Als Tullius ihn wiederum umrundete, von allen Seiten taxierte, stieg in Gracchus die Vermutung auf, dass jener ihn zunehmend sekieren wollte, womöglich war nicht viel des flavischen Erbes an ihn übergegangen, er nur ein Einfallspinsel aus der Suburua, welchem das Schicksal nun eine Wendung zugespielt hatte, aus welcher er den größtmöglichen Gewinn herausschlagen wollte. Es war dies ein Gedanke, welcher Gracchus enttäuschte, gleichsam war er noch immer hin und her gerissen, denn Tullius reizte gleichsam die Situation bis zum Äußersten aus, wie es nur ein äußerst dummer oder aber äußerst gerissener Mann tun würde.
"Mein lieber Bruder - soweit sind wir noch lange nicht."
Seine Worte waren trocken wie der Staub in den Ecken des Raumes, obgleich das leise Lachen seines Gegenübers den aufkeimenden leichten Unmut weiter schürte.
"Doch sei dir assekuriert, keine Spur von Ironie lag in meinen Worten, denn es ist wie es ist. Du bist ein Ruderer im dunklen Rumpf eines gewaltigen Schiffes, welches unablässig seinem Kurs folgt, und gleich, in welche Richtung du deine Kraft stemmst, das Schiff zieht dein Ruder mit sich und das Ruder zieht seinen Kreis, zieht dich mit sich, ob du willst oder nicht. Meine Familie dagegen ist dazu auserkoren, an Deck des Schiffes zu stehen, den Kurs mitzubestimmen, und ich werde eines Tages diesen Kurs mitbestimmen."
Jede Milde, die sonst in Gracchus' Stimme lag, war sukzessive mit jedem Wort daraus verschwunden, gleichsam jede Zurückhaltung und jede Demut, welche die Tugenden lehrten, denn sein Gegenüber war augenscheinlich kein Mann, der durch Tugenden zu Überzeugen war.
"Auch, wenn es soweit noch nicht ist, so stehe ich doch an Deck des Schiffes, während du in seinem Inneren dein Leben fristest und verlebst, und wie jene an Deck über das Schicksal der Ruderer bestimmen können, so werde auch ich über dein Schicksal bestimmen können, wenn mir dies beliebt. Mein Sklave mag nicht nur dem Namen nach dem Tribus Sciurini angehören und keiner Fliege etwas zu Leide tun können, doch du solltest nicht den Fehler begehen, vom Skaven auf den Herrn zu schließen. Unterschätze nicht die Macht, welche der Name Flavius an sich hat, unterschätze nicht das flavische Durchsetzungsvermögen, und vor allem, unterschätze nicht mich. Die göttlichen, gerechten und gütigen flavischen Kaiser sind Teil unserer Ahnenreihe, doch ebenso ist es der unsägliche Domitianus, der nicht umsonst aus den Annalen der Geschichte getilgt wurde."
Hätte Gracchus um das heimliche Leben seines Sklaven gewusst und darum, wie falsch er mit seiner Vermutung diesbezüglich lag, wie lammfromm er doch selbst bei äußerer Betrachtung im Vergleich mit Sciurus schien, so wäre ihm vermutlich übel geworden. Doch Gracchus wusste darum nicht, er wusste einzig darum, dass sein Erbe, sein Streben keine Widersacher duldete und obwohl er sich bis dahin noch nie Gedanken über solcherlei machen musste, so war doch irgendwann die Zeit dazu gekommen, womöglich in diesem Augenblick, und er wusste, dass ein einziges Zögern bereits zu viel sein konnte, denn Rom kannte kein Erbarmen mit Zauderern.
"Ein Skandal mag nicht in meinem Ansinnen liegen, doch was könnte er mir schaden? Ein verstoßenes Kind des Vespasianus, ich wäre nicht der erste Sohn, welcher die Fehler seines Vaters zugibt und sich gleichsam über ihn stellt. Doch es liegt ebenso nicht in meinem Ansinnen, dir zu Schaden, wo doch ..."
Er zögerte, sprach den Satz nicht zu Ende, wandte gleichsam seinen Blick kurz ab. Schließlich trat er vor seinen Zwilling hin, bis er nahe vor ihm stand, senkte seine Stimme und sprach dann von Neuem.
"Wie ich bereits sagte, so werden wir einen Konsens finden, wenn du dazu bereit bist. Geschenke der Götter sollte man nicht ausschlagen, und deine Herkunft und vor allem anderen dein Äußeres sind ein solches Geschenk. Nicht Geld, nicht Luxus, nicht Annehmlichkeiten biete ich dir, denn dies ist nur, was dir ohnehin zusteht, dich jedoch gleichsam kaum indemnisieren wird. Wenn du dich damit zufrieden gibst, mag mir auch das Recht sein. Doch du fragst nach mehr, was ist es, das du erreichen willst? Nenne deinen Preis, Flavius, denn es gibt kaum etwas, was für uns nicht möglich wäre."
Er war nicht bereit es auszusprechen, obwohl es fortwährend in seinem Sinne herumspukte, denn obwohl es dies tat, war es gleichsam noch immer indefinibel. Gracchus' Blick war fest auf die Augen seines Bruders gerichtet.
"Du kannst deinen Anteil an unserem Erbe haben, jedweder Impedimente zum Trotz, bei den Göttern ich bin bereit in dieser Hinsicht sehr weit zu gehen, weiter vermutlich, als es gut für mich ist, und ich werde dir dieses Angebot nur einmal machen. Wenn du dieses Angebot ausschlägst, gleichwohl mit welcher Zukunft für dich, so wird der Bruder, den ich nie hatte, für mich und für Rom ebenso wenig existent sein wie noch am gestrigen Tage, gleich auf welche Weise und mithilfe welcher Mittel dies geschehen wird. Bestimme über dein Leben, Quintus Tullius, doch mit der dir gegebenen äußeren Gestalt gibt es für dich nur zweierlei Möglichkeiten. Entweder du bist für mich oder du bist gegen mich."