Ein unscheinbarer Schauer durchlief Gracchus' Körper, denn die Worte seines Gegenübers brachten unweigerlich seine Gedanken auf jenen Fluch, der augenscheinlich noch immer auf der Flavia lastete, obgleich er sich uneins war darüber, ob die Ursache Agrippinas Tod in ihren familiären Bindungen zu suchen war oder in ihrer symbolischen Funktion, da doch längstens sie nicht mehr offiziell Teil der Familie gewesen war.
"Es ist wahr, Furianus, sie war die Verkörperung der Tugend, sie war die Unschuld Roms, sie war die unumstößliche Reinheit unseres Reiches - letztlich sogar in solchem Maße, dass nicht einmal der Schatten des Sterbens sie konnte beflecken, sondern sie gewaltsam aus ihrem Leben musste gerissen werden."
In unbewusster Weise sog er seine Unterlippe zwischen die Zähne, kaute darauf herum. Weiters war sich auch nicht dessen sicher, ob Agrippina noch seine Schwester war gewesen, war sie doch aus seinem Leben genommen worden als sie beide noch Kinder gewesen waren, einer Pflicht folgend, einer großen Ehre, pro familia. Obgleich dies im Nachhinein betrachtet ein äußerst divergenter Sachverhalt war, so hatte Gracchus selbst damals keinen Unterschied zum Schicksal seines Bruders gesehen. Beide waren sie fort aus der Familie und obgleich der Name seines Bruders war verschwiegen worden, während die Bindung zu Agrippina bei jeder Gelegenheit wurde hervorgehoben, so verband ihn mit beiden nicht mehr als seine Wurzeln, bis heute weniger noch als mit seinem ihm fremden Zwilling.
"Welcher Schatten indes ist dunkler, jener über dieser Familie oder jener über unserem Reich?"
Mit prüfendem Blick bedachte Gracchus seinen Verwandten.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Zitat
Original von Caius Flavius Aquilius et Claudia Antonia
Es war Gracchus an diesem Abend längst zuwider, über vergangene Tage zu sinnieren, sich an Erkenntnisse zu erinnern, welche vor ihm bereits in Ewigkeit vergangen scheinenden Zeiten Aquilius und er hatten getroffen über Wertvorstellungen und Anschauungen, sich an Sorglosigkeiten zu erinnern. Sorglos lag sein Vetter noch immer neben ihm, gedankenlos, verträumt vermutlich in Hinblick auf seine Liaison. Von der Sehnsucht nach dem Unerreichbaren sprach er und verhöhnte gleichsam damit Gracchus' Sehnsucht, welcher er das Unerreichbare in nur immer weitere Ferne noch hatte gerückt, indem er sich seinem Sehnen nach Aurelius hatte ergeben. Jählings riss sein Eheweib Gracchus aus jeglicher Grübelei, als unvermittelt sie sich erhob und von der Kline sich entfernte. Konsterniert blickte er Antonia hernach, drehte sich alsdann zu seinem Vetter und brachte seine Lippen nah an dessen Ohr.
"Ich habe sie satt, diese Herausforderung. Und ich werde sie nicht annehmen, ich werde nicht ihr hernach eilen."
Unerträglich war es ihm und bestimmt wandte Gracchus sich von seinem Vetter ab, drehte den Rücken ihm zu, starrte in den Raum hinein, ohne sich der Feierlichkeiten um sich herum weiter bewusst zu sein. Lauernd stand er in seinem Gedankengebäude vor der prächtigen Wasseruhr, in welcher beständig silberfarben schillernde Perlen auf die mit jedem Tropfen sich in kleinen Wogen kräuselnde Oberfläche schlugen. Herzschläge. Augenblicke. Atemzüge. Schritte. Der Rhythmus der Zeit verrann, doch Antonia kam nicht wieder. Missmutig biss Gracchus seine Kiefer aufeinander, drehte zu seinem Vetter sich schlussendlich um, und presste leise Worte zwischen den Zähnen hervor.
"Ich werde sie suchen und nach Hause bringen. Wirst du uns begleiten?"
Nicht bitten wollte er Aquilius, nicht flehen um seinen Beistand, welchen er doch mehr als vieles an diesem Abend ersehnte, um einen Weg zu finden aus dieser überaus misslichen Lage, doch mochte sein Vetter seine Sehnsüchte auch auf andere Ziele gelenkt haben, so hoffte Gracchus doch noch immer auf den Funken der Freundschaft - indes, in vertrauter Zweisamkeit würde Aquilius ohnehin an diesem Abend nicht mit Aurelius würde enden können, war das Fest dazu doch zu sehr noch in Gange und der Gastgeber in der Hand seiner Gäste. -
Behäbig nickte Gracchus.
"So bleibt es an uns nur, über die Tauglichkeit dieses Mannes zu entscheiden? Für Germanicus spricht seine Berufung als Magister Architecturae und die Tatsache, dass in all der Zeit er der einzige Bewerber ist, was nicht schmeichelhaft mag sein, uns jedoch zur Handlung drängt. So denn keine gewichtigen Gründe gegen seine Beauftragung sprechen, bleibt indes die Frage im Raum bestehen, wie wir eine weitere Verzögerung der Sanierung rechtfertigen können und wollen. Was also spricht gegen ihn?"
Auch Gracchus kannte das Gerede, welches mit der Zunge der Fama über den Senator wurde gesprochen, doch er legte wenig Wert auf Gerüchte, und Germanicus kannte er indes kaum persönlich, verband zu wenig mit ihm, als dass er ob dessen eine Entscheidung wollte rechtfertigen. -
In ihr kontemplatives Schlemmen versunken war das Wissen um seine Anwesenheit Decima gänzlich verlustig gegangen, dessen wurde Gracchus sich mehr und mehr gewahr. Es war dies ihm gleichsam mehr und mehr unangenehm, denn sukzessive legte sich ihr Schweigen wie ein dunkles Tuch über den Raum, welches einer dumpfen Membran gleich jegliche Luft aus ihm zu rauben schien. Womöglich war dies eine Prüfung der Decima? Doch was indes würde mit solcherlei sie bezwecken? Zielte dies alles noch immer auf Quintus ab? Zwischen Scylla und Charybdis in den tosenden Wogen des aufbrausenden Meeres hin und her geworfen, entschloss Gracchus schlussendlich, nicht länger sich dieser Verlegenheit auszusetzen. Ein leises Räuspern kündete von seiner Absicht, bevor er jene in die Tat umsetzte, und die Füße von der Kline schwang.
"Nun denn." -
Gemeinsam mit den übrigen Pontifices war auch Gracchus der Prozession gefolgt, nicht allein pflichtschuldig, war die Speisung der capitolinischen Trias doch eines der bedeutendsten Feste jener. Gerade in diesen Tagen, da der Imperator Caesar Augustus fern der römischen Heimat weilte, gehörten die Götter zu dem wichtigsten, was Rom zusammen hielt, trug die Satisfaktion der Götter doch auch für die Zufriedenheit der Bürger Sorge. Ein wenig störrisch schien eine der Opferkühe, doch letztlich würde dies kaum zur Störung des Opfers gereichen, es sei denn, sie würde vom Opferplatz ausbrechen, was aufgrund der Ketten, welche die Tiere am Boden hielten, jedoch kaum zu erwarten war. Ein wenig Unruhe indes würde andererseits womöglich auch das Volk ein wenig mit Bangen erfüllen, und dies war allemal mehr favorabel, als es in diesen Zeiten ob der gebotenen Spiele all zu sorglos werden zu lassen.
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Der Zuspruch seines Vetters konnte nicht dazu gereichen, all die Gewissensbisse aus Gracchus zu vertreiben, welche er ob seines Vorgehens hatte, gerade und insbesondere gegenüber Antonia, doch ein wenig milderte er das gefühlte Ausmaß der Tat und immerhin, so Caius ihm nicht ob dessen würde Vorwürfe angedeihen lassen, so war alles devastierendes Reuegefühl noch zu ertragen. Dennoch mochte Gracchus kein weiteres Wort ob dessen verlieren, hob nur in stummer Dankbarkeit und stiller Übereinkunft ebenfalls den Becher, Caius zuzuprosten und sich am ehrlichen Lächeln seines Gegenübers gütlich tuend, längst in ein wenig verklärter Atmosphäre gefangen, ob des Weines, ob der späten Stunde, ob der greifbaren Nähe seines Geliebten.
"Beieinander"
, ließ Gracchus sich auf der Zunge zergehen.
"Welch ephiphanes Wort. So simpel und doch gereicht es dazu, mich darin schwelgen zu lassen, darin zu baden, tief in es einzutauchen, mich damit einreiben zu wollen von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln, es um mich zu legen wie eine wärmende Decke des nächtens. Ist es nicht ergötzlich, welch unglaubliche Macht einem solch einfachen Wort kann inne wohnen? Wenn je es etwas gab, was den Sinnen zur Ebenbürtigkeit gereichte, so ist dies das Wort, kunstvoll inszeniert, symphonisch komponiert und harmonisch in den Äther gezeichnet. Verschlingen kann ich dich, Caius, begehren kann ich dich, Caius, adorieren, liebkosen, dich mir einverleiben, goutieren, vergöttern und dir in unsterblicher Liebe verfallen bis zur letzten Konsequenz, denn so mächtig das Wort auch ist, manches Mal ist es gleichsam so filigran zerbrechlich, verflüchtigt sich innerhalb von Herzschlägen und ist bereits verloren in dem Moment, da die letzte Silbe noch verklingt."
Ein panurgisches Lächeln umschmeichelte Gracchus' Lippen.
"Wer könnte jetzt noch beweisen, was ich getan habe? Du allein, doch vielleicht warst nur einem Trug du erlegen, geboren aus deiner eigenen Sehnsucht und was ich sagte, war gänzlich anderes als was du vernahmst."
Den Weinbecher auf dem Tisch abstellend ließ sich Gracchus hin sinken in die Kissen der Kline, legte seinen Kopf zurück und starrte hinauf in das Dunkel der Nacht, in welchem endlos weit entfernte Sterne glimmten wie kleine Diamanten.
"Beieinander"
, echappierte noch einmal ihm mit einem verträumten Unterton, glücklich ob der Schönheit Caius' Wortes, gleichsam spürte Gracchus, wie die Schwärze der Nacht und die Schwere des Weines langsam auf ihn hernieder zu drücken suchte und ihn zu übermannen drohte. -
Ein wenig nervös rutschte Gracchus die erste Stunde der Senatssitzung, welche gewichtigen Thematiken gewidmet war, auf seinem Sitz in den hinteren Reihen herum, dort, wo die erst kürzlich aufgenommenen Senatoren ihre Plätze hatten, aber auch jene pedarii, welche bereits durch die Gunst ihrer Patrone seit längerem in den Hallen des Senates weilten, doch gleichsam niemals über das Amt einer Quaestur würden hinaus kommen. Trotz der Tatsache, dass Gracchus einer derjenigen Senatoren war, welche zuletzt in das Gremium waren aufgenommen worden, war jener Punkt, welchen er zur Aufnahme auf die Tagesordnung hatte vormerken lassen, weit vorgezogen worden auf dieser Agenda, würde er doch nicht in erster Linie als Senator das Wort erheben, sondern mehr als Pontifex und pro collegio des Collegium Pontificium. Als der Princeps Curiae seinen Namen aufrief, so dass dieser durch die Halle der Curia Iulia hallte, erhob sich Gracchus langsam, suchte mehr Ruhe auszustrahlen als tatsächlich in seinem aufgewühlten Inneren vorherrschte, war jedoch gleichsam dessen überzeugt, dass jeder der Senatoren um ihn herum - alle viel versierter als er selbst - die Farce auf den ersten Blick würde erkennen, und war froh ob dessen, dass nicht aus rein persönlichen Gründen er an diesem Tage sprach, da jeder dieser Senatoren seine Rede würde in marginalste Einzelteile zerreißen und ihn in den harten, marmornen Grund der Curia Iulia würde stampfen können.
"Senatores, einige Tage bereits sind vergangen seitdem ein Frevel unsäglichen Ausmaßes sich hat ereignet, inmitten des Herzen dieses Reiches, inmitten der urbs aeterna, mitten auf dem Forum Romanum. Zu den ältesten Bauwerken unseres Volkes gehört der Tempel der Vesta, in welchem das ewige Feuer brennt, in Rundform erbaut wie einst unsere Vorfahren ihre ersten Hütten hier in Rom hatten errichtet, einen Kult beherbergend, einen Ritus, welcher so alt ist wie die ersten Gesetze dieses Reiches, zurückgehend bis zu den Anfängen der Gründung unserer Stadt, begründet von Numa Pompilius, wenn nicht gar von Romulus selbst. Auf den Stufen zu diesem Tempel, dem Tempel der Vesta, wurde auf schändlichste Art und Weise die virgo vestalis maxima in mörderischer Absicht niedergestochen. Nichts trug sie materielles bei sich, was hätte ihr geraubt werden können, nichts provozierendes zuvor hatte sie getan, war auf dem Weg zum heiligen Feuer der Vesta, um dort ihrer Pflicht nachzukommen. Kein Umstand hätte eine Tat, wie sie geschah, herausfordern können, so dass kein Zweifel bleibt an der Intention des Angreifers bestehen, einzig die virgo vestalis maxima ihres Lebens zu berauben."
In einer kurzen Pause ließ Gracchus jene Intention nachwirken, bevor er fort fuhr.
"Ein Attentat auf Consul Prudentius mag ein Attentat auf den Consul und damit den Staat Rom gewesen sein, oder aber auch auf den Mann Prudentius Commodus. Ein Attentat auf den Praefectus Urbi Octavius mag ein Angriff auf Roms Stadtpräfekten und damit Roms Macht gewesen sein, oder aber auf den Mann Octavius Victor. Bis jene Verbrechen nicht in ihrer Absicht ergründet sind, können wir weder das eine, noch das andere mit Sicherheit beweisen. Doch, Senatores, ein Angriff auf die virgo vestalis maxima, dies ist ein Angriff auf Rom selbst, ein Angriff auf die Grundfeste unseres Imperium, denn die virgo vestalis maxima ist keine Person. Sie ist eine ein Symbol - ein Symbol für die Unschuld und Reinheit der Roma, ein Symbol für die ältesten Gesetze und Ordnungen unseres Reiches, ein Symbol für die Wahrung der pax deorum, und ihre Ermordung kommt dem Ersticken des vestalischen Feuers gleich. Es ist dies ein Frevel, wie kaum schlimmer er Rom hätte treffen können. Als Pontifex, der ich heute vor euch stehe, bin ich beauftragt, im Namen des Collegium Pontificium dem Senat dringend nahezulegen, für eine Entsühnung dieses Frevels Sorge zu tragen, denn die Götter werden unweigerlich Satisfaktion fordern ob dieses niederträchtigen Geschehens. Das Collegium Pontificium ließ das weitere Vorgehen für einen solchen Sachverhalt bereits in den Aufzeichnungen vergangener Tage prüfen, doch nie zuvor in der Geschichte des Imperium Romanum hat sich ein Frevel diesen Ausmaßes ereignet, keine der vestalischen Jungfrauen war je Opfer eines solchen Attentates, so dass das Collegium Pontificium dem Senat keine bereits feststehende Entsühnung aufgrund vergangener Präzedenzfälle vorlegen kann. Daher ist dringend geboten, eine interpretatio durchzuführen, um den Zorn der Götter nicht heraus zu fordern."
Da er nun einmal bereits stand und es fraglich wäre, wann das Rederecht ihm eine neuerliche Wortmeldung würde gestatten, fügte Gracchus subsekutiv an seine offizielle Beauftragung zudem seine persönlichen Worte in Bezug auf die vergangenen Geschehnisse hinzu.
"Als Senator, der ich gleichsam heute vor euch stehe, dränge ich indes darauf, dass endlich diese Verbrechen aufgeklärt werden, der Mord an Consul Prudentius, das Attentat auf Praefectus Octavius und vorrangig vor allem der Mord an der virgo vestalis maxima - denn das Versagen des Staates in diesem Falle wird nicht unbeachtet bleiben, insbesondere mit Blick auf Parthia und die Abwesenheit des Imperator Caesar Augustus. Wenn der Staat Rom nicht mehr in der Lage ist, die unschuldigsten seiner Bürger zu schützen, wenn der Staat nicht mehr in der Lage ist, seine Symbole zu bewahren, zu was, wird uns das Volk schlussendlich fragen müssen, ist er dann noch in der Lage?"
Mit dieser Frage, nicht gänzlich nur rhetorisch intentioniert, nahm Gracchus wieder Platz. -
Die Renovierung des Tempels des Mars Ultor war eine Thematik, welche den Cultus Deorum bereits seit längerer Zeit verfolgte, so schien es Gracchus, denn ihn selbst hatte dies bereits während seiner Ausbildung bei dem damaligen Sacerdos Valerius tangiert, was zugegebenermaßen doch bereits länger zurücklag als er sich diesen Zeitraum wollte eingestehen. Dennoch war er mehr als überzeugt, dass sich an der bereits damals zur Genüge gesicherten Finanzierung kaum etwas durfte geändert haben, gegenteilig, die verfügbare Summe noch angewachsen mochte sein, denn auch die regelmäßig durchgeführten kleineren Ausbesserungsarbeiten und neuen Anstriche des Tempels würden dem nicht Mittel in übermäßiger Höhe entzogen haben, während Spenden sicherlich des Öfteren getätigt wurden.
"Wurde nicht bereits schon viel zu lange gewartet? Obgleich das aedes nicht jeden Augenblick in sich zusammenzustürzen droht, so hat doch der erste Tempel des Mars im Reich, sein prächtigstes Haus und einer der bedeutendsten Tempel dieser Stadt und des gesamten Imperium Romanum doch längstens eine Sanierung verdient. Es sollte kaum an Geldern mangeln, welche eine angemessene Vergütung der Arbeit zulassen. Hat Senator Germanicus eine Aussage über die von ihm präferierte Größe der potentiellen Inschrift getroffen? Sollte er sich mit der üblichen Nennung seines Namens in einem der Steine Zufrieden geben, so sehe ich nichts, was gegen dies würde sprechen. Indes halte ich einen größeren, exzeptionellen Schriftzug für vermessen, denn jenes Bauwerk künftig als Tempel des Mars Ultor, gestiftet 752 ab urbe condita durch Imperator Caesar Divi filius Augustus, Pater patriae, in Stand gesetzt 857 ab urbe condita durch Senator Medicus Germanicus Avarus, Magister Architecturae, zu betiteln, erscheint mir kaum der Bedeutung angemessen." -
Da auch die übrigen Pontifices kaum anderer Meinung waren denn dem Senat eine Entsühnung anzutragen, so war dies bald beschlossene Vorgehensweise. Die Aufzeichnungen der Pontifices waren zu prüfen, ob bereits ein Präzedenzfall für diese Tat war geschaffen worden, andernfalls würde der Senat über ein adäquate interpretatio entscheiden müssen. Der Rex Sacrorum wandte sich dem Pontifex Minor Papinius zu, welchem die Verwaltung des Archives oblag.
"Papinius, du wirst über die Prüfung der Aufzeichnungen Aufsicht nehmen. Obgleich es äußerst unwahrscheinlich ist, dass dort ein solcher Frevel zu finden ist - würde solcherlei doch kaum je im Bewusstsein Roms verblassen - so darf nichts in diesem Falle als selbstverständlich hingenommen werden. Flavius Gracchus, du wirst hernach dem Senat unsere Empfehlung antragen. Für uns alle gleichermaßen gilt, dass Rom dieser Tage unsere Pflichterfüllung mehr braucht denn je, denn die Unsicherheit in der Bevölkerung wird groß sein. Die Sitzung ist damit geschlossen."
Nach Ende der Sitzung wollte das Gemurmel unter den Pontifices über die Ungeheuerlichkeit der Tat kein Ende nehmen und nur widerwillig schien die Halle sich zu leeren. Noch immer vom Schock der Tat in Klauen gehalten, stierte Gracchus auf die Musterung des marmornen Bodens, unschlüssig, was für die Flavia würde zu tun sein. Nichts, so musste schlussendlich er erkennen, war doch seine Schwester längst nicht mehr Teil der Familie gewesen, hatte unter der patria potestas des Pontifex Maximus gestanden, so dass die Trauerfeierlichkeiten samt des Begräbnisses würden Angelegenheit des Staates sein, wie einer virgo vestalis maxima dies gebührte. Auch ihm selbst stand mehr nicht zu denn die Trauer eines jeden Pontifex, eines beliebigen Bürger Roms. -
Etwas furchtbares war geschehen. Nicht genug, dass sich in Italia bereits Misere an Unheil reihte, Unglück an Tragödie, nun hatte es auch auf Hispania übergegriffen - musste übergegriffen haben, denn welche Gründe würden sonstig Furianus aus der Provinz zu dieser Zeit über das Meer hinweg treiben, ihn seiner Pflicht den Rücken kehren und die weite Reise nach Rom antreten lassen? Kaum jedoch konnte Gracchus dies neuerliche Unglück, dessen Kenntnis ihm nun bevor stand, noch mehr in Tristesse und Devastation hinab ziehen, als die Ereignisse vergangener Woche dies hatten ohnehin bereits getan. Dennoch steckte ein tiefer Kloß ihm im Halse als seine Schritte er zum Atrium hin lenkte, wo der Vetter, welcher sein Neffe war, auf ihn wartete. Ein wenig blass sah Furianus aus, kränklich womöglich - und wen sollte dies wundern, bei jenen Nachrichten, welche er würde unweigerlich überbringen müssen? An Gracchus selbst wies nichts auf die Schieflage seines Gemütes hin, ohnehin war seine Gemütslage ständig in unausgeglichenem Zustand, so dass kaum je dies noch auf seinem äußeren Antlitz sich konnte abzeichnen, mehr noch bereits Teil seiner Selbst geworden war - der undurchdringliche Blick in ferne Gefilde, in welchem stets ein wenig Schwermut lag, die lange zu Perfektion hin getriebene Reaktionslosigkeit seiner Züge, die schmalen, selten sich öffentlich in einem wahrhaft freudigen Lächeln hebenden Lippen, und der gerade aufgerichtete Körper, in ernsthafte Starre gepresst, welchem in Bewegung trotz allem immer ein latenter, sublimer Hauch von Schwingung anhaftete, ganz, als würde Gracchus gleichsam wandeln in gänzlich anderen Welten, auf sanften Wolken oder weichem Gras - eine Couleur, welche er Zeit seines Lebens hatte zu supprimieren gesucht, was jedoch nie gänzlich ihm wollte gelingen.
"Furianus."
Längstens waren sie nicht so vertraut miteinander, dass Gracchus mehr als einen vetterlichen Handschlag würde anstreben, in keinem Falle jedoch eine vetterliche Umarmung, brachte zwar Furianus ihn nicht mehr in körperliche Befangenheit, doch war sich Gracchus dessen nie gänzlich sicher, so dass ohnehin er den physischen Kontakt mehr mied denn suchte, gerade und insbesondere in Hinsicht auf seine Vettern - Caius hatte diesbezüglich schon mehr Derangierung gebracht, als dies einem Vetter allein für ein einzelnes Leben konnte zur Güte gereichen.
"Willkommen zuhause. Wie geht es dir? Welche Umstände konnten dich dazu bewegen, Hispania den Rücken zu kehren und die Hauptstadt aufzusuchen?"
Selbst Komplikationen in der Führung der Provinz konnten diese Gründe nicht sein, hätte doch Gracchus von solcherlei im Senat erfahren müssen. Obgleich er nichts davon sich anmerken ließ, so war er doch auf das Schlimmste gefasst, als auf eine Kline vis à vis seines Vetter er sich nieder ließ. -
Aufgrund eines verlängerten Wochenendes im fernen Süden werde ich bis Montag absent sein.
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Die Decima goutierte die dargereichten Speisen, schien beinah gänzlich ihn vergessen zu haben, bedachte ihn nicht mit ihrem Blick, geschweige denn mit ihrem Wort. Mochte er sich erheben, in seine Bestandteile auflösen, dem Rauch verglühender Weihrauchkörner gleich entschweben durch die Ritze im Mauerwerk, sie würde vermutlich nichts davon bemerken. Fasziniert beobachtete Gracchus, wie das Essen im Munde Decimas und ihren Rachen hinab verschwand, angedeutet durch die leichte Bewegung ihrer Kehle, denn selten bot sich die Gelegenheit zum Studium des nicht familiären, weiblichen Wesens. Beinah erschien sie ihm ein wenig wie seine Gemahlin Antonia - wortkarg, reserviert und schweigsam - nur dass jene nicht in solcher Versunkenheit sich den Speisen widmete. Die Gedanken indes an seine Gattin ließen die Stille um so drückender im Raume erscheinen, würde er mit seinen Fingern eine Form durch die Luft beschreiben, so würde ein Bildnis deren Odems sichtbar vor ihm schweben, dessen war Gracchus sich gewiss, doch er wagte nicht, seine Hand zu heben, um solcherlei zu prüfen. Einzig der Becher fand hinwieder zögerlich seinen Weg empor an Gracchus' Lippen, um jene zu benetzen mit der kühlen Feuchtigkeit der schimmernden Flüssigkeit.
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Dem Fluss des Weines entsprechend versuchte Gracchus sich all dies zu merken, was sein Vetter empfahl, nicht zu drängen - kein Wort würde Antonia in solchem Falle freiwillig aus sich entlassen, dies befürchtete er trotz alledem, Anerkennung auszusprechen - als Hohn nur würde sie dies auffassen, als versteckte Ironie gar, und niemals würde sie als Ausflugsziel für sie beide einen Ort fern der Publizität wählen, keinesfalls einen solchen an welchem sie beide gemeinsam allein würden sein, doch Gracchus notierte umsichtig jedes Wort in Gedanken, ritzte sorgfältig es ein in eine wächserne Tafel und verbarg diese in jenem Raume seines Gedankengebäudes, welcher seiner Ehe gebührte - eine kahle, kleine Kammer, mit bloßen Wänden, festgestampftem Boden und schmalen Fenstern, karg in ihrer Einrichtung, nur ein Schrank und ein Brett auf zwei Felsbrocken - um hernach eilig von dort zu entfliehen, nur, um gerade rechtzeitig zurück, eine Augenbraue zu heben in stillem Erstaunen.
"Wie könnte ich sie verabscheuen? Bei allen Göttern, sie ist mir so fremd, so unglaublich fremd. Dennoch, ich habe Felix einst darum gebeten, eine favorable Verbindung mir anzuraten, und dies ist sie ohne Zweifel, mehr als favorabel. Ich brauche sie, Caius, und ich kann nicht sie ziehen lassen ohne mein eigenes Leben, meine eigene Zukunft ziehen zu lassen, gerade nun da endlich sich einige Lücken in den übermächtig erscheinenden Mauern sich haben aufgetan. Untadeligkeit, Caius, ein Pontifex muss über jeden Zweifel erhaben sein, und dies fängt bei der Ehe an. Eine Scheidung würde alles zerstören, was noch vor mir liegen mag."
Zögerlich goutierte Gracchus noch einige Schlucke Wein ob der prekären Thematik, welche die Worte seins Vetters hatten tangiert. Noch weniger gereichte ihm zum Wohlbefinden darüber zu sprechen denn über die Gefühle gegenüber seiner Gemahlin, waren doch es Taten, unumstößlich, unleugbar und unangenehm dazu.
"Eine andere Frau liegt an meiner Seite des nächtens."
Einige Herzschläge lang hing die Wahrheit wie ein seidenes Tuch in der Luft, welches sich über die Szenerie legte, sie bedeckte und unter sich zu ersticken drohte.
"Eine Sklavin. Ich ..."
Er senkte den Blick, erneut voller Scham, leise wogten seine Worte durch die spätabendliche Luft, verloren sich im dunklen Himmel über Rom.
"Sie wird mein Kind austragen. Womöglich. Ich muss ... ich muss wissen, in wessen Verantwortlichkeit das Säumnis eines Erben liegt, um zu entscheiden, was weiter geschehen muss. Wir ... ich ... brauche dieses Kind, wie ich sie nicht ziehen lassen kann. Ich wünschte, wir könnten ... aber ... es fruchtet nicht ... vielleicht ihretwegen ... vermutlich meinetwegen. Ich muss es wissen."
Nicht mehr lange und er würde die dritte Dekade seines Lebens hinter sich lassen. Ein Erbe war unumgänglich, längst säumig. Zaghaft hob Gracchus den Blick, den seines Vetters zu suchen, Missbilligung darin fürchtend, Unmut und Unverständnis.
"Ich kann nicht schwach sein, solange du bei mir bist, Caius, doch deplorablerweise kannst nicht immer du bei mir sein. Ohne dich ertrinke ich Fisch im Meer." -
Beinahe hätte seine rechte Augenbraue sich ihres Eigenlebens bemächtigt und wäre marginal ein wenig empor gestiegen, doch im letzten Moment konnte Gracchus sich ob ihrer Erinnern und Einhalt gebieten, so dass unbewegt sie an ihrem Platze blieb.
"Wo du unterwegs warst, interessiert mich nicht im Geringsten, und nicht wie dein Leben du weiterführst, abgesehen davon, dass es nicht in diesem Hause geschehen wird. Deine Eltern und ihre Sippschaft sind die Gründe meiner Zurückweisung, denn in diesem Hause ist kein Platz für jene, welche dem Glauben anhängen, ihre eigene Gier und Gelüste über das Wohl des Imperium Romanum und des Imperator stellen zu können. Du hättest besser daran getan, Spross eines einflusslosen, doch ehrenwerten Familienzweiges zu bleiben. Du hast dein Leben und deine Zukunft unter die falsche Hand gestellt und auch so dir das Imperium dies verzeihen wird, die Flavia Romulus wird indes es nicht. Suche dein Heil in anderen Häusern, doch wage nicht, die Familie dieses Hauses als die deine zu benennen." -
Unwillkürlich pressten sich Gracchus' Kiefer aufeinander, Stille zog sich durch das Atrium, durchbrochen nur vom Plätschern des Wassers in das impluvium und den fernen Geräuschen der Welt, welch durch das compluvium hereinzogen. Mochte so, mit diesem nichtssagenden, lauter erscheinenden Blicke, sein frei gewählter Bruder den Imperator angesehen haben, bevor das Messer er warf? Klandestin zog ein frischer Hauch durch das Atrium, ließ die Flammen hinter den Masken der Ahnen erzittern, so dass Schatten über ihre stummen Mienen tanzten.
"Suchst du mich zu düpieren?"
Kalt war die Couleur seiner Worte, doch durchzogen von beständiger Ruhe.
"Mitglied deiner Familie war ich nie und werde es niemals sein. Du hast deine Abstammung selbst gewählt und damit gleichsam dein Verderben. Magst du dieser Wahl treu bleiben oder noch einmal deine Familie zu wechseln und damit die Schande deiner ideologischen Bindungen zu tilgen suchen, Bestandteil dieser Hausgemeinschaft wirst niemals du sein. Geh, verlasse dieses Haus und fordere nicht die Grenzen deines Glückes gleich denen meiner Gutmütigkeit heraus."
Fest war Gracchus' Blick, unnachgiebig, gleich jenem, welchen sein Vater hatte besessen, mit welchem seinen Sohn er bei den seltenen Gelegenheiten ihrer Aufeinandertreffen hatte in den Erdboden hinab geblickt, und wäre er sich bewusst gewesen dessen, womöglich hätte Gracchus ihn gesenkt, gemildert vielleicht, doch so persistierte nur das stetige Fixieren der Augen seines Gegenübers. -
Zitat
Original von Cnaeus Flavius Lucanus
Klar, wenn man im Fernsehen verfolgen könnte, wie jedesmal am Anfang einer Parlamentssitzung ein Kultbeamter einen Kult absolviert (Religions- und Konfessionsneutral gesagt), dann wär' das auch im IR mehr im Bewußtsein.
Ich möchte zu behaupten wagen, dass es nicht nur fehlende Kultpraxis, sondern auch die Art der heutzutage in Europa verbreiteten monotheistischen Religionen ist, welche dem Einfühlen in die römische Religion (und vielen anderen antiken Religionen) entgegen steht. Nicht nur, dass es viele Gottheiten statt eines einzigen Gottes gibt, die Kommunikation und das Verhältnis zu den Göttern scheint mir auch ein völlig anderes zu sein, selbst der Begriff der 'Götter' im antiken Sinne mag in meinen Gedanken nicht zu dem Begriff 'Gott' oder 'Gottheit' im heutigen Sinne passen, allerdings muss wohl ich zugeben, dass mir hier völlig die fundierten wissenschaftlichen und theoretischen Grundlagen fehlen.ZitatInteressant aber, daß Kultvereine kaum eine Rolle spielen: eigentlich die Plattform für Klüngelei, Ämterschacher und Protektion schlechthin, oder? (Natürlich auch für andere Annehmlichkeiten ...)
Hierzu besteht bereits die Möglichkeit in den Rennställen, den Factiones, was jedoch auch eher selten genützt wird. Allgemein krankt das gesellschaftliche Leben bisweilen, sofern es nicht in den heimischen vier Wänden der Villa sich abspielt, ein wenig. -
Zitat
Original von Cnaeus Flavius Lucanus
Nee, ich meine nicht Totengräber*) , sondern Vereine, in denen sich alle (Römer, Peregrini und Sklaven) zusammenschließen, die für ihre Bestattung vorsorgen wollen. Diese Vereine kümmerten sich auch um die Nekropolen (Kolumbarien in Roms Katakomben, aber auch oberirdisch), war IRL auch natürlich mit Götterkult und Totenmählern zum Gedenken verbunden. Ist. jedenfalls historisch.
Vermutlich besteht ein solcher Verein nicht, da kaum Bedarf daran besteht. Entweder ist ein Charakter Bestandteil einer Familie, welche sich um solcherlei kümmert oder aber die ID scheint dem Spieler ohnehin nicht so wichtig, als dass sie bei Aufgabe ein Begräbnis verdient. Freie Kultvereine (also jene, welche nicht einer Berufung bedürfen wie die arvales oder salii) sind allgemein sehr rar gesät und führen bei Vorhandensein ein rechtes Schattendasein, vermutlich aus eben dem gleichen Grund, weshalb auch der Kult allgemein wenig Beachtung nur findet - das fehlende Wissen darum, womöglich auch fehlende Parallelen in heutiger Zeit und fehlender Wille/Vergnügen, sich damit näher zu befassen. -
Während er Schluck um Schluck die Kühle des Weines goutierte, gleichsam die wärmende Aura des sanften Feuers über seine Haut strich, versuchte Gracchus den Ausführungen seines Vetters in Hinsicht auf seine Gemahlin zu folgen, wollte eben schon in zustimmendes Nicken sich ergeben, als sein Gedankenfluss abrupt erstarb.
"Nein, Caius, du irrst. Jetzt da du es erwähnst, ich hatte es längst vergessen ... Als ich aufbrach, um Leontia und Quintus ... nun, ich bat Antonia darum, für die Administration des Haushaltes Sorge zu tragen, die Anlagenwertführung zu übernehmen, bis wieder ich zurück gekehrt bin. Sciurus hatte ich bei mir und mitnichten hatte ich geglaubt, so lange fort zu sein, zudem ging ich davon aus, sie würde mir dies wieder antragen, sobald ich einen Fuß in die Villa setze, doch ..."
Erstaunt schüttelte Gracchus den Kopf, blickte Aqulius fragend an.
"Sie tat es nicht. Gleichsam, ob all der Geschehnisse habe ich völlig darüber vergessen und doch weiß ich, dass alles in bester Ordnung ist. Die arcae sind gefüllt, ich habe die Zahlen gesehen ... mehercule, ich habe sie gesehen, Caius! Ich habe geglaubt ... ich weiß nicht, was ich geglaubt habe, doch mitnichten habe ich an sie gedacht."
Mit einem kräftigen Schluck suchte Gracchus seine Confusion ob dessen die Kehle hinab zu spülen. All die Zeit wirkte seine Gemahlin in seinem Rücken und er bemerkte dies nicht einmal - er wusste nicht, ob ihn dies erfreute, oder ob mehr darob er Furcht sollte verspüren.
"Du meinst also, ich solle sie drängen, darüber zu sprechen?"
Obgleich Gracchus nicht glaubte, dass es Antonia nach Gespräch sehnte - war sie doch immer sprachlos in seinem Angesicht, kurz angebunden und wenig kommunikativ - so wollte er doch seinem Vetter vertrauen in dieser Hinsicht, denn wer würde dies besser wissen denn er, der er nicht nur durch die Betten der Sklavinnen zog, sondern gleichsam sich liebend gern in jenen respektabler Frauen räkelte.
"Und doch, immer, wenn ich mit ihr spreche, hat sie nichts zu sagen. Wie sollte ich ihr zuhören, wenn sie nicht zu sprechen bereit ist? Erteile dem Iulier das Wort und nichts denn deine Zurechtweisung oder das Ende der Sitzung wird ihn davon abhalten, in endlosen Tiraden über die Götter und die Welt zu lamentieren, doch selbst eine Frage entlockt Antonia kaum mehr denn ein marginales Nicken, ein kurzes 'Ja' oder 'Nein' wenn gar nicht anders es geht. Wenn nicht eben wir uns in der Öffentlichkeit bewegen, wo solcherlei von uns erwartet wird, hat kaum je mehr denn einen Satz sie mit mir gesprochen."
Bedauernd zog Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne, kaute auf ihr herum, mit kummervollem Blick, desperat, spülte alsdann den unangenehmen Geschmack in seinem Munde - Fäulnis, mit welcher seine Ehe belastet war - erneut mit Wein hinfort.
"Selbst wenn - du kannst nicht dir vorstellen, mit welchem Blicke sie dies tut, mit welcher Intention sie meinen Namen dabei spricht - als würde sie mich unter der Sohle ihres Schuhes wähnen und in genüsslicher Weise ihren Fuß hart auf den Boden pressen, ein Insekt zerquetschen mit maliziöser Freude."
Erschrocken noch einmal umfasste er fester den Becher in seiner Hand, trank erneut, schnell, ohne die Güte der Flüssigkeit zu bemerken, geschweige denn zu würdigen.
"Bei Iuppiter Fulgur, Caius ... ich ... ich glaube, ich ... "
Er konnte nicht es aussprechen, wollte es nicht, denn wenn erst es ausgesprochen war, so gab es kein zurück mehr vor der Erkenntnis, indes, wem sollte er sonstig sich anvertrauen, wenn nicht seinem geliebten Vetter? Mit einem langen Schluck leerte Gracchus den Becher, ließ den Wein in sich wirken, seine Adern wärmen, seine Sinne erstarken.
"Ich glaube, ich fürchte mich vor ihr."
Beschämt senkte er den Blick. Sie war ihm fremd, unverständlich, dabei an ihn gebunden, es mochte irrational sein, und doch war es eine völlig natürliche Reaktion sie zu fürchten - wie er sich selbst zu persuadieren versuchte - gleich einem übermächtig scheinenden Feind, dessen Sprache man nicht beherrschte und von welchem man nie wissen konnte, ob und wann er über die Grenzen in das Herz des Reiches würde streben.
"Oh, Caius, und vermutlich hat sie zudem Recht, wenn sie mich solcherweise betrachtet. Einen fürsorglichen Ehegatten hat sie verdient, welcher sie umgarnt, ihre Person zu würdigen weiß, ihre ... Weiblichkeit, wenigstens den Funken einer Chance. Nicht mich. Ich wünschte, ich könnte auf einer fernen Insel sitzen, meine Worte und Gefühle in den nassen Sand schreiben, aus welchem sie die Flut jeden Tag erneut hinfort schwemmt, auf dass Platz für neues entsteht, fern der Welt, fern all derer, denen meine Anwesenheit doch nur zum Schmerze gereicht."
Sehnsucht hatte Einzug gehalten in seine Miene, der Hauch einer Reminiszenz an vergangene Tage, vergessene Tage, während Sciurus dafür Sorge trug, dass die Becher voll Wein blieben.
"Erinnerst du dich an die Welt, die wir uns schufen, verborgen in den Nischen der Bibliothek, verloren auf den grünfarbenen Wiesen, verirrt in den Gassen Athenaes, versteckt unter einer Decke mit einer Öllampe und einem Pergament? Wie sicher, wie überzeugt waren wir damalig, dass nichts uns von dieser Welt könnte abhalten, dass nichts uns je würde auseinander reißen können, dass keine Pflicht, keine Erwartung uns nach Rom würde ziehen, unseres Lebens entfremden. Doch sieh uns an, verheiratet und kurz davor, verloren in einer Welt, welche die unsrige sein muss und es doch niemals sein wird, die Menschen um uns herum in eben jene Bahnen zwingend, welche so sehr wir fürchten. Caius Aquilius, nicht dieser Name ist es, welcher deinem Sohn schwer auf den Schultern wird lasten, nicht dein Erbe ist es, einzig die Launenhaftigkeit der Götter, welche einen Flavius in die Welt entsenden, welcher solchermaßen nicht geschaffen sein sollte."
Mehr und mehr Wein floss Gracchus' Kehle hinab, zu viel für die letzten Wochen, hatte er doch kaum je einen Abend solcherlei goutiert, zu viel um seinen elegischen Gedanken Einhalt zu gebieten, doch mochte der schimmernde Rebensaft auch die Barrieren aufweichen, der Inhalt Gracchus' Worte war noch immer wohl bedacht, mehr noch womöglich als sonst.
"Wärst du nur ein Fischer geblieben, Caius, hättest dein Weibe geliebt, deinem Sohn ein Leben geschenkt ohne diese Last. Ich wäre ein Fisch geworden, für dich, Caius, im endlosen Oceanos, glücklich, in deinem Netze zu landen, von dir verzehrt zu werden, in Ahnungslosigkeit, und Teil zu werden deines Leibes, wie niemals ich Teil werden darf. Ein Glück, mein Freund, dass nicht die Bürgerkriege auf mich warten, denn was gäbe es mehr als Schwäche zu entlarven in mir, endlose Schwäche in deinem Angesicht." -
Unsägliches hatte sich ereignet, inmitten Roms, inmitten eines heiligen templum, auf den Stufen des aedes der Vesta, Schrittlängen nur entfernt vom heiligen Feuer. Nicht erloschen war dieses, doch gleichsam war die Untat nicht weniger schlimm, war doch das Leben der virgo vestalis maxima ausgelöscht worden durch Menschenhand. Vom Tempel der Vesta aus war Gracchus zurück gekehrt in die Regia, mit einem Umweg über die nächsten öffentlichen Latrinen, wo seinen Magen er hatte entleert, sich gleichsam vom ungustiösen Anblick des Leichnames zu lösen gesucht, und obgleich letztlich das abominable Bildnis nicht aus seinen Sinnen zu vertreiben war, so hatte ihm denn trotz allem zumindest die Sinne geklärt, dass die zuvor bereits halb verdauten Speisen er sich hatte noch einmal durch den Kopfe gehen lassen. Wortfetzen hatte dem ersten Pontifex, dessen er in der Regia habhaft geworden war, entgegen geschleudert, kurze Sätze ohne Objekt und Prädikat, in völlig atypischer Art und Weise, doch hatte dies gereicht, das Collegium Pontificium zu einer extraordinären Dringlichkeitssitzung einzuberufen. Während Boten auseilten, die Pontifices aus allen Ecken und Enden der Stadt herbei zu holen, saß Gracchus nur stumm im großen Saale, suchte seine Gedanken zu ordnen, Sätze in Folge zu bringen, zu konstruieren, was unsäglich schwer ihm fiel. Dass noch immer er die blutigen Spuren an seiner Toga trug, welche die Hände des Magistraten Corvinus an seiner Schulter hatten hinterlassen, dessen wurde nicht einmal er sich gewahr. Nach indifferent langer Zeit - wie Honig zerfloss sie zäh unter Gracchus' Fingern, wie der Tiber bei Hochwasser rauschte sie an seinem Geiste vorbei - waren endlich alle Pontifices, die Flamines und auch der Rex Sacrorum eingetroffen, so dass letzterer, der ehrwürdige Gnaeus Fabius Antistes, die Sitzung eröffnete.
"Die heutige Sitzung wurde einberufen aufgrund eines schockierenden Ereignisses! Flavius Gracchus, wenn du uns bitte berichten würdest."
Jede Spur von Zaudern war aus Gracchus gewichen, denn das Wohl des Imperium duldete kein Zaudern - und einzig dies war es, worum es ging, obgleich noch immer in seiner Stimme ein leises Zittern mitschwang, die Sonorität nicht gar so makellos war wie sonstig.
"Nicht schockierende Ereignisse, ein Frevel ohne Vergleich, ein Sakrileg wie kaum schlimmer es geschehen könnte wurde begangen. Die Nachricht über die Ermordung einer Vestalin war es, welche mich aus der Regia hinaus über das Forum Romanum zum Tempel der Vesta trieb."
Überall rumorten Gerüchte, einige hatte bereits die erste Kunde ob des Geschehens erreicht, doch andere sogen scharf die Luft ein, überrascht, erschrocken und empört zugleich ob dieser Missetat.
"Doch es war nicht irgend eine der vestalischen Jungfrauen, welche auf den Stufen des Tempels in ihrem eigenen Blute lag. Collegae, an diesem Tage, welcher als einer der schwärzesten Tage des Imperium Romanum eingehen wird in die Annalen dieses Reiches, an diesem Tage wurde die virgo vestalis maxima auf schändlichste Weise durch Menschenhand ihres Lebens beraubt."
Eine Pause entstand, Entsetzen stand im Raume, empörter Unglaube durchschnitt die Stille.
"Unerkannt indes entkam der Mörder, undurchschaubar bleibt seine feige Tat. Doch dies ist nicht nur ein Angriff auf eine Person, nicht ein Agriff auf den State Rom, dies ist ein Affront wider die Götter, ein Angriff auf jene Werte, welche seit Beginn unseres Imperium für das Wohlergehen des Reiches Sorge tragen! Die pax deorum wurde auf ungeheuerliche Weise verletzt, und während die Stadteinheiten ausziehen, den Mörder zu fassen, muss es unsere erste Aufgabe vor allem sein, das Gleichgewicht des Equilibrium wiederherzustellen, für das Wohl des Imperium und seiner Bewohner Sorge zu tragen, denn jedes Zaudern, jedes Zögern wird unser Reich mehr noch in Gefahr bringen als dies ohnehin es bereits ist und unweigerlich den ira deorum herausfordern! Ich ersuche daher darum, dass umgehend die Aufzeichnungen überprüft werden auf einen vergangenen Frevel gleichen Ausmaßes und seine procuratio, und im Anschluss - gleich des Ergebnisses - ohne Umschweife dem Senat eine interpretatio angetragen werden wird." -
Zitat
Original von Tiberius Flavius Quirinalis
"Lange Zeit war ich in Germanien während einer Reise verschollen, von Räubern verschleppt. Nun, ichbin wieder zurück und wollte den Rest der Familie von meiner Rückkehr unterrichten."
"So hast du dies nun getan. Ich werde unterrichten, für wen diese Information von Belang ist."
Mehr als eine Randnotiz im nächsten Brief an Felix dürfte indes kaum dies werden. Mehr als eine Randnotiz jedoch nahm Gracchus vom Umgang zwischen den ihm gleichermaßen fremden Großneffen gleichen Grades und suchte nach latenten Hinweisen auf engere Vertrautheit.