tage war es ein Teil der Odusia des Livius Andronicus, welcher Gracchus' Aufmerksamkeit auf sich zog, in solcher Weise, dass er sich der Anwesenheit seines Bruders erst wurde gewahr, als dieser seinen Namen sprach - nicht sprach, sondern mehr jener über Lucullus' Lippen hinaus in die Freiheit kroch, verfolgt von den Zeichen seiner Schwester und jenem kleinen Wort, welches den Flavia anhaftete wie ein Fluch, welches der Fluch war. Kraftlos sackte sein Bruder zusammen und erschrocken ob dessen warf Gracchus achtlos die Schrift auf den kleinen Tisch neben der Kline, stand auf und eilte die wenigen Schritte zu ihm hin, in Furcht, dass erneut die Krankheit ihre eisigen Klauen hatte um Lucullus gelegt, ihn in festem Griffe hielt und zu erwürgen drohte.
    "Lucullus!"
    Sich zu ihm hin niederkniend packte Gracchus den Bruder an den Schultern, um ihn aufrecht zu halten, wurde jedoch sich in diesem Augenblicke gewahr, dass nicht die physische Schwäche Lucullus in die Knie zwang, sondern Defätismus und Desperation ob seiner Schwester Tod. Fest wurde Gracchus' Griff, zu fest womöglich, als den Bruder er leicht rüttelte, seine Stimme indes scharf.
    "Halte an dich, Quartus!"
    Allein waren sie im Peristy, in der Sicherheit ihres Heimes, doch gleichsam konnte Gracchus nicht konnivieren die Schwäche seines Bruders, nicht diese Unzulänglichkeit, nicht an ihm, dessen Wohl und Gelingen sein Vater ihm hatte in die Hände gedrückt, ihm aufgebürdet, bis dass Lucullus selbst sicher auf eigenen Füßen stand - ungeachtet dessen, ob Gracchus zu solcherlei fähig oder auch nur bereit war, ungeachtet dessen, dass Gracchus' eigener Stand und Schritt beständig zwischen Straucheln und Abgrund schwankte.
    "Schau mich an, Quartus, schau mich an! Deine Schwester war schon längstens nicht mehr Teil deiner Familie. Du hast sie bereits verloren, als du noch nicht einmal in der Lage warst, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Sie hat ihre Pflicht erfüllt, wie wir alle unsere Pflicht müssen erfüllen, und wir können stolz darauf sein, dass sie unseren Wurzeln entsprang."
    Nicht einmal für ihre Bestattung würden sie Sorge tragen.
    "Du musst dich von dieser Pein lösen, Quartus, halte an dich und erinnere dich dessen, wer du bist!"
    Fremd hallten die Worte in seinen Ohren nach, Worte seines Vaters, Worte seines Standes, Worte der Pflicht und Verpflichtung, doch gleich, da sie seinem Munde waren entsprungen, so tat sich Gracchus doch schwer damit, sie als seine eigenen Worte anzuerkennen.
    "Die virgo vestalis maxima wurde ermordet, ermordet auf den Stufen des Tempels der Vesta. In ihrem eigenen Blute lag sie, wie ein Kunstwerk, die weiße Unschuld auf rotem Grund. Dies ist es, was dich sollte erzittern lassen, das ungewisse Schicksal Roms, die unweigerlich drohende ira deorum, der unsägliche Frevel, welcher mit dieser Tat wurde begangen!"