Crispus beschloss, sich das Problem erst einmal anzuhören, ehe er vorschnell seine Arbeiter vergraulte. Trotzdem ärgerte es ihn gewaltig, dass man sich auf so erpresserische Weise seinem Willen widersetzte.
"Wie viel mehr Lohn?"
fragte Crispus, ohne abzusteigen. Vom Pferd herab hatte er doch noch eine etwas bessere Position.
"Wir wollen fünf Sesterzen mehr pro Woche!"
Fünf Sesterzen? Das war fast eine Verdopplung des Gehalts! Wie sollte er das denn bezahlen? Ob dieser unverschämten Forderung malte sich sein Zorn auch ins Gesicht.
"Und wie kommt ihr dazu? Zahlen die anderen Steinbruchbetreiber höhere Löhne?"
"Nein!"
mischte sich Willigis ein, woraufhin die Arbeiter in ein feindselig klingendes Gemurmel fielen. Offensichtlich hatten sie gehofft, ihren Arbeitgeber übers Ohr zu hauen. Das ärgerte Crispzs sogar noch mehr! Dennoch versuchte es der Rädelsführer.
"Das Leben wird teurer! Der Lohn ist nicht gerecht! Wir arbeiten stundenlang und bekommen kaum Lohn!"
"Mein Lohn ist gerecht, weil jeder ihn zahlt. Unverschämt sind eure Forderungen! Ich könnte euch alle 'rauswerfen und neue Arbeiter einstellen, dann würdet ihr garkeinen Lohn bekommen!"
schimpfte Crispus endlich los. Das war zwar nicht besonders geschickt, doch er hatte seinem Zorn Luft machen müssen. Ob er tatsächlich auf die Schnelle neue Arbeiter bekommen würde? Nunja, das würde wohl ziemlich schwierig sein und sein Steinbruch würde einige Wochen stillstehen oder schlecht produzieren, bis die Kräfte angelernt waren...doch andererseits war diese Drohung für die Streikenden wesentlich gefährlicher: Es gab nicht besonders viele Steinbrüche im Umland von Mogontiacum und mit hoher Wahrscheinlichkeit würden sie dann auf der Straße stehen - ein geringer Lohn war immer noch besser als gar kein Lohn!
Das schienen auch die Männer zu erkennen und der Rädelsführer wandte sich um, um mit seinen Männern zu beraten. Crispus verstand nur Gesprächsfetzen:
"Das macht er nich'!"
"Und wenn doch?"
"...viel zu teuer..."
Crispus beschloss nun, alles auf eine Karte zu setzen und rief in den Haufen hinein
"Glaubt ja nicht, ich würde mich nicht trauen, euch allesamt hinauszuwerfen! Auf Dauer kommt mir das viel billiger als euch mit diesem Wahnsinnslohn durchzufüttern!"
Das war wohl tatsächlich wahr und wenn Crispus Glück hatte, gaben sie endlich klein bei. Wenn er allerdings Pech hatte, würden sie ihre Forderungen nur heruntersetzen oder trotzdem darauf beharren. Doch scheinbar hatte er einigermaßen Glück, denn es kam mehr Leben in den Haufen und der Rädelsführer schien relativ allein zu stehen. Endlich wurde er in Crispus Richtung geschubst und drehte sich zu diesem um. Crispus funkelte ihn feindselig an. Wäre er ein Legionär gewesen und er der Centurio, hätte er ihm den Rücken blutig geschlagen - er hasste diese selbsternannten Volkstribunen! Offensichtlich war er tatsächlich aus dem Konzept, denn er begann etwas zu stammeln.
"Wir...wir wär'n auch...mit weniger zufrieden..."
Crispus hob die Hand und deutete auf die Straße, die vom Steinbruch wegführte. Er musste den Druck offensichtlich noch erhöhen!
"Du bist entlassen! Ich will dich hier nie wieder sehen!"
Der Rädelsführer erblasste, nahm dann jedoch seinen ganzen Mut zusammen und ergriff noch einmal das Wort.
"Aber das ist gerecht! Das kannst du nicht machen!"
"Halt die Klappe und verschwinde von meinem Land!"
fuhr Crispus dazwischen und zog sein Schwert, das er bei Ausflügen außerhalb der Stadt stets mit sich führte. Mit der Waffe deutete er auf den Mann, dem er gerade die Zukunft genommen hatte.
"Ich werde dich aufspießen, wenn du nicht gleich hier verschwindest!"
Crispus trieb sein Pferd ein wenig vor und die Arbeiter wichen zurück. Crispus holte aus (in der Hoffnung, das würde genügen, um den Rädelsführer endlich loszuwerden) und tatsächlich wich sein Ziel zurück und ergriff die Flucht. Auf dem Weg wandte er sich allerdings noch einmal um und rief
"Brüder, das is' der Anfang! Die Römer beuten uns nur aus!"
Crispus hatte gute Lust, ihm nachzureiten und sein freches Maul zu stopfen, doch nun rannte der Mann um sein Leben und Crispus musste sich mit seinen Arbeitern einigen. Diese waren von der Vorführung sichtlich beeindruckt und blickten verängstigt zu ihrem Arbeitgeber auf. Nur bei wenigen schwang neben der Angst auch Feindseligkeit mit.
"Ich akzeptiere keine unverschämten Forderungen! Merkt euch das! Und jetzt an die Arbeit! Wer nicht arbeitet, wird auch nicht bezahlt!"
Es dauerte eine Sekunde, ehe sich die Arbeiter aus ihrem Schockzustand lösten, dann begannen sie, verhalten mit einander schwatzend (wohl über das gerade Gesehene) zurück in den Steinbruch zu gehen. Nur Willigis blieb zurück und endlich sprang Crispus vom Pferd. Noch immer war Crispus ziemlich geladen.
"Was für eine Frechheit! Mich zum Narren halten!"
Willigis hatte die Stirn in tiefe Falten gelegt und schien von dem ganzen nicht ganz so angetan zu sein.
"Chef, ich weiß nicht, ob das so gut war. Vielleicht laufen uns die Arbeiter noch weg! Aber ist gut, dass du den Vorarbeiter davongejagt hast - der war immer rebellisch."
"Die werden an ihre Kinder denken und sich dann zweimal überlegen, ob sie die sichere Stelle loswerden wollen. Und wegen dem Vorarbeiter - beförder' jemanden, der zuverlässig is', den die Männer aber auch akzeptier'n!"
In Beförderungsfragen kannte Crispus sich aus: Er hatte schon selbst Fehler dabei gemacht und nur bequeme Leute zum Tesserarius oder Gruppenanführer gemacht - diese hatten sich jedoch niemals durchgesetzt, wenn sie nicht einen gewissen Respekt bei den Untergebenen genossen!
"Gibt's sonst noch was?"
fragte Crispus dann und bemerkte, dass sein Zorn ziemlich verraucht war.
"Die Geschäfte laufen 'bissl besser. Also alles gut soweit."
erklärte Willigis und Crispus nickte anerkennend. Er hatte wirklich einen guten Steinmetz, der auch den Steinbruch selbst gut leitete. Hoffentlich kehrte nun wieder Ruhe ein!
"Dann kann ich ja wieder geh'n! Hab' viel zu tun - Politik, du weißt schon!"
Natürlich war es allgemein bekannt, dass Crispus im Ordo Decurionum war und selbstverständlich hatte er Willigis auch erzählt, dass er gedachte, zum Magistratus zu kandidieren. Daher hatte der Steinmetz sicher auch Verständnis, dass sein Arbeitgeber weniger Zeit für die Geschäfte hatte (was ihm vielleicht auch gut gefiel, denn so hatte er freie Hand!).
"Geh ruhig! Wenn wieder 'was is', sag' ich Bescheid!"
sagte er schließlich und Crispus schwang sich zurück auf sein Pferd. Dann lenkte er das Tier zur Straße, hob den Arm zum Gruße und trabte in die Stadt zurück.