Ein schweres Seufzen bahnte sich seinen Weg durch Gracchus' Kehle hinaus in die Welt.
"Deine Ehrlichkeit in Ehren, mein lieber Furianus, doch vor dem Imperator solltest selbst du deine Zunge zu hüten wissen. Es mag manches mal als ein beklagenswerter Umstand erscheinen, dass unser Gedeihen und Verderben dem Gutdünken eines Einzelnen obliegt. Ungeachtet dessen, oder gerade deswegen, sollte sich der Mensch doch immer seiner Worte bewusst sein, denn er hat nicht nur die Worte erhalten, um sich über die Tiere zu erheben, sondern ebenso einen Geist dazu, auf dass er bedenken kann, was er spricht, bevor er es spricht."
Er durchdrang Furianus mit einem intensiven Blick.
"Du bist nicht irgendein Mensch, Furianus, du bist ein Flavius. Ob es dir gefällt oder nicht, dies bringt nicht nur Vorteile mit sich, sondern auch Pflichten. Dass niemand in dieser Gens etwas tut, ohne dass es auf die Übrigen zurückfällt, sollte dir in der Zeit, welche du mittlerweile hier in Rom als Sohn des Flavius Felix verbracht hast, aufgefallen sein. Keine Messalina, kein Animus, keine Fausta kann weit genug entfernt mit dir verwandt sein, als dass nicht ihre Schande ihren Schatten auf dich wirft. Ob wir es wollen oder nicht, der Schatten, den wir auf unsere Gens werfen, ist kein geringer. Auch der deinige nicht. Darum bedenke das nächste mal, bevor du provozierst, welche Auswirkungen dies haben könnte, nicht nur für dich, auch für deine Familie und deine Gens."
Unter den gegebenen Umständen war die Reaktion des Kaisers nicht weiter verwunderlich. Gracchus konnte nur hoffen, dass Furianus die Reaktion auf seine Dreistigkeit eine Lehre war. Immerhin hatte der Augustus ein wenig Gnade gezeigt, und Furianus in die Provinz jenseits des Mare Nostrum entsendet. Die Blamage in Rom würde möglicherweise dadurch ein wenig gemindert. Möglicherweise auch dadurch, dass der Kaiser ihn entsendet und Furianus keine Wahl gehabt hatte, auch wenn es unzweifelhaft deutlich war, dass dies nicht ohne Grund geschehen sein konnte. Gracchus erfrischte sich an einem Schluck seines Getränkes und fuhr in versöhnlicherem Tonfall fort.
"Ich bin mir nicht sicher, ob mein Klient eine Reise nach Hispania aufnehmen möchte. Immerhin würde dies auch für mich bedeuten, dass er in Rom nicht verfügbar ist. Doch meinetwegen, wenn er bereit ist, dich zu begleiten, so werde ich dem nicht im Wege stehen. Sein Name ist Didius Operosus, er ist des Lesens, Schreibens und der Arithmetik Kundig und wie er berichtete, kann er Kenntnisse in Buchführung und Organisation vorweisen. Ich werde ihm eine Nachricht zukommen lassen, dass er sich bei dir melden kann."
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Auch Gracchus trug seinen Namen in die Liste der Teilnehmer ein.
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Im Grunde genommen war der Mons Palatinus eine äußerst angenehme Gegend. Die Nähe zur Heimstatt und zum Wirkungsbereich des Imperator Caesar Augustus und seiner Familie ließen alles, was hier geschah in einem anderen, helleren Licht als sonst erscheinen. Ein wenig hatte es sogar den Anschein, als würde die Zeit auf diesem Berg etwas langsamer verlaufen als unten in der hektischen Stadt, doch möglicherweise kam dies Gracchus nur deshalb so vor, da die Sänftenträger den Berg hinauf in der Hitze des Tages nur recht langsam voran kamen. Im Grunde genommen war es also recht angenehm. Doch de facto war es hier auf dem Berg ebenso heiß wie überall in der Stadt, weshalb Gracchus froh war, als er die Sänfte endlich verlassen und die Curie der Salii Palatini betreten konnte, in welcher eine nicht gar so drückende Hitze vorherrschte. Er wandte sich an den Türsteher.
"Salve, mein Name ist Manius Flavius Gracchus, man hat mich in diese Sodalität einberufen."
Noch ehe er seinen Satz beendet hatte, war bereits sein Sklave Sciurus herangetreten und reichte dem Türsklaven das entsprechende Schriftstück. -
Eine Falte schob sich zwischen Gracchus Brauen. Die Voraussetzungen der Praetur hatte er nicht bedacht und es mochte stimmen, was sein Vetter sprach.
"Wie wahr, doch wird es nicht nur von dir allein abhängen."
Er vermied es, seine Gedanken auszusprechen, welche dahin gingen, dass ein Vater im Senat dem nicht unbedingt zuträglich war, zumindest nicht, solange er lebte. Furianus mochte dadurch nur auf ungute Gedanken kommen. Stattdessen widmete Gracchus sich dem Fleisch, kam jedoch nicht dazu es zu genießen, denn das Thema geriet bereits auf neue Bahnen. Er verschluckte sich beinahe und hustete leicht.
"Der Imperator schickt dich als Architectus Provincialis nach Hispania?"
Er war sich ganz sicher, dass es dies gewesen war, was Furianus gesagt hatte, doch eine solche Aussage musste hinterfragt werden.
"Bei den Göttern, was hat unsere Gens nur getan, dass sie immer wieder so gestraft wird?"
Er blickt argwöhnisch zu seinem Vetter zweiten Grades, als ihm ein Verdacht kam.
"Du hast diese Handlung des Kaisers doch nicht etwa provoziert?" -
Damit war alles gesagt und Gracchus wartete schweigend, in Gedanken bei anderen Themen, bis Sciurus zurück kam. Der Sklave trug einen kleinen Beutel bei sich und stellte diesen vor Operosus auf den Tisch. Gracchus würdigte den Beutel keines Blickes.
"Damit solltest du die Zeit bis zur Aufnahme einer angemessenen Arbeit überbrücken können. Wenn du weiters kein Anliegen hast, so wäre dies alles. Du wirst morgen von mir bezüglich der Stellung bei meinem Vetter hören."Sim-Off: Control Panel und WiSim (ich gehe davon aus, dass das Konto 'Numerius Operosus (3098) deines ist).
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Das Tier wurde zerlegt und das Fleisch zu den Kochstellen nahe dem Tiber gebracht. Man hatte Feuerschalen aufgestellt, in welchen bereits die Kohlen glühten und den für die Glut zuständigen Sklaven den Schweiß ins Gesicht trieben. Darüber wurden nun die Kessel gehängt, in welchen das Fleisch gekocht wurde. Neben dem Altar kümmerten sich einige Sklaven um die Reste des Tieres und bis dort alles bereitet war, wurden auch die Opfergaben für Neptun bereits von den Kochstellen auf einem Tablett herangebracht. Gracchus schloss das Opfer ab, indem er die Vitalia dem Neptun darbrachte, so dass sie endgültig in den sakralen Bereich übergehen konnten.
Als er sich den Zipfel seiner Toga vom Kopf strich, war das Opfer offiziell beendet und der profane Teil des Festes konnte beginnen. Auch die für die Menschen angedachten Teile des Opfertieres waren nun bereitet und konnten an die Menschen für einen kleinen Obulus verkauft werden. An den Ständen entlang des Tibers konnte man weitere Speisen und Getränke erwerben und dies an den aufgestellten Tischen und Bänken zu sich nehmen. Einige Musikanten sorgten für ausgelassene Stimmung und an vielen Stellen opferten die Bürger nun ihre mitgebrachten Zweige.
Gracchus versicherte sich mit einem kontrollierenden Blick, dass die Opferdiener alles ordentlich beiseite räumten, ließ sich von seinen Sklaven die Toga richten und schickte diesen schließlich zur Fleischausgabe um einen Anteil am Opfer zu erwerben. -
Ein Moment der Stille hatte sich über das Triclinium gelegt, einzig Blicke sprachen Bände, geschrieben in Sprachen, welchen nicht alle im Raum gleichermaßen mächtig waren. Schließlich blieb Gracchus Blick auf Antonia liegen und während er sie noch sinnierend ansah, drehte sie ihren Kopf zu ihm und blickte zurück. Ihre braunen Augen wollten so gar nicht zum Rest ihres Wesens passen, lag in ihnen doch mehr als die kühle Reserviertheit, welche sie Gracchus gegenüber an den Tag legte, zumindest schien ihm dies so.
"Ante diem duodecimum Kalendas Octobris."
Dies war es, was Gracchus mit einem Mal durch den Sinn kam und ohne groß darüber nachzudenken aussprach. -
"Es ist eine Schande."
Gracchus Stimme war nun wieder gefestigt. Es gehörte zu seinen charakterlichen Eigenheiten, dass er Themen wie Gemütslagen beinahe wahrlos wechseln konnte. Eben noch drückten Selbstvorwürfe und Gewissensbisse auf seine Seele und ließen ihn nicht ein noch aus wissen, im nächsten Moment ereiferte er sich bereits für die Politik und hatte das vorherige für den Moment vollkommen verdrängt. Es war ohnehin nicht sinnvoll weiter darüber zu sinnieren, bedurfte es doch eingehender Überlegungen oder zumindest der brüderlichen Zweisamkeit.
"Du wirst sicher für die nächste Amstzeit kandidieren? In diesen Zeiten braucht es fähige Männer, welche den Menschen vor Augen halten, welche Werte von Bedeutung sind."
Ein Sklave trug endlich eine Platte mit weiteren Speisen herein und Gracchus entdeckte darauf verzückt Kopfstücke vom Eber mit Melonenmus. Ebenso schnell, wie er Themen und Gemütslagen wechselte, verwarf er den Plan sich nicht an den Vorspeisen zu beteiligen, und ebenso schnell landete ein Anteil von diesem Mahl auf seinem Teller.
"Welchen anderen Dingen widmest du dich, Vetter? Ein Klient von mir sucht eine Anstellung, möglicherweise als Scriba Personalis oder Verwalter, doch ich habe selbst keinen Bedarf, erfüllt doch mein Sklave diese Pflichten." -
Gracchus stellte den Teller wieder vor sich ab. Er hatte ohnehin nicht im Sinne gehabt, sich der Völlerei hinzugeben, so war es nur recht, wenn er die Vorspeise mit Missachtung strafte. Unser Weg - hallten die Worte seines Bruders durch Gracchus Gedanken und die Bürde dieses Weges lag Gracchus mit einem mal schwerer auf den Schultern, als jemals zuvor. Er würde Claudia Antonia heiraten, weil dies eine Pflicht war, welche von ihm erwartet wurde, er würde sogar einen Erben mit ihr zeugen, wie es seine Pflicht war. Doch die Pflicht seiner Familie, seinen Eltern und seinem Bruder gegenüber hatte er nicht nur vernachlässigt, er hatte sich ihr widersetzt. Wie einen Schlag ins Gesicht traf ihn auf einmal die Erkenntnis, dass er nicht besser war, als sein verhasster Bruder Animus. Jener hatte seine Pflicht vernachlässigt und sich zu den Christen geflüchtet, war es denn soviel besser, sich in den Glauben der Götter zu flüchten, blieb Flucht nicht immer Flucht? Gracchus griff nach dem Weinglas wie nach einem Strohhalm, doch er schluckte schwer an dem edlen Tropfen. Die Wahl zwischen dem Blick auf seinen Bruder, der ihm sein Gewissen aus den tiefsten Schubladen seines Selbst holte, oder zwischen Furianus, welcher im Iulius genüsslich seine Austern schlürfte, fiel ihm schwer, doch letztendlich waren die Austern das kleinere Übel.
"Sag Furianus, wie geht es in der Politik voran? Hast du recht viel zu tun?" -
Mit einem unterschwelligen Schaudern fühlte sich Gracchus plötzlich an seine Beziehung zu Claudia Antonia erinnert. Auch in diesen Gesprächen wurde mehr nicht gesagt, denn gesagt wurde, auch diese Beziehung war geprägt von einer endlosen Distanz welche durch vordergründliche Nettigkeiten überbrückt wurde. Gracchus warf einen kurzen Blick zu Furianus und kam sich vor wie ein Fremder im eigenen Haus. Er sehnte sich nach seinem Vetter Aquilius, nach der Ungezwungenheit ihrer Gespräche und der Sicherheit seiner Gegenwart. Doch alles Sehnen half nichts, ebenso wie die Hochzeit mit der Claudia gehörte es zu seinen Pflichten hier zu sein. Zudem schalt er sich einen Narren, dass er sich dermaßen von der eigenen Gens verunsichern ließ.
"Wer zur rechten Zeit den Weg zu genießen weiß, dem bleibt es erspart überhastet am Ziel anzugelangen."
Ohne einen Sklaven, die letzten Sesterzen den Mietsklaven in die Hand drückend und eigenhändig an die Pforte klopfend. Gracchus blickte seinen Bruder an, doch nur kurz, hatte er doch das Gefühl, dieser könnte in seinem Blick lesen, was sich in seinen Gedanken umhertrieb. Zur Ablenkung beugte er sich vor und nahm etwas von den Speisen auf seinen Teller. Er sammelte sich in der Betrachtung einer Auster, dieses merkwürdigen Tieres mit der harten Schale und dem weichen Kern. Schließlich blickter er gefestigt auf.
"Die Unterstützung der Familie wird dir gewiss sein. Wenn du etwas brauchst, zögere nicht, an mich heranzutreten. Auch in Belangen des Cultus Deorum."
Er wandte sich zu Furianus und bemerkte erst jetzt, dass dieser sich an den Austern gütlich tat. Wahrhaftig, die Götter machten es Gracchus nicht leicht. Über diesen Anblick verlor er erneut die Festigkeit und vergaß vorerst zu sagen, was er noch eben im Sinn gehabt hatte. -
Kaum war es gedacht, war es schon gesprochen, und was keiner wusste außer sein Vetter Felix, und dieser auch nicht zur Gänze, lag schwer auf Gracchus' Seele. Er hatte seinen Bruder um dessen Platz betrogen, einmal bewusst und einmal in Folge dessen, womöglich unverschuldet, doch ebenso bewusst. Man mochte behaupten, dass die Götter seinen Weg geführt hätten, doch Gracchus wusste sehr genau, dass er selbst die Fäden gezogen hatte, zumindest in gewissen Maßen. Er hatte dafür bezahlt, doch letztendlich hatte er vermieden, was nicht sein Wunsch gewesen, und getan, was dem Wunsch seines Vaters völlig entgegen gesetzt war. Seit den Geschehnissen in Achaia hatte Gracchus die Ehrung des Geistes seines Vaters vernachlässigt aus der Furcht heraus, er würde ihn aus dem Elysium heraus verfluchen. Natürlich hatte er dem Bruder von seinem neuen Weg geschrieben, alles doch nur schwammig mit dem Gelübde begründet, ohne einen Grund dafür zu nennen, so wie vor allen anderen auch. Niemand hatte einen Grund daran zu zweifeln und niemand einen Grund dies zu kritisieren, außer womöglich Lucullus, dessen eigener Weg nun im Schatten seines Bruders stand.
"Das ist gut. Die Götter werden deinen Dienst zu schätzen wissen. Wie war deine Reise hierher?"
In seinen Augen konnte Gracchus sehen, dass Lucullus wusste. Er konnte dem nicht standhalten und lenkte seinen Blick auf den Tisch um nach dem Glas zu greifen, welches ein Sklave bereits gefüllt hatte. -
Als Sciurus seinen Herrn davon unterrichtet hatte, dass sein Bruder in Rom eingetroffen war, stieg Zorn in Gracchus empor und er spie den Namen Animus geradezu aus. Doch der Sklave beruhigte ihn eilig und versicherte ihm, dass es sich nicht etwa um den verhassten Bischof, sondern um seinen jüngeren Bruder Lucullus handelte. Seinen Bruder Animus hatte Gracchus seit seiner Karriere bei den Christen immer versucht zu verdrängen, ihn durch die bloße Nichtanerkennung seiner Existenz aus seinem eigenen Leben zu streichen und ihn zu vergessen. Bei Lucullus war dies über die Jahre hin ganz von selbst passiert. Lucullus war in Oberitalia aufgewachsen, Gracchus dagegen in Achaia und nur selten hatten sie sich Briefe geschrieben und berichtet was hier und dort geschehen war, belanglose Berichte, wie man sie auch jedem Fremden hätte schreiben können. Denn dies waren sie füreinander: Fremde. Das letzte Mal, als sie sich von Angesicht zu Angesicht gesehen hatten, war Jahre her, sicherlich zehn an der Zahl. Es war bei einer Bestattung gewesen, wie sich Gracchus erinnerte, eine von jenen, zu denen er eigens nach Italia angereist war, womöglich sogar die eines ihrer Elternteile, zumindest jedoch eine, welche Gracchus aus seinen Erinnerungen verdrängt hatte. Auch dort waren sie einander fremd gewesen, waren sich nicht etwa in den Armen gelegen und hatten sich über ihren Schmerz getröstet, sondern hielten Abstand voneinander, jeder darum bemüht, seinen Stolz vor sich her zu tragen und um ausdruckslose Gelassenheit trotz des Anlasses. Seit diesem Tag waren sie sich nicht mehr begegnet. Gracchus hatte nie das Bedürfnis verspürt, seinen Bruder näher zu kennen, denn Aquilius war ihm in Achaia mehr gewesen, als ein Bruder es je hätte sein können. Mit dem Vetter war er aufgewachsen, hatte mit ihm die grauen Stunden der Theorie und die Nachmittage im Spiel verbracht, später sich in Rede und Kampf mit ihm gemessen. Sie hatten jede Leidenschaft und jedes Geheimnis geteilt, wozu brauchte er da einen Bruder, der nichts mit ihm gemein hatte, als seinen Namen und seine Eltern? Dazu war die Verbitterung über das Schicksal ihres älteren Bruders gekommen und die irrationale Furcht, der jüngere konnte sich in eine ähnliche Richtung entwickeln.
Dennoch, als Sciurus ihm von Lucullus' und nicht von Animus' Ankunft berichtete, wurde Gracchus von Neugier gepackt und eilte sich, ins Triclinium zu gelangen. Sein ursprünglicher Plan hatte es vorgesehen, erst später zum Mahl zu erscheinen, stand ihm bei der fortdauernden Hitze der Sinn doch weniger nach Völlerei, denn nach Mäßigung. Nun jedoch prüfte er sein Erscheinungsbild mit einem, möglicherweise eitlen, Blick in den Spiegel, er trug eine leichte Sommertunika aus feinem Gewebe in dezenten grünfarbenen Tönen, und verließ sein Cubiculum um kurz darauf das Triclinium zu betreten, als dort ein Moment der Stille eingekehrt war.
"Salvete! Verzeiht bitte meine Verspätung."
Er nickte Furianus zu und blickte zu dem Mann hin, der eindeutig sein Bruder war.
"Lucullus."
In jenem Wort lagen Verblüffung, Freude und höfliche Distanz zugleich. Jene Distanz, welche man Fremden gegenüber aufbrachte, eine Spur Freude, da es sich trotz allem um Gracchus Bruder handelte. Die Verblüffung jedoch rührte allein vom Anblick, denn aus dem Jungen, dessen Körper sich nicht hatte entscheiden können zwischen dem eines Kindes und dem eines Mannes, war letztändlich wie aus allen Jungen ein Mann geworden. Ein Mann, in dessen Gesicht Gracchus Züge von sich selbst wiederfand, aber auch die strengen Züge ihres Vaters und die wachen Augen ihrer Mutter. Der Anblick allein genügte, um in Gracchus eine seltsame Vertrautheit hervorzurufen. Er ließ sich auf die freie Kline hernieder und musterte Lucullus offen.
"Es ist lange her. Ich freue mich, dass auch du nun nach Rom zurückgekehrt bist. Du wirst doch bleiben?"
Die Zeit für Lucullus seine Pflicht zu erfüllen war es immerhin, doch Gracchus wusste selbst nur zu genau, dass jene auch umgangen werden konnte. Mit leichtem Unbehagen dachte er daran, dass er selbst die für ihn vorgesehene Pflicht nicht erfüllte, stattdessen bereits Lucullus zuvor gekommen war. Durch das unplanmäßige Auftauchen von Felix Söhnen hatte sich die Situation der Gens Flavia zwar gewandelt, doch es änderte nichts an der Situation der Familia Flavius Vespasianus und daran, dass Gracchus nach Animus Versagen das Erbe seines Vaters hätte antreten sollen. -
Vorsichtig begutachtete Gracchus die Eingeweide des Tieres. Es sollte Sacerdotes geben, welche das Blut am Opfer erfeute und welche geradezu gerne in den Innereien eines Tieres herumwühlten, doch Gracchus gehörte definitiv nicht dazu. Er befand jene Sorte von Priestern und auch die Haruspices, zu deren Aufgaben die Eingeweideschau in allen Details gehörte, für äußerst suspekt. Es reichte ihm vollkommen aus, die Vitalia in der Opferschale vor sich näher zu betrachten und ab und an vorsichtig ohne große Berührungspunkte herumzudrehen. Als er einen erfrischenden Lufthauch spürte, der über das Marsfeld zog, entschied er, genügend lange nach Fehlern gesucht zu haben und blickte zu den erwartungsvollen Menschen vor sich. Das Gefühl, alle Aufmerksamkeit auf sich ruhen zu wissen, war ein merkwürdiges, doch nicht unangenehm. Mit einem einzigen Wort würde er all diese Menschen zum Jubeln oder zum erschrockenen Aufstöhnen bringen, mit einem Wort legte er ihre Hoffnungen und Erwartungen fest. Mochte es am folgenden Tag regnen oder erst im späten November, sein Wort würde entscheiden, ob die Menschen bis dorthin in Trübsal und Furcht bangten, oder ob sie sich in Zufriedenheit ihrem täglichen Tun widmeten.
"Litatio!" -
Nachdem er sein Gemüt endgültig wieder mit etwas Wein gekühlt hatte, folgte Gracchus den Blicken, welche durch den Raum hindurchhuschten. Demjenigen seiner Verlobten, welcher über den Tisch wanderte, als suchte sie dort einen Makel, demjenigen seines Vetters, welcher auf ihr zur Ruhe kam und sie schließlich dazu veranlasste, seinen Blick zu erwidern. Wieder schien ihm ihr Lächeln dabei weitaus ehrlicher, als jenes, welches sie ihm meist zugedachte und er war einen Augenblick versucht daran zu denken, wie es wäre, wenn Aquilius an seiner statt die Claudia heiraten mochte. Doch es war nur ein gedankenloser Wunsch, so schob er ihn eilig bei Seite, schwieg jedoch und beobachtete weiter die Blicke zwischen ihr und ihm. Er war durchaus daran interessiert, Antonia mit in ihr Gespräch einzubeziehen, doch entgegen seiner sonstigen Natur fiel ihm in ihrer Gegenwart kein Thema ein, welches unverfänglich und interessant zugleich wäre und welches sich mit ihr erörtern ließ. Es überkam ihn das unbestimmte Gefühl, dass das einzige, was er mit ihr teilte der Termin der bevorstehenden Hochzeit war, welchen sie zu seinem Glück noch nicht festgelegt hatten.
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"In der Tat, dies sind sie."
Mit einem bestätigenden Nicken wandte sich Gracchus dem Senator zu.
"Es gibt zwei Grade dabei, der erste wird zukünftig Voraussetzung sein, das Amt eines Sacerdos Publicus ausführen zu können, zusätzlich zu einer Art praktischer Prüfung. Der Verfall der religiösen Werte in einigen Schichten unserer Gesellschaft ist anscheinend auch bis zum Collegium Pontificium vorgedrungen und es soll somit verhindert werden, dass sich Menschen dem Cultus Deorum anschließen, welche nicht die zur Götterverehrung notwendige Erziehung genossen haben. Meiner Ansicht nach ist es ein Mittel Fremde aus den innersten Strukturen unserer Kultur heraus zu halten, denn für einen Römer, welcher in unserer Kultur aufgewachsen ist, dürfte die Prüfung wahrlich keine Hürde sein, lässt es sich beim Erwachsenwerden doch nicht vermeiden, mit der Religio in Berührung zu kommen. Der zweite Kurs beschäftigt sich anscheinend noch tiefergehend mit diesen Dingen, soll er doch als Bedingung für die Aufnahme in ein Collegium dienen, wobei der erste Kurs erwartungsgemäß die Voraussetzung für den zweiten darstellt." -
Gracchus nickte mit einem wissenden Lächeln.
"Dann werde ich dich nun mit ihm alleine lassen. Vale, Caecilius Crassus, mögen die Götter dir gewogen sein."
Er verließ die Cella des Tempels um jenen Commenatrius aufzusuchen, mit welchem er noch sprechen wollte. -
Die Worte bezüglich ihrer Freundschaft kommentierte Gracchus nicht weiter. Die Spannung zwischen ihnen war bereits greifbar und jedes weitere Wort würde nur dazu führen, dass einer von beiden sich womöglich vergessen würde, noch bevor sie den Sand des Ringerarreals unter ihren Füßen spürten. Stattdessen erfreute er sich an Aqulius ehrlichem Lachen und der Betrachtung der Ölung. Die scherzhaften Worte ließen ihn beinahe vergessen, wie ernst die Situation im Grunde genommen war, doch waren sie nicht hier, um sich weiter darum zu Sorgen, sondern um die Gegebenheiten in der Villa so zu belassen, wie sie nun einmal zu dieser Zeit waren. Gracchus, welcher längst damit fertig war, sich mit dem Öl einzureiben, beobachtete seinen Vetter mit einem feinen, zufriedenen Lächeln, bis auch jener bereit war.
"Dort vorn ist gerade ein Arreal frei geworden. Bist du bereit?"
Er nickte zu einer freien Ringfläche hin. -
Dass sein Vetter darüber nachdachte, sich dem Cultus Deorum in der Verwaltung anzuschließen, erfreute Gracchus, betrachtete er diese Arbeit doch als weitaus sinnvoller, als die in der Verwaltung in den Städten auf dem Land. Zusätzlich hatte auch der Senator Purgitius die Chancen einer solchen Anstellung erkannt, denn der Name Flavius Milo würde damit unweigerlich im Cultus Deorum haften bleiben und die Pontifices waren immerhin nicht primär religiöse Handlungsträger, so dass sie sich nicht zwangsläufig aus den Reihen der Sacerdotes und der übrigen Collegien rekrutierten.
"Es handelt sich dabei um einen Kurs über die Religio, ähnlich dem Cursus Res Vulgares im zivilen Bereich. Für einen Mann deines Standes, welcher fest im täglichen Leben verankert ist, sollte diese Prüfung keine Schwierigkeit darstellen. Dazu kann es nur nützlich sein, sein Wissen solchermaßen unter Beweis zu stellen. Um daran teil zu nehmen muss man sich an der Schola Atheniensis Phoebi Apollonis Divinis einschreiben, die Prüfung selbst wird jedoch von einem Mitglied des Cultus Deorum gehalten, soweit ich weiß."
Bei dieser Gelegenheit fiel Gracchus auf, dass er sich selbst ebenfalls bald für diesen Kurs einschreiben wollte. -
Nach einer recht kurzen Denkpause schüttelte der Sacerdos langsam den Kopf.
"Nein, ich schätze damit wäre alles geklärt."
Und dabei war alles bestens. Caecilius Crassus würde für seine Männer ein großes Opfer bekommen, Mars würde einen prächtigen Stier bekommen, und Gracchus selbst... er würde auch nicht leer ausgehen.
"Es sei denn, du bedarfst meiner Hilfe noch bei deinem heutigen kleinen Marsopfer?"
Er blickte zur Statue des Mars hin und dann auf den Foculus davor, auf welchem zu dieser Tageszeit noch recht viel Platz für Opfergaben war. -
Die Hitze hielt nun schon lange Tage in Rom an, die Gräser in den meisten öffentlichen Parkanlagen vegetierten langsam vor sich dahin, die Bediensteten in den privaten Gärten trugen Eimer um Eimer Wasser herbei, um nicht die Pflanzenpracht ihrer Herren vergehen zu sehen. Der Tiberis, lebensbringender Strom und Qual der Stadt zugleich, führte nur noch mäßig Wasser mit sich und man munkelte, dass sich in der Cloaca aufgrund des Wassermangels bereits ein Sumpf bildete, den kein Römer gerne zu Gesicht und dessen Geruch er nicht gerne in die Nase bekam.
In diesen Tagen kamen die Feiern der Neptunalia gerade recht und die Tatsache, dass es sich um ein sehr altes Fest handelte, bewies, dass das Problem kein neues war, sowie andererseits Roms Größe bewies, dass Neptun noch immer auf sein Fest hin Gnade gezeigt hatte. Gracchus hoffte sehr, dass dies auch in diesem Jahr wieder der Fall sein würde. Es gab Opferungen, deren Wirkung bezog sich vorwiegend auf die Menschen, doch die Neptunalia gehörten nicht dazu. Auch wenn es für sie ein sehr populärer Anlass war zu feiern, der primäre Anlass war es, Neptun milde zu stimmen.Zu diesem Zwecke waren bereits den Tag über die Laubhütten auf dem Campus Martialis errichtet worden. Nun, da sich mehr und mehr Römer sammelten, war die Zeit gekommen, das Opfer zu halten. Dem Neptun war ein Opferaltar errichtet worden, auf dem die Voropfer dargebracht wurden: Kränze aus Sommerblumen, Opferplätzchen und eine Amphore besten Falerners.
Schließlich wurde der Opferstier herbeigeführt. Es war ein prächtiges Tier, dessen vergoldete Hörner im Sonnenlicht glänzten und dessen schwarzes und geschwärztes Fell in starkem Kontrast zu den weiß-roten Bändern um seinen Kopf stand. Nachdem die Anwesenden symbolisch gereinigt und zur Ruhe aufgefordert waren, weihte Gracchus das Tier mit einem Becher Wein. Er ließ sich das Opfermesser reichen, strich über den Rücken des Tieres und entfernte dabei die aufgelegte Wolldecke. Schließlich wandte der Sacerdos publicus sich mit dem Opfergebet an Neptun.
"O Neptun, Herr über Wasser in Flüssen und Seen, Herr über Ozeane und Gezeiten, Herr des Wassers, nimmt dieses Opfer und schenke uns Dein süßes Nass! Dieser Stier für Dich, auf dass Du uns die Mehrung des Wassers in Deinen Flüssen bescherst! Wir laden Dich ein, diesen Deinen Tag mit uns zu feiern, in den Hütten, die wir Dir errichtet haben!"
Gracchus trat einen Schritt zurück und bedeutete dem Popa fortzufahren, woraufhin dieser fragte, ob das Opfer vollzogen werden solle. Mit einem "Age!" bestätigte der Sacerdos dies und sogleich fuhr ein Schlegel auf des Tieres Kopf herab und eine Axt in seine Kehle. Blut rann aus der Wunde hervor und binnen weniger Augenblicke war das Tier in die Welt jenseits der Realität übergetreten. Die rote Flüssigkeit floss reichlich und tränkte den ausgedörrten Boden. Schließlich wurden die Eingeweide dem Tier entnommen und der Eruierung des göttlichen Willens unterzogen.