Zitat
Original von Lucius Petronius Crispus
...
Crispus war gerade aus dem Tablinium gekommen, wo er einen Brief an einen alten Kameraden geschrieben hatte, als er aus der Küche etwas hörte, das wie ein Verhör klang. Er trat näher und lauschte vorsichtig an der Tür.
"Wo sind die Pasteten, Lucius?"
Keine Antwort erfolgte. Aber offensichtlich hatte Lucius irgendetwas angestellt. Dieser Junge hatte wirklich nur Unsinn im Kopf! Crispus riss die Tür auf und stellte fest, dass Lucius in der Tür stand, Gunda davor. Sie hatte die Arme in die Hüften gestemmt, während Lucius wie ein Häuflein Elend wirkte - oder genaugenommen schuldbewusst. Das war wohl eine Aufgabe für den Hausherrn...
"Was ist hier los?"
donnerte der alte Petronier und blickte sich um, wie er es schon oft in Legionärsunterkünften getan hatte, aus denen nach der Nachtruhe noch Öllampen-Schein gekommen war.
Gunda blickte sich um. Sie wirkte, als wäre sie froh, dass Crispus sich einmischte.
"Dein Sohn hat zwei Pasteten geklaut, Domine!"
Zwei Pasteten? Das war für ihn zwar kein allzu großer Verlust, dennoch wollte er es in keinem Fall dulden, dass sein Sohn zum Dieb wurde. Heute waren es Pasteten, morgen Geld, übermorgen würde er noch aufgeknüpft werden! Ein Römer stahl nicht!
"Lucius, wo sind die Pasteten?"
fragte Crispus ruhig, aber kalt und trat auf seinen Sohn zu, der noch zu schrumpfen schien. Es war offensichtlich, dass er schuldig war, also konnte er sich diese Frage schon einmal sparen. Lucius sah aus, als würde er jederzeit in Tränen ausbrechen können, dann stammelte er
"A...Armin hat sie."
Crispus blickte sich um. Er konnte keinen Armin sehen. Log sein Sohn ihn hier etwa an, um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen? Das war etwas, was der alte Centurio noch mehr hasste als das Begehen eines Vergehens!
Schneller, als wohl irgendwer erwartet hätte, zuckte Crispus' Hand vor und schlug seinem Sohn auf die Wange, sodass ihm ein entsetzter Schrei entfuhr. Dann jedoch begann er zu weinen. Auch Gunda wirkte etwas überrascht.
"Ein Römer lügt nicht!"
erklärte Crispus, als wäre das die Begründung für den Schlag gewesen. Dann wiederholte er seine Frage.
"Wo sind die Pasteten? Hast du sie aufgegessen?"
Unter Tränen und sich die brennende Wange haltend, schluchzte Lucius
"A-armin hat - sie, Papa! Schau' - doch - a-am Fenster!"
Crispus ließ seinen Sohn stehen. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sein Sohn ihn trotz seiner Ermahnungen anlog. Langsam ging er durch den Lagerraum und stellte dabei erbost fest, dass Lucius bei seiner Diebesaktion auch noch alles unordentlich gemacht hatte. Dann kam er zum Fenster und sah hinaus. Niemand war zu sehen. Er fuhr herum.
"Da is' niemand, Lucius!"
Der kleine Lucius blickte nun unter seinen Tränen auch noch verzweifelt aus. Offensichtlich war der Kleine verschlagener, als Crispus vermutet hatte. Er ging erneut auf seinen Sohn zu und packte ihn.
"Sag mir, was du mit den verdammten Pasteten angestellt hast!"
herrschte er ihn an. Er war wirklich sauer auf seinen Jungen. Stehlen - Lügen - für dumm verkaufen - das war zu viel! Doch Lucius weinte nur noch mehr und schien gar nichts mehr sagen zu wollen. Dann kam also auch noch mangelnde Tapferkeit dazu.
Er setzte sich auf die Kiste, die noch immer mitten im Raum stand, packte Lucius und legte ihn übers Knie. Er schlug seinem Sohn auf dem Hintern, während er laut erklärte
"Ein Römer stiehlt nicht, ein Römer lügt nicht, ein Römer ehrt seinen Vater!"
Mit jedem Schlag wurde das Weinen des Jungen lauter, doch Crispus war sich sicher, dass nur handfeste Erinnerungshilfen ein Kind so formen konnten, wie es notwendig war, um aus ihm einen aufrechten Römer zu machen. Als er endlich befand, dass Lucius genug hatte, stand er auf und verließ die Kammer. Während er die Tür zuzog, meinte er nur
"Ein Römer hält Ordnung - räum das wieder auf!"
Dann zog er die Tür zu und meinte zu Gunda
"Lass' ihn erst 'raus, wenn alles wieder wie zuvor ist!"
Dann ging er in den Garten. Seine Stimmung für diesen Tag war dahin - sein Sohn war missraten! Aber das würde er ihm schon noch austreiben...