Offenbar hatte Livianus nur darauf gewartet, dass sich ein Patrizier zu Wort meldete. Doch dies erzeugte bei ihm auch wieder ein gewisses Unverständnis: War diese Debatte angestoßen worden, um einen öffentlichen Bruch zwischen Livianus und den patrizischen Senatoren zu zelebrieren? Wollte Livianus sich etwa popularen Politikern wie Germanicus Avarus anbiedern?
Wenn er hoffte, so doch noch das Consulat zu erringen, würde es wohl schwierig werden, denn wohl ein Drittel aller Senatoren waren Patrizier - wenn man eine so große Gruppe gegen sich aufbrachte, würde er kaum mehr eine Chance im politischen Leben haben! Oder war genau das sein Ziel? Wollte er hier mit fliegenden Fahnen untergehen?
Auch wenn Vinicius Lucianus den Antrag unterstützte, meldete Durus sich noch einmal zu Wort:
"Wenn es keine Rolle spielen würde, wessen Nachkomme man ist, wessen Blut in den Adern eines Mannes fließt, so bräuchten wir keine Richtlinien, die es nur Nachkommen von Senatoren gestattet, ihrerseits in den Senat zu gelangen, sondern könnten jeden beliebigen Emporkömmling, vielleicht auch einen freigelassenen Sklaven zum Consul werden lassen! Dann wäre die Thronfolgeregelung des Kaisers absurd, denn was würde ihn dann gegenüber jedem anderen jungen Mann auszeichnen, wenn nicht die Abkunft von einem Kaiser?
Und wie kannst du es überhaupt wagen, die Taten der Ahnen, die diesen Staat errichtet haben, kleinzureden und mit den unsrigen zu vergleichen? War es nicht ein Patrizier, der die Könige vertrieb? Errichteten nicht die Patrizier die Staatsordnung, die wir bis heute haben? Und verteidigten nicht Cornelii, Aemilii, und wie sie alle heißen, unser Reich und weiteten es aus zu dieser Größe, dank der wir hier in Ruhe sitzen können? Wer von uns kann sich mit ihnen messen? Wer von uns ist je einem so gefährlichen Feind Roms gegenübergestanden wie Scipio Africanus? Wer so große Landstriche erobert wie Iulius Augustus?
Ihre Taten strahlen auf uns ab, auf alle Diener des Staates, doch besonders auf ihre Nachkommen, die ihr Andenken pflegen und in deren Venen ihr Blut fließt. Meine Taten und die meiner Ahnen sind beileibe nicht so groß wie die jener strahlendsten Vorbilder, doch scheint der göttliche Iulianus sie offenbar so anerkannt zu haben, dass er in seiner Gnade meine Familie in den Stand der Patrizier erhob, ebenso wie er es bei vielen anderen Familien tat.
Und so fühle auch ich mich besonders verpflichtet, dem Staat zu dienen und das Andenken meiner verblichenen Standesgenossen zu ehren, die diesen Staat gebaut haben. Deshalb wirst du kaum einen Patrizier finden, der nicht mindestens einem Priestercollegium angehört, doch viele, die sich dem Cursus Honorum widmen. Denn nicht nur der Ruhm, sondern auch die Bürde der Ahnen strahlt auf ihre Nachkommen ab.
Ich möchte mich und meinen Stand nicht über euch stellen, denn es gibt zahlreiche ehrbare plebejische Familien, deren Ahnen sich mit den meinen messen können, doch verbitte ich mir die Unterstellung, die Patrizier würden völlig willkürlich gewisse Privilegien besitzen oder würden sich auf den Taten ihrer Ahnen ausruhen.
Ob alle patrizischen Familien würdiger sind als alle plebejischen, kann ich nicht bemessen. Doch ich bin sicher, dass es auch unter der Gesamtzahl aller Senatoren solche gibt, die würdig wären, und solche, die unwürdig sind, denn als Abkömmling eines Senators ist es wohl kaum eine große Leistung, die Quaestur hinter sich zu bringen. Es wäre daher meines Erachtens nach nicht viel gerechter oder legitimer, allen Senatoren die Steuerbefreiung zu gewähren, als dies nur für die Patrizier zu tun.
Letzten Endes halte ich diese Debatte jedoch ohnehin für obsolet, denn der Kaiser hat dieses Recht geschaffen und so würde ich es auch ihm überlassen, das Recht abzuschaffen oder auszuweiten. Wenn der Senat sich jedenfalls selbst pauschal eine Steuerbefreiung gibt, so wird dies kein sehr gutes Bild auf uns alle werfen.
So würde ich alles beim alten belassen und dir raten: Wenn du mich und meine Familie als unwürdig erachtest und dich und die Deinen für würdig, so gehe zum Kaiser und fordere von ihm, meine Familie aus dem Patrizierstand auszuschließen und die deine aufzunehmen. Denn auch ich bin der Meinung, dass eine Patrizierfamilie, die sich ihrer Ahnen nicht als würdig erweist, ausgeschlossen wird und eine Familie, die eine lange und hervorragende Tradition im Staatsdienst besitzt, auch zu Patriziern gemacht wird."