Beiträge von Manius Flavius Gracchus

    Merkwürdig mochte Gracchus zweifellos viel erscheinen, was auf dem Weg zu erwarten war, doch hatte er sich in den letzten Tagen daran gewöhnt, dies alles nicht weiter zu beachten, dies merkwürdige Leben, welches außerhalb einer patrizischen Villa, welches außerhalb der Urbs Aeterna, welches ohne das beständige Umsorgtwerden durch eine Schar von Sklaven vorherrschte, dieses umständliche, mühsame, komplexe Leben, welches sonstig dem seinen so weit entfernt war - zumindest in seinen Gedanken.
    "Wir werden so schnell galoppieren können, wie es not..wendig sein wird"
    entgegnete er dem Decurio, denn sofern Gefahr sollte drohen, würde dies in Gracchus' Vorstellungswelt nur eine tödliche sein können, so dass es nicht mehr von Belang würde sein, wenn sie vom Rücken der Pferde wurden geworfen und sich das Genick brachen. Sodann wies er auf die ledernen Scheiden, aus welchen die Griffe der Gladii herausragten, und auf welche er gänzlich hätte vergessen - auch dies gehörte sonstig nicht zu seinem Leben.
    "Wir haben Schwerter dabei. Doch ..."
    Er blickte von seinem Sohn, der nicht mehr als ein paar spielerische Übungskämpfe mit einem Holzgladius hinter sich hatte, über seinen Neffen, der ob seiner Entkräftung kaum sich selbst konnte auf den Beinen halten, zurück zu Decimus Cursor.
    "Im Erns..tfall wäre es besser, sich nicht auf einen Kampf einzulassen."
    Auch Gracchus würde gegen einen versierten Gegner kaum etwas ausrichten können, denn die Zeiten, in denen er als junger Mann sich mit dem Waffenkampf hatte beschäftigt waren längst vorbei - zudem hatte er ohnehin stets den Ringkampf präferiert -, wiewohl er es ob mangelnder Notwendigkeit hatte versäumt, die essentiellen Bewegungsabfolgen zum Führen eines Gladius mit der linken Hand zu trainieren, nachdem die rechte ihm den Dienst hatte versagt. Er nahm die Pfeife, welche der Soldat ihm reichte, und vermied es, ihn weiter anzusehen. Sie waren Flavier, sie waren Patrizier, er war Senator, Praetorier und Pontifex des Imperium Romanum - doch im Augenblick fühlte Gracchus sich wieder mehr wie ein Körnchen Staub, welches machtlos dem geringsten Luftstrom war ausgeliefert, und nur sehr tief in seinem Innersten verborgen schürte dies weiter den Zorn auf Vescularius Salinator, welcher Ursache all dessen war. Gracchus nahm zusätzlich die drei Gladii auf, ein wenig überfordert mit der Masse an Dingen, schob dann Flaccus durch die Türe nach draußen, dass sie endlich würden aufbrechen.

    Gracchus nahm Flaccus' Tasche zu der seinen, um den Neffen diesbezüglich ein wenig zu entlasten, als der Name seines Sohnes - sein eigener Name zudem - über dessen Lippen glitt. Sein Leib versteifte sich ein wenig, sein Blick glitt prüfend zu Decimus Cursor - zwar hatte Aurelius Ursus diesen als vertrauensvoll ausgewählt, dennoch hatte er ihm nicht Gracchus' Namen genannt, vermutlich da es vorerst trotz allem besser war, je weniger Menschen im Castellum über ihre Anwesenheit Bescheid wussten.
    "Noch sind wir nicht im Castellum angelangt"
    , mahnte Gracchus seinen Sohn darob gestreng, was weniger tatsächlichem Zorn, denn mehr seiner eigenen Furcht geschuldet war.
    "Darum gilt es für dich weiterhin zu schweigen und unauf..fällig zu bleiben."
    Letztlich indes war es wohl seine eigene Schuld, hatte er Minor doch den Soldaten als Verbündeten vorgestellt. Zu Cursor gewandt fuhr er fort als wäre der Name nie ausgesprochen worden, als wäre dies nur ein Scherz gewesen oder als wäre Gracchus von den Worten des Soldaten, dass Namen nur Schall und Rauch waren, selbst gänzlich überzeugt.
    "Wir werden die Abkürzung nehmen. Minimus wird mit auf deinem Pferd reiten, ich werde dafür Sorge tragen, dass Flaccus den Anschluss nicht ver..liert."
    Er sehnte sich nach einem Bad, einem heißen Bad mit einem Sklaven - besser noch mit Faustus -, doch vorerst würde ihm ein heißes Bad genügen, und je mehr er über die Annehmlichkeiten, welche er in einem Castellum vorzufinden erwartete, sinnierte, desto schneller mochte Gracchus dort ankommen.

    Leise drang das Geräusch von Metall, welches über Holz schabt, durch die Türe nach draußen als Minor den Riegel zur Seite schob, wenige Herzschläge später fand Gracchus Maior sich in der Umarmung seines Sohnes wieder. Ob der Anspannung der zurückliegenden Tage ein wenig rührselig schob der Vater den Sohn nicht von sich, sondern ließ die körperliche Nähe zwischen ihnen nicht nur zu, verstärkte sie gar, indem er seine Hände auf Minors Schultern legte und ihn festhielt, ein wenig der Erleichterung auf ihn zu übertragen suchte, welche er selbst nach der Ankunft bei Aurelius Ursus hatte verspürt.
    "Ja, Minimus, nun wird alles gut."
    Er wollte es selbst nur allzu gerne glauben, denn obgleich die Zukunft noch immer gänzlich nebulös vor ihnen lag, so waren ihre Aussichten doch nicht mehr gar so trüb wie in den zurückliegenden Tagen voller banger Furcht. Gracchus trat gänzlich in den Raum hinein und offenbarte somit seinem Sohn den Blick auf den Soldaten hinter ihm.
    "Dies ist Decurio Decimus, er ist ein getreuer Soldat des Legaten Aurelius Ursus und wird uns zum Castellum der Legio geleiten. Dort werden wir vorerst bleiben, dort sind wir in Si'herheit."
    Zu Decimus gewandt führte er die kleine Vorstellungsrunde fort.
    "Dies ist mein Sohn Minimus."
    Er sah keinen Sinn darin, die Abstammung, wiewohl den Namen Minors zu verbergen sofern er den nomen gentile nicht nannte, denn weitere falsche Aussagen würden ihn nur selbst verwirren, wiewohl zweifelsohne auch seinen Sohn.
    "Und dies dort ist unser Be..gleiter Flaccus. Er hat sich ein Fieber zugezogen während unserer Reise und ist ein wenig entkräftet, bis zum Lager jedo'h wird er zweifelsohne reiten können."
    In keinem Falle würde Gracchus seinen Neffen in dieser Herberge zurücklassen, selbst wenn er ihn auf seinem Rücken bis zur Legio I würde tragen müssen. Doch nachdem er an die Liege herangetreten und Flaccus geweckt hatte, war dieser durchaus bereit, ein letztes kurzes Stück auf dem Pferd zurück zu legen. In kurzen Augenblicken war das wenige Gepäck, welches sie hatten - alles, was sie derzeit überhaupt besaßen -, gepackt, und die drei Flavier waren bereit, wenn nicht gar begierig darauf, ihrer Flucht ein Ende zu setzen und Decimus Cursor zurück zum Castellum der Legio I zu folgen.

    Für die Inauguratio des Kaisers zum Pontifex Maximus bin ich auf der Suche nach dem Namen des Vaters des Vescularius Salinator. Bisher konnte ich über die Suche nur herausfinden, dass dieser ein Eques aus Lucania war, im Tabularium ist er nicht aufgeführt.


    Wurde der Name schon einmal irgendwo erwähnt?

    Gracchus trat durch die Türe hindurch.
    "Wir müssen gen ..."
    Das Stocken seiner Worte zeigte sich gleichsam in einem Stocken seiner Bewegungen, während er suchte, die Himmelsrichtung zu bestimmen, in welcher die Unterkunft lag, bereits im nächsten Augenblicke indes sich musste eingestehen, dass er keinerlei Acht hatte darauf gehabt, die Zeichen des Tageslaufes zu bestimmen, sondern schlichtweg dem ihm genannten Weg zur Legio I war gefolgt.
    "... an der Abzweigung links"
    , beendete er darob den Satz ein wenig holprig, denn dass er von der Hauptstraße nach rechts zum Tor der Legio abgebogen war, dies wusste er noch. Da Gracchus auch den Rest des kurzen Weges noch würde finden, war es vermutlich ohnehin für den Decurio im Voraus nicht wichtig, diesen Weg zu kennen, so dass Gracchus fortan schweigend neben dem Decimus durch die Principia und durch das Lager der Legio I ging, welches sie kurz darauf verließen.

    Der Weg nach dem Gespräch mit Aurelius Ursus vom Castellum der Legio I zurück war nicht schwer zu finden, so dass selbst Gracchus, welcher sich um solcherlei Dinge wie Wegfindung in seinem Leben sonstig nicht zu kümmern brauchte - in jenem unkomplizierten Patrizierleben, welches ihm so fern, so lange zurück schien als wäre es das Leben eines anderen gewesen -, alsbald zu dem Gasthaus zurück fand. Decurio Decimus, welcher ihm von Ursus zur Seite war gestellt worden, um eine reibungslose Rückkehr in das Lager der Legion zu ermöglichen, und er banden die Pferde an einen Holm vor dem Haus, ehedem Gracchus den Soldaten wortlos durch den kahlen Innenhof des Gebäudes die schmale Treppe zu den Gästezimmern empor führte. Vor dem Raum, in welchem Minor und Flaccus warteten, stoppte er und klopfte.
    "Flaccus, Minimus, öffnet die Türe. Faustus hat die Gestade Aegyptens errei'ht."
    Nichts tat sich im Inneren, und als Gracchus daraufhin sein Faux Pax bewusst wurde, spürte er wie seine Wangen ein wenig sich erhitzten, was durchaus auch in einer leichten Röte sich mochte zeigen, welche jedoch durch den Bart, welcher sich in den letzten Tagen dort hatte ausgebreitet, beinahe gänzlich wurde verdeckt. Obgleich er sich für die Losung eines mythisch-historischen Themas hatte bedient in der Hoffnung, dass Minor die zugehörige Geschichte bekannt war, so hatte er selbstredend dabei an Faustus Serapio gedacht. Selbst in Anbetracht der Schmerzen, welche seinen Leib und Geist fortwährend auf dem Rücken des Pferdes hatten gequält, so hatte er doch auf dem langen Weg von Rom nach Mantua überaus reichliche Gelegenheit gefunden, sich in seinen Gedanken zu bewegen, dabei auch ausgiebig an seinen Geliebten zu denken, von welchem er wieder einmal nicht mehr wusste, ob er überhaupt noch sein Geliebter war. Dass Serapio jedoch versucht hatte, ihn noch einmal zu treffen, ehedem er Rom wieder hatte verlassen - insbesondere die Worte, welche er dazu hatte verwendet -, ließ nicht nur Hoffnung in Gracchus aufkeimen, sondern gleichsam seine Sehnsucht ins Unermessliche wachsen. Er unterdrückte ein Seufzen, suchte Faustus aus seinen Gedanken zu verbannen, da die grausame Realität fern dieses wundervollen Traumes war, und klopfte noch einmal an die Türe und korrigierte sich dabei.
    "Öffnet die Türe, es besteht keine Gefahr. Hephaistion hat die Gestade Aegyptens erreicht."
    Obgleich Flaccus womöglich noch immer oder wieder schlafen würde, so hoffte Gracchus, dass zumindest Minor wach war und sich nicht ebenfalls aufgrund des Mangels anderer Möglichkeiten zu Beschäftigung hatte noch einmal schlafen gelegt.

    "Danke"
    , wandte Gracchus sich noch einmal an Aurelius Ursus und stellte den Becher fort, um sich zu erheben. Sein Gesäß hatte eben erst die Sitzfläche des Stuhles verlassen, als der Schmerz neuerlich durch seine Glieder fuhr, welchen der Wein in seinem sonstig halb leeren Magen zwar ein wenig zu verdrängen wusste, jedoch nicht zur Gänze. Gracchus stockte in seiner Bewegung und konnte nicht verhindern, dass ein leises Stöhnen ihm echappierte, ehedem er seinen Rücken durchstreckte, den Atem anhielt und sich aufrichtete. Er suchte die Unzulänglichkeiten seines Leibes zu überspielen und seine Bereitschaft zum Aufbruch anzuzeigen durch ein schiefes Lächeln und ein Nicken zu dem Decurio hin und folgte sodann diesem, wenn auch im ersten Augenblicke ein wenig derangiert über den Namen, mit welchem er ihn titulierte, ehedem ihm wieder zu Bewusstsein gelangte, dass es eben jener Name war, welchen er sich selbst hatte vor dem Tor der Legio I gewählt, gleichwohl dass ihn selbst dieser Vorbedacht vermutlich auf Dauer würde mehr irritieren und verwirren, als dass er ihm würde nutzen können.

    II - III


    Die nachfolgenden Tage folgten einem stets gleichen Muster, welches mit einem müden Erwachen in fremden, unbequemen Betten begann - der Leib dabei weder erholt, noch regeneriert über die kurze Nacht hin -, gefolgt von einem kargen Frühstücksmahl - denn obgleich sie durchaus einige Münzen von Tiboetes hatten erhalten, so war schlussendlich nicht abzusehen, wie lange sie tatsächlich damit würden auskommen müssen. Hernach folgte ein Ritt durch die kühle, karge Landschaft auf den gepflasterten Straßen, welche allerorten ident erschienen, vorbei an Dörfern und Häusern, die kaum voneinander differierten so als ritten sie beständig im Kreise - und nur die Erhebungen und Täler der sich wandelnden Landschaft wussten diesen trügerischen Eindruck zu durchbrechen. Gegen Mittag suchten sie sich eine Garküche, aus welcher sie ein Mahl mit sich nahmen und außerhalb der Siedlungen aßen, dazwischen legten sie nur wenige Pausen ein, zumeist um den Pferden ein wenig Schonung zu gewähren, bis sie am Abend schlussendlich in eine Herberge einkehrten, um den Tag in einem fremden, unbequemen Bett abzuschließen.

    ~~~


    Gracchus hatte vergessen, die Tage zu zählen, welche sie bereits unterwegs waren seit sie Rom hatten verlassen, und da ihm die zurückliegenden Tage alle in gleicher Weise abominabel erschienen, gleich trist und mehr noch peinvoll, konnte er kurz vor Mantua sie nicht einmal mehr voneinander differenzieren, um so ihre Anzahl zu ermitteln. Obgleich sein eigener Leib in jeder Muskel, jedem Knochen und jeder Faser schmerzte und er darob vorwiegend mit sich selbst und seinen eigenen Qualen war beschäftigt, so bemerkte er doch seit dem Vortage an Flaccus wieder ein übermäßiges Unwohlsein, da sein Neffe die fiebrige Erkältung nicht gänzlich abgeschüttelt zu haben schien, so dass er froh war, dass sie ihr vorläufiges Ziel in einer schäbigen Unterkunft einige Meilen vor der Stadt erreichten, wiewohl er aufs heftigste darauf hoffte, dass Aurelius Ursus sie nicht würde abweisen oder gar schlimmer noch ihnen feindlich gesinnt sein. Sie hatten kaum einen kleinen Raum bezogen, welcher ihnen womöglich noch als Schlafgemach würde dienen, hatten sich gerade - mangels anderer Sitzgelegenheiten - auf den harten Betten niedergelassen, da hatte Flaccus sich bereits auf der Liegefläche zusammen gekauert und war eingeschlafen.
    "Es ist wohl besser, wenn ich direkt aufbreche"
    , wandte Gracchus sich darob an seinen Sohn, welchem die Spuren der Reise ebenfalls deutlich in sein junges Gesicht waren geschrieben.
    "Ich werde zur Legio I reiten, um mit dem Legaten Aurelius Ursus zu spre'hen. Du wirst hier bei deinem Vetter bleiben und auf mich warten. Sollte ich nicht bis morgen früh wieder zurückkehren, so werdet ihr beide weiter nach Norden reiten. Falls irgend..jemand an die Türe klopft, so werdet ihr nicht öffnen und keinen Laut von euch geben."
    Gracchus überlegte kurz, sog einen Augenblick lang die Unterlippe zwischen die Zähne, ehedem er Minor wieder fixierte.
    "Wenn ich zurückkomme und euch auffordere die Türe zu öffnen, so werdet ihr ebenfalls schweigen, es sei denn ... es sei denn, ich füge folgenden Worte an: Hephaistion ... Hephaistion hat die Gestade Aegyptens erreicht. Präge dir dies gut ein, Minimus - Hephaistion hat die Gestade Aegyptens er..reicht. Nur auf diese Worte hin werdet ihr die Türe öffnen, gleich was ich euch sonst auch sage, hast du verstanden? Erwähne ich diesen Satz nicht, so wartet, bis es wieder ruhig ist auf dem Flur und verlasst dann diesen Ort so schnell wie möglich."
    Es gab noch so viele Eventualitäten, auf welche Gracchus Maior seinen Sohn mochte vorbereiten, doch die Zeit drängte, wiewohl er wohl ohnehin nie jede mögliche Situation würde bedenken können, so dass er nach einem leisen Seufzen sich erhob und einen kleinen Stoffbeutel von seinem Gürtel nestelte, in welchem der flavische Siegelring war verwahrt, welchen er auf eine überaus unangenehme Art und Weise hatte aus Rom geschmuggelt, welche er niemals irgendjemandem würde eingestehen.
    "Passe gut darauf auf und vergiss niemals, dass du ein Flavius bist und ... und dass ich ... sehr stolz auf dich bin, Minimus."
    Ein wenig zögerlich fuhr er dem Jungen über das dunkle Haar, zögerte einen Augenblick in Gedanken daran, ihn noch einmal zu umarmen, entschied sich jedoch gegen diese übermäßige Emotionalität und klopfte ihm nur aufmunternd auf die Schulter. Dann nahm er die Tasche, in welcher unter anderem das Schriftstück lag, welches er mit Tiboetes Hilfe in Scapulas Villa im Namen des Collegium Pontificum hatte verfasst, und trat zur Tür.
    "Schließe hinter mir den Riegel"
    , wies er Minor an, ehedem er die Türe hinter sich zu zog und mit hastigen, ein wenig gequälten Schritten, das Haus verließ, sein Pferd aus dem Stall zu holen. Er wollte nicht daran denken, dass dies womöglich die letzten Augenblicke würden sein können, welche er je mit seinem Sohn hatte verbracht, doch gerade ob dessen drängte sich dies aufdringlich in seinen Geist - legte sich gar über den Schmerz, welcher wieder in seinem Leib entflammte, kaum dass er auf dem Rücken des Pferdes saß. Vor der Herberge kehrte er zurück auf die gepflasterte Hauptstraße, auf welcher sie gekommen waren, wagte erst nach einer kurzen Wegstrecke einen ihm entgegenkommenden Mann nach dem Weg zur Legio I zu befragen, um diesen einzuschlagen.

    Am nächsten Morgen hatte ein leichter Nieselregen sich über das Land gelegt, und selbst Gracchus, welcher sonstig ein überaus großes Talent besaß, das Befinden anderer nicht wahrzunehmen, konnte mit jeder Meile, welche sie auf dem Rücken der Pferde zurücklegen, sehen, wie das Wohlbefinden aus Flaccus' Leibe schwand, wie nicht nur die ungewohnten Entbehrungen und die Strapaze der Reise ihm zusetzten, sondern ebenso eine zunehmende Kälte aus seinem Inneren heraus. Dennoch verwehrte sein Neffe sich dagegen mehr als nur eine kurze Rast zur Mittagszeit hin einzulegen, im rauchigen Dunst einer Garküche ein undefinierbares Gemisch aus Getreide und Gemüse und dazu einen warmen, verwässerten Gewürzwein zu sich zu nehmen, um nicht allzu viel Zeit zu verlieren. Zum Nachmittag hin dann bemerkte Gracchus, dass das beständige, leise Zittern auch auf seinen Sohn hatte übergegriffen, welcher kaum mehr nur ein Wort von sich gab, stumpfsinnig vor sich hinstarrend auf dem Pferd zusammen gesunken war, und es schien ihm beinah als wären Flaccus und Minor bereits in eine andere Welt vorausgeeilt, als würden ihre Leiber nurmehr Schatten gleich ihn auf seinem eigenen Pfad in die Unterwelt hin geleiten. Zu der Furcht vor den Schergen des Vescularius, der Furcht entdeckt zu werden auf ihrer Flucht, gesellte darob alsbald sich zudem die Furcht vor einem raschen, tödlichen Ende ihrer Flucht, dass er bei nächster Gelegenheit ihnen eine Möglichkeit zur Übernachtung suchte - weit noch vor Einbruch der Nacht. Schwankend schleppte Flaccus unter den argwöhnischen Augen der Wirtin sich in das Hinterzimmer der Hospitia, während Gracchus seinen Sohn stützte, der im Delirium des Fiebers immer wieder nach seiner Mutter fragte. Schon mit seinem eigenen Siechtum war Gracchus stets überfordert, doch dasjenige der anderen hatte er Zeit seines Lebens zu ignorieren gewusst, dass ihm nicht viel blieb als sich zu entsinnen, was Sciurus für gewöhnlich tat, wenn er selbst an einem Leiden laborierte. Mit einem feuchten Tuch suchte er vergeblich die Hitze aus den Leibern seiner Verwandten von deren Stirne aufzunehmen, flößte ab und an ihnen Wasser in die trockenen Kehlen, wusste sonstig jedoch nur rastlos auf und ab zu gehen in dem kleinen Raum, in welchem alsbald die Luft ihm stickig wurde, die Hitze unerträglich. Endlos zerrannen die Augenblicke ihm in den Fingern, ergebnislos floss die Zeit an ihm vorbei, während er machtlos sich als Zuschauer der Realität begriff, in welche durch einen Anflug latenter Panik in ihm evoziert sich alsbald Trug und Unwirklichkeit einschlich, ihm das langsame Sterben seines Sohnes vorgab, das Erlöschen des Lebensfunkens in Minimus' jungem Leibe, über dessen Haupte längst die schattige, dunkle Hand des Dis Pater schwebte. Gracchus bemerkte nicht die fiebrige Hitze, welche auch auf seine Stirne allmählich Schweißperlen trieb, nicht das Frösteln, welches auch seinen Leib erzittern ließ, schien ihm seine Kehle doch ausgedörrt vor Angst, schien ihm der Raum nur beengt durch das Nahen der Manen und Penaten, welche gekommen waren, Minors Genius in ihren Kreis aufzunehmen. In nie gekannter Furcht saß er auf der Kante des harten Bettes, hatte seine Arme um den Oberkörper seines Sohnes geschlungen und hielt diesen fest, so fest als würde allein dies ihn in der Welt der Lebenden halten können, stricht beständig über das strohige, dunkle Haar, und murmelte leise Beschwörungen, um die garstigen Schergen des Dis abzuwehren bis dass er selbst neben seinem Sohn in einen unruhigen, fiebrigen Schlaf verfiel.

    ~~~


    Einen ganzen Tag verloren sie an den fiebrigen Wahn, in welchem sie allesamt vor sich hin dämmerten, jeder in seinem eigenen Delirum gefangen. Zuerst glaubte Gracchus, erfrieren zu müssen, dann wiederum zu zerbersten vor Hitze, schlussendlich war ihm schon die Anstrengung, die Lider zu heben, eine unerträgliche Last. Immer wieder glaubte er, sich einer Pflicht entsinnen zu müssen, einer Verantwortung für seine Familie, doch in den Tiefen des Deliriums waren selbst Minor und Flaccus ihm fern, war ihm nur die schwere Dunkelheit des Dahindämmerns ein willkommenes Nest, in welches bereitwillig er sich betten ließ, davon treiben von diffusen Nebeln durch die Zeit.

    ~~~


    Zittrig waren ihre Glieder am darauffolgenden Morgen, fahrig ihre Bewegungen und träge ihre Geister. Flaccus begann als erstes sein Gesicht mit dem kühlen Wasser aus einer Waschschüssel zu benetzen, dass auch Gracchus sich aus dem unbequemen Bett empor zwang, sorgenvoll zu Minor hin trat und dessen Stirn befühlte, die doch - soweit er dies zu beurteilen wusste - wieder mehr oder minder normal temperiert war. Obgleich keiner von ihnen vollends genesen war, obgleich der Schmerz in ihren Gliedern steckte, so entschieden die beiden älteren Flavier doch, nach einem kargen Frühstück wieder aufzubrechen, da sie sich keine weitere Verzögerung konnten leisten, kein Darniederliegen in Krankheit und kein träges Ausruhen und Entspannen. Gelegenheit, sich auszukurieren, würden sie hoffentlich in Mantua erhalten, doch bis dahin mussten sie versuchen, zügig voran zu kommen. Während Flaccus den Raum verließ, um die Pferde vorzubereiten, strich Gracchus sorgenvoll über Minors Haar.
    "Minimus, wache auf. Wir müssen weiter."

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus et Titus Decimus Cursor
    ...


    Im ersten Augenblicke schien es Gracchus merkwürdig, dass Ursus unter seinen Soldaten auch Klienten hatte, doch im Grunde genommen war dies nicht nur üblich, sondern überaus nützlich, wiewohl er sich der vielen Klienten entsann, welche sein Vetter Aristides aus der Legio hatte nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst mit nach Rom gebracht. Es führte dies Gracchus indes vor Augen, wie wenig er über das Militär wusste, wie wenig über die Strukturen und Gepflogenheiten - und bestärkte ihn darin, dem Rat des Aureliers unbedingt Folge zu leisten und in den kommenden Tagen sich so wenig wie möglich außerhalb des Praetoriums zu zeigen, um nicht unnötige Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und er wünschte sich, er hätte auf direktem Wege sich dort verkriechen können. Doch zu schnell stand der herbeigeorderte Klient, ein Decurio, im Raume. Gracchus musterte ihn interessiert - Decurio Decimus Cursor. Selbstredend war dies kein seltener nomen gentile im Imperium, und doch musste Gracchus sogleich an Faustus denken, spürte in sich sogleich ein Aufwallen drängender Sehnsucht emporsteigen, für welches es dieser Zeit indes keinen Raum gab, keinen Raum geben durfte.

    ~~~ Gefangen in Morpheus' Reich ~~~

    Schwer zogen die großen, goldfarbenen Schlüssel an der Kette um seinen Hals, zogen mit ihrem Gewicht seinen Kopf nach vorn, dass es stets schien als würde er sich verbeugen vor einer unsichtbaren Herrschaft, oder aber als wäre er längst gebeugt durch das Schicksal, hernieder gedrückt durch die Wirren der Zeit. Schwerfällig auch zog er seine baren Füße Schritt um Schritt voran, setzte sie auf das kalte Pflaster der Straße, zwischen matschige Rillen und eisige Pfützen, dass jede Berührung seiner Sohlen mit dem Grunde ihm einen Schauer von Schmerzen durch den Leibe trieb.
    Hierher, Manius, hier bin ich!
    Deutlich vernahm er den Ruf des geliebten Hephaistion, einem Leuchten in der undurchdringlichen Finsternis gleich, dem güldenen Stern am Abendhimmel, welcher durch alle unwägbaren Lande ihn mochte führen, und als endlich der Laut verstummte, stießen seine Zehen hart gegen ein hölzernes Behältnis. Goldfarbene Schlösser prangten daran und sehnten sich nach den Schlüsseln, welche ihn gebeugt hielten, dass er mit zittriger, fahriger Hand Verschluss um Verschluss löste, sich selbst gleichsam von der Last seiner Sehnsucht befreite. Knarzend hob sich der Deckel der Kiste und einen Augenblick lang musste er seinen Blick abwenden, dem gleißenden Licht darin zu entkommen, welches dem Inneren entströmte, bis dass ein keckerndes Lachen ihn zurückblicken ließ.
    Manius, Manius, geliebter Manius!
    spottete der Kopf des Vescularius Salinator aus der Kiste in ein hämisches Grinsen verfallen.
    Versteck dich nur, Kaisermörder, ich finde dich überall! Dich und deine Brut! Überall!
    Dröhnend schallte das Lachen ihm entgegen, dass er erschrocken den Deckel zurückschlug auf die Kiste, doch auch durch das Holz hindurch konnte er das Gelächter des Vesculariers noch vernehmen, dass er sich hastig umwandte und zu fliehen suchte. Die Kette jedoch, die seinen Hals hatte umwunden, zog sich nun um seine Füße, enger mit jedem Schritt, fasste ihn eisernen Händen gleich, dass er alsbald strauchelte, stolperte und der Dunkelheit des Grundes entgegen fiel.

    ~~~


    "Nein!"
    schreckte Gracchus aus unruhigem Schlaf in die Dunkelheit des ihm unbekannten Raumes, atmete einige Augenblicke vernehmlich in die Stille der Nacht, ehedem ihm ein leises, weinerliches
    "Sciurus?"
    entfuhr. Doch der Sklave kam noch immer nicht, ließ keinen Laut vernehmen, dass Gracchus es alsbald dämmerte, wo und in welcher Lage er sich befand. Ein leises Stöhnen von der Seite her brachte letztlich ihn gänzlich zurück in die Realität als sein Neffe Flaccus sich unruhig auf seiner Liege wand. Gracchus atmete tief die kalte Nachtluft in seine Lungen, schlug die dünne Decke der schäbigen Bettstatt zur Seite und setzte seine Füße auf die kalten Bodenbretter. Umständlich erhob er sich, spürte dabei wieder schmerzhaft jede Faser seines Leibes, und schlich ein wenig orientierungslos durch den kleinen Raum hindurch, bis er unsanft die Grenze dessen hatte erreicht als er mit der Zehe gegen die Wand stieß, dass ein leiser Schmerzenslaut ihm entfuhr. Mit zusammengekniffenen Augen suchte er die dämmrige Dunkelheit zu durchdringen und den Riegel zu finden, welcher die Türe verschlossen hielt, tastete einige Augenblicke blindlings an der Wand umher bis er endlich fündig wurde. Vor dem Raum lag der schmale Gang im gelben Lichtschein, welcher aus dem Schankraum sich empor wandte, von wo noch immer das Klirren tönerner Becher war zu vernehmen, das Knarzen der hölzernen Bänke und Hocker auf dem Boden und das Schlurfen schwerer Schritte. Mit einem langgezogenen Seufzen lehnte Gracchus sich an die Wand, ließ langsam sich in die Hocke sinken, bis dass er beinahe auf dem Boden saß, und starrte in das dämmrige Licht. Er wusste, dass sein Leib und sein Geist des Schlafes bedurften um den Weg bis nach Mantua zu überstehen, doch in jeder Faser seiner selbst saß die Furcht, welche ihn wach hielt, welche ihm keine Ruhe gönnte, welche ihn noch in seinen Träumen wusste zu torquieren. Er hatte bisher nicht darüber nachgedacht, doch allfällig wie aus einem bedeutsamen Geiste ein vergöttlichter Genius wurde, so mochte aus einem solchen Geiste auch eine ganz besonders gräuliche Larve entstehen, verglichen mit welcher all jene, die Gracchus bisherig drangsalierten, nur harmlose Spukgestalten waren. Mochte Valerianus im Leben ein apathischer Schmächtling gewesen sein, trotz allem war er der Imperator Caesar Augustus gewesen, und sein Genius mochte nun zu einem um so garstigeren, gefräßigeren Lemuren geworden sein, welcher rachsüchtig all jene verfolgte, die an seinem Tode hatten Schuld getragen. Sie hatten Rom befreit. Sie hatten Rom aufgeweckt aus seinem Dämmerschlaf. Sie hatten Rom aufgerüttelt aus dem Trott, welcher früher oder später es hätte in den Abgrund gestürzt. Früher oder später. Oder niemals. Sie hatten Rom ausgeliefert. Sie hatten es ins Verderben gestürzt. Sie hatten ein Monster erschaffen, das Rom nun in seinen gierigen Fingern hielt, das seine Hände ausstreckte nach ihren Hälsen. Und sie hatten ein Monster geschaffen, das seine knochigen Finger nach ihrem Geiste wandte. Gracchus war sich nicht sicher, welchem der beiden er lieber wollte gegenüber treten, welcher Tod wäre angenehmer zu wählen - die Tortur durch die Hand des Vescularius oder der Wahnsinn durch die Larve des Valerinaus. Ein Schaben am Fuße der Treppe ließ Gracchus zusammen fahren und als noch ein Knarzen sich anschloss mit welchem Schritt um Schritt eine Gestalt sich die Stufen empor hob, drückte er hastig sich vom Boden ab, öffnete mit zittrigen Fingern die Türe zu ihrem kleinen Schlafgemach und trat zurück in die Dunkelheit. Die Nacht war noch lang und er wäre gut beraten, noch ein wenig Schlaf zu suchen, ein wenig Kraft und Ruhe zu schöpfen bis zum Morgengrauen.

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus


    Obgleich Gracchus selbstredend sich in seinem Innersten der Tatsache war bewusst, dass die wenigsten Männer aus uneigennützigem Idealismus heraus handelten, so trafen die Worte des Aureliers, welche eben dies schlichtweg postulierten, ihn doch hart in seinem Gemüt, denn bisweilen verschloss er vor eben dieser Realität erfolgreich die Augen, insbesondere diese Handlungen Teil derart bedeutsamer Geschehnisse wie der Wiederherstellung geordneter Verhältnisse innerhalb des Imperium Romanum waren – wiewohl er einen Augenblick lang sich fragte, ob auch Aurelius Ursus eigene Interessen verfolgte, welche über das Wohl des Staates hinaus ragten. Da er sich indes mit diesen Gedanken in diesem Augenblicke nicht wollte eingehender befassen – auch, da dies zwangsläufig damit hätte enden müssen, über seine eigenen Beweggründe zu sinnieren -, schob er sie wortlos bei Seite.
    "Kannst du mir einen vertrauenswürdigen Soldaten zur Seite stellen, welcher mich begleitet und uns ohne weitere Kontrolle an der Torwa'he wieder in das Lager hinein bringen kann?"
    Er hob ein wenig entschuldigend die Schultern.
    "Ich bin ob der zurück..liegenden Ereignisse nicht mehr sonderlich ingeniös, dass mir keine sonderlich glaubwürdige Ausflucht mehr einfällt, welche als Bote des Cultus Deorum meine Rückkehr nach so kurzer Zeit in Begleitung eines weiteren Mannes und eines Knaben würde re'htfertigen."
    Darüber hinaus war er ohnehin ein schlechter Lügner, was er indes Ursus nicht derart offen wollte eingestehen, dass er fürchtete, jeder Soldat, welcher dazu darauf war gedrillt worden, unerlaubtes Betreten des Lagers zu vereiteln, würde eine solche Ausflucht auf den ersten Blick bereits als unwahr erkennen müssen.

    Es dauerte nicht allzu lange, bis dass sie die halbwegs ihm trauten Gefilde verließen, welche Gracchus vage bekannt waren durch einige Spaziergänge, die er mit Scapula um dessen Besitz herum in Zeiten des Frühlings oder Sommers hatte unternommen, bis dass nurmehr die nichtssagende Straße ihnen ein Gefühl von Italia gab, die quer durch die gesamte Provinz und darüber hinaus in stets gleichen, eintönig akkuraten, geraden gepflasterten Bahnen verlief. Am Abend zuvor, als entschieden war, dass sie Rom würden verlassen, hatte Sciurus fortwährend wiederholend die Namen der kleinen Städte und Ortschaften aufgezählt, welche sie bis Mantua zu durchqueren hatten, dass auch Gracchus sie repetierte, sie fest in sein Gedankengebäude eingliederte, um den rechten Weg zu finden. Zwar hätte er die Hauptstraßen und Siedlungen lieber gemieden, doch war er sich dessen nur allzu bewusst, dass er irgendwo im Gelände alsbald die Orientierung würde verlieren, wiewohl die römischen Straßen nuneinmal dafür waren gebaut worden, schnell das Imperium zu durchqueren - letztlich mussten sie darauf vertrauen, dass sie den Bluthunden des Vescularius stets ein wenig voraus waren, auch wenn Gracchus dies bereits am ersten Tage bezweifelte, diesen Gedanken jedoch nicht vor seinem Neffen oder seinem Sohn aussprach. Schweigen war ohnehin ihr ständiger Begleiter, denn jede aufkommende Unterhaltung, jede Frage oder Klage erstickte Gracchus mit abweisend kurzen Antworten - es fiel ihm schwer genug, sich auf den Weg zu konzentrieren, seine ewig um die Ereignisse kreisenden Gedanken halbwegs im Zaume zu halten und gleichgerichtet auch noch seinen Körper beständig zu persuadieren, nicht einfach alles Leben aus sich zu lassen, dass er schlichtweg keine Kraft mochte haben, sich mit Gesprächen zu befassen, welche ohnehin belanglos waren oder aber derart essentiell, dass es zu gefährlich war, auf dem Weg darüber zu sprechen. Gelangten sie in ein Dorf oder eine kleine Stadt, so ritten sie zügig dort hindurch, außerhalb der Siedlungen verlangsamten sie stets das Tempo ein wenig, so dass die Pferde nicht allzu schnell ermüden würden - denn wo, ob und wie es möglich war, die Pferde unterwegs zu wechseln, dies wusste keiner von ihnen, hatten sie doch um solcherlei lästige Überlegungen sie sich bisherig keine Gedanken machen müssen. Ein wenig nach Mittag erwarb Gracchus in einer Garküche in einer kleinen Ortschaft drei Fladenbrote gefüllt mit einer breiigen Masse aus Gemüse, welche sie - ihre Pferde an den Züglen führend - bis außerhalb der letzten Ansammlung von Häusern in der Hand trugen, um erst drot unter einem kahlen Baum eine Rast einzulegen. Wieder erstickte Gracchus jede Konversation schon im Keime, forderte seinen Sohn auf die Frage nach dem Ziel und der Dauer ihrer Reise hin nur auf, zu essen und sich auszuruhen, bedachte auch Minors spätere Klage über die innkomode Art der Fortbewegung und die daraus resultierenden Schmerzen in dessen Leib nur mit einem Seufzen, welches er nicht hastig genug hatte unterdrücken können, und der ein wenig lieblosen Bemerkung, dass es augenscheinlich in Minors Erziehung einige Lücken zu geben schien, ehedem er sich erhob, um ein wenig sich um die Pferde zu kümmern - immerhin dazu war er in der Lage, denn in jener fernen Jugendzeit mit Caius in Achaia, es schien ihm beinahe nurmehr wie ein verblassender Traum, hatten sie durchaus längere Ausritte unternommen, ganz ohne das Geleit von Sklavenscharen, und selbst für das Wohl der Tiere Sorge getragen. Doch selbst da er sich dieser Ausflüge noch mit pochendem Herzen zu entsinnen vermochte, so erinnerte die Pein in seinem Steiß und seinem Rücken Gracchus doch daran, dass dies Jahrzehnte zurück lag und er dieser Tage nurmehr selten ein Pferd bestieg. Der Nachmittag verlief gleichsam eintönig, in beständigem Ritt über gepflasterte Straßen, vorbei an Feldern und Wäldern, durch kleine Dörfer und Städte hindurch, mit kurzer Rast nur an Quellen oder Brunnen, an welchen sie ihr Trinkwasser auffüllten und die Pferde tränkten, bis dass am frühen Abend die Dunkelheit über das Land brach. Es drängte Gracchus danach noch einige Stunden in die Nacht hinein zu reiten, doch übermächtig war seine Furcht vor der Dunkelheit, vor dem Knacken und Knarzen am Wegesrand, welches zu ihren Seiten hin laut durch das Gelände hallte, vor den Larven und Lemuren, die nun aus dem Boden krochen, welchen sie auf der Straße schutzlos waren ausgeliefert, so dass sie alsbald nahe eines Weilers in einem schäbigen Gasthaus ein kleines Zimmer zur Übernachtung anmieteten - gänzlich überteuert, was Gracchus indes nicht weiter auffiel, da er die üblichen Preise nicht kannte und schlichtweg jeden Betrag bezahlte, welchen man ihm nannte, was zweifelsohne mehr Misstrauen bei dem Wirt erregte als wenn er sich lautstark mit ihm über den unverschämten Wucher hätte gezankt. Doch die Gedanken des Mannes blieben Gracchus verborgen, seine Sorge galt nurmehr seinem Sohn und seinem Vetter Flaccus, welcher selbst für patrizische Verhältnisse überaus blass war und nach dem Aufstieg über eine knarzige Treppe in das Obergeschoss des Hauses sich kraftlos auf das harte Bett fallen ließ, jede Nahrung abwies und bereits in einen unruhigen Schlaf versank, da Vater und Sohn Gracchus noch ein wenig von den Vorräten verspeisten, welche sie von Scapulas Anwesen hatten mitgenommen.

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus


    Zweifelsohne hatte Ursus Recht mit dem, was er über die Rückweisung und Zuweisung des Schuldgeständnisses sagte - dies einzugestehen würde sie alle den Kopf kosten und das Imperium auf lange Zeit der Willkür und dem Irrsinn des Vescularius ausliefern, ob dessen Gracchus, ein wenig träge trotz allem, schlussendlich langsam nickte.
    "Du hast dies augenscheinlich bereits besser durchda'ht als mir dies in den letzten Tagen möglich war, zudem hast du zweifelsohne einen detaillierteren Einblick in die Gedanken der Soldaten - wiewohl alle Ver..antwortung dem Vescularier zuzuordnen uns überdies auch politisch einen besseren Stand wird verschaffen, denn es wird unbezweifelt auch unter den ihm abgeneigten Senatoren solche geben, welche nicht würden tolerieren wollen, dass ein am Mord des Valerianus beteiligter Mann der nä'hste Imperator wird, und selbst so es an uns Zweifel geben mag, so darf es diese doch nicht an Cornelius geben."
    Obgleich der Entschluss diese Sichtweise anzunehmen damit in Gracchus gefallen war, so wusste er doch nur allzu genau, dass diese Lüge - mochte sie noch so patriotisch motiviert sein - ihn selbst niemals würde loslassen, ihn würde einer der garstigen Larven gleich in seinen Träumen und Gedanken heimsuchen und torquieren.
    "Leider kann ich ebenfalls nicht viel über Annaeus Modestus sagen, ich könnte nicht einmal mich dessen ent..sinnen je ein privates Wort mit ihm gewechselt zu haben abgesehen von unserem Zusammentreffen bei Durus' erstem Covivium diese Angelegenheit betreffend. Seine Ämter, sei es politischer oder cultischer Natur, scheint er stets pfli'htbewusst ausgefüllt zu haben, wiewohl er von Beginn an bereit war, an einer Konspiration gegen Vescularius zu partizipieren. Nicht zuletzt hat Durus ihm bereits sein Vertrauen geschenkt zu einer Zeit als er das Kommando in Germania noch nicht inne hatte, seine Beteiligung somit bei weitem noch nicht derart viabel war, wie sie dies jetzt sein wird. Allerdings bin ich nicht gänzlich von ihm über..zeugt, denn allfällig fußt Annaeus Beteiligung auch nur weniger auf seiner Pflicht gegenüber dem Staat, als mehr dass er sich durch seine Beteiligung schli'htweg mehr Nutzen als Nachteil erhofft. Solange wir ihm diese Vorteile bieten können, wird er wohl hinter Cornelius stehen, dennoch sollten wir ein Auge auf ihn haben, ins..besondere falls unsere Lage unsicher wird, wiewohl er auch hernach noch zu einer Fährnis könnte werden, falls er sich dazu sollte entschließen, sein Wissen zu nutzen, uns zu erpressen. Vorerst jedoch schätze ich können wir mehr als nur auf seine Unterstützung hoffen - Flaccus reiste im Auftrag Tiberius' im letzten Herbst nach Germania und hat sich dessen noch einmal versi'hert."
    Neuerlich nickte Gracchus bedächtig und nahm noch einmal einen Schluck Wein, ehedem er weiters prach.
    "Ich danke dir, Aurelius, für dieses Angebot, ich werde mich um..gehend wieder auf den Weg zu Minimus und Flaccus begeben und sie hierher holen. Doch glaubst du wirklich, es ist besser, auch hier nicht zu offenbaren, wer wir sind? Früher oder später werden es die Soldaten doch zweifels..ohne bemerken - allein Minimus' Anwesenheit wird Fragen aufwerfen, zumal sich unschwer übersehen lässt, dass er mein Abkömmling ist -, und diese Täuschung wird womögli'h ihr Misstrauen erregen. Wäre es nicht geschickter, ihnen mitzuteilen, dass Vescularius seit langem schon versucht, sich einiger patrizischer Familien - darunter die Gentes Tiberia, Aurelia, Cornelia und Flavia - zu entledigen, und nun die gegebenen Umstände hierfür ausnutzt, so dass es für uns mehr als nur gere'htfertigt war, Rom zu verlassen?"

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus
    ...


    Ein wenig mehr der Anspannung fiel von Gracchus ab als die Gewissheit, dass Nigrina zumindest in halbwegs sicheren Gefilden weilte, in seinem Geiste sich niedersetzte. Mochte das Imperium ihm durchaus sehr am Herzen liegen, so musste es doch beständig mit seiner Familie um den Vorrang nicht nur in seinem Herzen, sondern auch in seinem Geiste kämpfen. Doch da die Seinen sich augenscheinlich soweit noch möglich im Augenblicke in Sicherheit befanden, drängte sogleich das Imperium sich wieder in seine Aufmerksamkeit. Fronten aufeinander prallen, hallte es von den Wänden seines Gedankengebäudes wider, setzte sich einem geisterhaften Echo gleich bis in jeden noch so verborgenen Winkel, bis in jede Faser seiner Selbst fort. Selbstredend hatte Gracchus kaum nur daran geglaubt, dass es eine andere Möglichkeit würde geben, doch diese Einschätzung zur gegenwärtigen Situation aus dem Munde eines Feldherren zu hören ließ alle Befürchtung zu unumstößlicher Wahrheit werden, gleichwohl die Gewissheit, dass er selbst dem sich nicht würde entziehen können - längst war es dazu zu spät, der eingeschlagene Weg bereits zu deutlich vorgezeichnet, wiewohl er trotz aller Erniedrigung, trotz aller eigener Zauder noch immer ein Flavius war, ihm somit ohnehin wenig übrig blieb denn sich dem zu stellen, was vor ihnen lag.
    "Ich bin nicht sicher, ob wir alle Zweifel an unserer Beteiligung werden zerstreuen können. Die Kontakte wurden vornehmli'h von Durus hergestellt, doch ein jeder der in Rom Beteiligten kann von irgendjemandem belastet werden - und wenn es nur Sklaven sind, so wird zumindest Vescularius deren Wort noch über das hunderter Senatoren stellen. Zudem muss ich ehrlich gestehen, dass ich uneins bin, was auf Dauer geschickter wird sein - zu schweigen, alle Zweifel zu zer..streuen und im schlimmsten Falle gar im Bewusstsein der Wahrheit auf unsere Unschuld zu insistieren, oder aber zu unserer Tat zu stehen. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt indes stimme ich dir zu, solange dies Vescularius als Feind des Imperiums kennzeichnet, kann es uns nur dienlich sein, ihn als den Mörder Valerianus' zu proklamieren."
    Mit ein wenig fahrigem Blicke verfolgte Gracchus den Legaten bei seiner Wanderung durch den Raum, dessen Rastlosigkeit ein wenig ihn aus seiner eigenen Konzentration riss. Dennoch nickte er zustimmend bei Ursus' Worten zu der Machtgier des Salinator.
    "Der Senat ist verunsichert. Die letzten Jahre supprimierte der Vescularier den Senat mit Weisungen, welche er zuvor dem Imperator hatte eingeflüstert, dass tatsächlich wenig blieb als zu schweigen oder aber augenscheinli'h offen gegen den Kaiser zu opponieren - was letztlich niemand wollte. Niemand außer uns war auf den Tod des Imperators vorbereitet - und wir waren es nur ungenügend und nicht in Vorausschau auf die direkte Machtübernahme durch Salinator -, so dass glei'hsam noch vor wenigen Tagen niemand genau konnte vorhersagen, in welcher Position das Militär in Rom zu ihm würde stehen. Doch selbst ohne Rückendeckung durch die Praetorianer stand zumindest zu befürchten, dass ein jeder, der gegen den Praefectus sich würde stellen, mit einem Besuch der Urbaner würde rechnen, wenn nicht gar in deren Gewahrsam würde übergehen müssen. Spätestens jedoch seit dem Zeitpunkt, da die Unterordnung der Praetorianer, ihr Mord an Tiberius und die Ver..haftungen von hochrangigen Mitgliedern der Gesellschaft sich auch nur als Gerüchte verbreiteten, käme es wohl dem Selbstmord gleich, der Selbstgefälligkeit des Vesculariers offen entgegen zu treten ohne eine eigene Streitmacht im Rücken. In Anbetracht der Sittenlosigkeit des Praefectus gibt es somit selbst für die vestalischen Jungfrauen wohl nur die Möglichkeit, seinen Anweisungen zu folgen, oder aber zu versu'hen, sich als Märtyrer zu opfern für Rom - was wiederum nur eine sinnlose Verschwendung des Lebens wäre."
    Es war unerheblich, um welche Gruppierung der Bevölkerung Roms dieser Tage die Gedanken sich drehten - alle, die sich nicht Salinator hatten angeschlossen, hatten nur kaum eine Chance gegen ihn und seine militärische Übermacht. Als Ursus sich schlussendlich nach Gracchus' Familie erkundigte, senkte er den Blick und betrachtete neuerlich ein wenig verlegen seine Hände.
    "Ich weiß nicht genau, wo meine Gemahlin und die Kinder sind. Ich habe meinen Vilicus mit ihnen fort gesandt, dass er sie auf eines der Landgüter meiner Gattin bringt, sofern und solange es dort si'her ist, oder aber an sonst einen Ort des Imperiums, welcher ihm derart erscheint. Ich vertraue ihm, wiewohl ich es für besser hielt, ihren Aufenthaltsort nicht genau benennen zu können."
    Er zögerte kurz, ehedem er zu Ursus wieder empor blickte - es war besser, der Legat würde wissen, was er zu erwarten hatte, um nicht im entscheidenden Augenblicke von falschen Voraussetzungen auszugehen.
    "Ich bin kein sonderlich versierter Lügner, wiewohl ich fürchte, dass meine Standfestigkeit im An..gesicht torquierender Drangsal nicht sonderlich ausgeprägt wäre - im Falle einer Entdeckung unserer Flucht hätte ich daher eher meinen Sohn, meinen Vetter und meine eigene Wenigkeit geopfert, als zu riskieren, im Carcer des Vesculariers zu landen - doch da ich nicht davon konnte ausgehen, dazu noch in der Lage zu sein, wollte ich, wenn es schon für meine Ver..bündeten wäre zu spät, so wenigstens meine Familie in Sicherheit vor mir wissen."
    Um den Unmut über seine eigenen Unzulänglichkeiten zurück in sein Innerstes hinab zu spülen, nahm Gracchus noch ein Schluck des gewässerten Weines.
    "Mein Sohn und mein Neffe Quintus Flaccus warten in einem Gasthaus ein Stück vor der Stadt - auf Nachricht, oder darauf, dass der morgige Tag anbricht."
    Er seufzte.
    "Es war ein Fehler, ihn mit auf diese Reise zu nehmen. Ich hatte geglaubt, er wäre alt genug, seiner Pflicht als Flavius na'hzukommen - vermutlich, da mich selbst das Gefühl hatte überkommen, ich wäre bereits zu alt für solche ... abenteuerlichen Unternehmungen."
    Ein freudloses Schnauben entkam durch Gracchus' Nase.
    "Doch immer wieder, wenn ich auf unserem Wege meinen Blick auf ihn lenkte, so musste ich erkennen, dass er zu jung ist, viel zu jung, um Teil eines solchen Ma'htkampfes zu sein, dass gegenteilig ich eben im rechten Alter und Stand bin, für die Zukunft meiner Kinder Sorge zu tragen, dafür, dass dieses Imperium ihnen eine Zukunft bieten kann, wie sie ihnen zusteht. Nein, ich bin längstens nicht zu alt, dieser Pflicht nachzukommen, nur ... nur allfällig ein wenig zu kleinmütig."
    Obgleich dies eine ihm durchaus längst bekannte Wahrheit darstellte, so versetzte ihm die Erkenntnis doch einen leichten Stoß ins Herzen als er sie so offen aussprach, wiewohl ihm in diesem Augenblicke wurde bewusst, dass er bereits zu viel hatte gesagt, dass er und Ursus sich viel zu wenig kannten, als dass eine solche Offenheit wäre angebracht, dass er den Legaten damit nur in Verlegenheit konnte stürzen.
    "Verzeih, ich ... bin ein wenig angespannt. Wie schätzt du die militärische Lage derzeit ein? Hast du bereits einen groben Plan, in welche Richtung dies alles führen kann? Gibt es bereits Informationen über die Legionen außerhalb Italias?"
    Gracchus vergaß bei all diesen Fragen völlig darauf, dass die Zeit ihrer Reise ihm zwar mochte endlos erschienen sein, jedoch kaum lange genug gewesen war, als dass die Nachrichten sich bereits durch das gesamte Imperium hätten verbreiten und Reaktionen darauf zurück gelangen können.

    Aufgrund der langjährigen Freundschaft des Hausherren mit Gracchus erhielten die Flavier in den kommenden Stunden alles, was sie benötigten, sofern dies im Hause vorhanden war. Während Gracchus dem Vilicus Tiboetes auftrug, wessen sie bedurften, schürten namenlose Sklaven das Feuer des Hypokausten-, sowie des Thermensystems, so dass nicht nur alsbald eine wohlige Wärme durch die Haupträume des Anwesens sich verbreitete, sondern auch die drei Flavier in ein Becken voll warmes Wasser konnten steigen, sich den ungustiösen Gestank der bisher nur kurzen, doch ihnen bereits übermäßig lange erscheinenden Reise von der Haut und ein wenig der Strapaze von der Seele konnten waschen. Da Minor ihm gegenüber recht apathisch wirkte, suchte Gracchus seinen Sohn ein wenig aufzumuntern, indem er ihm mit der Hand ab und an Wasser zuspritzte, doch alsbald wies er die Sklaven an, den Jungen noch einmal ordentlich abzureiben, ihm aus dem Bad zu helfen, zu trocknen und zu ölen und ihn sodann in eines der Gästezimmer zu bringen, dass er dort noch ein wenig Schlaf bis zum Morgengrauen würde finden. Da hernach ihm kaum der Sinn danach stand mit Flaccus über das Geschehen - vergangenes, da er sich die noch frische Erinnerung nicht so schnell noch einmal in den Geist wollte rufen, wie auch zukünftiges, da die Zukunft ihm in seinen Plänen noch zu vage war - zu sprechen, sank er ein wenig tiefer in das wohlige Nass bis dass sein Kinn die Wasseroberfläche berührte und schloss die Augen. Über Stunden, gefühlt gar über Tage hinweg hätte er so in dem Bade verharren mögen, doch für ein ausgiebiges Vergnügen blieb ihnen kaum Zeit, dass auch Flaccus und Gracchus bald dem Wasser entstiegen, von Sklaven getrocknet und eingeölt wurden. Obgleich zweifelsohne jede Spur des Schmutzes von ihm gewichen war, so glaubte Gracchus noch immer den feinen Mief der alten Tunika in seiner Nase wahrnehmen zu können, herrschte noch immer das Gefühl des rauen Stoffes auf seiner öligen Haut vor, wiewohl ihn dünkte, dass die Kälte der Winternacht seine Glieder trotz aller Wärme noch immer nicht hatte gänzlich verlassen. Während hernach Flaccus ein wenig noch sich auf einer der Klinen im Atrium ausruhte, begutachtete Gracchus mit Tiboetes ihre Ausrüstung - einfache, doch warme Tuniken, halbwegs passende Schuhe, Halstücher sowie warme Mäntel für einen jeden von ihnen; drei Decken zusätzlich als Kälteschutz, wiewohl falls sie unplanmäßig nicht in einem Gasthaus würden nächtigen können; drei überaus einfache Galdii - obgleich Gracchus der Gedanke wenig gefiel, dass Minor ein solches sollte bei sich tragen, so sah er doch die Notwendigkeit; dazu gefüllte Trinkschläuche, sowie für jeden ein kleines Paket mit Nahrung - Brot, Hartkäse, Würste und kalte Fleischstücke, getrocknete Pflaumen, Pfirsiche und Äpfel. Nachdem Minor schlussendlich wieder geweckt und sie alle eingekleidet waren, ließ Tiboetes drei Pferde aus dem Stall holen - womit der Restbestand der Landvilla auf gerade mal ein Tier sank, doch Gracchus war sich sicher, dass er irgendwann würde Gelegenheit haben, seinem Freund Scapula die Tiere durch weit bessere zu ersetzen. Die Sonne drängte im Osten bereits alles Sternenlicht vom klaren Himmel, legte einen fahlen Schimmer über die Welt als die Sklaven den Patriziern auf die Pferde hinauf halfen und die Flavier durch das Tor hinaus in die Stille des Morgens ritten, nun auf sich allein gestellt in der ihnen so fremden Heimat Italia.

    Zitat

    Original von Titus Aurelius Ursus
    „Gracchus!“ Wie der sonst so würdige Flavier aussah! Vollkommen erschöpft wirkte er, was von seinen Worten auch gleich bestätigt wurde. „Natürlich, nimm Platz. Warte, Du bekommst sofort einen Schluck Wein.“ Er füllte einen Becher, verdünnte zwar mit Wasser, aber es war dennoch eine relativ starke Mischung. Den Becher reichte er an Gracchus weiter. „Du glaubst, Du wirst bereits gesucht? Dann war es klug, einen falschen Namen zu nennen. Man weiß nie, wo der Vescularier so alles Augen und Ohren postiert hat. Bist Du allein gekommen? Auf jeden Fall kannst Du hier bei mir bleiben, vorerst sind wir hier noch sicher. Mein Vetter Lupus ist auch schon eingetroffen. Was kannst Du mir aus Rom berichten?“ Viele Fragen auf einmal, aber sie sprudelten einfach so heraus. Gracchus' Anblick war für Ursus so schockierend, daß er ganz vergaß, dem Armen Zeit zum Sammeln zu geben.


    "Danke"
    , entgegnete Gracchus, noch immer zwischen Erleichterung und Anspannung treibend, nahm Platz und den Becher Wein entgegen, woraufhin sogleich der wohlige Odeur eines guten Tropfens ihm in die Nase wehte. In den letzten Tagen hatten sie in Herbergen und Schänken nur billigen Fusel bekommen, gewässerten Wein, welcher diesen Namen nicht einmal hatte verdient, wohl eher geweintes Wasser gewesen war, oder aber Wasser, das im Keller einige Tage neben einer Amphore Wein hatte gelagert und so augenscheinlich dessen Geist angenommen haben sollte. Gracchus war kein Mann, der zu dieser Tageszeit üblicherweise bereits unverdünnten Wein trank, ja oftmals selbst bis zum späten Abend hin stets ein wenig Wasser in seinem Getränk präferierte, doch in diesem Augenblicke schien der Inhalt des von Ursus ihm gereichten Bechers göttlichem Nektar gleich, dass er nach dem ersten Schluck einen weiteren Zug nahm und einen klandestinen Herzschlag lang genüsslich dem wohligen Kribbeln in der Kehle nachspürte, ehedem er sich wieder gänzlich der Gegenwart zuwandte, die Fragen Ursus' über sich ergehen ließ, schlussendlich gar es den Anschein hatte als würde das Erstaunen des Legaten auf ihn übergreifen - indes aus anderem Grunde.
    "Lupus? Aurelius Lupus ist hier? Was ist mit seiner Gemahlin, Nigrina, hat sie Rom ebenfalls ver..lassen?"
    Der Aurelier musste die Stadt in der gleichen Nacht oder aber nach ihnen verlassen haben - je nach Erfahrung und Art des Vorankommens konnte er durchaus einige Tage weniger als die Flavier benötigt haben, gleichwohl bedeutete dies, dass Gracchus selbst Ursus kaum nur Neuigkeiten würde berichten können, welche dieser nicht ohnehin wusste.
    "Du hast dich also bereits entschieden, auf welcher Seite du stehen wirst"
    , stellte er zuvor überflüssigerweise fest, denn anhand der Worte und Reaktionen des Legaten war dies offensichtlich - obgleich es letztlich immer möglich war, dass ein Mann sich verstellte, um andere Interessen zu verfolgen, doch Gracchus war viel zu gutmütig und leichtgläubig, als dass er je so etwas hätte durchschauen können.
    "Verzeih, wenn ich an deinen Behufen Zweifelt hegte, doch Tiberius erwähnte nur, dass du hinter Cornelius stehen wirst, sobald er in sein Amt ein..gesetzt ist, nicht jedoch, inwiefern du von unserem Ansinnen gänzlich überzeugt bist. Andererseits gibt es in Anbetra'ht der Tatsachen nun wohl nurmehr die Option für oder wider den Vescularier, und in diesem Falle zweifle ich keineswegs an deiner Wahl."
    Letztlich war die Familie Aurelius Ursus' zu tief in die Konspiration verstrickt, als dass er die Füße würde still halten und untätig bleiben können - gleich wie er über die Angelegenheit im Generellen und Vescularius Salinator im Speziellen dachte - sofern dieser ihm überhaupt eine Wahl würde lassen, sobald er von Avianus' und Lupus' Beteiligung erfuhr. Gracchus ließ sich zu einem leisen Seufzen hinreißen, ehedem er kurz überlegte, um dann zu berichten, was aus Rom er wusste.
    "Irgendetwas an unserem Plan ist misslungen - ich weiß nicht, was, und allfällig lässt dies sich nie mehr rekonstruieren, andererseits indes ist es womöglich auch nicht mehr von Belang. Fakt ist, dass unser Anschlag auf das Leben des Imperators sowie seines Na'hkommens glückte, die Botschaft jedoch nicht schnell genug bei uns in Rom angelangte - nicht, bevor sie Vescularius Salinator erreichte. Der Praefectus verhängte eine Ausgangssperre noch bevor wir wussten, was geschehen war. Er ließ mehrere Senatoren im Carcer festsetzen - darunter Vinicius Lucianus, womöglich auch Hungaricus, zu dessen Landsitz eine Abordnung der Praetorianer losgezogen ist, und vermutlich auch meinen Vetter Furianus - zumindest ver..langte die praetorianische Garde ihn an unserer Porta zu sprechen und unser einfältiger Ianitor sandte sie geradewegs zu seinem Aufenthaltsort außerhalb der Stadt, wiewohl mir noch immer die Hoffnung bleibt, dass sie ihn auf seinem Landsitz nicht vorgefunden haben, er irgendwo im Imperium in Si'herheit ist. Tiberius Durus hatte nicht einmal diese Chance - sie haben seine Villa gestürmt, die gesamte anwesende Familie ausgelöscht."
    Gracchus' Kehle war trocken, aufgerieben vom Staub der aufwühlenden Gedanken an den toten Freund, an die Ungeheuerlichkeit dieser Tatsache, wie auch der Tat, ob dessen er noch einen Schluck des Weines nahm.
    "Am folgenden Tag im Senat entschied der Praefectus, dass nicht der Senat, sondern er persönlich für die Öffnung des Testamentes Valerianus' bere'htigt sei, und es ist wohl davon auszugehen, dass dieses Testament nur derart verlesen wird, wie es ihm zum Vorteile gereicht - dass es ihn oder eine seiner Marionetten zum Imperator erhebt, wiewohl all jene zu seinen Feinden erklärt, welche auch nur beiläufig darin erwähnt sind."
    Die Details über die Fälschung des Schriftstückes durch Durus und ihn selbst wollte Gracchus nicht näher ausführen, denn während die Beseitigung des Imperators zum Wohle des Imperium Romanum ihm durchaus legitim erschien, so war ihm die Fälschung als unrechte Tat ein wenig unangenehm. Letztlich jedoch machte es ohnehin keinen Unterschied mehr, was genau in dem Testament stand oder wer dort als Nachfolger eingesetzt war.
    "In eben dieser Sitzung drohte der Vescularier auch, jeden Beteiligten der Konspiration zur Rechenschaft zu ziehen, wiewohl jeden als Staatsfeind zu era'hten, der die Stadt verlässt. Da er bereits wusste, dass Valerianus vergiftet worden war, dazu Tiberius tot und Lucianus in der Castra inhaftiert, Cornelius' Name ihm zudem in dem Testament würde aufscheinen - was hätte ich tun sollen? Ich hatte einige Veteranen in unserer Villa versammelt, die mit Aristides gedient hatten, und zweifels..ohne ihr Leben für uns hätten geopfert, doch wäre es sinnlos gewesen, dieses Opfer anzunehmen. Zudem ..."
    Er suchte den Blick' Ursus.
    "Ich bin davon überzeugt, dass der Vescularier an dem tragischen Unfall meines Vetters Piso Ver..antwortung trägt - entweder da er glaubte, dieser wäre selbst in die Konspiration verwickelt gewesen, oder aber um die flavischen Familie damit einzuschüchtern, da er nichts genaues wusste, aber doch eine Ahnung hegte. Mein Vetter Furianus zudem ist nicht eben als Freund des Praefectus bekannt, hat ihn mehrfach offen im Senat kritisiert, so dass wohl selbst die marginalste Äußerung eines seiner Gefangenen in Hinblick auf die flavische Familie zweifels..ohne dazu hätte führen müssen, dass wir ebenfalls im Carcer inhaftiert werden."
    Es klang beinahe wie eine Rechtfertigung, weshalb er Rom kampflos hatte verlassen, und allfällig war es dies auch, denn obgleich zweifelsohne kaum jemand ihm dies würde vorwerfen, so tat er es tief in seinem Innersten doch selbst.
    "Darob habe ich veranlasst, dass meine Gemahlin und die Kinder noch in der Nacht die Stadt verlassen, wiewohl ich ein wenig später mit meinem Neffen Flaccus und meinem Sohn Minimus aufgebrochen bin. Es war nicht einfach, an den Soldaten vorbei zu gelangen, doch ein Stück weit vor den Toren konnten wir uns im Heim eines Freundes für die Reise ausstatten. Denno'h war der Weg überaus enervierend, auch da wir suchten, so wenig wie möglich in Kontakt mit irgendjemandem zu treten."
    Die Couleur seiner Stimme wechselte nun zu einem entschuldigenden Tonfalle hin.
    "Was anschließend sich in Rom hat zugetragen, ver..mag ich darob nicht zu berichten, doch auch wenn meine Hoffnung gering ist, so bete ich zu den Göttern, dass niemand sonst mehr dem Irrsinn des Vesculariers zum Opfer gefallen ist."
    Es war nie Gracchus Stärke gewesen, sich kurz zu fassen, und nun, da er das Polster eines Stuhles unter sich hatte, war ihm zudem nicht daran gelegen, allzu schnell wieder aufzustehen.