Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Da die öffentlichen Riten der Feiern zu Ehren der Ceres, sowie der Fides Publica Populi Romani von den zuständigen flamines waren ausgeführt worden, hatte Gracchus an diesem Tage in seiner Funktion als Pontifex pro magistro nicht mehr und nicht weniger zu tun gehabt, als dem schlichtweg beizuwohnen. Dennoch war er durchaus erleichtert als er dem Trubel, welcher an solchen Tagen noch mehr als sonstig ohnehin bereits in Roms Straßen herrschte, gewissermaßen entkommen und in die Ruhe des flavischen Anwesens auf der Kuppe des Quirinal sich flüchten konnte. Gleichwohl entzückte ihn die Aussicht auf den erwarteten Besuch der Aurelier, ob dessen er sich nach den Opferungen nur kurz ein wenig frisch machte und seine senatorische Tunika und Toga gegen eine etwas informellere Tunika in dunklem Blau mit goldfarbenen Rändern eintauschte, ehedem er sich in dem kleinen Triclinium einfand, in welchem bereits alles war vorbereitet. Er nahm noch nicht Platz, schlenderte zum Fenster und blickte ein wenig nervös hinaus in das angrenzende Peristyl - es war lange her, seitdem er sich zuletzt in politischen Gefilden hatte betätigt.

    Worte waren das Medium, in welchem Gracchus selbst sich zweifelsohne am wohlsten fühlte, er goutierte schöne Worte, badete sein Gemüt regelrecht darin, ebenso wie er unter schroffer Sprache litt, gleichwohl er dazu neigte, sich von Worten in die Welt ihres Narrators hinfort tragen zu lassen. Faustus' Worte trugen ihn weiter fort als es ihm angenehm war, zurück auf den Fußboden eines Atriums, zu einer Lache aus rotfarbenem Blut, in das Gebrüll eines Aggressors, in das Chaos einer Verwüstung im Herzen des Imperium Romanum. Als der Senat beschlossen hatte, dass die Zeit des Bürgerkrieges ad acta gelegt werden sollte, war der Flavier überaus erleichtert gewesen, dass es keine weitergehenden Nachforschungen sollte geben - aus Furcht, die Handlungen der Konspiranten würde letztlich doch noch entlarvt werden -, gleichwohl davon überzeugt, dass der Frevel, welcher begangen worden war, durch private Anklagen würde aufgearbeitet werden. Doch tatsächlich hatte es bis dato keinerlei Anklagen und darob auch keinerlei Sühne gegeben. Weshalb nicht? Weil die Menschen die Herrschaft Cornelius Palmas fürchteten? Weil sie sich sorgten, dass er gleichwohl wie der Vescularier unliebsame Stimmen würde ersticken? Gracchus nahm sich vor, dies zu einem späteren Zeitpunkt zu thematisieren, denn in diesem Augenblicke forderte Cornelius Antworten ein - und obgleich er zumindest auf die erste Frage eine Antwort doch eben durch Tatsachen, wie Palma sie forderte, gegeben sah, schwieg Gracchus vorerst weiterhin, blickte Faustus an - und wer ihn sehr gut kannte, mochte den marginalen Ausdruck von hoffnungsvollem Bangen in seinen Augen erblicken können.

    Obgleich in Gracchus' Kopf zu dieser Thematik eine gewisse Linearität vorlag, konnte er durchaus nachvollziehen, dass eine Person, deren Leben nicht seit längerem mit dem Cultus Deorum und den diversen Änderungen darin verwoben war, ein wenig den Überblick konnte verlieren.
    "Nun, tatsächlich war die Zutrittsregelung zum Atrium Vestae unter Iulianus als Teil des Codex Religiosus ge..regelt, welcher vor einigen Jahren abgeschafft wurde* ohne jedoch explizit alle Teile davon durch neue oder alte Regelungen zu substituieren. Wie bereits erwähnt waren die Sacerdotes von selbst wieder zu der ursprünglichen Regelung zurückgekehrt, doch aus re'htlicher Sicht gesehen wäre ich nicht gänzlich sicher, ob Vescularius nun legal handelte oder nicht - sofern dies noch eine Rolle würde spielen, müsste dies wohl ein Gericht klären -, was zweifels..ohne auch der Grund war, dass der Senat keine Möglichkeit sah, dieses Handeln anzufechten."
    Letztlich hätte der Senat durchaus handeln können, doch zu mehr als einer Adhortation wäre es ohne eine gesetzliche Grundlage wohl kaum gekommen - welche in Hinblick auf Vescularius' Politik wohl ebenfalls kein Senator hatte auf sich nehmen wollen.



    Sim-Off:

    * Da dies eine Spielregel-Änderung war, habe ich leider kein entsprechendes SimOn-Dokument finden können, SimOn sollte aber irgendwo ein Edikt existieren.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Leise knisterte und knackte das Holz im Feuer, umfasste die Szenerie mit einer kalmierenden Atmosphäre, welche beinahe darüber konnte hinwegtäuschen, dass außerhalb des flackernden Flammenscheins der gierige, maliziöse Abgrund darauf wartete, ihn zu verschlingen.
    "Ich habe Angst"
    , gab er unumwunden flüsternd zu, denn hier musste er nicht sich verstellen, hier wussten längst alle, dass er nur ein Feigling war.
    "Ich weiß."
    Tröstend strich der Sklave über sein Haar, seine Wange und sein Kinn, und einen Augenblick glaubte er einen Anschein von Sorglosigkeit in sich zu verspüren.
    "Doch hier, im Kreise des Feuers, gibt es nichts, wovor du dich fürchten musst."
    "Ich kann das Flüstern der larvae hören."
    "Es ist nur der Wind, der durch die Baumwipfel zieht."
    "Ich kann ihre gierig blitzenden Augen sehen."
    "Es ist nur das Licht des Mondes, das sich in Tautropfen spiegelt."
    "Ich kann ihren geifernden Atem riechen."
    "Es ist nur der Sumpf, dessen Ausdünstungen herüberziehen."
    "Ich kann ihre Schatten um uns tanzen sehen."
    "Es sind nur die Büsche, die sich im Reigen der Nacht wiegen."
    Traurig schüttelte er den Kopf.
    "Nein, sie sind überall. Überall um mich her, bei Tag und bei Nacht, im Licht und in der Dunkelheit. Überall, jederzeit. Sie warten auf mich - doch sie wollen mich nicht holen, nein, sie wollen mir nur nachsetzen, jeden Tag auf ein Neues."
    "Shhht, Manius."
    Sacht zog der Sklave die Decke etwas höher, legte seinen Arm fester um den schmalen Leib.
    "Schlaf jetzt. Du wirst sehen, morgen sieht die Welt wieder ganz anders aus."
    Ohne Widerrede schloss der Junge die Augen, doch er wusste genau, sie würden auch morgen noch auf ihn warten.

    ~~~

    Gracchus nickte und legte zu dem entsprechenden Vorschlag in seinem Erinnerungsraum eine Notiz ab, um den Wortlaut des Imperators nicht zu vergessen.
    "Darüber hinaus beklagen die Sacerdotes Vestales den Umstand, dass es rechtens möglich war, dass Vescularius in das Atrium Vestae eindrang und das Testament Valerianus' an sich nehmen konnte, um es vor der Verlesung im Senat gegen eine Falsifikation zu er..setzen."
    Kurz hielt Gracchus inne, glaubte er doch ein wenig Hitze in sich aufsteigen zu spüren, indes gab es diesbezüglich vor Palma ohnehin nichts zu verhehlen.
    "Nun, sie bitten daher darum, dass schriftlich verfügt wird, dass das Testament des Augustus, sowie der amtierenden Konsuln und etwaig anderer ho'hrangiger Amtsträger nur von einer Vestalin aus dem Atrium Vestae in den Senat gebracht werden kann und dort in aller Öffentlichkeit verlesen werden muss, sowie dass generell zu den Testaments-Archiven nur die Vestalinnen Zutritt haben dürfen."
    Auch zu diesem Anliegen hatte Gracchus sich selbstredend Gedanken gemacht.
    "Was die Ausgabe der Testamente römischer Bürger, sowie den Zugang zu den Ar'hiven betrifft, sehe ich keine Notwendigkeit für eine dedizierte Gesetzeserweiterung, denn letztlich ist dies eine interne Angelegenheit der Vestalinnen selbst, für welche eine schriftliche Bekanntmachung durch das Collegium, res..pektive dich als Pontifex Maximus durchaus genügen sollte."
    Auch wenn es Gesetzen bedurfte um ein gewisses Maß an Grundlage zu schaffen, so war doch Gracchus kein Freund von übermäßiger Gesetzesflut.
    "Ebenso wenig sehe ich eine Veranlassung die Testamente hochrangiger Amtsträger gesondert zu behandeln, da diese letztlich keinerlei direktes politisches Erbe zu vergeben haben, unsere Ämter schlussendlich nicht von Vätern an Söhne weitergegeben werden können. Es scheint mit darob unnötig, die Ver..antwortung über diese Angelegenheit den Familien zu entziehen und dem Staat zu mandatieren. Indes sehe ich diese Notwendigkeit durchaus in Hinblick auf den Imperator Augustus, der schlussendlich nicht weniger als ein Imperium an seinen Erben weitergibt, gleichwohl ist dies meines Era'htens eine Angelegenheit, über welche nur du selbst bestimmen kannst, da es weder dem Collegium, noch dem Senat zusteht, darüber zu entscheiden. Sofern du dem zustimmst, könnte dies in einer Erweiterung des Paragraphen 19 im Codex Universalis zur Er..nennung des Imperator Caesar Augustus geschehen."
    Neuerlich hielt Gracchus kurz inne, senkte sodann seine Stimme ein wenig als würde sie allfällig irgendjemand belauschen.
    "Bei der Überprüfung dieses Passus habe ich darüber hinaus festgestellt, dass nach Absatz drei dieses Paragraphen ohne einen Thronfolgewunsch des amtierenden Imperators noch immer der ihm am nächsten verwandte männliche Spross der Gens Ulpia zum nä'hsten Augustus gekrönt wird."
    In Hinblick auf seine Historie ging Gracchus zwar davon aus, dass Cornelius sein Testament längst auf sein Amt hatte angepasst, doch ein solches verschwinden zu lassen war zweifelsohne noch einfacher als ein eines auszutauschen.

    Da es hierzu keine Einwände zu geben schien, fuhr Gracchus fort.
    "Damit sind die Punkte Archiv und Testamente erledigt, nehme ich an? So dass nur noch der Punkt Er..klärungsbedarf zur Lex Flavia de operositas und Lex Mercatus bleibt. Welcher Art Erklärungsbedarf besteht hierbei, Decima?"

    Früher einmal - als er gerade vom Kind zum Knaben reifte - war es Gracchus' sehnlichster Wunsch gewesen Theaterschauspieler zu werden. Nichts schien ihm fantastischer zu sein als in die Rolle eines anderen zu schlüpfen, als ein Spiel aufzuführen, ein Stück eines Lebens - und dabei genau zu wissen, wie all die komplexen Stränge miteinander verwoben waren, genau zu wissen, wie all die anderen Charaktere auf der Bühne dachten, und genau zu wissen, welches Ende dies alles nahm. In diesem Raum zu sitzen schien ihm nur allzu sehr wie ein Bühnenstück und obgleich es schien, dass zweifelsohne jeder an diesem Tisch eine Maske trug, dass dieses gesamte Gespräch einer Posse glich, so hätte er vieles darum gegeben den Text dieses Schauspiels zu kennen, zu wissen, was Serapio und Cornelius tatsächlich dachten und zu wissen, welches Ende dies alles nahm. Indes rissen die Worte, welche ausgesprochen wurden, ihn nur allzu unbarmherzig in die Realität zurück - dies war kein Drama, kein Bühnenstück, und die Sätze der Protagonisten waren nicht ausgedacht, um das Fundament einer perfekten Szene zu bieten. Sie waren wahr, nur allzu wahr, schrecklich wahr.
    … Verbrechen … schlimmste Katastrophe … zerrissen ... Aufstände ... Blutvergießen … Katastrophe ...
    Viel zu wahr. Dumpf starrte Gracchus in den rotfarbenen Wein, der unangetastet vor ihm stand - ein Meer aus Blut, dutzende tote Leiber darin schwimmend.
    … Rom braucht uns ...
    Früher einmal, früher einmal hatte Gracchus dies geglaubt, hatte geglaubt für Rom geboren zu sein, hatte geglaubt, Rom voranbringen zu können, sein Leben für das Leben Roms zu geben, dazu bestimmt zu sein, Rom einer goldenen Zukunft näher bringen zu können. Wie hatte er nur glauben können, all jene, die er liebte, ins Verderben stürzen zu müssen und Rom dabei aussparen zu können? All jene, die er liebte … Sein Blick hob sich zu Serapio, seine Gedanken suchten zu fassen, um was es eigentlich ging. Er musste sich konzentrieren, er durfte nicht zulassen, dass dieses Stück neuerlich in einer Katastrophe endete. Für Rom, und für all jene, die er liebte.

    "Von Scato initiiert?"
    fragte Gracchus derangiert, da dies eine neuerliche Information war, welche sich nicht in das Gesamtgefüge wollte einpassen und er nun gänzlich den Überblick - welchen er versuchte gerade erst zu erhalten - verlor.
    "Was hat Scato mit dieser Angelegenheit zu tun? Hat dein Vater dies arrangiert - auf welche Weise auch immer - oder nicht?"
    Da seine Geduld in diesem Augenblick ohnehin nicht sonderlich weit reichte, begann er bereits diese zu einzubüßen, was sich in einem leicht missmutigen Tonfall seiner Stimme bemerkbar machte.

    Nachdem Sciurus die Sklavin vor der Türe hatte fort gesandt fand Gracchus keine Ruhe mehr, sich seiner Korrespondenz zu widmen. Die Nachricht ob einer möglichen Ehe zwischen Domitilla und Tiberius Lepidus wühlte ihn regelrecht auf, nicht nur da er sich über Aetius echauffierte, welcher nach all der Zeit es noch immer konnte erwirken, ihn aus der Ferne Ravennas zu beängstigen, wiewohl jenen nicht im mindesten zu kümmern schien, was seine Einmischung für die Familie in Rom mochte bedeuten, sondern gleichwohl bei dem Gedanken dieser Verbindung selbst. Nachdenklich starrte er auf eine der Fasern im Holz seines Schreibtisches, ohne dass dies seine Erwägungen konnte weiter fokussieren, bis dass es neuerlich an der Türe klopfte. Sciurus öffnete, verneigte sich vor Domitilla und geleitete sie in den Raum hinein.
    "Salve Domitilla"
    , wies Gracchus seine Base mit einer einladenden Geste an, ihm gegenüber Platz zu nehmen, ohne dass ihm dabei ein unverbindliches Lächeln wollte gelingen.
    "Wie geht es dir? Ich höre, dein Vater plant dich mit Tiberius Lepidus zu ver..mählen?"
    begann er sogleich zu konkretisieren, da er einerseits ohnehin stets präferierte, das unverbindliche Geplauder zu Beginn eines Gespräches auszusparen, ihm zudem insbesondere in heiklen, familiären Angelegenheiten nicht im Mindesten daran gelegen war, bisweilen notwendigen Gesprächskonventionen zu folgen.

    Selbstredend hatten die Wünsche der Augusta Vorrang, denn obgleich auch jene sich würde daran gewöhnen müssen, dass ihre Wünsche nicht mehr nur die ihren, sondern jene des Reiches waren, so hatte dies zweifeslohne Zeit bis dass sie in Rom war angelangt.
    "Die Sacerdotes Vestales sind an das Collegium Pontificum mit dem Wunsch herangetreten, die Zugangsregelungen für das Atrium Vestae verbindli'h festzulegen, und zwar in jener Art und Weise, wie sie vor Iulianus' Zeiten definiert waren und wie sie derzeit auch wieder gehandhabt werden, dass also es Männern nur nachts verboten ist das Atrium Vestae zu betreten, mit Ausnahme jener in Rüstungen, welchen der Zutritt gänzlich untersagt ist, glei'hwohl der Tempel nur durch die Vestalinnen selbst, den Pontifex Maximus, sowie den pro magistro betreten werden darf. Unter Iulianus gab es einige Zeit eine divergente Regelung in Form des Codex Religiosus, welcher jedoch im Laufe der Jahre wieder auf..gehoben wurde. Allerdings beklagen die Sacerdotes Vestales, dass in der Bevölkerung augenscheinlich noch immer Unklarheit über die Regelungen herrscht. Das Collegium hat sich dafür ausgesprochen, die von König Numa Pompilius bis zu Divus Iulianus gültige Regelung wieder in Kraft zu setzen. Allfällig wäre es sinnvoll, diese Regelung unserem überliefertem Recht hinzuzufügen, um im Zweifelsfalle auch der Geri'htsbarkeit eine Grundlage zu schaffen."

    Keine Regung auf der Mine des Sklaven verriet den Anflug von Verwunderung und Ärger, denn die Information über eine angestrebte Verbindung der Flavia mit Tiberius Lepidus war ihm neu, während es aus Candaces Mund klang als wäre dies längst bekannt.
    "Warte hier"
    , wies er sie nur an, drehte sich um und ließ sie vor der - noch immer geöffneten - Türe stehen.
    "Herr"
    , unterbrach er sodann Gracchus, der ohnehin mangels eines Schreibers seine Formulierungen hatte pausiert.
    "Deine Cousine Domitilla bittet um einen Termin für Tiberius Lepidus wegen der angestrebten Verbindung zur Zustimmung deines Einverständnisses, sofern es möglich ist bereits schon morgen."
    Selbstredend lag es in Sciurus' Verantwortung, solcherlei Termine einzuplanen, doch da er seinen Herrn von dieser Tatsache bisher - mangels Wissens - nicht hatte unterrichtet, war es durchaus ratsam, dieses Versäumnis nun nachzuholen.
    "Mhm? Welche Verbindung?"
    In Gedanken noch bei dem Opfer konnte Gracchus den Worten nicht gänzlich folgen.
    "Die Verbindung zwischen Domitilla und Tiberius."
    Die linke Braue des Flavius hob sich fragend, wiewohl ein wenig skeptisch empor.
    "Domitilla und Tiberius? Was für eine Art von Ver..bindung?"
    "Ich nehme an es geht um eine Ehe, Herr"
    , vermutete der Sklave, da Frauen sonstig kaum Verbindungen eingingen.
    "Eine Ehe? Was für eine Ehe? Wieso mit Tiberius Lepidus? Hat Aetius das bestimmt?"
    Ein wenig Empörung wallte in Gracchus empor, denn einerseits hatte Aetius ihm aufgetragen als Domitillas Vormund in Rom zu fungieren, andererseits mischte er sich nun aus der Ferne in politische Angelegenheiten ohne ihn auch nur um eine Stellungnahme zu ersuchen, geschweige denn ihn von seinen Absichten zu informieren.
    "Ich weiß es nicht, Herr, doch ich bin über keine Nachricht aus Ravenna unterrichtet"
    , gab Sciurus - ein wenig zerknirscht - zu, was Gracchus wieder ein wenig besänftigte, denn allfällig hatte er seinen Sklaven nur missverstanden.
    "Ist er hier, der Tiberius?"
    "Nein, Herr, deine Cousine ersucht um den Termin."
    Gracchus hatte sich also doch nicht verhört und einige Augenblicke überlegte er, ob Sciurus ihn zum Narren wollte halten - was indes noch nie zuvor geschehen war.
    "Weshalb sollte Domitilla um einen Termin für Tiberius ersu'hen?"
    "Ich weiß es nicht, Herr."
    "Dann finde es heraus! Nein, warte ... sage Domitilla, dass ich sie sprechen will."
    Sciurus nickte, ließ seinen verwirrten Herrn zurück und trat wieder zur Türe, zu Candace.
    "Er möchte deine Herrin sprechen."

    Auch Gracchus nahm Platz und während das Gespräch bereits geführt wurde, sorgte der Sklave Sciurus für drei Becher gefüllt mit Wein, welcher mit Wasser war verdünnt. Aufmerksam, einem Jäger - oder aber der sich im Visier erahnenden Beute - gleich, behielt Gracchus sowohl den Kaiser, als auch Serapio im Blick ohne indes allzu lange Augenkontakt mit einem von diesen zu halten. Obgleich das Gespräch bisherig recht einvernehmlich vonstattenging, so fürchtete er doch jederzeit eine Eskalation - dass entweder Serapio in seiner aufflammenden Wut und Rage dem Cornelius an die Kehle würde springen - nur zu gut kannte er die Leidenschaft, welche in Faustus schlummerte -, oder aber Palma würde entscheiden, dass es doch um so vieles einfacher und allfällig gar besser wäre, sich des ungewollten Mitwissers zu entledigen - zu wenig war er doch trotz allem der Intentionen des Imperators sich gewiss. Indes, obgleich er bereits im Vorfeld ausgiebig mit diesen Möglichkeiten sich hatte beschäftigt, war Gracchus sich nicht sicher, ob und was im Falle des Falles von diesen Möglichkeiten er würde verhindern wollen. Die Aussicht, Faustus würde in die gleiche Situation hinabrutschen wie er selbst - Kaisermörder -, so dass sie gezwungen wären hernach gemeinsam als Verräter am Imperium in ein weit entferntes Land zu fliehen, hatte im ersten Augenblick durchaus ihren Reiz, während die Aussicht, zu allem auch noch Faustus' endgültig und unwiederbringlich tot zu wissen, unerträglich war. Dennoch mochte er beides, mochte er jedes Blutvergießen mit allen Mitteln verhindern wollen, respektive im Notfall mit einem einzigen Mittel - Sciurus. Andererseits hoffte er noch immer, dass dies nicht erst würde notwendig sein, dass sowohl Palma, als auch Faustus sich der Vernunft würden beugen - und zumindest in diesem Augenblicke gab es daran noch keinen Zweifeln.

    Obgleich er selbst gewohnt war zu jeder Gelegenheit ein adäquates, doch häufig unaufrichtiges Lächeln um seine Lippen zu legen, hatte Gracchus oftmals Schwierigkeiten damit, dies bei anderen als Gegebenheit zu erkennen, nahm darob auch Minors Freude stets als wahrhaftige Reaktion an, so dass ihm zumeist gänzlich verborgen blieb, was tatsächlich im Inneren des Jungen vor sich ging. Die Freude jedoch, welche der Gladius auf Minors Antlitz evozierte, schien ihm trotz allem ein wenig zu viel für eine Waffe, für welche er selbst so wenig Enthusiasmus konnte aufbringen, gleichwohl war sie ihm ein wenig fremd an seinem Sohn, so dass sie eben aus diesem Grunde ihm ersonnen schien, wiewohl er in der Frage nach einem Erbstück ein verzweifeltes Hoffen glaubte, dem Präsent durch Historie und Relation zu seiner Familie zumindest noch einen geringen Wert abzuringen
    "Nein, kein Erbstück"
    , entgegnete der Vater ein wenig betrübt, diese Hoffnung nicht erfüllen zu können, suchte indes das Geschenk anderweitig noch ein wenig aufzuwerten.
    "Kein Mann hat je diese Klinge geführt, kein Blut wurde durch sie ver..gossen, sie wurde aus norischem Stahl einzig und allein für dich geschmiedet."
    Sofern es nach Gracchus' Sinn ging, würde an den ersten beiden Tatsachen sich auch nichts ändern, Minor das Schwert ohnehin nur an die Wand seines künftigen Officium hängen und es niemals von dort wieder abnehmen - dies würde erst nach seinem Tode geschehen, wenn es allfällig in sein Grab würde beigelegt werden. Gleichwohl nahm er sich fest vor, seinem Sohne zu dessen nächsten Geburtstag wieder ein besseres Präsent auszusuchen.

    Die Information bezüglich des Eintreffens der Augusta in Rom überraschte Gracchus im ersten Augenblicke ein wenig, denn obgleich er wusste, dass Cornelius verheiratet war, wiewohl auch, dass diese Ehefrau mit ihm Rom hatte verlassen, so hatte er bisherig sich doch keinerlei Gedanken darüber gemacht, was aus dieser Gemahlin geworden war, respektive ihre Absenz nicht einmal bemerkt - was der Tatsache mochte geschuldet sein, dass er für feminine Absenzen schlichtweg keinen Sinn hatte.
    "Allfällig wäre somit dieser Anlass, das Eintreffen deiner Frau in Rom, eine gute Gelegenheit, der Iuno ein kleines öffentli'hes Opfer darzubringen. Eine Kuh als Dank für die Ankunft der Augusta, hernach die Ausgabe von Fleisch, Brot und Wein an das Volk. Der Herbst ist zwar allgemeinhin keine Zeit des Darbens, doch es gibt immer Menschen, welche dank..bar für jede Gabe sind, wiewol für jene, für welche nicht die Gaben relevant sind, ohnehin nur den Anlass bejubeln. Oder gibt es bereits anderweitige Pläne für dieses Ereignis?"
    Immerhin war die Augusta die wichtigste Frau des Imperium Romanum.
    "Darüberhinaus hätte ich noch einige kleinere Angelegenheiten des Collegium Pontificum dir anzu..tragen, sofern es deine Zeit zulässt. Andernfalls kann ich sie indes auch schriftlich übermitteln?"
    Gracchus hatte den Eindruck, dass er die Zeit des Imperators bereits eine geraume Weile beanspruchte, und auch als Pontifex pro magistro wollte er nicht zu fordernd sein - insbesondere, da er sein vorrangiges Ziel bereits hatte erreicht. Andererseits würde er sich das Diktat sparen können, sofern der Imperator ihm noch einige Augenblicke würde einräumen können.

    Sciurus


    Wie beinahe jeden Tag zu dieser Zeit saß Flavius Gracchus auch an diesem in seinem Officium, hörte sich wichtige Briefe an, die er erhalten hatte, diktierte seinem Vilicus die Antworten oder beschäftigte sich mehr oder minder intensiv mit sonstigen Schriftstücken, welche seine Aufmerksamkeit erforderten. In jenem Augenblick als das zarte Klopfen an der Türe erklang feilte er gerade an einem Satz bezüglich einer Opferung, registrierte nur mit halber Aufmerksamkeit wie Sicurus seinen Platz verließ und öffnete.
    "Was willst du?" fragte der Vilicus umgehend die Sklavin, welche er selbstredend als eine der Flavia Domitilla erkannte - nicht sonderlich schroff, jedoch auch nicht besonders freundlich.

    "Was tust du da, Herr?"
    drang mit einem Male Sciurus' Stimme an sein Ohr - war der Sklave doch von ihm unbemerkt hinter ihn getreten -, was dazu führte, dass Gracchus mit einem leisen Aufschrei zusammenfuhr, die Klinge unverrichteter Dinge aus seiner Hand fiel.
    "Sciurus!"
    fuhr er diesen erschrocken an, sank jedoch bereits im nächsten Augenblicke in sich zusammen, schüttelte desperat den Kopf und konnte nicht die Larmoyanz aus seinen Worten vertreiben.
    "Ich ... ich halte das nicht mehr aus. Ich verliere den Ver..stand. Ich ... ich habe geglaubt, es würde einfacher werden … irgendwann … wenn erst der Alltag wieder das Leben bestimmt. Alltägli'h similäre Salutationes, dröge Senatssitzungen, langatmige Contiones, eine nichtssagende Cena hier, eine un..bedeutende Cena dort, dieses ewige Palaver über profane Dinge in einer Art und Weise als könnten sie dazu gerei'hen die Welt zu verändern! Aber … aber während Rom in diesem Trott ver..sinkt, während all das, was geschehen ist, augenscheinlich nicht mehr wichtig erscheint … mich verfolgt es noch immer auf Schritt und Tritt, beständig sehe ich die Gesi'hter von Toten, beständig höre ich ihre Anklagen, beständig schwankt meine Erinnerung … immer dann, wenn ich gerade glaube, dies alles hinter mir zu lassen zu können, nurmehr nach vorne zu blicken, überkommt es mich aufs neue ... diese Zweifel, diese ... Fur'ht, diese Schuld … und nun auch noch Faustus, vor allem Faustus! Ich ... ich habe geglaubt es ist nur, was geschehn ist, was mich zernagt, und wenn alles nur wieder halbwegs in seine Bahnen kommt ... aber ... es ist nicht das Leben, es ist nicht die Aberration der Realität ... ich ... ich er..trage es schlichtweg nicht, seinen Hass zu sehen, seine Abscheu, der Ge..danke daran, dass er und ich nie wieder … ich ... ich will das alles nicht mehr … dieses Leben … diese ... Existenz ... ich will nicht mehr ..."
    Entschlossen nahm er die Klinge wieder auf.
    "Ich werde dem ein Ende setzen!"
    "Mit einem Dolch?"
    Obgleich Sciurus die Worte so emotionslos sprach wie stets, so glaubte doch Gracchus am Ende eine feine Nuance aus Skepsis, allfällig gar Belustigung nachschwingen zu hören.
    "Es ist der Dol'h meiner Mutter!"
    erwehrte er sich - jener Dolch, mit welchem nicht nur seine Mutter sich hatte entleibt, sondern ebenso seine Schwester -, bemerkte indes sogleich, dass dies seine unmännliche Wahl nicht gänzlich konnte erklären, und suchte eine Ausflucht, nicht eine andere familiäre Klinge erwählt zu haben.
    "Mein … Vater hat sein Gladius mit sein Grab genommen."
    Verständnisvoll - und doch glaubte Gracchus einen Schimmer von Amüsement in den hellen, blauen Augen zu entdecken - nickte Sciurus.
    "Und dein eigenes Gladius?"
    Als hätte der Sklave mit diesen Worten in eine ohnehin bereits überaus fragile Amphore ein Loch geschlagen, ergossen sich plötzliche Tränen über Gracchus' Wangen, sein Leib erbebte unter dem Zucken seines Schluchzens und der Dolch entglitt ihm abermals.
    "Ich ... ich weiß nicht wo es ist ..."
    , brachte der Flavier unter einem Fluss aus Tränen hervor als wäre er ein Kind, welches seinen Eltern musste gestehen, dass er sein ihm anvertrautes Geschwisterteil in der Menge Roms hatte verloren. Selbstredend besaß Gracchus ein Gladius, eine vorzüglich gearbeitete Waffe, deren Klinge mit feinen Mustern und deren Scheide mit goldenen Beschlägen war verziert, eine Waffe geschaffen nicht zum stumpfen Kampfe, sondern als Zierde - eine Verschwendung indes an einen Patrizier, welcher nichts damit wusste anzufangen, welcher mangels militärischer Ambitionen sie nicht einmal als Prunkstück trug. Gracchus hatte dieses Gladius zu seinem zwölften Geburtstag erhalten, sein Vater hatte es ihm bei einem seiner Besuche in Rom überreicht und hier in dieser Villa für ihn aufbewahrt, und nach seiner Rückkehr hatte er es einige Zeit in seinem Officium präsentiert bis der Anblick ihm zu martialisch erschien und er den Platz an der Wand mit einem Bildnis des Apollon hatte ausgeschmückt. Es hatte ihn nicht gekümmert, wo die Waffe war verwahrt worden, und nun - da sie die einzige Möglichkeit darstellte, seinem Leben auf eine adäquate, römische Weise ein Ende zu setzten - wusste Gracchus schlichtweg nicht, wo dieses Gladius geblieben war.
    "Es liegt in der Kiste in deinem Arbeitszimmer"
    , äußerte Sciurus sich nüchtern - selbstredend wusste der Vilicus von allen (beinahe, doch zumindest jenen seines Herrn) Gegenständen des Hauses, wo sie waren, seit wann sie dort waren und weshalb sie dort waren -, und trug somit wieder dazu bei, dass Gracchus' Tränenfluss allmählich verebbte. Einige Augenblicke sprachlos, mutlos zudem, ließ dieser seinen Kopf schlussendlich auf die kühle Tischplatte sinken - er hatte weder genügend Kraft, noch ausreichend Mut auf dieses Gladius zu warten, doch zweifelsohne hatte Sciurus Recht - er konnte sich nicht mit einem Dolch das Leben nehmen.
    "Nicht einmal dazu …"
    , murmelte er mit geschlossenen Augen.
    "Nicht einmal dazu bin ich fähig ..."
    Letztlich mangelte es ihm an Willen - denn letztlich wollte er sein Leben nicht unbedingt beenden, er wollte schlichtweg nur wieder in Faustus' Armen enden.

    Der Antrag der Decima evozierte mehr als nur ein schlechtes Gewissen in Gracchus, wiewohl dieses Ansinnen kaum würde verhindern können, dass ein Pontifex pro magistro das Testament bereits vor der Ausgabe heimlich austauschte, somit auch künftig eine Fälschung durchaus realisierbar war. Doch dies konnte er schlecht beisteuern, wiewohl schlussendlich ein Pontifex pro magistro ohnehin über jeden Zweifel sollte erhaben sein - theoretisch.
    "Dies Ansinnen ist dur'haus sinnfällig, indes kann über die Art und Weise der Handhabung imperialer Testamente zweifelsohne nur der Augustus selbst bestimmen. Sofern es keine Gegenargumente gibt werde ich ihm diesen Antrag, sowie euren Wunsch zur Zutrittsbeschränkung vor..legen, und euch hernach wissen lassen, wie er entschieden hat."
    Auf der Suche nach möglichen Einwänden blickte Gracchus kurz durch die Runde.

    Hätte Sciurus nicht ihn am Morgen auf die Besonderheit dieses Tages hingewiesen - Gracchus hätte gänzlich darauf vergessen, und hätte Sciurus nicht vor Wochen bereits nach einem Präsent gefragt, Gracchus hätte an diesem Tage mit leeren Händen vor seinem Sohn gestanden. Da der Anlass privater Natur war, trug Gracchus nur eine terrafarbene Tunika unter einer auberginefarbenen Toga, kam indes nicht allzu lange vor seinem Sohn, um dem Zwang zu zwanglosen Gesprächen mit der Familie sich ein wenig zu entziehen. Als Minor in seiner strahlend weißfarbenen Toga das Atrium betrat stahl sich dennoch ein schmales Lächeln um seine Lippen, sah er doch bereits den großen Senator Manius Flavius Gracchus Minor vor sich - und somit zumindest ein Träger dieses Namens, welcher dem Imperium Romanum zu großem Ruhm würde verhelfen.
    "Minimus"
    , empfing der Vater den Sohn wie eh und je.
    "Alles Gute zu deinem Ehrentage!"
    Wie eh und je hatte er nicht allzu viele Worte für seinen Sohn - nicht etwa aus Gleichgültigkeit, sondern da Gracchus auch mit Minors Erwachsenwerden noch immer keinen Zugang zu seinem Nachkommen fand, da seine Kinder bisweilen ihm ebenso unerreichbar schienen wie ihre Mutter es stets gewesen war. Somit gab er nur Sciurus einen Wink, welcher mit dem Präsent hervor trat, ein länglicher Kasten aus dunklem Holz. Darin verbarg sich ein Gladius, kein einfaches Legionärsschwert, sondern ein aufwändig gearbeitetes Stück, welches zweifelsohne als Prunkwaffe sich würde eigenen - oder eben als Gladius eines Patriziers.
    "Ich hoffe sehr, du wirst es niemals be..nötigen, doch ein jeder Römer sollte sein eigenes besitzen."
    Ein unbekümmerter Geist mochte bei solchen Worten an jene fernen Gelegenheiten denken, zu welchen wilde Barbaren bis nach Rom hin drangen oder aber meuternde Sklavenscharen vor die Tore der Stadt zogen, ein von der nicht allzu fernen Vergangenheit geplagter Geist mochte sich der Notwendigkeit der Verteidigung im Falle eines Bürgerkrieges entsinnen, doch Gracchus hatte mehr jene letzte Gelegenheit im Leben eines Römers im Sinn, zu welcher er selbst eben diesem ein Ende setzte, denn der Anstoß dieses Geschenkes war eine überaus aufwühlende Angelegenheit gewesen, erwachsen aus der Not der Verzweiflung, das Geschenk selbst somit eine schlichte Notwendigkeit - denn auch wenn die Zukunft seines Sohnes bereits vorgezeichnet zu sein schien, nur die Parzen wussten, welche Wendungen es darin würde geben.

    Kein Wort hatte Gracchus gesprochen auf dem Weg zurück vom Tempel des Serapis, regelrecht willenlos hatte er von Sciurus sich zu seiner Sänfte zurückbringen lassen, sein Blick voll Furcht gerichtet in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, seine Ohren taub für den Lärm der Großstadt um ihn her, angefüllt vom Klagen und Jammern, Heulen und Wimmern der Larven, deren Blut an seinen Händen klebte, sein Herz zerrissen, zermalmt von endloser Leere. Wortlos war er über die Schwelle jenen Hauses gestolpert, welches er als sein Zuhause betrachtete, welches gleichsam ihn erdrückte durch die Erwartungen, welche in seinen Mauern lauerten, durch die Verantwortung, welche ausgehend von den Masken seiner Vorfahren durch jeden Raum hin schwebte, durch die Pflichten, welche der Grund und Boden vorgab - denn allfällig war dies alles nicht sein Leben, allfällig war dies alles nur Teil jenes Mörders, jenes Verräters, welcher in seinen Gefilden sich hatte eingenistet. Sein Cubiculum einzig bot ihm Halt, bot ihm Hinweis auf den, der er war, den, der er glaubte zu sein, denn während das Bett in gleicher oder similärer Art in jedem Schlafzimmer des Hauses stand, während der kleine Tisch am Fenster mit den beiden filigranen Stühlen nur Erbstücke waren und darob vom Stil eines anderen, eines Toten, zeugten, war das schmale Regal aus dunklem Ebenholz angefüllt mit Erinnerungen, Geschenken und Kuriositäten, welche zu persönlich waren, sie in seinem Officium oder einem der öffentlichen Bereiche des Hauses zu präsentieren. Doch obgleich all diese Schätze von seiner Person kündeten, den Manius Flavius Gracchus, Sohn des Titus Vespasianus, zu umreißen suchten, so konnte nichts davon die Vergangenheit negieren, nichts davon die Gegenwart nivellieren - nicht die metallene Plakette, welche sein erster Sciurus hatte um den Hals getragen, nicht das grob geschnitzte Pferd, welches der junge Caius einst unter einem Olivenbaum in Achaia hatte geschaffen, nicht die drei kleinen, kupfernen Büsten der flavischen Kaiser, welche er von seinem Großvater hatte erhalten, nicht die Phiole mit 'dem unwiderstehlichsten Duft, der dir garantiert die Herzen aller Frauen öffnen wird', welche Aristides ihm einst hatte überlassen, von welcher er indes nicht einen einzigen Tropfen hatte vergossen, nicht das Medaillon, welches Antonia ihm vor Jahren hatte geschenkt. Nur ein einziges Element dieser Sammlung schien dazu geschaffen, die Welt wieder in Ordnung zu bringen. Noch immer zitterten Gracchus' Hände leicht als er die Schatulle aus Elfenbein aus einem der untersten Fächer empor hob, sie zu dem kleinen Tisch am Fenster hinüber trug und sich setzte. Er war sich nicht dessen gewahr, dass Sciurus nahe der Türe im Raum stand, ihn beobachtete als der den Deckel, welcher mit einer Szene aus der Sage des Ödipus war geschmückt, empor hob und einige Augenblicke die schimmernde Klinge betrachtete, welche eingebettet in den weichen, cremefarbenen Stoff gänzlich unschuldig anmutete. Er wusste, dass er nicht zu lange durfte zögern, denn nichts war größer in ihm als die Furcht vor dem Tode, nichts war größer in ihm als seine eigene Feigheit. Zitternd nahm er die Klinge in die linke und legte die rechte Hand mit dem Rücken auf den Tisch. Ein Schnitt nur sollte notwendig sein, ein einziger Schnitt, dass das Blut in Strömen würde fließen. Das Blut. Sein Blut. In Strömen. Er musste sich eilen, nur ein einziger Schnitt. Was, wenn es nicht würde ausreichen? Wenn nur Blut würde fließen, zu viel Blut und doch kein Leben? Sein Blut. Beinah wurde ihm blümerant vor Augen schon bei dem Gedanken an diesen Anblick. Ein Schnitt nur. Senkrecht oder Waagrecht? Prüfend legte er die Klinge über sein Handgelenk.