Beiträge von Claudia Antonia

    Eine geballte flavische Präsenz manifestierte sich im Iunotempel, zog auf wie ein unheilvolles Gewitter, wenngleich jenes Gewitter für Antonia durchaus positiv zu sehen war. Es gab ihr ein Gefühl von Familie, von Zusammenhalt und letztendlich auch die Gewissheit, mit so viel Unterstützung könne fast nichts mehr schief gehen.
    Mit bedächtigem Lächeln folgte sie ihrem Gatten, stellte sich leicht schräg hinter ihn, als er mit der Zeremonie begann und seine Stimme erhob. Sie schloss die Augen, betete innerlich, er möge einigermaßen seine Zunge unter Kontrolle halten, möge die Göttin nicht verärgern durch einen Umstand, der wahrlich nicht die Schuld ihres Gemahls war. Erst als Gracchus geendet hatte, gestattete sie sich die Augen wieder zu öffnen und dem kräuselnden Rauch, welcher die Wände und Statuen emporkroch genauer zu betrachten, während zeitgleich der aromatische Duft sie umhüllte wie die Tunika, die sie trug. Die aufsteigenden Schwaden waren hell, wenigstens so weit schien Iuno bereit, sich anzuhören, weswegen sie gekommen waren. So trat Antonia vor, stand nun an jener Stelle, an der sie in den letzten Jahren so oft gestanden, gebetet und gefleht hatte. Zum ersten Mal, um zu danken, um ihr Gelöbnis einzulösen.
    „Mater Iuno.“, intonierte sie also mit einer Festigkeit in der Stimme, die sie selbst überraschte. Sie hatte so viel zu sagen, so viele Dinge lagen ihr auf dem Herzen, die sie unmögliche an einem einzigen Tage hätte der Göttin kundtun können. Lange hatte sie über ihre Worte nachgedacht, versucht, sich auf das Wichtigste zu beschränken, um nicht die Geduld der Iuno überzustrapazieren. Viele Superlative benutzen, hatte der Priester gesagt. Iuno sei die höchste aller Göttinnen und sie wisse das, dennoch schade es nicht, dies durch Worte zu bekräftigen. Auch dies hatte Antonia eingeleuchtet und so wollte sie es auch umsetzen.
    „Iuno Lucina, Mutter der Mütter, Herrin über die Familie, höchste und größte Göttin, höre unsere Worte, vernimm unseren Dank.“
    Ohne sich umzusehen hielt sie ihre Hand nach hinten, wo die erste der Sklavinnen stand und der Claudia stumm eine der mitgebrachten Gaben reichte. So wechselte eine Amphore Wein ihren Besitzer, deren Inhalt wiederum in eine der bereitgestellten Opferschalen gegossen wurde. Süß war er. Zu süß für Antonias Geschmack, doch auch hier hatte sie sich auf den Rat des Iunopriesters verlassen. Weißwein aus Illyricum, der in alle Richtungen den Schein der Kerzen reflektierte.
    „Mater Iuno, Mächtigste aller Göttinnen, nicht zu bitten sind wir hier, sondern zu danken. Dir, die du in deiner Weisheit und Güte uns einen gesunden Sohn gewährt hast. Dir, die du großzügig gabst und uns Dein Wohlwollen entgegen brachtest.“
    Wieder griff die Hand der Claudia nach hinten, wieder erhielt sie einen Teil des Voropfers. Und hatte der geopferte Wein lediglich die Farbe von Honig, so war der Opferkuchen, den sie nun in Händen hielt honigüberzogen. Süß und klebrig schimmerte das Gebäck, das ebenfalls an seinem Bestimmungsort platziert wurde. Antonia, die sich selbst auf eine Diät gesetzt hatte, lief das Wasser im Mund zusammen. Dergleichen Süßigkeiten gab es im Moment nicht für sie. Doch sie hielt nicht inne, erhob erneut ihre Stimme, um Iuno zu preisen.
    „Iuno Lucina, nur klein sind unsere Gaben, verglichen mit deiner Freigiebigkeit und Güte. Ewig werden wir in Deiner Schuld stehen, die Du uns gabest, was wir sehnlichst erhofften, die Du Großmut zeigtest, wie keine andere Göttin dies vermag.“
    Einmal mehr wanderte Antonias Hand nach hinten, um zunächst einige farbenfrohe Blüten und anschließend nach und nach Äpfel, Trauben und Kirschen – importiert aus Asia – in die Behältnisse zu legen.
    „Oh Mater Iuno, allerhöchste Herrscherin, möge der Wein deine Zunge erfreuen, mögen die Blumen deine Augen entzücken, mögen Dir dieser Kuchen und diese Früchte munden. Mater Iuno, Spenderin allen Lebens, Verehrungswürdigste aller Göttinnen, sieh gnädig unseren Dank, gewähre uns Deine Gunst für dieses Opfer, wie Du uns gewährtest einen Sohn.“
    Sie hätte wohl noch Stunden so weiterreden können, doch die Claudia hielt endlich inne, richtete den Blick nach oben, zu jener Statue, die sie oft so flehentlich angesehen, so händeringend um ein wohlwollendes Zeichen gebeten hatte.

    „Gut.“, nickte Antonia mit einem zurückkehrenden Lächeln. Ob sie wohl auch den kleinen Manius.. nein, besser sie nahm ihn nicht mit. Ein so kleines Kind bei einer großangelegten Einkaufstour seiner Mutter mit zwei Patrizierinnen würde gewiss nur Chaos verursachen. Abgesehen davon würde sich sicher ihr Gemahl freuen, wenn er einmal einen Tag lang seinen Sohn ohne Kampf mit der Claudia für sich allein haben konnte.
    „Schwebt dir denn schon ein bestimmter Tag vor?“
    Vermutlich je weiter in der Zukunft dieser Tag lag, desto besser, hatte sie schließlich so mehr Zeit, um dem Problem Hüftumfang auf den Leib zu rücken.


    Froh, dass jedoch auch Celerina nicht mehr den CP erwähnte, lauschte Antonia ihren Erzählungen über die Aurelia.
    „Ah, Aurelius Ursus ist mir bekannt.“, erwiderte sie schließlich. Sofern sie ihr Namensgedächtnis nicht täuschte, war er auf der Saturnalienfeier der Flavier gewesen. Wobei ihr einfiel, dass hier ja ebenfalls noch ein Einkauf ausstand, der damals beschlossen worden war. Sie entschied, dass auch das dringend nachgeholt werden musste.
    „Seine Schwester also, hmhm. Nun, dann werde ich mich überraschen lassen.“

    Durcheinander? Epicharis fand sie durcheinander? Und dabei hatte sie doch ruhig und abgeklärt wirken wollen. Durcheinander. Sie wusste genau, was kommen würde, sie konnte es nur nicht erklären. Aber dies gleich durcheinander zu nennen. Nein, Antonia fand sich überhaupt nicht durcheinander. Lediglich rhethorisch herausgefordert, ja, das wohl, unleugbar. Durcheinander. Die Jugend von heute wusste wirkliches Engagement in die Aufklärungsarbeit einfach nicht mehr zu schätzen, so glaubte die Claudia nun.
    „Nun.. ein paar Jahre länger wird es wohl dauern.“, brummte Antonia, angesichts der vielen Jahre, die sie nun schon an Gracchus gebunden war. Unwillkürlich fühlte sie sich unsagbar alt und abgenutzt. War sie doch durcheinander? Waren das die ersten Ausläufer des Alters?
    Die Sache während der Schwangerschaft wollte Antonia sich indes lieber nicht vorstellen, hatte sie doch so schon genug Angst vor den Strapazen der Geburt und den Wochen davor. Abgesehen davon, dass hierbei wohl wirklich keine Gefahr für sie oder das Kind bestand, bedachte man Gracchus' Gesundheitszustand. Dennoch ertappte sie sich bei den Gedanken, wie das wohl aus der Perspektive des Kindes.. ein Kopfschütteln vertrieb die unzüchtigen Gedanken.
    In jedem anderen Fall hätte Antonia auf Epicharis’ Dank hin wohl etwas wie ‚Aber gerne, jederzeit wieder’ geantwortet. In diesem Fall wäre das glatt gelogen, da jene Unterhaltung alles andere als angenehm und wiederholenswert gewesen war. Der ungute Gedanke beschlich sie, Epicharis könne nach der Hochzeitsnacht den Drang verspüren ihr, der Erfahreneren, der großen Cousine, alles darüber berichten zu wollen. Sie schluckte.
    „Nichts zu danken.“, erwiderte sie schließlich, begleitet von einem schiefen Lächeln. „Wofür ist eine Pronuba denn da?“
    Ehe sie weglaufen oder sich hätte wehren können fand sich die Claudia auch schon in der obligatorischen Umarmung wieder, die sie, angesichts der Tatsache, dass das Thema damit endlich beendet schien, nur zu gerne über sich ergehen ließ.

    Antonia gehörte zu einer Sorte Frau, die nur äußerst schlecht mit Komplimenten zurecht kam. Während ihre Geschlechtsgenossinnen bei Aquilius’ Worten kokett gelächelt und ihm einen verführerischen Blick zugeworfen hätten, stürzten sie die Claudia in tiefste Bedrängnis, schlicht weil sie nicht wusste, wie sie reagieren sollte. Hatte sie beim Vorschlag auf den Trinkspruch bereits den Becher in die Luft gereckt, verharrte er nun dort, als wäre die Zeit der Ansicht, sie habe sich nun endlich einmal eine Pause verdient. Vermutlich lag all dies daran, dass sie kaum ein nettes Wort über sich ernst nehmen konnte, wusste sie doch um die zahlreichen Fehler und Unzulänglichkeiten ihres selbst. Stets suchte sie den versteckten Schalk in ihrem Gegenüber und so tat sie es auch jetzt, blickte dem Flavius prüfend in die Augen, erforschte seine Züge, vermochte jedoch nicht darin zu lesen. Fast ist sie versucht zu sagen ‚Ganz offensichtlich hast du noch nie eine Frau kurz nach der Entbindung unbekleidet gesehen, sonst dächtest du anders’. Da dies einerseits ungehörig und andererseits ihr selbst viel zu peinlich wäre, behält sie jenen Gedanken jedoch für sich, wenngleich sich ein vielsagendes Schmunzeln in ihr Gesicht stiehlt, welches sie jedoch umgehend hinter ihrem Becher versteckt, als sie zu trinken ansetzt.
    „Es wird wirklich Zeit, dass du heiratest.“, stellte sie trocken fest. „Damit deine Frau es dir austreibt, andere weibliche Wesen mit Worten in Verlegenheit zu bringen.“
    Die ernste Fassade blieb nicht bestehen, wie sie es nie tat, wenn sich die Claudia mit dem Flavius unterhielt, zu gelöst von den Sorgen dieser Welt war sie in dieser Zeit. Zugleich fiel ihr auf, dass ein Teil von ihr es wohl sehr bedauern würde, wenn Aquilius sich jemals in seiner Art oder seinem Verhalten ändern sollte, ganz gleich ob es sie jedes Mal erneut in eine Zwickmühle brachte.

    Nachdem sie Sache mit der Sklavin geklärt schien - Antonia zweifelte keine Sekunde daran, dass die Bestrafung nicht zu zimperlich ausfallen würde, wenngleich sie sich kaum selbst davon überzeugen wollte, verflüchtigte sich ihr Zorn ebenso schnell wie er gekommen war und machte einem wohlig warmen Gefühl der Zufriedenheit Platz. Ein Gefühl das sich, nun, da die Claudia sich nach Jahren daran zu gewöhnen begann, äußerst angenehm war, wie sie feststellte.
    "Dann danke ich dir hierfür.", bekundete sie gelöst und nickte Aquilius zu.
    "Doch du musst dich nicht entschuldigen, ich weiß, es ist nicht einfach, seine Sklaven jeden Tag und zu jeder Stunde unter Kontrolle zu haben. Vergeben und vergessen."
    Mit einer Handbewegung schien sie jenen Vorfall beiseite wischen zu wollen, indes sie mit der anderen Hand den angereichten Becher entgegen, an welchem sie zunächst vorsichtig roch. Viele Monate - solange sie schwanger war - hatte sie keinen Wein mehr getrunken und seit der Geburt kaum Lust darauf verspürt, doch war sie zuvor recht trinkfest gewesen. Was tat man schließlich, wenn man nichts hatte um einen Abend zu füllen außer Rechnungen kontrollieren? Doch da sie fürchtete, er könne ihr nun aufgrund mangelnden 'Trainings' doch zu sehr ins Blut übergehen, beschloss sie, es heute bei diesem einen Glas zu belassen.
    Sein Lächeln hingegen verfehlte seine Wirkung nicht, erzeugte ganz automatisch ein ebensolches bei Antonia. Mit stummem Nicken wurde dem Flavius zugestimmt und letztlich der Becher halb erhoben. "Nun, worauf wollen wir trinken?", fragte sie schmunzelnd und ließ sich zu einem Zwinkern hinreissen.

    Hätte Antonia auch nur geahnt, dass sie jenes Versprechen tatsächlich würde einlösen müssen, vielleicht wäre es ein wenig anders ausgefallen. Doch angesichts der Tatsache, dass sie kaum noch zu hoffen gewagt hatte was sich nun doch erfüllte, war vielleicht gar jene Kuh eine zu kleine Dankesbekundung, weshalb sie bei Gelegenheit noch das ein oder andere Opfer für Iuno folgen lassen würde.
    Doch Hier und Heute entstieg sie mit jenem Lächeln der flavischen Sänfte, das sich seit der Geburt ihres Sohnes nicht mehr verflüchtigen wollte. Ihr Blick streifte die prachtvoll hergerichtete Kuh, die jedesmal, wenn die Sonnenstrahlen auf ihr Fell fielen aufgrund des Silbers zu funkeln begann, als spiegele sich das Licht auf Edelsteinen. Es würde Iuno sicher gefallen. Ganz abgesehen von all den anderen Dingen, die sie und ihr Gatte auf Rat eines erfahrenen Priesters der Iuno erstanden hatten. Iuno sei eine besondere Göttin, hatte dieser gesagt, und somit benötige sie auch besondere Opfergaben. Der Claudia hatte dies sofort eingeleuchtet und somit war die erste größere Anschaffung für ihren Sohn - dieses Opfer - tatsächlich etwas, das auch gut als Staatsopfer hätte durchgehen können.
    Da bezüglich des Opferablaufs jedoch Iuno wie alle anderen Götter war, würde die Kuh erst später ihrem Zwecke zugeführt werden und konnte sich so einer gewissen Galgenfrist erfreuen. Stattdessen wurden die Sklavinnen herangewinkt, die zunächst ins Tempelinnere folgen sollten. An der Seite ihres Gemahls erklomm Antonia die Stufen hinauf zum Tempel, vorbei an den langen Säulen, die das Gebäude umsäumten. Ein letzter Blick galt den noch schüchtern über die Dächer Roms kletternden Sonnenstrahlen, ehe die Schatten des Daches sie umfingen und nur noch Kerzen und Kandellaber Licht spendeten. Das Flackern gab der großen Iunostatue beinahe etwas lebendiges, ließ sie mit wachen Augen auf die Sterblichen herabblicken. Niemand sonst war hier, offenbar tatsächlich alles für jenes große Opfer freigehalten worden.
    Die Mühe, sich das Haar umständlich und aufwendig zu einer kunstvollen Frisur türmen zu lassen hatte die Claudia sich heute nicht gemacht, hätte sie schließlich für die Opferung ohnehin gelöst werden müssen. Und so waren es lediglich wenige Haarnadeln, die eine Sklavin vom Kopf ihrer Herrin entfernte, sodass die dunklen Strähnen locker über Antonias Schultern fielen. Ihr prüfender Blick glitt zurück, stellte zufrieden fest, dass alle, die benötigt wurden anwesend waren und sah letztlich zu ihr Gemahl, abwartend, fragend, wer nun beginnen sollte.

    Aurelia Minervina. Antonia kannte sie zwar nicht, doch konnte es bisweilen nie schaden, seine Kontakte zu erweitern. Kurz überlegte sie, ob sie bereits etwas von jener Frau gehört oder sie gar einmal gesehen hatte, musste jedoch schließlich aufgeben. Aber sie nickte.
    „Aber nein, gerne kann sie mitkommen.“, erwiderte sie und lächelte.
    Das Thema CP war nun wohl abgehakt und so gedachte die Claudia nicht, noch weiter darauf herumzureiten. Im Grunde genommen bereitete ihr das Gewicht ohnehin weniger Sorge, als die gar zu sehr geweitete Haut, die zwangsläufig während der Schwangerschaft entstanden war. Doch versuchte sie bislang, dies mit gezielten Übungen und einer Unmenge an Cremes und Lotionen in den Griff zu bekommen. Ob es half würde sich im Laufe der Wochen wohl zeigen.
    Die Ursache jener Dehnung bemerkte wieder einmal, dass ihm nicht die gebührende Aufmerksamkeit zuteil wurde und gab einen glucksenden Laut von sich, der – natürlich – sofort Antonias Blick anlockte und sie ein wenig verträumt grinsen ließ. Wieder wurde ihr bewusst, die Folgen hätten zehnmal so schlimm für den Körper sein können, nichts und niemand hätten sie davon abgehalten, jenes kleine Wesen zu bekommen. Und auch wenn sie kaum wagte, an dergleichen zu denken, schließlich war jener Sohn bereits ein unglaublicher Segen, so wäre sie jederzeit bereit, noch weitere Kinder zu bekommen.
    „Woher kennst du sie denn?“, fragte sie unvermittelt, sich wieder auf die Aurelia beziehend.

    Auch Tucca wurde für seine Glückwünsche gedankt, als schließlich Aristides zu seiner Rede ansetzte. Täuschte sie sich, oder hatte er sie zuvor noch böse angesehen? Nein, gewiss die Nervosität. Antonia hatte jedoch keine weitere Gelegenheit darüber nachzudenken, fand sie sich doch recht schnell an Epicharis’ Seite wieder und folgte den anderen Hochzeitsgästen, welche die Eingeweideschau betrachten wollten.
    Irgendwoher glaubte die Claudia den Haruspex zu kennen, doch wollte sich weder ein Name, noch ein Ort finden, zu welchem der Mann zugeordnet werden konnte. Ein innerliches Schulterzucken war die Folge, stattdessen beäugte sie akribisch jede Bewegung des Mannes, der endlich verkündete, die Götter seien der Vermählung wohlgesonnen. Aufmunternd lächelte sie ihrer Verwandten zu, die nun nur noch einige Rituale und Worte davon getrennt war, ebenfalls eine Ehefrau zu sein.
    Und weiter ging das Opfer, weiter, sodass sich ihr Gemahl nur zu schnell wieder von ihrer Seite stahl, um seinen Platz als Pontifex einzunehmen. Es schmerzte tief, ihn nicht selbst die Bitten an die Götter und Göttinnen vortragen zu hören, ebenso wie es schmerzte, ihn ansonsten sprechen zu hören. Warum nur war ausgerechnet er mit dieser Bürde belastet worden? Doch sie lächelte. Lächelte ununterbrochen, allein um nicht zu zeigen, wie sehr es ihr Leid tat, wenngleich sie wohl kaum etwas für jenen Umstand konnte. Ihre Augen indes folgten nachdenklich den Rauchschwaden, die sich in undefinierbaren Formen gen Himmel schlängelten. Verloren in einer anderen Welt, bemerkte sie erst beim zweiten ‚Agone’, dass das Opfer bereits weiter fortgeschritten war – und dass es stockte. Einige Sekunden geschah nichts. Was war nur los? Stimmte mit dem Tier etwas nicht? Warum zögerte Gracchus nur? Doch ehe sie den Sinn hätte ergründen können hatte er bereits genickt und das Tier sank zu Boden. Endlich ließ die Claudia die Luft aus ihren Lungen entweichen, die sie bis zu diesem Zeitpunkt unbewussterweise angehalten hatte.
    Litatio. Sie begann zu strahlen. Litatio. Doch weniger der Umstand, dass die Göttin das Opfer angenommen hatte verursachte jene Reaktion, nein, Gracchus hatte es ausgesprochen. Ein ganzes Wort. Ein komplettes Wort, ohne Stottern, ohne Verdrehung. Sie hätte in diesem Moment stolzer nicht sein können. Rechtzeitig besann sie sich jedoch, war nun schließlich sie an der Reihe, ihre Pflicht zu erfüllen.
    Nicht ohne Nervosität trat sie vor die beiden Brautleute, blickte von Epicharis zu Aristides und schließlich auf deren Hände, von denen sie jeweils eine ergriff und nach einem kurzen Zucken der Lippen – Lächeln oder Grinsen? – ineinander legte. Ihre Aufmerksamkeit richtete sich auf den Bräutigam, welcher nun sein Sprüchlein aufzusagen hatte.

    Langsam bekam Antonia das Gefühl, die Flavia glaubte gar sie kenne gar keine Designer in Rom oder habe gar völlig den Überblick verloren, angesichts des Angebots, alle möglichen Läden zu besuchen. Doch nein, gewiss meinte sie es nur nett. Und vielleicht war ja tatsächlich der ein oder andere Geheimtipp dabei, den sie noch nicht erkundet hatte. Ob es jedoch helfen würde, die Sache mit Aquilius zu beschleunigen? Allein die Götter wussten es wohl in diesem Moment.
    „Ich sehe schon, das flavische Konto wird bald um ein großes Stück erleichtert werden.“, meinte sie und schmunzelte. In Gedanken bereits bei Diorix, versuchte sie sich auszumalen, wie jene Filiale wohl aussah. Die meisten Designer zeichneten sich ja auch vor allem dadurch aus, ihre Geschäfte durch diverse Besonderheiten von denen der normalen Sterblichen zu unterscheiden. Bei Chanelix hatte es gar einmal zwischen den Kunden umherstreifende Geparde gegeben – stets gesichert von einigen Tierbändigern, natürlich.
    „Dann freue ich mich bereits jetzt auf unseren Ausflug dorthin.“, versicherte sie schließlich.


    Und obgleich die fröhliche Miene im Gesicht der Claudia erhalten blieb, als sei sie festgetackert, so änderte sich doch etwas im Raum, als Celerina die CP erwähnte. Wurde es kühler? Wurde es dunkler? Es war nicht mit Sicherheit zu bestimmen, doch ein Tier hätte sich wohl in eine sichere Ecke zurückgezogen.
    Indirekt warf die Flavia ihr also vor, sie sei zu dick? Sie? Nun schoss die Augenbraue doch noch in die Höhe. Gewiss, das ein oder andere Pfund war nun zu viel auf den Hüften, doch von jemand anderem darauf aufmerksam gemacht zu werden passte Antonia nun so gar nicht.
    „Ich denke, das wird nicht nötig sein.“, erwiderte sie schließlich steif.

    Im Hinterkopf noch immer bei jenem Tag am Brunnen, wagte Antonia vorerst nicht, den Flavius direkt anzusehen, faltete stattdessen die Hände in ihrem Schoß und richtete den Blick auf eben diese. Es war im Grunde genommen nichts geschehen, dessentwegen sie ein schlechtes Gewissen hätte haben müssen, doch wusste sie, hätte Aquilius nicht abgeblockt, es wäre etwas geschehen. Wie hatte sie nur derartig die Kontrolle über sich verlieren können? Es war ihr unbegreiflich.
    Doch lag dies lange zurück und sie hatte eine Beschwerde vorzubringen, so riss sie sich los von ihrem Fixpunkt.
    „Oh, das ist ja noch das Schlimmste daran. Ich war überaus freundlich zu ihr, habe ihr sogar einen Sitzplatz angeboten, mich mit ihr über die Schwangerschaft und die Zeit danach unterhalten.“
    Unterhalten. Mit einer Sklavin. Die Claudia schüttelte es bei dem Gedanken. Nun, eines war sicher, so schnell würde dies nicht wieder vorkommen.
    „Letztlich kam sie mir allerdings etwas blass vor und ich riet ihr, sie solle sich doch im Haus ein wenig hinlegen. Und da wagt diese.. Person es doch trotzig zu widersprechen, mich zurechtzuweisen, stell dir vor.“
    Sie war sich sicher, Aquilius wäre ebenso bestürzt wie sie selbst, nahm sie doch nicht an, dass wohl eine Unzahl anderer Menschen auch nicht nachvollziehen konnten, warum Antonia so aufgebracht war.
    Nachdem sie sich derart in Rage geredet hatte - wobei Rage verglichen mit anderen Personen vermutlich eher als ‚minimale Gefühlswallung’ abzuzeichnen gewesen wäre – nickte sie dankbar auf das Angebot des Weines hin.
    „Ja, danke, ich glaube auch ich brauche eine kleine Erfrischung.“, erwiderte sie mit zaghaftem Lächeln.
    Womit indirekt nun auch die Frage nach dem Stillen geklärt war. Angesichts der Schauermärchen, die sie über hängende Brüste und dergleichen gehört hatte, wurde diese Aufgabe schnurstracks der Amme übertragen.

    Und auch für Antonia endete jener Tag so gänzlich anders als alle bislang dagewesenen. Keine stundenlangen Körperpflegeprozeduren, kein Lesen von Zahlenkolonnen, keine Massagen und Einölungen. Nein, sie lag in ihrem Bett, die Gelegenheit nutzend, ihren Sohn wieder ganz für sich zu haben und einmal im Leben frei von Selbstvorwürfen und –Zweifeln zu sein. Ein Tag, wie er sonderbarer nicht hätte enden können. Wenigstens für die Claudia. Doch letztendlich musste auch sie sich der Müdigkeit ergeben, die Waffen strecken und den kleinen Manius der Obhut seiner Amme anvertrauen.
    Ein zufriedener Seufzer war alles, was noch von ihr zu hören war, ehe sie binnen weniger Minuten ins Reich der Träume überglitt.

    Während Celerina beteuerte, sie würde Antonia nun jederzeit einen Gefallen tun, begann Letztere bereits darüber nachzudenken, wie sie wohl am besten mit Aquilius sprechen sollte. Vornehmlich was genau sie sagen sollte. Vielleicht vorab ein kleines Opfer an Merkur, damit er sie mit Redegewandtheit segnete. Nach einem leisen Seufzer jedoch verschob sie diese Grübeleien auf später.
    „Gewiss.“, pflichtete die Claudia bei und nickte. „Dann vielleicht Morgen. Oder übermorgen, wir werden sehen, wann es sich einrichten lässt.“
    Oder erst in der darauffolgenden Woche? Im Dinge hinauszögern war die Patrizierin recht geübt, doch ahnte sie, dass es sich nicht gänzlich vermeiden lassen würde. Ganz von selbst erledigten sich solche Dinge meist nur selten. Nur eines war sicher: Irgendwann würde Antonia mit der Bitte um Einlösung jener Schuld kommen. :D


    Einkaufsbummel. Jenes Wort ließ sie aufhorchen. Die Wochen vor der Geburt hatte sie zwar ab und an in der Stadt beim Einkaufen verbracht, doch war es nahezu unmöglich bereits Garderobe für die Zeit nach der Geburt zu kaufen, war es doch unabsehbar, welche Maße Antonia hiernach haben würde. Wenigstens die größte Masse an Gewicht, die sie in der Schwangerschaft zugelegt hatte, war mit der Geburt von ihr abgefallen und ruhte nun in den Armen von ‚Tante Celi’.
    „Oh, von Herzen gerne.“
    Man musste wahrlich kein Hellseher sein, damit einem bereits jetzt die Begleitsklaven Leid tun konnten.
    „Ist es eine große Filiale? Oder werden wir auch noch Gelegenheit haben, dem ein oder anderen Konkurrenten von ihm einen Besuch abzustatten?“

    Ein Genie. Ha, ein Genie. Geschmeichelt winkte Antonia ab, lächelte dennoch äußerst erfreut. Dass nun jedoch sie selbst die Person sein sollte, die Aquilius in eine entsprechende Richtung lenkte behagte ihr weniger. Die Theorie in diesen Dingen war ihr geläufig, an praktischer Übung fehlte es jedoch und so war sich Antonia nicht sicher, ob sie für eine solche Aktion geeignet war. Andererseits, welche andere Möglichkeit gab es, wer sollte tun, was getan werden musste? Eine Sklavin? Kaum. Jemand außerhalb der Familie war ebenso unmöglich. Nein, sie musste es übernehmen. Zögerlich begann sie zu nicken.
    „Ja.. “, erwiderte sie, um ihrem Gesicht schließlich einen zunehmend entschlosseneren Ausdruck zu geben. „Ja, natürlich, natürlich werde ich es tun.“
    Bei Iuno, da hatte sie sich ja in etwas hinein geritten. Würde alles schief gehen, vermutlich würde Celerina ihr zeitlebens grollen, mit ihr Aquilius, der sich der Manipulation ausgesetzt sah. Die Gedanken beiseite wischend strafften sich Antonias Schultern. Nein, sie war eine Claudia, es lag ihr im Blut, gewiss würde alles einfach von der Hand gehen, als habe sie nie etwas anderes getan.
    „Ich nehme an, du möchtest diese Sache so bald wie möglich erledigt sehen?“


    Der Ohrring-Zwischenfall schien ebenso wie das feuchte Malheur ohne größere Folgen zu bleiben, was Antonia mit großer Erleichterung zur Kenntnis nahm. Indes erfuhr sie, wie beiläufig, auch noch einen neuen Designer, den es wohl zu erkunden lohnte.
    „Ich habe schon viel Gutes über ihn gehört, aber mich selbst bei ihm umgesehen habe ich noch nicht. Das werde ich wohl ändern müssen.“, gestand sie mit einem Lächeln. „Aber ich wusste auch nicht, dass er bereits bis nach Rom gekommen ist. Wo findet man ihn denn?“
    Natürlich musste sie dorthin. Natürlich. Nun, da sie auch einmal gesehen hatte, was dieser Mann für kunstvolle Dinge vollbrachte und nicht immer nur die dürftigen Beschreibungen einiger Freundinnen zu hören bekam.

    Überrascht blinzelnd wandte Antonia Celerina ihren Blick zu, der bis eben noch auf einem unbestimmbaren Punkt an der Wand gehangen hatte. Einen Herzschlag später jedoch zeichnete sich ein schmales Lächeln in den Zügen der Claudia ab.
    „Meine liebe Celerina, du liest meine Gedanken.“
    Natürlich hatte auch Antonia im Laufe ihres Lebens gewisse Erfahrungen mit Männern gemacht und so war auch letztlich sie selbst zu dem Schluss gekommen, dass man Aquilius nichts verkaufen musste, auf das er – anscheinend – von alleine gekommen war. „Bleibt also die Frage, wie schubbsen wir ihn in die richtige Richtung. Vielleicht.. wenn jemand mit ihm darüber spräche, wie beiläufig fragt, ob er denn jemanden in seinem Bekanntenkreis wüsste, der für seine Nichte geeignet wäre. Am besten natürlich, wenn du ihn nicht selbst danach fragst, das könnte ihn misstrauisch stimmen. Ja.. ja, so könnte es gehen. Ein kleiner Spaziergang, eine Plauderei über belanglose Dinge und irgendwann die Frage, ob er bereits eine Idee habe, mit wem er seine Nichte zu verheiraten gedenkt. Und wenn ihm niemand einfallen will, so genügt sicherlich ein kleiner Hinweis auf seine alleinstehenden Bekannten.“
    Ihre Augen begannen verschwörerisch zu blitzen. Ja, genau für dergleichen Dinge waren Frauen wie sie und Celerina wie geschaffen, es lag ihnen im Blut. Weniger Kuppelei und mehr das Fäden ziehen im Hintergrund, weniger offensichtliches Agieren und mehr das Lenken derer, die es taten. Generationen ihrer Ahninnen hatten diese Kunst perfektioniert und offenbar war Rom bislang ganz gut damit gefahren.


    „Ich.. oh, es tut mir leid.“, beeilte sich Antonia letztlich zu versichern, als sie bemerkte dass der Zug am Ohrring wohl ein wenig zu fest geworden war.
    „Ich möchte nur nicht.. er könnte etwas verschlucken, weißt du. Und das wäre sicherlich nicht nur für dein Geschmeide unschön.“
    Einen Augenblick zu lange ruhte der Blick der Claudia auf dem wundervoll gearbeiteten Ohrring, ein widerwilliger Ton ihres Sohnes riss sie jedoch aus den Betrachtungen. „Zumal es ein so schöner Ohrring ist. Sag, woher hast du ihn?“
    Liebevoll strich sie dem kleinen Manius noch über das Köpfchen, ehe sie wieder einen Schritt Abstand zwischen sich und die Flavia brachte.

    Mit stillem Lächeln hatte Antonia die beginnenden Unterhaltungen verfolgt, hatte sich, wie es sich ihrer Ansicht nach für die Pronuba geziemte, im Weiteren zurückgehalten und lediglich zwischen den einzelnen Personen hin und her gesehen. Das einzige Geräusch, das hierbei von ihr ausging war das leise Klingeln der filigranen Ohrringe, die sie heute, da kein kleines Kind daran ziehen würde, einmal angelegt hatte.
    Mit Erstaunen vernahm sie, dass Tucca und Aristides sich offenbar bereits einmal begegnet waren. Und dies auch noch bei den Megalesia, bei dem Theaterstück, das Gracchus hatte aufführen lassen und bei dem sie unweit von Aristides gesessen hatte. Damals war ihr nicht aufgefallen, dass scheinbar nur eine Reihe hinter ihnen einer ihrer Verwandten gesessen hatte. Was ihr Vetter bezüglich der claudischen Frauen und ihrer Angetrauten zu bemerken hatte entlockte ihr ein Stirnrunzeln. Doch andererseits, wenn sie bedachte was ihr armer Gemahl alles durch ihre Schuld hatte erdulden müssen – beziehungsweise was sie glaubte, das er hatte erdulden müssen – so konnte man jener Aussage wohl doch nur zustimmen. Sie tat es trotzdem nicht.
    Epicharis‘ Stimme war es, die die Claudia wieder zu ihrer Verwandten sehen ließ, die, trotz Schleier, recht gut erkennbar errötete. Fragte sie sich zunächst noch, was diese Reaktion verursachte, fand sie sich allzu schnell in einer stürmischen Umarmung wieder, die Antonia ebenso außer Gefecht setzte, wie sie es zuvor bei ihrem Gatten getan hatte. Doch die Irritierung war schnell vergeben und vergessen, fröhlich strahlte sie übers gesamte Gesicht.
    „Danke, ach, du ahnst ja nicht wie froh wir sind.“
    Vermutlich würde kaum jemand nachvollziehen können, was jene Geburt letztlich im Leben der stolzen Eltern ausgelöst hatte. Und doch konnte man es sehen, allein in den Gesichtern der beiden. Unbewusst glitt Antonias Blick hinüber zu Gracchus, versonnen weiter lächelnd, bis doch die Gegenwart sie wieder einfing.
    „Ja, der kleine Schatz liegt zu Hause in seiner Wiege und kann es vermutlich kaum erwarten, seine neue Tante in seinen Bann zu ziehen.“
    Schmunzelnd zwinkerte Antonia Epicharis zu, war der kleine Manius doch vielmehr ein Vetter dritten Grades durch claudische und wohl ein angeheirateter Vetter zweiten Grades durch flavische Verwandtschaft.
    Wer nun Aelia und Lucilla waren, die ihre Verwandte erwähnte wusste Antonia nicht und so zuckte sie lediglich leicht mit den Schultern. „Vielleicht sind sie bereits hier und du hast sie nur noch nicht gesehen. In all dem Trubel gut möglich.“, mutmaßte sie stattdessen. „Aber allzu lange solltet ihr nicht mehr auf Nachzügler warten, denke ich.“

    Eine kleine Welt, errichtet aus nichts als Hoffnung, aus der Gewissheit, nach der Dunkelheit und Einsamkeit folge das Licht, der Ausbruch in die Freiheit, zerfiel in sich wie ein Häufchen Asche. Mit jedem Wort, das er nicht sagte, mit jeder Regung, die er nicht tat brach ein weiteres Stück ab, fiel in eine unendliche, alles verschluckende Schwärze um auf ewig dort zu verharren und nie wieder aufzutauchen.
    Er glaubte ihr nicht, glaubte kein Wort ihrer Beteuerung, würde niemals glauben, dass dies tatsächlich sein Sohn war, dass Antonia nicht eigenmächtig gehandelt hatte, glaubte, sie wolle ihm einen Bastard unterschieben. Die Hand, die eben noch so liebevoll sein kleines Ebenbild berührt hatte wurde zurückgezogen, beschattete die Augen, die so viel Versagen schon hatten sehen müssen, die es nicht ertrugen, nun auch noch die Ehefrau zu sehen, die nicht nur betrog, sondern die es auch noch wagte im Angesichte ihres Sohnes zu lügen. Es genügte nicht, allein die Augen zu schließen, nein, abschirmen musste ihr Gatte sich von dem Anblick, der ihm so zuwider sein musste. Und war sie unter seinem Blick zerschmolzen, so verursachte diese Abwendung nur noch schlimmere Pein. Sie ertrug es nicht, wendete ebenfalls den Blick ab, suchte sich an der Decke einen Punkt, an welchem sich die Augen festsaugten, ganz als sei dies der einzige Halt, der sie noch in dieser Welt hielt. Dunkelheit umfing sie, als die Claudia es ihrem Gemahl gleicht tat und die Augen schloss, wenngleich sie davon absah, sie auch noch mit der Hand zu bedecken. Es hätte sie nicht wundern sollen, im Laufe der Jahre hätte sie ein dickes Fell gegen dergleichen Dinge entwickeln müssen. Und hätte sie bei jedem anderen nicht mit der Wimper gezuckt, so war es allein die Vorstellung ihres Gatten, die sie schwach und hilflos werden ließen, die ihr all ihre Fehler und Makel vor Augen führte, die ihr zeigten, wie er sie sah.
    Er würde gehen. Ohne ein weiteres Wort den Raum verlassen, nur um nicht weiter erdulden zu müssen, dass seine Frau ihm frech ins Gesicht log, wie er glaubte. Nur um nicht den Sohn sehen zu müssen, der doch nicht der Seine war. Ganz deutlich sah sie es vor sich, nie wieder würde er sich ihr nähern, das Kind sobald es alt genug war fortschicken und die Mutter auf eine Landvilla verbannen. Genau so würde es geschehen. Sie zwang sich die Augen zu öffnen, ein letztes Mal zu beteuern, zu schwören auf alle Götter und ihr eigenes Leben, dass sie ihn nicht belogen habe, doch wie so oft kam Gracchus ihr zuvor. Er beugte sich über sie, der Blick leidend, wie der ihre wohl sein musste und so vergaß Antonia ob dessen ihr Vorhaben, starrte stumm, doch flehentlich den Flavier an. Er rannte nicht davon. Keine Leere füllte den Raum, an welchem bislang er gesessen hatte, er blieb, er flüsterte ihr etwas zu, zwei Worte nur, die sich in ihrem Kopf manifestierten, die sie, wie so oft, in tiefste Verwirrung stürzten. Ein Kuss verschloss ihre Lippen, nahm ihr die Möglichkeit etwas zu antworten, was sie ohnehin nicht hätte tun können.
    Es war dies kein gewöhnlicher Kuss, nicht schnell dahingehaucht wie sonst, nicht wie eine ungeliebte Pflicht, die man um der Gesellschaft Willen ableistete. Ein Kuss, wie jeder Mensch geküsst werden wollte, ehrlich und vollkommen, rein und unschuldig, frei von Vorwürfen. So küsste kein Mann eine Frau, die er der Lüge bezichtigte. Und wenn sie sich auch sonst nichts mehr sicher war in ihrem Leben, dann doch dieser einen Sache. Sie lösten sich voneinander, nach Sekunden, die doch eine Ewigkeit waren, ein ganzes Menschenleben. Die Zweifel, die Antonia noch eben in ein enges Korsett aus Trauer und Wut gesperrt hatten und sie zu ersticken suchten wurden verjagt, machten der Gewissheit Platz, dass nun alles Gut werden würde. Sie sah in Gracchus’ Augen, sah den Glauben an die Wahrheit, an die Worte seiner Gemahlin, genau so klar und deutlich, wie sie zuvor noch Gegenteiliges gesehen hatte.
    Ein Schimmer überzog ihre Augen, kaum erkennbar, nicht mehr als ein kurzes Aufblitzen, ein Glänzen, als hätte sie einen Gedanken, den nie zuvor ein Mensch gedacht, als habe sie die Lösung auf ein Rätsel gefunden, das seit Jahrtausenden die Menschheit beschäftigt hatte. Die Augen, die ihr Leben lang blind gewesen schienen, von einem matten Grauschleier überdeckt, der sie davon abgehalten hatte die Welt in ihrer ganzen Schönheit zu sehen und sich nun hob, gab den Blick frei auf all die Wunder der Erde. Sie sah ihren Gemahl an, jenen Mann, den sie seit Jahr und Tag so oft gesehen hatte, und doch schien es, als erblicke sie ihn zum ersten Mal in ihrem Leben.
    Ein tiefer Atemzug hob und senkte den Brustkorb, mit ihm das Kind, das auf ihm lag.
    Dies war einer jener Momente. Hier gab es nichts zu sagen, gab es nichts weiter zu erklären und doch drängte es Antonia, das Wort zu erheben, etwas zu erwidern. ‚Das ist es, was ich will’, schoss es ihr durch den Kopf, als späte Erwiderung auf eine Frage, die Gracchus ihr einst gestellt hatte. ‚Genau das.’ Doch sie sagte es nicht, schenkte ihrem Gemahl stattdessen ein Lächeln, das sie in dieser Art noch nie gelächelt hatte.
    Es gab nichts zu sagen. Und so schwieg sie.

    Celerina schien darauf zu vertrauen, dass ein echter Flavier den gleichen Fehler nicht zwei Mal hintereinander begehen würde und so hoffte auch Antonia, ihr Sohn möge seinen Stoffwechsel unter Kontrolle halten. Unsicher lächelte sie, war es ihr doch äußerst peinlich, dass er sich ausgerechnet in den Armen von ‚Tante Celi’ erleichtert hatte.
    Zugleich jedoch fühlte sie einen gewissen Stolz in sich, schließlich hätte wohl kaum ein Mann der Flavia nach einem solchen Malheur wieder näher kommen dürfen :D
    Ja, kein Zweifel, um Manius Minor würden sich einmal die Frauen scharen wie Bienen um den Honig. Und seien es nur seine Tanten.


    Aufmerksam lauschte sie schließlich Celerinas Erzählung den Aurelier betreffend. Zunächst verschmitzt lächelnd, doch mit Steigerung der Wortanzahl letztlich immer nachdenklicher.
    „Hm.“, machte sie grübelnd und legte den Kopf schief. In derlei Dingen hatte sie wenig bis gar keine Erfahrung, schließlich war ihre eigene Ehe arrangiert worden und somit hatte sie sich keine Gedanken darüber machen müssen, wie man den Verwandten den potentiellen Ehemann auf dem Silbertablett servieren konnte. Die Vorstellung hierbei ließ sie wieder grinsen, verbarg es jedoch recht schnell wieder unter der Maske des Nachdenkens.
    „Nunja, ich glaube, besonders anpreisen musst du diesen Aurelier nicht, er ist schließlich kein Drückeberger, soweit ich weiß. Ist er nicht Auctor der Acta und kürzlich in den Senat berufen worden? Aber gut, einfach verkünden, dass du nun auf eigene Faust einen Ehemann gefunden hast geht natürlich nicht.“
    Unbewusst begann die Claudia auf ihrer Unterlippe herumzukauen, eine dumme Angewohnheit, die sie bisweilen befiel wenn sie angestrengt über etwas nachdachte.
    „Weiß Aquilius denn wenigstens, dass ihr euch bereits kennt? Das würde das Ganze ja schon einmal vereinfachen.“
    So in Überlegungen versunken war Antonia gar nicht aufgefallen, wie der kleine Gracchus plötzlich Gefallen an Ohrringen zu finden schien. Sichtlich unangenehm berührt begann sie einmal mehr an diesem Tag sich zu entschuldigen. „Oh, Celerina, es tut mir ja so leid.“
    Babysabber am Ohr(ring) war vermutlich absolut nicht das, was man sich als Tante von seinem ‚Neffen’ wünschte. Langsam beschlich die junge Mutter das Gefühl, einen Großteil ihrer künftigen Zeit würde sie damit verbringen, sich für die Taten ihres Sprosses zu entschuldigen. Zugleich jedoch kam ihr ein anderer Gedanke. Perlohrringe.. was, wenn eine Perle abging und das Kind sie verschluckte und am Ende daran erstickte? Sie wurde blass und beeilte sich, den Ohrring aus dem enttäuschten Mund ihres Sohnes zu ziehen.
    „Du gestattest doch.. ach Manius, was machst du nur mit deiner armen Tante.“

    Im Gegensatz zu Aquilius stellte Antonia sich nie den kleinen Rowdy vor, der er wohl zwangsläufig früher oder später in seinem Leben einmal sein würde und sei es nur um wie die meisten Kinder gegen gutgemeinte Ratschläge seiner Eltern zu rebellieren. Nein, in ihren Augen würde er stets das wohlerzogenste, das klügste und beste Kind das es jemals gegeben hatte sein. Für zerbrochene Vasen würden wohl die Sklaven verantwortlich gemacht werden. Andererseits, vielleicht wandelte sich die Glucke auch noch zur strengen Lehrmeisterin. Doch derzeit wussten allein die Götter was wohl noch geschehen würde.
    „Es ist schon sonderbar, nicht wahr? Wie ein so kleiner Mensch ein so großes Haus auf den Kopf stellen kann.“
    Versonnen lächelte sie, war sie doch diejenige, die sich durch den neuen Hausbewohner am stärksten verändert hatte.


    Der lange, tiefe Blick, den der Flavius ihr zuteil werden ließ, rief in der Tat nur zu schnell die Erinnerungen an jenen Tag und an jenen Brunnen wach. Heute war es ihr ungeheuer peinlich, dass sie sich derart hatte gehen lassen, dass sie ihm derart zu Leibe gerückt war. Zwar hatte er stets beteuert, es sei nicht dabei gewesen, doch sie selbst schämte sich zutiefst. So schoss ihr das Blut in die Wangen und schnell wich sie seinem Blick aus, begann ihre Hände zu kneten. Umso schlimmer wurde es dadurch, dass sie sich daran erinnerte, wer ursprünglich Gracchus als Vater hatte ersetzen sollen und dass sie jenem Vorschlag keineswegs abgeneigt gewesen war. Einige gestammelte Ansätze einer Erwiderung später, brachte sie letztlich doch noch einige zusammenhängende Worte heraus: „Ich.. äh.. bin sicher, da gibt es noch zuhauf geeignete.. mh.. Kandidatinnen.“
    Das war sie keineswegs, schließlich machte sie sich über ihre Geschlechtsgenossinnen keinerlei Illusionen. Eine standesgemäße Frau, die diesen Ansprüchen von Aquilius genügen sollte, war sicherlich nicht allzu leicht zu finden. Eine Plebejerin kam schließlich nicht in Frage, wenngleich die Claudia der Überzeugung war, dass es kaum intelligente und interessante Frauen dieses Standes gab.


    Das Thema, dessentwegen sie ursprünglich sein Tablinum aufgesucht hatte holte sie jedoch ein und rettete sie wenigstens teilweise aus der unangenehmen Situation. Zwar besänftigten seine Worte sie nicht zur Gänze, doch sein Versprechen die Sklavin zu bestrafen ließ sie wieder versöhnlicher blicken. Just in diesem Moment platzte jedoch der Delinquent herein, ließ Antonias Blick sich in pures Eis verwandeln.
    Wenigstens gehorchte sie ihrem Herrn und zog sich zurück. Eigentlich schade, Ungehorsam hätte ihre Argumente lediglich untermauert, auch wenn sie sich sicher war, dass dies im Grunde genommen ohnehin nicht nötig war. Doch Bridhe verschwand so schnell wie sie gekommen war, was Antonia die claudische Nase rümpfen ließ. Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder an den Flavier.
    „Genau solche Dinge meine ich.“, erklärte sie und deutete auf die Stelle, an der bis vor wenigen Sekunden noch die Sklavin gestanden hatte. „Sie weiß nicht, wo ihr Platz ist. Sie hat mir widersprochen. Das allein wäre wohl nicht so schlimm und ich hätte dich nicht mit einer Lapalie belästigt, doch der Ton den sie dabei angeschlagen hat.. als sei ich die Sklavin und sie die Herrin. Und scheinbar war sie der Ansicht, sie käme damit durch.“

    Im Bruchteil einer Sekunde zuckte Antonias Augenbraue nach oben, gänzlich sich der flavischen Tradition unterwerfend. Von ihr sollte das Kind seine gute Laune geerbt haben? Das konnte unmöglich Aquilius’ Ernst sein. Irritiert musterte sie den Gesichtsausdruck des Flaviers, erkannte jedoch weder Schalk noch Ironie.
    „.. “, sagte sie, den Mund öffnend und wieder schließend. Er machte sich doch gewiss lustig über sie. Andererseits war Gracchus wohl verglichen mit ihr wahrlich noch weniger eine Frohnatur und so musste die gute Laune des jungen Manius tatsächlich von ihrer Seite stammen. Es verwirrte sie zutiefst.
    Die Aussicht auf einen Gegenbesuch seitens Aquilius’ ließ sie jenes Thema jedoch schnell wieder vergessen und so kehrte das Lächeln zurück, erinnerte die Augenbraue wieder daran, wo ihr Platz war.
    „Wunderbar, er wird dir sicher gefallen.“, beteuerte die Mutter, die natürlich niemals auch nur den geringsten Fehl an ihrem Sohn finden würde und somit niemals würde nachvollziehen können, wenn es jemandem anders ging. Nicht, dass sie dergleichen erwartete..
    „Und gegen ein wenig Lebensfreude wird sicher auch der italische Vater nichts einzuwenden haben.“


    Als jemand, der lange Zeit ebenfalls ein äußerst zurückgezogenes Leben in der Villa geführt hatte, konnte die Claudia ihrem Gesprächspartner indes kaum einen Vorwurf machen, wenn er jenes Recht nun für sich selbst beanspruchte und so setzte sie eine leidende Miene auf, wenngleich ihr Schmunzeln sich nicht gänzlich verbergen ließ.
    „Ach, wie trüb und sinnlos werden die Tage sein ohne dich.“
    Seine Problematik die Frauen betreffend konnte sie nun aus nahe liegenden Gründen eher nicht nachvollziehen, schenkte ihm jedoch einen aufmunternden Blick. „Vielleicht ist das ganz gut so. Ein Mann wie du kann sich mit dem Besten begnügen, anstatt blindlings in sein Verderben zu rennen und die erstbeste zu nehmen.“
    So oder so ähnlich verstand sie seine Worte. Als eine Art Torschlusspanik, oder gar eine Sehnsucht nach der Ehe, nun, da auch einer der letzten flavischen Junggesellen, namentlich Aristides, jenes Leben aufgeben und ein mehr oder minder braver Ehemann werden würde.


    „Nun, deine Sklavin hat sich weniger mit einem meiner Sklaven und mehr mit mir gestritten, wenn man es so nennen möchte.“
    Ein zorniges Funkeln trat in Antonias Augen, teils aufgrund der Erinnerung an Bridhe, teils weil Aquilius die Launen der schwangeren Frauen allgemein erwähnte. Mehr als ein Sklave hatte den Unmut der Claudia ertragen müssen und zahlreiche Vasen war hierbei zu Bruch gegangen.
    „Ich weiß, wie eine Schwangerschaft ist, aber du wirst doch einer Sklavin nicht die gleichen Rechte diesbezüglich zugestehen wollen wie einer Patrizierin? In meiner Gegenwart hat sie ihre Gefühlswelt im Zaum zu halten, ganz gleich wie bald ihr Kind zur Welt kommen wird.“

    Es gab Momente, in denen wussten Menschen, die sich lange Jahre kannten ohne große Erklärungen, ohne viele Worte zu verlieren, was der andere sagen wollte. Es war eine Art nonverbale Kommunikation, die darauf aufbaute, dass man erahnte, was der andere meinte, dass man verstand, obwohl es kaum etwas gab, das zum Verständnis beitrug allein aufgrund der Erfahrungen, die man mit jener Person gemacht hatte. Ein Augenblick perfekter Harmonie, des Einklangs der Welt mit dem Universum und seinen Bewohnern. Es gab Momente, in denen es keiner weiteren Worte bedurfte. Dies war kein solcher Moment.
    Antonia hatte nichts von den inneren Qualen bemerkt, die ihr Widerspruch in ihrem Gemahl ausgelöst hatte. Seine Hand zuckte, wie der Rest des Körpers wohl, doch maß sie dem nicht mehr Bedeutung bei, als seinem gebrochenen Satzbau, schob es auf ein Nervenzucken, eine unkontrollierbare Begleiterscheinung seiner Krankheit. Erst seine so erstaunt klingende Frage zwang sie zu einer Reaktion, ließ sie den Blick vom Sohn abwenden.
    Ich?, fragte er. Er? Was er? Selbst wenn er der Ansicht war, sein Sohn sei nicht wie der Vater, so war eine solche Betonung des Wortes ‚Ich’ doch weitaus übertrieben, wie die Claudia fand. Allein sein Gesichtsausdruck.. als habe sie soeben etwas völlig Unmögliches gesagt, als sei sie komplett irrsinnig geworden und verkündete nun den Untergang der Welt durch angreifende rosa Reiher.
    „Du?!“, entgegnete sie, dem ersten Impuls der Verwirrung nachgebend einfach dumpf eine Bestätigung zu murmeln. Vermutlich hätte sie ihm ebenso wenig folgen können, wenn er nun plötzlich germanisch gesprochen hätte, wenngleich sie sich dann nicht ganz so dumm vorgekommen wäre. Wie zur Erklärung sprach er weiter, hangelte sich an den Worten und seinem Satzbau entlang, doch ehe der Sinn Antonias Geist erreichte, schien er den Halt zu verlieren und in eine tiefe Schlucht zu stürzen, zermalmt zu werden von spitzen Felsen und der Erdanziehung.
    Was war er nicht? Vollkommen? Auch in diesem Fall beliebte er sich doch ein wenig zu sehr in seine Aussprache hinein zu steigern. Ein einfacher Satz, begleitet von einem milden Lächeln und dem kurzen Schütteln des Kopfes wäre hierfür adäquat, doch jener schon verzweifelt wirkende Einspruch Gracchus’ war selbst für seine Verhältnisse überzogen. Wie immer, wenn Antonia glaubte, ihrem Mann in gewissen Bahnen folgen zu können, glaubte, endlich einmal völlig zu verstehen, was er sagte und meinte, immer wenn der dunstige Schleier sich zu heben begann, folgte ein Tief, welches erneut ihre Sinne in Unverständnis hüllte. Doch sie sagte nichts, wartete geduldig, ob vielleicht er selbst noch des Rätsels Lösung offenbaren würde, ohne dass sie einmal mehr ihre Unkenntnis offenbaren musste. Die ungestellte Frage, ob die Gattin den Gatten nur aufgrund des vorherrschenden Sprachproblems nicht verstand schwebte über ihren Köpfen, zog lustige Kreise und hüpfte schließlich davon, als eine laue Brise aufzog, in Gestalt weiterer Fragen Antonias Unverständnis hinfort wehte.
    Ein Schlag ins Gesicht hätte sie wohl nicht härter treffen können, als jene Erkenntnis, zu der Antonia nun gelangte. Wie sehr hatte sie sich gefreut, als er nicht den geringsten Zweifel an einer Vaterschaft geäußert hatte, wie hatte sie ihn in himmlische Sphären erhoben, ihn, dem jegliche niederen Verdächtigungen fremd zu sein schienen, ihn, der nicht im Traum daran gedacht zu haben schien, seine Frau hätte ihn betrügen können. Die Einsicht, dass jene Annahme nicht falscher hätte sein können donnerte mit der Macht einer Invasionsarmee auf die junge Mutter nieder.
    Sie war darauf gefasst gewesen sich zu verteidigen, zu schwören, es habe niemals einen anderen gegeben. Damals. Heute, wo sie bereits seit Monaten mit der Überzeugung lebte, es würde nie auch nur die geringste Skepsis bei ihrem Gemahl geben, wusste sie nicht, was sie erwidern sollte. Wäre nicht bereits jede Farbe aus ihrem Gesicht gewichen aufgrund der Geburt, sie wäre nun aschfahl geworden, hätte wohl gar einen Sitzplatz suchen müssen, würde sie nicht ohnehin bereits liegen. Ihr Blick bohrte sich in den von Gracchus, kein Blinzeln störte die visuelle Erkundung seiner Augen, in denen sie zu lesen versuchte, ob er tatsächlich das meinte. Stummes Starren brachte schließlich die Erkenntnis: Ja, es war genau das was er geglaubt hatte. Sie hatten darüber gesprochen, waren zu dem Entschluss gekommen, ein anderer müsse Vater von Gracchus’ Sohn werden. Doch er hatte zurückgezogen, hatte lieber kinderlos sterben wollen, als den Nachkommen eines anderen anzunehmen.
    Der undurchdringliche Blick löste sich, schweifte zu Gracchus Minor, den Gracchus Maior offenbar lediglich aus einem Grund anerkannt hatte: Weil sie seine Mutter war. Weil für alle Welt klar sein musste, dass dies der Sohn des Manius Flavius Gracchus war – außer für Manius Flavius Gracchus selbst.
    Ihre heisere Stimme erhob sich, erinnerte sich ihrer Aufgabe etwas kund zu tun: „Du.. du glaubst.. ?“
    Mitten im Satz vergaß Antonias Kehle wohl doch wieder, dass noch etwas folgen sollte und verweigerte den Dienst. Stattdessen übernahm ein Paar fragender Augen die Vollendung.
    Wie hatte sie nur jemals glauben können, er sähe jenes untadelige Wesen in ihr, das sie zeitlebens versuchte zu sein? Wie konnte sie annehmen, er übertrüge seine Perfektion auf sie, würde niemals böswillig auch nur den geringsten Fehler an ihr suchen? Gegen seinen ausdrücklichen Wunsch hätte sie einem anderen beiliegen sollen? Sie, die stets nur hatte getan, was er wollte? Sie? Sie hätte freiwillig sich einen anderen Mann suchen sollen, einen, der nicht im Geringsten würde an das heran kommen, was jener Gracchus für sie war? Je länger die Worte in ihrem Kopf kreisten, desto mehr schnürte es ihr die Kehle zu, stieg Panik in ihr auf. Wie musste er sie verabscheut haben.
    Jede Faser ihres Körpers drängte danach, ihm entgegen zu rufen, wie er einen solchen Unsinn nur annehmen konnte, wie er jemals dem Glauben konnte anheim fallen, sie würde auch nur an einen anderen Mann denken, geschweigedenn ihn in ihr Bett lassen. Doch die Worte, die sie klar und deutlich in ihrem Kopf vernahm, wollten einfach nicht den Weg zum Mund finden, rannten ziellos an jede Stelle ihres müden Körpers und vergaßen ob dessen wohin sie ursprünglich hatten gehen sollen.
    „Niemals.“, stellte sie stattdessen leise fest. „Niemals hat es einen anderen gegeben.“
    Zu einem anderen Zeitpunkt und an einem anderen Ort wäre diese Szene wohl gänzlich anders verlaufen. Sie hätte geweint, hätte gefleht, hätte geschworen, doch für all dies fehlte ihr in diesem Moment schlicht die Energie.
    „Du bist sein Vater.“, schob sie letztlich noch hinterher, als bedürfe es einer besonderen Betonung, als wollte sie ein erneutes Missverständnis vermeiden. „Du.“