Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Mit einem Male schien der Geist des jüngeren Gracchen in rege Betriebsamkeit zu verfallen, da eine Frage nach der anderen seinem Munde entfleuchte, welche den älteren Gracchen indes ein wenig in Not brachten.
    "Im Sommer letzten Jahres ist sie nach Lavinium abgereist, augenscheinli'h der Hitze der Stadt zu entkommen - doch ... letztlich war dies wohl nur ein Vorwand. Im Herbst traf ein Bote ein, die Urne bereits mit sich bringend. Ich ... habe Sciurus dorthin entsandt. Es gab ... keinen Zweifel an ihrer Tat."
    Gracchus wusste, dass er sich auf seinen Leibsklaven verlassen konnte. Hätte auch nur der geringste Verdacht bestanden, dass etwas nicht mit rechten Dingen sich hatte zugetragen, so hätte Sciurus dies zweifelsohne ermittelt.
    "Er hat ... zudem für alles weitere Sorge getragen."
    Einige Sklaven des Landgutes hatte der Vilicus mit sich genommen, doch sie waren nicht in Rom angelangt. Gracchus wollte nicht wissen, was aus ihnen geworden war, es reichte ihm vollkommen aus, dass Sciurus wusste, was er tat. Der Vater blickte seinen Sohn durchdringend an.
    "Ich möchte nicht, dass dies publik wird, Minor. Hätte sie ihre Ehre verteidigt, hätte sie ein Opfer gebra'ht für Rom oder ihre Familie, wäre sie ergraut und verwelkt gewesen oder krank und leidend ..."
    Er schüttelte leicht den Kopf und sog die Unterlippe für einen Augenblick zwischen seine Zähne, ehedem er langsam weiter sprach, gegen den inneren Drang ankämpfend dies schlichtweg unter dem schweren Mantel der Lüge weiterhin zu verbergen. Doch Minor war sein Sohn, sein Fleisch und Blut, sein Erbe, sein Nachkomme, der diesen Fluch und alle Geheimnisse dieser Familie mit sich würde tragen müssen.
    "Sie ... gab mir die Schuld an all ihrem Kummer. Meinetwegen hat sie sich das Leben genommen."

    Der Blick des älteren Gracchus wanderte wieder hinab zu den beiden Klingen, gefolgt von einem kraftlosen Nicken.
    "Ebenfalls ... erdol'ht"
    , reichten die Worte ihm nicht einmal mehr zu einem vollständigen Satz. Ihn von der Last ihrer Existenz befreien, dies waren Flammas Worte gewesen, und gleichwohl er ihr tatsächlich zu Lebzeiten wenig Aufmerksamkeit hatte geschenkt, so hatten diese Worte, gefolgt von ihrer Tat ihn doch tief getroffen.
    "Sie ... haben den Dolch mit ihrem Leichnam ver..brannt."
    Zweifelsohne wäre er sonstig Teil dieser traurigen Sammlung geworden, welche sich zwischen Vater und Sohn ausbreitete, einem Mahnmal gleich.
    "Es ist nichts von ihr zurückgekehrt ... außer einer Urne. Sie steht ... neben jener deiner Mutter."
    Dies war Flammas letzer Wunsch gewesen und selbstredend war Gracchus diesem nachgekommen - gab es doch schon zu viele Larven, welche an seiner Haut zerrten.

    Mit großen Augen blickte sein Sohn ihn an, beinahe vermeinte der Vater einen Anflug von Flehen darin zu erblicken, welchem er doch keine Hoffnung konnte einräumen.
    "Flamma ... hat sich ebenfalls selbst das Leben genommen ... ehedem es noch recht einen Beginn konnte finden..."
    Einige Augenblicke vermochte er nicht weiter den Blick zu halten, senkte ihn hinab auf die im goldfarbenen Lichte der Flammen schimmernden Klingen.
    "Ich ... ich habe zweifelsohne versäumt, die ihr zustehende Aufmerksamkeit ihr zu..kommen zu lassen, doch ..."
    Nun blickte er wieder auf.
    "Doch dies drastische Handeln ..."
    Er schüttelte den Kopf.
    "Es ist ein Fluch, Minor, ein Flu'h, der in unserem Blute gebunden ist. Für mich ist es zu spät, doch für deine Töchter, für Titus' Töchter soll dies nicht ihr Schicksal sein."

    Die blutrotfarbenen Schlangen des Verrates umkrochen Gracchus' Leib, dass er alsbald umwunden war von seinem eigenen Schrecken, den Mund leicht öffnete, um besser atmen zu können, den Blick weiterhin gesenkt in eine unendliche Leere unermesslichen Grauens. Jeden Augenblick in dem aufkommenden Disput erwartete er die offene Anklage, ein gerechtes Urteil, die Wahrheit - doch die Lüge kämpfte unermüdlich einem Giganten gleich, blendete wohlmeinende Männer heller als die Sonne es je vermochte, vernichtete jeden Zweifel durch die Illusion der Unschuld. Deutliche Worte wurden gesprochen und doch nicht gehört, und sobald das zarte Pflänzchen der Wahrheit sich dem Lichte entgegen zu recken versuchte kamen schwere Stiefel es herniederzutreten, zurückzuwängen in den dunklen Matsch der alles umfassenden Lüge. Und doch, allmählich beschlich Gracchus das Gefühl, dass die Posse seines eigenen Lebens längst viel größer war als er selbst, dass die schöne Fallacia längst in allen Gemächern Roms schlief. Nichts war noch verborgen, sie alle kannten die Wahrheit, ahnten die Wahrheit. Jeder auf seine Weise. Und gleichwohl waren sie alle miteinander verwoben, so dass letztendlich jeder von ihnen am selben seidenen Faden hing, an welchem das gesamte Konstrukt Roms baumelte, das zu durchtrennen sie alle, ganz Rom würde in die Tiefe reißen. Schweigen folgte auf die Worte des Imperators und nur jener wagte schlussendlich dies wieder zu durchbrechen. Gracchus atmete unmerklich auf, denn die Wahrheit blieb weiterhin unter dem Deckmantel der Lüge verborgen.

    Als Minor den Raum betrat legte Gracchus ein Lineal beiseite und blickte auf.
    "In der Tat, Minimus, bitte nimm Platz."
    Er deutete auf einen der beiden Stühle, welche seinem eigenen auf der gegenüberliegenden Seite des massiven Schreibtisches waren platziert, rollte die Schrift zusammen und legte sie zu dem Lineal an den Rand der Tischplatte. Sodann erhob er sich und trat durch den Raum zu einem der Regale, aus welchem er eine längliche Schatulle aus dunklem Ebenholz nahm, deren Deckel geziert wurde von feinen, floralen Schnitzereien. Zurück an seinem Schreibtisch nahm er wieder Platz und stellte das Kästchen zwischen seinen Sohn und sich selbst, die Scharniere des Deckels zu Minor weisend.
    "Was ich dir heute offenbare muss in diesem Raume ver..bleiben, zwischen dir und mir. Nicht einmal deine Onkel, geschweige denn deine Vettern kennen zuweilen die gesamte Last, welche auf unserer Familie liegt."
    Ein Augenblick verrann in Schweigen während Gracchus seine Unterlippe zwischen die Zähne sog und langsam wieder daraus hervorließ, sodann atmete er tief durch die Nase ein, ehedem er den Deckel aufklappte und aus dem Kästchen einen Gegenstand hervorholte, welchen er sodann auf den Tisch legte: ein zierlicher Dolch, mit langer, schmaler Klinge, schimmernd im Lichte des Feuers, der Griff aus glattem, rotfarbenen Kirschholz.
    "Deine Großmutter, meine Mutter, ist ... keines natürlichen Todes gestorben"
    , begann er sodann unumwunden, fürchtete er doch die Wahrheit nicht mehr aussprechen zu können wenn er zu lange zögerte.
    "Mit diesem Dolch ... hat sie sich einst ihr Leben genommen. Nicht um einen ehrenhaften Tod zu finden, nicht um sich und ihrer Familie eine Schande zu er..sparen oder aus großer Not heraus. Nein, es war schlichtweg aus Gram. Aus Gram darüber, dass mein Vater, den sie augenscheinlich sehr liebte, verstorben war, und sie nach geraumer Weile schlichtweg keinen Sinn mehr darin sah ohne ihn zu leben."
    Noch immer zürnte ein Teil Gracchus‘ seiner Mutter ob dieser absurden, irrationalen Tat, mit welcher sie aller Pflichten und Verantwortungen gegenüber ihrer Familie, und insbesondere ihrer jüngeren Kinder sich hatte entzogen - und ein wenig wohl auch deshalb, da ihre Begründung einen Teil der Schuld letztlich auch auf seine eigenen Schultern lud. Mit einem leisen Seufzen griff er noch einmal in die Schatulle, nahm eine weitere Klinge daraus hervor: einen ägyptischen, geschlängelten Dolch, das Griffende den Kopf einer Kobra formend, die Augen zwei kleine Rubine.
    "Minervina, meine Schwester ... Auch sie erlag keinem natürlichen Tode"
    , fuhr er tonlos fort.
    "Auch sie wählte den Freitod durch die Klinge aus Gram über ihr Schicksal, aus Gram über den Weg, der ihr verwehrt und jenen, welchen zu gehen ihre Pfli'ht war."
    Dass er selbst ihr diesen Weg hatte verwehrt und ihre Pflicht auf das Schärfste hatte eingefordert, mochte Gracchus nicht weiter vertiefen, stattdessen die Aufmerksamkeit von der Vergangenheit hin auf die Gegenwart lenken.
    "Auf den Töchtern unserer Familie liegt ein Fluch, Minor, der Fluch ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen, aus Gründen, welche viel zu gering sind für solch eine Tat, aus Gram und Kummer. Allfällig war meine Mutter nicht einmal die erste dieser Reihe - doch solche Wahrheiten werden selbst in unserer Familie bisweilen ver..schwiegen, und sie wiederholen sich darob, ... wieder und wieder, von einer ... zur nä'hsten Generation."
    Er fixierte Minors Blick, welcher ihm ein wenig stumpf erschien, wiewohl er dies der Fehlsichtigkeit seines Sohnes zuschrieb.
    "Deine Schwester … Flamma … auch sie ist keines natürli'hen Todes gestorben, Minimus."

    Die Dunkelheit herbstlicher Abende hatte Rom bereits fest im Griff, überzog die Straßen und Gassen mit undurchschaubaren Ecken und Schatten, tauchte nur die Eingänge belebter Einkaufsstraßen, frequentierter Tabernae und Garküchen oder herrschaftlicher Häuser in das Licht goldgelbfarbener Fackeln. Die familiäre Cena im Hause Flavia war bereits beinahe beendet, gleichwohl hatte der Hausherr nicht daran partizipiert, denn Gracchus war durch eine diffizile kultische Angelegenheit in der Regia aufgehalten worden und darob ein wenig zu spät nach Hause gekommen. Selbstredend war dies kein zwingender Grund, der Cena fernzubleiben, doch als er das Atrium hatte betreten schallte aus dem kleinen Triclinium gerade ein helles Lachen hinaus, welches ihn veranlasste, der Familie bei diesem Essen nicht beizuwohnen, kreisten seine Gedanken doch bereits beinahe den gesamten Tag um jenes Gespräch, welches vor ihm lag. Er hatte sich in sein Officum zurück gezogen, dorthin ein wenig Fleisch und Brot angewiesen und sich nach wenigen lustlosen Bissen in das Studium einiger Schriften vertieft, welche er aus den kultischen Archiven hatte ausgeborgt. Ein Sklave war zudem angewiesen, Manius Minor während des Nachtisches davon zu unterrichten, dass sein Vater nach dem Essen ihn zu einem Gespräch erwartete.

    Mit einem schmalen Lächeln quittierte Gracchus die Worte der Veturia bezüglich seiner Gemahlin, um seinen Blick sodann auch zu dieser zu wenden, ein unmerkliches Nicken folgen zu lassen. Die Augusta, welche regelmäßig die flavische Villa frequentierte, oder aber Prisca, welche wiederkehrend in den Palast geladen wurde - dies war durchaus eine Vorstellung, welche sich gut in das Bild flavischen Anspruches mochte einpassen. Die nachfolgenden Worte indes waren dem Flavier beinahe schon ein wenig unangenehm, denn seine eigene Person in ein solches Licht rücken zu lassen schien ihm stets erstaunlich überhöht, insbesondere da der Intonation der Augusta augenscheinlich keine lobhudelnde Intention inne lag - was ihm um so mehr erschwerte, darauf in angemessener Weise zu reagieren ohne selbst in manieriertes Gebaren sich zu flüchten.
    "Diese Ansicht ehrt mich sehr und ich danke dir für deine Worte"
    , quittierte er letztlich, um sich nach einem hastigen Schluck Wein auf ein weitaus sichereres Terrain - fernab seiner eigenen Person - zu flüchten.
    "Darf ich fragen, welche Pläne du selbst für die Zukunft im Sinne hast, werte Augusta? Als Gemahlin des Princeps hast du schlussendli'h ebenfalls Einfluss auf die Geschicke Roms."
    Obgleich Politik vordergründig keine Angelegenheit der Frauen war, so würde doch zweifelsohne jeder verheiratete Mann bestätigen müssen, dass seine Gemahlin mehr oder minder ihn beeinflusste in seinen Überlegungen, Entscheidungen oder gar Handlungen.

    Letztendlich war nichts anderes zu erwarten als die Aufnahme des jungen Gracchen, dennoch entfleuchte dem Älteren ein leises Seufzen als dies bestätigt war, denn schlussendlich barg dies für ihn selbst im gleichen Atemzuge die Freiheit aus soldalischer Verpflichtung gegenüber dem kriegerischen Aspekte des Mars, welchen er doch nie sonderlich passend hatte repräsentieren können. Gleichsam lag diesem Abschied einen Tropfen Wehmut inne, durchtränkt von Erinnerung an angenehme Zeiten, an Caius' prächtiges Abbild in salischer Rüstung, an die Augenblicke der Freiheit evoziert aus gänzlicher Vergessenheit im andauernden Ritus, an angenehme Mähler und Runden in kongenialer Gesellschaft des alten Adel Roms.
    "Auch ich möchte euch danken für das Vertrauen, welches ihr meinem Sohn entgegen bringt, gibt mir dies doch die Gewissheit, dass mein Platz durch einen angemessenen Na'hfolger ausgefüllt wird."

    Weder sah der Flavier den Blick des Augustus nach dessen Eröffnungsrede, noch sonstige Blicke, welche ob der brisanten Thematik im Senat wurden gewechselt, denn sein eigener Blick klebte auf dem Boden der Curia, klebte in den Ritzen, in welchen einst Caesars Blut geronnen war. Durch das halbe Reich hatte man dessen Mörder verfolgt, Armeen in Bewegung versetzt, tausende Meilen über Land und See, bis dass der letzte von ihnen sein Leben hatte ausgehaucht. Die Mörder des Valerianus saßen noch immer in der Curia, inmitten ihres Verrates, inmitten der Fronten, welche sie hatten geschaffen, und welche nicht wieder sollten aufgebrochen werden.
    Mörder!
    In den Ritzen floss das Blut des ersten Kaisers Roms, Tropfen um Tropfen sammelte es sich zu dicken Wülsten, wand und krümmte, fassonierte sich zu rotfarbenen Schlangen, welche zischend und züngelnd nur ein Ziel kannten: den Verräter. Rotfarben glühend ihre Augen, Gift und Galle speiend, seinen Namen wispernd und um seine Füße sich schlängelnd, dass kein Zweifel mehr bestand, was ihr Begehr war. Unsicher hob Gracchus seinen Blick, doch niemand schien die Chimären zu sehen, niemand sprach über Verrat und nannte seinen Namen. Niemand. Die Wahrheit war irgendwo dort draußen. Doch niemand wollte sie hören. Die Wahrheit war ein Privileg der Toten.

    Der Pontifex pro magistro war der Diskussion nicht gerade ohne Aufmerksam gefolgt, doch überaus in sich gekehrt und schweigsam. Von Außen betrachtet mochte dies indes nicht weiter auffallen, da zweifelsohne für die meisten Senatoren es durchaus plausibel mochte erscheinen, dass der Pontifex maximus eine solche Divinisierung mit dem Collegium oder dem pro magistro hatte erörtert, so dass letzterer schlichtweg nichts neues dazu hatte beizutragen. Dass Flavius Gracchus diesem Anliegen aus persönlichen Gründen nur schwer mochte zustimmen, war indes kaum zu vermuten, insbesondere da er sich öffentlich selten negativ über Valerianus hatte geäußert und die Ansichten der Konspiranten schlussendlich nicht publik geworden waren - abgesehen von jenen, welche dafür ihr Leben hatten gelassen. Als die Diskussion indes in sakrale Details abglitt sah der Flavier in seiner Funktion als Pontifex sich genötigt, seinen Beitrag zu leisten.
    "Bezüglich der Asche des Valerianus' stimme ich Senator Iulius zu, diese sollte in einem eigenen Grabmal ver..wahrt werden, allfällig an der Seite der Asche seines Vaters, des göttlichen Divus Iulianus. Ein eigenes Flaminat explizit für Valerinus sehe ich indes nicht vonnöten, doch sollte unter den Senatoren hierzu Unsi'herheiten vorherrschen, so kann dies im zweifelsfalle durch Konsultation göttlicher Zeichen verifiziert werden."*
    Was im Grunde gleichbedeutend war mit der Illusion eines Zeichens, welches die Pontifices im Sinne des Imperators vorbereiteten und ausführten.


    [Sim-Off]*In der IR-Welt ist der Flamen Divorum der Flamen aller vergöttlichten Kaiser: http://www.imperiumromanum.net…ium.php?a=i&p=1700&p2=385
    Auf die schnelle finde ich keinen expliziten Erlass, SimOn-Text oder ähnliches, doch dies 'war schon immer so', zumindest von offizieller/kaiserlicher/SL/CD-Seite solange ich mich dessen entsinne.
    [/Sim-Off]

    "Gut"
    , entgegnete der Vater tonlos, irgendwo im Hintergrund seiner Gedanken hadernd mit dieser Aussage und worauf sie sich mochte beziehen - dass es niemals Minors Absicht war, mehr als eine Amtszeit zu absolvieren, das Wohl des Reiches Emporkömmlingen zu überlassen oder aber seiner Familie keine Schande zu bereiten? -, doch ohne noch die notwendige Kraft weiter zu urgieren, denn letztendlich konnte er nur dann seine Prinzipien mit aller Macht verteidigen, so er ihnen treu blieb.
    Mörder!
    Langsam wandte sein Blick sich empor zu der Ritze zwischen Decke und Wand, aus welcher die Schatten der Vergangenheit hinauskrochen, die Larven und Lemuren seines Gewissens, die Strigae seiner Vergangenheit mit ihren scharfen Krallen und spitzen Zähnen, mit ihren Fratzen und glühenden Augen. Er sehnte sich danach, dass sie ihn endlich würden zerfetzen, zerreißen, fressen, verdauen und ausspuckten auf seinen Platz im Hades.
    Mörder!
    Allfällig war dies bereits der Hades, dieser Minor nur ein Teil seiner Qual.
    "Gut
    , repetierte er noch einmal, mehr zu sich selbst, drehte sich sodann um, die Türe öffnend und hinter sich wieder schließend ohne noch einmal seinen Sohn wahrzunehmen.

    Nicht wie die rettende Hand aus dem soliden Schiffe der Wahrheit inmitten stürmischer See schien dem älteren Gracchus die ausgestreckte Hand seines Sohnes, sondern mehr dem scharfkantigen Gladius gleich, ausgestreckt zum Todesstoß, dass er einen weiteren Schritt zurück tat, mit dem Rücken gegen die hölzerne Barriere der Türe stieß.
    "Die Wahrheit ..."
    , suche er noch einige Augenblicke verzweifelt am Treibholz seiner eigenen Ideale sich fest zu klammern, rang mit seinem Ethos, die Zähne fest aufeinander gepresst, doch machtlos gegen die Wahrheit in ihrer reinsten Form. Wie lange hatte er sich selbst betrogen mit seinen hehren Überzeugungen, selbst dann noch als die Lüge tagtäglich ihm alle Misere vor Augen hatte geführt, hatte sich selbst verstrickt in ein Netz, welches verborgen war unter dem Deckmantel der Wahrheit, welcher indes derart ausgedünnt und zerfleddert war, dass Gracchus stets in Staunen versetzte wie seiner Umwelt es gelang über all die Flicken und Löcher hinweg zu sehen und ein prachtvolles Gewand ihm angedeihen zu lassen. Wie konnte er dies desolate Kleidungsstück an seinen Sohn vererben und selbst vorgeben eine Kostbarkeit darin zu entdecken? In abschätziger, wie desperater Fasson schüttelte er darob letztendlich den Kopf.
    "Die Wahrheit ist die größte Lüge der Menschheit, Minimus! Denn niemand will die Wahrheit sehen, solange sie nicht ihm selbst zu..pass kommt, niemand. Auch du würdest nicht nach ihr streben wollen, würdest du um all ihre qualvollen Schrecken wissen! Unsere Väter haben dies erkannt, wie vor ihnen ihre Ahnen, und eben aus diesem Grunde sind Staat und Familie stets vor..rangig, denn sie sind es, die uns im Zweifelsfalle vor der Wahrheit schützen!"
    Mörder
    , dies war die Wahrheit.
    Mörder
    , mehr als nur einmal.
    Mörder
    , starrte die Wahrheit in Gracchus' Gesicht, das sein Blick einige Herzschläge furchtsam suchte dem zu entkommen, dabei rastlos durch den Raum wich, ehedem er sich seines Sohnes entsann.
    "Eine Amtszeit."
    Was nicht aller Trotz, alle Wut, aller Stolz oder alle Überzeugung hatten erreichen können, dies erreichte schlussendlich die Furcht, welche dem Vater in all ihren Nuancen so traut war, welche den Sohn ihm allfällig näher brachte als jeglich sonstige Emotion.
    "Hernach magst du entschließen deiner Furcht na'hzugeben, deiner Bestimmung dich zu entziehen und das Wohl des Reiches inkompetenten, selbstsüchtigen und machtgierigen - dabei jedoch stets von Freude erfüllten - Emporkömmlingen zu überlassen, und ich werde dies akzep..tieren solange du deiner Herkunft zumindest dich entsinnst und dieser Familie keine Schande bereitest"
    , räumte er voller Enttäuschung ein. Wie Minor es vor geraumer Weile noch hatte gefordert würde Gracchus allfällig schlichtweg ein kleines Landgut ihm überlassen. Schlussendlich blieb ihm noch Titus, der sein Erbe würde antreten können, und womöglich war auch dies Teil des flavischen Schicksals - dass der Erstgeborene stets nur Enttäuschung mit sich brachte, so dass er wohl durchaus konnte zufrieden sein solange er ihn nicht verstoßen musste.

    Voll freudiger Erwartung lauerte Gracchus auf die Lösung des Rätsels, welches seine Gemahlin indes noch nicht preisgab, ihn erst einmal ablenkte mit ihrem eigenen Reim. Während er in den Oceanos hinab tauchte und dessen Bewohner sich in sein Bewusstsein rief lenkte sie ihn indes sogleich wieder ab - beinahe schien es ihm wie eine Taktik, ihn selbst aus seiner analytischen Gedankenfolge zu reißen.
    "Ausgezei'hnet, meine Liebe, die Nase"
    , bestätigte er ihr, und griff sodann ein wenig über den Tisch, sich von der Platte mit Hummer eine Zange zu angeln.
    "So lasse mich sogleich kontern: Der Hummer ist es, welcher auch auf unserem Tische liegt."
    Gracchus streckte die Zange Prisca neckend entgegen, sie dabei mit seinen Fingern auf und zu schlagen lassend, ehedem er sie zurück zog und mit beiden Händen knackte, um an das weiche Fleisch zu gelangen. Es war überaus schmackhaft und während er jeden Bissen auskostete, sann er über ein weiteres Rätsel nach.
    "Meine Na'hkommen wohnen in einem Haus, das ich stets bei mir trage, und an dem, der mich selbst nährt, hänge ich sehr."
    Er zögerte kurz, überlegte mit Blick zur tuchenen Decke hin, um sodann fort zu fahren.
    "In meiner Jugend noch bin ich blass, erst mit dem Alter röten sich meine Wangen."
    Wieder zögerte er, unsicher ob dies würde ausreichen, um eine Lösung zu finden.

    Der ältere Gracchus hatte bereits sich wieder umgewandt und war im Begriffe den Raum zu verlassen ob der vorherrschenden Stille, welche alles, wiewohl nichts geklärt haben zu schien, welche einer Mauer gleich zwischen ihnen stand, die er nicht zu überwinden im Stande war.
    Und du bist ein glücklicher Mann ...?
    , überkam schlussendlich die Mauer als der Vater beinahe bereits schon die rettende Türe hatte erreicht.
    Ja
    , gemahnte es ihn im ersten Augenblicke zu entgegnen, doch nicht einmal seine Lippen mochten sich öffnen, um einer solchen Lüge den Weg in die Freiheit zu gestatten. Er erstarrte, und während draußen im Garten einige Blätter von den Bäumen wurden geweht, während eine Katze im Stall das Leben einer Maus mit einem flinken Biss beendete, während eine kummulierte Wolke über der Villa im Spiel des Himmels in zahllose Schlieren wurde auseinander gerissen, verharrte die Welt in Minors Cubiculum einem Stillleben gleich. Beinahe mochte es gar schon erscheinen als wäre der ältere Gracchus allfällig im Stehen eingeschlafen, doch schlussendlich musste er tonlos eingestehen:
    "Nein."
    Noch einmal wandte er sich um, langsam, zögerlich, und in seinem Antlitz lag kein Glück, wenn auch allfällig kein Unglück, ein Schimmer von Bedauern wohl, begemischt einer Melange aus Zufriedenheit und Resignation.
    "Mein Verstand und mein Leib mögen am Ende des Flusses an..gelangt sein, saturiert und halbwegs wohlbehalten. Doch ... mein Herz war nie Teil dieser Reise, denn ... vor langer Zeit bereits habe ich es am anderen Ufer zurückgelassen."
    Er presste kurz die Lippen aufeinander.
    "In ... Zerrissenheit kann kein Glück entstehen. und dies ist nichts, was ich meinen Feinden mö'hte wünschen, und ganz sicher nicht meinen Söhnen."
    Seinem Herzen zu folgen, dies wäre allfällig sein väterlicher Ratschlag gewesen in einer romantisch verklärten Welt. Doch ihre Realität erhob den Verstand zum einzig wahren Anführer, dass einem Manne nur blieb sein Herz zu bändigen oder zu überzeugen, dass eine Chance auf Glück darin konnte erwachsen.

    Wiewohl Gracchus das Unwohlsein der Plinia in Hinblick auf ihren Vater nicht bemerkte, so verschluckte er wiederum seinerseits sich tatsächlich an ihrer Antwort. Ausgerechnet Valerinaus‘ Leibmedicus, von welchem durchaus einige Menschen in Rom noch immer glaubten, dass er in den Tod des Kaisers verstrickt gewesen war oder ihn zumindest hätte verhindern müssen! Seine Entlassung aus dem kaiserlichen Hause war unbezweifelt ein geringes Opfer im Vergleich zu vielen anderen im Bürgerkrieg - doch ein weiteres Opfer auf der langen, langen, unendlich langen Liste derer, deren Leben Gracchus‘ Handeln in negativer Weise hatte tangiert. Einen kurzen Moment hustete der Flavier, griff sodann nach seinem Wein und spülte die bittere Erkenntnis, dass er diesem beständigen Vorwurfe niemals würde entkommen können - nicht einen einzigen Tag -, hinab in die unergründlichen Tiefen seines Selbst, in welchem die Ungeheuer der Vergangenheit beständig auf den Augenblick lauerten, in welchem sie Oberhand - Qual und Schrecken - über sein Leben konnten gewinnen.
    "Ver..zeihung ..."
    , murmelte er halbwegs entschuldigend und schob den Teller vor sich ein wenig weiter zur Tischmitte hin als wäre das Garum Auslöser des Hustens gewesen.
    "Mein Sohn studiert derzeit am Museion"*
    , lenkte Gracchus sodann ab, respektive zurück zum Gespräch.
    "Indes widmet er sich wohl mehr den Wissenschaften und der Philosophie als der Medizin"
    , ergänzte er mit einem schmalen Lächeln - glaubte er zu diesem Zeitpunkt doch Minor noch in fundierte Studien vertieft -, ehedem er die Frage der Plinia nach seiner Beziehung zu den Göttern beantwortete.
    "Nun, auch in meinem Leben ging es auf und ab, doch derzeit kann ich in der Tat nicht klagen."
    Seit einigen Jahren zwar verspürte Gracchus vermehrt die untrüglichen Zeichen aufkommenden Alters - all jene kleinen Gebrechlichkeiten, welche die Jugend stets übermütig ungläubig belächelte -, doch als Patrizier war es ihm schlussendlich ein leichtes, deren Auswirkungen zu umgehen oder zu mildern.
    "Indes glauben wir Römer längst nicht mehr an den Olymp mit seinen launischen Bewohnern"
    , erklärte er sodann ein wenig von oben herab, wenn er dies auch nicht intendierte.
    "Gleichwohl die göttli'hen Prinzipien auch aus römischer Sicht bisweilen launisch mögen erscheinen, was indes nur ein Anschein wider besseren Verständnisses ist. Denn im Grunde folgen sie schlichtweg ihren eigenen Gesetzen, und das Wissen darob, sowie ihrer Beeinflussung, kann man lernen wie jedes andere Wissen auch."
    Für einen Augenblick glitt sein Blick zu Casca, dann zurück zu der Medica.
    "Wiewohl dieses Wissen selbstredend ebenso lückenhaft ist wie jenes um andere Gebiete. Doch ..."
    Gracchus‘ linke Braue hob sich ein wenig in die Höhe.
    "Bedeutet dies, dass auch du als Medica die Gunst der Götter, respektive eine Balance der göttlichen Prinzipien als Prämisse guter Gesundheit betra'htest?"



    Sim-Off:

    * zu diesem Zeitpunkt tat er dies noch

    Nicht einen Augenblicke ließ die Augusta zu, dass einer ihrer Gäste nicht gänzlich in den Abend war involviert - und wieder einmal, wie so oft in ihrer Anwesenheit, musste Gracchus ob dessen ihre kaiserliche Vollkommenheit ästimieren.
    "Die Vollendung des Cursus Honorum mag durchaus ein Höhepunkt im Leben eines jeden Mannes sein, meine Pfli'ht gegenüber Rom wird indes nicht erlöschen."
    Für eine unwissende Person mochte dies allfällig nach pathetischem, beinahe ein wenig überheblichem, flavischem Patriotismus klingen, tatsächlich indes basierte diese Einschätzung letztendlich zum großen Teil auf jener unermesslichen Schuld, welche Gracchus im Bürgerkrieg, respektive durch die Initiierung des Bürgerkrieges auf sich hatte geladen und welche er niemals würde wieder abgelten können.
    "Ambitionen würde ich es nicht nennen - dies mag den jügeren Männern vorbehalten sein - doch das ein oder andere Vorhaben wird mich un..bezweifelt noch eine geraume Weile in Rom halten, zumindest solange dies den Göttern gefällt. Darüberhinaus kann ich auch kaum wohl verantworten meine wundervolle Gemahlin in die Monotonie ländlicher Einsamkeit zu entführen und sie Rom vorzuenthalten.“
    Obgleich es Antonias eigene Entscheidung war gewesen, nicht nach Rom zurückzukehren - woran der Flavier wiederum sich selbst die Schuld gab -, so war er doch überzeugt, dass eben diese Monotonie nicht unerheblich zu ihrem Ende hatte beigetragen. Sein Blick wanderte zu Prisca hin und unwillkürlich wurde sein Antlitz überschattet von einem Anflug von Sorge. Rom oder die Einöde - wie lange würde er sie bewahren können vor der Grausamkeit seines eigenen Schicksales, welches so viele um ihn her bereits hatte geraubt?

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus


    Ich muss dies leider noch eine (unbestimmte) Weile verlängern.


    Und noch einmal.
    Sofern irgendwo irgendetwas an Gracchus hängen sollte, bitte ich ihn noch eine Weile zu um- oder übergehen.

    Zitat

    Original von Manius Flavius Gracchus
    Dieser Tage bin ich deplorablerweise ein wenig knapp an Zeit und Muse für das IR, was mindestens bis nächste Woche noch andauern wird ...


    Ich muss dies leider noch eine (unbestimmte) Weile verlängern.

    Der ältere Gracchus konnte nicht verhindern, dass seine Augenbraue ein wenig sich empor hob.
    "Nun, gänzliche Ruhe und Rückzug vor den Leuten ist dem Eremiten vorbehalten, doch jenes Leben schien dir persönli'h nicht im mindesten sicher genug, da du doch für dieses hier votiert hast"
    , konterte er Minors Widerworte nicht gänzlich frei von klandestinem Amüsement, wiewohl Bedauern über philosophisches Ideal und menschliche Realität. Er fixierte das Antlitz seines Sohnes, welches ihm gleichsam traut und doch mehr als fremd erschien.
    "Ein Narr mag in der Lage sein ein Gespann an..zutreiben, doch fehlen ihm Umsicht und Weitsicht, so dass er die Pferde mit Blick auf ein für ihn lohnendes Ziel ebenso leichtsinnig über den Weg wie von diesem hinfort in sein Verderben zu steuern vermag. So du dies als hinrei'hend erachtest, ist dies mehr als deplorabel."
    Als Minor sodann seine Ansicht über Politik äußerte schnellte mit einem Male in einem abrupten Reflex aufwallenden Zornes Gracchus' Hand nach vorn und packte seinen Sohn am Kragen seiner Tunika.
    "Dies ist kein Spiel, Minor"
    knurrte er mühsam beherrscht, da sein Sohn so treffsicher seinen Stachel tief in den Zweifel hatte gebohrt, welcher selbst so oft an ihm hatte genagt, bisweilen dies noch immer tat.
    "Es geht nicht um Macht, Geld, Ämter oder Ansehen, begreifst du das nicht? Um eben dies geht es nicht im geringsten!"
    Mit einem Schnauben zog er seine Hand zurück, beinahe angewidert, sein Zorn gleichsam Minor wie sich selbst geltend, der seinem Sohn die Gewichtigkeit seiner Pflicht nicht vermochte begreiflich zu machen. Enerviert erhob er sich und trat einen Schritt zurück in das Zimmer hinein, die Kieferknochen aufeinandergepresst, ehedem er sich wieder umwandte.
    "Und würde das Fliegen dir goutieren, Minimus, oder allfällig das Wandern über den Meeresgrund - du bist derjenige, der du bist, und illusorischen Träumereien na'hzuhängen kann dich in keinem Falle glücklich machen."