Bis Montag werde ich abwesend sein.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Gracchus hatte bereits damit gerechnet, dass sein Vetter sich kaum mit den Änderungen auseinander gesetzt hatte, womöglich mit den Änderungen an sich, doch nicht, welche Übergangsregelungen für innerhalb der Laufbahn befindliche Magistrate galten. Dies war natürlich verständlich, immerhin widmete sich Felix nur noch mäßig der Politik und selbst wenn er sich zu einer weiteren Amtszeit entschließen würde, um dem Consulat selbst näher zu kommen, so war er bereits über jegliche komplexe Fragestellung hinaus und konnte ohne weitere Bedenken sich zur Praetur aufstellen lassen.
"Das Aedilat steht mir noch nicht offen, Vetter. Für das Aedilat bedarf es nun eines Senatorensitzes, doch auf jenen ist erst nach zwei absolvierten Amtszeiten zu hoffen. Es steht mir frei, zwischen einer erneuten Quaestur und dem Vigintivirat zu wählen. Da dies so ist, erachte ich das Vigintivirat für angemessener, um die Laufbahn lückenlos zu schließen. Dies bedingt auch, dass der Weg zum Consulat durchaus noch eine Amtszeit mehr erfordert, ebenso wie eine zusätzliche Amtszeit als Pause, wie auch festgelegt wurde, dass ohnehin zwischen jeder Amtszeit eine Pause liegen sollte. Dies tangiert mich allerdings nur peripher, denn von den Emporkömmlingen, die es kaum erwarten können den Sitz des Senatus Principis anzuwärmen und von einem Amte ins nächste springen ohne sich die Zeit nehmen, über ihre Taten zu reflektieren, halte ich ohnehin nur wenig. Ich spiele zudem mit dem Gedanken die Pause nach meiner nächsten Amtszeit für ein militärisches Tribunat zu nutzen, doch dies musst nicht heute entschieden werden. Erst einmal will das nächste Amt geplant sein."
Er nahm sich ein wenig Zeit, um über Felix' Frage nachzusinnen.
"Ein Kandidat für das Aedilat kann sich ohnehin nur aus den Reihen der Senatoren rekrutieren. All jene, welche bereits die Quaestur abgelegt haben sind, sofern sie dies nicht bereits zweimalig taten und vom Imperator bis zur Wahl in den Senat berufen werden, nicht zugelassen, und mir wäre kein ehemaliger Quaestor bekannt, welcher dieses Amt ein zweites mal besetzt hätte. Doch Senatoren gibt es viele, ich bin sicher, es wird sich darunter ein fähiger Römer finden, welcher pflichtbewusst die Gelegenheit ergreift, dem Kaiser und dem Imperium zu beweisen, dass er seines Senatorensitzes würdig ist, so unbequem er auch manches mal sein mag." -
Da dies zweifelsohne noch ein längeres Gespräch werden würde - Gracchus bedauerte dies nicht im Mindesten, hielt es ihn doch einerseits von den Zahlen ab, andererseits fand er ohnehin nur selten die Gelegenheit zu solcherlei mit seinem Vetter Aristides seit jener in Mantua weilte - lehnte sich Gracchus ein wenig bequemer zurück und lümmelte sich solcherart auf den Stuhl, wie er nur in den Nachwirkungen des Alkohols dazu fähig war, bog sich dann doch sein Rücken ganz wie von selbst träge durch, statt sich gerade zu richten. In dieser Pose musste er ein aufkommendes Gähnen regelrecht unterdrücken. Es war nicht, dass er etwa von Aristides' Gespräch gelangweilt war, doch des Schlafes hatte er zu wenig in dieser Nacht bekommen, war er doch bereits früh am Morgen wie üblich erwacht und aufgestanden. Doch als sein Vetter von Caius sprach und gleichsam von der Liebe, da entfleuchte ihm ein tiefer Seufzer.
"Allein unter Tausenden Männern in einem Kastell ..." murmelte er leise vor sich hin.
Wahrlich, gab es eine besser Aussicht als diese, um zu Vergessen? Er würde mit seinem Vetter Felix sprechen und nach der Amtszeit auf eine Zeit beim Militär hoffen. Möglicherweise würde ihm dies die erhoffte Gelegenheit bieten, Antonia zu entfliehen und gleichsam Caius nicht zu vergessen, doch womöglich zu verdrängen. Könnte es doch nur gestern, denn morgen geschehen, doch die Zeit war unerbitterlich, wie auch die Parzen. In solcherlei Gedanken gefangen horchte Gracchus dennoch plötzlich erstaunt auf.
"Hunderte von Meilen? Welche Frau ist hunderte von Meilen entfernt?"
In seiner Auffassungsgabe vom Vorabend getrübt vermutete er erst eine Frau in Mantua, viele patrizische Gentes unterhielten dort immerhin Villen und womöglich war Aristides einer Frau einer solchen Gens dort begegnet. Doch obwohl die Stadt recht provinziell war, sie lag nicht in einer anderen Provinz, sie lag nur überhaupt in einer Provinz von Rom aus gesehen, doch Gracchus vermutete nicht, dass Aristides dies auf solcherlei Weise sehen würde, sondern von einer anderen Provinz denn Italia sprach. Seine zugegebenermaßen wirren Gedanken wurden jedoch bereits erneut unterbrochen.
"Was habe ich gesagt?" fragte er verwirrt, wusste er doch nicht, worauf Aristides hinaus wollte.
Wieder rieb er sich die Schläfe, doch es wollte ihm nicht in den Sinn kommen, was verklungen war, geschweige denn, welches absonderliche Wort er diesbezüglich gebraucht hatte. Er schüttelte nur zerstreut den Kopf und seufzte erneut.
"Ich weiß wahrlich nicht, was du meinst, Marcus. Ich habe das Gefühl, meine Sinne sind noch immer völlig wirr. Bei den Göttern, ich hoffe die Reminiszenz an den gestrigen Abend wird bald ... oh ..."
Ein Ausdruck zwischen Erstaunen, Verblüffung und ein klein wenig Entsetzen zog sich über sein müdes Antlitz.
"Du hast Recht. Ist es ... auffällig? Ich meine ... auffällig schlimm?"
Doch die Antwort war bereits gegeben. Mit der Titulatur seltsamer Kauz hatte sich Gracchus niemals zuvor konfrontiert gesehen. Er zog nachdenklich die Augenbrauen zusammen und sinnierte breits darüber, ob ein gelehrter Kauz eine Schmähung war, ob sein Vetter ihn womöglich nur bewusst sekieren wollte, doch Aristides' Heiterkeitsausbruch strafte jegliche diesbezügliche Überlegungen nur Lügen. Dies war einfach nur sein Vetter Aristides mit seinem unerschütterlichen Gemüt, seiner Frohnatur, seinem nicht immer tiefsinnigen, doch grundehrlichen Humor und seinem ansteckenden Lachen. Gracchus schüttelte noch immer seinen Kopf, konnte jedoch nicht zu verhindern, in das Lachen einzufallen, allerdings spürte er schon bald wieder das stechende Pochen hinter seiner Stirne. Als sich Aristides langsam wieder beruhigt hatte, lehnte sich Gracchus nach vorne und stützte seinen Kopf auf der Hand ab.
"Dies bereitet dir Freude, nicht wahr? Im einen Atemzug verhöhnst du mich und im anderen erfreust du dich an meinem daraus resultierenden Leid."
Sein trotz allem humorvoller Tonfall machte deutlich, dass er dies seinem Vetter nicht verübelte.
"Ist es tatsächlich so auffällig? Ich gebrauche die Worte nun einmal, wie sie mir in den Sinn kommen ..."
Wieder war es an ihm zu Seufzen, eine Unart, welche er wohl den restlichen Tag nicht mehr würde ablegen können. Doch es war nicht nur angebracht aufgrund der Tatsache, dass er sich wohl oder übel mit der von Aristides erwähnten Tatsache würde auseinandersetzen und über sich selbst reflektieren müsste, als auch aufgrund des folgenden geäußerten Anliegens. Gracchus hob den Kopf, der ihm so schwer wie mit Marmor gefüllt schien, von seiner Hand und nahm diese heran, um seine Unterlippe zu kneten.
"Arrecina machte nicht unbedingt den Anschein, als würde ein Fluch auf ihr lasten, doch dies ist nicht unbedingt sogleich von außen zu erkennen."
Zumindest diesbezüglich hatte Gracchus seine eigenen Erfahrungen.
"Die Zeit des abnehmenden Mondes, kurz vor dem vollständigen Fehlen, ist für einen Exorzismus dieser Art am geeignetsten. Schwindender Mond, schwindender Geist, neuer Mond, neue Einnerung ... ja, dies könnte möglicherweise hilfreich sein. Die Mitte der Saturnalia also. Ist der Germane hier im Haus? Gehört er eigentlich dir? Ansonsten wirst du mit seinem Besitzer sprechen müssen, denn sollte er seinen Einfluss nicht aus eigenem Antrieb von deiner Tochter lösen, so wird es notwendig sein, ihn dem Pluto zu übereignen, um all seine weltlichen Bande zu lösen. Da er allerdings aufgrund der Geschehnisse wird ohnehin sterben müssen, wird dies nicht allzu deplorabel für den Besitzer sein, wenn auch womöglich verlustbehaftet. Doch als Geschädigter könntest du beiweitem mehr einfordern." -
Es blieb gerade genügend Zeit Leontia mit einem schlecht verborgenen Grinsen zu zu prosten, um schließlich einen Schluck Falerner zu Trinken, bevor Gracchus auf Aristides' Frage hin der gute Wein beinahe im Halse stecken blieb. Doch augenscheinlich versuchte sich sein Vetter nur an einem Scherz, selbst Aristides musste schließlich der Name des Titus Lucretius Carus geläufig sein, war er doch einer der Wegbereiter der philosophischen Schriften in lateinischer Sprache und damit auch für Aristides leicht lesbar. So winkte er lachend ab, auch um die zweite Frage seines Vetters zu umgehen. Seine eigenen Gedichte gingen niemanden in dieser Runde etwas an, noch nicht, denn es würde sicherlich noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte dauern, bis jene Worte ausgefeilt genug waren, um nicht nur seinen eigenen Ansprüchen zu genügen, sondern auch jenen der Öffentlichkeit.
"Mit Lucretius mag ich mich lieber nicht vergleichen."
Den Worten seines Neffen Furianus konnte Gracchus dagegen schon nicht mehr folgen, doch er glaube sie als Zustimmung dessen aufzufassen, dass sowohl Lucretius sich dem Weine, als auch Cicero sich seiner Materie gewidmet hatte. Doch wie Archimedes mit seinem Schauspiel in diesen Gedankengang passte, war ihm völlig schleierhaft, konnte sich Gracchus doch auch nicht entsinnen, dass jener jemals ein Schauspiel verfasst hatte. Da Furianus jedoch mit einer solch überzeugenden Ernsthaftigkeit sprach und Gracchus nicht nur die Befürchtung hatte, etwas in seinem Leben verpasst zu haben, sondern gleichsam erste Dunstflecken des Vergessens, ausgelöst durch eben jene so trefflich durch Lucretius beschriebene Wirkung des Weines, in sich selbst auszumachen glaubte, überging er die Worte seines Neffen, erfreut, dass Aristides' wohlgebildeter Sklave sich an der Diskussion beteiligte.
"Wohl gesprochen, ..."
Fieberhaft forschte Gracchus in seinen Gedanken nach dem Namen des Sklaven, doch er wollte ihm nicht einfallen, obwhol er das Gefühl hatte, im Laufe des Abends bereits schon einmal darüber nachgedacht zu haben. Doch da der Sklave heute auch kein Sklave war, war sein Name ohnehin nicht von Belang - oder war es umgekehrt? Aus der Entscheidung heraus, dass weiteres Sinnieren über den Namen des Sklaven und die Umkehrung der Stände das Gespräch keineswegs voranbringen würde, schob Gracchus dies erstere gedanklich beiseite und widmete sich jenem zweiten.
"Allfällig birgt nicht der Wein etwa den Rausch der Gefühle, sondern verdrängt um so mehr die unnachgiebige Rationalität der Gedanken, löst die züchtige Strenge und Befangenheiten des Geistes und lässt somit den sonst vom Bewusstsein so selten wahrgenommenen Gefühlen freien Lauf, auf dass sie die Möglichkeit erhalten, sich im Menschen an die Oberfläche zu kehren. Der Rausch also, die durch ihn versinnbildlichten Gefühle herrschen also möglicherweise gar immer in unserem Inneren vor, erhalten nur kaum Gelegenheit sich nach Außen hin, wie auch im selbst wahrgenommenen und beachteten Inneren, zu zeigen, bis denn der Wein kommt und alle durch den Geist errichteten Schranken und Mauern mit sich hinfortspült. Kein flüchtiges Delirium daher sollen die Gefühle sein, sondern ein tief in uns verwurzelter Zustand der Dauerhaftigkeit. Wie sonst ist zu erklären, dass oftmals immer wieder die gleichen Gefühle und Zustände in der Sorglosigkeit einiger Amphoren Wein zu finden sind? Und Ist nicht die Liebe gar vor allem anderen das einzig beständige aller Gefühle? Freude, Trauer, Wut, Neid, Stolz, Angst, Erheiterung,selbst Verliebtheit, womöglich ohnehin gleichgesetzt der Vernarrtheit, sie vergehen, abgelöst durch neue Gefühlen oder durch den endlosen Fluss der Zeit, doch Liebe, wahre Liebe, ist nicht dazu fähig getrübt zu werden, noch zu vergehen. Denn ist sie vergangen, so war sie nicht, als was sie bezeichnet wurde."
Gracchus hatte das Gefühl, dass seine Worte bisweilen ein wenig inakkurat anmuteten, doch es war nicht allzu einfach Gedanken zu denken und gleichzeitig in angemessene Worte zu packen, sofern die Gefahr bestand, die Gedanken schneller wieder vergessen zu haben, als dass sie in Sätzen modelliert werden konnten. Zumal das Thema einerseits überaus betrachtenswert, doch andererseits gleichzeitig so schmerzlich war. -
"Salve, Felix."
Mit dem Gruß trat Gracchus in den Raum und trat zu dem auf der anderen Seite des Schreibtisches seinem Vetter gegenüberliegenden Stuhl. Dass er Felix nicht aufgrund einer kurzweiligen Lappalia aufsuchte würde dieser ohnehin wissen. Als Gracchus saß schlug er die Beine über- und legte die Hände ineinander.
"Sicherlich weißt du bereits um die Änderungen des Cursus Honorum, welche der Imperator in seiner Weiseheit vor einigen Tagen publizieren ließ. Ich habe mich extensiv damit befasst, lag es doch bereits zuvor in meiner Absicht, mich in der nächsten Amtszeit dem Imperium erneut als Kandidat zur Verfügung zu stellen. Doch aufgrund der Änderungen befinde ich mich augenscheinlich nun mitten im Cursus Honorum, während ich vor wenigen Wochen noch gerade am Anfang stand, und ich bin nun nicht sicher, welches mein Weg weiter sein sollte. Möglicherweise wäre es angebracht das Vigintivirat nachzuholen, um zu zeigen, dass mein Ansinnen durchaus ernster Natur ist und alle Reden um Pflicht und Tradition nicht nur hohle Phrasen sind. Doch bevor ich mich zu solch einem Schritt entschließe, möchte ich natürlich zuerst deine Meinung darüber einholen." -
Die Emotion mit welcher sich Leontia ereiferte, erstaunte Gracchus ein wenig, andererseits war sie ein äußerst feinfühliger Mensch, darum war es kaum verwunderlich, dass sie so sehr mit ihm mitfühlte. Jede Erwähnung ihrerseits bedachte Gracchus aus seiner eigenen Sicht heraus. Angemessen und vorteilhaft war die Verbindung für Antonia allemal. Respekt und Freundlichkeit, daran mangelte es in der Flavia sicherlich nicht, auch wenn bisher nicht viel Gelegenheit seitens der Familienmitglieder gegeben war, dies Antonia entgegen bringen zu können. Gracchus war ein wenig älter als Antonia, doch dies mochte sehr passend sein, zudem war er nicht alt und grau, und gute Manieren glaubte er an sich ausmachen zu können. Ob er mit einem gefälligen Äußeren gesegnet war, dies mochte er nicht beurteilen, doch zumindest sah er sich nicht als Scheusal. Auch über seinen Erfolg mochte er nicht allzu genau urteilen, doch bisher hatte er seine Ziele durchaus erreicht und in Erfüllung der Pflichten würde er vorerst nicht damit aufhören. War er etwa nicht aufmerksam genug? Doch wie sollte er seiner Gattin Aufmerksamkeit zukommen lassen, wenn sie ihre Person vor ihm regelrecht verbarg? Sollte er mehr Sklaven mit Geschenken schicken, ihr Briefe schreiben in das Zimmer gegenüber? Die Liebe, dies war ein Thema, welches womöglich ein wenig schwer werden konnte, denn wie sollte er seine Ehefrau lieben, wenn all das, was es wert war als solcherlei bezeichnet zu werden, bereits fern bei einem anderen ruhte? Doch Leontia sprach davon vielleicht zu Lieben lernen, dies barg einen großen Spielraum. Auch der Begriff der Liebschaften war weit gefächert, dauerhaft geschah dies nur in seinem eigenen Cubiculum und Bastarde konnte daraus kaum entstehen. Doch mindestens ebenso überrascht wie Leontia selbst nahm Gracchus ihre Worte auf, dass er den Idealvorstellungen seiner Base gerecht werden würde. Diese Tatsache war ihm sogleich entsetzlich unangenehm, weniger dass sie von seiner Base ausgesprochen wurde, als mehr dass sie so sehr seiner eigenen Wahrnehmung von sich selbst entgegen stand, selbst da er noch wenige Augenblicke zuvor festgestellt hatte, dass er bei Leontias Betrachtung nicht allzu schlecht abschnitt. Abwehrend hob er die Hände und schüttelte den Kopf.
"Aber nicht doch, Leontia, ich bin weit von einem Ideal entfernt. Du wärst nur enttäuscht."
So wie Antonia möglicherweise? War es dies, was sie von ihm fern hielt? Hatte sie ebenfalls all jene hehren Ideale für ihren Gatten vor Augen gehabt und war nun darüber verbittert, dass er jenen nicht standhalten konnte? Doch welcher Mann, bei allen Göttern, sollte dazu in der Lage sein? Schlussendlich sprach Leontia aus, was getan werden musste. Er hatte dies befürchtet. Natürlich hatte er dies gewusst, er musste sich Antonia stellen, musste sich überwinden mit ihr zu Sprechen, doch er hatte so sehr gehofft, dass es eine andere Möglichkeit gab. Es war nicht, dass er nichts zu sagen wusste, doch er war sich dessen um so mehr gewahr, dass alles, was er sagen wollte sich in demjenigen Augenblick wie Weihrauch in einem Kohlebecken verflüchtigen würde, sobald er Antonia gegenüber trat. Ihr manches mal stechender, dann wiederum abweisender, oberflächlicher oder einfach ignorierender Blick würde sein Ansinnen binnen weniger Herzschläge zu Bedeutungslosigkeit verdammen und jegliche Absichten seinerseits gleichsam in die Knie zwingen, wie der schnelle Schnitt des Opfermessers den Bock. Er würde einige vordergründige Bemerkungen fallen lassen, sie würde nicken und in ihrer einzigartig entsetzlichen Art 'Ja, Manius.' sagen, so dass er für den Rest des Tages bei jeder Erwähnung seines Praenomen erschrocken zusammenfahren würde, gleich aus welchem Munde gesprochen.
"Deutliche Worte also, ich habe dies befrüchtet. Dennoch hoffte ich ihr dies ersparen zu können, trotz allem ist sie immerhin meine Gattin und verdient den notwendigen Respekt. Ich danke dir für deinen Ratschlag, Leontia, einiges, was du sagtest wird sicherlich dazu beitragen, meine Gedanken weiter voran zu bringen."
Er blickte sie ernst an, darauf bedacht, das unangenehme Thema nun wie sonst auch eilig beiseite zu schieben.
"Du erwähntest deine Heirat, sofern dein Vater nicht einlenkt ... steht bereits eine neue Verbindung in Aussicht?" -
Erfreut darüber, dass sein Sklave die Rolle des Saturnalienfürstes voller Sorgfalt wahrnahm und endlich der Tradition folgte, hob auch Gracchus seinen Becher, prostete in die familäre Runde und trank sodann den Inhalt in einem einzigen Zug leer. Als er das Gefäß wieder absetzte, schüttelte er sich leicht und atmete tief durch. Dadurch, dass er fortwährend immer wieder an seinem Wein nippte, wurde ihm ständig von dem Burschen mit der Kanne sein Becher aufgefüllt, dies zudem in immer geringerem Verhältnis von Wasser zu Wein. Die Mischung, welche soeben seine Kehle hinabgeronnen war mochte zwar noch nicht an jenes Maß heranreichen, welches er selbst als bedenklich einstufte, doch einen ganzen Becher Wein auf einmal hinabzustürzen, dies war bei Gracchus' diesbezüglicher Konstitution immer ein wenig bedenklich. Als die Bediensteten mit dem neuen Falerner umhergingen und die Becher erneut auffüllten, fühlte sich Gracchus dazu bemüßigt, die Wirkung des Weines zu kommentieren und damit nach den doch eher profanen Saturnaliengedichten die Gesprächsrunde auf Dichtung, Diskussion und Disputation zu lenken.
"Wusstet ihr darum, dass Lucretius auch um die Wirkung des Weines seine Gedanken kreisen ließ? Er behandelte dies in seinen Betrachtungen über die Natur der Dinge:
Endlich, warum nur folget, wenn die Wirkung des Weines das Innre trifft und die feurige Glut sich in unseren Adern verbreitet, Gliederschwere? Wir schwanken daher, es schlingern die Beine, stotternd lallet die Zunge, der Geist wird umnebelt, die Augen schwimmen, es hebt sich allmählich das Lärmen und Schluchzen und Zanksucht.
Und was sonst noch für Folgen in ähnlicher Weise sich zeigen. Wie ist nur all dies möglich, wenn nicht die gewaltige Wirkung, die von dem Weine ausgeht, in dem Leib selbst Wirrnis dem Geiste bringt? Aber was immer imstand ist, Verwirrung und Hindrung zu leiden zeigt hierdurch, dass, wenn sich noch steigert die Kraft, die da einwirkt, alles dem Tode verfällt und künftigen Lebens beraubt ist.
Ich frage mich, ob der Dichter zur Erkenntnisfindung gar selbst dem Wein in übermäßigem Maße zusprach und ob er sich nach jener Erkenntnis wohl gänzlich dem Wein abwandte?" -
Obwohl der Nachmittag lange nicht vorüber war, war bereits das gesamte Haus von den flackernden Flammen der Öllampen erleuchtet, welche in diesen dunklen Tagen zu kaum einer Zeit nicht brannten. Das trübe Licht und die kurzen Tage verleiteten geradezu zu Trübsal und Untätigkeit, doch gerade darum war es notwendig, das eigene Streben auf bevorstehende Ziele zu richten und voranzutreiben, zumal die Tage endlich langsam wieder länger wurden. Aus genau diesem Grunde suchte Gracchus an diesem Tage seinen Vetter auf, welcher nicht nur sein einflussreichster Verwandter, sondern gleichsam sein Patronus war. Er klopfte an der Türe zu Felix' Arbeitszimmer und wartete geduldig, bis er eingelassen wurde.
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Obwohl er noch kein Wort darüber gesprochen hatte, konnte Gracchus förmlich spüren, wie ihm in Leontias Anwesenheit, mit der Berührung ihrer Hand leichter wurde um sein Herz. Sie würde seine Fragen beantworten können, sie war eine patrizische Frau, wie Antonia, und ebenso mussten ihr die gleichen Erwartungen angetragen worden sein. Er suchte sich einen Punkt am Wandbehang der gegenüberliegenden Wand, genauer eine schmale Falte, auf welchen er seinen Blick richtete und Halt suchte.
"Es ist die Ehe, Leontia, die mich zu Erdrücken sucht."
Einmal ausgesprochen hing die Tatsache bedrohlich wie ein Herbststurm über dem Mare Nostrum über der Sezenerie, daher eilte sich Gracchus, fortzufahren. Er hatte sich Worte zurecht gelegt, ganze Sätze, doch kein einziger wollte ihm nun mehr in den Sinn kommen. Zudem hatte er nicht das ganze Ausmaß der Misere sogleich vor ihr ausbreiten und vorerst Leontias Reaktion abwarten wollen, doch das Drängen in ihm war zu stark, um dem nun nicht nachzugeben.
"Claudia Antonia ist eine untadelige Frau aus gutem Hause, ich war äußerst erfreut, als die Vereinbarungen zu dieser Ehe getroffen wurden, denn beileibe ich hätte es wahrlich schlimmer treffen können. Die Schließung der Ehe dann war ein wenig bedrückend gewesen."
Es war in höchstem Maße grauenhaft gewesen, eine einzige Farce von Entzücken und Wohlgefallen, ein willenloses Spiel, in Gedanken nur immer die Endgültigkeit der Entscheidung und die ernüchternde Abkehr Aqulius'.
"Doch wir vollzogen die Ehe und dies war ein Augenblick der Kongruenz, zumindest schien es mir damalig so."
Die bereits verblassende Erinnerung an jenes Ereignis trieb Gracchus tatsächlicherweise ein schmales Lächeln über die Lippen, welches jedoch bereits einen Herzsschlag später wieder verging. Er hatte noch nie über diesen Augenblick gesprochen, nicht einmal mit Sciurus, und vor Leontia, die noch vor ihrer Ehe stand, wollte er ihn nicht ausbreiten. Womöglich hätte er ihn mit Aquilius teilen können, doch Aquilius hatte für sich entschieden, so weit wie möglich von ihm fort zu sein, ein Umstand, der seiner Verzweiflung über die Misere nur Vorschub leistete.
"Je weiter wir uns in der Zeit von diesem einen Augenblick entfernten, desto weiter entferte sie sich wieder von mir, bereits am nächsten Tag schon, als alle Gäste das Haus verlassen hatten. Sie zog sich zurück, mied meine Gesellschaft, hielt sich auch vom Rest der Familie fern. In ihrer seltenen Gegenwart ... ich kann nicht mit ihr reden, ich kann sie nicht in Gesellschaft mit mir führen, ich kann nicht einmal mit ihr zu Abend speisen, geschweige denn das Bett mit ihr teilen. Ich habe mich bemüht, Leontia, doch sie ist so furchtbar abweisend, als wäre ich ein Ungeheuer. Bin ich ein Ungeheuer? Ich habe das Gefühl, sie hasst mich, doch ich weiß nicht weshalb. Ich gab ihr meine Worte, beschenkte sie mit Aufmerksamkeiten, ich versuchte sie in mein Leben mit einzubinden, doch was ich auch tue, es scheint alles nur schlimmer zu machen. Sie geht mir aus dem Weg und ich ... "
In einem tiefen Seufzen ließ er seinen Blick sinken, gleichsam seinen Schultern. Er war im Grunde genommen froh um jeden Tag, den sie ihm aus dem Weg ging, doch gleichsam verstörte ihn dieses Verhalten von Tag zu Tag mehr, stieß ihn in tiefe Selbstzweifel und Kummer über seine eigene Unfähigkeit.
"Wäre nur nicht die leidige Pflicht, Leontia, die leidige Pflicht, die darauf wartet, dass mein Samen in ihr aufgeht. Denn alles andere, alles andere habe ich ohnehin schon aufgegeben."
In einer langsamen Bewegung wandte Gracchus seine Miene zu seiner Base hin und blickte sie eindringlich an.
"Was ist es also, das ihr Frauen euch von einer Ehe erwartet, was ist es, das ihr erhofft und auf das ihr besteht? Was ist es, das ich nicht im Stande wäre zu geben, ich, Flavius Gracchus, Sohn des Vespasianus, auf bestem Wege dorthin, wo die Familie meinen Platz bestimmt hat, hinter mir die Macht der Flavia, vor mir der Weg an die Spitze, was ist es, Leontia, das sie von mir erwartet zu tun, was ist es, das sie dazu bewegen kann ihre Pflicht wahrzunehmen?" -
Zitat
Original von Flavia Minervina et Lucius Flavius Serenus
Noch eben ließ Gracchus seine Finger über die feinen Schnitzereien auf der Holzschachtel, dem Geschenk Minervinas, gleiten, während ihre Worte in seinen Sinnen nachhallten, da war seine Schwester bereits aus dem Raume entschwunden. Dies trübte seine Stimmung mehr noch, als es Antonias Abwesenheit je vermocht hätte, denn dass dies gerade im Nachklang zu seinem Saturnaliengeschenk geschah, dies ließ aus Gracchus' Sicht nur eine einzig mögliche Schlussfolgerung zu. Sogleich schob er sich die Schuld für Minervinas Unwohlsein selbst zu, mochte es das Geschehen auf dem Markt gewesen sein, die Erinnerung daran ausgelöst durch das Geschenk, oder mochte es seine bloße Anwesenheit sein, die, aus welchen Gründen auch immer, seiner Schwester so zusetzte, doch dass er der Auslöser jenes Unwohlseins war, daran bestand keinerlei Zweifel. Womöglich hatte er sie doch mehr verärgert mit seinem Gespräch, als ihm bewusst war. Zudem hätte er sie längst aufsuchen sollen, um mit ihr über ihre Mutter zu sprechen. Er schämte sich dessen, dass er diese Pflicht bisweilen vernachlässigt hatte, doch gerade am heutigen Abend sehnte er sich so sehr danach, alle Pflichten Pflichten sein und ruhen zu lassen. Durch den berauschenden Wein gelöst, ließ sich Gracchus zu einem tiefen Seufzer hinreißen, gleichzeitig rang er mit sich, Minervina zu folgen. Doch stattdessen versuchte er letztlich die Gedanken nur mit mehr Wein zu ertränken, was jedoch nur mäßigen Erfolg brachte. Er verfolgte das Geschenkeverteilen am Tisch und bedachte Leontias Geschenk für ihren Neffen Milo mit einer Spur aufkeimenden Neides, da jene Schriftrollen doch so viel größer und schwerer schienen, als diejenige, welche er von ihr erhalten hatte. Doch rechtzeitig besann er sich der alten Weisheit Nicht auf die Größe, sondern auf den Inhalt kommt es an. und aß statt sich weiter zu grämen von den Speisen, bis Serenus seine Aufmerksamkeit zurück auf jene Dinge brachte, welche er soeben gerade erfolgreich zu verdrängen versucht hatte. In leichtem Entsetzen hielt er inne und ließ das Stück Hammelfleisch, welches er im Begriff war zum Mund zu heben, wieder sinken.
"Minervina ist es ein wenig unwohl, wie wohl auch Antonia, da sie nicht hier ist. Du musst lernen, Entscheidungen zu akzeptieren, Serenus. Antonia wird ihre Gründe haben, weshalb sie nicht anwesend ist und es ist nicht an dir darüber zu urteilen, ob diese gerechtfertigt sind, oder nicht."
Seine Tonfall war ungewohnt scharf. Doch Gracchus konnte nicht dulden, dass Serenus letztlich mehr Erfolg haben würde, als er selbst, Antonia zu irgend etwas zu bewegen. Am Ende glaubte sie noch, er wäre selbst nicht in der Lage ihr gegenüber zu treten, unabhängig davon, dass dies tatsächlich so war, glaubte, er hätte den Jungen geschickt und fühlte sich zu allem Überfluss bemüßigt tatsächlich noch zu erscheinen und die familiäre Eintracht zu zerstören. Dies konnte er nicht dulden, nicht an diesem Abend, und um dies in sich selbst zu bekräftigen, trank er noch einen Schluck des Weines, hatte er doch den Eindruck, dass dies durchaus dazu beitrug, seine Vorsätze zu festigen. Sodann ließ er sich eine Schale warmen Wassers reichen, um sich die Hände zu reinigen, und ein Tuch, um sie zu trocknen. Der Appetit war ihm vergangen und je eher das Essen beendet sein würde, desto eher würde sich Serenus mit dem Rest seiner Geschenke beschäftigen, statt auf dumme Gedanken zu kommen. Es galt daher die restlichen Pakete zu verteilen, so dass die übrigen sich weiter dem Essen zuwandten. Darum griff er zu dem Geschenk für Milo. Die Auswahl dessen hatte sich ein wenig komplizierter gestaltet. Doch Gracchus hatte es letztlich seinem Sklaven überlassen und jener mochte hoffen, dass die Informationen, welche er beschafft hatte, korrekt waren. Gracchus musste sich aufsetzen, um das schwere Paket fassen zu können, und er reichte es über Sciurus weiter zu Milo.
"Bona Saturnalia, Milo! Ich hoffe, es trifft deinen Geschmack."
Die Form des in groben Leders eingeschlagenen Geschenkes ließ bereits auf den Inhalt schließen, war das Leder doch mit Bändern eng um die kleine Amphore herum gebunden. Der Inhalt jener war ein über die Maßen teurer Wein, dessen Beschaffung alleine schon eine kleine Oddysee für sich gewesen war, was Gracchus jedoch nicht ahnte. Es gab nichts, was Sciurus in dieser Hinsicht nicht beschaffen konnte, und Gracchus wusste nie genau, wo es her kam, geschweige denn wollte er dies wissen. -
Mit einer laschen Handbewegung, für welche er gerade noch genügend Kraft aufbringen konnte, fegte Gracchus die Unkenntnis seines Vetters bei Seite.
"Altruistisch, Marcus, nicht altruierend. Du meinst sicherlich alternierend, also im Wechsel, abwechselnd. Altruistisch bedeutet selbstlos und uneigennützig, und etwas anderes wollen wir dem Praefectus doch nicht unterstellen, nicht wahr?"
Natürlich war dies nicht so, doch es war nicht an Gracchus dies zu tun.
"Worte können wunderschön und mächtig zugleich sein, dies ist wohl wahr. Doch wenn du sie synonym gebrauchst, mögen sie noch so erhaben klingen, sie verändern nicht den Sinn deiner Aussage, denn dies ist doch gerade Ziel und Zweck. Ob du dich zum Vergnügen in die Taberna zurück ziehst, oder zum Verlustieren, es bleibt die gleiche Tätigkeit, nur klingt es angenehmer und mit Bedacht gewählt."
Gracchus hatte ein paar solcher Worte in seinem Wortschatz, doch er gebrauchte sie ebenso beiläufig, wie all die anderen. Dennoch war Sprache für ihn immer wie eine Melodie wenn der Sprecher es verstand, die richtigen Akzente zu setzen. Es war äußerst deplorabel, dass nur noch selten großartige Redner ihren Weg auf die Rostra fanden, selbst bei privaten Zusammenkünften leidete der Sprachgebrauch bisweilen, und er fragte sich, ob wohl die Diskussionen im Senat rhetorische Qualitäten erreichten. Doch die Überlegungen um Aristides' Tochter und deren Zukunft lenkten ihn von jener Fragestellung ab, welche Aristides ohnehin nur würde unzureichend, wenn überhaupt, beantworten können.
"Bedenke die Vorteile des Cultus Vestales und denke daran, welche Kosten noch auf dich zukommen werden. Wenn du deine Tochter standesgemäß verheiratest, wirst du eine angemessen hohe Mitgift nicht vermeiden können."
Er dachte an die Sesterzen, welche Antonia mit in die Ehe gebracht hatte, dies war kein geringer Betrag gewesen. Natürlich war jenes Geld unantastbar und brachte vordergründig wenig, war es als Mitgift doch darauf ausgelegt zu ruhen und erst dann Verwendung zu finden, wenn der Ehegatte nicht mehr unter den Lebenden weilte und seine Gattin so nicht mehr angemessen versorgen konnte. Doch war es Geld, mit welchem sich arbeiten ließ, und welches daher bei geschicktem Einsatz auch ruhend noch Vermögen abwarf.
"Abgesehen von den Kosten für eine Hochzeit."
Töchter brachten nur Kosten und Nachteile, wie es schien. So sehr Gracchus die Götter auch um einen Erben bat, um so mehr bat er darum, dass Antonia ihm keine Tochter gebären mochte. Dies nicht unbedingt nur aufgrund der Kosten und der nach sich ziehenden Mitgift, sondern auch und vorallem, weil er nichts mit einer Tochter würde anzufangen wissen. Wahrscheinlich würde er sie so bald wie möglich nach Achaia senden und früh eine Verlobung arrangieren, so dass sie kaum dem Kindesalter entwachsen sogleich in eine andere Familie einheiraten konnte. Der größte Vorteil der Töchter war, dass man mit ihnen vorteilhafte Verbindungen eingehen und stärken konnte. Da Aristides jedoch keinerlei Ambitionen jeglicher Hinsicht zu verfolgen schien, war es fraglich, welche Art der Verbindung ihm nutzen konnte. Von daher gesehen wäre eine Vestalin in der Familie sicherlich nicht verkehrt.
"Nun denn, du musst es wissen, du bist immerhin ihr Vater. Falls du es dir doch anders überlegst, so sende nur eine Nachricht und ich werde mit Agrippina sprechen."
Als sein Vetter ihn letztlich um den Gefallen bat, konnte Gracchus nicht verhindern, dass ihm ein Seufzen aus der Kehle entkam.
"Direkt auf Pergament? Jetzt? Ich fürchte, mein Zustand lässt kaum ein adäquates Schriftbild zu."
Entschuldigend hob er wie zum Beweis seine Hand, aus welcher das leichte Zittern nicht zu vertreiben war. Er nahm eine Wachstafel zur Hand, löschte die darauf notierten Aufzeichnungen, es handelte sich ohnehin nur um einige Berechnungen deren Korrektheit hinsichtlich seiner gegenwärtigen Konstitution zweifelhaft waren, und notierte die Worte, welche er zuvor für Aristides formuliert hatte.
"Wie bald brauchst du den Brief? Ich gehe davon aus, dass diese Reminiszenz an den gestrigen Abend bis morgen verklungen sein wird. Es ist doch so, nicht wahr Aristides?"
Ein wenig Sorge und Beklommenheit mischten sich in Gracchus' Tonfall. Aufgrund dessen, dass er solcherlei Erfahrungen nur äußerst selten durchlebte, hatte er kaum Vergleichswerte. Er erinnerte sich mit Grauen an ein ausuferndes Gelage in Achaia, von welchem zu erholen er Tage gebraucht hatte, doch dagegen war der Saturnalienabend eher maßvoll gewesen. -
Nachdem alle anwesenden Mitglieder abgestimmt hatten und das Ergebnis kaum erst eruiert werden musste, nickte Gracchus und verkündete jenes.
"Nun denn, so sei es. Ich danke euch für die erneute Aussprache eures Vertrauens. Da der Einsatz unserer Gemeinschaft erst wieder zum Martius, dabei jedoch nicht zu vergessen zu gleich zwei Festen, gefordert sein wird, schließe ich die heutige Sitzung, sofern es weiters von eurer Seite nichts zu besprechen gibt." -
Zitat
Original von Flavia Leontia et Flavia Arrecina
Schon an der Kontur des Geschenkes seiner Base war zu erkennen, um was es sich handelte. Wie kaum anders zu erwarten, war es eine Schrift, welche er von Leontia erhielt. Da dies so war, da dies eine Schrift war und da diese von Leontia stammte, verlangte sie jedoch besondere Aufmerksamkeit. Gracchus löste den blauen Stoff um die Rolle herum, fuhr prüfend mit dem Zeigefinger über das feine Hirschleder und entnahm sodann das dünne Pergament. Die weiche Bewegung, in welcher er das Schriftstück entrollte, dabei nicht zu wissen, welcher Inhalt auf ihn wartete, dies war etwas, was Gracchus ein jedes mal aufs neue ein leichtes, wohliges Schaudern über den Rücken ziehen ließ, bis er endlich die ersten Zeilen las.
Wir stehn am fernsten Saum der Welt, dem skythischen Gelände jetzt, in unbetretner Einsamkeit.
Hephaistos, du wirst eingedenk jetzt sein des Amts, das dir der Vater übertrug, den Frevler hier
in diamantner Fesseln unlösbarem Netz hoch anzuschmieden auf den gipfelsteilen Fels.
Seine Lippen bewegten sich und er formte lautlos die Worte, die er vor sich sah. Schließlich wandte er sich seiner Base zu, ein erfreutes Lächeln zeichnete sich auf seinen Gesichtszügen ab.
"Kein Dank könnte dazu in der Lage sein den meinigen zu übertreffen, teuerste Leontia."
Er verwahrte das gerollte Pergament sorgsam in der Schutzhülle und legte sie zu jenem Päckchen, welches er von Aristides erhalten hatte. Sodann wandte er seine Aufmerksamkeit, wohl berechnend, wieder dem familiären Geschehen zu und eine heimliche, gar kindliche Freude überkam ihn, dass dieser Teil des Abends noch immer nicht vorüber war.
"Noch immer gibt es Kinder an diesem Tisch, die ohne Geschenke sind."
Beinahe hätte er sich zu einem 'verlorene Kinder' hinreißen lassen, doch noch war der Weinpegel in seinem Blut dazu nicht hoch genug. Ein kleiner Beutel fand darum ohne weitere Kommentare seinen Weg zu Aristides' Tochter.
"Bona Saturnalia, Arrecina!"
Der rotfarbene, seidig glänzende Beutel für seine Nichte zweiten Grades enthielt zwei kleine Schmuckstücke, zwei Ohrringe. Sie glänzten goldfarben, bestanden aus je einer kleinen halbmondförmigen Platte, welche eine perlmuttfarbene Perle umschloss. An diese angebracht befand sich je eine Volute, an welcher drei kleine, kegelförmige Pendilien mit gleichartigen Perlen herab hingen. Natürlich hatte Gracchus jene Schmuckstücke nicht selbst gewählt, doch es war ihm glaubhaft versichert worden, dass die zurückhaltende Tongebung in Verbindung mit dem dezenten Schimmern des Goldes perfekt mit Arrecinas braunfarbenem Haar und ihren dunklen Augen harmonieren würde. In dieser Hinsicht waren weibliche Verwandte ohnehin von Vorteil, konnte eine Frau doch nie zu viel Schmuck bekommen. Darum war sie zu Beschenken beinahe so mühelos, wie dies bei Kindern der Fall war, welche allgemein einen solch reichhaltigen Fundus an Wünschen aufwiesen, dass man nur einen passenden herausgreifen musste, wie dies bei Serenus der Fall gewesen war. Gracchus blickte sich verwundert um, sah er seinen kleinen Neffen doch nicht mehr am Tisch, obwohl gerade erst die Hauptspeise aufgetragen worden war. Wahrscheinlich jedoch war der Junge nur austreten, seine Geschenke würde er sicherlich nicht versäumen. Gracchus wandte sich dem Faschierten zu, nahm sich ein wenig Hammelfleisch und garnierte seinen Teller schließlich mit einigen Zucchinistäbchen. Das Essen war im allgemeinen kräftig gewürzt, so dass es den Durst antrieb, welchen Gracchus nur allzu bereitwillig mit dem immer wieder aufgefüllten Wein ein wenig zu löschen versuchte. Nicht nur die Schärfe der Speisen trieb ihm darum langsam die Hitze in den Körper. -
Von den kleinen Differenzen hinter der Türe bemerkte Gracchus nichts, war er doch zu sehr in seinen eigenen Gedanken gefangen. Möglicherweise fiel ihm der Tropfen Blut auf Salambos Hand auf, doch er beachtete ihn nicht mehr als die Sklavin, und somit nicht im geringsten. Schwankend zwischen dem Empfinden der Freude, dass Lenontia anwesend war, und der Beklemmung, dass sie anwesend war, trat er in den Raum hinein. Ohne ein Wort schritt er langsam zu der Bank hin und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Erst als er saß, sprach er voller Verwunderung.
"Ich ging davon aus, die Sklaven hätten dir ein Zimmer in der Villa Flavia zugewiesen. Doch ich muss mich geirrt haben, denn an solch geschmackvoll eingerichtete Räume kann ich mich nicht erinnern."
Das vorherrschende Blau wirkte beruhigend und gleichzeitig dazu einladend, mit den Gedanken in die Ferne zu schweifen. Jener Einladung kaum widerstehend beugte sich Gracchus etwas vor, um der Katze über den Kopf zu streichen. Sphinx reckte sich und rieb ihren Kopf an Gracchus' Hand, so dass er beinahe wie von selbst dazu über ging, sie ein wenig zu kraulen. Schließlich jedoch wurde er sich der beiden Füße gewahr, welche unweit von ihm auf dem weißen Fell verharrten und er richtete sich wieder auf.
"Entschuldige, Leontia. Ich ..."
Er blickte sie mit gequältem Ausdruck an und wusste nicht, wo zu beginnen. Er öffnete den Mund und holte Luft, seufzte jedoch nur und ließ seine Schultern sinken. Die Nervosität brachte ihn dazu, auf der Unterlippe herumzukauen, während er in seinem Kopf nach den richtigen Worten suchte, die ganze Situation brachte ihn weitaus mehr zur Verzweiflung, als er sich dies noch vor der Tür stehend eingestanden hatte. Doch weniger fürchtete er in diesem Augenblick, mit Leontia von Angesicht zu Angesicht zu sprechen, denn das, worüber er sprechen wollte, worüber er sprechen musste.
"Lass es mich mit den Worten des Lucretius ausdrücken:
Wenn nun der Sonnenstrahl hier während des dunklen Gewitters
grade entgegen erglänzet dem tropfenden Nebelgeriesel,
dann entsteht in dem schwarzen Gewölk ein farbiger Bogen."
Er blickte Leontia desperat an.
"Sei mein Regenbogen, Leontia, errette mich aus dem schwarzen Gewölk, sei die schillernde Brücke, welche mich daraus heraus führt. Ich weiß nicht ein, noch weiß ich aus, und ich bitte dich innständig darum, mir deinen Rat nicht zu verwehren, brauche ich ihn doch so dringend ... den Rat einer Frau." -
Als das Tuch sich entrollt hatte und den Blick auf das aufgestickte Bild frei gab, zog ein Funken der Erkenntnis kurz über Gracchus' Gesicht, nur um daraufhin baldigst wieder zu erlischen. Er war sich sicher, den dargestellten Ort schon einmal gesehen zu haben und er war sich sicher, dass er ihn hätte kennen müssen, doch es wollte ihm nicht in den Sinn kommen, wo der Erschaffer des Bildes sich seine Inspiration geholt hatte.
"Ich danke dir, Quartus. Ich denke, ich weiß bereits welchen Platz es bekommen wird."
Er strich über den Rand des feinen Tuches und rollte es sodann sorgfältig wieder zusammen, um es beiseite zu legen, auf dass es auf dem Tisch nicht verschmutzte. Die Bediensteten räumten bereits die beinahe leeren Platten und Teller ab, um alsbald mit dem zweiten Gang fort zu fahren. Ein Geschenk, welches Gracchus sehr am Herzen lag, verweilte jedoch noch immer bei ihm und wartete auf die Übergabe. Er zog die drei aneinander gebundenen Lederrollen hervor, nicht unähnlich jenen, welche er selbst von seinem Vetter Aristides erhalten hatte. Im Inneren dieser Rollen jedoch verbargen sich Schriften des Xenophon, genau genommen jene über das Symposion im Hause des Kallias, und außen herum waren sie in hauchdünnes, rotfarbenes Leder eingeschlagen. Als Gracchus das Paket seiner Base anreichte, zitterten seine Hände beinahe unmerklich.
"Gutes kannst du von Guten nur lernen; doch mengst du dich unter Schlechte, so büßest du noch was du selbst Gutes hast ein. Darum wähle deine Lehrer weise. Bona Saturnalia, Leontia."
Es schien viel zu lange, bis sie das Geschenk griff, so legte er es vorher auf dem Tisch ab, zog seine Hände zurück, nur um gleich wieder nach dem Becher zu greifen, welcher bereits wieder mit Wein gefüllt war. Es schien Gracchus, als wäre die Mischung bereits ein wenig verfeinert. -
Die direkte Art seines Vetters und sein eigener Zustand entlockten Gracchus ein hintergründiges Lächeln. Da nur Aristides herein gekommen war, gönnte er es sich, seinen Kopf wieder auf die Hand zu stützen und er rieb müde seine Schläfe.
"Auch dir einen guten Morgen, Marcus. Ich würde zu meiner eigenen Verteidigung anführen, dass nicht ich es war, der Geschwindigkeit und Maß des Weines bestimmte, doch welchen Nutzen würde es bringen? Somit gebe ich dir nur Recht, denn es sind die seltenen Tage danach, an denen ich dies immer wieder selbst feststelle."
Noch ehe er ihm einen Platz anbieten konnte, saß Aristides bereits auf einem Stuhl. Womöglich hätte dieses forsche Eindringen in seine Privatsphäre Gracchus an einem anderen Tage einen missbilligenden Blick abgerungen und ganz sicherlich hätte es dies bei einer anderen Person, doch Aristides in Kombination mit dem Tag nach dem Saturnalienmahl verhinderten beides, erst recht, nachdem sein Vetter ihn gleich im ersten anschließenden Atemzug um Hilfe bat. Noch eben versuchte Gracchus dem Gedankengang des Fluches in Verbindung mit dem Germanen zu folgen, da sprach Aristides ein gänzlich anderes und völlig unerwartetes Thema an.
"Caecilus Crassus?"
Natürlich hatte Gracchus den Namen bereits gehört, dies ließ sich in Rom kaum vermeiden. Er war sich nicht sicher, ob der Präfekt nicht selbst einst die Villa Flavia zwecks diverser Untersuchungen besucht hatte, doch zumindest bei der ein oder anderen Gelegenheit war er dem durchaus stattlichen Mann schon begegnet. Er sah einen nur schlecht zu versteckenden durchtrainierten Körper vor seinem inneren Auge, dem die Rüstung der kaiserlichen Garde nur allzu angemessen war.
"Interessant. Als Praefectus Praetorio wäre er sicherlich keine schlechte Wahl."
In einer langsamen Bewegung ließ Gracchus seine Hand ein Stück sinken und knetete seine Unterlippe.
"Für eine andere Familie zumindest. In Hinsicht auf die Flavia und insbesondere deine Tochter ist sein Ansinnen völlig absurd. Er ist ein Empörkömmling, und der Wunsch in unsere Familie einzuheiraten zeugt von Mangel an Bescheidenheit. Ich kann dir nur in deiner Entscheidung ihn abzulehnen zustimmen, Marcus."
Der leichte Nebel um seine Gedankengänge herum erleichterte es nicht unbedingt, über eine angemessene Form der Absage nachzudenken. Die Worte wollten äußerst sorgfältig gewählt sein. Schließlich jedoch schüttelte Gracchus ansatzweise den Kopf.
"Keine Entschuldigungen und keine Rechtfertigungen. Am geschicktesten wäre, wenn du bereits einen passablen Gatten für deine Tochter in Aussicht hättest. Dies hast du nicht zufälligerweise? Wie dem auch sei, die Absage muss gleichzeitig deutlich und dennoch in gebotener Achtung formuliert sein."
Er wandte seinen Blick von Aristides und blickte stattdessen schräg nach oben, dorthin, wo die gegenüberliegende Wand in die Decke überging, so als würden dort die Worte stehen, welche er nur noch ablesen musste.
"Gruß, Heil und die gebührende Achtung eines treuen Patriziers, o Praefectus Praetorio! Seit deinem altruistischen Angebot meine Familie betreffend ist einige Zeit verstrichen, welche ich auf die umfassende Prüfung und die Reflektion eben jenes verwandte. Dennoch kann ich die dir bereits bekannte Entscheidung nur noch einmal bekräftigen, dass eine solche Verbindung weder adäquat noch zweckmäßig wäre. Da dies einen entgültigen Entschluss darstellt, ersuche ich dich darum, jenen zu akzeptieren. Weitere Anfragen sind zwecklos. Darunter eine übliche Grußformel, dein M.F.A. und das ganze auf Pergament, um sowohl die Dauerhaftigkeit deiner Entscheidung, als auch deine Hochachtung ihm gegenüber zum Ausdruck zu bringen. Das sollte vermutlich ausreichen. Sag, hast du schon einmal darüber nachgedacht, Arrecina dem Cultus Deorum näher zu bringen? Meine Schwester Agrippina könnte sicherlich ein gutes Wort für ihre Aufnahme in den Orden der Vesta einbringen." -
Es kam äußerst selten vor, dass dies vor kam, doch manchmal kam es tatsächlich vor, dass Gracchus an den Nachwirkungen des Weines litt. Der Tag nach der Saturnalienfeier bedingte eben dies. Im Grunde genommen hätte Gracchus seinem Sklaven zürnen müssen, da dieser auf solch unverschämte Art und Weise sein Amt des Rex Bibendi pflichtbewusst ausgeführt hatte, doch das familäre Fest war genau so verlaufen, wie Gracchus es sich gewünscht hatte. Nun, womöglich nicht ganz, und er würde dies auch niemals vor irgendwem zugeben, nicht einmal vor Sciurus, doch es war ein äußerst spaßiger Abend gewesen, einer, wie ihn sich Gracchus sonst extrem selten zugestand. Dennoch kämpfte er mit der leichten Taubheit des Kopfes, dem schalen Geschmack auf der Zunge und dem dumpfen Nebel, der seine Sinne umklammert hielt, welche noch nicht wieder gänzlich ihm zu gehören schienen. So saß er an seinem schmalen Tisch und las die Zeilen auf der Wachstafel vor sich, ohne sie tatsächlich zu lesen. Den Weg in sein Arbeitszimmer hatte er sich direkt gespart, war es doch ohnehin unsinnig, einer ernsthaften Arbeit nachgehen zu wollen, doch ebenso wenig konnte er untätig herumsitzen, Feiertage hin oder her. Zwar hatten die Tempel an diesen Tagen geöffnet und der Cultus Deorum viel zu tun, doch da er das offizielle Opfer gleitet hatte, hatte Gracchus am zweiten Tag der Saturnalia keinen Dienst zu verrichten. Stattdessen saß er über der Nachprüfung der Aufstellung der Einnahmen des flavischen Familienvermögens über das sich dem Ende zuneigende Jahr hinweg. Mehr, als darüber zu sitzen, tat er jedoch nicht. Gerade war er im Begriff mit seinem Blick durch die Tabula und den Tisch hindurch zu sehen und zu blinzeln, um zu verhindern, dass seine Augenlider sich möglicherweise wie von selbst schlossen, da donnerte es an der Türe, als würde der oberste Gott seinen Blitz selbst ankündigen wollen. Gracchus fuhr erschrocken zusammen und starrte an die Tür. Er wartete, dass sie sich von selbst öffnete, oder eher gehöffnet wurde, möglicherweise durch die Hand seines Sklaven oder eben von Iuppiter. Doch Sciurus war nicht im Zimmer, der Sklaven ging an diesem freien Tag seinen eigenen Geschäften nach, und der oberste Gott öffnete ebenfalls nicht. Gracchus fuhr sich mit der Hand über die Augen, schließlich durchs Haar, setzte sich gerade auf, streckte die Schultern durch und atmete schlussendlich einmal tief ein und wieder aus. Offizielle Besucher würden dieser Tage ohnehin nicht kommen, doch man konnte nie wissen.
"Ja, bitte?"
Womöglich war das ein wenig zu leise, zumindest schien es Gracchus so, obwohl es in seinen Ohren durchaus laut genug nachhallte. So versuchte er es denn noch einmal.
"Ja, bitte?" -
Zitat
Original von Lucius Flavius Furianus
Es entzückte Gracchus geradezu, dass sich Furianus tatsächlich zu einem Saturnaliengedicht drängen ließ, hatte er zwar gehofft, doch nicht erwartet, dass diese Feier wahrhaftig so familiär-traditionell werden würde. Zwar war es nur ein mäßig literarisches Kunstwerk, doch immerhin bemühte sein Neffe sich. Gespannt nahm Gracchus von jenem die hölzerne Schachtel entgegen und öffnete diese. Nachdem er die Bronzetrias aus der Schatulle gehoben hatte, stellte er sie auf den Tisch vor sich und betrachtete sie eingehend. Die Anordnung um ein gemeinsames Zentrum herum und so von allen Seiten gleichermaßen betrachtenswert war ein wenig merkwürdig, doch die Kunstfertigkeit des Gestalters sicherlich nicht abzustreiten.
"Eine äußerst filigrane Arbeit."
Prüfend fuhr er mit den Fingerkuppen über die mit einem winzigen Adler geschmückte Brustplatte des bronzenen Mars und als er schließlich die Lanze berührte, bemerkte er die leichte Bewegung, welche dieser Kontakt auslöste. Verwundert hob Gracchus eine Augenbraue, beugte sich neugierig vor und schob mit dem Zeigefinger an des Mars' Schild, so dass sich die Dreiheit träge in Bewegung setzte und über dem Kugellager rotierte. Ein erstauntes Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen und er erneuerte die Bewegung gleich noch einmal durch einen kleinen Schubs an Quirinus' Fuß.
"Faszinierend."
Er nickte Furianus anerkennend zu.
"Ein wirklich stilvolles Geschenk, Furianus. Ich danke dir dafür."
Die kleine Statuengruppe kam zur Ruhe und Iuppiter blickte nun zu ihm, der gutmütige und gleichsam unerbittliche oberste Gott der Römer, jener der einzig aus der alten auch in der neuen Trias seinen Platz gefunden hatte, und welchem Gracchus äußerst verbunden war, glaubte er doch nicht nur jenem sein Leben zu verdanken, sondern war er auch gleichsam der, welcher die Götter liebte. Ein Hauch von Sehnen mischte sich in Gracchus' Blick, doch schlussendlich schüttelte er jenes Gefühl ab, die Saturnalia waren nicht der geeignete Ort für Trübsal und jener, welcher ihn einzig daraus zu erlösen vermocht hätte, weit fort. Erneut fand ein Geschenk den Weg in seine Hände, es war ein Beutel aus dunkelblauem Samt mit goldenem Saum und einer goldenen Kordel, durch welche er zu schließen war. Darin lag ein Armband aus Gold, mit einigen Gliedern aus Weißgold und gelblichen Schmucksteinen. Sie harmonierte perfekt zu jener Kette, welche Minervina sich auf den Mercatus ausgesucht hatte, und welche sie zu den Saturnalien um ihren Hals trug. Gracchus reichte den Beutel an seine Schwester und wünschte ihr mit weicher Stimme ein frohes Fest.
"Bona Saturnalia, Minervina!"
Noch hatten sie weder Gelegenheit gefunden über ihre Mutter, noch über Minervinas Zukunft zu sprechen, doch nachdem sie sich auf dem Markt gütlich geeinigt hatten, hegte Gracchus die Hoffnung, dass beide Gespräche harmonisch verlaufen konnten. -
Gracchus lachte leicht auf, schüttelte den Kopf und hob sich ergebend die Hände. Wieder konnte er seinem Vetter nicht zustimmen, denn über einen Sklaven zu Richten erachtete er nicht als gleichwertig zu dem Richten der Götter über einen Menschen, es glich eher der Entscheidung, ob man sich von einem minderwertigen Gegenstand trennen wollte oder nicht. Ebenso wie er sich nicht über das Schicksal einer beschädigten Öllampe Gedanken machen würde, würde er sich kaum um das Schicksal eines unbrauchbaren Sklaven kümmern. Doch sie würden kaum den anderen von ihrem Standpunkt überzeugen können.
"Du wirst mich schwer überzeugen können, Furianus, doch ich respektiere deine Ansichten. Ist es nicht ohnehin so, dass über die Haltung von Sklaven mindestens ebenso viele unterschiedliche Meinungen herrschen, wie über die Ursachen des Spartacusaufstandes? Dennoch halte ich es für sehr gefährlich, Freigelassenen den Weg in die Politik zu gestatten, um zum eigentlichen Thema zurück zu finden. Denn ihre Motive sind zu unberechenbar." -
Zitat
Original von Lucius Flavius Serenus et Quartus Flavius Lucullus
Die Lippen zu einem feinen Lächeln gekräuselt hob Gracchus entschuldigend die Hände.
"Da siehst du es, ich bin völlig ungeeignet, was den korrekten Verzehr der Austern angeht. Man möge es mir nachsehen. Doch nachdem sich augenscheinlich sogar die Bettler und armen Leute von Baiae an ihnen gütlich tun, sind sie vielleicht ohnehin das falsche Mahl für unsereins."
Er griff zu seinem Wein, um den abscheulichen Nachgeschmack der Auster aus seinem Mund zu vertreiben. Die Notwendigkeit der Potenzsteigerung war bei ihm ohnehin nicht vorhanden, doch womöglich sollte er darauf zurückgreifen, wenn die Notwendigkeit bestand, erneut bei Antonia zu liegen. Im Grunde bestand diese längst, doch das Thema war zu bedrückend, um sich dem nun hinzugeben. Da selbst Milo mittlerweile anwesend war, Antonia dagegen noch immer nicht, wollte Gracchus sie für diesen Abend aus seinen Sinnen verbannen, so wie er dies auch all die anderen Abende sehr erfolgreich tat.
"Es ist mir ohnehin ein Rätsel, wie man etwas als Genuss bezeichnen kann, das man nicht genießen, da kaum schmecken kann. Immerhin bedürfte es zum Wahrnehmen eines Gemacks des Zerkauens des Tieres, womit beim Verzehr der Auster also nur die sie umgebenden Säfte den Eindruck eines Geschmackes bestimmen. Genauso gut könnte man also die Flüssigkeit aus den Schalen schlürfen und den Rest samt der Muschel entsorgen, zumindest bliebe auf diese Art und Weise das unangenehme Schlucken im Halse erspart."
Gracchus wandte sich seinem Bruder zu, der ein wenig abwesend schien.
"Lucullus, der du den Namen eines großen Genießers trägst, was ist deine Ansicht über den Genuss von Austerngetier?"
Nachdem Gracchus das Saturnaliengeschenk für seinen Bruder hervorgeholt hatte, bemerkte er, dass sein Weinbecher bereits wieder gefüllt war. Ein wenig irritiert stellte er erst jetzt fest, dass die Becher kontinuierlich aufgefüllt wurden und er fragte sich, wie oft er schon getrunken und dies aufgrund dieser Tatsache nicht bewusst wahrgenommen haben mochte. Er reichte seinem Bruder, noch immer ein wenig verwirrt, das Geschenk hinüber. Es war ein wenig unpersönlich, doch war sein Bruder einer von jenen gewesen, für die es ihm am schwersten schien, ein Geschenk zu wählen, kannte er ihn doch kaum, wusste wenig von seinen Gedanken und Wünschen. So hatte er sich letztlich für ein äußerst fein geschmiedetes Opfermesser entschieden, um Lucullus Weg Rechnung zu tragen. Es war eingeschlagen in purpurnen Stoff, zusammengehalten von einem breiten goldenen Band.
"Bona Saturnalia, Quartus."