Mit jeder Gabe lösten sich mehr und mehr Tropfen aus Gracchus' Augenwinkeln, mehr noch, als der Regen auf seiner Haut hinterließ. Ein Zittern hielt seinen Körper umfasst, die starre Kälte und die bedrückende Anwesenheit der Unterirdischen, die er glaubte in jedem Schatten, jedem Lumineszieren am Horizont und jedem Windhauch zwischen den Zweigen des Scheiterhaufens zu erkennen. Viel zu lange dauerte es, bis endlich alle Gaben waren abgelegt, doch hätte nicht lange genug es können andauern, da unweigerlich das Ende dessen nur zum Fortgang des Zeremoniells und dem devinitv Unwiederbringlichen führte. Keiner der Anwesenden war Leontia in Verwandschaft nah oder fern, doch niemand hatte Gracchus' Anspruch auf die Fackel in Frage gestellt, so dass nun von einem Sklaven er jene entgegen nahm, die ob des Regens beständig leises Zischen von sich gab, und erneut vor trat zum Scheiterhaufen hin. Er hoffte so sehr, dass der Geist seiner Base mit der Befreiung der Stofflichkeit des stellvertretenden Leichnams würde der Welt sich entziehen können, der entrichtete Tribut dem Fährmann würde gereichen, sie in das Reich der Toten überzusetzen, auf dass sie die Ruhe würde finden können, welche ihr zustand. In klandestiner Weise schniefte Gracchus und sog einen Atemzug lang tief die feuchte, kalte Luft in seine Lungen, um seine Stimme für die Totenrede von der Larmoyanz seines Wesens zu befreien. Keine großen politischen Taten wollten gerühmt werden, keine militärischen Erfolge, keine juristischen Schachzüge, nicht einmal die Perfektion einer Ehe - nur ein Mensch, ein Kleinod, wie die Welt es nicht wieder würde finden. Und doch war so viel mehr sie für Gracchus in ihrer Existenz gewesen - ein Muse, seine Muse - und ihr ganz allein galten die einzigen Worte seines Schaffens, welche je er hatte zu einem Ende geführt. Sie mochten nicht besonders sein, nicht exzeptionell, doch sie gehört ihr allein, mit ihr würden sie verbrennen, in tief schwarzer Tinte auf edelstes Pergament gebannt und in der ledernen Rolle verborgen, ein einziges Mal nur in die Welt entlassen, für die Unendlichkeit, für den Augenblick, für sie allein, um hernach in ewiges Schweigen sich zu ergeben.
"Lebewohl geliebte Leontia, mögest du ewig in meinem Herzen leben,
Denn du warst die Kraft, welche zusammen hielt, was zerrissen wurde,
Dein Flüstern war wie der zarte Hauch der Sonne über dem Land.
Nun gehörst du dem Elysium und die Sterne rufen deinen Namen.
Es scheint, als lebtest du dein Leben wie eine Flamme im Wind,
Niemals verschwandest du mit dem Sonnenuntergang,
Nicht wenn der Regen die Welt benetzte.
Ewiglich werden deine Spuren hier verharren,
Entlang der Wege dieses Lebens,
Deine Flamme erlosch, doch die Erinnerung bleibt.
Dein entzückender Esprit ging verloren,
Leer sind die Tage ohne dein warmes Lächeln,
Das güldene Strahlen deiner Augen
Und den sanften Druck deiner Berührung.
Selbst wenn ich versuche meinen Blick zu verschließen,
Die Wahrheit bringt Tränen in meine Augen
Und all diese Tränen können nicht ersetzen
All die Freude, welche du in deinen Jahren gabst.
Lebewohl geliebte Leontia, mögest du ewig in meinem Herzen leben,
Du warst die Kraft, welche zusammen hielt, was zerrissen wurde,
Dein Flüstern war wie der zarte Hauch der Sonne über dem Land.
Nun gehörst du dem Elysium und die Sterne rufen deinen Namen.
Lebewohl, geliebte Leontia,
Von dem Geist, welcher verloren ist ohne deine Seele,
Welcher die Flügel deines Geistes vermissen wird,
Mehr als du je wissen wirst.*"
Mit zitternder Hand hob Gracchus die Fackel an den Scheiterhaufen, wandte den Blick ab. Zäh nur wollten die Zweige im Nieselregen sich entflammen - als wollten sie protestieren gegen der Base Tod - erst als er halb schielend eine Stelle fand, an welcher Pech und Öl dem Brand nach halfen, glitten langsam die Flammen auf den Haufen und schließlich auf den Leichnam über, stets jedoch begleitet von zischendem Prasseln und beißendem, graufarbenen Qualm. Die rund um den Verbrennungsplatz stehende Menge teilte sich, um dem Rauch auszuweichen, quälend langsam nur verzehrten die Flammen das Holz, während stetig das kühle Nass die Umstehenden durchnässte, und einzig vorteilhaft war, dass das auf den Haufen geworfene Parfüm nicht musste den beißenden Geruch von schwelendem Fleische überdecken. Als der Scheiterhaufen endlich so weit war herunter gebrannt, dass man mit Wein ihn konnte ablöschen, hatte längst Unruhe in die Trauerschar überkommen, manch einer trat von einem Bein aufs andere, um die Kälte aus seinem Körper zu vertreiben, manch einer rieb fortwährend seine Hände und manch einer mochte gar bereits leise mit den Zähnen klappern. Nichts davon hatte von Gracchus Besitz ergreifen können, welcher die Kälte in sich einziehen ließ, ihr Platz schuf, dass nichts je wieder sie ihn würde vergessen machen - nur das beständige Zittern seines Leibes wies auf diese Kälte, als er sich vor der Asche niederkniete, mit seinen Händen sie in die Urne aus grünfarbenem Marmor schöpfte. Nicht weit entfernt wurde alsbald das flavische Familiengrab geöffnet, ein silberner Schlüssel ließ ein in die Gruft, welche ihren gierigen Schlund preis gab, ein weiteres Mitglied der flavischen Familie zu empfangen. Verschiedene Grabbeigaben fanden neben der Urne ihren Weg in das Grabmal hinein, komplettierten die Ausstattungen, welche dort für längst Verstorbene bereits vor Jahren waren hinterlegt worden, so dass auch Leontia im jenseitigen Leben bestens würde versorgt sein. Um das schlussendlich wieder geschlossene Grab herum nahmen die Trauernden ein letztes Mal Aufstellung, auf dass sie die rituelle Reinigung konnten empfangen, obgleich die wenigen Tropfen, welche von dem in der Abenddämmerung fahlfarbenen Olivenzweig auf ihre Leiber gelangten, kaum noch konnten durch die Nässe des Regens dringen.
"Ilicet!" fuhr scharf das Wort einer der sizilianischen Klageweiber durch die windige Dämmerung, doch kaum einer der Gäste wagte seine Stimme für ein lautes Vale zu erheben, als sie mit leisem Gruß sich vom Grabmal entfernten. Als einer der letzten verließ Gracchus den Ort, an welchem nichts als der Tod seiner Familie beständig war, sein Abschied nur ein Hauch im Wind.
"Vale, geliebte Base."
~~~ finis ~~~
*Gut geklaut ist halb gedichtet.