Mit einem Glanz der Freude in den Augen schloss Gracchus seine Base für wenige Augenblicke in seine Arme, enließ sie jedoch sogleich wieder, spürte er doch unverhältnismäßig deutlich die Blicke Leontias' Sklaven auf sich fixiert, und sicherlich war unter jenen einer, welcher Aetius Bericht erstattete über alles, was in Rom vorfallen würde, oder auch nicht. Dabei war gerade Leontia eine der wenigen Personen, bei welchen es Gracchus möglich war, sie mit freundschaftlichen Berührungen zu bedenken, ohne dass gleich sein Körper in Verzückung oder gar Extase geriet, wie dies bei allzu vielen anderen freundschaftlichen Beziehungen der Fall war.
"Platons Schriften vom Schönen, wahrlich, welche Gedanken wären angemessener um eine Reise zu erquicken, wenn sich die Schönheit selbst auf den Weg begibt.
So ist es allerdings, Leontia. Weit herrlicher aber denke
ich ist der Ernst mit diesen Dingen, wenn jemand nach den Vorschriften
der dialektischen Kunst, eine gehörige Seele dazu wählend, mit
Einsicht Reden säet und pflanzt, welche sich selbst und dem, der sie
gepflanzt, zu helfen imstande, und nicht unfruchtbar sind,
sondern einen Samen tragen, vermittels dessen einige in diesen, andere
in anderen Seelen gedeihend, eben dieses unsterblich zu erhalten
vermögen, und den, der sie besitzt, so glücklich machen, als einem
Menschen nur möglich ist."
Ein Schmunzeln kräuselte seine Lippen, in Vorfreude darauf, dass die blassen Tage in dieser Villa endlich bezwungen waren, dass nicht mehr nur politische Geflechte, römisches Tagesgeschehen und andere Banalitäten die Abende bestimmen würden, sondern endlich wieder erhabene Gedanken, Kunst, Poesie und tiefgründige Gespräche Einzug hielten, die seit dem Auszug der Tiberia Livia nur allzu brach lagen. Aus dem Schriftlichen heraus würden sie sich nun, da Leontia in Rom verweilen würde, endlich auch der Untersuchung der Art und Weise des guten Redens widmen können.
"Mir selbst geht es gut, du weißt, nichts anderes wäre angemessen. Der Rest der Familie befindet sich ebenfalls wohl, nach Lucullus kehrte erst kürzlich auch meine Schwester Minervina nach Rom zurück. Unser Vetter Felix ist ebenfalls in der Stadt, doch man sieht ihn beinahe so selten, wie in der Zeit, die er auf Sardinia verbringt. Sein Sohn Milo gleicht ihm in dieser Hinsicht sehr, während sich Furianus noch immer in unbotmäßigen Ämtern verdingt."
Mit einem leichten Kopfschütteln und einer sanften Handbewegung winkte er ab.
"Aber nicht doch, du brauchst dich nicht entschuldigen, Leontia. Du hast nicht sonderlich viel dabei verpasst, es war ... nur eine Hochzeit."
Genau genommen war es ein einschneidendes Ereignis, gemeinsam mit den Tagen zuvor, in welchen er Aquilius abgewiesen hatte, und seitdem war das Leben nur noch komplizierter geworden, als zuvor. Doch dies waren Gedanken, welche zu tief in sein eigenes Wesen eindrangen, als dass Gracchus sie bereitwillig teilen würde, nicht einmal mit Leontia, und vor allem nicht zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort.
"Doch du kommst gerade recht zu den Saturnalia. Ich werde den öffentlichen Kultakt auf dem Forum leiten und für den Abend hege ich die Hoffnung, dass wir einige Flavia zusammenbringen können, denn an anderen Tagen ist das Haus voll und dennoch gelingt es kaum, einen von ihnen zu Gesicht zu bekommen. Oh, beinahe vergaß ich darauf, Aristides' Sohn Serenus ist ebenfalls vor einigen Tagen angekommen und wird vorerst in Rom bleiben. Doch nun sage mir, was genau bezweckt dein Vater mit deinem Aufenthalt hier? Er schickt dich doch nicht etwa die Bibliotheken zu erkunden?"
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Furianus' Worte bezüglich des baldigen Termines waren gleich eines Eingeständnis dessen, dass er nicht darum wusste, wann seine eigene Hochzeit stattfinden würde. Da er jedoch selbst um die Folgen dieser wissen musste, und darum, dass er in seiner Position längst eine Frau an seiner Seite führen sollte, konnte dies nur eines bedeuten: Tiberia Claudia wollte oder konnte ihn nicht mehr ehelichen. Womöglich hatte sich die Tiberia gegen Furianus entschieden, Gründe dafür mochten sich sicherlich viele finden lassen, von eigenen Unpässlichkeiten, über Furianus' unbotmäßigen Lebenswandel bis hin zu einem etwaigen Eheangebot eines einflussreichen Senators, immerhin gab es dieser Zeiten einige dieses Standes, welche sich den alten Traditionen entgegenstellten und erst spät für ein Eheweib an ihrer Seite Sorge trugen. Eine andere Möglichkeit war es, dass Tiberia Claudia Schwierigkeiten damit hatte, ihre Mitgift aufzubringen. Die Tiberia waren allgemeinhin keine arme Gens, gegenteilig, doch Gracchus war nicht bekannt, in welche verwandtschaftlichen Verhältnisse die Tiberia in diesem Hause eingebettet war, und es mochte durchaus Gründe geben, welche eine verwandtschaftliche Hilfe von dieser Seite ausschloss. Alles in allem war dies eine äußerst ominöse Angelegenheit, doch keine, welche dazu tauglich war, weiter in dieser Runde erörtert zu werden. Womöglich würde sich für Gracchus zu späterer Zeit eine Gelegenheit ergeben, mit Furianus darüber zu sprechen. Er hatte Kenntnis davon erlangt, dass die Töchter des Claudius Vesuvianus nach Rom zurückgekehrt waren, und sollte Furianus eine neue Verbindung benötigen, so wäre eine Claudia für seine Familie nur angemessen.
"Nun denn, ich sehe dem mit Freude entgegen, mein lieber Vetter."
Er wandte sich den letzten Happen Fisch auf seinem Teller zu und widmete sich vorerst wieder diesem. -
Ein zufriedenes Lächeln umspielte Gracchus' Lippen, würde sich Minervina einsichtig zeigen, so war die Verbindung schon so gut wie beschlossen. Notfalls sollte er vorher mit Lucullus darüber sprechen, womöglich würde es von Vorteil sein, wenn auch er ihr die Verbindung nahe legen würde.
"Ich habe nicht nur eine Schwester. Doch die ältere von beiden will und kann ich dir nicht mit solcherlei Absichten vorstellen. Sie ist die Virgo Vestalis Maxima unseres Reiches. Ihr Wohl liegt also bereits in den Händen des Pontifex Maximus, und damit in den besten, welche man sich als Bruder nur wünschen kann."
Obwohl dies kaum politischen Einfluss brachte, so würde möglicherweise auch sie eines Tages durch ihr Wohlwollen ihren Brüdern ein wenig weiterhelfen können, vor allem hinsichtlich des Cultus Deorum.
"In Anbetracht der vor uns liegenden Saturnalia schlage ich einen Termin nach diesen Feiertagen vor. Ich werde dir eine Nachricht zukommen lassen."
Er wandte seinen Kopf nur minimal weiter.
"Da wir gerade bei diesem überaus erquickenden Thema angelangt sind, für wann ist deine Hochzeit mit der Tiberia angedacht, Furianus?"
Es war Gracchus unbegreiflich, weshalb sein Vetter nicht längst den Bund vor den Göttern eingegangen war, stand dies doch seiner Aufnahme in den Senat entgegen. -
Tatsächlich verstand Gracchus nicht, und er wollte auch nicht verstehen. Zu lange hatte er seinen Gram, seinen Zorn und seine Trauer über die Verganenheit in sich aufgestaut, als dass er nun Minervinas Worten Glauben schenken konnte. Ihre Mutter hätte andere Wege finden sollen, ein Zeichen zu setzen, Gracchus sah ihr Verhalten einzig als Flucht. So war es denn doch ein Teil der Familie, und konnte er sich für seine eigene Flucht nicht verachten, so konnte er dies doch bei seiner Mutter tun. Als sie es verlangte, drehte er sich zu seiner Schwester um, und als er sprach mischte sich eine tiefe Traurigkeit in seine Stimme.
"Ich bin nie den Weg gegangen, für welchen ich mich entschieden hätte."
Er atmete tief durch und legte ihr seine Hand auf die Schulter, als sie sich von ihm abwandte. Die Schärfe und der Zorn waren aus seiner Stimme gewichen, er wollte nicht die Verganenheit diesen Tag bestimmen lassen, obwohl es noch immer der Festtag des Saturnus, des Königs des vergangenen goldenen Zeitalters war. Doch die Vergangenheit ihrer Familie war nicht golden, nicht in Gracchus' Erinnerung.
"Komm mit nach Hause, nicht wegen mir, sondern um deiner selbst Willen. Ich bin dort nur einer von vielen Bewohnern, du musst mir nicht einmal über den Weg laufen, wenn du dies nicht wünschst. Doch willst du die anderen strafen, weil ich dir nicht zustimmen kann und will? Zudem, wohin, Minervina, willst du in dieser Stadt gehen? Ohne deine Familie bist du hier nichts." -
Interessiert horchte Gracchus auf. Erst kürzlich hatte er mit seiner Schwester bezüglich einer Ehe gesprochen, in diesem Augenblick in den Reihen der Tiberia jedoch nur an Vitamalacus gedacht, da sie den Wunsch nach einem Soldaten geäußert hatte. Doch gleichsam hatte sie seine dementsprechende Bemrkung abgelehnt, da sie nicht der Grund zur Lösung einer Verlobung sein wollte. Einen Augenblick lang wog Gracchus sorgfältig die Eventualitäten ab, kam jedoch zu dem Schluss, dass nichts gegen eine solche Verbindung sprechen würde, gegenteilig, dass es derzeit kaum einen Mann in Rom gab, welchen er sich an der Seite seiner Schwester besser vorstellen konnte, als Tiberius Durus. Nicht nur, dass er ein aufstrebender Politiker und sein Sitz im Senat so gut wie gesichert war, und damit für Gracchus einen äußerst wertvollen Schwager abgeben würde, fasste er zudem seinen Militärdienst ins Auge, so würde Minervina gleichsam zu ihrem Soldaten kommen.
"Wie der Zufall manches mal spielt ist erst kürzlich meine jüngere Schwester aus Aegyptus nach Rom zurückgekehrt. Zwar ist sie sui iuris, doch es liegt mir viel daran, sie in einer angemessenen Verbindung zu sehen."
Obwohl Gracchus juristisch tatsächlich keinerlei Verantwortung für Minervina trug, so glaubte er dennoch, würde sie sich in gewissem Maße den Wünschen ihrer Familie fügen. Zudem würde es selbst aus ihrer Sicht kaum etwas an Tiberius auszusetzen geben, er war ein stattlicher Mann, höflich, zuvorkommend und zielstrebig.
"Womöglich wärst du daran interessiert, sie einmal kennen zu lernen, Tiberius? Es wäre mir eine Freude, dich hierfür zu einem kleinen Mahl in die Villa Flavia laden zu dürfen." -
Es kostete Gracchus alle Mühe, seine Wut zurückzuhalten. Er biss die Zähne zusammen, bis er sich sicher war, dass er nicht zu laut werden würde. So wenig es auch gab, was Gracchus ausgeglichenes Gemüt erhitzen konnte, die Vergangenheit der Familie gehörte augenscheinlich dazu, und der Tonfall, mit welchem seine Schwester sprach, verbesserte die Sachlage nicht unbedingt.
"In der Tat, sie tat was sie wollte. Folgte den Ideen dieser unsinnigen Sekte und besiegelte das Verderben unseres Bruders. Sie hat Anmius' Geist mit diesen perfiden Ideen vergiftet. Sie war es, welche die Schande über unsere Familie gebracht hat, bei den Göttern, es war nur gut von ihr, dass sie sich selbst dafür strafte und ihrem Leben ein ehrenvolles Ende setzte, statt weiteres Unheil in die Welt zu setzen."
Der Ansatz eines trockenen, humorlosen Lachens entkam Gracchus' Kehle.
"Wusstest du, dass der Gott der Christen Selbstmörder nicht in sein Elysium aufnimmt? Dass er sie in den tiefsten Hades verbannen lässt? Ist das nicht amüsant? Was glaubst du, wo der Geist unserer Mutter abgeblieben ist? Ein jeder dorthin, wo er sich wünscht? Dann schmort sie in den Flammen eines grausamen Reiches, und ich sage dir, Minervina, es ist nur gerecht, dass sie an diesem Irrglauben noch im Leben nach dem Leben verzweifeln muss! Hätte sie unseren Bruder nicht mit diesen wahnwitzigen Ideen angesteckt, wäre Anmius zur Legion gegangen, wie es sein Pflicht gewesen war, und anstatt dass sein Körper irgendwo im Sand verrottet ist, hätte er heute einen Sitz im Senat, vielleicht das Kommando über eine Legion. Nicht, wie es einem Patrizier würdig wäre, sondern einem Flavius. Anstatt dich über deine Herkunft zu beklagen, solltest du stolz auf sie sein, Minervina, und dich deinen Pflichten widmen, wie es von dir erwartet wird."
Noch im gleichen Augenblick, als er die Worte sprach, bedauerte er sie nicht nur, sondern schämte sich gleichsam vor sich selbst. Manches mal schien es ihm, als hafte ihr Name an ihnen allen wie ein Fluch, und dann überkam ihn der Gedanke, dass sie alle daran zugrunde gehen würden, wie Animus. Doch eher würde er sich selbst in die verhasste Rolle drängen, als zuzulassen, dass seine Schwester die falschen Bahnen beschritt. In einer harschen Bewegung drehte er sich von Minervina weg, um ihr nicht in die Augen sehen zu müssen.
"Lass uns nach Hause gehen." -
Sim-Off: Wenn es dir zu schnell geht, dann musst du dies nur sagen. Ich kann die Informationen auch durchaus in kürzere Abschnitte und kleinere Tageseinheiten packen. Doch wir sollten den Tempel nicht allzu lange blockieren.
"Neben der Besonderheit des Ortes sind es die Zeit, der Adressat, die Handlung und die Stimmung, welche das kultische Handeln kennzeichnen. Unser Festkalender regelt die Zeiten des Jahres bis auf wenige Ausnahmen, welche der Rex Sacrorum oder die Flamines bekannt geben. Der Rezipient ist ein übermenschlicher, seien es die Götter, die Laren und Penaten, Genien oder andere Numina. Der Kultakt selbst ist streng geregelt, vom Anrufen der Götter mithilfe des Weihrauches, über das Voropfer, die Prozession, die traditionellen Gebete, die Schlachtung, die Litatio und das Mahl bei einem blutigen Opfer, über genau geregelte Abläufe an speziellen Feiertagen, bis zur Beendigung des Opfergebetes durch eine Wendung nach Rechts. Die Stimmung indes ist immer eine feierliche, feriatus. Die rituelle Reinheit ist dabei äußerst wichtig, doch auch die Unterscheidung vom Alltäglichen, Profanen. Um sich von Störungen nicht ablenken zu lassen, bedeckt der Opferherr im Ritus romanus seinen Kopf mit einem Zipfel seiner Toga."
Gracchus bedachte die Schülerin und wurde sich dessen gewahr, dass er womöglich ein wenig zu viel redete und sie überforderte.
"Nun, dies mag vorerst für diesen Tag ausreichen. Zur Vertiefung der angesprochenen Themengebiete und auch künftigen Wissens empfehle ich dir das zusätzliche Studium in den Bibliotheken Roms." -
"Aber nicht doch."
Mit einer leichten Bewegung aus dem Handgelenk heraus wischte Gracchus den Einwand des Tiberiers beiseite.
"Das eine schließt das andere nicht aus. Gegenteilig, da ich nicht wie mein Vetter Furianus den Vorzug genieße, im Stande meines Vaters zu stehen, bleibt mir wenig Wahl als der Weg durch den Cursus Honorum."
Mit dieser Äußerung hatte Gracchus gleichsam preisgegeben, welches Amt er langfristig anstrebte, doch er sah ohnehin keine Veranlassung, dies zu verheimlichen, war ein Sitz im Collegium Pontificium doch der einzig angemessene Platz im Cultus Deorum, und sein Weg ohnehin völlig berechenbar. Dass die eigenen Zweifel noch immer schwer an ihm nagten, ob er überhaupt jemals in der Lage sein würde, diesem Weg bis ans Ende zu folgen, dies war jedoch kein Gesprächsthema für dieses Beisammensein.
"Und du selbst, Tiberius, wirst du nach dieser Amtszeit deine wohlverdiente Pause annehmen, oder wird es dich rastlos in ein Amt treiben?" -
Ihre Worte brachten Gracchus dazu seine Schwester mit einem tadelnden Blick zu bedenken.
"Es geht nicht um fremde Götter, denn diese Götter sind völlig irrelevant und unerheblich. Sie mögen vor sich hinvegetieren bis sie endgültig aussterben und diejenigen, welche sich in ihrer Verzweiflung an sie wenden, beglücken. Bist du verzweifelt, Minervina? Wenn dies so ist, wende dich vertrauensvoll an die Götter deines Volkes, sie werden dir ihre Gunst nicht verwehren. Doch die Feste fremdländischer Götter zu feiern, dies ist wie ... wie einem ausländischen König zu huldigen. In Rom gibt es genügend Wissen, um ein ganzes Leben mit dem Studium dessen zu füllen. Wenn du es wünschst, so werde ich dir alle Schriften besorgen, welche du lesen möchtest, du wirst dich vor neuem Wissen nicht mehr retten können. Doch bei den Göttern, Minervina, halte dich von diesen östlichen Kulten fern."
Das Thema war nicht unbedingt geeignet, auf den Märkten Roms erörtert zu werden, doch es war dazu geeignet, Gracchus dies beinahe vergessen zu lassen. Seine Stimme wurde ein wenig leiser, zugleich jedoch eindringlicher.
"Diese Naivität hat unsere Familie schon einmal in Schwierigkeiten gebracht, und wären die Götter, die römischen Götter, nicht so gnädig gewesen ..."
Er stockte und sog scharf die Luft ein.
"Es hat ihn in sein Verderben gerissen und unsere Familie beinahe mit. Ich werde nicht zulassen, dass du ihm auf diesem Weg folgst, Minervina. Achte diese Götter meinetwegen, doch tue es aus der Ferne, und nicht indem du an ihren hemmungslosen Feierlichkeiten partizipierst." -
Seit Gracchus die Nachricht aus Ravenna erhalten hatte, war er von einer fortwährenden, leichten inneren Unruhe befallen. Einerseits hatte er das Gefühl, Leontia seit langer Zeit zu kennen, andererseits fühlte er sich in ihrer tatsächlichen Gegenwart immer ein wenig befangen. Es war einfach, einen Brief - manchmal über mehrere Tage hinweg - zu perfektionieren, ihn in Form zu setzen, die Worte zu arrangieren, doch es war etwas anderes, Worte in Gedanken zu formulieren und ihnen beinahe im gleichen Moment noch durch die Kehle einen Laut mitzugeben und sie durch den Mund hinaus in die Welt zu entlassen, ohne, dass sie später noch einmal korrigiert werden konnten. Doch als der Sklave die Ankunft seiner Base meldete, sputete er sich, in das Atrium zu gelangen.
"Leontia!"
Ein erfreutes Lächeln umspielte Gracchus' Lippen und er ging mit offenen Armen auf seine Base zu. Ihr Name klang wie Poesie in seinen Ohren, wie tiefe Gedanken und endlos erquickende Diskussionen, wie lange pergamentene Seiten, gefüllt mit feinsinnigen Worten, wie phantastische Ideen, welche zu denken kaum ein Mensch wagte und noch weniger sie zudem in Freiheit zu entlassen. Er klang wie der Name einer Muse, wie die Unbeschwertheit offener Worte, die über weite Ferne getragen so endlos leicht erschienen, wie Stunden, welche in Stille vergingen auf der Suche nach dem perfekten Satz. Wie Gracchus mit Aquilius Schriften geteilt, Geschichten gelesen und manche weitergesponnen hatte, so hatte er sie mit Leontia bis in die Tiefe durchdrungen, auseinandergenommen, bis ins letzte Detail bereist, und in neuer Erkenntnis bald wieder zusammengesetzt. Es war der Zufall, vielleicht auch die Parzen, gewesen, welcher sie in ihrer Gier nach geschriebenen Worten, nach festgehaltenen Gedanken und Ideen zusammengeführt hatte. Gracchus erinnerte sich an jenen Tag als wäre es gestern gewesen, mit leichtem Unbehagen, und doch heimlicher Freude. Leontias Vater Aetius hatte Gracchus die nie begangene Tat nie verziehen, und obwohl nie begangen hatte sie etwas geschaffen, was schwerlich zu zerstören war, so merkwürdig es auch anmuten mochte.
"Welch eine Freude, dich wohlbehalten in Rom zu sehen. War deine Reise angenehm?" -
Es war zwischen zwei Bissen Stöcker, als der Vinicier die Aufmerksamkeit wieder gänzlich auf sich zog. Dieser Mann konnte alles haben, dessen war sich Gracchus sicher. Er schluckte den Fisch hinunter und spülte mit etwas verdünntem Wein nach, bevor er sich wieder in das Gespräch einmischte.
"Nicht so bescheiden, Vinicius, das Schicksal begünstigt diejenigen, die wissen, wo ihr Ziel liegt. Du bist Consul, enstammst zudem einer Familie, welche Senat und Imperator gleichermaßen seit langem vortrefflich dient. Du brauchst nur deine Hände auszustrecken nach dem, was du dir wünschst. Nun gut, als Consul gibt es dessen sicherlich nicht mehr viel, doch es gibt immer etwas, nach dem es sich zu streben lohnt. Womöglich eine Provinz, ein pontificales Amt? Ich bin mir sicher, weder Senat noch Kaiser würden dir verwehren, nach was du einen Wunsch äußerst."
Er hatte mehr erreicht, als sie alle, die sie um den Tisch herum auf dem Sigma lagen, Söhne aus bestem Hause, aufstrebend womöglich, doch lange nicht ihren Zielen so nahe wie er. Gracchus wandte sich Durus zu, seine eigenen Pläne konnte er unmöglich mit diesem Ausblick formulieren, doch er hatte dabei unglücklicherweise seinen Vetter nicht bedacht. So schloss er seinen Mund wieder, den er bereits geöffnet hatte, um mit seinen Worten anzusetzen und blickte vorerst auf den Tisch, um seine Gedanken zu sammeln. Es dauerte nur einige Herzschläge, sodann setzte er noch einmal an.
"Meine eigenen Pläne werden mich sicherlich bald zurück in den Cursus Honorum führen, ein anderer Weg ist immerhin kaum denkbar. Das Amt eines Sacerdos mag für so manchen ausreichend sein, und es ist sicherlich für einige Zeit durchaus befriedigend, doch meine Ziele liegen höher, wie sie es müssen." -
Die Stille, welche sich über den Saal senkte, war zwar der Curia selbst angemessen, der Versammlung der Salier jedoch weniger. Gracchus' Blick schweifte zur linken Seite hin, sodann nach Rechts und alsbald wieder zurück zur unbestimmten Mitte.
"Nun denn, da sich augenscheinlich weiters niemand zur Führung der Salii Palatini berufen fühlt oder eine Anmerkung zu äußern gedenkt, so stelle ich mich selbst erneut zur Wahl. Ich bitte darum nun per Handzeichen für oder gegen mich zu stimmen." -
Sim-Off: PN
Auch der volle Name brachte keine plötzliche Erkenntnis und je mehr Gracchus darüber nachdachte, desto sicherer wurde er, einen Mann dieses Namens tatsächlich nicht zu kennen, was durchaus mit der Tatsache in Einklang lag, dass jener erst seit kurzem in der Hauptstadt weilte.
"Erwähnte er die Art dieser Zusammenarbeit?"
Mit einer beinahe unwirschen Handbewegung wischte er jegliche Begweggründe, diese Art der Zusammenarbeit näher zu beleuchten, hinfort.
"Nun, eine Bekanntschaft wäre ohnehin nur marginal, erachte ich den Kultus der Ishtar doch kaum für geignet, weder für dich, noch für mich. Wir haben genügend eigene alte und mächtige Götter, als dass wir uns der Verehrung einer Gottheit Fremder und Verzweifelter zuwenden müssten. Ishtar ... wenden sich die Ostvölker nicht aus gleichem Grund an sie, aus welchem wir uns der Venus Erucina zuwenden? Davon abgesehen, dass auch deren Festlichkeiten kein Ort für dich wären, weshalb sollten wir unsere eigenen Götter unter fremdem Namen verehren? Es wird geignetere Festlichkeiten geben, um dich in die tatsächlich bedeutende Gesellschaft Roms einzuführen, Minervina, du brauchst nicht jeder beliebigen Einladung zu folgen." -
Zwei Sänften, unauffällig und doch edel, erreichten von der Villa Flavia her kommend das Wohnaus der Matinia. In einer dieser Sänften saß Claudia Antonia, in der anderen ihr Gatte Flavius Gracchus. Sie waren der Einladung des Quaestor Principis gefolgt, auch wenn der Wortlaut jener ein wenig bedenklich geklungen hatte. Ein Sklave trat an die Porta hin und meldete dem öffnenden Ianitor seinen Herrn und dessen Ehefrau.
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Sim-Off: Ich meinte nicht Vespasianus mit den Verfehlungen.
Auch des nächsten Kleinodes nahm sich Gracchus an, betrachtete es in seiner Hand liegend und hielt es schließlich vor Minervinas Hals. Die gold-gelbfarbenen Steine funkelten in der Sonne und harmonierten wunderbar mit ihrer blassen Haut, ohne allzusehr hervorzustechen. Gracchus neigte den Kopf ein wenig und ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Gesichtszügen ab. Das Schmuckstück wanderte zu Sciurus, welcher sich um alles weitere kümmerte. Gracchus indes wandte sich wiederum seiner Schwester zu und hob fragend die Augenbrauen.
"Antipater ... wer?"
Ein Mann jenes Namens war ihm weder näher bekannt, noch überhaupt bekannt, zumindest soweit er sich erinnerte. Natürlich war sein Namensgedächtnis auch nicht sonderlich gut, für solcherlei hatte er für gewöhnlich Sciurus, doch jener war noch in den Zahlungsmodalitäten die Kette betreffend inbegriffen. Einzig die Epigramme des Antipatros von Sidon kamen ihm in den Sinn, doch jener Herr war bereits vor langer Zeit über den Styx gereist. -
Bin bis 10. weg.
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Für einen Moment verhärteten sich Gracchus' Gesichtszüge unmerklich, als seine Schwester auf die Ansprüche ihrer Mutter zu sprechen kam. Doch dies war weder der richtige Ort, noch die richtige Zeit über die Verfehlungen ihrer Mutter zu sprechen, und womöglich bezog sich Minervina tatsächlich nur auf die Beziehung zwischen ihren Eltern.
"Nun, trotz der Tatsache, dass unser Vater ein unerbittlicher Soldat war, so war er dennoch Senator. Was denkst du, weshalb sie ihre Verbindung eingegangen sind? Ich bin mir sicher, es waren vor allem politische Überlegungen, auch wenn ich manches mal in meiner Erinnerung Bilder finde, die mich glauben lassen, dass sie sich tatsächlich recht gut miteinander abgefunden hatten."
Ein wenig beneidete er seine Eltern für solcherlei. Obwohl Antonia ihn nicht abwies, so war ihre Nichtbeachtung doch beinahe schwerer zu ertragen, vor allem und insbesondere hinsichtlich der gesellschaftlichen Pflichten.
"Doch wir sind, was wir sind, Minervina. Niemand hat uns gefragt, die Götter weisen uns unsere Plätze in der Welt zu, wie es ihnen beliebt. Es steht uns nicht zu, an ihrem Willen zu zweifeln und es steht uns nicht zu, uns über sie hinweg zu setzen. Jeder von uns hat seine Pflicht zu erfüllen, ob sie ihm gefällt oder nicht."
Es war immer wieder der gleiche Urteilsspruch, der so unbedarft gesprochen und doch so tiefgreifend war. Wie oft hatte Gracchus selbst seinen Vater für diese Weisheit verflucht, wie oft hatte er die Welt dafür verflucht, manches mal sogar die Götter? Da stand er nun auf den Meractus in Rom, führte seine Schwester herum, während zuhause eine Ehefrau auf ihn wartete, die er in keinster Weise begehrte, und welche möglicherweise - und hoffentlich - bereits sein Kind unter dem Herzen trugt, damit auch diese Pflicht getan war. Er hatte Caius von sich gewiesen und ihre Freundschaft zerstört, er war in den Cursus Honorum eingetreten und er würde es vermutlich wieder tun. Das alles nur aus Pflicht, weil er der war, der er war. Doch eine andere Möglichkeit gab es nicht. Er trat näher an seine Schwester heran und brachte seine Lippen nah an ihr Ohr.
"Es gibt auch Soldaten unter den Patriziern. Unser Vetter Aristides ist noch immer bei der Legio Prima, womöglich weiß er ein geeignete Verbindung."
Dies war alles, was er für sie tun konnte. Im nächsten Moment schon wandte er sich wieder dem Schmuck zu.
"Nun wähle etwas für dich selbst, du hast die freie Auswahl."
Eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen dies so war. -
Sinnierend betrachtete Gracchus das Kleinod in seinen Händen. Die Farbe des geschliffenen Steines erinnerte ihn an das Blut eines geopferten Tieres, wie es in dunklem Rot die eiserne Klinge einer Secespita hinablief und sich in kleinen Rinnsaalen zwischen den Pflastersteinen eines Opferplatzes verteilte. Schließlich nickte er.
"Es ist wunderschön."
Er reichte das Schmuckstück an Sciurus weiter, welcher sich anschließend um das Aushandeln des Preises und die Bezahlung kümmern würde.
"Um einen Mann brauchst du dir keine Sorgen zu machen, meine Liebe. Es kommt ohnehin nur ein solcher in Frage, welcher deine Herkunft zu würdigen weiß. Ich werde mit Lucullus darüber sprechen, und vielleicht kann auch unser Vetter Felix ein wenig seiner kostbaren Zeit für ein diesbezügliches Gespräch erübrigen. Er pflegt äußerst gute Kontakte zu allen wichtigen Häusern des Reiches und arrangierte auch die Verbindung zwischen Antonia und mir. Ein Claudius wäre natürlich angemessen, doch ich sehe keine Notwendigkeit, die Beziehung zwischen unseren Familien durch eine weitere Verbindung zu festigen. Vielleicht ein Tiberius? Die Tiberier sind sehr aufstrebend in der letzten Zeit, Tiberius Vitamalacus beispielsweise wird sicherlich bald in den Senat einziehen. Ich glaube mich zwar zu erinnern, dass hier schon eine Verlobung im Raume steht, doch es ist keine sonderlich gute Partie. Zudem, Verlobungen lassen sich leicht lösen." -
Einsichtig legte Gracchus das Schmuckstück zur Seite, an seiner Schwester bot es tatsächlich keinen schönen Anblick. Es würde äußerst mühsam werden, etwas entsprechendes zu finden, welches in ihrem Antlitz nicht sogleich verblasste und gleichsam ihre natürliche Schöhheit hervorhob. Gracchus war ein äußerst feinsinniger Mensch, er erkannte Schönheit, wenn er sie vor Augen hatte. Er liebte die Betrachtung wahrer Schönheit in jeglicher Form, war es Malerei oder Bildhauerei, ebenso wie er auch der Betrachtung seiner Gattin in diesem Sinne viel Freude abgewinnen konnte, er lauschte gerne schöner Musik und schönen Worten und er genoss schöne Stimmungen, die ihn tief im Innersten zu berühren vermochten. Doch das Schicksal hatte ihn in dieser Hinsicht zu einem Konsumenten verdammt, es war Gracchus unmöglich, selbst Schönes zu schaffen, sei es von Grund auf oder auch nur aus Kobination schöner Dinge heraus. Eine schöne Frau mit einem schönen Schmuckstück noch schöner zu machen, dazu war er ebenso wenig fähig, wie die Buchstaben seiner Initialen auch nur in annähernd perfekter Weise zu Pergament zu bringen, so dass er mit der anschließenden Betrachtung zufrieden sein konnte. Mit der Besorgung von Geschenken betraute er für gewöhnlich seinen Sklaven Sciurus, welcher ein Händchen für solche Dinge hatte, und lehnte höchstens später die Dinge ab, welche ihm selbst nicht gefielen. Sciurus stand zwar nicht weit, bei den übrigen Sklaven, welche sie begleiteten, und beobachtete die Menge um sie herum, doch nun seine Meinung einzuholen war unmöglich.
"Du solltest selbst auswählen, was dir gefällt, und ich werde dir sagen, ob es dir angemessen ist. Denn wenn es dir nicht gefällt, so wird es niemals an dir schön sein können."
Er hoffte, sie würde dieses Angebot annehmen und nicht weiter auf seine Wahl drängen.
"Antonia, nun, sie ist ein wenig kleiner als du, und hat eine äußerst weibliche Figur. Ihr Haar ist weich und von einem tiefen, dunklen Braun, beinahe schwarzfarben. Ihre Gesichtszüge sind äußerst sanft, wenn auch stolz, und ihre Lippen sind voll und perfekt geformt. Ihre Augen sind braunfarben und ihre Haut pfirsichweich. Sie kleidet sich nach der gängigen Mode, wenn auch natürlich nie übertrieben bunt oder schrill, und was kostbar ist, ist gerade gut genug für sie."
Merkwürdig, wie genau er das Bild Antonias vor Augen hatte, hatten sie sich doch weder vor noch nach der Hochzeit sonderlich oft gesehen.
"In der Tat, ihr habt es wirklich leichter. Schönen Frauen liegt Rom noch immer zu Füßen, gleich, welchen Standes sie sind, und wenn ihr euch der Erfüllung eurer Pflichten widmet, dann trägt euch Rom auch noch auf Händen. Hast du dich eigentlich schon nach einem geeigneten Ehemann umgesehen, Minervina? Oder bist du deswegen nach Rom gekommen?" -
Das Klatschen des Gastgebers riss Gracchus aus seiner lethargischen Betrachtung des Vetters, dessen Worte er kaum verfolgt hatte. Er fragte sich, welche Freude die Götter wohl daran hatten, dass auch ausgerechnet seine Verwandten ihn in dererlei Maßen in Bedrängnis brachten. Sein Hang zu Caius mochte noch durch ihre gemeinsame Jugend erklärbar sein, dadurch, dass sie auch in der Zeit ersten aufkeimenden Verlangens immer füreinander da gewesen waren, doch sich dem Sohn seines Vetters auf diese Weise verbunden zu fühlen, welchen er bis zu seiner Ankunft in Rom nicht einmal gekannt hatte, und dessen merkwürdiger Lebenswandel ihn so manches mal mehr verärgert denn verwundert den Kopf schütteln ließ, sich ausgerechnet zu diesem auf jene Weise hingezogen zu fühlen, dies machte die Existenz nicht wirklich einfacher. Auch den Blick abzuwenden bot hierfür keine Lösung, traf er doch somit nur auf den Vincier, und es war fraglich, welcher Anblick von beiden unangenehmer war. Der Fisch mochte kurzzeitig als Zwischenstation der Aufmerksamkeit dienen, ebenso wie er die Gedankenvorgänge anzuregen vermochte. Doch um Tiberius zu antworten musste Gracchus wieder an seinem Verwandten vorbei blicken.
"Da es mir kaum möglich war, die Pietas während der Quaestur einfach abzulegen, fiel es mir nicht sonderlich schwer, den Dienst in den Tempeln wieder aufzunehmen. Natürlich sind die Tempel größer als der heimische Altar, die Feiertagsopfer prachtvoller und die Zuschauer zahlreicher, doch in dem Augenblick, in dem die Götter eingeladen werden, ist Größe, Pracht und Zahl einerlei und unbedeutend. Etwas gewöhnungsbedürftig ist allerdings die Tatsache, dass man mir einen Discipulus zugewiesen hat, dieser Kelch war in meiner bisherigen Zeit als Sacerdos publicus an mir vorüber gegangen. Wobei es weniger die Tatsache allein ist, welche dies etwas befremdlich macht, ich sehe mich durchaus in der Lage, adäquates Wissen zu vermitteln, doch es ist eine Schülerin, dazu eine junge Frau aus patrizischem Hause."