Der Bärtige betrachtete das sich abspielende kleine Drama eines jeden einzelnen Beteiligten mit mürrischem Gesicht. Dies alles kümmerte ihn nicht, er hatte seine eigenen Dramen, welche ihn bewegten, so dass er sich behände auf den Bock setzte als alle, die augenscheinlich würden mitfahren, auf seinem Wagen waren und ein wenig sich zu Flaccus hinbeugte, dass sein Gesicht dicht vor dem des Patriziers hing, sein miefiger Atem dem jungen Mann ins Gesicht schlug.
"Kein Wort von euch, ich will überhaupt nicht wissen, wer ihr seid, wo ihr herkommt und wo ihr hin wollt! Und kein Gejammer!". Dann zog er an den Zügeln und schnalzte mit der Zunge, dass die Pferde sich in Bewegung setzten. Verkrampft hielt sich Gracchus an der niedrigen Seitenwand des Karrens fest, weniger aus Furcht er könne über die Ladefläche nach hinten hinausfallen, sondern mehr da er fürchtete, er könne bei einem Ruck oder einer Bodenunebenheit weiter zur Mitte des Gefährtes hin fallen, den Leichen entgegen, deren tote Körper mit jeder Bewegung des Wagens mit schaukelten, einem treibenden Boot auf den Wogen des Meeres gleich, suchte gleichsam das Rumoren zu bezwingen, welches auch in seinem Magen wütete. Nur wenige Augenblicke vergingen, dann war der Brandplatz nurmehr eine Ahnung, der zurückgelassene Luka kaum mehr als eine Reminiszenz, ebenso wie der Libitinarius, der sie aus der Stadt hatte hinaus gebracht. Endlos mutete Gracchus der Weg bis zur Via Tiberina an, welcher ihm sonstig stets nur so kurz erschienen war, endlos schien gleichsam gnädigerweise die Nacht, welche ihre Flucht noch immer umhüllte. Er konnte nicht hören, ob und was vorn auf dem Bock gesprochen wurde, denn das Rumpeln der Räder unter seinem Gesäß surrte alsbald ihm in den Ohren, wiegte ihn beinah in einen gefälligen Dämmerzustand, in welchem alles Geschehen nichtig war. Erst als der Wagen mit einem Ruck zu stehen kam, er bedrohlich nah den Leichen zufiel, wagte Gracchus einen Blick um sich her, respektive aus seiner Sicht nach vorn, auf jenen Weg, welchen sie hatten zurückgelegt.
"Wir sind da, hier biegt die Tiberina ab", drang dröhnend die Stimme des Bärtigen vom Bock, dass Gracchus fürchtete, man würde ihn noch in Rom hören können. Mühsam schaffte er seinen Leib von der Ladefläche des Wagens, schwankte einige Augenblicke als seine Füße den Boden berührten und schloss die Augen, bis dass er sich seiner Balance wieder halbwegs sicher war.
"Hier, nehmt die mit." Der Bärtige nahm eine Fackel, entzündete sie an der Flamme, die noch immer vorn am Wagen steckte und drückte sie Flaccus in die Hand, nachdem Minor und er den Bock hatten verlassen. Dann schnalzte er und zog an den Zügeln. "Viel Glück", wünschte er ihnen mit einem leisen, kehligen Lachen, ehedem der Wagen mit seinem einsamen Licht langsam in der Nacht verschwand. Gracchus versuchte seinen Sohn und seinen Neffen nicht allzu genau zu mustern, die wie verschreckte Larven ihm gegenüber standen, entschied sich etwa im gleichen Augenblicke, nun auch endlich dem Drängen in seinem Innersten nachzugeben.
"Wartet einen Augenblick."
Mit großen Schritten verließ er den Kreis des Lichtscheines, stolperte in ein Feld hinein und ließ sich kraftlos auf seine Knie fallen als er glaubte im Dunkel der Nacht verborgen zu sein. Augenblicklich drängte die Feuchtigkeit des Bodens durch den dünnen Stoff des Gewandes auf seine Haut, doch Gracchus spürte dies nicht mehr, presste nurmehr die Hände auf seinen Bauch während sein Leib suchte sich all der Scheußlichkeit der letzten Stunden zu entledigen. Es war nicht viel, das seinen Magen durch die Kehle hin verließ, denn ob der Aufregung hatte Gracchus am Abend zuvor kaum nur etwas zu sich genommen, dass er alsbald nur mehr würgte, sein Leib sich krampfte unter der sinnlosen Anstrengung. Ein paar Mal sog er schlussendlich tief die kalte Luft in seine Lungen, wischte mit dem Ärmel sich über den Mund, ehedem er sich mit der Linken auf dem matschigen Boden abstützte und umständlich wieder in die Höhe hob. Einige Schritte noch tolerierte er das schwächliche Taumeln seines Körpers, dann rief er sich die Empörung und den Zorn in Erinnerung, welche ihn hatten in diese Situation geführt, und straffte seinen Leib als er in den Feuerschein der Fackel trat, seiner Stimme ein Hauch der Kälte anhaftete, welche um sie her vorherrschte.
"Was auch immer geschieht, was auch immer noch vor uns liegen mag, niemals darf bekannt werden, wie wir Rom in dieser Nacht ver..lassen haben! Nicht ein Wort darüber darf über eure Lippen dringen, hört ihr? Ni'ht einmal der Anschein einer Andeutung!"
Gracchus' Blick und die Couleur seiner Stimme wurden milder und er suchte ein Lächeln um seine Lippen zu legen, was jedoch ihm nicht gänzlich wollte gelingen.
"Das schlimmste liegt nun hinter uns. Seht ihr das Licht dort oben? Dort liegt der Landsitz eines Freundes, dort können wir uns waschen, umziehen und ein wenig ausruhen, ehedem wir mit Pferden und ausrei'hend Verpflegung weiter reisen."
Die Villa Rustica Cornelia lag etwa ein Stadium von der Straße entfernt auf einer kleinen Anhöhe, welche über einen gepflasterten Weg zu erreichen war. Trotz ihrer Verfassung erreichten sie die umsäumende Mauer wenig später und Gracchus pochte an das gewaltige Tor, über welches der Schein von Fackeln in den Himmel sich empor hob. Es waren einige Geräusche zu hören - eine Leiter wurde an die Mauer neben dem Tor postiert, sodann kletterte jemand diese empor -, ehedem ein ovaler Umriss - der Kopf eines Mannes, der über die Mauer blickte - gegen das Licht sich abhob.
"Verschwindet!" rief er hinab, nachdem er sie mit wenigen Blicken hatte gemustert. Durch ihre eigene Fackel waren sie zweifelsohne gut zu erkennen. "Oder wir lassen die Hunde nach draußen!"
Selbstredend hatte Gracchus nicht erwartet, dass man sie ohne Fragen würde einlassen, doch hatte er auch nicht vorausgesehen, welchen Anblick sie bieten mussten, so dass er alle noch in ihm vorhandene Kraft in seine Stimme legte, um ihr die notwendige Auctoritas zu verleihen.
"Ich bin Manius Flavius Gracchus, Senator und Pontifex der Stadt Rom, und zudem ein guter Freund deines Herrn Cornelius Scapula. Ich ... wir sind in einer überaus wi'htigen Angelegenheit unterwegs. Lasse Tiboetes an die Pforte kommen, er wird meine Person be..stätigen!"
Der Mann auf der Leiter zögerte, dann verschwand er ohne ein weiteres Wort wieder hinter der steinernen Umfassung. Beinahe glaubte Gracchus bereits, man hätte sie vergessen, doch irgendwann wurde neuerlich die Silhouette eines Kopfes über der Mauer sichtbar.
"Zeigt euch im Licht!"
"Tiboetes?"
Gracchus trat an die Fackel in Flaccus' Hand, dass sein Gesicht beleuchtet wurde.
"Ich bin es, Flavius Gracchus. Du musst uns einlassen, wir brauchen die Unter..stützung deines Herrn."
"Ich kann dich nicht richtig erkennen, Herr, und du siehst nicht gerade aus wie ein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft."
"Dies ist der Grund, weshalb wir hier sind, Tiboetes."
Gracchus sann kurz nach, ehedem er fortfuhr.
"Erinnerst du dich an das Armilustrium im letzten Jahr? Dein Herr und ich kamen nach dem Zug der Salier hierher, und Scapula präsentierte mir ein Lied, wel'hes er für seine Geliebte hatte verfasst - du hieltest ihm dabei die Tabula. Nachdem ich ihn davon überzeugte, seinen Text noch einmal zu überarbeiten, musste ich ihm verspre'hen, dies gegenüber niemandem zu erwähnen. Außer uns kann also niemand davon wissen."
Wieder verschwand der Kopf hinter der Mauer, doch gleich darauf wurde das Tor ein Stück weit geöffnet. Der Verwalter der Villa, Tiboetes, trat mit einer Fackel heraus, und als er nun Gracchus musterte weiteten seine Augen sich in deutlichem Erstaunen. "Mehercule! Du bist es wirklich, Herr! Kommt herein! Kommt ihr aus Rom? Wir hörten vom Tod des Kaisers und dass der Praefectus Urbi die Stadt hat abriegeln lassen."
Gracchus nickte, so als müsse er auch sich selbst damit bestätigen.
"Dies sind mein Sohn und mein Neffe. Wir benötigen ein kurzes Bad, neue Kleidung und Schuhe. Hernach brau'hen wir Mäntel, Decken, einige Lebensmittel, Gladii und drei Pferde. Scapula weiß nichts von all dem und ich bitte dich, auch in den nächsten Tagen ihm darüber keine Botschaft zu senden. Falls bekannt wird, dass wir hier waren, so ist es besser, wenn er nicht unterri'htet ist, denn obgleich unbezweifelt ist, dass er mir auch in Gefahr seines eigenen Lebens seine Hilfe nicht würde verwehren, so dient es seinem eigenen Schutz, so wenig darüber zu wissen wie möglich."
Hinter ihnen schloss ein Sklave das Tor, während Tiboetes sie in die Villa führte, in der eine angenehme Wärme vorherrschte - selbst wenn in Absenz des Hausherrn nicht oder nur selten geheizt wurde, so achteten die Sklaven darauf, dass das Haus nicht auskühlte, da er schlussendlich jederzeit vor der Türe konnte stehen. Schon oft war Gracchus mit Scapula hier gewesen, wiewohl der Verwalter um ihre Freundschaft wusste, dass Tiboetes einige Sklaven anwies, den Flaviern zukommen zu lassen, was immer sie benötigten.