Gracchus ließ seinen Blick über Antonias Körper gleiten. Ein heller Körper, weiches, weißes Fleisch, keine Muskeln, keine Sehnen, dafür zwei blasse Brüste, die sich ihm entgegen streckten. Er berührte sie an den Schultern und drückte sie sanft auf das Bett hinab. Sodann strich sich die Toga von den Schultern, legte seine Tunika ab und legte sich selbst neben seine Gattin, einen Arm aufgestützt und sie betrachtend. Ohne ein Wort legte er die freie Hand auf ihren flachen Bauch und schloss die Augen. Seine Finger umrundeten zögernd ihren Bauchnabel, doch vor seinem inneren Auge sah er Aquilius' wohlgestalteten Bauch vor sich, angespannt, die Muskeln hervortretend. Seine Finger schoben sich nach oben, glitten über ihre Brüste, doch in Gedanken berührte er die harte, muskulöse Brust Aquilius'. Sein Gesicht näherte sich ihrer Schulter, sanfte Küsse bedeckten sie, arbeiteten sich zu ihrem Hals vor, der in seiner Erinnerung der schlanke Hals Aquilius' war. Er öffnete die Augen und sah Antonia vor sich, ihr blasses Gesicht, so makellos, so ebenmäßig schön wie die filigrane Statue einer Muse. Spontan schossen ihm die Zeilen des Catull durch den Sinn und er flüsterte sie leise in ihr Ohr, in das Ohr einer Muse, nicht das einer Gattin.
"Liebste, küsse mich hundert und tausend Mal und noch einmal Tausend und Tausend,
damit wir das Schicksal verwirren, dass es die Summe nicht weiß und uns neidet."
Wie um dem Reim zu entsprechen küsste er weiter ihre zarte Haut, schloss seine Augen wieder, während seine Hand über ihren Körper kreiste. Antonia war nicht die erste Frau, bei der er lag, ein römischer Junge wurde bei Beendigung seiner Kindheit in den Liebesakt eingeführt, doch sie war die erste Frau, der er sich nicht auslieferte, die er nicht gewähren ließ um hinter sich zu bringen, was von ihm erwartet wurde. So begannen Gracchus' Hände Gefilde zu erforschen, denen er sich nie zuvor im Leben gewidmet hatte. Doch bei alldem folgten seine Gedanken seinem Mund, der den Hals hinauf nun ihre Lippen erreichte, süße, weiche Lippen wie die des Aquilius. Sein Begehren wurde forscher und er spürte, wie die Manneskraft ihn durchströmte und seine Männlichkeit sich verhärtete.
Dann jedoch öffnete er die Augen und sah dieses Gesicht vor sich. Es war nicht jenes von Aquilius, nicht jenes des Sciurus, Adonis, Hephaistos oder Gaius. Es war ein wohlgestaltetes, ebenmäßiges Gesicht, umrahmt von sanftem schwarzen Haar, einem Kunstobjekt gleich schön, doch gleichsam zugehörig zu der ihm angetrauten Gattin. Eilig schloss er die Augen wieder, doch es war bereits zu spät. Vor sich sah er nunmehr nur noch das Gesicht Antonias. Dennoch geschah nicht, was er all die Zeit über befürchtet hatte, weder Widerwillen, noch Furcht stiegen in ihm empor, gegenteilig war er nichteinmal dazu bemüßigt darüber nachzudenken. Nach einem leichten Schaudern berührte er sie weiter, fuhr fort, mit seinen Fingern über ihre Haut zu gleiten, diese weiche Haut, einem Pfirsich gleich. Er küsste ihren Hals, er küsste zärtlich ihre Wangen, ihre Lippen - den Hals, die Wangen, die Lippen seiner Gemahlin. So tat er denn seine Pflicht, die Augen noch immer vor ihr verschlossen, die Gedanken in der Vergangenheit bei Aquilius und doch gleichsam bei Antonia, nicht im Mindesten zurückhaltend, nicht im Mindesten rauh oder hart, sondern behutsam, wie er Aquilius' Körper liebkosen, zärtlich, wie er jenen berühren und innig, wie er jenen lieben würde, wie er jenen immer geliebt hatte, hundert und tausend Mal und noch einmal Tausend und Tausend und doch nur immer selbst dem Schicksal neiden konnte.
***
Wie lange sie beieinander lagen, dies hätte Gracchus später nicht mehr bestimmen können. Der kleine Tod ereilte ihn und durchfuhr ihn wie eine Axt in den Rücken. Obwohl alles in ihm danach war, sich schwer auf sie fallen zu lassen, fasste er mit einer Hand unter Antonias Rücken und rollte sie beide leicht zur Seite, ohne sich von ihr zu lösen. Er presste ihren Körper fest an den seinen, genoss die Hitze, die von ihr ausging und vergaß Antonia dabei vorerst vollkommen. Eine angenehme Wärme durchströmte seinen Körper, schob alle Gedanken beiseite. Freude mischte sich hinzu und Zufriedenheit. Zufriedenheit mit sich und der Welt um ihn herum. Es war ein Gefühl, in welches sich Gracchus hineinfallen lassen wollte und in welches er sich hineinfallen lasen konnte, denn nichts, keine Pflicht, keine Tugend, keine Herkunft und kein Stand verbot ihm dies. Es war ein Augenblick voll Freiheit, und dass Claudia Antonia ein Teil dessen war, dies verband sie mehr mit ihm, als es all jene Rituale und Riten vermocht hatten, welche sie an diesem Tage bereits hinter sich gebracht hatten.