Beiträge von Lucius Albius Decius

    Das Signal hallte durch das Lager und sofort setzte ein reges Treiben ein als die Männer begannen, sich zu sammeln. Lucius, der seine Decurio nirgends entdecken konnte, kümmerte sich darum, dass die Turma V ordnungsgemäß zum Apell erschien und stellte sich mit den Soldaten auf.

    Lucius war zwar nicht erstarrt, aber der Bär hatte ihn aus seinen Gedanken gerissen. ,,Ja...'' meinte er. ,,Danke den Göttern, dass er keine Lust verspürte, unser Fleisch zu kosten.'' Er drehte sich zu ihr, sah aber immer wieder zum Waldrand. ,,Vielleicht war das ein Zeichen. Wir sollten zurück reiten bevor der Bär es sich anders überlegt. Und ich möchte dich heil nach Hause bringen.'' Er lächelte wieder.

    Lucius saß mit seinen Kameraden am herunter gebrannten Feuer inmitten der Zelte der Ala II Numidia. Der plötzliche Tumult in einem anderen Teil des Lagers erregte die Aufmerksamkeit mancher Anwesender, aber sie drehten nur einmal kurz den Kopf in die Richtung, aus der das Geschrei laut wurde. ,,Irgend jemand scheint sich da aufzuregen...'' bemerkte Marcus trocken und stocherte in der orangenen Glut der Feuerstelle herum. Die andren brummelten ihre Zustimmung oder zuckten nur mit den Schultern. Ein leichter Wind kam auf und trug den Gestank der Latrinengräben zu den Zelten der Männer, die angewiedert die Gesichter verzogen. ,,Verdammt! Ich hab diese Scheisse satt!'' regte sich ein Mann namens Spurius auf. ,,Jeden Tag das Gleiche! Jedes Mal! Immer!'' Einer der andren legte ihm beschwichtigend die Hand auf den Arm und schüttelte stumm den Kopf. ,;Was bringt es, sich aufzuregen ?'' fragte Marcus. ,,Dadurch ändert sich nichts. Obwohl...so langsam kocht auch mir das Blut in den Adern. Ich will endlich kämpfen...'' Wieder nickten einige der Männer zustimmend. ,,Das wollen wir alle.'' bemerkte jemand. Lucius musterte Macus einen Moment lang und zog sich den Umhang enger um die Schultern. ,,Der Kampf ist wohl die einzige Abwechslung, die man in einem Marschlager bekommen kann. Lasst uns uns mit ein paar Geschichten aus der Heimat ablenken. Hat jemand eine zu erzählen ?'' Die Männer schauten sich an. ,,Ich kenne eine!'' schoss es aus einem von ihnen hervor. Und so saßen sie dann noch im Halbdunkel zwischen den Zelten und lauschten der Geschichte des Titus über den Tag an dem er in der Arena gekämpft hatte bis sie alle ihre Lager aufsuchten.

    ,,Ich hatte mich ehrlich gesagt sehr darauf gefreut. In den letzten Wochen habe ich oft an dich gedacht, auch wenn der Dienst im Kastell mich sehr vereinnahmt hat. Und jetzt sitzen wir hier und ich bin...hm...nervös und unsicher.'' gestand er. ,,Ich weiss nicht genau wie ich mich verhalten soll. Ich will dich nämlich nicht mehr kränken was dein Volk betrifft und sein Verständnis von den Römern... Wenn das nicht wäre dann hätte ich bestimmt schon den Mut gehabt dich zu küssen...'' Er sah hinüber zu den Bäumen.

    Lucius lächelte, sah ihr in die Augen und gab ihr dann rasch einen Kuss auf die Wange. ,,Du bist sehr schön Verina.'' sagte er und nahm ihre Hand in seine. ,,Ich bin froh, dass ich dich an jenem Tag vor ein paar Wochen gefunden habe bevor dir Schlimmeres zustoßen konnte. Es mag töricht klingen...aber vielleicht wollten die Götter es so.''

    Lucius erwiderte das Streicheln, ließ die Augen aber zu und versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Er hatte soetwas noch nicht annähernd so intensiv erlebt. Er nahm Verinas Geruch wahr als sie so dicht neben ihm lag und spürte, wie er einerseits immer nervöser wurde, sich andererseits aber viel besser fühlte. Langsam öffnete er die Augen und bemerkte, dass sie ihn ansah. Wieder machte etwas in ihm einen Satz, dann drehte er sich zu ihr und sah ihr stumm in die Augen.

    Lucius schwieg einen Moment und sah sie eindringlich an. ,,Wer tut das nicht?''
    Und plötzlich nahm er ihre Hand. Die Berührung ließ sie beide einen Moment lang erstarren. Gleichzeitig schlug Lucius' Herz auf einmal sehr schnell. Er wusste im Grunde genau wieso er das getan hatte, wollte es aber momentan nicht ganz ergründen sondern einfach dieses Gefühl genießen. Also lächelte er etwas unbeholfen und legte sich - ihre Hand nach wie vor in seiner - wieder zurück ins Gras.

    Lucius rollte sich auf dei Seite und stützte sich ebenfalls auf den Ellbogen. Er sah sie an. ,,Ich danke dir, dass du dieses Geheimnis mit mir geteilt hast. Solche Dinge haben im Leben eines Menschen einen ganz besonderen Wert.'' Er lächelte. ,,Ich hatte als ich ein Junge war einen Baum im Wald zu dem ich lief und auf den ich stieg. Dort saß ich dann, vor Blicken verborgen zwischen den Blättern, habe die Tiere beobachtet oder einfach den Wolken bei ihrer Jagd über den Himmel zugesehn. Ich habe mich nie getraut bis ganz nach oben zu klettern, denn es war oft windig und die Krone schwankte. Außerdem saßen dort oben immer ein paar Raben. Ich glaube, sie hatten dort ihre Nester.''

    Es dämmerte schon etwas als Graben und Wall endlich einigermaßen fertig waren. Lucius und seine Kameraden überließen es Andren, die Erde noch richtig fest zu treten und zu befestigen und ließen sich für eine Weile ins Gras fallen. ,,Und?!'' wollte Marcus wissen, der alle Viere von sich streckte und dessen Gesicht ganz mit Staub bedeckt war. Die meisten der Männer sahen nicht mehr sehr sauber aus. ,,Wir sind die ersten!'' antwortete Lucius. Sicher hätten sie gejubelt, aber zum Einen war das Ausheben eines Grabens und das gleichzeitige Aufhäufen eines Walls Alltagsarbeit für marschierende Truppen und zum Andren waren sie viel zu müde und ausser Atem um noch mehr zu reden als unbedingt nötig war...

    ,,Wieso zeigst du mir deinen geheimen Ort?'' fragte er interessiert während er einen Falken beobachtete, der über den Baumwipfeln kreiste und dann wieder zwischen den Ästen der Bäume am Rand der Lichtung verschwand. Die Pferde grasten irgendwo ein paar Schritt weiter. Alles war friedlich und Lucius wäre bestimmt schläfrig geworden, wäre da nicht diese Anspannung gewesen, die er so noch nie empfunden hatte und ihn beschäftigte.

    Lucius und seine Kameraden waren natürlich zum Ausheben des Grabens eingeteilt. Ihre lange Reihe aus mit Schaufeln arbeitenden Männern war zur Ostseite des Lagers kommandiert und arbeitete den ganzen Nachmittag nach der Rückkehr von einem kurzen Erkundungsritt zu Aufklärungszwecken in der Sonne. Wieder einmal war es Lucius der die Männer ein bisschen koordinierte und der den Rhythmus für etwa zwei Dutzend Soldaten vorgab, in dem sie den Aushub auf den dahinterliegenden, schnell wachsenden Wall schaufelten. Es dauerte wesentlich weniger lange als an diversen anderen Abschnitten des Walls, da waren sie fertig und konnten ihren Kameraden an andren Stellen helfen. Bis zum späten Nachmittag entstand eine Art Wettbewerb zwischen den Männern der Ala und den Legionären, bei dem jede Partei versuchte, die Arbeit so schnell und gut wie möglich zu erledigen. Einige niederrangige Offiziere standen in Grüppchen zusammen und unterhielten sich amüsiert über ihre Männer, die ohne dass sie groß hätten einschreiten müssen, ihr Werk verrichteten. Lucius hob immer wieder den Blick zu der Seite des Lagers, auf der die Legionäre arbeiteten und feuerte seine Kameraden links und rechts von ihm wiederholt zu einem höheren Tempo an. Die Männer keuchten und schwitzten, aber viele hatten ein grimmiges Grinsen aufgesetzt. Eine Weile schien es, als konnten es die Hilfstruppen nicht mit der routinierten Art der Legionäre aufnehmen, dann aber, ganz allmählich, überholten sie sie.

    ,,Nein.'' entgegnete er, ließ sich vom Sattel ins Gras rutschen und legte sich mitten auf die Sonnenbeschienene Lichtung auf den Rücken. Er schloss, die Augen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und kaute auf einem Grashalm herum. ,,Das habe ich als Kind auch oft getan.'' bemerkte er, fast etwas träumerisch. ,,Kommst du oft hierher?'' wollte er wissen. ,,Ist das dein geheimer Ort?''

    ,,In der Natur kann man wirklich allein sein mit den eigenen Gedanken, aber ohne sich allein zu fühlen.'' bemerkte Lucius als sie so den Weg entlang ritten. Ein leichter Wind bewegte die Blätter in den Baumkronen hoch über ihnen, Insekten schwirrten umher und die Luft war erfüllt vom Gesang der Vögel und den Geräuschen kleiner Tiere am Boden, im Unterholz und über ihnen in den Bäumen. ,,Sag, wohin reiten wir?'' wollte er von ihr wissen.

    Lucius führte sein verängstigtes Tier vom Lastkahn und stellte sich mit ihm bei seinen Kameraden auf, die sich in mehreren Linien ein paar Schritte vom Wasser entfernt sammelten. Einige aus der Turma sahen wirklich nicht gut aus und der Eine oder Andere hielt die Zügel zweier Tiere weil sich ein paar Kameraden in den Büschen übergaben. Lucius selbst war froh, dass er von der Seekrankheit verschont geblieben war. Er hatte die Fahrt jedoch auch nicht genießen können weil der Gescheckte zeitweise doch recht panisch auf das Schaukeln des Kahns reagiert hatte.
    Die Männer überprüften ihre Ausrüstung und vergewisserten sich, ob alles saß und nichts fehlte. Die Mehrheit war heilfroh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Als der Duplicarius fünf Mann als Spähtrupp abkommandierte war Lucius unter ihnen.

    ,,Ich war als Kind die meiste Zeit im Wald, ausser natürlich im Winter. Und auch da musste meine Mutter mich immer zurückhalten nicht hinaus in den Schnee zu stürzen. Ich hatte ein paar Freunde von benachbarten Gehöften, mit denen ich mich traf. Wir haben dann allerlei Spiele gespielt oder irgendeinen Unsinn angestellt.'' Er lächelte beim Gedanken an seine Kindheit. ,,Am liebsten haben wir uns an Römer angeschlichen. Natürlich nicht sehr nah, dazu hatten wir viel zu viel Angst.'' Er lachte. ,,Später habe ich meinem Vater noch viel geholfen, beim Heuen oder bei den Gattern auf der Weide. Um deine Frage zu beantworten : Ja, ich bin sehr gern draußen. Viel lieber als drinnen. Leider sind die Tage in der Kaserne nicht so geschnitten, dass ich noch viel Zeit habe. Aber wannimmer die Ala ausreitet geht es durch die Natur...''

    Er folgte ihr, zunächst aus dem Zimmer und dann hinüber in die Küche zu Marga, wo Verina ihr sagte, dass sie ausreiten würden. Die alte Frau lächelte nur und in ihrem Blick lag als er Lucius streifte der selbe vielsagende Ausdruck wie vorher, als er eingetreten war. Danach zog Verina ihn zu den Stallungen der Casa um ihm die Pferde zu zeigen und ihres zu satteln. Lucius besah sich die Tiere eins nach dem andren, streichelte hier kurz einen Hals, hatte da ein paar Worte für eines der Tiere und zeigte offen seine Zuneigung zu Pferden während ein Bediensteter sich daran machte, Verinas zu satteln.

    ,,Also, reiten wir aus. Aber nicht, dass das mit deiner Familie Ärger gibt. Bescheid sagen müsstest du wohl schon, oder kannst du ein- und ausgehen wie du willst? Ich bin sicher dein Bruder hat ein Auge auf dich, gerade jetzt...wo eure Familie bedroht wird.'' Lucius leerte seinen Becher. ,,Wohin möchtest du reiten?''

    Lucius schaute interessiert. ,,Einen Brief? Was wäre denn darin gestanden?'' Er sah sie an. ,,Wir können ausreiten, ja. Wir können aber auch etwas Andres tun wenn du willst.'' Er nippte an seinem Met.

    ,,Gern.'' sagte er etwas verlegen. ,,Narben? Ich glaube die werden nicht für immer bleiben, so schlimm waren deine Verletzungen ja auch wieder nicht.'' Er setzte sich. ,,Entschuldige dass ich so unangekündigt komme, aber gestern, heute und morgen habe ich keinen Dienst, also bin ich gekommen um...naja, ich hatte ja gesagt wir sehen uns wieder...'' Er lächelte sie an.

    Er betrat ihr Zimmer und drehte sich sogleich wieder zu ihr um. ,,Mir geht es gut. Und wie ich sehe geht es dir auch viel besser. Hier...ich habe dir etwas mitgebracht...'' Er zog eine kleine Phiole aus seiner Wollhose und hielt sie ihr hin. ,,Stutenmilch. Für deine Haut...'' Hoffentlich war das das Richtige. Lucius war eine Weile über den Markt geschlendert auf der Suche nach dem richtigen Geschenk für ihr Wiedersehen und ihm war dabei aufgefallen, dass ihre Familie selbst auch Stutenmilch verkaufte. Aber trotzdem hielt er sie für die beste Idee, also hatte er ihr davon mitgebracht. Stutenmilch pflegte ja bekanntlich die Haut, und so wie Verinas Haut bei ihrem ersten Zusammentreffen ausgesehen hatte konnte sie die Milch sicher gut gebrauchen...