Beiträge von Claudia Antonia

    Die Vorstellung, die Soldaten seien Dekoration entlockten Antonia unwillkürlich ein Schmunzeln. Vor ihrem geistigen Auge standen die Legionäre und Centurionen plötzlich auf Sockeln, das Haupt stolz erhoben wie eine Statue und wechselten ab und an die Position, was das Cingula-Klingeln nach sich zog.
    „Ich glaube, die würden sich nicht mit den Krokodilen vertragen.“, erwiderte sie schließlich und war froh, dass jene Tiere in sicherer Entfernung zu den Gästen untergebracht waren. Man hörte ja doch das ein oder andere über Unfälle bei Tierbändigern und dergleichen.
    Die Versicherung ihres Vetters, der Brautvater werde gewiss noch kommen ließ sie derweil unkommentiert und reckte stattdessen erneut den Hals, um nach dem Brautpaar Ausschau zu halten.
    „Im Moment steht nur Flavia Celerina bei ihnen, wenn ich es recht sehe. Dann sollten wir wohl die Gunst der Stunde nutzen.“
    Genau genommen hätte die Claudia auch noch eine halbe Ewigkeit hier gewartet und sich erst ganz zuletzt zum glücklichen Paar aufgemacht. Heute vertrat sie die Ansicht, je länger man sitzen konnte, desto besser. Doch andererseits verstand sie den Wunsch Tuccas, die beiden zu begrüßen, daher sträubte sie sich nicht, wenngleich sie hätte sagen können, es habe sich soeben eine ungeheuer große Menschentraube um Epicharis und Aristides gebildet, bei der ein Durchkommen völlig unmöglich war, wenn man nicht gerade eine Armee von Sklaven dabei hatte, die den Weg frei räumten.
    Stattdessen erhob sie sich jedoch, wartete artig, bis ihr Vetter samt Sklave ihr folgten und schlug zielstrebig, wenn auch langsam, den Weg zu ihren Verwandten ein. Unsicher, ob sie nun zuerst die Braut begrüßen, oder zuerst ihren Vetter vorstellen sollte, riet ihr die in Gedanken geworfene Münze zu Ersterem und so fand sich Epicharis recht schnell in einer kurzen Umarmung wieder, bei welcher Antonia natürlich darauf bedacht war, das Kunstwerk, welches ihre Cousine derzeit darstellte, nicht zu beschädigen.
    „Epicharis, du strahlst mit der Sonne um die Wette. Eine schönere Braut hat es wohl nie gegeben.“
    Hätte sie bei jedem anderen hier gelogen, musste sie wohl eingestehen, dass sie es im Fall der Claudia tatsächlich ernst meinte. Ihre Cousine wirkte überglücklich. Sich ihres Vetters gewahr werdend, ließ Antonia wieder ab von der Braut und wandte sich mit einem Lächeln an die Runde.
    „Aber verzeiht, wenn ich vorstellen darf, dies ist mein Vetter, Claudius Tucca.“
    Ihr Blick richtete sich auf Tucca, wenngleich er dies wohl lediglich daran bemerken würde, dass Antonias Stimme ihn nun direkt ‚beschallte’.
    „Zu deiner linken ist der Bräutigam, Flavius Aristides. Daneben Epicharis-“, von der die Claudia ausging, dass er sie bereits kannte, „-und zu deiner rechten Flavia Celerina.“

    Ein abgehackter Ton, der Ansatz eines kurzen Auflachens, durchschnitt die harmonische Szene, verursachte ein erstauntes Aufblicken der letzten anwesenden Sklaven, die jene Gefühlswallung Antonias jedoch mit einem Schulterzucken abtaten. Nicht so die Claudia selbst.
    Er schien es selbst in einem solchen Moment nicht lassen zu können. Sogar jetzt, nachdem sie stundenlang in den Wehen gelegen hatte, konnte er sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. Denn dass sie nun wahrlich nicht der Grund für die Vollkommenheit ihres Sohnes sein konnte, dies war offensichtlich. Sie wusste es und er wusste es. Musste er nun wirklich noch spöttische Bemerkungen machen, in diesem einen Moment, wo sie sich außer Stande sah, auch nur die geringste Gegenwehr zu erbringen? Es ärgerte sie. Es ärgerte sie ungemein. Doch noch mehr ärgerte sie, dass sie ihrem Gemahl nicht einmal böse sein konnte hierfür. Keine grimmige Miene brachte sie zustande, angesichts des kleinen Bündels Leben, das friedlich die Diskussion seiner Eltern ignorierte.
    „Nein.“, seufzte sie. „Nein, er ist ganz wie sein Vater.“
    Hätte Antonia gewusst, welche Gedanken Gracchus bezüglich der Vaterschaft hegte, vermutlich hätte sie andere Worte gewählt oder gar unausgesprochen gelassen. Doch sie wusste es nicht und so tat sie es nicht. Und wenigstens diesen Gracchus, diese kleine Version seines Vaters, würde die Claudia an sich zu binden wissen.
    Oder reagierte sie gar übertrieben? Hatten sie beide sich nicht ausgesprochen, hatten sie nicht festgestellt, dass sie sich zeitlebens immer und immer wieder missverstanden hatten? Waren jene Worte ihres Gemahls einfach nur die verkürzte Version dessen, was er unter normalen Umständen in blumigen Worten auf sie hätte herabrieseln lassen? Meinte er es gar nett? Jene Vorstellung schien der jungen Mutter so absurd, dass sie nur schwerfällig wie zäher Honig in ihre Gedanken tropfte.
    „Er ist ganz wie du.“
    Und tatsächlich, je länger sie Gracchus Maior betrachtete, immer wieder den Blick zwischen Sohn und Vater wechselte, desto liquider schien der Honig zu werden, wandelte sich zu einem leise plätschernden Bach, der ihre Zweifel fortzuspülen suchte. Gewiss, so grausam, dass er der Mutter seines Sohnes am Kindbett eine derartige Gemeinheit an den Kopf warf, war nicht einmal jener Mann, der ihr unbewusst das Leben in dieser Villa so unerträglich gemacht hatte. Er hatte es ernst gemeint, sicherlich war es so. Sie wollte es glauben, klammerte sich mit ihrem Herzen an diese Vorstellung, auch wenn der Kopf beständig versuchte, seine Logik und seine Vorstellungen einzubringen. Hier und Heute würde er ignoriert werden.

    Das Glänzen in Celerinas Augen rief eine fast kindliche Freude in Antonia wach. Lange Zeit hatte sie nur mit Männern unter diesem Dach gelebt, die, aus verständlichen Gründen, keinerlei Begeisterung für derartige Themen entwickelt hatten. Natürlich hatte die Claudia die ein oder andere Freundin oder Bekannte, mit der man hierüber sprechen konnte, doch quasi jederzeit mit einer kultivierten Frau fachsimpeln zu können war einfach etwas Wunderbares. Und wo nun noch bald Epicharis hier einziehen würde, war Antonia sicher, dass die Frauen die Herrschaft im Hause an sich reissen würden, ohne auch nur auf den geringsten Widerstand zu stoßen. Wobei ihr einfiel, dass es wohl auch wieder höchste Zeit war, die Villa Innenausstattungstechnisch ein wenig auf den neuesten Stand der Dinge zu bringen.
    „Nichts zu danken.“, erwiderte sie schließlich mit großzügigem Lächeln. Ohja, der Austausch einiger Geheimtipps konnte wahrlich nichts schaden, zumal die CP sicherlich beim verlieren des Schwangerschaftsspecks behilflich sein würden.


    Freudig, dass der kleine Manius seine ‚Tante Celi’ doch nicht so sehr verärgert zu haben schien, dass sie ihn nicht mehr näher als zwei Fuß an sich heranlassen würde, begab sich Antonia zur Flavia und reichte ihr vorsichtig ihren Sohn. Mit sanftem Druck befreite sie sich von der klammernden Hand des Babys und setzte den Gesichtsausdruck einer Mutter auf, die sicher war, ihr Sohn würde einst der größte und stärkste von allen sein.
    „Sag, wie ist es eigentlich in der Zwischenzeit mit dir und deinem Aurelius?“
    Schalkhaft begannen ihre Augen zu blitzen, gab es doch kaum ein Thema, über das Frauen bisweilen besser tratschen konnten, als Männer und Mode. Wenigstens vordergründig. Die neuesten Intrigen konnten allerdings auch zu einem anderen Anlass erörtert werden.

    Zitat

    Original von Nero Claudius Tucca


    Über die Akustik machte Antonia sich bisweilen wenige bis gar keine Gedanken. Solange sie hören konnte, was im Theaterrund gesprochen oder gesungen wurde, war für sie die Welt in Ordnung, wenn sie nur keinen Menschen vor sich hatte, der ihr die Sicht nahm.
    „Hm, ja, vermutlich. Mir ist diesbezüglich jedenfalls noch nie ein Unterschied aufgefallen. Aber ich muss gestehen, darauf habe ich bislang eher weniger geachtet.“


    Erneut fühlte die Claudia eine Welle des Stolzes in sich emporsteigen. Einiges gehört hatte ihr Vetter von ihrem Gemahl, sogar in Ravenna. Gewiss, gewusst hatte sie immer, dass jener Flavier kein schlechter Fang gewesen war, wenngleich sie ihren Vetter Vitulus dafür gehasst hatte, dass ausgerechnet sie diesem vollkommenen Wesen angedreht worden war, dem nichts und niemand es recht zu machen schien. Die Versicherung Tuccas, er wolle versuchen sein Erstaunen zurückhalten erinnerte Antonia jedoch daran, dass auch jener perfekte Gracchus nicht ganz so perfekt war, wie sie es lange Zeit angenommen hatte. Wenigstens im Moment nicht.
    „Ich wäre dir sehr dankbar.“, erwiderte sie schließlich und meinte es ebenso. Das gluckenhafte Verhalten, das sich bei ihrem Sohn schon ins Unermessliche gesteigert hatte, schien sich nun auch ein wenig auf den Gatten auszuwirken.


    Auf die Gäste angesprochen blickte die Patrizierin sich ein weiteres Mal um, nur um festzustellen, dass nach wie vor kein anderer Claudier eingetroffen war.
    „Nun, ich denke, ich kenne etwa die Hälfte bislang. Die in Rom ansässigen Flavier sind natürlich hier und der ein oder andere Patrizier oder Senator aus anderen Familien. Aristides hat allerdings auch einige seiner Kameraden aus der Legion eingeladen, die kenne ich nicht. Vermutlich hast du sie schon gehört, sie tragen ihre Cingula, daran kann man sie wohl recht gut erkennen.“
    Ein dünnes Schmunzeln erschien in Antonias Gesicht, war ein Cingulum somit doch etwas, das die Soldaten sowohl für sie, als auch für den blinden Vetter erkennbar machte, waren die kleinen Metallplättchen, die gegeneinander klimperten doch relativ gut hörbar.
    „Aber ich fürchte, außer uns beiden und Epicharis sind keine Claudier hier, nein. Bisher zumindest nicht.“
    Ein wenig Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit, denn obgleich Antonia mittlerweile die Flavier als ihre Familie ansah, freute sie sich doch immer, einen Blutsverwandten zu sehen.
    "Ich frage mich, ob bereits alle Gäste hier sind. Falls ja dürfte es sicher nicht mehr lange dauern, bis die Zeremonie beginnt."
    Womit auch ihre Aufregung zurückkehrte. Es war eine Sache, selbst zu heiraten doch eine nicht minder nervenzehrende die Rolle der Pronuba inne zu haben, wie sie in den letzten Tagen festgestellt hatte.

    „Oh, ich habe so meine Quellen.“, erwiderte Antonia mit geheimnisvollem Lächeln. Angesichts der Tatsache, dass Celerina sie jedoch zu den CP mitgenommen hatte und so ihrerseits ein wohlgehütetes Geheimnis mit der Claudia geteilt hatte, schien diese gewillt ihre Bezugsquellen offen zu legen.
    Sie hatte inzwischen wieder Platz genommen. Insgeheim wunderte sie sich selbst über die anhaltende gute Laune ihres Sohnes, konnte er diese doch weder von ihr, noch von ihrem Gatten geerbt haben, die beide eher die würdevoll-kühlen Typen waren. Irgendetwas stellten die Sklaven mit ihm an, so musste es sein. Was Antonia nicht wusste war, dass der Bengel die halbe Nacht wach lag und schrie, was zur Folge hatte, dass tagsüber hierfür weniger Bedarf zu herrschen schien. Oder es gefiel ihm schlicht und ergreifend so gut, ständig angehimmelt zu werden, dass kein Grund zum Schreien bestand. Man würde es wohl nie erfahren.
    „Kennst du den Laden von Janpau L’Gautis? Er liegt ein wenig versteckt, einige Straßen vom Iseum bei den Horti Maecenatis entfernt. Eine wahre Koryphäe auf diesem Gebiet, sage ich dir.“
    Nach all den Tagen und Wochen in denen allein die Schwagerschaft und Geburt ihr Denken beherrscht hatten, schien sie regelrecht danach gedürstet zu haben, einmal wieder über Mode und Kosmetik zu sprechen. So jedenfalls konnte man ihren Gesichtsausdruck deuten.
    Die einzige männliche Person im Raum war sich des Themas vermutlich nicht bewusst und auch nicht, dass er höchstwahrscheinlich dieses Thema einmal hassen würde. Nichtsdestotrotz startete der Junge einen Ablenkungsversuch indem er begann eine seiner kleinen Händen an den Ärmel seiner Frau Mama fest zu krallen, die ihm dies mit einem gutmütigen Lächeln dankte.
    „Möchtest du ihn noch mal?“, fragte die Claudia schließlich und blickte zu ‚Tante Celi’. So schnell würde der kleine Gracchus wohl nicht nachlegen mit einer vollen Windel, doch wusste Antonia nicht recht, ob die Flavia nach diesem Dilemma nicht für alle Zeit von einem Kinderwunsch geheilt war.

    Die Erwähnung ihres Sohnes ließ Antonia, wie üblich, noch eine Nuance fröhlicher strahlen, so dies überhaupt möglich war. Es war das Strahlen eines Menschen, der endlich einen Sinn in seiner Existenz sah und der nicht gewillt war, sich dies jemals wieder nehmen zu lassen.
    „Ach, wie könntest du mich stören, Aquilius? Du weißt doch, meine Tür steht dir jederzeit offen.“, erwiderte sie mit einem Zwinkern. „Aber danke der Nachfrage, er ist putzmunter. Bisweilen so munter, dass ich mich frage, von wem er das nur haben kann.“
    Dass Gracchus bezweifelte der Vater zu sein wusste die Claudia freilich nicht und so kam ihr diese Zeile locker von den Lippen ohne den Anflug eines schlechten Gewissens – das sie ohnehin nicht zu haben brauchte. „Im Übrigen würde er sich sicher über einen Besuch von Onkel Aquilius freuen.“ Ein freches Grinsen, das so gar nicht zu Antonia passen wollte, kam ebenso unscheinbar wie ihre Aufmachung ins Licht des Tages.


    Dem Angebot eines Sitzplatzes nachkommend löste sie sich von der Stelle, an der sie soeben Wurzeln geschlagen hatte und ließ sich letztlich dankbar neben dem Flavius nieder.
    „Ein Eremit bist du neuerdings? Ah, das kannst du uns doch nicht antun. Wie leer und traurig wäre die Villa und ganz Rom, wenn du dich nun auf ewig hier verkriechst. Nein, nein, gibst du sofort wieder auf. Ich verspreche auch, ich werde dich nicht zu Einkäufen zwingen.“
    Wenngleich sie nicht verstehen konnte, wie man bei Märkten wie den römischen eine solch leidende Miene aufsetzen konnte, wie ihr Gesprächspartner dies regelmäßig tat. Männer.
    Hatte sie ursprünglich vorgehabt, zunächst ein wenig um den heißen Brei herumzureden und erst nach geraumer Zeit auf Bridhe zu sprechen zu kommen, machte ihr seine Nachfrage hier einen Strich durch die Rechnung.
    „Doch du hast Recht, ich bin nicht allein darum hier, um deine Gesellschaft zu genießen. Es geht um eine deiner Sklavinnen. Bridhe war ihr Name, wenn ich mich recht entsinne.“
    Sie entsann sich genau. Nie würde sie diesen Namen vergessen.

    Celerinas Reaktion erleichterte die Claudia nun doch. Sie selbst wäre vermutlich in einer ähnlichen Situation in blanke Panik ausgebrochen, hätte jeden digitus der Tunika absuchen lassen oder sich sofort umgezogen. Früher.
    Nichtsdestotrotz nahm Antonia sich vor, beizeiten nach einer ‚Entschuldigungstunika’ für die Flavia Ausschau zu halten. Wie sagte man doch oft so einfach und so richtig: Kinder sind teuer. Machte der kleine Gracchus beim Rest der weiblichen Verwandtschaft so weiter würde das in der Tat kostspieliger werden als seine gesamte Ausbildung, wusste Antonia doch um die Preise, die ein Designerkleidungsstück hatte. Schließlich hingen genug davon in ihrem eigenen Schrank.
    „Na, wenn du meinst.“, entgegnete sie schließlich und lächelte gelöst. Recht schnell war die Sklavin wohl mit ihrer Arbeit fertig, trabte sichtlich stolz auf ihre Arbeit wenige Minuten später mit dem Flavius auf dem Arm wieder in den Raum und reichte ihn Antonia, da Celerina mit Hände gewaschen bekommen beschäftigt war. Die Mutter nahm ihren Sohn fröhlich in die Arme und schien keineswegs nachtragend.
    Die Sklavin indes, die mit Waschen beschäftigt war, blickte auf, als Celerina das Wort an sie richtete. Ein kurzer, angstvoller Blick wanderte zu Antonia, aus deren persönlicher ‚Sammlung’ sie die Creme entführt hatte. Diesbezüglich konnte sich Antonias Schminkschrank eines recht großen Sortiments rühmen.
    „Aus Aegyptus.“, erklärte sie jedoch bereitwillig, als die Patrizierin sich nicht weiter daran zu stören schien, dass man einer ihrer Verwandten hiermit etwas Gutes tat.
    „Es ist eine spezielle Mischung, domina. Lavendel, Mandel, Olivenwachs und diversen Beeren.“

    Halb hatte Antonia gehofft, Aquilius sei nicht da, sodass sie sich doch noch würde umziehen können, würde nicht in diesem legeren Aufzug vor jenem Flavier erscheinen müssen. Ein ‚Herein’ drang an ihre Ohren und fast hätte sie sich doch unverrichteter Dinge umgedreht und wäre gegangen. Sich innerlich eine dumme Gans scheltend öffnete sie die Türe und trat mit dem obligatorischen Lächeln ein, das ihr dieser Tage Allgemein und beim Anblick Aquilius’ im Besonderen auf den Lippen lag.
    „Salve Aquilius.“, grüßte sie und hielt schon nach wenigen Schritten wieder inne. „Ich hoffe, ich störe nicht.. “
    Ihr Blick war auf die Lektüre gefallen, die der Flavier in Händen hielt. Natürlich, wenn sie einmal hierher kam war er beschäftigt. Warum nur wählte sie immer den falschen Zeitpunkt für Dinge wie diese? Doch nun war sie einmal hier, fortschicken konnte er sie letztlich immer noch, wenngleich sie nicht glaubte, dass er dies tun würde.
    „Ich hatte nämlich vor, dir einige Minuten deiner wertvollen Zeit zu stehlen.“
    Für eine Ungeheuerlichkeit, eine Frechheit, ein unsagbares.. schnell zwang die Claudia den aufwallenden Zorn wieder nieder, wollte sie doch nicht unumwunden zur Sprache bringen, was ihren Puls vor kurzem derart in die Höhe getrieben hatte. Von ihren eigenen Sklaven hörte sie nie Widerworte, kannten diese ihre Herrin doch lange und gut genug um zu wissen, wann man besser still war. Obgleich es nicht direkt ein Widerspruch gewesen war, dessen Bridhe sich schuldig gemacht hatte, es hatte Antonia nicht minder erzürnt.
    Wie beneidete sie Aquilius in diesem Moment um die Ruhe, die ihn stets zu umgeben schien. Antonias Lippen zuckten wieder nach oben, nachdem sie für den Bruchteil einer Sekunde schmal zusammengepresst worden waren.

    Es war eindeutig der falsche Ton, den Bridhe anschlug. Eine offene Kriegserklärung für Antonia, die bisweilen ohnehin eine Meisterin der Fehlinterpretation, der Dünnhäutigkeit und der Rachsüchtigkeit. Einen Moment glaubte sie gar sich verhört zu haben, ruckte mit ihrem Kopf herum und fixierte die Sklavin als habe sie Iuno persönlich verunglimpft.
    Ihren Zorn über eine solche Antwort in einem solchen Tonfall suchte sie zu verbergen. Es gelang mehr schlecht als recht, denn dass sich ihre Kiefer aufeinander pressten und ihre Augen wütend funkelten ließ sich nicht verhindern. All die Freundlichkeit, die sie – in ihren Augen – jener unwürdigen Person hatte zukommen lassen und wie wurde es ihr gedankt? Mit Trotz, mit Eigensinn, mit schnippischem Ton. Das würde und konnte sie nicht einfach so hinnehmen. Zwar würde sie kaum dazu übergehen, die Schwangere nun im Hortus anketten zu lassen und eigenhändig die Peitsche zu schwingen, doch nahm sich die Claudia vor, Aquilius um eine angemessene Bestrafung zu ersuchen.
    „Pallas.“, zischte sie durch die Zähne. Wieder zuckte der Britannier zusammen, wieder sprang er flink von seinem Platz auf. Kaum hatte er den Gesichtsausdruck seiner bisweilen recht launischen Herrin gesehen, nahm er Haltung an, als sei er ein Probatus und Antonia der grimmige Centurio. Weit gefehlt, konnte schließlich kein Centurio derartige Blicke fabrizieren. Ganz augenscheinlich fühlte der Sklave sich immer unwohler in seiner Haut, je länger seine Herrin ihn ansah.
    „Deine Kollegin möchte zurück ins Haus. Sorge dafür, dass sie dort auch ankommt.“
    Damit war dieser Teil für Antonia abgehakt. Als sei Bridhe nun ebenso unbeweglich und stumm wie der Stuhl, auf dem sie saß, wandte Antonia den Blick ab, innerlich weiter brodelnd.

    Es war eine Unverschämtheit. Eine unglaubliche Dreistigkeit. Dieser Tonfall. Oh, dieser Tonfall. Kaum hatten die Worte den Mund der Sklavin verlassen hatte Antonia sich geschworen, dass dies ein Nachspiel haben würde. Geradezu eine Zumutung. Sich von einer Sklavin, einer gewöhnlichen Sklavin, etwas Derartiges anhören zu müssen war zu viel für die claudischen Ohren gewesen.
    Natürlich, man musste Prioritäten setzen. Die Patrizierin war nicht sofort wutentbrannt aus dem Hortus gestürmt, um ihrem Zorn Luft zu machen. Nein, sie hatte gewartet. Darauf gewartet, dass ihr Sohn langsam aber sicher, wie immer zur Mittagszeit, ins Reich der Träume sank. Kaum war dies jedoch geschehen, hatte Antonia die sich bietende Gelegenheit genutzt, um sich zum Herrn jener Sklavin aufzumachen. Trotz ihres Ärgers war sie leicht beschwingt, freute sie sich doch jedes Mal aufs Neue, wenn sie Aquilius begegnete, jenem Flavier, der ihr stets das Leben in dieser Villa ein wenig erträglicher gemacht hatte.
    So ertappte die Claudia sich dabei, wie sie, vor seiner Türe angekommen, innehielt und an sich hinabsah. Die Tunika war hellorange und schlicht, die Sandalen bequem und mit Schmuck hatte sie am heutigen Tage auch gegeizt. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie sich umziehen sollte, verwarf den Gedanken jedoch schnell wieder. Es würde schon gehen.. irgendwie.
    Gänzlich überzeugt schien ihr Geist allerdings nicht, hob sich die Hand doch nur zögerlich, um an Aquilius’ Tür zu klopfen.

    Stinkerchen? Antonia runzelte ob dieser Bezeichnung die Stirn. Eigentlich wäre es ja Hinweis genug gewesen, doch wollte einfach nicht ihr Bewusstsein dringen, dass Klein-Manius einem nur allzu natürlichen Bedürfnis nachgekommen war. Stattdessen lächelte sie weiter ihr überglückliches Lächeln, nickte fröhlich und bemerkte in so euphorischer Stimmung auch nicht den Geruch, der langsam aber sicher Besitz vom Raum ergriff, sich den Weg durch diverse Wohlgerüche wie Blumen und Parfum erkämpfte, alles gnadenlos erstickte, bis nur noch er allein der Herrscher über die Luft war.
    Erst Celerinas Bemerkung ob des Tropfens ließ die Claudia aufhorchen. Es tropfte? Ach herrje. Flugs eilte die eifrige Mama herbei, um die Tante von dem stoffwechselbetreibenden Neffen zu befreien. Vornehmlich weil sie befürchtete ob der neuen Haltung des Kindes könne die Flavia ihn doch noch fallen lassen. Und nun, endlich, roch auch Antonia was Celerina die ganze Zeit hatte die Nase rümpfen lassen.
    „Commutatia!“, rief sie laut genug, dass die Sklavin es hören musste und störte sich nicht weiter an der etwas undichten Stelle ihres Sohnes. Commutatia schien nur darauf gewartet zu haben, musste gar an der Tür gelauscht haben, so schnell wie sie nun im Raum stand und Antonia anblickte. Wortlos reichte diese der Sklavin ihren Sohn und trug ihr auf, gleich noch eine Schüssel Wasser zu bringen, damit Celerina ihre Finger davon befreien konnte, was auch immer der Säugling hinterlassen hatte. Sie nickte eifrig und verschwand aus dem Raum, um zu tun, wofür sie nicht bezahlt wurde.
    „Es tut mir so leid.“, versicherte die Claudia. „Ich hoffe, deine schöne Tunika hat nichts abbekommen?“
    Prüfend musterte sie sogleich die einschlägigen Stellen, konnte jedoch auf den ersten Blick nichts entdecken. Doch hieß das bisweilen nichts, wie sie aus eigener Erfahrung wusste. An den sonderbarsten Stellen hatte sie schon Überreste der Körpersäfte ihres Kindes gefunden. Mittlerweile war sie dazu übergegangen, ihre teure Garderobe gar nicht mehr aus dem Schrank zu holen, es sei denn sie hatte vor das Haus zu verlassen. Zu viele Kleidungsstücke hatten den Kampf gegen Erbrochenes und dergleichen mehr verloren.
    In der Zwischenzeit schneite auch schon die nächste Sklavin herein, eine Waschschüssel sowie diverse Lotionen und ein Handtuch bei sich tragend.

    Im Grunde genommen war jener Moment absolut grässlich. Antonia fühlte sich, als habe sie eigenhändig alle zwölf Aufgaben des Herkules hinter sich gebracht und genauso sah sie vermutlich auch aus. Dessen war sie sich vollkommen bewusst, niemals hatte sie so furchtbar ausgesehen wie jetzt. Und doch war es absolut nebensächlich. Etwas, das sie früher die Hände vors Gesicht hätte schlagen lassen, etwas, das sie ihren Gatten sofort aus dem Raum hätte schicken lassen, war nun völlig unwichtig. Wichtig waren nur die Atembewegungen des Kindes, die sie auf ihrem Körper spürte, wichtig war die makellose kleine Gestalt, von der sie noch immer nicht glauben konnte, dass sie sie tatsächlich neun Monate mit sich herumgetragen hatte. Wie hatte sie, Antonia, die stets etwas an sich auszusetzen hatte, die sich ihrer unzähligen Fehler nur zu bewusst war, wie hatte sie etwas so perfektes zustande gebracht?
    Ihr Blick wanderte zu Gracchus, der ebenso wie sie selbst von dem Anblick seines Sohnes gefangen zu sein schien. Sein Mund, stellte sie lächelnd fest. Seine Augen. Seine Hände. Doch ebenso wie ihr Gatte bildete Antonia sich diese Ähnlichkeiten wohl mehr ein, war es im Moment doch so gut wie unmöglich bereits Parallelen zu seinen Eltern ziehen zu können.
    Seine Vollkommenheit. Das musste es sein. Alle Dinge, die sie verdorben hätte, waren durch ihren Gemahl ausgeglichen worden, garantierten dem kleinen Flavius eine glänzende Zukunft. Nach einem Seufzer der Zufriedenheit tastete die Claudia mit einer Hand nach der ihres Gemahls, die nicht damit beschäftigt war, den kleinen Manius zu streicheln. Einmal gefunden hielt Antonia sie fest, als wolle sie verhindern, dass der Vater nur allzu bald aufstehen und den Raum verlassen würde, um sich wieder Politik und Geschäft zu widmen. Um diese Uhrzeit und zu einer solchen Gelegenheit war eine Überlegung wie diese vermutlich mehr als unsinnig. Doch wer jedes Zeitgefühl verloren hatte, kümmerte sich auch nicht weiter um Logik.
    „Er ist perfekt.“, sagte sie leise, die Stimme vor Anstrengung bebend. „Ist er nicht absolut vollkommen?“
    Bestätigung heischend sah sie zwischen großem und kleinem Gracchus hin und her. Wie zerbrechlich und hilflos ihr Kind aussehen würde, war Antonia nicht bewusst gewesen, doch löste es jene Instinkte in ihr aus, der sich kaum eine Mutter erwehren konnte. Ihr Leben, ihr Glück, ihre gesamte Existenz würde sie ihm opfern, jederzeit nur sein Wohlergehen ihm Sinn haben.
    Derweil ging es ihr wohl wie ihrem Gemahl, fühlte sie doch eine absolute Zufriedenheit, war sie sich sicher, dass nichts jemals so fehlerlos gewesen war, wie dieser Moment.

    Des Rätsels Lösung schien Epicharis ein wenig zu beschämen, so lächelte Antonia aufmunternd, abwiegelnd den Kopf schüttelnd.
    „Ach, Unsinn, das konntest du ja nicht wissen. Ich muss mich einfach klarer ausdrücken. Ich lebe wohl schon zu lange in dieser Villa, da fängt man an in verschlungenen Pfaden zu sprechen.“
    Dass ihre Verwandte nicht gewillt war, einfach abzuwarten und sich überraschen zu lassen, war der Claudia indes beinahe klar gewesen, hätte sie doch sonst gar nicht erst mit jenem leidigen Thema begonnen. Ob sie jemals darüber würden lachen können? Antonia bezweifelte es, vermutlich würden sie eher dazu übergehen, so zu tun als habe dieses Gespräch nie statt gefunden. Ohja, sie würden sich von nun an in die Augen sehen, schüchtern lächeln und den Blick wieder abwenden. Sie würden sich aus dem Weg gehen, nur um nicht an diesen Tag erinnert zu werden. „Oh Iuno.. “, seufzte Antonia leise. Dabei hatte sie sich so auf den Tag gefreut, an dem Epicharis in diese Villa einziehen würde. Nun wusste sie, sie selbst würde die ganze Nacht wach liegen, sich fragen, ob denn alles gut ginge und ebenso an der Lippe kauen, wie ihr Gegenüber es in diesem Moment tat.
    Erst das Grinsen ihrer Cousine beruhigte sie wieder ein wenig. Vielleicht sah sie selbst ja auch alles ein wenig zu verkniffen. Epicharis würde gewiss mit derselben Leichtigkeit, mit der sie alles andere bewältigte auch die Hochzeitsnacht hinter sich bringen.
    Die nächste Frage bahnte sich an und so spitzte Antonia die Ohren. Wenn es den Göttern gefällt? Sonderbare Formulierung, wie sie fand. Unbewusst traf die Cousine einen wunden Punkt Antonias, wurde sie doch schmerzlich daran erinnert, dass das schwanger werden alles andere als einfach war.
    „Äh.. also.. müssen nicht, nein. Ich muss aber auch sagen, dass ich nicht weiß, ob es der Gesundheit des Kindes förderlich wäre, wenn.. nunja.. ihr es trotz Schwangerschaft weiter.. tut. Dieses Problem stellt sich bei mir nicht - Manius ist ja derzeit nicht wirklich in der Lage.. aber äh.. das gehört nicht hierher -, daher bin ich in diesem Fall genauso unwissend wie du, fürchte ich.“
    Die Vorstellung, man wäre ein ungeborener Säugling und die Eltern.. ach herrje. Nein, am Ende verletzte der Mann das Kind noch mit.. Antonia schluckte.
    „Wenn ich es mir so überlege ist es vermutlich tatsächlich besser, wenn man das während einer Schwangerschaft einstellt.“

    Antonias Blick flackerte für einen Moment, offenbarte ein vorfreudiges Glänzen, das dem kundigen Beobachter verriet, dass Tucca sich bei seiner Verwandten nun äußerst beliebt gemacht hatte.
    "Oh, das hoffe ich auch. Ich liebe das Theater. Sollte tatsächlich ein Stück aufgeführt werden, können wir uns ja einmal zu einem Theaterbesuch verabreden."
    Die Erwähnung von 'Kresh', eben jenem Stück, das ihr Gatte ausgerichtet hatte, rief einige Erinnerungen an weniger gute Zeiten wach, die jedoch von einer feindlichen Übermacht gutgelaunter Hormone schnell zurückgedrängt wurden. Die Claudia war sich indes natürlich nicht bewusst, dass sie bei jenem Theaterstück nur eine Reihe vor ihrem Vetter gesessen hatte. Ebenso wenig wusste sie, dass der Claudius eben jenem Flavius, der heute heiratete, mit seinem Schuhwerk ein wenig zu Leibe gerückt war.
    "Das wird ihn sicher freuen zu hören. Ich stelle euch nacher einmal vor. Ihr kennt euch ja, soweit ich weiß, noch nicht."
    Ob es ihrem Gatten überhaupt recht sein würde? Schließlich mied er nach wie vor die Öffentlichkeit, war sein Sprachvermögen doch noch immer andere als gänzlich - oder auch nur halb - wieder auf der Höhe. Auf jemanden, der lediglich die Sprache als Anhaltspunkt für einen ersten Eindruck seines Gegenübers hatte, würde er sicher befremdlich wirken. Daher hielt sie es für angebracht, ihren Vetter vorzuwarnen.
    "Allerdings sollte ich dir vielleicht vorab sagen, er.. nun, er erkrankte vor geraumer Zeit schwer. Seither hat er gewisse.. Probleme mit der Aussprache von Worten und Sätzen. Wundere dich also nicht, sollte er ein wenig, sagen wir, stottern."
    Dass er ebenso beim nachvollziehen langer und komplizierter Sätze anderer Schwierigkeiten hatte wusste die liebende Gattin nicht und tat dies daher auch nicht kund. Zumindest schien es über die Monate langsam besser zu werden. Ein schwacher Trost, sowohl für ihn, als auch für sie selbst.


    Das Thema kehrte zurück zur claudischen Familie im Allgemeinen und ihren Geschwistern im Besonderen. Wie gut hatte sie noch im Gedächtnis als sie all ihre Geschwister für tot gehalten hatte. Die Letzte ihres Zweiges der Familie wäre sie damit gewesen. Die Letzte, die bis dato auch noch kinderlos geblieben war. Jenes Problem hatte sich glücklicherweise zwischenzeitig gleich mehrfach gelöst. Zum einen durch das plötzliche Wiederauftauchen ihrer Geschwister, zum anderen durch die Beseitigung der Kinderlosigkeit.
    "Hm, wenn sie noch in Rom sind, wie du sagst und Verus plant in die Politik zu gehen, wäre es sträflich von ihnen nicht hier zu erscheinen. Wo lassen sich schließlich bessere Kontakte knüpfen, als auf solchen Feiern?"
    Es sollte indes nicht ihre Sorge sein. Tauchten sie auf, so war es gut, wenn nicht, hatten sie eine Chance verpasst. Sie waren wohl alt genug, um selbst zu wissen, was richtig für sie war.
    "Dennoch ein Jammer. Ich habe dieses Haus in so lebendiger Erinnerung, dass ich mir gar nicht recht vorstellen kann wie es dort ist, wenn nirgendwo auch nur ein wenig Leben herrscht."


    Glücklicherweise schob ihr Verwandter das allzu betrübliche Thema schnell beiseite und kam auf Aristides zu sprechen. Antonia erinnerte sich noch gut an ihre erste Begegnung. Ein Charmeur, ein Frauenheld wie er im Buche stand. In manchen Dingen völlig unpatrizisch, doch er war wohl einer der wenigen, dem sie dies mit einem gutmütigen Lächeln nachsah.
    "Ohja, er diente zwar lange Zeit in der Legio I., zwischenzeitlich war er allerdings immer wieder in der Villa seiner Familie in Rom. Er machte Epicharis vor den Partherfeldzügen einen Antrag, soweit ich weiß. Als Centurio war er dort dabei, stell dir vor. Ein flavischer Centurio. Lange Zeit glaubten wir, er sei tot - eine Falschmeldung in der Acta."
    Sie verdrehte die Augen. Glücklicherweise hatte sich schließlich alles aufgeklärt.
    "Ob er eine gute Partie ist.. nunja, er ist ein Flavier."
    Ausgesprochen, als wäre das bereits eine Garantie für eine glänzende Zukunft rief sie sich die unrühmlicheren Vertreter dieser Gens ins Gedächtnis. Ein kalter Schauer durchfuhr sie, war dies doch ein Thema, das in der Villa niemals angesprochen werden durfte, wollte man einen Krach vermeiden.
    "Er ist ein grundehrlicher, liebenswerter Mann, soweit ich das beurteilen kann. Ich bin sicher, er wird Epicharis jederzeit auf Händen tragen und ihr jeden Wunsch erfüllen. Um genau zu sein, ich bin mir sicher, dass die beiden das glücklichste Paar werden, das dieses Imperium jemals gesehen hat. Und zumindest in dieser Hinsicht ist er wohl eine gute Partie, ja."
    Und in ihrer Vorstellung von den beiden war dies tatsächlich so. Epicharis und Aristides, jenes perfekte Paar, das sich gesucht und gefunden zu haben schien. Die einzige Befürchtung, die die Claudia hegte, der einzige Wermutstropfen, betraf Aristides' Mutter. Ein fürchterlicher Drachen, der ihrer jungen Verwandten sicherlich das Leben nicht allzu leicht machen würde. Sei es direkt, oder indirekt durch Aristides selbst, der jene schreckliche Person über alle Maßen verehrte. Doch dies blieb, wie so vieles an diesem Tag, unter dem Deckmantel eines freudigen Ereignisses verborgen und würde noch früh genug ans Tageslicht kommen.

    „Ja, nicht wahr? Mein Großer, ist immer so brav und quengelt fast nie.“
    Fast nie umspannte ein Zeitfenster von maximal einer halben Stunde am Stück. Doch nicht nur Antonias Charakter, auch ihr Zeitgefühl schien sich ein wenig verändert zu haben. Es wunderte sie indes ein wenig, dass Celerina keine Kinder aus ihrer ersten Ehe zu haben schien. Doch andererseits, wenn sie und ihr Mann auch nur halb so viele Schwierigkeiten bei der ‚Produktion’ gehabt hatten, wie Gracchus und sie selbst – obwohl Antonia jene lange Kinderlosigkeit als besondere Strafe der Götter erachtet hatte, die kaum jemand anderen getroffen haben konnte – auch verständlich. Zumindest abgeneigt schien sie der Vorstellung nicht, ein Kind zu haben. Allerdings konnte die Claudia dieser Tage nicht wirklich differenzieren was nun ehrliche Freude und Begeisterung und was geheuchelte Höflichkeit war.
    Ganz falsch mit der Annahme, dass jene Gluckenrolle nicht ganz die Einfachste war, lag die Flavia hierbei nicht. Denn zwar suchte sich Übermutter Antonia jene Rolle selbst aus und bereute nie bewusst, wie viel Zeit sie mit ihrem Sohn verbrachte, doch war sie unterbewusst jedem dankbar, der sie für einige Minuten entlastete. So winkte sie nur lächelnd ab und schüttelte den Kopf als Celerina anbot, ihr ihren Sohn wieder zu übergeben.
    „Ach, behalte ihn ruhig noch ein Weilchen. Es scheint ihm zu gefallen bei dir. Und ich habe ihn ja ohnehin den ganzen Tag.“
    Hätte Antonia geahnt, welche Vorgänge im und außerhalb des Körpers ihres Nachwuchses Celerina zu diesem Vorschlag gebracht hatten, sie hätte natürlich umgehend für Abhilfe gesorgt. Im Nebenraum saß schließlich eine von drei Sklavinnen, die rund um die Uhr im Schichtdienst für den Stammhalter verantwortlich waren und nur auf eine solche ‚Gelegenheit’ warteten. Wirklich prima Patrizier zu sein.

    Es war für Antonia am heutigen Tage kein Hindernis, dass sie eine Claudia war.. in absolut flavischer Manier zog sie eine Augenbraue nach oben, als Bridhe plötzlich mit dem Hinweis herausbrach, dass ihr eine Freilassung versprochen worden war. Diese Vermutung konnte Antonia jedoch weder bestätigen, noch verneinen. Lediglich im inneren begannen erneut die Rädchen zu drehen. Wirklich viel zu gutmütig, schoss es ihr wieder durch den Kopf.
    „Nun.“, begann sie zögerlich. „Was ändert das? Es ist doch nach wie vor sein Kind.“
    Die plötzliche Aufregung, die von der Sklavin Besitz zu ergriffen haben schien konnte die Patrizierin nicht recht nachvollziehen. Die in Aussicht gestellte Ausbildung, die das Kind erhalten sollte, konnte es kaum sein, war es doch weit mehr als das Kind einer Sklavin erwarten durfte. Ohnehin war Antonia bis zu diesem Satz nicht davon ausgegangen, dass Aquilius mehr als unbedingt nötig für seinen sklavischen Spross tun würde. Ob er ihr die Freilassung nur in Aussicht gestellt hatte, um eine Szene zu vermeiden?
    Was sie wohl mit ihren Worten in Bridhe auslösen würde war der Claudia natürlich ebenso unbewusst wie ihr Verständnis bezüglich deren Sorge, man würde ihr das Kind wegnehmen. Ganz abgesehen davon, dass Aquilius sich würde beeilen müssen, wenn er sie tatsächlich vor der Geburt freilassen wollte. Doch sie sagte diesbezüglich nichts und behielt ihre Gedanken für sich.
    „Vielleicht solltest du dich ein wenig hinlegen.“, fuhr sie unvermittelt und wieder im Plauderton fort. „Du wirkst ein wenig blass.“
    Bridhes Hautfarbe sah im Grunde genommen sogar weniger blass aus als die Antonias, doch hatte dies eher andere Gründe, schließlich trug die Patrizierin geflissentlich Sorge dafür, dass ihre Haut hell blieb, indem sie sich möglichst von der Sonne fern hielt, während eine Sklavin zwangsläufig öfter den warmen Strahlen ausgesetzt war. Dass sich die Schwangere besorgt ihren Bauch und somit das Ungeborne hielt bemerkte Antonia bereits nicht mehr. Ihr Interesse war geschwunden, der Sohn war wieder wichtiger als alles andere.

    Antonia selbst hatte es bereits zu Hobby und Beruf gemacht, das Baby stets anzuschauen und immer wieder neue Dinge zu entdecken, die einem Sekunden vorher nicht aufgefallen waren. Im Moment schien es, als würde dies die Trendsportart des Sommers werden, denn auch Celerina hatte wohl Gefallen daran gefunden. Die Tante – Antonia würde wohl nach Serenus’ Vorbild dazu übergehen, einfach sämtliche Verwandte, die älter als fünfzehn waren zu Onkeln und Tanten zu machen – war bereits in Beschlag genommen und begann den Raum mit dem Kind im Arm zu erkunden, während die Claudia mit dem Trostpreis zurückblieb. Wenigstens konnte sie sich nun einmal wieder strecken. Also erhob sie sich, weiterhin den Stofflöwen in einer Hand haltend, was ein unschönes Knacken der Gelenke nach sich zog. Noch ein wenig undamenhaft die Arme ausgestreckt und der nächsten Sitzorgie stand nichts mehr im Wege.
    Hätte man Antonia heute danach gefragt, wem der Kleine nun ähnlicher sah, so hätte sie eindeutig „Gracchus“ geantwortet. Fragte man sie am Tag darauf, entschied sie, mit derselben Überzeugung in der Stimme wie am Tag zuvor „Mir“.
    „Steht dir gut.“, meinte sie schließlich schmunzelnd, als sie der Flavia eine Weile zugesehen hatte. Fast sehnsüchtig war ihr Blick, doch war es bisweilen keine allzu große Bürde, ihren Sohn ein paar Minuten aus der Hand zu geben. Spätestens wenn er gefüttert oder gewickelt wurde hatte sie wieder einige Zeit für sich. Zeit, die ihr unglaublich sinnlos und unerfüllt schien.
    Doch warum verzog Celerina auf einmal das Gesicht? Sie schien zu schnuppern. Die Verbindung Baby – Geruch wollte sich in Antonias Kopf im Moment nicht so recht einstellen und so beließ sie es bei einem gedanklichen Schulterzucken, erging sich stattdessen weiter im Zusehen und Lächeln, als sei sie geistig ein wenig zurückgeblieben. Sogar ein zufriedener Seufzer entwich ihr. Nie war sie so stolz wie in diesem Moment. Bis auf die geschätzten zweihundertfünfundreißigtausend Momente, die zwischen der Geburt und dieser Sekunde gelegen hatten.

    Sim-Off:

    :D


    „Nein, das nicht.. aber es ist trotzdem schade. Er sieht so niedlich aus, wenn er lächelt.“
    Die Enttäuschung diesbezüglich ließ sich einfach nicht verbergen. Geknirscht bedachte sie Mini-Manius erneut mit einem leicht vorwurfsvollen Blick. Was den Charmeur anging musste Antonia aber dennoch zustimmen. Amüsiert schmunzelte sie. „Charmeur. Ohja, in dieser Hinsicht ist der ganz der Vater.“
    Wenigstens bevor dieser begonnen hatte, über seine eigene Zunge zu stolpern. Es war ein Jammer. Dass die Claudia vor gar nicht allzu langer Zeit von der so gewählten – um nicht zu sagen geschwollenen - Sprache ihres Gatten beinahe in den Wahnsinn getrieben worden war schien sie bereits vergessen zu haben.
    „Wie hübsch!“, entfuhr es der Frau Mama, als Celerina den Löwen ausgepackt hatte. „Na, wie sagt man?“
    Albern grinste sie ihren Sohn an, der freilich kein genervtes ‚Danke’ hören ließ.
    „Vielen Dank, Celerina. Ich bin sicher, er freut sich sehr.“
    Sie war sich dessen tatsächlich sicher. Ebenso sicher wie über viele andere Dinge, die der kleine Gracchus bisher unmöglich sein konnte und es in ihren Augen dennoch war. Da war sie allerdings wohl nicht sehr viel anders als andere Mütter.
    Die Bitte der Flavia stürzte die Claudia indes in widersprüchliche Gefühle. Ein Teil bekam Panik, fürchtete um die Sicherheit des Kindes, malte sich allerlei Schreckensszenarien aus, während der andere Teil vor Stolz beinahe platzte und nur auf diese Frage gewartet hatte. Der stolze Teil überwog und so nickte sie lächelnd.
    „Ach, natürlich. Wie könnte ich der neuen Lieblingstante von Manius etwas abschlagen.“
    Ein für Antonia so unübliches Kichern folgte, bevor sie an den Rand ihres Sessels rutschte, um eine ‚Übergabe’ zu vereinfachen.
    „Aber vorsichtig.“, meldete sich der ängstliche Teil in ihr zu Wort.

    „Seit dem Frühjahr schon, sieh an.“
    Was die claudische Familie anging war Antonia nicht weiter informiert als das, was sie durch gelegentliche Treffen mit Epicharis erfahren hatte. Dort gewesen war sie wohl seit Jahren nicht mehr. Warum auch, die Flavier waren nun ihre ‚Haupt’familie, kaum etwas verband sie mit den verbliebenen Claudiern in Rom, sah man einmal von Nomen Gentile ab. Bis auf ihre beiden Brüder, von denen sie allerdings auch erst einen zu Gesicht bekommen hatte und dies lag wohl auch schon einige Zeit zurück, wie ihr in diesem Moment klar wurde.
    „Ja, an Unterhaltung mangelt es hier wahrlich nicht. Demnächst dürften ja auch wieder Ludi stattfinden. Die Ludi Romani, wenn ich den Kalender richtig im Kopf habe.“
    Ihr selbst waren Ludi meist eher ein Gräuel. Es war laut, es stank, Massen von Menschen um sie herum. Und dann sah man entweder ein paar Pferdewagen zu, die im Kreise fuhren oder verschwitzten Männern, die Zweikämpfe vollführten. Abweichungen gab es zwar immer, doch die gefielen der Claudia ebenso wenig, bevorzugte sie doch noch immer das Theater.
    Auf ihren Wohnort angesprochen erwiderte sie: „Ohja, direkt in Rom. In der Villa Flavia, wie die meisten der Familie, die in Italia weilen. Und wie Epicharis ab heute wohl auch.“
    Apropos Epicharis.. etwas rot-orange-weißes tauchte am Rande der Terasse auf und zog einen Moment lang meinen Blick auf sich.
    „Wenn man von der Hauptperson des Tages spricht.. Da kommt gerade die Braut. Wunderschön wie immer.“, stellte sie neidlos fest.
    Epicharis hielt sich jedoch zurück, wartete still und schien erst einmal die versammelte Meute in Ruhe überblicken zu wollen. Leise lächelte Antonia in sich hinein. Von hier aus besehen hatte sie recht gehabt. Ihre Großcousine schien zu strahlen und sich zu freuen, keine Spur von geballter Nervosität, wie es bei ihrer eigenen Hochzeit damals der Fall gewesen war. Da Gracchus gerade bei ihr ankam beschloss Antonia nicht auch gleich die Braut zu begrüßen und stattdessen vorerst ihre Unterhaltung mit Tucca fortzusetzen. Als Pronuba musste sie ohnehin den Rest des Tages Händchen halten, so sollten erst einmal die anderen Gäste Gelegenheit erhalten, die Aufregung zu schüren, damit Antonia vor der eigentlichen Eheschließung die erfahrene Matrone, die der jungen Verwandten beisteht, hervorholen konnte. Zumal sie, ehe sie die ganze Zeit würde herumstehen müssen, noch ein wenig den Komfort eines Sitzplatzes genießen wollte.
    „Meine Geschwister?“
    Sie runzelte die Stirn, sah sich einmal prüfend um, nur um festzustellen, dass nach wie vor lediglich drei Claudier anwesend waren, von denen zwei auf dieser Bank saßen. So schüttelte sie den Kopf, bis sie bemerkte, dass das ein recht sinnloses Unterfangen war.
    „Nein, noch nicht. Denkst du denn, sie werden überhaupt kommen? Bei mir haben sie sich in letzter Zeit zumindest recht rar gemacht. Ich dachte schon, sie hätten Rom bereits wieder verlassen.“
    Da ihr Vetter mit ihnen unter einem Dach lebte ging die Patrizierin davon aus, dass er diesbezüglich besser informiert wäre. Dass es unter diesem Dach auf einmal so still sein sollte entlockte ihr jedoch ein erneutes Stirnrunzeln.
    „Still sagst du? Hm.. es ist nun schon einige Jahre her, seit ich in der Villa Claudia lebte und sonderlich lange war es auch nicht. Wenige Monate, nicht einmal ein Jahr, glaube ich.“
    Nur zu gut erinnerte sie sich daran. Kaum war sie in der Stadt angekommen hatte ihr ihr Vetter Vitulus eröffnet, dass sie einen Flavier heiraten sollte. Und wenngleich sie versucht hatte es hinauszuzögern, war doch die Hochzeit viel zu schnell gekommen, hatte ihr ein Leben mit einem Mann beschert, der sie verachtete, wie sie glaubte. Mittlerweile entlockte ihr jedoch der Anblick ihres Gatten immer wieder verträumte Blicke, gepaart mit einem zufriedenen Lächeln, erinnerte er sie doch stets an das kleine Wesen, das derzeit vermutlich in der Villa Flavia friedlich schlief. Oder die Sklaven auf Trab hielt.
    „Damals war es allerdings nicht wirklich still, eher im Gegenteil. Die Villa platzte förmlich vor Leben. Sonderbar, dass es nun so anders ist. Aber ich denke, es wird daran liegen, dass viele der damaligen Bewohner nun nicht mehr hier sind.“
    Auf die ein oder andere Art aus Rom verschwunden.

    Sim-Off:

    Toll, jetzt grins ich mir hier einen ab und mein Chef sitzt in Sichtweite :D


    In der Tat, Antonia konnte die Glückwünsche, die sie in den letzten Tagen bekommen hatte, kaum mehr zählen, so viele waren es gewesen. Aber einmal mehr ging immer, wie sie feststellte und sich artig bedankte und, wie jedes Mal, beteuerte, wie stolz und glücklich sie und Gracchus waren. Das einzig Schlimme hieran war jedoch, dass sie sich tatsächlich jedes einzige Mal ehrlich darüber freute.
    Er würde wohl ein Frauenheld werden, der kleine Gracchus, so schnell wie er ‚Tante Celi’ um den Finger gewickelt hatte. Die Claudia indes schaute erschrocken von Celerina zu ihrem Kind. Das konnte er doch nicht machen.. nicht, wenn sie gerade seine Cousine - später auch bekannt als Tante - anschaute.
    „Was? Gelächelt? Oh.. oh nein und ich habe es nicht gesehen.“
    Zutiefst unglücklich über diesen Umstand blinzelte sie ihren Sohn an, hoffte, er möge seine Tat wiederholen. Sie hatte grob geschätzt drei Dutzend Mal gesehen, wie Klein-Gracchus gelächelt hatte, aber nun einen seiner Lippenverzieher verpasst zu haben.. unverzeihlich. Der Star des Tages schien an solcherlei Trubel um ihn herum allerdings wohl schon gewohnt, cool und abgeklärt – wie sollte man auch sonst reagieren, wenn man kein Wort verstand – blinzelte er die beiden Frauen an.
    „Ach, wie schade.“, seufzte eine der beiden schließlich noch einmal, als er nicht gewillt zu sein schien, sein Kunststück noch einmal vorzuführen, solange seine Mutter hinsah. Zur ‚Strafe’ stuppste Antonia mit ihrem Zeigefinger in sein kleines Bäuchlein. Nur widerwillig ließ er sich zu einer Reaktion herab, begann dann aber gurgelnde Laute von sich zu geben. Damit war die Stuppserin wohl erst einmal zufrieden, denn sie begann übers gesamte Gesicht zu strahlen. Derart befriedigt konnte sie endlich auch wieder ihren Blick auf Celerina richten. Da der Kleine nicht gewillt zu sein schien, etwas auf ihre Frage zu antworten, übernahm diesen Part Antonia selbst.
    „Oh, du hast etwas für ihn? Aber das wäre doch nicht nötig gewesen.“