Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Wohl den Lauf einer Stunde später kehrte der Sklave missmutig zurück und brachte einen weiteren Brief, bezahlte auch diesen und hoffte, dass der Herr ihn nicht für jeden Brief würde einzeln laufen lassen, sondern sie künftig erst alle schreiben, bevor er ihn auf den Weg schicken würde.


    Titus Helvetius Gabor, Tarraco, Hispania Tarraconensis, Provincia Hispania


    Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Tito Helvetio Gabori s.d.


    Tiefes Mitgefühl über den Verlust deines Bruders Gnaeus Helvetius Tranquillus sei dir mit diesem Schreiben versichert. Die Erinnerungen an jene Zeit, welche wir mit ihnen teilen durften, sind sicherlich das Wertvollste, was die Verstorbenen uns zurücklassen. Doch obwohl es dir im Augenblicke womöglich unerheblich erscheinen mag, so hat dein Bruder gleichsam weltliche Güter hinterlassen, deren Verteilung unter den Erben meine Aufgabe als Decemvir litibus iudicandis ist. Nach den gesetzlichen Richtlinien kommt dir als Bruder des Verstorbenen ein Anteil von 59.98 Sesterzen zu, welchen es dir gestattet ist, abzulehnen.


    Ich bitte dich, mir bis zum Tag vor den Kalenden des Aprilis DCCCLVII A.U.C. (31.3.2007/104 n.Chr.) mitzuteilen, ob du gewillt bist, dieses Erbe anzutreten, welches gleichsam keinerlei weitere Verpflichtungen nach sich zieht. Solltest du diesen Termin versäumen, so wird dein Anteil dem zu verteilenden Erbe hinzugefügt werden, ebenso wie sich der deinige Anteil durch den Verzeicht eines der anderen Erben erhöhen kann.


    Zum Trost über den erlittenen Verlust bleiben letztlich einzig die Worte der Weisen unserer Welt, so sprach denn schon Seneca: »Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allen Uebel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.«


    M.F.G.


    Sim-Off:

    Dito.

    Ein Sklave der Villa Flavia brachte ein Schriftstück zur Postannahme des Cursus Publicus, bezahlte die Sesterzen, und verließ das Officium sodann.


    Marcus Sabbatius Maximinus, Colonia Claudia Ara Agrippinensium, Germania Inferior, Provincia Germania


    Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Marco Sabbatio Maximino s.d.


    Tiefes Mitgefühl über den Verlust deines Vaters Quintus Sabbatius Aurelianus sei dir mit diesem Schreiben versichert. Die Erinnerungen an jene Zeit, welche wir mit ihnen teilen durften, sind sicherlich das Wertvollste, was die Verstorbenen uns zurücklassen. Doch obwohl es dir im Augenblicke womöglich unerheblich erscheinen mag, so hat dein Vater dennoch gleichsam weltliche Güter hinterlassen, deren Verteilung unter den Erben meine Aufgabe als Decemvir litibus iudicandis ist. Da du der einzig noch lebende Nachkomme deines Vaters bist, geht die gesamte Hinterlassenschaft in deinen Besitz über, dies wird innerhalb der anstehenden Wochen veranlasst werden.


    Das Gesamtvermögen beläuft sich auf 30,96 Sesterzen.


    Zum Trost bleiben letztlich einzig die Worte der Weisen unserer Welt, so sprach denn schon Seneca: »Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allen Uebel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.«


    M.F.G.


    Sim-Off:

    Gebühr überwiesen.

    Ein Bote aus Rom überbrachte am Tor der Classis Misenensis eine Nachricht für den Praefectus Annaeus Florus.

    Praefectus Classis Misenensis Lucius Annaeus Flours, Misenum


    Decemvir litibus iudicandis Manius Flavius Gracchus Lucio Annaeo Floro s.d.


    Tiefes Mitgefühl über den Verlust deiner Tochter Annaea Helena sei dir mit diesem Schreiben versichert. Die Erinnerungen an jene Zeit, welche wir mit ihnen teilen durften, sind sicherlich das Wertvollste, was die Verstorbenen uns zurücklassen. Doch obwohl es dir im Augenblicke womöglich unerheblich erscheinen mag, so hat deine Tochter dennoch gleichsam weltliche Güter hinterlassen, deren Verteilung unter den Erben meine Aufgabe als Decemvir litibus iudicandis ist. Aufgrund deiner Position als Pater Familias der Annaea Helena geht selbstredend die gesamte Hinterlassenschaft zurück in deinen Besitz, dies wird innerhalb der anstehenden Wochen veranlasst werden.


    Das Vermögen beläuft sich auf 368.69 Sesterzen, hinzu kommen diverse Waren.


    Zum Trost bleiben letztlich einzig die Worte der Weisen unserer Welt, so sprach denn schon Seneca: »Der Tod ist die Befreiung und das Ende von allem Übel, über ihn gehen unsere Leiden nicht hinaus, der uns in jene Ruhe zurückversetzt, in der wir lagen, ehe wir geboren wurden.«


    M.F.G.

    Als er sich einen der engen Aufgänge zu den Zuschauerrängen des Stadium Domitiani hinauf schob und sich der Menschenmassen um sich herum gewahr wurde, fragte sich Gracchus ernsthaft, wie bei allen Göttern ihn sein Neffe dazu hatte überreden können, ihn zu den Wagenrennen der Equirria zu begleiten, denn nicht nur Rennen an sich waren Gracchus viel zu hektisch, um dem genussvoll folgen zu können, auch der Anwesenheit der schreienden und tobenden Rennsportbegeisterten konnte er kaum etwas abgewinnen, mochten die Spiele noch so sehr zu Ehren der Götter sein. Waren tobende Frauen im Angesicht der Gladiatorenkämpfer noch zu tolerieren, so hielt Gracchus fanatische Männer schon immer für gefährlich, ganz besonders, wenn sie mit Fahnen ihrer bevorzugten Rennställe bewaffnet waren. Nicht einmal der Anblick der Wagenlenker in ihren kurzen Tuniken konnte ihn vom Sehenswert der Rennen überzeugen. Leise seufzend blickte er auf die Rennbahn und schon im nächsten Augenblick war Serenus vor ihm verschwunden. Ein Hauch von Panik kroch Gracchus' Nacken hinauf, doch glücklicherweise hatten die Sklaven Serenus im Auge und konnten Gracchus den Weg zu ihren Sitzplätzen weisen, wo sein Neffe bereits wartete - kaum auf ihn, sondern nur auf den Einzug der Wagenlenker in den Circus. Erleichert ließ sich Gracchus nieder und sammelte sich einen Augenblick. Es galt nicht endlos lange auszuharren, denn er hatte verommen, dass es nur einen einzigen Rennlauf geben würde. Wenn die Götter mit ihm waren, so würde Serenus' präferierte Factio nicht den Sieg davon tragen, so dass der Junge anschließend direkt bedrückt würde nach Hause gehen wollen, anstatt auf die Idee zu kommen, im Siegestaumel irgendwo in der Stadt seine Factio feiern zu wollen. Davon abgesehen war es Gracchus indes gleich, ob ein grünfarbener, blaufarbener oder auch gelbfarbener Wagen gewann, und um jenem eine Freude zu bereiten würde er sich ganz dem Urteil seines Neffen beim Applaus anschließen.

    "Nichts."
    Verwirrt schüttelte Gracchus den Kopf, biss sich auf die Unterlippe und begann schließlich mit der Linken daran zu kneten.
    "Gnaeus Aurelius Pertinax, Publius Redivivus Sextius, Manius Horatius Toxis. Nichts."
    Seine Worte verklangen in der Stille, die anwesenden Sklaven waren nicht dazu angehalten mit ihm zu Konversieren.
    "Helvetia Longina, Pompeia Helena, Didia Titiana, Corvia Licinia, Sergia Euphemia, ebenfalls nichts. Wenn dies weiter seinen Fortgang in diesem Maße geht, so ist es mir nun kaum mehr verwunderlich, dass jene Aufgabe den Vigintiviren zufällt."
    Er fasste die Namen zu einer Liste zusammen, welche er den zuständigen Praetoren ohne weitere Bearbeitung übergeben würde können. Schließlich nahm er die ursprüngliche Tabula wieder auf und fuhr fort.
    "Annae Helena ... unter Patria Potestas des Lucius Annaeus Florus ... nun immerhin, dennoch genügt eine einfache Weisung. Gnaeus Helvetius Tranquillus ... keine väterliche Gewalt, keine Kinder, nur zwei lebende Geschwister. So so, ein nicht gerade übermäßiges Vermögen ... nun denn ..."
    Er blickte versonnen schräg nach Oben zur gegenüberliegenden Wand und dividierte die Vermögenssumme in zwei Teile, notierte den Wert neben den Namen.
    "Quintus Sabbatius Aurelianus ... Ehefrau bereits verstorben ... ein einziger Sohn, oh Argentinus, nicht einmal das Dividieren sei mir noch gegönnt, welch überaus ennuyante Angelegenheit."
    Eilig notierte Gracchus einen Vermerk und legte die Wachstafel bei Seite. Sciurus würde sich um die zu verfassenden Schriftstücke kümmern, sodann hieß es warten. Obgleich Gracchus ein äußerst geduldiger Mensch war, so kam er sich doch ein wenig nutzlos vor in seinem Amte und er nahm sich fest vor, nach der nächsten Lectio dafür Sorge zu tragen, dass er ein größeres Maß an Namen solcher Verstorbener auf seiner Liste vorfinden würde, welche größere Vermögenswerte hinterließen. Verwirrt rieb er sich mit dem Zeigefinger über die Braue, denn bereits als der den Gedanken bedachte, schien er ihm absurd. Womöglich war der Abend bereits zu weit fortgeschritten. Er zögerte einen Augenblick und spielte mit dem Gedanken seiner Gemahlin einen Besuch abzustatten, doch er verwarf diesen ebenso rasch wieder, wie er Einzug in seine Sinne gehalten hatte. Der Gedanke an eine Schriftrolle, an schummriges Licht, den leichten Duft des verbrennenden Öles in der Nase, gleichsam wie auch den feinen Staub, welcher auf allen Schriften lag, die zarten Linien der Worte vor Augen - dies war weit mehr verführerisch, als alles, was Antonia ihm würde geben.

    Nachdenklich folgte Gracchus Durus' Blick zur Wand und blieb mit seinem eigenen ebenfalls dort haften, jedoch ein wenig höher, dort, wo die Mauer zur Decke hin über ging.
    "Sie verweichlichen nur denjenigen, der dies zulässt, und sondern so gleichermaßen diejenigen aus, welche in Härte gegen sich selbst zeigen, dass sie befähigt sind, einen Staat zu lenken."
    Nach diesen Worten schwieg er einen Augenblick, kniff dann die Augen ein wenig zusammen, so als müsste er in der Ferne Genaueres erkennen, und schüttelte schließlich leicht den Kopf.
    "Nein, dies ist vermutlich nur ein Wunsch meinerseits. Doch so sollte es sein, nicht wahr? Wer würde bestreiten, dass Bauern, Handwerker, Legionäre, selbst Sklaven, dass diese der Fluss sind, welche das Rad der Mühle Rom in Gang halten? Anstatt nun also den Mühlstein selbst drehen zu müssen und darüber das Nachschöpfen des Getreides zu vergessen, können wir uns ganz auf jenes konzentrieren. Fürwahr gibt es Genügende, welche sich ob der eingesparten Mühen faul neben den Mühlstein legen und ihm beim fortwährenden Drehen nur zusehen, doch obwohl ihre Reden laut und spöttisch sind, das Mehl mahlen dennoch nur die fähigen Männer, und möglich ist ihnen dies nur durch die Annehmlichkeit, welche ihnen durch den Fluss geboten wird."
    Im Nachgang störte Gracchus doch etwas an diesem Vergleich, doch erst einige Momente später wurde ihm gewahr, dass es die Tatsache war, sich selbst mit einem Bauern zu vergleichen, der eine Mühle bedient.

    Das grauenhafte Zeitalter ohne Anschluss zur Außenwelt ist vorbei, ich bin nach einem endlos langen Monat nun endlich wieder stolzer Besitzer eines funktionstüchtigen Telefon-/Internetanschlusses und daher nun wieder vermehrt online. :]

    Noch immer bin ich in den heimischen vier Wänden ohne Internetanschluss und nächste Woche darum gänzlich von der Internetwelt abgeschnitten. Danach soll sich dies angeblich ändern und ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass es dies tatsächlich tut, denn jene stirbt bekanntlich zuletzt. Vorerst muss ich mich jedoch bis 12.03. komplett abmelden.

    Mit einem leichten Nicken quittierte Gracchus die erhaltene Information. Es war nicht ungewöhnlich, dass keiner der Verstorbenen ein Testament hinterlegt hatte, immerhin war solcherlei nur Notwendig, wenn es viel zu vererben gab und dies nicht an die direkten Nachkommen oder bei deren Nichtexistenz an die gradnächsten Agnaten gehen sollte, doch dies war allgemeinhin wohl eher selten der Fall.
    "Nun, dann ist meine magistratische Pflicht hier bereits beendet. Ich danke dir für die Auskunft, Agrippina, wir werden uns im Laufe der Amtszeit sicherlich noch des öfteren begegnen."
    Gestorben wurde immerhin immer und obwohl die Decemviri litibus iudicandis keinen pekuniären Gewinn daraus zogen wie die Bestatter samt ihrer Angestellten, so hatten sie dadurch doch immer gut zu tun.

    "Aber nur im Notfall,"
    ließ sich Gracchus zu einem kleinen Scherz hinreißen, der so lustig nicht einmal war, denn obwohl in so mancher Zeit die Censores das Tragen von Seide bisweilen sogar verboten hatten, da es als zu extravagant und lasterhaft gegolten hatte, so war das Gefühl des zarten und makellosen Stoffes auf der Haut doch eine ganz besondere Annehmlichkeit. Es gab viele Geschichten über jenes Volk, welche den außergewöhnlichen Stoff verarbeitete, und ebenso viele Geschichten über die Gewinnung des feinen Fadens. Die Theorie, dass jener Faden von unglaublich filigranen Spinnen gewoben wurde, deren Rückenpanzerung im Licht der Sonne in allen Farben des Regenbogens schimmerte, gefiel Gracchus noch am besten, denn sie hatte eine poetische Note an sich, mit welcher beispielsweise jene Theorie, dass der Seidenfaden ganz profan aus Bäumen wuchs, nicht mithalten konnte.
    "Die Maiores wohnten auch noch zwischen den Sümpfen und doch wollen wir die zugewonnenen Stadtteile sicherlich nicht missen. Doch du hast wohlweislich Recht, erst der Feldzug, dann die Annehmlichkeiten, falls es denn überhaupt dazu kommen mag."
    Der Abend war bisweilen bereits weit fortgeschritten, auch wenn man im durch die Fußbodenheizung und zusätzlich durch stimmungsvolle Kohlebecken beheizten und mit Lampen hell erleuchteten Triclinium kaum etwas davon bemerkte.

    Ein despektierliches Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen.
    "So sind sie denn wie all die anderen Völker, die unter dem Banner Roms vereint wurden, und ebenso wie diese werden sie als subalterne Provinz beginnen und als Teil des römisches Volk enden. Der Segen Concordias ist es, der das Imperium groß macht und zu seiner Stärke führt, und da sich der Rest der Welt nur immer zanken wird, so wird nichts und niemand jemals die Größe Roms aufhalten können. Im Osten liegen sicherlich noch einige Länder und ich bin sicher, sub specie aeternitatis wird das römische Volk eines Tages selbst das Geheimnis der Seide erkunden, auch wenn du und ich dies deplorablerweise vermutlich nicht mehr erleben werden. Auf die Ewigkeit des römischen Imperiums und seiner Götter."
    Er hob seinen Becher, schüttete ein wenig des Inhaltes auf den Boden als Gabe für die Götter und prostete Durus zu.

    Das Geschehen ein wenig bedauernd hob Gracchus marginal seine Braue als sein Zwilling sich so völlig ohne Widerspruch fügte, nicht den geringsten Funken Ehrgeiz zeigte, hatte er sich doch mehr von ihm erhofft, dass er die unglaubliche Gelegenheit nutzen würde und zumindest eine winzige Forderung stellen mochte. Jegliche Gedanken jedoch verloren vollends an Bedeutung als Tullius ihm die Hand auf die Schultern legte, als ein leichtes Schaudern durch Gracchus' Körper fuhr, seine Nasenflügel leicht bebten, als er in einer unbewussten Reaktion tief den Duft des Mannes vor sich einsog, als er an sich halten musste, nicht seinem Körper die Überhand über sich zu gewähren, und als sich gleichsam vor sich selbst schämte, dass es überhaupt soweit kommen konnte, dass er ohne Zaudern sein eigenes Antlitz begehrte. Noch während er sich der Unmöglichkeit dieser Situation bewusst wurde, verkehrte sich diese mit einem Mal vollends innerhalb von Sekunden, fand er sich an die Wand gedrückt vor, eine kräftige Hand vor seinem Munde, eine kalte Klinge an seiner Kehle. Er war so völlig von dieser Wendung überrumpelt, dass es ihm nicht einmal in den Sinn kam, seinen Sklaven auf sich aufmerksam machen zu wollen, dass er nur den stechenden Blick des Quintus Tullius erwiderte, gleichsam überrascht, fragend, wie auch bedauernd und enttäuscht. Es war nicht das erste mal, dass er dem Tod ins Auge sah, gleichsam nicht das erste mal, dass er jener stillen Versuchung in sich nachgab und den Wunsch hegte, auf solch einfache, unrühmliche Art und Weise dem ungeliebten Leben zu entfliehen, ohne dabei gleich die schwere Schuld dafür auf sich selbst zu laden, dennoch war es das erste mal, dass er sich nicht nur durch sich selbst bedroht sah, sondern sich dabei gleichsam auch noch in die Augen blicken konnte, weshalb der Moment durchaus einen Funken an Faszination mit sich trug, ob dessen Gracchus kaum um sein Leben oder seine Zukunft besorgt war, ob dessen er kaum den kurzen Dialog zwischen Tullius und Dardashi über sein Weiterleben oder Sterben verfolgte. Die Zeit schien still zu stehen, doch gleichermaßen raste sie an Gracchus vorbei, in umgekehrter Richtung als es ihr natürlicher Lauf war, bis dass sie am Zeitpunkt seiner Geburt stoppte, am Zeitpunkt Tullius' Geburt, erneut zu rasen begann nach vorn hin zu ihnen, zu diesem Augenblick, doch in anderen Bahnen. Dieser Mann war es, der an Animus' Statt hätte der Erbe seines Vaters werden sollen, dessen war Gracchus sich sicher, denn dieser Mann hätte nicht die fortwährende Enttäuschung in seinem Vater hervorgerufen, wie Gracchus dies ob seiner Entscheidungen getan hatte, denn er glich in seiner undurchschaubaren Tat, in seinem zielstrebigen Handeln viel eher seinem Vater als Gracchus dies je getan hatte und jemals würde tun. Es war nicht der Anblick des Todes, der Gracchus in diesem Augenblick veränderte, es war das klare Erkennen dessen, was das Leben hätte sein sollen, was er hätte sein sollen, was jener Mann vor ihm hätte sein sollen, was dennoch niemals würde sein, dass sie beide niemals sein würden, was sie sollten, dass was er immer geahnt hatte, dass das Leben für ihn anderes vorgesehen hatte, dass dies nun unumstößliche Wahrheit wurde, welche dennoch nichts an seiner Zukunft ändern konnte. Unter dem ersten Schlag des Quintus Tullius zuckte er zusammen, gleichsam ließ er ihn erkennen, dass sein Bruder ebenso ungenügend war wie er selbst, denn zu wahrer römischer Größe, zum Ergreifen der einzigartigen Macht über ein Imperium gehörte bereits seit Anbeginn der Zeit die Bereitschaft seinen eigenen Zwilling zu erschlagen, und sei es nur ob der Nichtigkeit einer Furche. Es mochte der harte Schlag gewesen sein, der ihn zu solcherlei Gedanken brachte, doch während ihm die dunklen, grauen Schatten schon vor Augen tanzten, dachte Gracchus einen Moment lang, wie deplorabel es war, dass auch sein Bruder darum gleich ihm niemals der Erste würde sein. Der zweite Schlag schließlich raubte ihm endlich das Bewusstsein, kein Schmerz folgte in seinem Kopf, kein Schmerz in seinem Herzen, einzig eine gnädige, tiefe, dunkle Endlosigkeit umfing ihn, weich und warm wie der Schoß der Fortuna, und bewahrte ihn vorerst vor weiteren deplorablen Erkenntnissen bezüglich seines ohnehin so marginalen Lebens.

    Mehr als ein kurzes Nicken schenkte Gracchus seiner Gattin nicht, als jene den Raum verließ, bedachte dabei die Worte des Durus.
    "Nun, Decimus Meridius mag ein hochdekorierter Militär sein, doch er bleibt ein Emporkömmling. Wie lange dient seine Familie bereits dem Kaiser? In zweiter oder dritter Generation? Er mag einen Triumphzug erhalten haben, doch war dem kein Feldzug vorangegangen, wie es einem Feldherren gebührt hätte, sondern gar nur die Niederschlagung eines Aufstandes. In Germania schließlich übernahm er die Aufräumarbeiten der vorangegangenen Legaten, doch es wäre mir nicht bekannt, dass er bereits selbst einen größeren Feldzug anführte, obwohl es natürlich natürlich Lücken in meinem Wissen geben mag. Dennoch, um Parthia zu unterwerfen bedarf es sicherlich eines ausgeklügelten taktischen Planes, die Parther sind ein stolzes Volk, kein Haufen von Aufständigen, der sich einfach überrennen lässt, und mögen sie auch kaum Kultur und Disziplin besitzen, sie haben den Rücken frei und wir wissen nicht, wer sie von dort aus möglicherweise unterstützen wird."

    Nach der kurzen Begrüßung kam auch Gracchus sogleich zum Kern seines Besuches.
    "Ein offizielles Anliegen führt mich zu dir. Als Decemvir litibus iudicandis ist es meine Pflicht, die Erbangelegenheiten der durch die Lectiones ermittelten Verstorbenen zu regeln, doch vor den gesetzlichen Richtlinien gelten jene durch die eigene Hand verfassten Testamente. Ich möchte dich darum bitten, zu prüfen, ob von einem oder mehreren der auf dieser Liste genannten Personen in euren Archiven ein Testament vorliegt, so dass es Beachtung finden kann. Ist es eigentlich auch Peregrini gestattet, testamentarische Verfügungen in eure Hände zu legen?"
    Auf einen Wink hin reichte der Scriba Agrippina die Tafel mit den Namen der Verstorbenen.


    ~ Gnaeus Aurelius Pertinax
    ~ Annaea Helena
    ~ Corvia Licinia
    ~ Didia Titiana
    ~ Gnaeus Helvetius Tranquillus
    ~ Helvetia Longina
    ~ Manius Horatius Toxis
    ~ Pompeia Helena
    ~ Lucius Redivivus Callidus
    ~ Publius Redivivus Sextius
    ~ Quintus Sabbatius Aurelianus
    ~ Sergia Euphemia

    Als Tullius ihn wiederum umrundete, von allen Seiten taxierte, stieg in Gracchus die Vermutung auf, dass jener ihn zunehmend sekieren wollte, womöglich war nicht viel des flavischen Erbes an ihn übergegangen, er nur ein Einfallspinsel aus der Suburua, welchem das Schicksal nun eine Wendung zugespielt hatte, aus welcher er den größtmöglichen Gewinn herausschlagen wollte. Es war dies ein Gedanke, welcher Gracchus enttäuschte, gleichsam war er noch immer hin und her gerissen, denn Tullius reizte gleichsam die Situation bis zum Äußersten aus, wie es nur ein äußerst dummer oder aber äußerst gerissener Mann tun würde.
    "Mein lieber Bruder - soweit sind wir noch lange nicht."
    Seine Worte waren trocken wie der Staub in den Ecken des Raumes, obgleich das leise Lachen seines Gegenübers den aufkeimenden leichten Unmut weiter schürte.
    "Doch sei dir assekuriert, keine Spur von Ironie lag in meinen Worten, denn es ist wie es ist. Du bist ein Ruderer im dunklen Rumpf eines gewaltigen Schiffes, welches unablässig seinem Kurs folgt, und gleich, in welche Richtung du deine Kraft stemmst, das Schiff zieht dein Ruder mit sich und das Ruder zieht seinen Kreis, zieht dich mit sich, ob du willst oder nicht. Meine Familie dagegen ist dazu auserkoren, an Deck des Schiffes zu stehen, den Kurs mitzubestimmen, und ich werde eines Tages diesen Kurs mitbestimmen."
    Jede Milde, die sonst in Gracchus' Stimme lag, war sukzessive mit jedem Wort daraus verschwunden, gleichsam jede Zurückhaltung und jede Demut, welche die Tugenden lehrten, denn sein Gegenüber war augenscheinlich kein Mann, der durch Tugenden zu Überzeugen war.
    "Auch, wenn es soweit noch nicht ist, so stehe ich doch an Deck des Schiffes, während du in seinem Inneren dein Leben fristest und verlebst, und wie jene an Deck über das Schicksal der Ruderer bestimmen können, so werde auch ich über dein Schicksal bestimmen können, wenn mir dies beliebt. Mein Sklave mag nicht nur dem Namen nach dem Tribus Sciurini angehören und keiner Fliege etwas zu Leide tun können, doch du solltest nicht den Fehler begehen, vom Skaven auf den Herrn zu schließen. Unterschätze nicht die Macht, welche der Name Flavius an sich hat, unterschätze nicht das flavische Durchsetzungsvermögen, und vor allem, unterschätze nicht mich. Die göttlichen, gerechten und gütigen flavischen Kaiser sind Teil unserer Ahnenreihe, doch ebenso ist es der unsägliche Domitianus, der nicht umsonst aus den Annalen der Geschichte getilgt wurde."
    Hätte Gracchus um das heimliche Leben seines Sklaven gewusst und darum, wie falsch er mit seiner Vermutung diesbezüglich lag, wie lammfromm er doch selbst bei äußerer Betrachtung im Vergleich mit Sciurus schien, so wäre ihm vermutlich übel geworden. Doch Gracchus wusste darum nicht, er wusste einzig darum, dass sein Erbe, sein Streben keine Widersacher duldete und obwohl er sich bis dahin noch nie Gedanken über solcherlei machen musste, so war doch irgendwann die Zeit dazu gekommen, womöglich in diesem Augenblick, und er wusste, dass ein einziges Zögern bereits zu viel sein konnte, denn Rom kannte kein Erbarmen mit Zauderern.
    "Ein Skandal mag nicht in meinem Ansinnen liegen, doch was könnte er mir schaden? Ein verstoßenes Kind des Vespasianus, ich wäre nicht der erste Sohn, welcher die Fehler seines Vaters zugibt und sich gleichsam über ihn stellt. Doch es liegt ebenso nicht in meinem Ansinnen, dir zu Schaden, wo doch ..."
    Er zögerte, sprach den Satz nicht zu Ende, wandte gleichsam seinen Blick kurz ab. Schließlich trat er vor seinen Zwilling hin, bis er nahe vor ihm stand, senkte seine Stimme und sprach dann von Neuem.
    "Wie ich bereits sagte, so werden wir einen Konsens finden, wenn du dazu bereit bist. Geschenke der Götter sollte man nicht ausschlagen, und deine Herkunft und vor allem anderen dein Äußeres sind ein solches Geschenk. Nicht Geld, nicht Luxus, nicht Annehmlichkeiten biete ich dir, denn dies ist nur, was dir ohnehin zusteht, dich jedoch gleichsam kaum indemnisieren wird. Wenn du dich damit zufrieden gibst, mag mir auch das Recht sein. Doch du fragst nach mehr, was ist es, das du erreichen willst? Nenne deinen Preis, Flavius, denn es gibt kaum etwas, was für uns nicht möglich wäre."
    Er war nicht bereit es auszusprechen, obwohl es fortwährend in seinem Sinne herumspukte, denn obwohl es dies tat, war es gleichsam noch immer indefinibel. Gracchus' Blick war fest auf die Augen seines Bruders gerichtet.
    "Du kannst deinen Anteil an unserem Erbe haben, jedweder Impedimente zum Trotz, bei den Göttern ich bin bereit in dieser Hinsicht sehr weit zu gehen, weiter vermutlich, als es gut für mich ist, und ich werde dir dieses Angebot nur einmal machen. Wenn du dieses Angebot ausschlägst, gleichwohl mit welcher Zukunft für dich, so wird der Bruder, den ich nie hatte, für mich und für Rom ebenso wenig existent sein wie noch am gestrigen Tage, gleich auf welche Weise und mithilfe welcher Mittel dies geschehen wird. Bestimme über dein Leben, Quintus Tullius, doch mit der dir gegebenen äußeren Gestalt gibt es für dich nur zweierlei Möglichkeiten. Entweder du bist für mich oder du bist gegen mich."

    Während er dem Sklaven mit einem Wink zu Verstehen gab, dass er noch einmal etwas Wein nachschenken solle, nickte Gracchus leicht.
    "Die Parther sind ohnehin ein Volk, welchem ein wenig mehr Kultur keinesfalls schaden würde, zudem sollen sie nicht einmal eine disziplinierte Armee besitzen, sondern einzig mit Bogen bewaffnete Reiter ins Feld schicken. Was könnte ein solch desorganisierter Haufen schon gegen die Streitmacht Roms ausrichten? Aus Germania hat man schon lange nichts mehr gehört. Ist dir bekannt, wie es um die dortige Situation steht? Dort sind immerhin einige Legionen stationiert."

    "Auf diese Art und Weise ausgedrückt kann ich dir nur zustimmen, Tiberius."
    Auch Gracchus sah das Leben seines Verwandten auf jene Art vergeudet, befähigt zu weitaus Höherem steckte Aristides ebenso in der Legion fest und vergeudete sein Potential, welches zugegebenerweise nicht auf den ersten Blick erkenntlich sein mochte, doch zweifelsohne ihn ihm steckte, war er doch der Sohn eines großen Mannes und trug damit den Namen Flavius nicht nur, um ihn zur Schau zu stellen. Doch immerhin vergeudete Aristides sein Potential auf ehrenwerte Art und Weise, es gab immerhin auch andere Beispiele innerhalb der Flavia.
    "Nun, ich bin durchaus gespannt, ob diese Entwicklung auch einen Einfluss auf die militärischen Ziele des Imperators haben, ob er sich mit Unterstützung der Oberschicht wieder vermehrt der Expansion zuwenden wird. Nicht, dass es uns direkt tangieren würde, doch die Knappheit des Getreides in diesem Winter lässt solche Überlegungen zweifelsohne verlockend erscheinen. Auch wenn kein Land an den Getreidereichtum Ägyptens heran reichen mag, jene Gebiete jenseits Syriae sollen äußerst fruchtbar sein."
    Ein äußerst feines Lächeln kräuselte Gracchus Lippen.
    "Zudem ist jede Expansion des Imperium ein Gewinn, insbesondere, wenn sie uns den Ländern der Seide näher bringt."
    Ganz zu Schweigen von jenem Umstand, dass in der Zeit nach der Befriedung einer neuen Provinz die Sklavenpreise eine Zeit lang fallen und zahlreiche Neuanschaffungen rentabel sein würden. Seitdem die Hausgemeinschaft durch die Ankunft zahlreicher Verwandten gewachsen war, beobachtete Gracchus mit wachsender Besorgnis den Verschleiß der Sklaven und die Notwendigkeit zur Vergrößerung des Haushaltes, nicht etwa aus Sorge um die Sklaven, sondern mit Blick auf die entstehenden Kosten für das flavische Familienvermögen, für welches er Sorge trug.

    Die Stimmung in dem kleinen Raum war noch immer äußerst absurd, der Sklave seines Zwillings zitierte Philosophen, die vermeintliche Mutter suchte ihr Heil in der Flucht und Quintus Tullius war für Gracchus völlig undurchschaubar. Trotz der Sonnenstrahlen war es kalt in der Wohnung, er fröstelte, doch nicht unbedingt nur wegen der Kälte, und einen Moment lang fragte sich Gracchus, ob dies der natürliche Zustand dieser Behausung sein mochte, denn nirgends waren Kohlebecken aufgestellt. Die Bindung zu jenem Mann, der ihm so ähnlich und doch so fremd war, war kaum vorhanden, dennoch verspürte Gracchus einen leichten Stich im Herzen, als er ihn so abweisend zum Gehen aufforderte. Je genauer er sich jedoch die Wohnung besah, desto mehr musste er feststellen, dass Quintus Tullius ihm äußerlich gleichen mochte, innerlich jedoch ein völlig anderer Mensch sein musste, die Kluft zwischen ihnen nicht größer sein könnte. Er wünschte sich im Stillen, Sciurus hätte ihn niemals an diesen Ort geführt, wünschte sich Unwissenheit über jenen Menschen mit seinem Äußeren und dessen Möglichkeiten, wünschte sich, dass die Götter dieses Spiel beenden und die Person des Quintus Tullius aus der Welt hinfort nehmen mochten. Doch nichts dergleichen geschah, nach Tullius' Aufforderung lag nur eine schwere, bedrückende Stille in der Luft. Gracchus widerstand der Versuchung, seine Hand zum Mund zu heben und an seiner Unterlippe zu kneten, doch führte dies nur dazu, dass er unbewusst diese zwischen die Zähne sog und einen Moment lang darauf herum kaute. Schließlich jedoch schüttelte er langsam den Kopf.
    "Es tut mir leid, Quintus Tullius, doch diesen Wunsch kann und werde ich dir nicht erfüllen. Nicht, ohne dass wir zuvor einige Dinge geklärt haben, denn ich kann nicht zulassen, dass sich unsere Wege hier so plötzlich wieder trennen, wie sie sich zusammengefunden haben, und ich kann nicht zulassen, dass dein Leben weitergeht wie bisher, so deplorabel dies womöglich für dich auch sein mag. Obwohl ich kein sehr familiärer Mensch bin, so würde ich doch gerne von mir behaupten können, dass mich brüderliche Sorge dazu treibt, dir dein jetziges Leben noch einmal zu entreißen, nachdem dies vor langer Zeit bereits einmal geschehen ist, doch die Wahrheit ist die, dass ich in egoistischer Weise mein eigenes Leben vor das deinige stelle, welches mir im Vergleich nur marginal erscheint. Um zu sein, was deine Herkunft dir gebietet, fehlen dir zu viele Jahre, du magst noch so intelligent sein, wovon ich in der Tat ausgehe, doch jene Kluft wirst du kaum mehr überspringen können, nicht in deinem Geiste noch in den Augen der Gesellschaft. Ich kann dich nicht zu dem machen, was du sein solltest, doch ebenso wenig kann ich zulassen, dass du bleibst, was du bist, was immer dies auch sein mag. Denn meine Zukunft steht bereits fest und sie ist auf dem besten Wege das zu werden, was sie sein sollte, was auch die deine hätte sein sollen, doch nie sein wird, und dahingehend kann ich nicht zulassen, dass ein Mann mit meinem Gesicht durch diese Stadt läuft, dessen Leben mit dem meinen einzig durch die Geburt verknüpft ist und von dem ich nicht das Geringste weiß. Ein Bad, eine Rasur, eine saubere Toga und man würde dir in meinem Namen Zugang zu beinahe jedem Gebäude dieser Stadt gewähren, bis hin zum kaiserlichen Palast. Du stellst im schlimmsten Falle also nicht nur für mein Ansehen und meine Zukunft eine Gefahr dar, sondern gleichsam für das Imperium, auch wenn dies nun äußerst pathetisch klingen mag."
    Hätte Gracchus um das Leben des Quintus Tullius gewusst, womöglich wäre er ein wenig vorsichtiger bei der Wahl seiner Worte gewesen, doch obwohl er allgemeinhin in seiner Umgebung um Harmonie und Ausgeglichenheit bemüht war, so war er ebenso fest entschlossen den ihm vorgegebenen Weg bis zum Ende zu gehen, koste es was es wolle, denn dies war die Pflicht, die ihm auferlegt worden war und derentwegen er bereits zu viele Entbehrungen auf sich genommen hatte, um je wieder von ihr zu lassen, und eine Gefährdung dieses Ganges würde er nicht zulassen, gleichwohl in welcher Gestalt. Gleichsam jedoch war er um Harmonie und Ausgeglichenheit seiner Umgebung bemüht, weshalb Gracchus nicht einmal fähig war sich ein Leben vorzustellen, wie sein Zwilling es bisher geführt hatte, zudem war er weiters nicht einmal dazu fähig, sich ein Leben, eine Kindheit in der Subura vorzustellen.
    "Ich muss gestehen, dass mir derzeit diesbezüglich jegliche Idee fehlt, wie dein Leben weitergehen kann und muss. Doch ich bin sicher, wir werden einen Konsens für all dies finden, und wenn du dafür bereit bist, so wird es sicherlich dein Schaden nicht sein, denn selbst da ich kein sehr familiärer Mensch bin, so obliegt mir doch gleichsam die Verantwortung über das Wohl der Flavia Vespasianus und als einer seiner direkten Nachkommen umfasst dies nun auch dich auf die ein oder andere Weise. Wenn du es zulässt, wirst du Dinge erreichen und dich an Dingen gütlich tun können können, welche dir niemals möglich und vergönnt waren und dies auch ansonsten niemals sein werden."
    Trotz all der Vorbehalte gegenüber dem fremden Zwilling kam Gracchus nicht umhin, sich eine Zukunft vorzustellen, in welcher eine Person in doppelter Gestalt ein Leben führte, während es gleichsam zwei Personen in gleicher Gestalt möglich war, zwei Leben zu führen, denn zu verlockend war der Gedanke an all jene Dinge, welchen einem Mann allein zu erreichen nicht gegeben, welchen zweien gemeinsam jedoch möglich sein würden.

    Beinahe ein wenig abwesend nickte Gracchus seiner Schwester zu, verwarf im Stillen die Versuchung, ihr in den kommenden Tagen noch einmal ins Gewissen zu reden bezüglich ihrer Reiseabsichten, denn davon abgesehen, dass er zweifelsohne ohnehin kaum etwas würde erreichen können, dessen war er sich beinahe sicher, abgesehen davon sprach sie in einer solch enthusiastischen Weise von jener Reise, dass es ihm schwer fiel, überhaupt noch ein Wort des Bedenkens dagegen einzuwenden.
    "Eine angenehme Nachtruhe, Minervina."
    Schließlich wandte er sich wiederum dem Gast zu.
    "Unwürdig ist ein hartes Wort, Tiberius, welches gleichsam all jene unseres Standes verdammt, die keine Mühen scheuten und bereits ihren Schweiß im Angesicht der Legionen vergossen haben, um einst dort zu stehen, wo das Schicksal ihnen ihren Platz angedacht hat. Dein Verwandter Vitamalacus oder auch mein Vetter Aristides beispielsweise. Eher denn ihre Laufbahn als unwürdig zu betrachten sollten wir honorieren, dass sie jenen Weg trotz aller Widrigkeiten gegangen sind, denn noch immer sind die Legionen unzweifelhaft einer der Grundpfeiler unserer Macht. Dennoch will ich dir natürlich Recht geben, dass jene Änderung gerade bezüglich der militärischen Laufbahn beinahe noch erfreulicher ist, als dies ohnehin schon der Fall ist."
    Gerade die Aussicht darauf durch die Mannschaftsgrade geschliffen zu werden, war es doch auch gewesen, welche Gracchus zu seinem jugendlichen Ungehorsam gegenüber den Wünschen seines Vaters getrieben hatte, denn unzweifelhaft war der Kampf einer jener Dinge, die dabei exzessiv geübt und ausgeführt wurden, und obwohl Gracchus dem Kampf an sich nicht entgegen stand, so war ihm doch gerade der bewaffnete Kampf ein Gräuel, da er enorme Schwierigkeiten damit hatte, dem Anblick menschlichen Blutes Stand zu halten, insbesondere bezogen auf seinen eigenen Lebenssaft.

    "Das Peristylium scheint mir adäquat."
    Er hielt kurz inne, legte den Kopf ein wenig schief und überlegte, nickte dann jedoch leicht.
    "Das Peristylium. Ich werde nach dir schicken lassen, rechne gegen Abend damit, denn um Luna, selbst in ihrer Abwesenheit, um Hilfe zu bitten, sollten es bereits dunkel sein."
    Wieder erkannte Gracchus seine eigene vergangene Furcht in den Augen seiner Nichte. Er hatte sich damals niemandem anvertraut, niemandem anvertrauen können, denn der eine von jenen, vor welchen er dies hätte tun können, war am Tag zuvor in das ewige Elysium eingefahren, der andere Meilenweit entfernt und ohnehin ohne Kenntnis über alles. Doch trotz dessen, dass er zu dieser Zeit bereits ein Stück älter gewesen war als Arrecina heute, hatte er den Schlaf so lange von sich gehalten, hatte so lange trotzig in die Dunkelheit gestarrt, bis Somnus ihn übermannt hatte, so sehr hatte er sich vor jenem gefürchtet. Einen kurzen Moment rang er mit sich, dann trat er vor und nahm Arrecina behutsam in die Arme. Dieser Gefallen würde Marcus noch einiges kosten, vielleicht würde Gracchus einen Abend in Rom dafür fordern. Nein, besser nicht in Rom, besser irgendwo in Italia, wo man ihn nicht kannte, womöglich Baiae.
    "Du brauchst wirklich keine Angst zu haben, Arrecina. Wenn sie tot ist, so ist dies nicht das Haus, welches das Reich ihrer rastlosen Seele ist. Doch womöglich kann ich doch etwas für dich tun. Du hast sicherlich schon einmal dem Zeremoniell deines Vaters während der Lemuria beigewohnt, wenn er die rastlosen Geister der Toten beschwört und sich und die Seinen frei kauft. Nun, im Grunde ist es suffizient, wenn dies an drei Tagen des Jahres geschieht, den genannten Lemuria im Maius. Doch in diesem besonderen Falle sollten wir womöglich eine Ausnahme machen und die Lemuren speziell für diese Nacht bannen."
    Hätte sich Gracchus näher mit den Totenriten, der Bannung und Beschwörung rastloser Seelen und ähnlichem befassen wollen, so wäre er sicherlich nicht Sacerdos Dialis geworden, gab es doch nichts, was dem Iuppiter ferner lag. Hätte er sich mit Beschwörungen und Bannungen im Allgemeinen beschäftigen wollen, so wäre er ohnehin nicht Sacerdos geworden, sondern einer jener obscuren Magi oder Astrologen, welche man am Fuße des Circus Maximus antraf. Gracchus jedoch war Sacerdos geworden und dies hatte seine Gründe, Gründe welche nicht unbedingt nur in seinem Stande begründet lagen. Marcus würde ihm nach diesen Tagen wahrlich einiges schulden.
    "Wir werden einen Kreis aus Mehl um deine Schlafstatt ziehen und den Schadensgeistern schwarze Bohnen und Öl bereit stellen."
    Es mochten einfache Mittel sein, doch ihre Effizienz hatte sich über Jahrhunderte hinweg bewahrt, zumindest, solange man den traditonellen Riten Glauben schenkte.
    "So kann dir nicht das Geringste passieren."
    Es war beinahe ein wenig wie bei einem Opfer, an welchem man hunderte versammelter Menschen vor sich glauben machte, die Götter stünden auf ihrer Seite. Mit jener ernsthaften Stimme, die keinerlei Zweifel an seinen Worten ließ und die er in seinem Dienst im Cultus Deorum geschult hatte, sprach Gracchus auch nun zu seiner Nichte. Dennoch kam er nicht umhin, ein marginal schlechtes Gewissen zu verspüren. Marcus würde ihm wahrlich einiges schulden.