Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Beinahe unbeteiligt winkte Gracchus ab.
    "Kein Konto, der Cultus Deorum versinkt ohnehin bereits in zu viel Bürokratie. Lasse es direkt hier in den Tempel bringen, ein Commentarius wird es entgegennehmen und ordnungsgemäß verzeichnen. Immerhin soll alles seine Richtigkeit haben, nicht wahr? Jener Commentarius wird auch dafür Sorge tragen, dass du am Ende eine Abrechnung erhälst über die getätigten Käufe."
    Jener Commentarius war Gracchus gut bekannt und er würde dafür Sorge tragen, dass er tatsächlich jede Summe sorgfältig verzeichnen würde, die er ihm nannte. Große, bedeutende Opfer funktionnierten nach genau diesem Prinzip, jeder, der dies bestreiten wollte, war in Gracchus' Augen ein Dummkopf oder ein naiver Träumer, oder gar beides. Es galt genau zu differenzieren zwischen Realität und Unwirklichkeit und es galt danach zu handeln, was es zu beeinflussen galt. Das Opfer des Praefectus fiel eindeutig in die Kategorie der Realität und durch sein Handeln in dieser konnte ihm der Effekt bereits sicher sein.
    "Wenn der Zeitpunkt feststeht, so sende mir zwei bis drei Tage vorher eine Nachricht. In diesem Zeitraum sollte alles nötige zu besorgen sein."

    Die Situation erinnerte Gracchus mehr und mehr an Achaia, denn es war eine von Aquilius' Eigenheiten wie er mit seinem Daumen über Gracchus' Rückgrat fuhr und es führte wie all die vergangenen Male dazu, dass Gracchus seinen Rücken leicht durchbog und ein leichtes Schaudern durch seinen Körper glitt. Er drehte sich um und legte seinem Vetter verstehend die Hand auf die Schulter.
    "Ich weiß."
    Als er seine Hand zurück zog, fuhren seine Finger wie beiläufig über Aquilius' Hals. Sein Stimme nahm einen weichen Tonfall an.
    "Aber ganz so schlimm ist es nicht, Aquilius. Du wirst schon bald erkennen, dass auch Rom seine Vorzüge und Möglichkeiten hat. Es ist nicht umsonst das Zentrum der Welt."
    Konkreter konnte und wollte Gracchus nicht werden, hatte er doch selbst erst zu wenig entdeckt, was die Freuden Achaias ausgleichen würde. Wurden die Sünden der Jugend und kleinere Verfehlungen in der Ferne noch geduldet, so wurde in Rom jede Aktion mit Argusaugen gemessen und die kleinsten Verfehlungen mit einer Reaktion gestraft. Der Schritt nach Rom war für ihn wie ein Schritt in das Erwachsensein gewesen, der mit den Schwierigkeiten auf Kreta begonnen und mit der Ankunft vor der Porta der Villa Flavia geendet und ihm mit aller Gewalt vor Augen geführt hatte, dass es Zeit war, sich dem Leben zu stellen. Was geschehen war, war notwendig gewesen, denn allzu lange schon hatte sich Gracchus zuvor seinen Pflichten entzogen. Um sich selbst und seinen Freund aufzuheitern, neckte ihn Gracchus ein wenig.
    "Du musst dich nur schicklich und deinem Stand angemessen benehmen, anderfalls wirft dich der Hausherr aus der Villa und du wirst in der Subura Unterschlupf suchen müssen. Das sollte dir jedoch nicht allzu schwer fallen, ich hörte, dass die Ansprüche des Hausherrn nicht sehr hoch hängen."
    Er ließ sich ein wenig Öl auf die Handfläche fließen und begann, den Rest seines Körpers damit einzureiben.

    In ausführlichen Sätzen notierte sich Gracchus die Wegesangabe auf ein Wachstäfelchen. Es war nicht undbedingt die beste Gegend, doch auch nicht die schlechteste.
    "Ich werde gegen Abend mit ihm sprechen, dann sollte er in der Villa aufzufinden sein. Morgen früh dann werde ich meinen Sklaven mit einer Notiz schicken."
    Er nahm sich ein neues Wachstäfelchen und notierte eine Zahl darauf. Schließlich ließ er mit einem Wink Sciurus herantreten und gab ihm die Tafel, woraufhin dieser nickte und den Raum verließ.
    "Nun denn, kommen wir zu deinen Pflichten als Klient der Flavia. Es ist nicht vieles, was ich von dir erwarte. Womöglich bist du über einige Verfehlungen, welche in der Gens Flavia auftraten, informiert, womöglich nicht. Es ist dies jedoch vollkommen ohne Belang, denn als mein Klient erwarte ich von dir, dass du dich nicht an Gerüchten und Tratsch über diese Gens beteiligst und kein negatives Wort über ihre Mitglieder verlierst, ganz gleich, um wen es sich handelt. Wenn dir nichts Positives einfällt, so schweige. Bei den Wahlen wirst du selbstredent die Mitglieder dieses Hauses unterstützen, so denn sich jemand zur Wahl stellt, und insofern ich dir nichts Gegenteiliges mitteilen lasse. Weiters erwarte ich nur eine den Göttern gefällige Lebensart von dir."

    "In der Tat."
    Gracchus nickte erfreut.
    "Flavius Felix ist mein Vetter."
    Damit waren die Familienzusammenhänge hoffentlich zur Genüge geklärt. Auch, wenn seine Verknüpfungen zur ungeduldeten Verwandtschaft äußerst weitläufig waren, es war dennoch höchst unangenehm, sie erwähnt zu finden. So fuhr Gracchus direkt fort.
    "Es wäre sicherlich nicht nachteilig, wenn ich selbst den Stier beschauen und wählen würde. Ich versichere dir, dass nur das beste Tier seinen Weg in die Castra finden wird, ebenso die Voropfer, welche äußerst sorgfältig gewählt sein wollen."
    Gracchus wertete dies als stillschweigende Übereinkunft. Es erfreute ihn, wenn solcherlei ohne viel Aufhebens geschah. Er blickte einen Moment lang sinnierend zur Statue des Mars hinauf und nannte Crassus dann einen Preis. Eine fachkundige Person konnte diesem Preis durchaus zustimmen, er war nicht übertrieben, ließ jedoch durchaus auf sehr ausgewählte Opfergaben schließen, oder darauf, dass ein kleiner Obulus demjenigen zukam, der die Eingeweide lesen würde.
    "Dies sollte genügen, um alle Ausgaben zu decken. Vorausgesetzt, die Herden Italias fallen nicht plötzlich einer Seuche anheim und das Stiervorkommen wird knapp. Doch keine Sorge, dies geschieht höchst selten."
    Ein unscheinbares, zufiedenes Lächeln kräuselte Gracchus Lippen bei diesen Worten.

    Selbst in diesem kleinen Rahmen war Gracchus nicht dazu gewillt, den Vorwurf über Versäumnisse des Cultus Deorum zu akzeptieren, kamen diese seiner Ansicht nach doch nicht von ungefähr und ließen sich auch nicht ohne weiteres mit reinem Gewissen auf eine ferne Institution abwiegeln. Er ließ von seinen Lippen ab und ballte die Hand unwillkürlich zur Faust.
    "Selbst dann, wenn die Lage alles andere ist, als rosig, nur immer darüber zu sprechen, ändert nichts daran, und darüber zu klagen noch viel weniger. Wenn nicht das Bewusstsein um die eigene Verantwortung den Geist der Menschen durchdringt, so führt der Apell daran nur zu Unmut. Es sollte Aufgabe des Familienverbandes sein, seinen Beitrag zur Lage der Nation zu leisten. Wie viele junge Männer werden in die Legionen entsendet, doch wie wenige hält man dazu an, in den Dienst der Götter zu treten! Unsere Gens kann hier wahrlich mit ihrem Vorbildcharakter glänzen, doch wie sieht es andernortes aus?"
    Gracchus echauffierte sich regelrecht.
    "Die, welche am lautesten schreien über den Verlust der Traditionen, wie viele Priester stellen sie in unserem Imperium? Mir wäre kein einziger bekannt! Ganz zu schweigen von den großen plebejischen Gentes, den Caecilia, Germanica, Iulia, Decima und wie sie alle heißen. Groß wollen sie sein, ein Stück der Macht des Imperiums in ihren Händen halten, doch sind sie etwa bereit, dafür ihren Anteil zu leisten? Mitnichten! Unsere Traditionen treten sie mit Füßen, marschieren darüber hinweg beim Einzug in den Senat und wenn die Götter ein Zeichen ihres Zornes senden, dann sollen andere dafür gerade stehen."
    Er ließ seine Hand sinken und sackte ein wenig in sich zusammen, gleichzeitig beruhigte sich auch seine Stimme wieder und er fuhr leiser fort:
    "Nein, in diesem Imperium trägt nicht eine gesichtslose Institution Schuld an den religiösen Missständen, die Bürger sind ganz allein daran Schuld. Solange sich das Volk nicht seiner Pflichten bewusst wird und sie wahr nimmt, so muss sich niemand dafür rechtfertigen, Teil des Cultus Deorum zu sein."

    Gracchus kannte den Mann nicht. Gracchus kannte kaum jemanden und befand dies auch nicht für notwendig. Er ging davon aus, dass sich ein Mann vorstellte oder, wenn nicht, dass er einen Nomenclator mitführte, der dies für ihn übernahm, weshalb es gänzlich unnötig war, sich Namen und Gesichter von Personen zu merken, denen man ohnehin kaum begegnete. Den Namen des Mannes kannte Gracchus jedoch und auch den Rang. Mit großen Interesse hatte er die Gerüchte um den Praefectus Praetorio Vinicius verfolgt und sich insgeheim an der Bewahrheitung jener erfreut, würde es doch unter Umständen bedeuten, dass dieser bei Gelegenheit seine liebreizende Ehefrau auf die Conventus begleiten und sich nicht mehr hinter seiner Arbeit verstecken würde.
    "Sacerdos publicus Manius Flavius Gracchus. Es ist mir eine Freude, dich kennen zu lernen, Praefectus."
    Ein aufrichtiges Lächeln kräuselte Gracchus Lippen, denn Fortuna, welchen ihn ausgerechnet an diesem Tag zum Tempel des Mars geführt hatte, schien es wirklich gut mit ihm zu meinen. Den Praefectus Praetorio zu kennen, wenn auch nur flüchtig, konnte immer von Vorteil sein, und ein kleiner Gefallen war an dieser Stelle nie verkehrt.
    "In ausreichender Menge vorhanden impliziert also, dass du dich selbst um die Opfergaben kümmern möchtest? Es besteht auch die Möglichkeit, dass der Cultus Deorum dies übernimmt. Ich könnte dafür Sorge tragen, dass ein Stier gewählt wird, welcher in jedem Fall dem Gott zur Ehre gereicht."
    Er betonte unauffällig, der Praefectus würde sicherlich sein Ansinnen erkennen.

    Gleichmäßig ging Gracchus' Atem, in gleichem langsamen Rythmus hob und senkte sich seine Bauchdecke. Sciurus Hände waren geschickt bei dem, was er tat, doch in Aquilius Händen steckte mehr als Können und Erfahrung, es steckte Vertrauen in ihnen, die Wärme eines Bandes, welches seit ihrer Jugend zwischen ihnen existierte und über jede Entfernung dehnbar war, um im geeigneten Augenblick in seine perfekte Form zurück zu springen.
    "Aber mitnichten, Aquilius, du würdest mir doch nichts abspenstig machen."
    Er streckte ein wenig die Brust durch und neigte den Kopf nach vorn, als sich Aqulius seinem Nacken widmete.
    "Ich habe alle Zeit der Welt mit Sciurus..."
    Der Name verklang leise auf Gracchus' Zunge, während seine Gedanken zu fernen Tagen schweiften, getrieben von Aquilius' Worten, ausgesprochen in einem unschuldigen Plauderton, doch für Gracchus hörbar von Zeit zu Zeit mit einem leichten Zittern garniert.
    "Ich werde ihn dir schicken. Keine Widerrede. Rom ist nicht Athen..."
    Wieder verklang das letzte Wort in einem Schwall aus Sehnsucht. Vieles war in dieser Hinsicht in Achaia einfacher gewesen, dort, wo der Name Flavius allenfalls von Felix geprägt worden, dort, wo der Name Flavius einer vor vielen Namen war. Die einfachste und beste Möglichkeit in Rom war ein Sklave, doch einen passenden Sklaven zu finden war indes nicht unbedingt einfach. Da Aquilius keinen Sklaven mit nach Hause gebracht hatte, würde es einige Zeit dauern, bis er sich eingelebt hatte. Die Lupanare Roms waren zwar nicht unbedingt schlecht, gegenteilig, es gab einige hochwertige Etablissements darunter, doch ein Besuch dort war immer mit einem Risiko verbunden.

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer
    "In der Tat, davon wird viel gesprochen", stimmte Macer zu. "Den einen oder andere wird man aber wohl immer vermissen, aus welchen Gründen auch immer. Aber stimmt es, dass in der letzten Zeit schlechte Vorzeichen aufgetreten sein sollen angesichts der Missachtung der Götter?"


    Normalerweise gab Macer wenig auf solche Gerüchte, aber eine Nachfrage konnte ja nicht schaden.


    Gracchus legte den Kopf ein wenig schief und formulierte seine Worte äußerst vorsichtig. Gerüchte zu schüren gehörte nicht zu seinen Intentionen.
    "Es ist sicherlich wahr, dass einiges nicht richtig läuft in Bezug auf die Religio. Ob das jedoch, was durch die Öffentlichkeit geistert und auch in der Zeitung zu lesen war, als schlechtes Vorzeichen gewertet werden kann, dies entzieht sich meiner Kenntnis. Doch es waren bereits einige Priester unterwegs, um die genauen Umstände zu prüfen, daher kann man davon ausgehen, dass wenn sich etwas dementsprechendes ergibt, die Sachlage dem Senat vorglegt werden wird."
    Er ließ seinen Blick über den gut gefüllten Platz schweifen.
    "Bei alledem sollte doch auch die öffentliche Komponente nicht missachtet werden. Der Zorn und die Befürchtungen der Bevölkerung können mindestens ebenso mächtig sein, wie der Ira deorum."

    Gracchus war der Ansicht, dass ein Opferherr dort mehr Respekt bekommen würde, wo er hin gehörte, am Opferaltar. Denn so würden seine Männer sehen, dass er sich für sie einsetzte, dass er sich um sie sorgte und bereit war, seine Verantwortung zu tragen. Ein Vorgesetzter war nicht ein einfacher, verantwortungsloser Soldat von vielen, ein Vorgesetzter musste ein Vorbild sein. Doch es war nicht an Gracchus auf diesen Misstand hinzuweisen, der Prätorianer hatte bereits für sich entschieden, wo er sich selbst sah.
    "Die von dir angesprochene Art und Weise der Durchführung ist natürlich möglich. Wenn du das Opfer privat für deine Männer finanzierst, so können wir immerhin deinen Namen erwähnen."
    Natürlich würde damit jeder Soldat wissen, dass der unsichtbare Opferherr sich eingekauft hatte, doch war dies in den heutigen Zeiten nicht unbedingt ungewöhnlich.
    "Ich werde das Opfer selbst leiten, wenn dir dies genehm ist. Ich bin zwar vornehmlich auf den Kult des Iuppiter spezialisiert, doch ich habe in diesem Tempel gelernt und bin daher mit allen Aspekten des Mars vertraut. Als Voropfer eignen sich neben der Räucherung Speck, Opferkuchen und Dinkelplätzchen. Ein Stier für das Hauptopfer ist passend, soll es doch ein großes Opfer sein. Je nachdem, wie wichtig der erfolgreiche Ausgang des Opfers für dich ist, lässt sich natürlich mit gesteigertem Wert die Aussicht auf den Erfolg steigern."
    Dass dieser Wert nicht nur die Güte des Opfertieres umfasste, erwähnte Gracchus nicht. Opfernde in der Position des Mannes vor ihm wussten für gewöhnlich, wohin ihre Zuwendungen zu fließen hatten.

    Ein leichtes Lächeln kräuselte Gracchus Lippen, welches vordergründig bloße Freundlichkeit zum Ausdruck brachte, hintergründig jedoch durch seine Verzückung über den Ort des gewünschten Opfers zustande kam.
    "Solcherlei Opfer sind nicht nur immer möglich, sie zeugen auch von Sorge um die Götter, was in jedem Fall vom Cultus Deorum willkommen geheißen wird. Wieviel Hilfe wirst du benötigen? Wirst du selbst oder einer der Prätorianer der Opferherr sein? Werdet ihr die Opfergaben selbst auswählen, oder soll dies durch den Cultus Deorum geschehen? Gibt es in der Castra Praetoria einen Opferaltar, oder müsste dieser mitgebracht werden? Und schlussendlich, an welchem Tag soll diese Opferung stattfinden?"

    Zitat

    Original von Spurius Purgitius Macer
    "Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen", wandte sich Macer an den Flavier, der ihm soeben vorgestellt wurde. Kurz überlegte er, ob er ihn schon von irgendwo her kannte, entschied sich dann aber dagegen. Am Kranz auf dem Kopf erkannte er ihn als Sacerdos, vielleicht hatte er ihn schon mal an einem Tempel gesehen. "Du gehörst zu den Priestern, die die Zeremonie mit durchgeführt haben?"


    "Salve, Senator Purgitius! Die Freude liegt ganz auf meiner Seite."
    Bisweilen hatte Gracchus nur Positives über den Senator gehört, er hielt es jedoch für falsche Schmeichelei, ihm direkt solcherlei als Honig um den Bart zu schmieren und beantwortete stattdessen die Frage.
    "Ich bin Teil der Priesterschaft, dies ist korrekt. Allerdings nehme ich eine rein repräsentative Funktion ein. Das Lectisternium wird von den Septemviri epulonum, den Quindecimviri sacris faciundis und einigen Sacerdotes, welche sich für gewöhnlich um die Tempel des Apollo kümmern und dem Gott daher sehr nahe stehen, durchgeführt. Ich selbst bin mehr dem Iuppiter zugeneigt, doch natürlich sind an einem solchen Tag wie heute beinahe alle Priester der Stadt versammelt. Es stimmt mich freudig, dass sich auch viele hochrangige Persönlichkeiten zu diesem Anlass eingefunden haben, wird doch heutzutage zu allen passenden und unpassenden Gelegenheiten nur immer betont, dass die Frömmigkeit des Volkes schwinden würde."

    Als die Septemviri epulonum sich in den Tempel zurückzogen um das Lectisternium zu halten, war der offizielle Teil an diesem Festtag für Gracchus beendet, denn auch wenn er weiterhin durch den Lorbeerkranz auf seinem Haupte untrüglich als Sacerdos zu erkennen blieb, war er nun nurmehr einer von vielen Feiernden. Er verfolgte mit seinem Blick die Tempelbediensteten, welche die Spuren des Opfers entfernten und die nicht mehr benötigten Gerätschaften hinfort trugen, und ließ ihn anschließend über die Zuschauer gleiten. Dort in der Menge erblickte er seinen Vetter zweiten Grades und obwohl ihn dies nicht unbedingt verwunderte, so war er doch angenehm überrascht, hatte er doch in der Villa vernommen, dass dieser gar die volksnahen Wagenrennen der Festtage besuchte. Gracchus versicherte sich, dass sein Leibsklave Sciurus nicht fern war und trat dann den Weg vorbei am Opferaltar zur Menge hin an und auf Milo zu.
    "Salve, Milo. Welch eine Freude zu sehen, dass du dir an den Ludi auch den sakralen Teil nicht entgehen lässt."

    Ein feines Lächeln kräuselte Gracchus Lippen, als er ein wohliges Zittern unter seinen Händen spürte. Es bereitete ihm eine gewisse kindliche Freude das Öl etwas weiter, als über den Rücken zu verteilen. Wie beiläufig führte er dabei das Gespräch fort.
    "Sciurus bringt mir nichts bei, mein lieber Vetter. Von jenem, der seinen Namen vor ihm trug, habe ich vieles gelernt, dies ist wahr, und ich bin sicher, auch du wirst dich an einige von Sciurus' Lektionen sicherlich noch gut erinnern. Doch in der heutigen Beziehung ist er der Schüler."
    Gracchus dachte einen Augenblick lang nach, wie weit er für Aqulius gehen würde. Doch er brauchte nicht lange, um sich einzugestehen, dass er der einzige Mann in Rom war, dem er jemals ohne Missgunst seinen Sklaven zur Verfügung stellen würde, weil er wusste, dass er ihm vertrauen konnte.
    "Wenn du es möchtest, kann ich ihn dir gerne einmal in dein Cubiculum schicken."
    Er war noch bei eben diesen Gedanken, als er auf Aquilius Frage bezüglich des Trainings hin antwortete.
    "Natürlich."
    Erst dann wurde ihm gewahr, dass sein Vetter offensichtlich den Ringkampf ansprach.
    "Ein wenig zumindest, wenn auch in moderatem Maße und seltener, als es womöglich gut wäre um den Körper in Form zu halten."
    Er strich ein letztes Mal über die Schultern seines Vetters, klatschte ihm dann spitzbübisch auf den Popo und lachte leise.
    "So mein Lieber, nun lass dich nicht nur umsorgen, sondern komme deiner Pflicht als Ringpartner und guter Vetter nach und öle mich nur kräftig ein. Nicht, dass ich hernach im Nachteil liege, weil ich dich nicht, du mich aber wohl gut greifen kannst."

    Ein wenig neigte Gracchus seinen Kopf zur einen, dann zur anderen Seite. Er nahm sein Weinglas auf und betrachtete versonnen einen Tropfen, der sich schon geraume Zeit harnäckig am Glasrand festhielt und nicht der fallenden Kraft nachgeben und am Rand des Glases herabgleiten wollte.
    "Ich halte diese Unkenrufe über die geringen Personalzahlen des Cultus Deorum für genau eben jenes. Unkenrufe, welche den alten, geschwätzigen Waschweibern und den notorischen Schwarzsehern, die lauter schreien können als jeder Breitmaulforsch, zur Ehre gereichen mögen, welche jedoch im tatsächlichen Leben jeglicher Grundlage entbehren. Noch nie betrat ich einen Tempel in Rom und traf nicht auf fachkundiges Personal, gegenteilig, es erfordert Koordination und Organisation den Tempeldienst nach den Änderungen im Cultus Deorum nun solchermaßen zu planen, dass sich die Dienste nicht überschneiden. Wenn du Hilfe brauchen wirst, Aquilius, wirst du immer fähige Sacerdotes finden, welche bereit sind, dich das ein oder andere zu lehren. Dabei kommt dir die Umstrukturierung noch zu Gute, wirst du doch in den unterschiedlichsten Tempeln deinen Dienst tun und deine Erfahrung erweitern können."
    Abwesend berührte Gracchus den Tropfen Flüssigkeit mit der Fingerspitze und legte diese dann an seinen Mund. Er zerrieb das kühle Nass und begann dann, seine Unterlippe zu kneten.

    Gracchus ließ sich die Worte des Operosus durch den Kopf gehen und überlegte, wo er diesen Mann, der durchaus fähig schien, einsetzen könnte. Doch alle Aufgaben, welche ihm in den Sinn kamen, wurden bereis von Sciurus zu seiner vollsten Zufriedenheit erledigt. Er dachte über seine Klienten nach, doch auch von diesen schien keiner geeigent zu sein. Schlussendlich kam ihm jedoch eine fabelhafte Idee.
    "Ich wüsste tatsächlich eine Person, welche von einem fleißigen und tatkräftigen Verwalter sehr profitieren könnte. Versprechen kann ich dir natürlich nichts, doch als mein Klient würde ich mich mit allen Kräften für dich einsetzen und selbst, wenn dies wider Erwarten nicht den erhofften Erfolg bringen sollte, so würde ich auf jeden Fall eine interessante Stellung für dich finden. Im unwahrscheinlichen Fall dass sich dies länger hinauszögern sollte, würde ich dir natürlich bereits im Vorfeld finanziell unter die Arme greifen, wie dies die Aufgabe eines Patrons ist."
    Ein mildes Lächeln zeichnete sich auf Gracchus' Lippen ab.

    Seit den Änderungen in der Strukturierung des Cultus Deorum hatte sich Gracchus nicht nur um den Tempel des Iuppiter zu kümmern, sondern musst auch in anderen Tempeln nach dem Rechten sehen. Der Tempel des Mars Ultor war ihm während seiner Ausbildung beinahe schon zur zweiten Heimat geworden, darum war dies der Tempel, welchen er nach denen des Iuppiter präferierte. Es trug sich daher zu, dass er zu eben jener Stunde in eben jenem Tempel weilte, als der Praefectus Praetorio Caecilius Crassus sich in diesem einfand und seinen Blick über die Statue des Mars gleiten ließ. Während er dies tat, ließ der Sacerdos Flavius Graccus seinen Blick über den Praefectus gleiten. Als sich dieser umdrehte und suchend umherblickte, erschrak Gracchus einen Augenblick, löste sich eilig aus seiner Betrachtung und trat auf den Mann zu.
    "Salve, mein Freund. Kann ich dir vielleicht weiterhelfen?"

    Der Mann trug einfache Kleidung, Gracchus sah bereits auf den ersten Blick, dass es sich nicht um hochwertige Stoffe handelte. Doch er machte einen gepflegten Eindruck, zumindest schien er sich auf sein Anliegen vorbereitet zu haben, wenn er auch aussah, als wäre er das körperliche Arbeiten gewöhnt. Er schien um einiges Älter zu sein als Gracchus und jener fragte sich, was der Mann schon alles in seinem Leben gleistet haben mochte. Ein wenig wunderte sich Gracchus, wie seine Taten nach Außen hin anscheinend schienen, doch als das Wort auf seinen Vater kam, nickte er stolz.
    "Salve, Didius Operosus! Bitte setz dich."
    Er winkte dem Sklaven, dass er ihnen etwas zu trinken bringen möge und Sciurus nahm sogleich von einem Tisch an der Seite zwei Gläser, welcher er mit Wasser und Wein füllte und heranbrachte.
    "Ich gebe mir wahrlich Mühe, meinen Eltern in ihrer Ehre nachzueifern. Doch sprich, was kann ich für dich tun?"

    Am Tempel des Apollo Sosiamus angelangt, wurden die Bildnisse des Apollo, der Diana und der Latona ins Innere des Aedes gebracht, während sich die Zuschauer auf dem Platz vor dem Tempel sammelten um dem in Kürze stattfindenden Opfer beizuwohnen. Im Tempelinneren waren bereits die Lecti, die Speiseliegen, um einen niedrigen Tisch herum aufgebaut und dort hinauf platzierte man die Götterbilder.
    Die Tempeldiener verließen das Gebäude, nur einige Sacerdotes verweilten, um am Voropfer durch ihre Anwesenheit teilzunehmen. Unter ihnen war auch Gracchus, welcher feststellte, das er die Lorbeer-Kränze auf den Häuptern der Anwesenden viel schmückender fand, als die übliche Bedeckung des Kopfes durch die Toga. Er stellte sich wartend zu den übrigen Sacerdotes und ließ seinen Blick zur Mensa schweifen, wo der Sacerdos Tiberius Flaccus jeden Moment das Voropfer durchführen würde.

    Vom Tempel des Apollo Sosiamus kamen sie, zum Tempel des Apollo Sosiamus zogen sie. Doch ihr Weg war nicht im Mindesten ein geringer, war es doch die Prozession welche dem traditionellen Lectisternium der Ludi Apollinares voranging. Zuforderst schritten die Musikanten, die auf ihren Instrumenten das Nahen des Zuges ankündigten. Nach ihnen folgten die Priester mit bekränztem Haupt, ganz wie es der griechische Ritus vorsah, und zwischen ihnen die Tempelsklaven, welche die Bildnisse der Götter auf ihren Schultern trugen, die später am Lectisternium speisen würden. Dies waren die Bildnisse des Apollo, dem diese Tage geweiht waren, seiner Schwester Diana und ihrer Mutter, der Latona. Nach diesem offiziellen Teil der Prozession folgten die Bürger der Stadt, welche dem Zug erst zu seiner Größe verholfen und nach den Götterbildnissen wahrlich den wichtigsten Teil ausmachten.
    Am Kapitolsberg vorbei führte der Weg zum Porticus Octaviae, wo man abbog, um schließlich auf der Via Flaminia zum Forum zu schreiten. Dieses überquert, wandten sich die Menschen vor dem Amphitehatrum Flavium in Richtung des Circus Maximus um von dort aus zwischen Palatin und Circus hindurch am Forum Boarium vorbei zu ziehen um schlussendlich nach dem Theatrum Marcelli zur Linken wieder am Tempel des Apollo Sosiamus anzugelangen.