ZitatOriginal von Faustus Decimus Serapio
"Schrei mich nicht an!" fauchte ich, und suchte mich seinem Griff zu entwinden, seinen Händen die sich wie Geierklauen in meine Schultern gruben.
...
"Aber eines solltest du wissen. Ich habe natürlich Vorkehrungen getroffen, so dass, falls ich ermordet werde, oder falls ihr mich... verschwinden lasst... alles gezielt an die Öffentlichkeit kommt. Und mit allem meine ich: auch deine persönlichen Geheimnisse."
Nur für den Fall daß.
Ein Machtspiel, ein Spielchen - wäre es nur so einfach gewesen, könnte Gracchus nur alles, was geschehen war als Spiel betrachten, die Beteiligten als entbehrliche Figuren und den Einsatz als gering - doch weder das eine, noch das andere konnte annähernd in sich fassen, was geschehen war, was durch die Tiradenkaskaden Faustus' längst wieder alle Barrieren, Mauern und Schutzwälle hatte eingerissen, in seiner gräulichen Ungeheuerlichkeit ihn gänzlich zu verschlingen drohte.
Verbrecher!
schallte das Echo Serapios Worte aus allen Winkeln des Mauerwerks um ihn her und durchbohrte ihn zahllosen widerhakenbewehrten Klingen gleich, drehte und wand sich, dass der Schmerz tief in jede seiner Fasern sich zog.
Giftmörder!
fügte ein Zischen dem sich hinzu als entfeuchte der todbringende Atem des Cerberos aus dessen gieriger Kehle und raubte ihm alle Luft, dass er zu ersticken drohte, jeden Augenblick nur ein wenig, doch jeden Augenblick ein wenig mehr.
Kaisermörder!
schnellten scharfe Krallen durch seine Brust hindurch, rissen jeden Fetzen seines Selbst ihm vom Leibe bis nichts mehr übrig war als ein marodes Gerippe, welches haltlos in sich zusammen sank.
Verräter!
dröhnte das tosende Gewitter der Vorväter durch seine Sinne, tausender Schläge gleich welche hart auf ihn hernieder fuhren, ihn hinabdrückten in den Sumpf der Verleugnung, aus welchem es kein Entrinnen mehr gab.
Mörder!
Mörder!
Mörder!
rüttelten, zerrten hunderte rastloser Larven an seinem Geist, bleiche, trübe Augen, ausgemergelte Gesichter, deformierte Gestalten, von Qual und Schrecken eines Krieges überzogen, dass Gracchus' Leib einen Augenblick unter dem gewaltigen Ansturm seiner Schuld zusammenfuhr, dass sein Verstand den fernen Worten Faustus in ein infames Blutbad hin folgte, darin versank einem Ertrinkenden im Oceanos gleich.
Blut.
Überall Blut.
Mord.
Überall Mord.
Blut.
An seinen Händen.
Mord.
An seinen Händen.
Fern drangen die weiteren Worte Serapios an sein Ohr, als hallten sie herüber aus einer anderen Welt, als wären sie bestimmt für eine andere Welt. Für Manius' Welt - diese zerrüttete, zerstörte Welt aus Blut und Mord, die doch nicht die seine konnte sein. Dies war der Augenblick da der Malefikant gebrochen war, er musste ihn nurmehr hinab stoßen in die Tiefen des Carcers, die Klappe schließen, das Schloss verriegeln und den Mörder dort festsetzen, dass die Welt wieder in Ordnung kam. Er würde schlichtweg zurückkehren an den Ursprung seiner Existenz, in diese Erinnerung eines niemals gelebten Lebens voller Einfachheit, voller Belanglosigkeit, unter der strahlenden Sonne eines fernen Landes, in den unschuldigen Armen eines glanzvollen Heroen, in der wogenden Barke goldener Götter. Fahrig zitterten Gracchus' Hände, im Innen wie im Außen, als ein marginaler Teil seines Selbst sich anschickte die Majorität zu tilgen, klandestin und leise, im verzweifelten Ansinnen sich selbst zu retten.
Ich hätte dich gebraucht, ich hätte dich wirklich gebraucht ...
, erschütterte jedoch Faustus die Grundfeste der inhärenten Machtübernahme, denn damals, als er ihn wirklich hätte gebraucht, war der Nachhall dieses kurzen Daseins lange Zeit allzu präsent, allzu verlockend gewesen. Er durfte nicht tolerieren, dass dies erneut geschah, er musste fort, schlichtweg fort, die Flucht antreten vor dem Monster, das sich seiner wollte bemächtigen, ihn seiner Existenz berauben, er musste die Flucht antreten vor sich selbst, vor den Fluten aus Blut, welche dem verführerischen, rotfarbenen Schein der Sonne nur allzu similär waren, ehedem er darin ertrank, er musste fort. Nurmehr fort.
"Ja"
, bestätigte Gracchus alles, was gesagt worden war, ballte seine Hände zu Fäusten um den tobenden Kampf in seinem Inneren zu verbergen und suchte in einem Aufbäumen seiner detachierten Vergangenheit an die banalen Fakten des Vorhabens sich zu klammern, dessentwegen er gekommen war.
"Am ... fünf..zehnten Tag vor den Kalenden des Septembers ... findet die nä'hste Contio des Collegium Pontificum statt. Sciurus ... wird dich am Seiteneingang des Gebäudes, ... jener nach Süden zum Atium Vestae hin, zur hora septima einlassen, und Cornelius und ich werden nach Be..endigung der Sitzung zu dir stoßen."
Rastlos suchten Gracchus' Augen Halt an Serapio, der ihm so vertraut und doch so fremd war, der noch immer gleich und doch gänzlich anders schien, doch es gab keinen Anker und keinen Rettungsring, es gab nur die Verlockung dem Strahlen der Sonne zu erliegen.
"Niemand soll ver..schwinden. Niemand."
Er wollte nicht verschwinden, nicht auf diese Art und Weise, dahingerafft von einer Laune seines Geistes, versunken im morbiden Blut seiner Familie, einen Scherbenhaufen zurücklassend, ein devastiertes Land voller Obliegenheiten, sein Lebensfaden zerfasert in tausende loser Enden.
"Ich ... ich muss nun gehen. Ich muss ..."
Zögernd sah er sich um. Er brauchte einen Fixpunkt, etwas, das sein Leben bestimmte, seine Existenz bedingte, denn um ihn her war nichts, das ihn seiner entsann, war nur die Reminiszenz einer Liebe, welche er zu oft schon hatte in ihrer Realität angezweifelt ihrer Exzeptionalität wegen, war nur das Blut, das schlichtweg nicht an seine Hände gehörte, war nur der Tempel eines ägyptischen Gottes, welcher ihn nur an jenen anderen entsann, der suchte sich seiner zu bemächtigen.
"Bis dann, Faustus ... vale ..."
Gracchus wandte sich um, trat zwischen den Säulen hervor und ging einige Schritte dem Tempel entgegen, ehedem er realisierte, dass dieser Weg ins Unbekannte ihm nicht die Stabilität konnte bieten, welcher er bedurfte, dass gegenteilig nur mehr Fährnis noch dort lauerte, dass er von einem anderen Ort war gekommen, musste gekommen sein. Zögerlich blieb er stehen, einem Kind im Trubel des Lebens gleich verloren, als endlich Sciurus zu ihm trat und zumindest aus der offenkundigen Misere errettete, noch einmal an Serapio vorbei ihn zurück zum Eingang des Tempelareals führte.
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