Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Der Consul legte eine etwas merkwürdige Einstellung zur Heirat an den Tag, doch womöglich zeigte sich hierin nur eine allgemeine Tendenz. Gracchus tauchte seine Hände in das lauwarme Wasser, welches die Sklaven aufgetragen hatten, und reinigte sie sorgfältig von den öligen Spuren des Fisches. Sodann ließ er sich ein Schinkenröllchen anrichten, ohne Bohnen jedoch, und daneben ein wenig Huhn mit Kohl. Nach den ersten Bissen beteiligte er sich wiederum an der Konversation.
    "Eine überaus lästige Angelegenheit, wie mir scheint. Gab es nicht vor gar nicht allzu langer Zeit schon einmal einen Aufstand dort? Was treibt die Menschen Hispanias nur zu solchen Aktionen? Man sollte meinen, die Provinz wäre reich genug, um sich fernab von Rom ein profitables und angenehmes Leben leisten zu können, auch nach den zu leistenden Abgaben."

    Dem Atrium, der gesamten Villa, würde eine Gestaltung durch weibliche Hand sicherlich nicht schaden. Antonia hatte sich bedauerlicherweise dafür noch nicht erwärmen können, möglicherweise da ihr Status ein wenig vage war, war der Hausherr doch Felix und das Amt der Hausherrin somit vakant. Flavia störten solcherlei familiäre Details selten, da der Hausherr ohnehin selten anzutreffen war hatte jeder mehr oder minder alles oder nichts zu entscheiden. Felix würde es zudem wahrscheinlich nicht einmal auffallen, wenn die Villa sich verändert hatte, dennoch schien Antonia dies von jeglichem Vorhaben abzuhalten. Möglicherweise kam ihr dies auch nicht ungelegen. Gracchus nickte und lauschte verzückt dem Klang seines Namens, ausgesprochen durch seine Base. Es gab wenige Menschen, welche dererlei vertraut ihn mit waren, um ihn beim Praenomen zu nennen. In Aquilius' Stimme schwang dabei stets ein Hauch von Sehnsucht, Aristides sprach ihn eher unbedacht und beiläufig aus, Sciurus stets reserviert und unter stillem Protest. Seine eigene Familie gebraucht ihn nur unter eindringlichen Worten und Antonia ... Antonia schaffte es, so viel Oberflächlichkeit in ihre Stimme zu legen, dass Gracchus sich manches mal wünschte, sie würde ihn statt dieser Farce der Ehrlichkeit halber mit seinem Nomen Gentile bedenken.
    "Natürlich erfordern die Saturnalia große Vorbereitungen, doch ich werde mir stets Zeit für dich nehmen, wenn du diese benötigst. Zögere also nicht, mich aufzusuchen, wenn es dir danach ist. "
    Er bedachte sie mit einem warmherzigen Lächeln.
    "Natürlich erlaube ich, meine teuereste Leontia, denn wie könnte ich wagen, mich dem zu verweigern?"

    Auch um Gracchus' Mund legte sich ein leichtes Schmunzeln beim Gedanken an die Zukunft des Serenus. Es gab wenig, worum Aristides zu beneiden war, doch neben seiner Befähigung zu jenem eleganten, geschwungenen und formvollendeten M, gehörte sicherlich auch sein Sohn hierzu, schon allein die bloße Existenz dessen. Doch natürlich brauchte er sich um ihn keine Sorge zu machen, war es doch seine Tochter, welche unentwegt für die absonderlichsten Verwicklungen zu sorgen schien.
    "Ein ... Fluch?"
    Das Wort schleppte sich über Gracchus' Lippen, als müsse es erst mühselig den Weg aus seiner Kehle heraus emporklettern. Vermutlich war es so. Seit den Ereignissen in Achaia, seit Gracchus selbst am eigenen Leib die Wirkung solcher Verwünschung verspürt hatte, versuchte er jenem Themengebiet so weit wie möglich aus dem Wege zu gehen. Er blickte seinem Vetter in die Augen und es schien, als würde er in zwei kleine Spiegel sehen und dort seine eigenen Empfindungen erblicken. Furcht, tiefe Beklommenheit und Sorge. Gracchus hatte noch nie einen Exorzismus gewirkt, den über ihm liegenden Bann hatte er dereinst gebrochen, in dem er sich selbst in den Dienst und Schutz des Iuppiters gestellt hatte, doch natürlich war er mit der Theorie vertraut.
    "Ich werde tun, was in meiner Macht steht, Marcus, dessen sei dir versichert. Was ist mit dem Sklaven? Ist er tot? Ein Fluch ist eng verwoben mit demjenigen, welcher ihn gesprochen hat oder worauf er gebannt wurde, darum ist die Bannung einfacher, wenn dies zur Zerstörung verfügbar ist."
    Er folgte Aristides' abgelenktem Blick und lächelte innerlich, als er Sciurus verkniffenen Gesichtsausdruck sah. Leontia und Furianus grüßte er wie sein Vetter mit einem Nicken, ebenso seinen Bruder, der in diesem Augenblick erschien.

    Nachdem die Rufe über das Forum verklungen waren, trat ein älterer Mann nach vorn und stellte eine Schale mit Satrunalienplätzchen auf den Altar. Es war der Magister der Septemviri, Opimius Naso, dessen gesamtes Collegium sich bereit erklärt hatte, während der Zeremonie wie so viele andere Mitglieder des Cultus Deorum seinen Beitrag zu leisten. Ein wenig ungewöhnlich war dies zwar, dass die Collegiumsmitglieder sich als Helfer verdingten, doch in jedem Falle im Sinne des Geistes der Saturnalia und überaus erfreulich, da die Helfer aufgrund der enormen benötigten Anzahl beinahe immer knapp waren. Drei weitere Helfer brachten eine Schale mit Erde, eine mit Korn und eine Kanne mit Wein. Ihr Tun wurde von Gracchus' Worten begleitet.


    "Seht das Geschenk des Saturnus! Seht sein Werk!
    Kommt nun und kostet von seinem Werk,
    dem Geschenk des Saturnus und seiner Schwester Ops.
    Aber teilt es mit den Menschen neben euch,
    so war das Gesetz in Saturnus' Goldenem Zeitalter!"


    Gracchus trat an den Altar heran und berührte leicht die Schale mit der Erde, dann jene mit Korn. Schließlich nahm er ein Plätzchen, hob es in die Höhe und brach es als symbolischen Akt der Teilung mit dem Volke. Er goss Wein in einen Becher und erhob ihn.


    "Möget ihr immer genügend besitzen und es mit anderen teilen!
    Möget ihr niemals durstig und hungrig sein!
    Bona Saturnalia!"


    Schlussendlich berührte er noch einmal die Erde, die Geldkasette und das Korn. Ein letztes Dankgebet schloss den rituellen Kultakt ab.


    "Ihr noblen Götter, Saturnus, Ops und Consus,
    nehmt unseren Dank und schaut auf uns mit Liebe!
    Laßt uns nun alle gemeinsam feiern
    und etwas von Saturnus' Goldenem Zeitalter kosten
    und glücklich sein über seine Rückkehr!


    Io Saturnalia!"


    Dies war das Stichwort für die Verteiler der Saturnalienplätzchen. Unzählige Helfer strömten aus, um die kleinen Gebäckstücke unter der Menge zu verteilen. In einem dieser Plätzchen war eine Münze eingebacken und derjenige, welcher sie fand, war an diesem Tage der Saturnalienfürst und wurde beim anschließenden öffentlichen Festmahl als König gefeiert.

    Während der junge Flavius seiner Aufgabe nachkam, fuhr der ältere an die Menge gewandt mit den traditionellen Worten fort.


    "Nun, wenn die Sonne um die Erde kreist,
    entzünden wir dieses Licht,
    und jedes Jahr kehrt die Sonne zu uns zurück,
    so wie auch jedes Jahr das Licht dieser Kerzen.
    Das Licht erinnert uns an Saturnus,
    der uns aus einer dunklen Zeit ins Licht führte
    und uns befreite von Dunkelheit und Hunger und Gewalt."


    Etwa zur Hälfte der Worte begannen zwei Helfer die wollenen Binden um die Füße der Statue des Saturnus zu lösen. Gracchus hob seine Hände vor sich, die Handlflächen zum Himmel, und damit den Göttern, gewandt.


    "Saturnus, ehrwürdiger Vater, erhöre unser Gebet!
    Da wir Deine Fesseln lösten für dieses Jahr,
    so schütze unsere Saat und schenke ihr Fruchtbarkeit
    und bringe Dein Goldenes Zeitalter zurück zur Erde!"


    Hinter dem Sacerdos fielen die Wollbinden auf den Boden, Saturnus war auch in diesem Jahr für seine Festtage befreit. Die Hände noch immer erhoben, doch nun im Ansinnen die gesamte Menge vor sich metaphorisch zu umfassen, wandte sich Gracchus wieder den irdischen Bewohnern zu.


    "Nun ehret mit mir Vater Saturn und ruft drei mal:


    Io Saturnalia!
    Io Saturnalia!
    Io Saturnalia!"

    "Vale, Claudia."
    Als die junge Frau das Tempelgebäude verlassen hatte schüttelte Gracchus in Gedanken versunken den Kopf, während er mit seinen Augen scheinbar versuchte die Tempelwand zu durchdringen. Doch da ihm dies nicht möglich war, musste er schließlich doch den Tempel verlassen, um nach dem Stand der Sonne zu sehen. Es war noch ein wenig Zeit, so dass er sich noch etwas den Schriften widmen konnte, welche im Nebengebäude bereits seit den Mittagsstunden auf ihn warteten. Auf dem Weg dorthin dachte er darüber nach, ob es vorteilhaft wäre, etwas für die Unterrichtung der neuen Discipula vorzubereiten, doch er entschied, dass er sich auf seinen Verstand und ihre Neugier verlassen würde. Dies musste ausreichen, und sollte es an ihrer Neugier mangeln, so würde ihr Versagen schlussendlich ihr eigenes sein, denn an seinem Verstand zweifelte Gracchus nicht. Nun, manches mal vielleicht doch ein klein wenig, allerdings sicherlich nicht in Hinsicht auf die Erfüllung seiner kultischen Aufgaben. Erst ungebührlich spät am Abend ließ der Sacerdos sich in seiner Sänfte zurück zur Villa Flavia bringen und verhinderte somit für einen weiteren Tag mit seiner Gattin speisen zu müssen.

    Ein ehrlich erfreutes Lächeln legte sich auf Gracchus' Lippen. Mochte Aristides auch wenig geeignet sein, tiefgründige Tischgespräche mit seinen Beiträgen zu komplettieren, doch er gehörte zur Familie wie jeder andere auch, und Gracchus erinnerte sich durchaus mit heimlicher Freude an den ein oder anderen Abend, welchen sein Vetter mit Aquilius und ihm in Achaia verbracht hatte. Es war jedes mal gewesen, als würde er in eine andere Welt eintauchen, welche ihm ansonsten völlig verborgen blieb.
    "Bona Saturnalia, Vetter! Aber natürlich habe ich etwas Zeit, es wird ohnehin noch dauern, bis der Rest der Familie versammelt ist."
    Er legte Aristides freundschaftlich die Hand auf die Schulter und führte ihn ein wenig von den bezahlten Bediensteten fort zur anderen Seite des Raumes hin.
    "Es freut mich außerordentlich, dass du die Feiertage in Rom verbringen kannst, vor allem wegen Serenus. Ist er es, worüber du sprechen möchtest? Er macht sich außerordentlich gut, du brauchst dir keinerlei Sorge um ihn zu machen. Auch wenn er in mancherlei Hinsicht noch ein wenig, nun, sagen wir kindlich ist, so ist er doch alles in allem recht schicklich und wissbegierig. Ich bin sicher, er hat eine glänzende Zukunft vor sich."

    Ihr dauerhaftes Verweilen erfreute Gracchus tatsächlich, obwohl ihm bei dem Gedanken an ihre permanente Anwesenheit ein wenig flau wurde. Es war einfach über die Ferne mit lange zurechtgelegten Worten zu bestechen und ein Bild von sich zu zeichnen, welches womöglich nicht der tatsächlichen Wahrheit entsprach. Der Gedanke, Leontia könnte enttäuscht sein im Augenblick dessen, dass sie erkannte, dass er in fortwährenden direkten Gesprächen lange nicht derjenige war, welchen sie erwartet hatte, schmerzte ihn, wäre dies doch nur ein weiteres Maß seiner Unzulänglichkeiten. Dennoch, er würde sie nicht von jenen Gesprächen abhalten können, war seine eigene Sehnsucht danach doch viel zu dominant.
    "Kosmas."
    Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen. Medicus und Grieche, ein Peregrinus also, und damit außerhalb der Möglichkeiten. Äußerst bedauerlich, doch nicht zu ändern.
    "Nun, sehr gebildet scheint er nicht zu sein, nach jener Äußerungen zu urteilen. Mir kommt als erstes jene schöne und intelligente Cleopatra in den Sinn, welche es nicht nur verstand, vorausschauend zu planen, sondern gleichermaßen die mächtigsten Männer Roms durch ihre Entscheidungen lenkte und sie zudem noch überlebte, wenn auch im Falle von Marcus Antonius nicht gar sehr lange. Wie dem auch sei, die Notwendigkeit, an seiner Bildung teilzuhaben, wird hier in Rom nicht mehr bestehen. Mag er sich um seine Salben und Tinkturen kümmern, davon verstehen die Griechen immerhin etwas."
    Auch von anderen Dingen, doch jene ließ Gracchus lieber unerwähnt, schwang ihre Nennung doch ohnehin immer implizit mit, wenn man über jenes Volk sprach, bewusst oder unbeabsichtigt. Bereitwillig ließ er sich zum Impluvium führen und starrte auf die glänzende Oberfläche hinab. Er sah das Wasser vor sich, konnte sich ohne Schwierigkeiten die weißen Blüten der Seerosen vorstellen, zartrotfarben umrandet, auch die elegant geschwungenen Blätter der Lotosblumen konnte er sich vergegenwärtigen, doch für all jenes in Kombination fehlte im jeglicher Sinn.
    "Gewiss, es würde sicherlich vorzüglich passen."
    Er hoffte dies zumindest, würde er doch erst im Nachhinein bestimmen können, ob dieses Arrangement tatsächlich mit dem Rest des Atriums harmonierte, dann, wenn er es wahrhaftig vor sich sah.
    "Ich werde dem Vilicus Bescheid geben, dass er dafür Sorge tragen soll. So wirst du nicht nur mit deiner eigenen Erscheinung Schönheit in dieses Haus bringen, sondern auch durch deine Ideen."
    Versonnen blickte er einige Augenblicke auf das Wasser, auf welchem sich durch den Strom aus der Kanne des steinernen Faunus kleine Wellen ausbreiteten. Wie sich die Wasserfläche kräuselte, so kräuselte sich plötzlich auch Gracchus' Stirne.
    "Verzeih, auch wenn ich nicht der Hausherr bin, so bin ich augenscheinlich ein schlechter Gastgeber in diesem Hause. Möchtest du etwas trinken oder essen? Oder ist es dir eher danach, dich ein wenig auszuruhen, ich möchte dich von nichts abhalten, werden wir doch noch genügend Zeit füreinander haben."

    Während die Helfer in den hinteren Reihen weiter die Spenden einsammelten, kehrten jene aus den vorderen Reihen bereits zurück und schütteten einige der Münzen in die Schale zu Füßen des Saturnus. Schließlich bedeckte Gracchus jene mit einem Deckel und wandte sich wieder der Menge zu.


    "Euer Schatz und euer Korn ist nun sicher!
    In der Dunkelheit muss es liegen bis zu der Zeit
    wenn die Sonne zurückkehrt und die Saat zum Leben erweckt.
    So schläft auch Saturnus, die Zeit erwartend
    wenn er erweckt und gerufen wird,
    seine Insel zu verlassen und seine Geschenke uns zu bringen."


    Erneut traten weitere Helfer des Cultus Deorum nach vorn und brachten die traditionellen Saturnalien-Geschenke. Sie verteilten Cerei, goldene Kerzen, und Sigillaria, kleine Tonfiguren, an die Menschen, allerdings nur in den vorderen Reihen. Zudem wurden zwei dicke Kerzen seitlich der Saturnus-Statue aufgestellt.


    "Laßt alle Kinder ihre Geschenke dem Gott darbringen.
    Seit alten Zeiten haben diese Gaben ihre Bedeutung:
    Die Kerzen, sie sind kleine Sonnen,
    und die Sigillaria Symbole unserer Seelen.
    Nun gebt die Sigillaria einem Kind, welchem ihr auch wollt,
    aber wacht darüber, dass jedes Kind eines erhält.
    Die Kerzen aber bewahrt bei euch."


    Gracchus nahm ein Sigillarium entgegen und blickte auffordernd zu seinem Neffen, welchem nun die Aufgabe zufiel, symbolisch für alle Kinder des Imperium die kleine Tonfigur entgegen zu nehmen, und hernach die Kerzen zu entzünden.

    Nachdem er sich am Vormittag bei dem offiziellen Opfer für eine rotfarbene Tunika entschieden hatte, trug Gracchus nun zum familiären Fest eine etwas hellere, in orangerotem Ton, mit goldenen Borten - im eigenen Hause brauchte man schließlich nicht darauf zu achten, als Gleicher unter Gleichen nicht aufzufallen. Dem Tage angemessen trug er nun auch einen Pilleus, diese Sitte der Saturnalia hatte Gracchus schon immer in besonderer Weise amüsiert und die Freiheitskappe zu tragen brachte geradezu eine kindliche Freude in ihm auf. Als er den Raum betrat war er von der Anzahl der bereitstehenden Klinen ein wenig überrascht, doch ein eiliges Überschlagen der Einwohner der Villa Flavia rechtfertigte ihre Zahl tatsächlich. Es würde in der Tat eine äußerst familiäre Zusammenkunft werden, eine, wie sie Gracchus seit seiner Kindheit nicht mehr erlebt hatte. In Achaia hatte er die Saturnalia meist nur mit Aquilius und einigen Freunden bei traditionellem Würfelspiel und mit großen Mengen Wein verbracht, und auch in diesem Haus waren sie bisher nicht sonderlich groß ausgefallen. Wie nicht anders zu erwarten, war er einer der ersten, nur Sciurus stand bereits im Raum und überprüfte die Opferutensilien am Altar. Gracchus trat auf ihn zu.
    "Bona Saturnalia, Sciurus!"
    Ein hintergründiges Lächeln kräuselte Gracchus' Lippen, wusste er doch sehr genau um das Missvergnügen, welches der Sklave dieser Tage, von seinen Pflichten entbunden, empfand. Doch dies führte nur dazu, dass er Gracchus um so wertvoller wurde, und ein wenig erfreute es diesen, den Sklaven damit necken zu können.

    Im Anschluss an die Begrüßung wandte sich Gracchus zu der Statue des Saturnus um, deren Kopf mit einem grünen Kranz geschmückt, und welche wie die beiden anderen Statuen bekleidet war. Der Sacerdos nahm von einem Minister eine kleine Kanne entgegen und goss daraus goldfarbenes, glänzendes Öl in die bereitstehende Lampe.


    "Als Saturnus herrschte, war alles ein Kreislauf
    und alle Dinge kehrten sich um.
    Nur einmal jedes Jahr füllen wir diese Lampe mit Öl.
    Sie ist sonst leer, weil Saturnus schlafend liegt.
    Wir nähren ihn mit dem Öl des Getreides,
    dem goldenen Nektar der Körner.
    Trinke tief, oh Saturnus, von diesem goldenen Öl!
    Erwidere unser Geschenk und segne unsere heilige Erde!"


    Nachdem die Lampe entzündet war, nahm Gracchus die mit Münzen gefüllte Schale, holte je einen Aureus, einen Denarius, einen Sesterz und ein As daraus hervor, und damit mehr, als viele der Feiernden in einem Monat verdienten, und legte sie in eine kleine Schale zu den noch immer gefesselten Füßen des Saturnus.


    "Saturnus hat einen Gehilfen, den Gott des Ackerbaus
    der die Saat bewacht, Consus ist sein Name,
    er bewahrt die Dinge tief in der Erde
    und beschützt die Saat.
    Von allem was wir ernten bewahren wir einen Teil,
    um es erneut in die Erde zu legen.


    Auch einen Teil unseres hart erarbeiteten Geldes bewahren wir auf,
    um es an einem anderen Tag zu benutzen.
    Und selbst unsere besten Gedanken verbergen wir,
    um sie später ans Licht zu bringen,
    wenn sie wachsen und gedeihen können.


    All das und mehr ist verborgen in der Erde
    anvertraut der Sorgfalt von Mutter Ops.
    Erinnert euch allen Reichtums den ihr besitzt und
    entscheidet weise, was davon zu bewahren ist.
    Gebt einiges von dem, was ihr besitzt, und bittet:


    Saturnus, bewahre das Korn für die Saat
    und mache es fruchtbar für die Ernte!"


    Angehörige des Cultus Deorum strömten nun vom Tempel aus in die Menschenmenge, in ihren Händen hölzerne Dosen, in welchen sie die Spenden des Volkes einsammelten. Sie waren in weiße Tuniken gekleidet und trugen statt des Pileus ebenfalls grüne Kränze, um so für die Opfernden erkennbar zu sein. Von überall her war nun leises Gemurmel zu hören, wenn die Menschen Saturnus um seinen Segen baten, bevor sie ihre Münzen, kaum eine davon mehr wert als eine Sesterze, in die Holzdosen fallen ließen.

    Erleichterung durchströmte Gracchus, als seine Schwester ihm folgte, denn er war sich dessen bewusst, dass er keine ruhige Minute verbracht hätte, wäre sie nicht mitgekommen und stattdessen irgendwo in Rom herumgezogen.
    "Ich bin immer bereit, meine Ansichten zu revidieren, stellen sie sich als falsch heraus, denn ist es nicht dies, was den Menschen zum Menschen macht, dass er über sich selbst, seine Gedanken und Ansichten reflektieren und sie ändern kann?"
    Ihre Sorge um einen Mann nahm er mit einem leichten Schmunzeln zur Kenntnis, und während er sie nach Hause führte, ließ er sich bereits einige mögliche Kandidaten durch den Kopf gehen.

    Der Tag neigte sich ungefähr der zweiten Stunde zu, die Sonne fiel schräg über die Basilica Iulia hinweg auf das Forum und tauchte den Platz vor dem Tempel des Saturnus in ein weiches Licht, welches den kühlen Wind, der immer wieder einmal über die freie Fläche blies, ein wenig abmilderte. Es hatten sich bereits viele Menschen vor dem Tempel versammelt, Bürger aller Schichten, daneben auch Freigelassene und Sklaven, welche heute von ihren Diensten befreit waren. Da öffentliche Einrichtungen und Schulen an den Tagen der Saturnalia geschlossen blieben, hatten viele Menschen Zeit, sich dem Kultus zu widmen und das in Aussicht stehende Festmahl lockte sie zahlreich herbei. Um die Gleichheit aller an diesen Festtagen zu demonstrieren trugen selbst die Magistrate und Sacerdotes keine Togen, sondern einfach Tuniken mit Pallia oder Paenulae, dazu auch keine weißfarbene Kleidung und keine Purpurstreifen, sondern waren in leuchtende, prächtige Farben gekleidet. Viele Menschen hatten ihren Kopf zudem mit einem Pilleus bedeckt, der Filzkappe, welche ansonsten hauptsächlich die Freigelassenen als Symbol ihrer Freiheit trugen. Die Gleichheit aller zeigte sich auch in der Anwesenheit vieler Sklaven, die an den Saturnalia ihren Herren gleich, manche sogar in Umkehrung höher gestellt waren, weshalb die Saturnalia als regelrechtes Fest der Sklaven galten. Doch auch das römische Volk würde auf seine Kosten kommen, denn es gab wenig, was an den Saturnalia als unziemlich galt und viele der anwesenden Bürger würden spät am Abend beim Würfelspiel oder hemmungslosen Trinkgelagen enden, um ganz und gar und mit allen Sinnen das goldene, saturnische Zeitalter zu ehren.


    Doch vorerst sollte demjenigen gedacht werden, welchem dieser Feiertag zugedacht war, dem Saturnus, einem der ältesten Götter des römischen Volkes. Vor seinem Tempel waren drei Statuen aufgestellt, Saturnus selbst, mit kunstvoll geknoteten Wollbinden um seine Beine, welche die Ketten symbolisierten, durch welche er das Jahr über gebunden war, rechts von ihm seine Gattin Ops, die Erdmutter, und linkerhand Consus, der Wächter über das Getreide und Gehilfe des Götterpaares. Vor den Statuen auf einem Foculus aufgereiht standen eine Reihe Kerzen, eine Öllampe, ein Schälchen mit Getreide und Geld.


    Wie bereits vor kaum einem halben Monat zum Fest des Saturn war Gracchus auch an diesem Tag die Leitung des Festtages zu seinen Ehren zugefallen. Er trug eine weinrote Tunika und statt eines Pilleus einen Kranz auf dem Kopf, um seine Stellung als Opferherr hervorzuheben. Die Organisation der Saturnalia galt als große Ehre unter den Sacerdotes, denn es fand zwar kein blutiges Opfer statt, dafür jedoch ein ausgeprägter Kultakt nach strengen Regelungen. Zudem bedurfte es weitläufiger Organisation, um die notwendigen Vorbereitungen, den Ablauf der Kulthandlung und das anschließende Fest angemessen vorzubereiten. Gracchus blickte sich nach seinem Neffen Serenus um, welchem er eine Aufgabe als Minister zugedacht hatte. Er hatte Sciurus gebeten, auf das Kind aufzupassen, dass es nicht in der Menschenmasse unterging, doch bisher gab es ohnehin keinen Grund zur Sorge, stand Serenus doch seitlich der Statuen und hielt die Schale vor sich, aus welcher bereits der Rauch von verbranntem Styrax emporstieg.


    Das Spiel der Tibicines setzte ein, um den Beginn der Zeremonie einzuleiten, und endete erst, als sich die Menge vor dem Tempel gesammelt und zur Ruhe gekommen war. Sodann setzte Gracchus zur traditionellen Saturnalienansprache an.


    "Willkommen zu den Saturnalia!


    Der Kreis des Jahres teilt sich in vier Teile,
    und in den Ländern unserer Heimat und unserer Provinzen
    ist die dunkle Zeit von der Sommersonnenwende
    zur Wintersonnenwende die Zeit zu pflügen
    und den Boden zu bestellen und den Samen auszustreuen.
    Wenn dies getan ist ruhen die Menschen aus
    in der Winterzeit, bis zur Rückkehr der Sonne.
    Drei alte Götter werden in dieser Zeit geehrt:
    Saturnus, Ops und Consus sind ihre Namen.


    Nun hört den Mythos von Saturnus' Herrschaft:
    Bevor die mächtigen Götter, die die Erde
    Von des Olympus schneebdeckten Gipfeln beherrschten, geboren wurden,
    war Saturnus der König aller Götter
    und Ops, seine Schwester, war seine Frau und Königin.
    Aber als die Zeit kam und er seinen Thron abgeben sollte
    an einen jungen Gott, seinen Sohn Iuppiter,
    wollte Vater Saturnus nicht beiseite treten.
    Ein Kampf entbrannte zwischen Alt und Jung,
    bis Iuppiter siegte und Saturnus aus dem Himmel auf die Erde verbannte.
    Saturnus stürzte auf die Erde, und mit seiner Frau
    baute er ein Schiff und segelte hierher, in unser Land.


    Er brachte den Menschen nützliche Künste,
    er lehrte sie die Saat zu bewahren und in den Boden zu säen,
    so dass wir nicht mehr mühsam nach Nahrung suchen mussten.
    Er zeigte uns die Tiere zu jagen und zu braten,
    so dass wir allezeit ihr Fleisch und Fell hatten,
    er zeigte uns die Tiere zu zähmen und mit ihnen die fruchtbare Erde zu pflügen.
    Saturnus lehrte die Menschen Münzen zu schlagen
    von schimmerndem Silber, glänzendem Gold und Bronze.
    Er lehrte uns das Geld zu bewahren und anzuwenden.
    In diesen und anderen Dingen machte Saturnus
    unsere Leben viel einfacher und frei.


    Seine glückliche Herrschaft wurde das Goldene Zeitalter genannt,
    als genug Nahrung war für jedermann
    und die Menschen den Reichtum teilten, den sie besaßen,
    und keiner jemals stahl oder kämpfte oder log.
    Aber als das Ende der Herrschaft Saturnus' kam,
    entschied er weise, seine Krone beiseite zu legen.
    Er segelte mit dem Wind weit gen Norden,
    nach Hyperborea, wo er jetzt schläft,
    in einem versteckten Eiland am Ende der Welt,
    wo er auf ein anderes Goldenes Zeitalter wartet.


    Aber bis diese glückliche Zeit kommt,
    in dieser, der kältesten Zeit des Jahres,
    begeben wir uns in Gedanken in Saturnus' kaltes Reich
    um zu erwecken den alten freundlichen König,
    und ihn zu bitten, erneut mit uns zu gehen
    und für diese kurze Zeit mit uns zu leben,
    und mit uns zu feiern und zu Ehren das Goldene Zeitalter.


    Ich wünsche Euch
    Bona Saturnalia!"

    Auch Gracchus hob seinen Becher, prostete seinem Vetter und hernach den übrigen zu.
    "Mögen die Götter mit ihnen sein!"
    Wer immer auch das Paar neben Furianus komplettieren würde. Als dieser den Consul nach Heiratsabsichten befragte, konnte Gracchus ein leichtes Erstaunen nicht von seinem Gesicht verbannen. Auch wenn er die Gattin des Lucianus nicht kannte, so war er doch bisher fest davon ausgegangen, dass jene existieren musste, immerhin war er schon seit längerem Senator, und nicht nur aufgrund seiner Position und Familie eine geeignete Partie, sondern zudem ein ansehnlicher Mann. Senatoren mussten vor der Casa Vinicia Schlange stehen, um ihre Töchter dem Consul anzubieten, zumindest würde Gracchus dies vermuten. Doch wahrscheinlich war es die Fülle des Angebotes, welche Vinicius zögern ließ, konnte er sich als Consul doch regelrecht aussuchen, welche Verbindung für ihn am profitabelsten war. Womöglich war er zudem bereits verheiratet gewesen und nur wieder geschieden oder verwitwet, denn dass er als Consul noch immer ohne eine Ehefrau und dies nie gewesen war, wäre mehr als unangemessen und erschien Gracchus doch sehr unwahrscheinlich.

    Gracchus trat auf seine Schwester zu und wischte mit seiner Hand sanft eine kleine Träne fort, die sich erdreistet hatte, aus Minervinas Auge die Wange hinab zu laufen.
    "Ich hasse sie doch nicht, Minervina. Ich ... ich habe versucht, es zu verstehen, mehr als ein mal. Für dich mag es einfach sein, du warst in ihrer Nähe, du magst erlebt haben, was sie zu all dem getrieben hat. Ich war es nicht, ich war fern in Achaia, ich hatte mich gerade damit abgefunden, meine Pflichten als zweitgeborener Sohn zu erfüllen, hatte gerade entdeckt, welche Vorzüge dies haben kann, als Animus sich völlig eigennützig von allem abwandte und plötzlich all das, was seine Pflicht gewesen war, auf meinen Schultern landete. Doch nicht einmal bei ihm würde ich von Hass sprechen, er ist ... er ist einfach nicht mehr Teil meiner Familie."
    Einzig im Schutz der Gens sprach Gracchus noch über ihn, in allen anderen Fällen war er völlig aus dem Stammbaum und der Vergangenheit gestrichten.
    "Aber du bist Teil meiner Familie, Minervina. Bitte, komm mit mir nach Hause. Womöglich waren meine Worte zu hart, womöglich waren sie ungerecht und dafür möchte ich mich entschuldigen. Doch wenn du nicht mitkommst, mir berichtest, wie es sich tatsächlich zugetragen hat, so werde ich niemals die Chance erhalten, meine Ansichten zu revidieren"
    Er reichte ihr die Hand und hoffte, sie würde sich nicht weiter sträuben. Er wusste, dass seine Mutter viel geleistet hatte, und er hatte sich immer danach gesehnt, sie dafür bewundern zu können wie seinen Vater, doch das Ende ihres Lebens und das, was er glaubte darüber zu wissen, hatte ihm dies unmöglich gemacht.

    Ein wenig verspätet, wie es dieser Tage als modern galt, betraten Claudia Antonia und Flavius Gracchus den Raum. Gracchus erfasste in wenigen Augenblicken die anwesenden Gäste und sondierte bereits aus, mit wem ein Gespräch unabdinglich war. Ein wenig verließ ihn bereits der Mut, als er gleich beide Vinicier entdeckte, doch dass Hungaricus von seiner liebreizenden Gattin Tiberia begleitet wurde, glich dies aus. Als er den Gastgeber erblickte, führte er seine Gattin auf ihn zu und wartete kurz, bis Matinius ein vorheriges Gepräch beendet hatte.
    "Salve, Quaestor Principis, und vielen Dank für die überaus wortgewaltige Einladung. Darf ich dir meine Gattin vorstellen, Claudia Antonia."
    Zu eben jener gewandt, stellte er auch den Matinier vor.
    "Antonia, dies ist der Quaestor Principis, Matinius Fuscus, der Gastgeber des heutigen Abends."

    Ein winziger Schauer jagte über Gracchus' Nacken, den Rücken hinab, und er fragte sich, weshalb Antonia nicht wenigstens ein kleines bisschen mehr wie Leontia sein konnte, nur mit ein wenig mehr Feinsinn für Worte ausgestattet, denn er bezweifelte, dass sie auch nur ein einziges seiner Zitate je erkannt hätte. Zwischen seiner Gattin und ihm herrschte nur immer Schweigen und manches mal beinahe niederdrückende Stille, hatten sie doch noch kein Themengebiet gefunden, welches sie beide gleichermaßen erfreut hätte. Auf schöne Worte reagierte sie nicht, an Politik ließ Gracchus sie nicht teilhaben und an ihrem Tagesgeschehen war er nicht interessiert. So bedauerte er es keineswegs, wenn sie sich Abend um Abend beim Mahl entschuldigen ließ, da sie nur wenig Appetit hatte oder sich unpässlich fühlte, und war dies nicht der Fall, so fand er einen Vorwand, das Essen aufgrund mannigfaltiger Arbeit auf einen späteren Zeitpunkt hinaus zu schieben oder nebenbei in seinem Arbeitszimmer einzunehmen.
    "Ich werde dafür Sorge tragen, dass du beim Opfer bis ganz nach vorne durchgelassen wirst."
    Die Saturnalia waren immer ein sehr ausgelassenes Fest, an welchem sich nicht nur die oberen Bevölkerungsschichten erfreuten, sondern auch und besonders das einfache Volk und sogar die an diesen Tagen von ihren Diensten befreiten Sklaven, und Gracchus wollte vermeiden, dass seine Base im Strom dieser Masse untergehen würde. Doch seine Gedanken an den bevorstehenden Feiertag wurden vorerst von einem Blick auf den sich entfernenden Anhang Leontias abgelenkt. Sein Kopf legte sich ein wenig schief, als er den Abgang des Medicus Kosmas verfolgte, doch seinen Gedanken blieb keine Ruhe, nichteinmal der Frage, wer jener Mann war, konnte er nachgehen, denn seine Base berichtete bereits weiter. Ihr Verlobter Cassius war ihm schon durch ihre Briefe zuwider geworden, sein Ableben wohl ein bedauerlicher Umstand, doch für Leontia sicherlich eine große Erleichterung. Er konnte sie mitfühlen, diese Erleichterung, und mochte es auch grausam sein, manches mal war der Tod die einzige Möglichkeit, einem ungeliebten Schicksal zu entkommen. Gracchus fasste seine Base an den Schultern, zog sie zaghaft zu sich heran und umarmte sie sanft, wie man es für gewöhnlich mit einem Menschen tat, um ihn zu trösten. Seine Lippen waren nah an ihrem Ohr und seine Stimme nur ein Flüstern, denn in diesem Haus war man niemals allein.
    "Schäme dich nicht deiner Gedanken. Selbst wenn es die Götter waren, welche sie erhörten und umsetzten, so zeigt dies nur, dass sie dir gewogen sind. Ich bin ... froh, dass es so gekommen ist."
    Mit einem leicht hintergründigen Lächeln auf den Lippen trat er einen Schritt zurück.
    "Sicherlich werden sich in Rom genügend angemessene Möglichkeiten zur Zerstreuung finden, so dass dir Melancholie und Gemütsschwere erspart bleiben. Du weißt, dass du mich immer aufsuchen kannst, wenn es dir danach ist, mit jemandem zu sprechen."
    Er zögerte kurz, rang sich schlussendlich allerdings doch zu seiner Frage durch.
    "Doch sag, wer ist jener Mann, welcher dich begleitet hat?"

    Ihre Sturheit ließ erneut Wut in Gracchus aufsteigen, doch die Flammen erloschen ebenso schnell, wie sie gekommen waren, wurden durch Enttäuschung verdrängt. Minervina war eine erwachsene Frau und er hatte kein Recht, ihr Vorschriften zu machen, ebensowenig wie es seine Pflicht war, sie an die ihre zu erinnern. Er hatte genug mit seinem eigenen Leben zu kämpfen.
    "Hass und Oberflächlichkeit nennst du es, und doch urteilst du selbst oberflächlich, denn wie kannst du dich sonst anmaßen, mir dies zu unterstellen, wo du nicht die geringste Ahnung dessen hast, was alldem vorangeht, was mit all dem verbunden ist? Patrizisch, nicht patrizisch, schwarz und weiß, oben und unten, gibt es mehr nicht in deinem Sinn? Du enttäuschst mich, Minervina, denn ich war immer stolz darauf, dass meinen Schwestern eine angemessene Bildung zukam. Doch offensichtlich hast du dich ihrer nicht angenommen. Ich bin, was ich bin, weder Aushängeschild für unseren Stand, noch für unsere Gens oder unsere Familie. Du beklagst dich, dass die Menschen dich in ein Bild pressen, welchem du glaubst nicht zu entsprechen, beklagst dich über abweisendes Verhalten dir gegenüber aufgrund deines Standes, doch du urteilst über all jene, welche in deinem Zuhause warten, nur aufgrund meines Verhaltens. Hast du Lucullus jemals gefragt, was er über seine Mutter denkt? Ich kann es dir nicht sagen, denn ich kenne ihn selbst kaum. Ebenso wenig wie ich Agrippina oder dich kenne, und dies ist es auch nicht, worüber sich eine Familie definiert, denn andernfalls hätte dein Vater, und auch deine Mutter, nicht dafür gesorgt, dass jeder von uns an einem anderen Ende der Welt aufwächst. Sie haben darauf vertraut, dass wir dort, wo wir sind, lernen werden, was Familie bedeutet, dass wir unseren Weg annehmen und ihn bis ans Ende gehen. Ich bin stolz auf meine Familie und ich nehme sie so an, wie ich es muss, nicht nur mit ihren Vorzügen, sondern auch mit den Pflichten, die sie mir auferlegt."
    Er hielt sie nicht länger auf, denn er wollte sich nicht gegen sie durchsetzen. Nicht nur, weil es ihm sinnlos erschien, sondern womöglich auch deshalb, weil er nicht genügend Ausdauer und Kraft dafür aufbringen konnte. Minervinas Auftauchen in Rom, ihre Worte, ihre Vorwürfe hatten alte Wunden aufgerissen, älter noch als jene aus Achaia, von denen Gracchus geglaubt hatte, dass sie längst verheilt waren. Doch dem war nicht so, war es nie gewesen, er hatte sie einzig tief in sich verdrängt, wie so vieles andere auch.
    "Wenn du dich von deiner Familie abwenden willst, dann tue dies. Ich werde dich nicht davon abhalten, ich habe bereits einen Bruder auf diese Weise verloren und dafür bezahlt. Noch einmal werde ich dies nicht tun, denn irgendwann ist auch mein Maß an Familie erschöpft."