Der Name des Beamten löste keinerlei Erkennen in Gracchus aus, was kaum war verwunderlich, da ein Mensch in Rom kaum alle Beamten konnte kennen, da ohnehin meist nur von Belang war, dass ein Mensch in Rom wusste, wo einen zuständigen Beamten er würde finden.
"Ich werde dies tun."
Kaum, dass ein anderer sich um jene Aufgabe hätte bemüht, doch Gracchus' Worte waren dennoch fest und ließen keinen Zweifel daran, dass er nicht würde zulassen, dass ein anderer der Pontifices dies würde tun, obgleich er kein Mensch war, welcher wusste, wo einen zuständigen Beamten im Zweifelsfall er würde finden, sondern einer jener, welche ihre Sklaven ausschickten, eben jene Beamten zu sich holen zu lassen. Der Rex Sacrorum nickte, woraufhin der zuständige Schreiber dies auf dem Protokoll vermerkte.
"So vertagen wir diesen Punkt bis zur nächsten Zusammenkunft. Gibt es weitere Themen, welche angesprochen werden sollten?"
Einige Köpfe wurden geschüttelt, einige Blicke senkten sich erneut herab.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Wie ein Körper bewegten sich ihrer beider Leiber auf die Fläche der Kline zu, eng aneinander gepresst, als würde jeder digitus an Zwischenraum dieser Verbindung ihre Nähe rauben. Doch selbst in dieser endlosen Verlorenheit, im Eintauchen in wallendes Gefühl, konnte nicht Gracchus seinen Verstand gänzlich ignorieren, denn er wusste, dass in dieser Beziehung trotz allem er derjenige müsste sein, welcher die Perikulosität würde im Auge behalten müssen, da Caius sich bedingungslos in jedes Gefühl ergab. Sanft, aber bestimmt, löste seine Lippen er von dessen Haut, drückte den Geliebten von sich.
"Nicht hier, Caius, trotz allem."
Er stand auf, zog Aquilius mit sich, fordernd, schob schließlich ihn zu den cubicula hin.
"Komm."
Wie auf plüschigen Wolken wandelten sie durch die Gänge der Villa Flavia, welche nach der Rückkehr des jungen Serenus nach Baiae wieder ruhig lagen, manches mal wie ausgestorben gar, abgenagtes Skelett einer längst vergangenen Zeit, doch nichtig diesen Tages. Kein Blick hatte Gracchus für die Umgebung - Ästhetik und Detail, welche ohnehin ihm mehr als vertraut waren - als seinen Vetter er durch die Türe zu seinem Schlafgemach schob, eben jene hinter sich schloss und mit verzücktem Blicke Aquilius in seiner Gänze wurde gewahr. Es drängte ihn nicht nach Eile, nicht nach Hast, mehr nach Genuss und Hingabe, darum fasste er den Geliebten, strich begehrlich ihm über die muskulöse Brust, den Nacken und versank schlussendlich erneut in einem Kuss, noch immer sanft, doch längst fordernd, seine Hände in beständiger Absicht, jeden digitus Aquilius' zu berühren, sich dessen Leib allein durch die haptische Erfassung einzuverleiben, ihn auf einer Art und Weise zu entdecken, welche stets verborgen ihm gewesen war. -
Gleich einer fliegenden Schlange durchschnitt der Körper der Claudia die Atmosphäre, in zarter Gewandtheit, marginal über dem Boden schwebend, die Umgebung an ihrer glänzenden Hülle abperlend, versteckt und doch offensichtlich freigeistig, in einen Hauch aus Verwegenheit gehüllt. Der Schlag ihrer Wimpern versetzte die Umgebung in eine feine Schwingung, welche sich mit dem zarten Kräuseln ihrer Lippen hob und senkte, ihre Worte legten sich über die Szenerie gleich einer fernen, sehnsüchtigen Melodie. Nichts war kühl an ihr, kein eisiger Schleier, kein harter Kern - nichts an ihr erinnerte an Gracchus' Gemahlin. Ein kühnes Glimmen flackerte auf in seinen Augen, der Abend war erquickend, der Wein die Sinne erhebend, die Tragödie des Mahls die Gefühle affektierend, so dass sein Herz leicht gewogen war, dem Abenteuer der Nacht zu folgen.
"Nur wer furchtlosen Herzens ist, kann auf dieser perniziösen Reise bestehen."
Zur Seite hin bückte er sich und brach einen blattlosen Zweig von einem der Sträucher, stach ihn vor sich, eines Gladius gleich. Ein wenig mager war das Schwert, ein wenig dürr und verkümmert, doch vollführte Gracchus damit einen präzisen Stich nach vorn, ein imaginäres Schild vor sich haltend, denn obgleich er niemals in seinem Leben in einer militärischen Einheit hatte gedient, so hatte seine Jugend die Ausbildung am Schwert beinhaltet wie wohl jede römische Jugend dies tat.
"Habe keine Furcht, schönste Callista, dem Zyklopen werde seines Augenlichtes ich berauben, bevor sein Herz ich ihm aus der Brust entreiße, den Strigae ihre Schwingen stutzen, die Zähne am blanken Stahle schleifen, und die Zauberin mit einem Fluche belegen, auf dass sie selbst sich transformiert zu einer Fliege, welche mit meiner langen, klebrigen Krötenzunge ich mir werde können einverleiben, auf dass mit ihrem Exitus der Bannspruch wird gebrochen."
Die freie Hand formte er zu einem mano fico, Daumen zwischen Zeige- und Mittelfinger gelegt, um Böses abzuwenden, setzte schlussendlich an, mit sonorer Stimme zu intonieren.
"Oder wie einst, aus Vatergefild' und Wohnungen scheidend,
Hin gen Thebe dem starken Gracchus folgt' Callista,
Sie der Schöngeistigen' Tochter, des epiphanen Esprit.
Siehe, sie ragte weit vor den zartgebildeten Weibern,
So an Gestalt, wie an Größ', und an Sinn wetteiferte keine
Aller sterblichen Fraun, die Sterblichen Kinder geboren.
Ihr von dem Haupte daher, und den dunkelschattigen Wimpern,
Atmete solch ein Reiz, wie der goldenen Aphrodite."
Mit schalkhaftem Lächeln wandte Gracchus sich an ihr vorbei, drehte sich vor ihr und ging langsam rückwärts, sie keinen Herzschlag lang aus den Augen lassend, noch immer den dürren Zweig locker in der Hand schwingend, den Kopf leicht schief gelegt, sein Tonfall einer Herausforderung gleich.
"Faun und Nymphe, teuerste Kalliope."
Ohne Acht hatte den Namen er gesprochen, doch selbst da sein symphonischer Hall einen außergewöhnlichen Nachklang mit sich zog, so bemerkte Gracchus nichts denn eine eigentümliche Euthymie in sich, stilles Wohlgefallen, nach hauchzarten Wolken klingende Pläsier. -
Mochte eine Prüfung es sein, so stand ein Test an ihrem Ende. Die vergangenen Ereignisse, die Familie tangierend, seinen Vetter betreffend, hatten Gracchus ins Wanken gebracht, doch die Erleichterung über den nicht vorhandenen Verlust beflügelte ihn geradezu, beschwingte ihn, dass keine Höhe ihm zu weit schien, sie zu erreichen.
"Was auch immer es ist, Caius, es ist Zeit für diese Entscheidung, denn nur so kann die Prüfung enden."
Warm umfassten Aquilius' Hände diejenigen Gracchus', welcher glaubte, eine stille, innere Zufriedenheit in sich hörbar vernehmen zu können - das leiste Knistern des Feuers, ein weiches, rollendes Rauschen gleich Tausender Kiesel am Meer, ein harmonisches Surren und Summen gleich Tausender Bienen in einem sommerlichen Blütenfeld, der ferne Hauch des Abendwindes, seine Symphonie auf Nebelschwaden spielend. Die Furcht war aus ihm gewichen, die Furcht vergangener Tage und Wochen, das Zögern und Zaudern in sich zerfallen, er glaubte an einem Punkt zu stehen, welcher entweder würde sein Ende einläuten oder aber einen Anfang, welcher ergötzlicher nicht konnte sein.
"Ich will dein Schild sein, wenn du mein Schwert bist."
Er löste seine Hände und umfasste das Gesicht seines Vetters, welcher noch immer auf dem Boden vor ihm kniete, näherte sich ihm und führte behutsam seine Lippen zu dessen, seine Augen geschlossen für den ersehnten Augenblick, denn mochte die Welt um ihn in sich zusammen stürzen, mochte die Villa in einer Detonation sich ergehen, mochte der Hades sich auftun und sie verschlingen, nichts konnte mehr in davon abhalten, endlich zu delektieren, nach was sein Herz, sein Geist sich seit endloser Zeit bereits verzehrte. Nicht war es die erste Berührung dieser Art zwischen ihnen und doch war es die erste, welche ohne Reue, ohne konkomitierende Selbstanklage und Bedauern sich ereignete, welche keine Hoffnungslosigkeit in sich barg, sondern einen sublimen Odeur von Zuversicht. Verzerrt tanzte der mauvefarbene Schleier vor Gracchus' Augen, ergoss sich in einen schwingenden Fall aus Purpur und Rostrot, Zwischentöne, ostinate Nuancierungen eines sehnsüchtigen, profunden Traumes, in unendlich tiefer Vibration des luziden Augenblickes, welcher schwindelnd ihn zurück ließ zwischen Zeit und Raum. -
Für die Dauer eines marginalen Augenblickes suchte Gracchus zu verstehen, was sein Vetter mit dem Einschluss seiner eigenen Person in das Theaterstück wollte ausdrücken, doch es erschien in diesem Moment zu banal, zu nichtig, als dass es von Bedeutung konnte sein. Essentiell war einzig und allein, dass gründlich er sich hatte geirrt in seiner Interpretation des Schlusses, selbst der Einwurf, dass er ahnungslos war, welche Frauen bereits auf Aquilius' Bett hatten gelegen, dass er dies ohnehin nicht wollte wissen, er gleichsam jedoch sich über keinen Namen würde wundern, war längst obsolet und bedeutungslos. Selbst die Freundschaft zu Aurelius war nicht, was sie schien, getrieben von seiner Furcht Aquilius zu verlieren, getrieben von irrationaler Angst einer Bindung verlustig zu werden, welche nicht einmal wahrhaftig hatte existiert, hatte er Schatten gesehen, wo kein Licht war, sie zu werfen, hatte Rauch er ausgemacht, wo kein Feuer brannte. Scham erwuchs in ihm ob dessen, dass er Caius in solcher Weise hatte misstraut, dass sein Vertrauen in ihn, in seine Freundschaft so hatte leiden können.
"Stirb nicht für mich, Caius, lebe für mich."
Die Ernsthaftigkeit seiner Worte spiegelte sich in Gracchus' Augen, denn nie waren Worte ihm ernsthafter, dringlicher erschienen, als jene, die endlich gesprochen werden mussten, da viel zu lange bereits sie im Verborgenen ihrer Freiheit hatten geharrt.
"Die Tradition Achaias war es, in welcher wir aufwuchsen, die Tradition Roms ist es, welche Vettern und Basen einander weit genug entfernt stellt, so lass uns das beste aus beiden für uns herausnehmen. Wer kann bestimmen, dass dieses Sehnen, diese Zuneigung unmoralisch kann sein, wer kann über diese Moral richten, da das Sehnen in uns so beständig bleibt? Keinen Schwur wirst du brechen, da ich dich darum bitte, nur ich allein, und ich werde dies mit mir tragen bis an das Ende meiner Tage. Per iove lapidem - doch wie könnte Iuppiter mir zürnen, da er selbst jener ist, welcher die Götter liebt? Mein Leben habe ich ihm anvertraut, mein Leben ihm gegeben zu seiner Verfügung, weshalb also nahm nicht er dies Drängen aus mir heraus, wenn ihm dies widerstrebte, weshalb ließ er Tag um Tag es erwachsen?"
Ein unscheinbares Lächeln zog über Gracchus' Lippen, zögerlich nur, doch existent.
"Wann hat je es einen Weg gegeben, wenn nicht hier und jetzt? Ihn zu gehen wird nicht leicht sein, denn noch immer bleibt dies eine perikulöse Angelegenheit, und ich weiß bereits jetzt, ich werde jeden Tag aus Furcht vor der Dekuvrierung sterben, doch lieber sterbe ich gemeinsam mit dir, als sukzessive allein zu Grunde zu gehen. Ich ... ich will dich nicht verlieren, Caius ... ich bin bereit ... diesen Weg zu gehen." -
Mit einem leeren Blick wandte sein Bruder sich ab, stand auf und schleppte zu einer steinernen Bank sich hin, qualvoll und mühsam, als würde jeden Moment die Last auf seinen Schultern ihn in den Grund hinab pressen. Gleichwohl stand Gracchus auf, unschlüssig, blieb stehen und hielt den Blick auf Lucullus gerichtet. War es falsch, was er tat? Was tat er? Ein marginales Kopfschütteln trieb die schuldbehafteten Gedanken aus seinen Sinnen, er trug bereits schwer genug an seiner eigenen Last, an der familiären Last, an der eigenen Pflicht, der familiären Pflicht, der familiären Verantwortung - er konnte nicht überdies noch die Last seines Bruders auf sich nehmen. Schritte nur trennten die beiden Brüder und doch war eine Distanz zwischen ihnen, größer als jene zwischen den Säulen des Herkules im Westen des mare internum und jenen im Osten. Schlussendlich überwand Gracchus die Schritte, setzte zu seinem Bruder sich auf die Bank, starrte auf den steinernen Weg zu seinen Füßen, konnte doch nicht die innere Ferne überbrücken. Fremd war Lucullus ihm, beinah ebenso fremd wie Quintus dies gewesen war, doch mit seinem kleinen Bruder verband nicht einmal ihn die Similarität der Gestalt.
"Deiner Salubrität scheint hier keine Genesung beschert. Roma ist ein unnachgiebiges, skrupelloses Weib, sie duldet nicht, dass einer sich um sich selbst kümmert. Hast du in letzter Zeit darüber nachgedacht, zurück aufs Land zu ziehen? Im Norden ist im Winter es womöglich zu kalt, doch du könntest nach Aegyptus in das Haus unserer Mutter. Die Luft ist dort mild, die Vegetation üppig, das Meereswasser selbst im Winter zum Schwimmen angenehm und so es dich nach Ablenkung verlangt, bietet Alexandria mehr als genug Auswahl Geist und Körper zu beschäftigen."
Es war nicht, was von Lucullus wurde erwartet, doch welchen Sinn hatte es, ihn zu schinden ob einer Pflicht, welcher er in diesem Zustande ohnehin nicht würde nachkommen können? Einem Leben in Pflicht schien bisweilen zudem kurze Dauer nur beschert zu sein, in der Flavia wie auch im restlichen Reich. -
Nicht den schlimmsten Tartaros-Qualen kam die allabendliche, selbst gesetzte Pflicht mit Salambo gleich, doch erinnerte es Gracchus bisweilen an die sinnlose Arbeit des Sisyphos, obgleich er noch immer der Hoffnung war erlegen, dass irgendwann innerhalb der nächsten Wochen und Monate sich der Lohn für alle jene Mühe in Form eines Nachkommen würde zeigen. Je öfter die Sklavin des Abends in seinem Bette lag, desto mehr Routine zog in ihr Spiel, desto eher konnte Gracchus sich dazu überwinden, sich ihr zu ergeben, schlussendlich in ihr sich zu erleichtern. Doch noch immer schickte jeden Abend er sie hinfort, blieb allein zurück und träumte von leichteren Tagen.
~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Zart gewandte Schlieren zogen sich durch die fade Lichtlosigkeit, umgarnten ihn mit dürren Schlingen, leckten mit ihren rauen Zungen über seine bloße Haut. Er schwebte inmitten brüchiger Devastation, hangelte sich entlang einer kaskadierenden Strömung aus Furcht, welche schlussendlich in ein Fass ohne Boden hinab stürzte, dessen endlose Tiefe dem mundus cereris war gleich. Rostfarben tropfte das Zittern auf seine bleichen Arme hernieder, mit abominablem Schlurfen verschlang ihn der gierige Schlund, zog immer länger seinen tauben Körper, welcher sich in wildem Geringe verformte, ein endloser Faden wurde, ein Riss nur in der Unendlichkeit. Grauenvolles Lachen begleitete jene Reise, ließ vibrieren das feine Garn und ertönen die Symphonie der unabwendbaren Schicksalshaftigkeit. Ein Maßstab, hölzern und faulig, reihte sich an seine Seite, zwei gewaltige Pranken, rau und kräftig, zogen ihn stamm, und nah in der Ferne blitze das silbrige Schimmern eines scharf geschliffenen Messers auf.
"Du wurdest gewogen, du wurdest gemessen und du wurdest für nicht gut genug befunden."
Drohend schob die Klinge sich näher, setzte an seinem Halse ihre Kälte an. Ein schneller Schnitt nur, und unweigerlich war der Faden durchtrennt.~~~
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Obgleich der Abend ein wenig aus dem vorgesehenen Konzept zu geraten schien, tangierte dies jene kaum, welche nicht von dem deplorablen Geschehen der fortwährenden Enthüllungen wurden berührt, in einhellig stummer Faszination gar wohnten dem Theaterstück sie bei, der prekären Tragödie, welche das Leben schrieb, so wahrhaftig und lebendig wie nur eben jenes selbst dies vermag. Fernerhin reihte Gracchus sich in Frappierung den Zuschauern ein, lautlos, blinzelnd nur ab und an und durch den bereits einverleibten Wein dazu angetan, sukzessive seine rechte Augenbraue ein Stück weit zu erheben. Zu unbekannt waren ihm die Mimen, als dass die Tragik in ihrem gesamten Ausmaße ihn konnte konsternieren, zu deutlich jedoch war das augenscheinliche Geschehen, als dass nicht ein wenig Mitgefühl in seinem Sinne schwang, ob der Desolation dessen. Nachdem der finale Akt sein Ende hatte gefunden, versank die Szenerie nur für einen winzigen Augenblick in Stille, bevor alsbald der schwarzfarben gelockte Jüngling seine Stimme erhob zu wehmütigem Gesang, gleichwohl die Geräusche der Natur zurückkehrten - das gleichmütige Zwitschern der Vögel, das unablässig leise Plätschern am Wasser - und dem Klirren von Geschirr als Fenestella die Gelegenheit nutzte, sich weiter dem Essen zu widmen. Von einem klandestinen Rascheln im Stoff seiner synthesis begleitet streckte Gracchus seine Hand, das Glas mit Wein zu greifen und die leichte Derangierung seiner Selbst mit ein wenig der Flüssigkeit hinfort zu spülen. Der letzte Schluck rann eben seine Kehle hinab, mit dem Handrücken wischte bereits er die von seinen Lippen perlenden Tropfen, als jählings die noch immer in stillem Amüsement neben ihm verweilende Callista das Wort ergriff, nicht nur ergriff, sondern gleichsam gar an ihn wandte. Ihrem Blicke folgte er hin zum See, ein sublimes Lächeln kräuselte seine Lippen, denn der Tristesse des bitteren Nachgeschmackes einer Tragödie wollte auch er diesen Tages nur ungern sich ergeben, zudem bereitwillig der aufkommenden Trägheit entkommen, darum nickte er marginal.
"Es wäre mir dies ausgesprochen agreabel."
Eine Frage in sich bergend wandte zur Gastgeberin er den Blick.
"So du gestattest?"
Huldvoll nickte Sorana, in gönnerhafter Pose streckte ihre Hand sie in einem Wink zum Wasser hin. Demütig ließ Gracchus ein dankendes Nicken darauf folgen, ehe er sich erhob und Callista die Hand bot, ihr aufzuhelfen. In Schweigen traten zum See ihren Weg sie an, biss dass die Peripherie des Tisches sie hatten hinter sich gelassen, über polierte marmorne Steinplatten hinweg, zwischen welchen weiches, penibel geschnittenes, noch immer satt grünfarbenes Gras spross. Die frische Luft - in Absenz der zahlreichen Feuerkörbe der Terrasse hier ein wenig kühler - umwehte sie in lauem Hauch, mit einem sublimen Odeur nach Seerosen und Teich.
"Ein äußerst delektabler Abend,"
durchbrach schlussendlich er das Schweigen, während bereits das vertäute Boot er näher zum Land hin zog und erneut Callista eine Hand bot, auf dass sie gefahrlos das kleine Gefährt konnte besteigen. Behände löste er das Seil, bevor selbst er der Claudia folgte, den Platz an den Rudern einnahm und langsam das Boot über das schimmernde Wasser hinweg gleiten ließ. In feinen Wellen kräuselte die schimmernde Oberfläche sich, wurde das verkehrte Abbild ihrer Personen durchbrochen, verzerrt, einem absonderlichen Spiegel gleich, denn nichts von der Schönheit Gracchus' Gegenüber konnte er einfangen.
"Gestatte mir eine Frage, denn dies ist mein erstes Mahl im Refugium der Sorana. Ist es immer ..."
Zögerlich versuchte er mit einer allumfassenden Handbewegung die Szenerie, den Abend und das Geschehen zu umfassen, ohne gleichsam das Paddel aus seinen Händen zu lassen.
"... similär zu diesem?"
Unter ihnen glitt still der nahe Grund hinweg, silberfarben schimmernde Fische tummelten sich zwischen wogenden Algen, in tanzendem Spiel reihten sich Licht und Schatten umeinander. Warm und kalt gleichermaßen war die diesige Luft um sie herum, zeigte sich in beinah körperlicher Präsenz ihres Atems, und auf der kleinen Insel inmitten des Sees glühten goldfarben die Bäume in der Sonne glanzvollstem Abendlicht. Vor dem dunklen Blau des Himmels, tristem Herbstblau, wirkten sie wie transluzente Gestalten, bereits im Winterschlaf gefangen. -
Mit jedem einzelnen Wort, welches durch das Peristyl drang, geriet die Welt mehr und mehr aus den Fugen, wurde verwirbelt, verwischt bis dass letztlich nur eine diffuses Wirrnis aus Farbschlieren blieb, eine undurchdringlich, indifferente Masse, verhedderter Gedankenwust, Absenz der Struktur, heillos graufarbenes Durcheinander. Jeglicher Sinn, welcher so deutlich sich hatte ergeben, verblasste mit einem Male, verrauchte wie ein Korn Weihrauch im Tempel, verdampfte dem kochendem Wasser der heißen Quellen Baiaes gleich, unsinnig mit einem Schlag, Lug und Trug.
"Aber"
, setzte Gracchus an, ohne noch zu wissen, wohin sein Einwand ihn sollte führen, denn ebenso wie die Welt schienen auch seine Gedanken ein einziges Chaos zu sein, undurchdringlich und fahl.
"Das Theaterstück, die Parodie ... hast nicht selbst du gesagt, dass du dies warst, welcher dort dem Aurelius folgte?"
Dies alles war so luzid ihm erschienen, so klar und persuasiv - die Freundschaft Caius', welche Gracchus vor der Welt kaschiert erschienen war, die Besuche des Aureliers, von welchen nur durch seinen Sklaven er erfahren hatte, die Klandestinität ihrer Beziehung, das Theaterstück - all dies hatte sich so furchtbar wahr angefühlt - und sollte nun alles Irrtum sein? Gracchus' Schultern sanken herab, eine merkwürdige Lethargie ergriff von ihm Besitz, nicht, da Aquilius ihm gleichgültig war geworden, sondern da jegliches Gefühl von ihm abfiel, von welchem er nicht mehr wusste, ob dies gerechtfertigt war, so dass nichts mehr übrig blieb außer dem stetigen, leisen Sehnen, da sonstig keines Gefühles mehr er sich konnte sicher sein.
"Mit einem Male schien mir alles so deutlich, dass ich letztlich mich gar fragte, wie nur so blind ich hatte sein können. Ist es wahr, dass so weit wir voneinander entfernt leben, dass diese Freundschaft mir in solchem Maße verborgen blieb?"
Doch wie konnte, wie sollte er an den Worten seines Vetters Zweifel hegen, da letztlich dies Wort ihm mehr galt als die Wahrheit selbst?
"Dass er dort war, war einzig Zufall. Als die Nachricht mich erreichte in der Regia war dies vom Mord an einer Vestalin und obgleich dies bereits als furchtbarer Frevel mir galt, so hatte mit keinem Gedanken ich an die virgo vestalis maxima gedacht, nicht an meine Schwester. Noch in ihrem Tode war nichts an ihr von Schuld, ihr weißfarbenes Kleid war verziert mit makellos rotfarbenen Punkten und Schlieren, ihr Gesicht ruhte in friedlichem Lächeln, umrandet von ihrem eigenen Blut, schimmernd im Licht des Tages, von einer feinen Membran der Gerinnung überzogen, in tiefem, dunklen Rot, überall auf der marmornen Treppe, so unwirklich wie ein Traum, ein Bildnis aus einer anderen Welt, einer Welt fern dessen, was konnte sein, was durfte sein. Ich verlor mich in dieser Welt, verlor mich selbst in der Realität, war gekommen, um Ordnung zu schaffen, doch versank ich allmählich in meinem eigenen Chaos, wusste nicht mehr, was zu tun war, wusste nichts zu sagen, nichts, nicht einmal der Fluss ihres Lebens konnte noch mich berühren ... In all der Derangierung war Aurelius der einzig noch bekannte Fixpunkt dieser Welt. Ich kenne ihn nicht sonderlich gut, während einer cena bei Senator Tiberius wurde er mir vorgestellt, während der Meditrinalia wechselten nicht mehr wir als Höflichkeitsfloskeln, und doch stand er mit seinem Namen, seiner Person und seinem Rang als Magitrat für Rom, für Ordnung. Ich war meiner Contenance beraubt, Caius, fern von gravitas und dignitas, ferner als je zuvor in Öffentlichkeit, blamabel im Nachhinein betrachtet, doch nichts anderes blieb mir in diesem Augenblick, als um seine Hilfe zu bitten. Das einzige, was miteinander wir teilten, war dieser Moment der Schwäche und ... ich wünschte, es wäre mehr, denn wo auch immer ich ihm werde begegnen, mit der Erinnerung an dies wird in seinem Angesichte nur mehr quälender Scham ob dessen in mir erwachen."
Vorsichtig hob er seine Hand, schob zögerlich sie zum Kopf seines Vetters, zauderte nur einen marginalen Augenblick, bevor er diesem durchs Haar fuhr knapp über dem Ohr.
"Wenn du es sagst, Caius, so glaube ich dir, denn wenn dies uns verloren ist, so mag nichts mehr es geben, was des Lebens wert wäre."
Langsam beugte er sich vor, legte seinen Kopf an den Aquilius', seine Wange an dessen weiches Haar, sog den Odeur des Vetters ein, schloss die Augen, seine Stimme nur mehr ein Flüstern.
"Eines Tages werden wir beide hängen, verbunden durch die Kette, an deren Ende je einer von uns mit seinen Kopf in der Schlinge baumelt. Und doch, welches Sterben könnte schöner sein, als jenes verbunden mit dir? Ich kann dem nicht länger Stand halten, Caius, ich will es nicht, denn wir zerstören uns selbst, ich kann nicht mehr in Arbeit mich flüchten, nicht in eine miserable Ehe, nicht in Pflicht. Uns Flaviern ist augenscheinlich kein langes Leben beschert, was, wenn du der nächste bist, wenn ich der nächste bin, wenn all dies mit einem Schlag endet, einem Schiffsuntergang, einem Unfall, einem Mord? Es kann nicht falsch sein, Caius, was mit solcher Intensität sich an zieht, dies muss zusammen kommen, denn die fortwährende Spannung führt nur zu Disharmonie im Gefüge, bis dass letztlich alles zerreißt, in seinem Rückschlag mehr devastieren wird, als je das Aufeinanderprallen könnte vermögen. Es muss einen Weg geben, Caius, sag mir, dass es noch einen Weg gibt, bevor dies alles zerreißt, zerbricht, und nichts mehr von uns bleibt als Tausende Splitter, welche im Winde verwehen." -
Mehr noch als vor der Feierlichkeit der Meditrinalia und dem Tod der virgo vestalis maxima hegte Gracchus persönliches Interesse an der Person des Aurelius, so dass er bisweilen dessen Arbeit ein wenig hatte nachverfolgt, zudem war auch die Arbeit als decemvir litibus iucandis ihm nicht unbekannt, darum er um die Masse und Komplexität jener wusste. Ein wenig Abseits stand er, den Dienst in der Regia unterbrochen, um den res gestae der vergangenen Amtszeit zu lauschen, und beteiligte sich am aufkommenden Applaus, welcher die Rede des Aurelius abschloss.
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Aufgrund einer äußerst verzwickten persönlichen Konstellation mochte Gracchus der Person des Aureliers nicht mehr gänzlich wertneutral gegenüber stehen, doch subjektive Sympathien und Antipathien hatten im Zuge politischer Entscheidungen kein Gewicht zu haben, Aurelius war immerhin ein enorm fähiger Mann, welcher bereits bewiesen hatte, dass seine Pflicht dem Staat galt.
"Ich stimme Senator Macer zu, die reguläre Amtszeit eines Auctors von der Dauer einer Amtsperiode des Cursus Honorum sollte einem Kandidaten durchaus gewährt sein, um seine Tauglichkeit unter Beweis zu stellen. Aurelius Corvinus indes hat bereits in der letzten Amtszeit seinen Fleiß und sein Pflichtbewusstsein für den Staat bewiesen, so dass ihm durchaus auch die Führung der imperialen Zeitung zuzutrauen ist. Dass er zudem Interesse mitzubringen scheint, spricht weiters für ihn, immerhin handelt es sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit." -
Ein wenig verbittert klang Caius ob der Arbeit im Cultus Deorum, und wahrlich verübeln konnte auch Gracchus ihm dies nicht, denn zu genau wusste er selbst, dass manches dort mehr Wunsch denn Wahrheit war, obgleich er auch dort wie in so vielen Bereichen das Talent hatte, die negativen Seiten der Fakten weit in den Hintergrund seiner Wahrnehmung zu drängen. Manches mal jedoch gelang dies ihm nicht, so dass bereits er inbegriffen war, seinen Vetter ob dessen Ausdrucksweise in Bezug auf die Familie mit einer Rüge zu belegen, doch die weiteren Worte dessen ließen ihn verstummen, noch ehe seine Stimme erklungen war, ließen ihn aufhorchen, da Aquilius sich bereits anschickte, sich zu erheben. Mehr noch wuchs seine Derangierung, als sein Vetter nicht etwa aufstand, sondern tiefer noch sich hinab ließ, bis dass seine Knie den Grund des Bodens berührten. Aquilius' Worte streiften Gracchus' Verstand, ohne dass jener sie zu ordnen wusste - ertragen, wissen und vermuten, damit leben, ein anderer, Herz, zerbricht, misstrauen, hassen - doch jener Sinn, zu welchem die einzelnen Splitter sich letztlich verbanden, dies war zu deutlich an dem, was er bereits hatte gewusst, doch nicht beweisen konnte, was er seit der Feier im Hause der Aurelia gefürchtet hatte. In die Ecke gedrängt fühlte er sich, rückte ab auf der Kline, fort von Caius als wäre dieser von einer Seuche befallen, bis die Kante der Liege er hatte erreicht, stand auf ohne seinen Blick von seinem Freund, seinem Geliebten - noch immer - abzuwenden. Doch seine Miene war hart - nicht würde eine Blöße er sich geben, nicht auf diese Art und Weise -, seine Kiefer pressten sich aufeinander, seine Nasenflügel erbebten für kurze Zeit, bevor fervent er sich ereiferte.
"Mit solch despektierlichem Blicke also siehst nur mehr du mich, als devastierenden Denunzianten eurer Liaison? Glaubst wahrlich, ich würde zwischen euch mich drängen? Diese Insinuation ist absurd, allein der Gedanke eine Invektive! Oh, Caius, wie kannst du nur? Ist es deswegen, weshalb du mir dies verschwiegen hast? Ich habe geglaubt ... ich habe ... warum kannst nicht einfach du in den Betten der Frauen verweilen? Warum musst du mich fortwerfen wie eine deiner zahllosen unbedeutenden Liebschaften?"
Er wandte sich ab, als die Desperation ihn zu überwältigen drohte, hob eine Hand, um die Schläfe sich zu reiben, seine Stimme verlor an Härte, an Stärke.
"Ich habe immer geglaubt, dies wäre etwas besonderes. Du und ich ..."
Langsam ließ er sich nieder sinken, zurück auf die Kline, ein freudloses Lachen echappierte seiner Kehle.
"Ich weiß, ich habe dies zerstört und mehr als einmal habe ich beteuert, dass dein Glück mir zum Glücke gereicht. Nun da dein Glück greifbar ist, will mein deplorables Los ich tragen, doch ..."
Er wandte den Kopf, suchte den Blick seines Vetters erneut.
"Doch dass du glaubst, ich könnte dies zu zerstören suchen, dass nicht du mir vertraust ... oh, Caius, wie konnte nur es so weit kommen? Du, nur immer du, bist der einzige Mann, den jemals ich zu begehren mir gestattete, der einzige Mensch. So du nicht ..."
Betrübt schüttelte er den Kopf, verloren in seiner Desperation, verloren in seinem Satze, an dessen einziges Ende die Einsamkeit wartete, denn so Caius nicht für ihn erreichbar war, nicht erreichbar sein durfte, so wollte Gracchus keinen anderen Mensch je mehr begehren, da diesem niemals er gänzlich sich würde können ergeben und so ihn nur würde defraudieren. -
Als hätte in einen sauren Apfel er gebissen, verzog Gracchus das Gesicht.
"Oh, Caius, bitte, stelle dein Licht nicht in den Schatten. Ganz Rom kennt dich, und mag dem ein oder anderen womöglich auch dein Name nicht geläufig gewesen sein, so muss doch schließlich der Hinweis auf den Tempel des Mars Ultor überzeugen - denn wer kennt ihn nicht, den Sacerdos Flavius, welcher dort seinen Dienst so pflichtbewusst verrichtet? Unterschätze nicht den Weg des Cultus Deorum. Auch wenn keine großen Schlachten du zu schlagen hast, man deinen Namen nicht aus der Ferne vom Triumphzug her kennt, viel einprägsamer sind doch häufiger jene kleinen, persönlichen Begebenheiten, von welchen jene im Tempel wohl zu den persönlichsten überhaupt gehören. Dies ist die Macht des Cultus Deorum, Caius, und sie wird dich noch viel weiter tragen können, wenn du es zulassen wirst."
Ein wenig glühten Gracchus' Augen bei diesen Worten, selten geschah, dass so offen er über dies sprach, letztlich kräuselte jedoch ein feines Lächeln seine Lippen.
"Doch vorerst wartet anderes auf dich. Wenn du Unterstützung brauchst, gleich welcher Art, so lasse es mich wissen. Ich weiß, du willst dies alles ohne die Familie schaffen, so dass nie wieder nur eine Person deinen Wert für jene in Frage stellen können wird, doch ... nun, ich hoffe du weißt, dass mich du ob dessen nicht zu überzeugen brauchst und so ich dir helfen kann, wird niemand sonst dies wissen müssen."
Was wären sie ohne ihre aussichtslosen Begierden, was wären sie, ohne dass je etwas sie tief im Innersten berührte? Bisweilen glaubte Gracchus, dass dann sie könnten glücklich sein, dass dann die Welt wäre angefüllt mit simpler Wahrheit und Harmonie, denn was noch würde dann sie aus dem Gleichgewicht bringen können? Gleichsam wusste er nur zu gut, dass auch dies nur Wunsch war, vielleicht sogar Trug. Den politischen Weg hatte sein Vetter eingeschlagen, um seinen Familienzweig von jedem Makel rein zu waschen - dessen war Gracchus sich sicher -, doch war dies so viel besser denn alles Gefühl von sich zu weisen, war dies so viel besser, am Ende jener Jagd nach Pflicht der Exhaustion zu verfallen? Zerstörte nicht dies sie gleichermaßen wie die vergebliche Hoffnung dies tat?
"Der Tod der virgo vestalis maxima, jener Mord, dies ist eines der schlimmsten Geschehen, welches Rom je hat treffen können. Die Menschen sind verunsichert, und wer kann dies ihnen verdenken? Schon immer wurde in dieser Stadt gemordet, doch nie auf eine solche Art und Weise. Was ist nur los mit dieser Welt, Caius? Wie konnte nur je es so weit kommen? "
Durchbohrend war sein Blick, desperat und flehentlich zugleich.
"Wieso, Caius, wieso?" -
Erst kürzlich war Gracchus über das Werk des Epiktet gestolpert, eines zeitgenössichen Philosophen, welcher einst als Sklave von Nero selbst ob seines hohen Sinnes war freigelassen worden, und dieser Tage in Nikopolis in Achaia eine eigene Schule der Stoa führte. Nicht die Dinge an sich beunruhigen den Menschen, sondern seine Sicht der Dinge - jener Satz des Epiktet hatte Gracchus' Innerstes zum Erzittern gebracht, seine Sinne in eine feine Schwinung versetzt, so dass er Sciurus hatte ausgeschickt, um eine Kopie der Schriften jenes Philosophen zu besorgen. So kam es, dass kurz bevor Aquilius ihn aus seinen Studien riss, er tief in das encheiridion, das Handbüchlein der Moral, vertieft war, in völliger Faszination sich den dortigen Gedanken widmete und erstaunt war, ob der Simplizität der Wahrheit darin. Nicht hörte er das Herannahen des Vetters, nicht merkte er auf als jener in die Ränder seines Blickfeldes geriet, doch Aquilius' Stimme trug letztlich innerhalb weniger Herzschläge dafür Sorge, dass jegliche Ruhe von Gracchus abfiel und augenblicklich seinen Blick er hob.
"Caius, salve."
Wie simpel doch war all jene Theorie, wie diffizil dagegen die Praxis. Seit den Meditrinalia wusste er nicht mehr, was zwischen ihnen war, wusste nicht mehr, ob überhaupt noch irgendetwas zwischen ihnen war, zwischen ihnen konnte sein, denn leer war sein Herz, leer seine Sinne, hin und her geworfen in Desperation und Defätismus, unerträglich der Gedanke, dass die Welt zwischen ihnen nun so war, wie stets sie sein sollte.
"Meinen Glückwunsch zum Wahlsieg, mein Freund. Niemand hat mehr ihn verdient denn du. Die Chancen stehen indes sehr gut, dass dir ein Amt als Tresvir capitalis zuteil wird, wie den Senat du batest."
Mit einer lockeren Handbewegung deutete er auf eine der Klinen.
"Setze dich, du weißt doch, für dich habe ich immer Zeit."
Gefangen in einer Farce besonders intensiven Ausmaßes, schlimmer noch als jene in Bezug auf seine Gattin, sah Gracchus augenblicklich sich selbst. Es drängte ihn danach, Aquilius mit wüsten Beschimpfungen zu überschütten, ihn anzuklagen, ihn zu flehen, ihn aus dem Leben zu nehmen auf dass kein anderer Teil seiner selbst konnte werden. Es zerfraß ihn, quälte ihn, doch all dies begrub er tief in sich, wie stets jedes Verlangen hinsichtlich seines Freundes, hob stattdessen die Schriftrolle ein wenig an.
"Eine äußerst interessante Lektüre. Ist dir Epiktet ein Begriff? Er betreibt eine philosophische Schule der Stoa in Epirus. Höre dies."
Den Kopf beugte er ein wenig, suchte einige Sätze nach vorn und begann sodann, langsam und betont, zu zitieren.
"Der Begierde aber enthalte dich vorderhand gänzlich. Denn begehrst du etwas, was nicht in unserer Macht ist, so musst du notwendig das Glück vermissen; von dem aber, was in unserer Macht ist und was zu begehren sich ziemt, weißt du einstweilen noch nichts. Bei allem Begehren und Verabscheuen wende dich nur sanft und gelassen ab und zu."
Als seinen Kopf er wieder hob, ein wenig schief ihn legte, den Blick seines Vetters suchte, ließ nichts an seinem Antlitz erkennen, welche Intention hinter seinen Worten lag jenseits dessen, sein Gegenüber teil haben zu lassen an philosophischer Erkenntnis, und doch war er sich dessen gewahr, dass Aquilius genau darum wusste - noch immer, vielleicht sogar mehr denn je. -
Tages um Tages Ende wiederholte das Spiel sich in Gracchus' Schlafgemach, nicht immer gleich, nicht immer anders, doch immer bestehend aus Salambo und ihm selbst, in beständigem Versuch, in beständigem Verlangen, ein Kind zu zeugen - einen Bastard ohne jede Zukunft und doch gleichsam Garant für Zukunft. Jeden Abend da die Pflicht erfüllt war, schickte Gracchus die Sklavin fort, verkroch sich in seiner Decke, zog sich mehr und mehr von Sciurus zurück, da ihm das Verlangen verging, Salambo es ihm entriss, so dass er allmählich Nacht um Nacht allein verbrachte, die Kälte des Winters in sich tragend, die Kälte der Einsamkeit sich auf sein Gemüt schlug, denn einsam, dies war er geworden - nicht durch Salambo denn durch die zurückliegenden Meditrinalia.
~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~
Mauvefarben erstreckte der endlose Himmel sich in die indefinible Weite, überzogen von rosefarbenen, flauschigen Schäfchenwolken, welche der laue Wind zerfranste und zerfaserte in lustigem Spiel, so dass in immer neuer Konstellation sie umeinander tanzten. Behutsam strichen seine Finger über die raue Rinde der Tempelsäule, hinter welcher verborgen er lauerte, ertasteten den weichen Überzug aus Moos und die kantigen Risse im Mantel des Baumes, ohne gleichsam dessen gewahr zu sein. Der Tempel der Vesta war dies, welcher über ihm sein blätternes Dach entfaltete, unter dessen Arkaden er stand, zur Rostra hin blickend, aus deren Schiffsspitzen menschliche Leiber wuchsen, in grün- oder graufarbener Haut, bekrönt mit medusenhaftem Haar oder wogenden Algen, manche von ihnen mit Schuppen im Gesicht, manche mit Tentakeln statt Armen und wieder andere nur mit Schlitzen anstatt der Augen. Viel mehr jedoch als auf diesen seltsamen Gestalten lag sein Augenmerk auf dem Geschehen, welches auf der Bühne selbst stattfand, wurde gänzlich von diesem im Banne gehalten. Cena pro uno - ein Abendmahl für einen allein in Zweisamkeit. Vergnüglich unterhielt Caius sich mit Aurelius, wieder und wieder trug der Wind ihr offenes, fröhliches und darum um so unerträglicheres Lachen zu ihm herüber, und gegenseitig steckten die köstlichen Speisen sie sich in den Mund, berührten einander ihre Lippen und sanken ob dessen in Verklärung hinab. Noch lachte das Volk auf dem Forum, noch scherzten die Schatten über dies Possenstück, noch trugen all die Mimen gute Miene zum bösen Spiel. Aus den Schatten erwuchsen Rosensträucher, aus kleinen sanften Knopfaugen in ihren zarten blauen Blütenköpfen noch immer alles beäugend, zur Kline wandelte die Rostra sich, auf welcher Aurelius und Caius gemeinsam lagen, beieinander lagen im heimischen Garten, in seinem eigenen Reich, ihre Leiber einander berührten, ihre Hände über den Körper des Gegenübers glitten, die Lippen aufeinander gepresste, die Zungen eng umschlungen. Nicht mehr verborgen, lateral zu ihnen stand er nun, zwischen den glucksenden und tuschelnden Rosen, blickte auf sie hinab, wie sie sich ihrem Verlangen ergaben.
"Caius!"
suchte den Vetter er zu erreichen, doch jener reagierte nicht, strafte nur ihn mit Missachtung, längst zu tief in seiner Verzückung gefangen.
"Caius!"
Nieder beugte er sich, um jenen an der Schulter zu rütteln, fort zu reißen von Aurelius, doch griff nur er durch sie hindurch, blass war seine eigene Gestalt, fahle Silhouette aus diversifiziertem Nebel, nicht konnte er sie erreichen, nicht seinen Geliebten schützen, nicht zu ihm hin durchdringen.
"Caius, der mundus, pass auf!"
Unweigerlich näherte die Kline dem Tor zum Hades sich, gezogen von unsichtbarer Kraft, glitt zu auf die alles in sich vernichtende Grube, deren Abschluss längst offen lag. Verzweifelt versucht die Kline er zu halten, seinen Vetter zu halten, ihn zu greifen, zu bewahren, zu schützen, doch zu tief gefangen im Liebesspiel waren Caius und Aurelius, um um sich herum das Fortbestehen der Welt zu bemerken. Zu spät öffneten sie ihre Augen als der gierige Schlund sie verschlang, und selbst dann lag kein Bedauern in ihrem Erkennen, keine Reue, nur Trunkenheit von Liebe, Erfüllung und tiefste Satisfaktion. Mit einem leisen Rülpsen schloss der mundus sich als sein Mahl er hatte beendet, hinterließ nur tiefe Schwärze und Leere um ihn herum.
"Caius!"
Verzweifelt wollte dem Vetter er nachstürzen, denn welchen Sinn noch hatte das Leben ohne ihn, doch der mundus blieb ihm verschlossen, keinen digitus bewegte der ihn schließende Stein sich, so sehr er auch daran zog und rüttetet. Desperat ließ schließlich er seinen Kopf auf den graufarbenen Granit hinab sinken. Vom blassen Himmel regneten seine Tränen hinab und füllten sukzessive die Welt um ihn mit einem salzigen Ozean, doch er spürte nicht, wie das Wasser um ihn herum stieg, langsam ihn umschloss und er schließlich darin ertrank.~~~
-
Einige Augenblicke der Stille traten ein, beinah kontemplativ, in welchen Gracchus seinen Vetter unverholen nachdenklich taxierte, darüber nachsann, mit welchem Götterverständnis Furianus wohl war aufgewachsen, da es augenscheinlich deutlich figurativ war, zu deutlich für Gracchus' Geschmack, obgleich ein wenig es wohl so sein musste, da sein Vetter ihn selbst zu wenig kannte, um über anderes zu sprechen.
"Die pax deorum ist Abbild unsere eigenen Welt, Furianus. Nicht göttliche Personen wollen ob ihres Zornes besänftigt werden, göttliche Prinzipien müssen zurück geführt werden zum Ausgleich hin. Der Untergang wird nicht bereitet von einem göttlichen Wesen, welches im Zorn Berge aufwirft und mit seiner gewaltigen Hand nach Menschenleben langt, wir selbst sind es, welche dies durch Missachtung der Ideale heraufbeschwören. Doch ich gebe dir Recht, es muss etwas geschehen, ein Ausgleich der Dissonanz, doch nicht ein Numen muss dies überzeugen, sondern die Masse. Und darum kann es immer schlimmer kommen, Furianus, so lange das Ideal nicht erreicht ist, solange der Mensch zu gering ist, um die Welt mit seinem Geiste zu durchdringen - immer darum."
Diese Thematik gereichte womöglich kaum dazu, einen gerade erst ankommenden Reisenden damit zu behelligen, doch kam Gracchus nicht umhin dies zu tun. Sein eigenes Verhältnis zu den Numina war ein äußerst divergentes, die griechische Ansicht der göttlichen Prinzipien als Personifikation hatte er nie recht sich verinnerlichen können, obgleich auch er sich bisweilen dessen bediente, da die Kommunikation durch dies wesentlich einfacher sicher gestaltete, gleichsam wie er andererseits wenig mehr fürchtete denn die dii inferiores in Persona.
"Indes möchte ich dies nicht hoffen, auch in Bezug auf deine Position. Deine Worte beschreiben skrupellose, unwürdige Zustände und wenn es wahrhaftig so ist, dann frage ich dich wiederum, weshalb nicht die Götter mit einem gewaltigen Tosen diese Welt von dieser Schlechtigkeit sollten befreien? Ich will nicht glauben, dass dies Bild, welches du vom Senat mit Worten zeichnest, den Tatsachen entsprechen kann. Es mag dies in der Republik so gewesen sein, als der Senat ein Korb voll Hummern war, von welchen jeder einzelne versuchte über den Rücken der anderen hinaus zu steigen, doch in der heutigen Zeit ist dies längst nicht mehr möglich. Wir sind Senatoren, Furianus, wir haben eine Verantwortung und eine Pflicht gegenüber dem Imperium, dem Kaiser und dem Volk."
Die Ernsthaftigkeit seiner Züge ließ keinen Zweifel daran, dass Gracchus tatsächlich glaubte, was er sagte.
"Hast du denn tatsächliche Anhaltspunkte für einen Versuch, dir dieses Amt streitig zu machen?" -
Absent bis Sonntag.
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Den Becher voll zu schenken war vergebliche Mühe, denn Gracchus hatte keine Chance mehr, auch nur einen Schluck daraus zu trinken - vorerst. Auch die übrigen Speisen blieben unbeachtet, denn Salambo kam bereits über ihn wie ein Sturm im Sommer über ein unbedarft im Mare Internum schipperndes Fischerboot. Kühn war kein Ausdruck für ihre Art - und verlegen keiner für die seine. Bereits öffnete sich Gracchus' Mund leicht, um leisen Protest zu erheben, doch Salambos Lippen verschlossen ihn, ihre Finger hielten ihn umgriffen, ihr Körper drückte den seinen hinab auf das Bett, und wahrlich, sie schien dies zu genießen. Nicht wie Antonia lag sie da, ließ ihn gewähren als wäre das furchterregendste Geschöpf er auf Erden, sie verlangte nicht einmal von ihm, etwas zu tun, er kam nicht einmal dazu, etwas zu tun. So schloss er die Augen, ließ sie gewähren, versuchte gleichsam sich zu entspannen, sich selbst zu erregen, nicht ihr Gesicht vor sich zu sehen, nicht an die Sklavin zu denken, die ebenso wenig ihn in Stimmung versetzte wie seine Ehefrau, obgleich auch sie einen makellos schönen, einen ästhetisch wohlgeformten Körper aufwies, welchen durchaus mit Freude er könnte goutieren - so er im Sinne hatte, ein Kunstwerk zu betrachten. Indes verfehlte die Liebeskunst der Kundigen nicht ihr Ziel, Gracchus' Herz pumpte alsbald aufgeregt, seine Finger glitten über ihren Leib, suchend wanderten seine Lippen über ihre Haut, sog seine Nase den feinen Odeur nach Zimt und Narde ein, sein Körper regierte auf ihr Spiel, seine Gedanken tauchten ab in die ureigensten Tiefen des Mannseins, bis dass endlich er sie auf dem Lager herumwälzte und der Natur ihren Lauf ließ, ungeachtet dessen, wer das Bett mit ihm teilte, seinen Drang an ihr befriedigend.
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Schweißperlen glänzten auf Gracchus' Stirne, als erschöpft er neben Salambo sich niedersinken ließ, auf den Rücken, die Decke betrachtend.
"Sa-lam-bó"
, es rollte über seine Zunge, durchstreifte den Raum und ließ ein langes o in der Stille nachhallen.
"Du kannst jetzt gehen. Sciurus hat nebenan dir ein Lager gerichtet."
Er hatte ihr dies Lager zugestanden, nicht nur, dass sie nicht einem Sklaven sich würde hingeben und nicht im Dreck würde hausen während sie des Abends sich ihm hingab, sondern gleichsam, dass sie um die Annehmlichkeiten ihres Privilegs würde wissen. Dennoch wollte Gracchus des Nachts nicht in seinem Schlafgemach sie wissen, denn trotz allem war sie immer noch nur eine Sklavin. Wie nicht anders zu erwarten, folgte Salambo der Aufforderung, wie bei jeder sie dies tat, und bis Sciurus die Gemächer seines Herrn betrat, schlief Gracchus bereits - unruhig, doch tief. -
Noch ehe die Decke Gracchus' Körper umhüllte, trieb bereits sein Geist hinfort, umspült vom eintönigen Rauschen der sanft wiegenden Brandung, schaukelnd auf den schaumigen Kronen der dahinrollenden Wellen, hinaus auf den endlosen Ozean, wo die Arme des Somnus langsam ihn tiefer zogen bis dass er im Reich des Schlafes unter ging. Warm und wohlig umfasste die Dunkelheit ihn, geborgen wie in Lethes Schoß, so dass ein feines Lächeln seine Lippen kräuselte, denn ob all des Vergessens wusste er, er war nicht allein, nie gewesen, würde niemals es sein.
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Prüfend taxierte Gracchus sein Gegenüber, sog dieses feine Lächeln in sich auf, eine Farce womöglich - doch wen scherte dies im Anblick eines Sklaven?
"Ein Erbstück also, und nicht Caius' guter Geschmack. Nun, so hat er immerhin etwas Favorables von seiner Familie geerbt, indes muss auch der gute Geschmack wohl irgendwo seinen Ursprung haben, obgleich ich bisherig glaubte, dass dies das Vermächtnis unseres Großvaters ist, welches manches mal einer Laune der Natur folgend eine Generation zu überspringen weiß."
Dieser Mann also war mit Aquilius aufgewachsen, mit dem kleinen Aquilius, nicht mit seinem Caius, denn mit diesem war nur er allein aufgewachsen, niemand sonst hatte das Recht, dies Privileg für sich zu bestimmen. Ein Spielgefährte mochte er gewesen sein, welche die Familie von Stand sich bisweilen hielt, gleich den Ammen und Kindermädchen, gleich Privatlehrern, Kampftrainern und Philosophen für den filius. Gewiss hatte sein Vetter gut daran getan, dieses sein Erbstück aus Hispania nach Rom zu schaffen, denn mit seiner Wahl würde er tatkräftiger Sekretäre bedürfen und Straton mochte wohl ein solcher sein, da Aquilius ihm die Führung seines Haushaltes anvertraute. Immerhin, vier Generationen in Besitz der Flavia garantierten einen gewissen Bildungsstand, perfekte Ausbildung und geschliffene Umgangsformen. Einen Moment lang wünschte Gracchus sich, auch seine Eltern hätten ihm ein solches Kleinod hinterlassen, doch alles in allem hatte mit Sciurus er wohl eine recht passable Alternative gefunden. Noch einmal hob er seine Hand, streckte sie aus, die Wange des Sklaven zu berühren, doch noch ehe die Hautschichten aufeinander konnten treffen, zog langsam er sie wieder zurück, hielt einen Augenblick seinen Zeigefinger vor den Mund während die herbstliche Luft er durch seine Nase zog und ließ schlussendlich seine Hand sinken, während gleichsam seine Augenbrauen ein Stück weit belustigt empor wanderten.
"Zu deplorabel."
Nicht konnte er Caius hintergehen und sich an seinem Besitz gütlich tun, gleichsam würde er nicht einen Sklaven nehmen, welcher Aquilius eigener Günstling war, zumal er weder dies augenblicklich konnte und wollte herausfinden, noch seinen Vetter im anderen Falle um die Einwilligung dessen konnte bitten, was seinen Sinnen vorschwebte. Hohn, dies war Straton - während Aquilius mit dem Aurelier sich vergnügte - blanker Hohn in seinen Gefilden, in seinem Gefängnis, in welchem in ehelichen Ketten er lag.
"Wie ist dein Name?"
Es geschah dieser Tage nicht mehr oft, dass Gracchus sich herabließ, den Namen eines Sklaven zu eruieren, doch jene, welche er dem Archiv im Inneren seines Gedankengebäudes hinzu fügte, vergaß er niemals, ebenso wenig wie deren Träger.