Es war nun schon einige Tage her, dass Antonia und ihr Gatte ein folgenschweres Gespräch geführt hatten. Seither hatte die Claudia nachts kaum geschlafen und sich tagsüber wie ein Schatten ihrer Selbst hauptsächlich in ihrem Cubiculum verkrochen, gedanklich immer das Damoklesschwert über sich. Es ließ ihr keine Ruhe.
Sicher, die Entscheidung war richtig. Sie musste richtig sein. Außerdem wollte sie es ja nicht für sich selbst tun, sondern für ihren Gatten. Gewiss würde Iuno das verstehen. Doch die Ungewissheit nagte an ihr, sodass sie an diesem Morgen zum Iunotempel aufgebrochen war. Sollte sie den Zorn der Göttin auf sich gezogen haben, wollte sie zumindest versuchen, diesen zu beschwichtigen.
Ein wichtiges Anliegen erforderte ein entsprechend großes Opfer. So hatte sie auf dem Markt das weißeste Schwein erstanden, das sie finden konnte. Eben jenes trottete nun gemütlich neben einer Sklavin her, die das Tier an einem Strick hinter ihrer Herrin herführte. Ab und an gab es ein kurzes Grunzen von sich, welches Antonia in tiefste Verunsicherung stürzte. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Sie würde es wohl bald erfahren.
Am Tempel angekommen fand sich recht schnell eine Sacerdos, welche Antonia hilfreich zur Seite stehen würde. Gutes oder schlechtes Zeichen? Antonia verkniff es sich, auf den Fingernägeln zu kauen.
Ihrer Sklavin bedeutete sie indes, vor dem Tempel auf sie zu warten, während sie selbst sich ins Innere begab. Langsam, fast bedächtig erklomm sie die Stufen, bis ihr der typische Weihrauchduft entgegenschlug. Aufzublicken wagte sie dennoch kaum. Sie wusste ohnehin, wie es im Tempel aussah, hatte sie doch schon oft hier gestanden und den Segen der Iuno erfleht. Als wäre es ein Reflex, streckte sie ihre Hände in ein nahes Wasserbecken, um sich für das bevorstehende Opfer zu reinigen. Heute schrubbte sie ihre Hände allerdings sorgfältiger als sonst, fast, als wären diese über und über mit Schmutz bedeckt. Und für Antonia waren sie dies auch.
Der unstete Blick der Claudia fiel auf das Weihrauchschälchen, welches eine der Sklavinnen ihr entgegen hielt. Eine Hand glitt hinein, umfasste so viele Weihrauchkörner, wie in die schmale Handfläche passten und warf sie ins Feuer. Umgehend waberten Rauchschwaden gen Himmel, um Iunos Aufmerksamkeit zu wecken. Den Kopf zu heben fiel ihr heute schwer, das Antlitz der Statue, welche vor ihr stand, anzusehen schien selbst wie ein Opfer zu sein.
„Große Iuno.“, erhob sie schließlich ihre Stimme, welche sonderbar gefestigt klang. Wie ein Sterbender, der mit dem Leben abgeschlossen hatte. Und vielleicht war es auch so… viel schlimmer konnte es ja im Grunde genommen nicht werden.
„Iuno Sospita, gütige Himmelskönigin, Schützerin der Frauen und Mütter, ich flehe dich an. Kein Kind hast du mir bislang gewährt, große Iuno, darum stehe ich hier vor dir und bitte dich, gewähre mir einen Sohn. Schenke mir ein Kind, woher es auch immer kommen möge.“
Sie hielt inne. Genauer konnte sie es hier, an diesem öffentlichen Ort unmöglich formulieren. Nicht ihr Gatte würde der Vater seines Erben sein, sondern sein Vetter. Sofern Iuno über diesen Ehebruch hinwegsehen konnte.
Langsam, fast schon zaghaft, legte sie den mitgebrachten Früchte in eine, frische Blumen (ein wahres Kunststück im Winter welche aufzutreiben) in eine andere Opferschale.
„Diese Gaben, große Iuno, für dich. Gewähre mir deine Gunst. Gewähre mir deinen Segen. Mäßige deinen Zorn.“
Orangerot züngelten Flammen empor, welche der Göttin die Gaben ‚überbringen’ sollten. Sie verbrannten restlos, so sprach nichts dafür, dass das Voropfer wiederholt werden musste.
Eine Drehung nach rechts beendete diesen Teil des Opfers. Doch nun hieß es den Tempel verlassen, um auf dem Vorhof das Schwein an den Mann, beziehungsweise an die Göttin zu bringen.
Durch den nahezu perfekten Verlauf des Voropfers ein wenig beruhigt, schritt Antonia würdevoll die Stufen wieder hinab, um sich zum Altar zu begeben. Schon von oben sah sie die Sklavin mit ihrem Schwein auf sie warten.
Erneut wusch die Patrizierin ihre Hände, ehe man ihr das Opfermesser reichte. Mit der anderen Hand griff sie erneut nach dem Weihrauch, welcher wieder in glühende Kohle geworfen wurde. Einen Moment gestattete sie sich, dem hellen Rauch nachzublicken, widmete dann jedoch ihre Aufmerksamkeit dem Opfertier. Unschuldig grunzend blickte dieses zurück, nicht ahnend, dass seinem Leben gleich ein Ende gesetzt werden würde, um für ein Neues zu bitten.
„Iuno Sospita, Mater Regina, wie es dir gebührt gebe ich dir dieses Schwein, auf dass du meine Bitte erhörst und mir meine Taten vergibst. Iuno Sospita, Mater Regina, gewähre mir deine Gunst und verschließe nicht dein Gehör vor meinem Flehen.“
Sogleich war das Messer wieder zur Hand. Mit der stumpfen Seite strich Antonia langsam vom Schweinehals bis zum Ringelschwanz, bevor sie dem Tier schließlich die scharfe Schneide an die Kehle hielt. Ein kurzer Schnitt durchtrennte die Haut und Adern, saugte zugleich Blut und Leben aus dem Tier. Seine Beine knickten ein, der Körper fiel zu Boden, doch das Blut floss in die Opferschale einer Popa.
Wäre dies ein gewöhnliches Opfer, Antonia hätte wohl die Sacerdos jene Arbeit erledigen lassen. Doch sie wollte Buße tun, wollte Iuno zeigen, dass sie bereute und dennoch nicht anders konnte, als tun, was sie tun musste. So schnitt die Claudia dem Schwein selbst den Bauch auf, um anschließend die Organe zu entfernen und in eine weitere Schale zu legen. Sorgfältig auf jede Unregelmäßigkeit achtend, verließ ein Organ nach dem anderen die warme Bauchhöhle. Physisch schien alles in Ordnung zu sein. Zumindest sagte die Sacerdos nichts Gegenteiliges und auch Antonia, welche auf diesem Gebiet allerdings nur Laienhafte Kenntnis besaß, konnte nichts Kränkliches entdecken.
Kaum war dies erledigt, richtete sie sich wieder auf. Die Schale wechselte den Besitzer, wanderte von den Händen der Sacerdos in die Hände der Ehefrau.
Zischende Laute verbreitend endeten Leber, Niere und einige andere Innereien schließlich auf einem nahe stehenden Kohlebecken.
„Iuno Sospita, Mater Regina, gewähre mir deine Gunst und mäßige deinen Zorn.“
Angespannt starrte sie auf die Kohlebecken.