Die Worte seines Sohnes rührten den Vater derart an, dass er seine Linke hinter den Kopf Minors legte und seinen eigenen dem entgegen neigte, so dass ihre Stirne sich berührten. Schon lange, sehr lange waren sie nicht mehr sich derart nah gewesen - nicht nur ihre Leiber, sondern auch ihre Ideale und Gedanken.
"So haben unsere Torheiten sich gegenseitig ausgegli'hen, dass wir getrost sie der Vergangenheit angedeihen lassen und um so aufmerksamer der Gegenwart und Zukunft uns widmen können."
Im Grunde hatte Gracchus nicht ernsthaft erwartet, dass Minor seinem Traumbild sich würde zuwenden, doch die allmähliche Erkenntnis der Tragweite dieser Entscheidung ließ durchaus ein wenig Euphorie durch seine Adern fließen. Mit einem schmalen Lächeln lehnte er schlussendlich sich wieder zurück.
"Wie wird diese Zukunft aussehen, Minor, abgesehen von deinem Opfer an die Manen?"
Noch immer vermochte er sich nicht gänzlich zu imaginieren, zu welchen Schritten sein Sohn bereit war.
Beiträge von Manius Flavius Gracchus
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Obgleich er die Nachricht über das in Aussicht gestellte vollkommene Genesen seines Sohnes bereits durch den Medicus hatte erhalten, so nahm die eherne Proklamation dessen aus dem Munde seines Sohnes doch mehr noch eine Last von Gracchus' Herzen. Zwar hatten die alltäglichen Angelegenheiten senatorischer und pontificaler Pflicht ihn in den letzten Tagen bereits wieder ein wenig abgelenkt, dennoch hatte Gracchus viel über Minor, die Familie und ihre Pflichten reflektiert und war zu der Einsicht gelangt, dass es nichts gab, was die geistige Ermordung seines Sohnes - welcher ein Ausschluss aus der Familie würde gleich kommen - jemals würde rechtfertigen können, da doch der physische Tod desselben ihn bereits hätte um den Verstand gebracht. Minor war nicht nur sein Nachkomme, sein Erbe - er war seine wichtigste Hinterlassenschaft an die Welt und was auch immer aus seinem Sohn würde werden, dies war was er hatte geschaffen. Und hatte er einen trägen Epikureer geschaffen, so war dies was er würde akzeptieren.
"Gut"
, reagierte der Vater zuerst noch recht unbeeindruckt auf die Ankündigung Minors, ein Opfer an die Manen darbringen zu wollen, war dies doch schlichtweg derart alltäglich, dass ihm nicht einmal in den Sinn gelangte, sein Sohn hätte dies nicht in Erwägung ziehen können. Um so gewichtiger indes tönten die nachfolgenden Worte des jungen Gracchus ob seiner zukünftigen Absichten, was durchaus gereichte dem älteren die linke Braue empor zu heben, ehedem sein Mundwinkel dem folgte.
"Das ... freut mich zu hören, Minimus."
Die Einsicht seines Sohnes schien Gracchus vorrangig vor aller mahnenden Anklage oder Vorhaltungen, insbesondere da er ihn mehr als in der Lage sah seine Taten selbst zu reflektieren und Schlüsse daraus zu ziehen, ob dessen einzig seine eigene Schuld ihm erwähnenswert schien.
"Glei'hwohl ich dich um Verzeihung bitten möchte für das, was geschehen ist. Es ... war nicht rechtens von mir, diese Entscheidung von dir zu verlangen, und insbesondere die Art und Weise ... war schlichtweg von unbesonnener Torheit geprägt." -
"In der Tat"
, nickte der Pontifex zustimmend.
"Denn im Grunde ist ein Ritus stets ein Ritus, doch diesen vor den Angehörigen des eigenen Haushaltes auszu..führen oder aber vor halb Rom, inklusive allfällig den Augen des Imperator Augustus - dies bedarf durchaus ein wenig der Habituierung."
Obgleich Iulius Centho als Augur selbst bisweilen in größere Opferungen war involviert nahm Gracchus nicht an, dass er seine Tochter an diesen hatte beteiligt, war dies doch ein Privileg, welches den römischen Söhnen war vorbehalten.
"Ich werde der Verwaltung eine Notiz zukommen lassen, dort wird man prüfen, in welc'em der stadtrömischen Tempel sie derzeit am besten eingesetzt werden kann."*
Dass dies für die Tochter eines Senators und Auguren nicht irgendein unbedeutender Tempel am Rande der Stadt würde sein, verstand sich von selbst.Sim-Off: *Da wir ohnehin keinen Überschwang an kultischer Beteiligung haben, kann dies unter Berücksichtigung der SimOn-Gegebenheiten der nicht vorhandenen Ehe SimOff ihre eigene Entscheidung sein.
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Gracchus' Mundwinkel hob sich ein wenig bei den Worten seines Sohnes, zeigten sie doch, dass dieser augenscheinlich wieder bei Kräften war.
"Sciurus weiß für Erwerbungen jeglicher Art stets nicht nur einen adäquaten, sondern den besten Einkäufer zu bestimmen."
Er trat näher und zog sich selbst einen Stuhl heran, auf welchem er ungefragt Platz nahm - letztendlich war er immer noch der Herr des Hauses.
"Wie geht es dir, Minimus? Cosmas weiß zu beri'hten, dass seine Kur dir vorzüglich bekommen ist, doch letztendlich weiß wohl jeder in diesem Hause, dass er sich gerne selbst schmeichelt."
Im Grunde war der Medicus ein träger Benefiziant der Familie, welcher zumeist nur die Annehmlichkeiten dieses Lebens genoss. Doch Gracchus brachte es es nicht über sein Herz, ihn fortzuschicken, vermochte er doch auch nach all den Jahren noch immer seine Base Leontia in seinen Ohren zu vernehmen, welche den Medicus auf das höchste Maße lobte. Gleichwohl - wann immer dies vonnöten war, vermochte Cosmas durchaus sein Handwerk zur Zufriedenstellung auszuführen, und Gracchus hatte schon so manches Mal bedauert, von der Erkrankung eines Verwandten fern von Rom nicht rechtzeitig Kunde erhalten zu haben, um den Medicus dorthin zu entsenden. -
Der Flavius nickte, wenn er auch die Sorgen des Iulius nicht gänzlich konnte nachvollziehen.
"Nun, sie könnte sonstig auch in einem der anderen Kult beginnen, dem der Ceres, Diana oder Minerva allfällig, und nach ihrer Eheschließlung sich der Iuno zuwenden"
, wandte er ein.
"Indes, es spricht auch nichts dagegen, dass sie sich bereits jetzt dem Kult der Iuno widmet. Schli'htweg die Leitung oder Ausführung bedeutsamer Riten wird ihr ein wenig noch verwehrt bleiben, doch dies ist ohnehin etwas, das etwas Er..fahrung voraussetzt." -
b]"Bald neunzehn ..."[/b]
, überlegte der Flavier.
"Nun, dann wirst du sie zweifelsohne bald verheiraten, nicht wahr?"
Seine eigene Tochter hätte Gracchus spätestens mit sechzehn Jahren verheiratet, doch ihr Tod kam dem zuvor, gleichwohl galten in vielen patrizischen Familien durchaus noch immer ein wenig antiquierte Regeln diesbezüglich.
"In diesem Falle würde umso weniger gegen eine Aufnahme in den Kult spre'hen." -
Einen winzigen Augenblick lang hob sich Gracchus' linke Braue unmerklich, ehedem er bedächtig antwortete:
"Nun, die Matronenkulte sind zweifeslohne die bedeutsamsten, und die Hauptaufgaben dort liegen entspre'hend in Händen verheirateter Frauen. Eine obligate Voraussetzung ist die Ehe indes nicht, zumindest nicht generell für alle Kulte der Iuno."
Nach einer kurzen Pause fuhr der Flavier fort.
"Wie alt ist deine Tochter?" -
Ad Senator et Augur L. Iulius Centho
M' Flavius Gracchus Pontifex Senatori L. Iulio Centhoni s.p.d.
Gerne empfange ich dich ANTE DIEM X KAL FEB de meridie* in der Villa Flavia Felix, um über die kultische Zukunft deiner Tochter zu sprechen.
Mögen die Götter dir stets gewogen sein!
Sim-Off: *Um dies ob meiner knappen Verfügbarkeit nicht weiter zu verzögern, kannst du dich direkt in diesen Thread schreiben ohne Umweg über die Porta.
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Seit Tagen schon heizten die Sklaven der Villa Flavia mehr oder minder dauerhaft, so dass das Hypokaustum erfüllt war von warmer Luft, doch ob der trüben winterlichen Witterung hatte Gracchus dennoch beständig das Gefühl der Kälte nicht mehr entkommen zu können. Das ist der germanische Eiswind, der über die Alpes zieht! hatte ein Senator am Morgen noch gewettert - und beinahe mochte der Flavier dem Glauben schenken, denn aus Germania kam bekanntlich kaum Gutes. Das Geplauder nach der morgendlichen Senatssitzung hatte sich der Kälte entsprechend kurz gehalten, so dass Gracchus bereits seit einiger Zeit wieder zurück in seinem Heim war und sich mit diversen Schriftstücken die Zeit vertrieb bis dass es an der Türe klopfte und ein namenloser Sklave den an diesem Tage erwarteten Senator Iulius einließ.
"Iulius Centho, Salve! Bitte nimm Platz. Ein wenig warmer Würzwein allfällig?"
deutete Gracchus erst auf den Stuhl an seinem Tisch ihm gegenüber, sodann auf einen Becher, in welchen der namenlose Sklave sogleich aus einer Kanne den Wein goss.
"Die Zukunft deiner To'hter also führt dich zu mir?"
begann der Flavier als der Gast Platz genommen hatte sodann direkt in medias res zu gehen, war er doch noch nie ein Freund unverbindlicher Plauderei gewesen, zumindest nicht vor dem eigentlichen Anliegen eines Gespräches. -
Während noch im Gedanken an eine Umarmung der Mutter ihres Sohnes anfänglich ein schmales Lächeln sich um des Vaters Lippen legte, schwand dies bereits wieder mit den nächsten Worten Minors ob der Warnung aus dem Totenreiche. Gracchus' linke Braue wanderte minimal empor, während sein Kopf sich ein wenig weiter nach vorne beugte in Erwartung einer Erklärung, welche alsbald auch folgte. Stück um Stück verlor Minors Stimme an Klarheit je mehr er sprach, doch gleichsam wuchs diametral dazu auch die Bedeutsamkeit des Inhaltes. Schweigen folgte auf die gräuliche Drohung, währenddessen Gracchus suchte, diese Worte in einen rationalen Kontext zu setzen, sich schlussendlich wieder ein wenig zurück lehnte.
"Dein Leib ist geschwä'ht durch das Opium, und dies bedingt auch eine Fragilität deines Geistes. Was dir heute wie eine Offenbarung deiner Ahnen mag erscheinen, wirst du morgen allfällig als Chimäre der Kraftlosigkeit ent..larven."
Einen kurzen Augenblick nur drängte es Gracchus, den Traum seines Sohnes für seine eigenen Zwecke zu instrumentalisieren - gebot dieser doch eben dies, was er stets von ihm hatte erwartet. Doch gleichsam war Minor ein Sprößling flavisch-claudischen Blutes und darob gerade kein tumber Pöbel, der willfährig machtvollen Worten musste folgen, gleich ob sie dem Munde eines Herrschers, eines Toten oder eines Gottes entsprangen.
"Ich möchte darob, dass du keine voreiligen Schlüsse ziehst, Minor. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass der Geist deiner Mutter so zu dir gespro'hen hat, denn deine Mutter war eine weise Frau und über jeden Zweifel erhaben, gleichwohl ich den Inhalt dieser Worte nur billigen kann. Indes ..."
Eine kurze Pause folgte, ehedem er weiter sprach.
"Du hast deine Wahl zweifelsohne nicht leichtfertig getroffen und sie wohl überlegt. Ich möchte nicht, dass du blind..lings einer Eingebung folgst ohne sie in Frage zu stellen, dass du einem leeren Traume folgst, der alsbald sich als gegenstandslos mag herausstellen - gleich wie sehr dessen Inhalt meiner Überzeugung nahe kommt."
Spontanität gehörte nicht nur nicht zu den Charakterzügen des älteren Flaviers, er erachtete sie beinahe auch als einen Makel, widerstrebte sie doch analytischen, wohldurchdachten Entscheidungen, auf welchen er stets suchte sein Leben zu begründen.
"Darob ruhe dich weiter aus und lasse deinen Geist und deinen Leib wieder zu Kräften kommen. Dann, wenn du die Klarheit deines Verstandes wieder erlangt hast, wird es dir ein lei'htes sein zu konstatieren, ob dies nur ein Fiebertraum oder die Mahnung deiner Mutter war."
Wieder zögerte er einen Augenblick, ehedem er anfügte.
"Und ... gleich zu welcher Einsicht du gelangst, Minimus, ich ... werde dies nicht nur ak..zeptieren, ich werde dich auch unterstützen."
Gracchus wollte nicht noch einmal riskieren, seinen Sohn zu verlieren - gleich wie hoch der Preis mochte sein. -
Zweifelsohne war der ältere Gracchus kaum geneigt der Existenz der lemures, insbesondere der larvae der Verstorbenen zu widersprechen, gehörten doch insbesondere die torquierenden Exemplare jener Geisterwelt zu seiner alltäglichen Wahrnehmung - gleichwohl er jene Rezeption als außergewöhnliche Befähigung, respektive Fluch erachtete, so dass dem nicht zu solcherlei Befähigten zweifelsohne nur der Traum blieb, um sich der Verstorbenen bewusst zu werden - abgesehen von jenen spärlich gesäten Tagen des Jahres, an welchen etwa der mundus offen stand und die Grenzen zwischen den Reichen überaus fragil waren.
"Ich glaube dir, Minor. Unsere Träume sind dur'haus eine probate Sphäre der Götter und Lemuren, sich uns zu offenbaren"
, suchte er darob die Vehemenz des jüngeren Gracchus zu kalmieren. Einige Herzschläge lang zögerte er sodann, fürchtete er doch den Zorn Antonias Geiste, welchem diese in Minors Traum allfällig hatte Ausdruck verliehen, dass dies ihren Disput nur neuerlich mochte entfachen. Indes würde jener Vorwurf ohnehin kaum verschwiegen bleiben, so dass er schlussendlich fragte:
"Was ... hat deine Mutter dir gesagt?" -
Schwankend zwischen der Erleichterung, dass Minor wieder bei Sinnen war, und der weiteren Sorge um sein Wohlbefinden ließ Gracchus den Sklaven Patroklos gewähren, gleichwohl in tiefem Wissen, dass sein Sohn bei eben diesem stets in guten Händen war.
"Es ist schon fast wieder Abend"
, beantwortete der Sklave die Frage nach der Dauer des Schlafes seines Herrn, was Gracchus zu Bewusstsein brachte, dass er selbst jegliche Zeit hatte vergessen, dass ihm beinahe gewesen war als wäre sie in diesem Raume schlichtweg stehen geblieben. Leicht hob seine Braue sich empor als Minor mit einem Male überaus erregt von seinem Traum zu sprechen begann.
"Antonia?"
Ein wenig Irritation lag in seiner Stimme, geleitet von einem irrationalen Hauch Hoffnung, gleichsam drehte sein Blick sich durch den Raum, so als erwartete er tatsächlich die Claudia dort irgendwo im Schatten verharren zu sehen. Doch selbstredend war außer ihnen niemand anwesend, gleichwohl der Flavier das Gefühl hatte wenn überhaupt Antonia irgendwo in diesem Hause noch eine große Präsenz besaß, so in diesem Cubiculum. Beinahe ein wenig enttäuscht blickte er zurück zu Minor, ein trauriges Lächeln auf den Lippen.
"Es war nur ein Traum, Minor." -
Der ältere Gracchus schreckte mitnichten weniger auf als der jüngere, schlichtweg erschrocken durch die abrupte Bewegung seines Sohnes.
"Minimus!"
skandierte er erfreut, um im nächsten Augenblicke sich vorzubeugen und Minor in die Arme zu schließen, da es diesem doch augenscheinlich wieder soweit besser ging, dass er bereits sich aufrichten und artikulieren konnte.
"Endlich ... es ... es geht dir besser."
Am Zittern seiner eigenen Stimme und Emotionalität bemerkte Gracchus, dass er selbst in der zurückliegenden Nacht über die Wache an Minors Seite kaum Schlaf hatte gefunden - und wenn, so kaum erholsamen. Er entließ Minor aus seiner Umarmung und hob den linken Mundwinkel zu einem Lächeln. Patroklos derweil trat ebenfalls heran und tupfte seinem Schützling mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn.
"Domine, wie geht es dir?" -
Eine Weile, ein wenig mehr oder weniger, saß Gracchus nur stumm am Kopfende des Bettes, betrachtete in großer Sorge seinen Sohn, schloss für einen Moment die Augen, dachte an Antonia, verlor sich in der Vergangenheit ehedem die unwirtliche Gegenwart ihn wieder einholte. Mit Argusaugen verfolgte er Patroklos, der seinem Herrn mit einem feuchten Tuch die Stirn kühlte, sich hernach wieder zurückzog und der Raum in Stille zurückblieb bis dass Gracchus den Sklaven wieder hatte vergessen.
“Habe ich dir eigentlich jemals erzählt, welch immenses Glück es war als du auf die Welt ge..kommen bist?“
fragte er leise den noch immer unruhig schlafenden Minor.
“Wir hatten so lange auf dich gewartet. Deine Mutter und ich ... nun, wir hatten dur'haus unsere Schwierigkeiten, insbesondere zu Beginn unserer Ehe, doch selbstredend stand die Erfüllung unserer familiären Pflichten nicht in Frage. Jahre bemühten wir uns ohne Ergebnis und allmählich kam ich zur der Annahme, dass ich nicht fähig sei, ein Kind zu zeugen. Dann kam mein Aedilat und ... und mein Leben geriet aus allen Fugen. Herna'h das Darben, diese würdelose Untätigkeit, die Zähigkeit meines Geistes und die Unfähigkeit auch nur einen Gedanken in klare Worte zu fassen... Wochenlang, Monate zog sich dies hin ohne dass eine wirkliche Besserung in Aussicht stand. Damals hätte ich nicht einmal einen Dolch er..greifen und in mein Herz treiben können, doch wäre ich dazu in der Lage gewesen ... ich fürchtete die Aussicht, derart zu verkümmern, zu vegetieren und Antonia und meiner Familie als Last zu enden.“
Vieles hatte er vergessen in seinem Leben, doch diese Zeit hatte sich in sein Gedankengebäude eingemauert.
„Doch dann, an einem Tage im Sommer - ich weiß es noch als wäre es gestern gewesen - kam deine Mutter zu mir und beri'htete, dass sie ein Kind unter ihrem Herzen trug.“
Er sog für einen Augenblick die Unterlippe zwischen die Zähne.
“Oh, Minimus, ich habe geglaubt sie hätte die Last auf sich genommen und einen anderen Vater für mein Kind gefunden.“
Ohne dass er dies konnte verhindern, rannen einige Tropfen salzigen Wassers über seine Wangen hinab.
“Ich habe ihr solches Unrecht getan ... und doch, es besteht kein Zweifel, dass sie letztendlich all ihrer Pflicht wäre na'hgekommen zum Wohl unsere Ehe, selbst gegen ihr eigenes Wohl. Sie war so perfekt, deine Mutter, so ... wundervoll perfekt.“
Er presste die Lippen zusammen, verstummte einige Augenblicke bis dass alle Feuchtigkeit aus seinen Augenwinkeln war verbannt und strich Minor über den schwarzfarbenen Schopf, der so dunkel glänzend war wie das Haar seiner Mutter.
„Sie war nie schöner gewesen als in den Momenten nach deiner Geburt. Einer Göttin gleich strahlend lag sie in ihrem Bette, diesen winzigen Menschen auf ihrem Arm, welcher du einst warst. Und als die Amme dich auf dem Boden ablegte, dass ich dich an..nehmen konnte als meinen Sohn, da war es mir vollkommen gleich, wessen Kind du auch seiest, denn du warst Antonias Sohn, und ab dem nächsten Augenblicke mein Sohn.“
Noch eine unfolgsame Träne kullerte Gracchus über die Wange als er sich dieses Abends entsann.
“Doch alle Zweifel waren ohnehin unbegründet, denn du warst tatsä'hlich mein Sohn, Manius Flavius Gracchus Minor, mit jeder Faser deines kleinen Leibes, die perfekte Vereinigung aus flavischem und claudischem Blute.“
Ein Lächeln umschmeichelte nun die Lippen des Vaters.
“Du warst fortan der Antrieb mein Lebens, Minimus. Alle Zukunft, welche ich gestalten wollte, sollte nur um deinetwillen dergestalt sein. Vielleicht ... zweifelsohne war ich dir kein per..fekter Vater, zweifelsohne wusste ich nie recht viel mit einem Kinde umzugehen - weder mit dir, noch mit deinen Geschwistern -, und doch gilt all mein Streben, all meine Sorge ... am Ende dir, Minimus. Denn ohne dich ... was bringt meine Zukunft ohne die deine?“ -
"Minimus!"
drang Gracchus aus seinem Cubiculum eilend in den Raum hinein, in welchem das rege Aufkommen der Sklavenschaft noch immer nicht sich hatte zerstreut, auf seinem Antlitz bereits eine Spur von Tränen, welche über seinen Wangen rannen. Hingebettet wie auf eine Bahre lag Minor auf seinem Bette, regungslos und blass. Patroklos, der Leibsklave des jungen Flavius, sowie der Medicus Cosmas standen daneben, blickten auf als der Hausherr mit von Schrecken geweiteten Augen herantrat, sprachlos ob der Annahme Minors Todes.
"Es geht ihm den Umständen entsprechend."
"Er ist ... er lebt?!"
Aufgelöst trat Gracchus an das Bett seines Sohnes, voll zaudernder Hoffnung, streckte die Hand aus, wagte doch nicht ihn zu berühren.
"Sein Herz hat einige Augenblicke aufgehört zu schlagen, aber ja, er lebt." Ein Lächeln legte sich um Patroklos' Lippen. "Das Gift ist aus seinem Körper, aber er ist sehr schwach."
Sein Herz hatte aufgehört zu schlagen - die Worte drangen einem Sturme gleich durch Gracchus' Geist und hinterließen eine Spur der Verwüstung, und sein Leib zitterte dem Laub der Espe in jenem Sturme gleich. Neuerlich drangen Tränen über seine Wangen als er sich matt auf die Bettkante fallen ließ, Minors Schultern umfasste, sodann über seinen Schopf strich.
"Es tut mir leid, Minimus, es tut mir so leid! Bitte ver..zeih mir ... ich … ich werde dich zu nichts mehr drängen, keine Ent..scheidung, keine Politik, keine Familie ... was immer du willst, Minimus, doch bitte … bleibe hier."
"Er braucht Ruhe"
, forderte der Medicus in seiner knappe Art. Gracchus' Blick wandte sich empor, unfähig der Unbotmäßigkeit des Medicus zu begegnen, dass er nur gequält nickte.
"Ich ... werde ihn nicht stören. Aber ich werde bleiben."
Er lehnte sich zurück an das Kopfende des Bettes, wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem schlafenden Minor zu, während die Sklavenschaft allmählich sich anschickte, die Szenerie zu verlassen. Nur Patroklos verblieb noch im Raum seines Herrn, wachte auf einem Stuhl am Fußende des Bettes über seinen Schützling - und allfällig auch über dessen Vater. -
Abrupt wurden die Gedanken des Flaviers unterbrochen als an der Türe ein heftiges Klopfen zu vernehmen war und ohne abzuwarten ein Sklave regelrecht in den Raum hineinpolterte. In Sciurus' Augen blitze bereits die Androhung schwerer Strafe ob dies ungebührlichen Verhaltens auf, doch noch ehe er mit scharfen Worten den Namenlosen konnte zurechtweisen stammelte dieser gänzlich außer Atem: "Dein Sohn, Herr, dein Sohn ist tot!"
"Bitte?"
fragte Gracchus derangiert nach, glaube er doch irrtümlich vernommen zu haben sein Sohn wäre tot.
"Der junge Herr Minor! Sein Herz schlägt nicht mehr ... er ... es war das Opium! Patroklos sagt er hat zu viel auf einmal eingenommen!"
"Opium?"
repetierte der Flavier während alle Farbe aus seinem Antlitz wich und er mit einem Male realisierte, dass sein Sohn das Leben sich hatte genommen - just nach ihrem letzten Gespräch über Tod und Selbstmord, über Fluch und Familie, nach ihrem Disput, ihrem Zank und seinem Ingrimm - und er sprang von seinem Stuhle auf, schob Sciurus achtlos beiseite und hastete aus dem Raum. -
Eine geraume Weile noch blickte Gracchus auf den Tropfen Blut, welcher von einem rotfarbenen See des Lebens sich wandelte in eine spröde, braunfarbene Ödnis des Verendens, ließ die Vertigo über sich ergehen bis dass sein Leib sich wieder beruhigte und mit ihm sukzessive auch sein Geist erkaltete, bis dass sein Augenmerk wieder abgelenkt wurde von jener Klinge, welche auf dem Tisch war verblieben. Die verräterische Kobra schien ihn zu locken, ihre rubinenen Augen blitzen verführerisch als seine Hand sich um das Heft legte und er sinnierend das blanke Metall betrachtete. Ein Stich nur und die kalte Klinge würde die hitzige Wut in seinem Herzen verstummen lassen, ein Stich nur und er würde seine Familie vor dem Fluch seines Lebens schützen, ein Stich nur und alles wäre vorbei. Zumindest vorerst.
"Herr?" unterbrach ihn die traute Stimme seines Vilicus, welcher unbemerkt in den Raum war getreten - allfällig schon einige Augenblicke hinter ihm hatte gestanden.
Der Flavier legte die Klinge zurück in das ebenhölzerne Kästchen und wies mit fahriger Handbewegung auf den Dolch, welcher noch immer am Boden lag.
"Wie ist es nur so weit gekommen, Sciurus?"
Fragend hob er die Schultern und ließ sie wieder fallen.
"Gleich worüber wir spre'hen, gleich wie erhaben, erbaulich oder ernsthaft die Causa ist - am Ende verfallen wir stets in einen zänkischen Disput, werfen uns Beleidigungen an den Kopf, fahren uns an in einer Vehemenz als ent..stammten wir nicht einer der ältesten, noblen Familien Roms sondern einem groben Barbarenstamme aus den Norden!"
Gracchus' Stirn legte sich in Falten während er fragend sich zu seinem Leibsklaven umwandte.
"Ich habe immer geglaubt wenn Minor erst alt genug ist, wenn sein Horizont geweitet ist durch die Studien, dann werden wir endlich mehr Ge..meinsamkeiten finden, werden über Philosophie und Kunst parlieren, politische Pläne schmieden, die Familie zu neuem Glanze führen. Doch worüber auch immer wir beginnen zu sprechen, unsere Ansichten sind diskrepant und disparat - und selbst dann wenn sie es augenscheinlich nicht sind - allfällig sogar gerade dann -, verfallen wir in ein Gefe'ht, verfalle ich in eine Rage als wäre mein eigener Sohn mein größter Feind, welchen es einzig zu bezwingen gilt."
Der Sklave bückte sich nach dem Dolch am Boden und legte ihn auf den Schreibtisch zurück, während sein Herr weiter sprach.
"Er provoziert einen Furor in mir, einen solchen Ingrimm … es wiederholt sich alles, Sciurus, dabei hatte ich stets ge..glaubt - gehofft -, dass wir anders sein könnten, Vater und Sohn wie … wie Felix und sein Söhne, wie Aristides und Serenus … doch es wiederholt sich alles und ... eines Tages wird einer von uns in diesem Feuer verbrennen."
Mit einem tiefen Seufzen legte Gracchus auch den zweiten Dolch in die Schatulle zurück und schloss den Deckel. -
Heftig schnaufte Gracchus in Erwartung einer Replik seines Sohnes bis dass dieser seine unerwartete Reaktion zeigte, wiewohl zweifelsohne jede Reaktion kaum zu erwarten war, schlussendlich dies heftige Gebaren aus der Kehle des älteren Flaviers ein tiefes Lachen provozierte.
"Ja! Versuche nur vor dieser Entscheidung zu fliehen, versage dich deiner Ver..antwortung und suggeriere dir selbst, dass dies nicht in deinem Interesse liegt! Doch eben diese Entscheidungen sind es, welche dein Leben lang dir na'hhängen werden! Heute noch magst du dir glauben machen, dass du nichts hättest entschieden, doch in ein, zwei Jahren, dann wenn ich dein Leben ruiniert, deinen Bruder auf dem Ge..wissen oder ganz Rom in die nächste Misere gestürzt habe, dann wirst du beginnen zu zweifeln und zu zaudern, wirst dich fragen müssen, ob du nicht hier und heute dem hättest ein Ende setzen können, ob nicht all dies nur deshalb konnte ge..schehen, da du zu feige warst im richtigen Augenblicke die rechte Entscheidung zu treffen!"
Längst war nicht mehr intelligibel, ob der Flavier noch mit seinem Sohn stritt oder längst mit sich selbst, beinahe schien kein Unterschied mehr zu sein zwischen ihnen, dass er, das Antlitz in Hohn verzerrt den Mund öffnete, eine weitere Salve gegen sich selbst zu entlassen als plötzlich die Welt um ihn herum still stand. Einem dickflüssigen Tropfen Weine gleich hatte ein Quantum Blut an der Spitze Minors Zeigefinger sich angesammelt und schickte nun sich an, der Gravitation folge zu leisten und dem Zentrum der Welt hinzustreben. Wie die Motte vom Lichte wurde Gracchus' Blick angezogen durch den dunklen, rotfarbenen Schimmer, folgte hypnotisiert dem aus dem Leben sich verabschiedenden Lebenssafte hinab zur Tischplatte, wo der Tropfen aufschlug mit unhörbarem Paukenschlag, die Welt des Staubes um ihn her zum Erzittern brachte und in einen kleinen See schlussendlich sich bettete und beruhigte. Sein Blut. Sein eigen Fleisch und Blut. Die Worte waren in Gracchus' Halse stecken geblieben, und obgleich der Zorn noch immer irgendwo in ihm schwelte, so wusste er nicht mehr, was es gewesen war, das er hatte sagen wollen, denn um die Ränder seines Blickfeldes zog ein Schleier von Schattigkeit auf, welcher auch seinen Geist vernebelte. Gebannt fixierte er das Blut auf seinem Tisch, fühlte das heftige Schlagen seines Herzes gleich der aufkommenden Kraftlosigkeit in seinen Beinen, konnte nicht sich abwenden von dem Blut auf seinem Tisch, verlor allmählich die Kontrolle über seinen Leib, wurde beherrscht von dem Blut auf seinem Tisch. Zweifelsohne mochte es nun ihm zum Vorteil gereichen, dass seine Heftigkeit zuvor nicht hatte ausgereicht, den Stuhl hinter sich umzuwerfen, denn so stand dieser nun fest und in all seiner Funktion bereit, seinen matten Leib in sich aufzunehmen.
"Geh ... und lasse deine ... Wunde versorgen"
, wies er Minor mit matter Stimme an, im Kampf gegen das blümerante Gefühl, welche ihn stets im Anblick des Blutes überkam, gegen welches er auch nach all den Jahren nicht gefeit war, den Blick noch immer auf den rotfarbenen Flecken auf der Tischplatte gebannt. -
'Womöglich hättest du dich daran erinnern sollen, welcher Familie primär du verpflichtet bist.'
Die Stirn des älteren Gracchen legte sich in Falten als er irritiert seinen Blick hob, denn obgleich eine Anklage allfällig durchaus gerechtfertigt war, so schien explizit diese doch keinen Sinn ihm zu ergeben, gab es doch stets nur einige einzige Familie - die seine -, welcher er allen Widrigkeiten zum Trotzte stets zur Gänze ergeben war.
'Womöglich hättest du bei jenen 'besten Entscheidungen für diese Familie' bei dir selbst beginnen und dir nicht jene Natter ins Haus holen sollen, welche dich augenscheinlich dergestalt okkupiert, dass du nicht einmal mehr das Leiden deiner eigenen Tochter zu bemerken imstande bist!'
Auch dieser Vorwurf ergab nicht in seiner Gänze einen Sinn, wiewohl Gracchus nicht sogleich die Natter konnte zuordnen, einige Augenblicke benötigte, um Prisca darin zu erkennen, woraufhin seine Braue empor wanderte und ein Anflug von Zorn sich auf seinem Antlitz zeigte.
'Womöglich hättest du dein eigenes Wohl nicht mit dem der gesamten Familie inklusive deiner eigenen Kinder verwechseln sollen!'
In Unsicherheit kniff Gracchus seine Augen zusammen, uneins in seinem Sentiment, ob dies nun Gram oder Indignation war, Einräumung oder Verwahrung der Vorwürfe, welche den seinen zwar komparabel waren, gleichwohl auf ihre Art und Weise invers, letztendlich ein Affront, welchen er aus dem Gekeife der Larven, die ihn umgaben, allfällig mochte gewohnt sein, aus dem Munde seines Sohnes indes nicht konnte tolerieren.
"So?"
Setzte der flavische Vater aus der Defensive an.
"Und hinsi'htlich welcher Entscheidungen hätte ich dies tun sollen? Etwa in dem Augenblicke als ich meine Integrität opferte, um meinen Kindern eine Zukunft unter einem indifferenten Schatten und seinem tyrannischen Despoten zu ersparen?"
Mit jedem Worte richtete Gracchus‘ Körper sich wieder ein wenig mehr auf, kehrte Dynamik und Rage in seinen Leib zurück.
"Oder allfällig in jenem Augenblicke, da ich aberwitzig mein Leben riskierte in der bloßen Hoffnung den Bürgerkrieg auf schnellere Art und Weise beenden zu können als dabei zuzusehen wie die Si'herheit, das Heim und die Lebensgrundlage meiner Familie zerstört wird?"
Der flavische Ingrimm war es nun, der in ihm empor kroch, inwendiger Zorn allfällig auch darüber, dass all diese Entscheidungen letztendlich auf die ein oder andere Art zu Scheitern hatten geführt.
"Oder aber als ich neuerli'h die Last einer Ehe auf mich nahm, um die Wahrheit, welche diese Familie - mich, dich und deinen Bruder - innerhalb kürzester Dauer diskreditieren und zu Fall würde bringen, um diese Wahrheit durch mehr zu binden als durch bloße Worte?"
Gracchus‘ Hände hatten sich auf der Tischplatte abgestützt und gaben seinem Oberkörper den notwendigen Halt, welcher sich mehr und mehr in Richtung seines Sohnes beugte, während seine Stimme bereits den Zenit eines manierlichen Disputes hatte überschritten.
"Glaubst du etwa, ich hätte dies freiwillig noch einmal auf mich genommen!?"
Immer mehr steigerte die Lautstärke seiner Stimme sich, gleich dem Zorne auf seinem Antlitz, während seine Finger sich schon beinahe in die Tischplatte krallten.
"Meinem eigenen Wohle zuträgli'h würde ich längst in Hephaistions Armen auf meinem Land vor Athenae unter einem Olivenbaum sitzen und den Reichtum meiner Familie ver..prassen! Stattdessen sitze ich hier, lasse mich von den Lemuren meiner Angehörigen in den Wahnsinn treiben, flüchte vor den edelsten Männern dieses Reichen von einer in die nächste Lüge, habe ich Hephaistion schon seit Monaten nicht mehr zu Gesichte bekommen, lasse mich stattdessen be..drängen von einer Gemahlin, die schlichtweg verlangt, was einer Ehefrau zusteht, und entrüste mich über meinen Sohn, der diese Zukunft nicht einmal annehmen will, für welche ich all dies auf mich nehme!"
Ruckartig stand er auf, dass der Stuhl hinter ihm beinahe umkippte, und schnaufte wütende durch die Nase, griff nach einem der Dolche und hielt ihn Minor vorwurfsvoll entgegen.
"Ich bin dessen so überdrüssig, dass es ein leichtes wäre mein Leiden ebenfalls schli'htweg durch eine Klinge zu beenden! Also sage mir, Manius Flavius Gracchus Minor, ist dies die beste Entscheidung gegen das meine und für das Wohl der Familie!?" -
"Angetan?"
repetierte Gracchus Maior erst ein wenig irritiert, klang dies in seinen Ohren doch beinahe als hätte er höchstselbst den Dolch geführt, so das er sich aufrichtete und vehement widersprach.
"Ni'hts, ich habe ihr nichts angetan! Sie ist ... sie war meine Tochter, und obgleich ich sie womögli'h nicht im selben Maße gefördert und ... geliebt habe wie dich, so habe ich doch stets versucht, die beste Entscheidung für sie zu treffen, wie ich stets versuche, die besten Ent...scheidungen für diese Familie zu treffen."
Bisweilen mochte dies mit den Wünschen und Sehnsüchten ihrer Mitglieder konfligieren, doch letztendlich lebte der Mensch - zumindest der flavische - nicht in einen ihm umflorenden Kosmos, sondern einem komplexen Verbund aus Pflicht und Ehre, aus Vorzug und Obliegenheit gleichermaßen.
"Indes war dies ihr augenscheinlich nicht genügend, war das Leben als Flavia ihr nicht genügend..."
Ein Seufzen echappierte Gracchus' Kehle, und mit ihm auch die Echauffierung über die vermeintliche Anklage, dass seine Schultern wieder herabsanken.
"Similär war dies auch in Minervinas Falle ..."
In facto war Minervinas Trotz noch ein wenig stärker gewesen, befeuert durch eine augenscheinliche Liebe zu einem plebejischen Soldaden, doch letztendlich hatte auch sie schlichtweg dem flavischen Leben sich entzogen, welches ihr Bruder für sie hatte eingefordert. Ein kleines Knötchen in dem flachsenen Docht einer der Öllampen ließ die Flamme darauf für einen marginalen Augenblick zischen und flackern, gleichwohl dies subtile Ereignis ausreichte, dem älteren Flavier einen Moment des Erkennens zu gewähren - denn hatte nicht auch Minor sich dem Tode - dem gesellschaftlichen, wie familiären Tode - hingeben wollen, zur besten Entscheidung gedrängt? Saß er nur deswegen noch hier, da Gracchus ihm den weiteren Weg durch den Cursus Honorum schlussendlich hatte freigestellt? Als würde er aus einem Traume erwachen musterte der ältere den jüngeren Flavius, suchte in seinem Antlitz eine Antwort, studierte die Linien und Konturen als wäre dies Gegenüber sein Spiegel.
"Ich ... habe stets versu'ht nur die besten Entscheidungen für diese Familie zu treffen ..."
Langsam schüttelte er den Kopf, seine Aufmerksamkeit allmählich aus der Gegenwart hinfortfortdriftend, sein Blick durch die hölzerne Tischplatte hindurch in die Ferne gerichtet, ein kalter Schauer sein Rückgrat hinabfahrend, eine Faust sein Herz umschließend.
Seine Entscheidung.
Nicht ein Fluch die flavischen Töchter betreffend.
Seine Entscheidung.
Nicht irgendein Fluch.
Seine Entscheidung.
Sein Fluch.
Mörder!
Noch ein wenig mehr sank der Vater in sich zusammen als er realisierte, dass es kein Entrinnen gab. So sehr hatte er sich an die Hoffnung geklammert, dies aus der Welt räumen zu können, diese Reihe von Ereignissen einer anderen Ursache zuschreiben zu können als sich selbst. So sehr hatte er der grundlosen Hoffnung sich hingegeben, dies Verhängnis endlich hinter sich gelassen zu haben, diesen Makel von sich gestreift, dieser Verdammnis entronnen zu sein. Doch mit welchem Anrecht, durch welche Kompensation? Minor hatte Recht, er war das Bindeglied zwischen all dem Tode. Immer gewesen. Immer noch. Und immer wieder.
"Allfällig ... habe ich ihr dies angetan..."
, flüsterte er leise.
Mörder.
Ihr, und all den anderen vor ihr.