Auch jetzt, da es kalt wurde in Germania und es wohl nicht mehr lange dauern würde, bis die ersten Schneeflocken die Erde Mogontiacums bedeckten, kannte Petronius Crispus kein Erbarmen mit seinem Sohn und dessen Sklaven: Die Ausbildung wurde mit aller Härte fortgeführt, jeder Fehler bei der Benennung der Centuriones einer Legion wurde ebenso hart bestraft wie der Verdacht, nicht voller Eifer zu kämpfen. Doch immerhin: Seitdem Lucius das Schwert zum Geburtstag bekommen hatte, legte der Junge einen gewissen Ehrgeiz an den Tag, weshalb er beim Fechten die raschesten Fortschritte machte - sogar raschere als Armin, dem dies weniger lag.
An diesem Tage nun war es wieder so weit. Nach einer kurzen Aufwärmübung (unzählige Liegestützen und Kniebeugen) befahl Crispus, gehüllt in seinen alten Soldatenmantel:
"Zu den Holzschwertern!"
"Sind wir jetzt schon gut genug, mit echten Waffen zu üben?"
fragte Lucius sofort, wie er es jeden Tag tat. Zu Beginn hatte der Alte sich darüber gefreut, doch inzwischen gingen ihm diese Nachfragen auf die Nerven: Unerfahrene Soldaten mussten stets mit dem Holzschwert üben, das nebenbei auch schwerer war als die Originalwaffe. Nur so wurden die Muskeln gestählt! So war er geneigt, seinem Sohn ein paar mehr Liegestützen aufzubürden, als er kurz innehielt.
"Ich will einen Kampf mit Holz sehen. Wenn ihr gut seid, gehen wir zum blanken Stahl!"
Das war natürlich nicht ganz richtig, denn auch in diesem Training würde man Schutzkappen auf die Spitzen der Schwerter legen, sodass man sich keine gefährlichen Verletzungen zuziehen konnte! Aber immerhin - das motivierte den Jungen!
Der Kampf begann und voller Begeisterung stellte Crispus fest, dass sowohl Lucius, als auch Armin ihre Schilde professionell hielten, ständig Deckung suchten und den Feind mit stets aufs neue überraschenden Finten und Stößen beschäftigten. Hin und her wogte der Kampf, doch im Gegensatz zu dem Sklaven zeigte sich recht bald ein Leuchten in den Augen seines Jungen! Genau das war der Blick, der die Mordlust eines Soldaten verriet - Crispus hatte ihn unzählige Male gesehen! Ein normaler Mensch hätte es möglicherweise bedenklich gefunden, dass ein so junger Mann in richtiggehende Kampfeswut verfiel - doch der alte Petronier war begeistert! Er wollte, dass Lucius ein Mann wurde - ein ganzer Mann, der alles mit größter Hingabe tat! Und genau das tat Lucius nun, bis Armin schließlich beim Zurückweichen das Gleichgewicht verlor, ausrutschte und zu Boden fiel. Sofort war Lucius bei ihm, schlug mit einem Hieb den Schild beiseite und holte aus. Crispus zweifelte nicht daran, dass er sofort zugestochen hätte, daher rief er sicherheitshalber
"Aus! Zurück auf die Ausgangspositionen!"
Er stieß mit seinem Centurionenstab zwischen die beiden Kämpfer, woraufhin Lucius seine Waffe sinken ließ und einen Schritt zurück ging, sodass Armin sich wieder aufrichten konnte. Er wirkte erschrocken, geradezu verängstigt. Auch er hatte offenbar das Funkeln in den Augen seines Kontrahenten gesehen!
"Ein sauberer Kampf! Lucius, hol' dein Schwert! Und Armin, in meiner Schlafkammer hängt mein alter Gladius - den kannst du nehmen! Da müssten auch die Lederkappen zum drüberstülpen sein! Ausführung!"
Er schlang den Mantel enger um seinen inzwischen etwas unförmigeren Leib. Lucius mochte in Versager auf der Schulbank sein, Flausen über Mathematik und Geometrie im Kopf haben und auch sonst nicht sehr erbaulich wirken, doch eines hatte er ganz offensichtlich von seinem Vater geerbt: Fechten!