Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    "Zwischen 150 und 200 Jahren alt."
    Gracchus nahm sich zur Abwechslung eines der delikaten Häppchen, während die anderen die Statue umrundeten. Das exclusive Stück hatte ihn tatsächlich ein kleines Vermögen gekostet, wenn auch lange nicht so viel, wie es eigentlich wert war. Er wusste nicht, und er wollte auch nicht wissen, wie sein Sklave an die Statue herangekommen war, doch nun bereitete sie nicht nur diesem Kreis eine kleine Freude, bald würde sie dazu auch den Garten der flavischen Villa zieren. Eingerahmt von Felix Rosenstöcken wäre sie sicherlich noch schöner anzusehen.
    "Der Künstler ist uns vor allem durch die Darstellung eines troischen Priesters bekannt."
    Beim Gedanken an den herrlich fein ausgearbeiteten Körper dieses Kunstwerkes wurde Gracchus ganz anders. Er besann sich jedoch hastig auf die Gegenwart, denn es ziemte sich nicht unbedingt beim Gedanken an einen steinernen, wenn auch unglaublich muskulösen, Oberkörper schwach zu werden.

    Ein wenig schien es Gracchus, dass sein Vetter sich nicht recht entscheiden konnte. Auf der einen Seite sollte Gracchus die Durchsetzung seines Willen bezüglich der architektonischen Konstanz gewährleisten, auf der anderen Seite sollte er sich in eindeutiger Weise dem Willen des Furianus unterordnen. Allmählich war er es leid, ständig als der nette Onkel zu gelten, welcher sich um alles kümmerte und gleichzeitig alles mit sich machen ließ.
    "Hast du für die Durchsetzung deines Willens nicht einen Vilicus?"
    Gracchus schaute ein wenig pikiert. Er mochte momentan der jüngste der anwesenden Flavier sein, doch im Gegensatz zu einem anderen hatte er eine vorzügliche patrizische Ausbildung genossen.

    Ebenso wie die übrigen Teilnehmer des Conventus verließ auch Gracchus die Regia des Cultus Deorum. Unweit des Ein- und Ausganges warteten bereits die Sklaven mit der Sänfte. Die Versammlung war einigermaßen merkwürdig gewesen, doch ebenso bemerkenswert und Gracchus eruierte so manch interessanten Punkt, als er sich das Gesagte auf dem Nachhauseweg noch einmal durch den Kopf gehen ließ.

    Gracchus Augen leuchteten erfreut auf. In Unwissenheit hatte er dies ebenfalls zu Anfang vermutet, doch natürlich wusste er mittlerweile um den Gestalter.
    "Nicht ganz, mein lieber Aelius, doch deine Vermutung liegt nahe an der Wahrheit. Der Künstler stammte aus Lycia in Asia."
    Einen Augenblick bereute er, Letzteres verraten zu haben, doch noch lebende Bildhauer waren in diesem Kreise sicher ohnehin soweit bekannt, dass eines ihrer Werke auf den ersten Blick identifiziert worden wäre.
    "Womit überdies bereits verraten ist, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilt."

    Die Verwaltung von Finanzen war sogar eine von Gracchus ausgesprochenen Stärken. Nicht von ungefähr hatte ihm sein Vetter das Familienvermögen der Gens Flavia übertragen. Doch er wollte nicht hochmütig erscheinen und nickte daher nur.
    "Diese Aufgabe wird mir sicherlich keine Probleme bereiten."
    Er überlegte kurz, ob er Fragen hatte, doch vorerst kam ihm keine solche in den Sinn.
    "Ich werde mich direkt zur Regia des Cultus Deorum begeben. Ich bin sicher dort jemanden ausfindig machen zu können, welcher mir Auskunft geben können wird."
    Nach einer kurzen Verabschiedung verließ Gracchus den Tempel und wies seine Sänftenträger an, ihn hinüber zur Regia des Cultus Deorum zu bringen.

    Die achte Stunde des Tages nützte Gracchus an eben diesem nicht für die Ertüchtigung in der Palaestra, sondern er stieg die Stufen zum Mons Capitolinus hinauf, gefolgt von seinem Sklaven Sciurus. Dort oben angekommen ließ Gracchus seinen Blick über die Stadt zu seinen Füßen schweifen, erfasst von einem gewissen Schwindel über die Größe Roms, welches nicht nur bis an seine Stadtmauern heranreichte, sondern weiter, viel weiter in die Welt hinaus. Trotz dass dort unter ihm die Masse, der Pöbel der Stadt seinem Tagwerk nachging und trotz dessen, dass jenseits des Tibers die Gescheiterten der Glücksuchenden in der Gosse lebten, war die Sublimität der Stadt nicht zu leugnen.
    Nachdem er sich am Anblick der Statt saturiert hatte, drehte sich Gracchus um und sah sich dem Tempel des Gottes gegenüber, welcher dies alles ermöglichte. Er betrat den Tempel des Iuppiter Capitolinus und durchschritt ihn gemessenen Schrittes. Vor dem Kultbild schließlich blieb er stehen, legte den leinenen Beutel, welchen er mit sich führte, ab und bedeckte seinen Kopf mit einem Ende seiner Toga. In stiller Andacht murmelte er ein Gebet zu Ehren des Iuppiter, in welchem er diesen abermals um Verzeihung bat, dass die Erfüllung des Gelübdes sich weiterhin aufschob. Denn obwohl er seinem Ziele schon näher gekommen war, als noch einige Zeit zuvor, so sah sich Gracchus noch immer als Commentarius im Kult des Mars gehalten.
    Als er sich niederbeugte und ein Säckchen Weihrauch und den Opferkuchen aus seinem Beutel nahm, kam Gracchus kurz der Gedanke, dass dies womöglich die Absicht des Iuppiter war. Doch er wollte nicht über göttliche Gedanken, noch göttliche Absichten nachdenken, so streute er den Weihrauch über die Kohlen der Opferschale und brachte schließlich den Kuchen auf dem bereitstehenden Foculus dar während er die rituellen Worte sprach. Nachdem er eine Weile vor dem Altar in stiller Schweigsamkeit ausgeharrt hatte, schloss Gracchus das Opfer ab, wandte sich um und schob die Toga von seinem Kopf. Der vor dem Tempel wartende Sciurus würde das Gewandungsstück wieder richten müssen. Mit einem wehmütigen Blick verließ Gracchus das Haus des Iuppiter, um sich erneut seinem Dienst im Cultus des Mars zu widmen.

    Felix Antwort ließ Gracchus Befürchtungen ein wenig abklingen. Dennoch hoffte er, dass es nicht bereits zu spät sein würde, bis sein Vetter im Falle eines Falles benachrichtig war und eingreifen konnte.
    "Ich hoffe, es wird nicht dazu kommen. Doch wenn, werde ich dir eine Nachricht zukommen lassen."
    Dennoch würde er es sich nicht nehmen lassen, im schlimmsten Fall eigenmächtig Schritte einzuleiten. Er überlegte kurz, ob es weitere Themen mit seinem Vetter zu besprechen gab.
    "Mehr wünschte ich nicht zu besprechen. Doch dies war mir ein dringendes Anliegen. Ich habe nichts gegen einige dezente gestalterische Änderungen der Ausgestattung der Räumlichkeiten, doch für umfassende architektonische Umgestaltungen der Villa sehe ich keinerlei Notwendigkeit. In dieser Villa hat sich seit meiner Kindheit kaum etwas geändert und ich sehe nicht, weshalb Bestehendes auf einmal schlecht sein soll, nachdem es so lange gut war."
    Mit einer guten Villa war es nuneinmal wie mit den guten alten Sitten und Traditionen. Auf einem soliden Fundament mit starken Mauern gebaut würde sie Jahrhunderte überdauern, ohne dass sie umgestaltet werden musste, unabhängig davon, wie sich die äußeren Umstände änderten.

    Gracchus nickte und trat zu dem Tischchen, auf welchem der verhüllte Geganstand platziert worden war. Er nestelte an dem Tuch herum, wobei sich ein Ausdruck reinster Freude auf sein Gesicht legte, ähnlich der eines Kindes, welches ein Neujahrsgeschenk entpackt. Er drehte sich zu den Anwesenden um, um sich, beziehungweise viel eher den Gegenstand, der vollen Aufmerksamkeit aller gewahr zu sein. Sodann löste er das Tuch und zog es zur Seite.
    Zu Tage trat eine Statue, etwa zwei Fuß hoch, aus reinstem weißen Marmor. Sie zeigte die Göttin Venus, mit einem feinen Lächeln auf ihrem Gesicht und kleinen, blauen Edelsteinen in den Augen.
    "Venus, die Schaumgeborene. Beachtet die unglaublich fein gearbeiteten Gesichtzüge, wie von Götterhand gearbeitet. Natürlich sind sie nicht im Geringsten so anmutig wie die der hier anwesenden Damen, und dennoch könnten sie perfekter beinahe nicht sein."
    Grachhus war gespannt, ob die übrigen den Schöpfer des Kunstwerkes erkennen würden. Auf der Unterseite des niedrigen Sockels war sein Name angebracht, doch dies wollte Gracchus erst zu späterer Gelegenheit enthüllen.

    Einen Moment lang dachte Gracchus nach und versuchte sich an den genauen Wortlaut des Gespräches mit dem Sohn seines Vetters zu erinnern.
    "Er bat um die Finanzierung seiner Sponsalia, legte jedoch Wert darauf selbst einen Teil beizusteuern. Möglicherweise hat er, durch welche Einnahmen auch immer, ein größeres Peculium angespart, als man meinen könnte, denn über die Finanzierung der Umgestaltung hat er sich nicht weiter geäußert. Womöglich wollte er dies jedoch gegen Ende des Gespräches erörtern und vergaß darüber."
    Gracchus bemühte sich, seiner Stimme eine gewisse Ruhe zu geben, angesichts der folgenden Worte.
    "Er plant die Ausstattung einiger Zimmer zu ändern und seine Kentnisse aus dem Cursus Architecturae in die Tat umzusetzen. Weiters bot er an, ein eigenes Triclinium für Antonia und mich einzurichten. Er begründete diese Maßnahme mit seinen Plänen, in Zukunft vermehrt Bankette und Gelage ausrichten zu wollen, durch welche wir uns in unserer Ruhe gestört fühlen könnten. Da meine künftige Gattin bei diesen Anlässen ausdrücklich von ihm nicht erwünscht wäre, mache ich mir nun über diese Umgestaltung hinaus ernsthafte Sorgen um die Art dieser Gelage."

    Gracchus setzte sich Felix gegenüber und warf einen kurzen Blick auf die Schriftrolle. Er las den Titel und sah seinen Vetter verstehend an.
    "Ich sehe, du hast das Problem bereits erkannt. Uns fehlt der Sokrates."
    Er lehnte sich etwas zurück und schlug die Beine übereinander.
    "Dein Sohn suchte mich am gestrigen Tage in meinem Cubiculum auf, um mit mir bezüglich der Finanzierung seiner Sponsalia zu sprechen. Dieses Thema konnten wir ohne Probleme abhandeln, doch im weiteren Verlauf des Gespräches enthüllte mir Furianus seine Pläne in Bezug auf die Umgestaltung dieser Villa. Bist du über seine genaueren Absichten in diesem Zusammenhang informiert?"

    Als Gracchus den Raum betrat fand er seinen Vetter beim Studium einer Schriftrolle vor. Es wunderte ihn kaum, waren die Flavia doch seit jeher eher theoretisch veranlangt, denn praktisch, und das Studium von Schriften gehörte schon immer zu ihren liebsten Beschäftigungen.
    "Salve, Vetter."
    Er näherte sich dem Schreibtisch mit ernster Miene.
    "Ich habe mit dir bezüglich deines Sohnes zu sprechen."

    "Ich danke dir. Vale bene, Sacerdos."
    Gracchus verließ den Tempel der Diana und dachte nochmals über die Worte der Sacerdos nach. Alle Priester des Imperiums schienen ihm jedoch wahrlich zu viele, als dass sie in Roma unterkommen könnten. So genehmigte er sich, bereits wieder in seiner Sänfte sitzend und daher unbeobachtet, ein leichtes Schmunzeln über diesen Gedanken. Schließlich nahm er eine Schriftrolle zur Hand und nutzte den Rückweg zum Studium selbiger.

    Nach dem merkwürdigen Gespräch mit Furianus hatte Gracchus um eine Unterredung mit seinem Vetter gebeten. Als er an einem Abend vom Conventus des Cultus Deorum nachhause kam, richtete ihm Sciurus aus, dass Felix in seinem Arbeitszimmer weilte. So trat Gracchus dort an die Tür und klopfte an.

    "Noch nicht Priester und auch nicht des Apoll. Ich befinde mich auf dem Weg in den Cultus des Iuppiter. Doch solange meine Ausbildung fortdauert, diene ich als Commentarius im Cultus des Mars."
    Da sich dies selbst für seine Ohren noch immer ein wenig verworren anhörte, fügte Gracchus rasch eine Erläuterung hinzu.
    "Die Ausbildung im Cultus Deorum ist zur Zeit ein wenig verschlungen. Doch ich hege die Hoffnung, dass ich eines Tages dennoch im Cultus des Iuppiter ankommen werde."

    Auch Gracchus grüßte den Konsular Aelius, welchen er von seiner Sponalia her flüchtig kannte. Da sie (schätzungsweise) noch alle recht nah beieinander standen, kam er nicht umhin, die Worte des Tiberius in Bezug auf den Conventus des Cultus zu vernehmen. Die Gedanken der Sacerdos Dianae kamen ihm wieder in den Sinn, welche die Ansicht vertrat, dass deswegen tatsächlicherweise die gesamte Priesterschaft des Imperiums in Rom verweilte.
    "Dieser Conventus scheint einiges an Arbeit aufzuhalten. Du solltest mit deinem Sacerdos sprechen, Tiberius. Ich selbst habe meine Prüfung wenige Tage nach den Parentalia abgelegt, es sollte also nicht unmöglich sein."
    Dass Gracchus das Gefühl hatte, dass Sacerdos Valerius die Prüfung nur deshalb in den Abenstunden nach dem Conventus hatte ablaufen lassen, um endlich jemanden zu haben, dem er die Verwaltungsarbeit aufbürden konnte, dies verschwieg er.

    Die Aufregung der Sacerdos erheiterte Gracchus nun doch ein wenig.
    "Dessen bin ich mir sicher. Das Collegium Pontificium handelt schließlich nicht unbedacht. Du solltest mehr Vertrauen in seine Arbeit haben, dort sitzen immerhin die weisesten und erfahrensten Mitglieder des Cultus Deorum. Flamen wird schließlich nicht, wer nicht die nötige Erfahrung und Weitsicht mitbringt."
    Er blickte auf die Schriftrollen in den Händen der Sacerdos und kurz darauf wieder auf.
    "Nun, ich hoffe, dass wir dir mit den Listen helfen konnten, Sacerdos Dianae. Doch ich muss nun wieder weiter. Wie du selbst feststelltest, die Arbeit häuft sich in den Stunden außerhalb des Conventus auf."

    Ein überaus beunruhigender Gedanke, welchen die Sacerdos ansprach.
    "Mein Beileid zum Tode deines Schwiegervaters, Sacerdos. Doch ich bin sicher, wir brauchen uns in Hinsicht auf die Sacerdotes in den Provinzen keine Sorgen zu machen. Es sind doch nicht wirklich alle Priester des Imperiums auf dem Conventus. Nicht nur im Bereich der Bestattungen würde dies zu enormen Schwierigkeiten führen, sondern auch viele weitere Bereiche des täglichen Lebens vollkommen zum Stillstand bringen."
    Gracchus blickte die Sacerdos beruhigend an.
    "Dessen ungeachtet wäre in Rom, vor allem in der Regia, kaum Platz, alle Sacerdotes des Reiches unterzubringen. Sicherlich wurden nur Vertreter geladen. Dass ich selbst als Discipulus und nun als Commentarius teilnehmen kann, führe ich auf den Umstand zurück, dass ich ohnehin in Roma eingesetzt bin. Dass wir hier dahingehend doppelte Arbeit leisten müssen, bleibt wohl unvermeidlich. Doch die Tage werden ja nun wieder länger."
    Im Anflug eines spitzbübischen Lächelns kräuselten sich Gracchus Lippen kurz, schnell jedoch legte sich wieder ein nichtssagender Ausdruck über sein Gesicht.

    Die Überschwänglichkeit der Sacerdos war Gracchus schon bei ihrem kurzen Besuch während des Unterrichts aufgefallen. Er ließ sich jedoch nicht aus der Ruhe bringen, selbst dann nicht, als sie erwähnte, dass sie die ganzen Tempel anscheinend zu Fuß abgelaufen war.
    "Keine Sorge, ich bin sehr belastbar. Der Conventus scheint einiges an Arbeiten aufzuhalten, so scheint es mir. Doch ich bin äußerst gespannt, zu welchen Ergebnissen dies letztendlich führen wird. Ist solch eine Versammlung jährlich angesetzt?"
    Diese Frage lag Gracchus schon seit einiger Zeit auf der Zunge, doch er wollte bei Sacerdos Valerius nicht den Eindruck erwecken, die Arbeit des Cultus Deorum zu kritisieren. Die Sacerdos Decima schien jedoch ohnehin ein wenig unzufrieden.