Beiträge von Lucius Artorius Avitus

    Avitus schritt rein.
    "Ich grüße dich, Decimus"
    begrüßte er den entfernten Verwandten seiner Frau und erlaubte Archias mit einem angedeuteten Nicken, dass er sich zurückziehen durfte, was dieser auch diskret tat.
    "Es freut, dass du Zeit findest für ein kurzes Gespräch. Ich habe zwei Fragen. Die erste interessiert mich als Juristen und Praetorianer. Bei der Durchsicht der Archive in der castra praetoria [simoff: Privatforen] fiel mir auf, dass der ehemalige praefectus Vinicius sich unter anderem damit beschäftigte, die Praetorianer auf dem Stand zu halten über die Entwicklungen des codex iuridicales. So findet man zum Beispiel Kommentare und Erläuterungen zu den Gesetzestexten, was eine gute Sache ist und zumindest für Offiziere auch nicht unnütz"
    sprach er.
    "Der langen Rede kurzer Sinn ist, dass mir da eine gewisse Unstimmugkeit in dem Gesetzestext hinsichtlich der advocatio imperialis auffiel, was natürlich Fragen aufwirft und für eine gewisse Verwirrung sorgt"
    Avitus blickte fragend zu Mattiacus.

    "Wir machen es folgendermaßen..."
    sagte Avitus.
    "Zwar weiß ich um den Ablauf einer Opferung, möchte diesen allerdings vorab nochmal kurz besprechen, hierbei aber den Schwerpunkt auf eventuelle Besondereheiten und Eigenheiten legen"
    schlug er vor.
    "Und dazu vereinbaren wir für den Fall der Fälle ein Zeichen. Tu mir jedoch bitte einen Gefallen und behalte diese Tatsache für dich"
    Musste ja niemand außer dem Gott, dem Sacerdos und dem Artorier wissen, dass Avitus hierbei mit Netz und doppeltem Boden arbeiten wollte.
    "Eines interessiert mich aber und das ist gewissermaßen eine Bedingung, die erfüllt sein muss, ehe wir es so machen"
    fuhr er fort.
    "Diese... diese Absicherung, wenn ich sie so nennen darf, sie wird Mars doch hoffentlich nicht erzürnen?"

    Rom, heute...


    Cnaeus wurde, nachdem er Avitus vorgestellt wurde und sich nach seinem Vater erkundigt hatte, wieder hinausgeführt. Orestes wollte ihm den Anblick eines kranken, langsam sterbenden Vaters möglichst ersparen. Er wusste nicht, dass sich der Junge nachts die Augen ausheulte, aus Angst, am nächsten Morgen könnte er bereits Waise sein.
    "Quadrilla, meine erste Frau... du weißt, die ich damals in Ostia heiratete, starb während der Geburt unseres ersten Kindes. Es wäre eine Tochter gewesen. Doch auch wie starb bei der Geburt. Von meiner zweiten Frau..."
    Orestes bekam einen Hustenanfall, schüttelte sich und verkrampfte dann. Sein Gesichtsausdruck verriet, dass er von großem Schmerz geplagt wurde. Die heilkundigen Sklaven eilten sofort herbei, um sich um ihren Herrn zu kümmern. Orestes erbrach. Avitus schritt zurück, ließ die Mediziner ihre Arbeit machen.


    Nach einigen Minuten schien Orestes wieder einigermaßen ansprechbar.
    "Entschuldige. Das kommt immer wieder vor. Wo war ich stehen geblieben?"
    Seine Stimme war schwach und das Sprechen kostete ihn sichtlich Kraft. Avitus fragte sich, warum er das auf sich nahm.
    "Soll ich nicht besser morgen noch einmal vorbeischauen? Du brauchst dringend Ruhe"
    unterbrach Avitus ihn.
    "Unsinn. Davon werde ich bald mehr als genug haben"
    versetzte er. Selbst in dieser Situation konnte er noch selbstironisch sein.
    "Wo war ich also? Ach ja... von meiner zweiten Frau ließ ich mich wieder scheiden. Die Ehe war kinderlos geblieben. Doch Pulchra, meine dritte Frau, schenkte mir einen Sohn. Leider... leider wird sie nie zusehen können, wie er zu einem Mann heranwächst. Sie starb, als der Junge vier war. Oh, wie ich wie betrauerte. Ich liebte sie über alles. Aber wenigstens der Junge hat überlebt. Ich bin den Göttern dankbar, dass sie mir wenigstens ihn belassen haben. Er ist das einzige, was mir geblieben ist, Lucius"
    sagte Orestes.
    "Dann bist du ein glücklicher Mann, Marcus"
    "Ich habe Angst um ihn. Ich habe Angst, was aus ihm wird, wenn ich... nicht mehr da bin. Ich bin hoch verschuldet, musst du wissen. Man wird ihm alles nehmen, ihn in die Sklaverei verkaufen vielleicht. Alleine wird er es da draußen nicht schaffen. Drum habe ich gehofft, habe ich gebetet zu den Göttern, dass du herkommst, Lucius. Als alten Freund aus gemeinsamer Jugend, bitte ich dich, der ich hier im Sterben liege, um einen letzten Gefallen..."
    Avitus ahnte, was Orestes für eine Bitte an ihn richten würde. So gerne er auch zugestimmt hätte, wusste er nicht, ob er das konnte.
    "Alles, was du willst, alter Freund"
    war aber dennoch seine Antwort. Anders konnte er nicht. Auch er hatte mal Hilfe und Freundschaft von Orestes erfahren, als er allein in Gefahr war. Der Ernst der beiden Situationen war gewiss nicht vergleichbar, aber darum ging es nicht.
    "Nimm dich Seiner an. Kümmere dich um meinen Jungen"
    Avitus bekam weiche Knie.
    "Marcus, ich... ich habe gerade einen Sohn verloren"
    brachte er unsicher hervor. Ein Geräusch an der Tür ließ ihn den Kopf zur Seite drehen. In der Tür stand der kleine Cnaeus. Musste es denn unbedingt dieser Name sein? Wie viel er mitbekommen hatte, konnte Avitus nicht sagen, aber die roten Augen des Jungen ließen vermuten, dass er erfuhr, dass sein Vater ihn bald verlassen würde. Avitus blickte wieder zu Orestes.
    "Ich bin sicher, du warst ihm ein guter Vater. Ich weiß, ich verlange viel. Sehr viel, bedenkt man, dass unsere Wege sich im Streit trennten und seit dem Jahre vergangen sind. Aber du warst und bist mir ein guter Freund, Lucius"
    Avitus atmete tief ein und langsam wieder aus. Sich Zeit lassen konnte er nicht, denn niemand konnte sagen, wie lange Orestes noch durchhielt. Doch hier galt es eine überaus wichtige und weit reichende Entscheidung zu treffen. Das musste gut überlegt sein.
    "Weißt du noch, die Manlius Brüder? Denen haben wir es gezeigt, was?"
    Avitus grinste.
    "Ja... das haben wir"
    "Und Lartia? Hast du sie je wieder gesehen?"
    "Nein"
    "Schade... sie war ein hübsches jungen Ding"
    Beide lachten. Orestes Lachen war jedoch sehr leise und kostete ihn Kraft. Aber Avitus sah ihm deutlich an, wie sehr er sich freute, noch einmal seinen ehemals besten Freund zum Lachen gebracht zu haben. Dann wurde sein Gesichtsausdruck wieder ernst.
    "Ich bitte dich nicht, den Jungen zu adoptieren. Nur hat er niemanden mehr, wenn ich weg bin. Und alleine schafft er es nicht. Alleine nicht... ich bitte dich auch nicht, dich sofort zu entscheiden, Lucius. Lass dir Zeit"
    "Gut. Ich muss nachdenken, Marcus. Ich komme morgen wieder vorbei. Mit einer Antwort"
    sagte er bestimmt und erhob sich. Orestes Gesichtsausdruck entspannte sich sichtlich. Er lächelte schwach. Vermutlich war diese Antwort bereits weit mehr, als er nach all den Jahren erwartet hatte, erwarten konnte. Avitus schritt hinaus aus dem Raum, überließ den langsam sterbenden Orestes seinem qualvollen Kampf mit dem Tode.

    alle Angaben ohne Gewähr:


    Zitat

    Original von Marcus Matinius Ticinius
    Die Ritter trugen ja einen latus angustus...


    wenn ich mich nicht täusche, heißt es angustus clavus bei den Ritter und latus clavus bei den Senatoren.


    Zitat

    Original von Marcus Matinius Ticinius
    Meine erste Frage ist, ob auch die Mitglieder des ordo equestris bzw. senatorius solch einen Purpurstreifen trugen


    ich meine, diese Frage wurde hier schon mal gestellt und wurde damals mit nein beantwortet. Die Frau eines Senators/Ritters oder sein erwachsener Sohn z.B. laufen demnach ohne den Streifen rum.


    Zitat

    Original von Marcus Matinius Ticinius
    ebenso die Magistrate mit Imperium (kurulische Aedile, Praetoren, Consuln)


    war das nicht so, dass die Senatoren als Zeichen ihres Standes den Streifen trugen, auch wenn sie derzeit kein Amt mit Imperium bekleideten?

    Rom, heute...


    So endete es, das Abenteuer. Eingeholt von der Wirklichkeit hatten sie es nicht weiter, als bis Ostia geschafft. Ihre Wege hatten sich dort getrennt. Avitus ging zurück nach Rom, ging seinen Weg zur Armee, der ihn bis ins Tribunat bei den Praetorianern führte. Orestes verkaufte die Taberna und das Bordell mitsamt dem Inventar – mit Ausnahme einiger Sklavinnen, deren besondere Begabung auf gewissen Gebieten ihm später im Umgang mit gewissen Geschäftsleuten von Vorteil sein sollte – und stieg in den Handel mit Luxusgütern ein. Zunächst Schmuck und Edelsteine, später kam Parfüm hinzu. Profitabel genug, um sich ein Leben in Baiae erlauben zu können.
    "Hast du Familie, Lucius?"
    "Ja"
    "Das ist gut. Und es freut mich für dich. Hast du Kinder?"
    "Ich habe einen Sohn"
    Hatte... hatte einen Sohn, wollte er eigentlich sagen.
    "Ein Sohn... sicher erfüllt er dich mit Stolz. Wie heißt er? Wo ist er?"
    Avitus blickte Orestes in die Augen.
    "Du wirst ihn bald treffen"
    "Oh... ich verstehe. Ich bedauere deinen Verlust"
    "Schon gut"
    In diesem Moment betrat eine Sklavin den Raum. An der Hand führte sie einen Jungen herein, ungefähr so alt, wie Avitus, als er damals von den Manlius Brüdern davon lief und Orestes begegnete.
    "Lucius, darf ich vorstellen. Mein Sohn... Cnaeus"
    In diesem Moment verfluchte Avitus die Götter dafür, dass sie ihm das antaten.

    "Gut"
    sagte Avitus und nahm sich vor, mit dem anderen Tribun zu reden. Hoffentlich kam der ihm nicht mit irgendeinem Blödsinn, von wegen, er sei dienstälter oder ähnlichem.
    "Ich würde mich jetzt gerne ein wenig mehr auf dem Palatin umsehen"
    Avitus wollte sich noch einen kleinen Überblick verschaffen und mehr sehen als nur die Palastwache.
    "Meine centuriones dürften mit den Abläufen und Räumlichkeiten zwar vertraut sein und routiniert und selbstständig handeln können, bis ich mich eingearbeitet habe, aber je schneller es geht, um so besser"
    Das Einarbeiten, meinte er natürlich.

    "Gewiss doch"
    sagte Avitus und folgte dem Sacerdos in den Tempel. Bei der Auswahl des Opfertieres brauchte er nicht lange zu überlegen.
    "Wenn schon, denn schon, würde ich sagen"
    antwortete er daher.
    "Ein Stier soll es sein. Eins möchte ich allerdings noch vorab klären. Auch, wenn ich mir die toga über den Kopf streifen werde, bin ich doch nicht so mit den Feinheiten der Rituale vertraut, wie du, zweifellos, und es ist mir recht wichtig, dass die Zeremonie fehlerfrei verläuft. Ich hätte auch dich also gerne dabei, Manlius Acidinus, auf dass du mir bei Bedarf mit Rat und Tat zur Seite stehen kannst..."

    Begleitet von Archias, einem Freigelassenen, hatte Avitus die Hallen der Schola Atheniensis betreten, auf der Suche nach Decimus Mattiacus. Er ging davon aus, den Ankläger des Kaisers am ehesten hier anzutreffen und da er ohnehin in der Stadt gewesen war, kam er ohne ein schriftliches Vorgeplänkel direkt vorbei. Avitus schickte Archias voraus, um ihn anzumelden.
    "Salve..."
    grüßte Archias im Officium für Rechtsfragen.
    "Mein Herr, der ehrenwerte tribunus cohortis praetoriae Artorius, ist auf der Suche nach dem ehrenwerten procurator a cognitionibus, Decimus Mattiacus"
    Oh, ihr Götter, wie Archias es hasste, diese elendlangen Amtsbezeichnungen der "ehrenwerten" Römer runterzubeten...

    Sim-Off:

    wenn es geht, würde ich die Fragen gerne am kommenden Freitag (08.08.2008) bekommen


    Avitus überlegte kurz.
    "Nein, besser alles der Reihe nach"
    sagte er.
    "Ich möchte zunächst die Fragen haben. Wenn ich diesen Teil erfolgreich hinter mich gebracht habe, dann widme ich mich dem Vortrag. Dass dieser sich mit einer legio beschäftigt, gilt doch nach wie vor, nehme ich an?"

    "Ich grüße dich, Manlius Acidinus"
    antwortete Avitus.
    "Das freut zu hören. Eine bestimmte Nachricht für Marcius...? Nein, aber richte ihm Grüße von mir aus, wenn du ihn das nächste Mal begegnest"
    sagte er.
    "Ich möchte in der Tat deine Aufmerksamkeit und Hilfe in Anspruch nehmen"
    fuhr der Artorier fort.
    "Ich wurde von unserem imperator zum tribunus cohortis praetoriae ernannt. Anlässlich dieses Ereignisses möchte ich Mars ein Opfer darbringen. Was ich suche, ist ein passendes Opfertier. Außerdem würde ich gerne deine Tempeldiener für die Zeremonie engagieren"
    Avitus hatte ein paar Worte mit dem Gott zu reden. Und dabei würde es nicht nur um sein eigenes Schicksal gehen, denn auch sein Sohn, seit toter Sohn, war Soldat gewesen. Aber das behielt er noch für sich...
    "Ich denke an eine kleine, aber dennoch prachtvolle Zeremonie. Keine unbeteiligten Zuschauer, es ist etwas, was nur mich und Mars angeht. Kosten sollen eine untergeordnete Rolle spielen"

    Früh am Morgen, es war ein warmer, aber wolkenverhangener Morgen, marschierte Avitus durch die Strassen Roms. Er war allein unterwegs, hatte auf seine kleine Eskorte verzichtet und kam daher nicht so schnell voran, wie er es sich eigentlich wünschte. Eine Weile hat es daher gedauert, bis Avitus die Academie erreichte. Da er sich hier vor Ort mittlerweile ziemlich gut auskannte, marschierte er direkt zum Officium für Anmeldungen zu den Examina, drängelte sich an ein paar wartenden Bürgern vorbei - es hatte eben Vorteile, Ritter zu sein - und betrat den Raum.
    "Salve..."
    begrüßte er den hier arbeitenden Beamten.
    "Artorius ist mein Name, tribunus cohortis praetoriae"
    stellte er sich vor.
    "Ich bin Student an der academia und habe vor, das vierte Examen in Angriff zu nehmen"

    Zufrieden über die hohe Moral, auf die er aus der Überzeugung schloss, mit der die Milites eingestimmt hatten in das "Roma Victor", nickte Avitus.
    "Ein Feldzeichenträger nach vorn..."
    befahl er, während er sich selbst auch nach vorn bewegte. Der nächste zu ihm stehende Signifer folgte ihm. Da die Feldzeichen der Garde auch mit Kaiserbildnissen versehen waren, konnte Avitus der wichtigen Pflicht, die noch ausstand, bevor er wirklich die Befehlsgewalt über die Kohorte innehatte, auch ohne eine Büste oder ähnlichem erfüllen.


    Er bestieg das Podium, gefolgt vom Signum.
    "Eines fehlt noch, milites"
    sagte er.
    "Bevor ich die cohors als deren vom imperator Valerian berufener tribunus befehligen kann und dem Kaiser fortan als Praetorianer zu dienen berechtigt bin, bin ich verpflichtet, den militärischen Eid als eben solcher zu leisten. Ihr, die milites, leistet den Eid zwar jährlich, aber dessen ungeachtet erwarte ich, dass ihr ihn zusammen mit mir, eurem tribunus, schwört..."
    Eine kurze Pause, in der Avitus wiederholt in die Gesichter der Praetorianer blickte.


    Avitus holte tief Luft, dann erklang seine Stimme wieder. Langsam, laut und deutlich sprach er, so dass sie erst in großer Entfernung von dem leichten Wind, der an diesem Morgen auf dem Campus wehte, zerrissen werden konnte.
    "iurant autem milites omnia se strenue facturos quae praeceperit imperator, numquam deserturos militiam nec mortem recusaturos pro Romana republica"
    Dann blickte er zu der Cohors, in Erwartung eines "idem in me"...

    Nach allem, was Avitus über den Kaiser bzw. seinen Gesundheitszustand gehört hatte, ging er - ebenfalls - nicht wirklich davon aus, dass der Kaiser spontan verreisen wollte. Außer zur Erholung in die Provinz vielleicht, aber ob das so kurz nach der Machtübernahme - oder Amtsantritt, je nachdem, wie man es sah - eine gute Entscheidung wäre...? Egal, Avitus war kein Politiker, also zerbrach er sich nicht weiter den Kopf über das könnte, würde, sollte.
    "Sollen wir dann weiter?"
    fragte er.
    "Oder gibt es hier in der Kommandatur noch etwas wichtiges?"

    "Salve"
    antwortete Avitus, als sich ein Marspriester Zeit für ihn nahm. Er kannte ihn nicht, oder zumindest nicht persönlich.
    "Mein Name ist Artorius. Sag, ist Marcius der Jüngere..."
    damit war ein Priester gemeint, den Avitus hier damals kennengelernt hatte, als er hin und wieder nach Rom kam und hier seine Waffen abgab. Zwar konnte Avitusnicht behaupten, den Priester wirklich gut gekannt zu haben, aber wertvolle Waffen vertraute man schließlich nicht jemand an, dessen Namen man nicht einmal kannte
    "... nicht mehr hier?"
    Es wird doch hoffentlich nichts passiert sein? Marcius hieß zwar der Jüngere, war aber geschätzte zwanzig Jahre älter als Avitus... in diesem Alter konnte mit dem Mann alles mögliche passiert sein. Schlaganfall, Herzinfarkt... oder schlimmer noch, er könnte sich zum Lebensabend hin auf seine patrizische Herkunft erinnert haben und in die Politik gegangen sein.

    Ostia, damals...


    Zeit war vergangen. Wochen. Monate. Jahre.


    Lucius stand am Hafen, schaute aufs Meer hinaus und warf hin und wieder einen kleinen Stein ins Wasser. Seine Laune war nicht die beste. An diesem Morgen hatte er sich von Lartia, einem lieblichen Geschöpf im Streit getrennt. Nicht, dass es etwas wirklich ernstes mit ihr gewesen wäre. Dafür kannten und trafen sie sich nicht lange genug. Dennoch fühlte es sich nicht gut an, denn zu gerne war er zusammen mit ihr gewesen. Die Tatsache, dass er jeden Tag aufs Neue erinnert wurde, dass ihre vor einigen Jahren geplante und tatsächlich in Angriff genommene Abenteuerreise nie weiter als bis Ostia geführt hatte, trug das Übrige zu seiner schlechten Laune bei. Lucius bereute es, Rom verlassen zu haben.
    "Ah, dachte ich mir, dass ich dich hier finde"
    hörte er Marcus’ Stimme. Die Tatsache, dass Marcus bereits verheiratet war sprach Bände. Er hatte seit langem jedwedes Interesse verloren, Ostia zu verlassen und in die Welt hinaus auf der Suche nach Abenteuer zu segeln. Selbst Tiberius, Lucius’ Vetter, hatte mehr erlebt, seit er auf einem Handelsschiff anheuerte und zur See fuhr. Irgendwie sah Lucius in all dem, was er in Ostia tat, keinen Sinn mehr. Was hatte er hier überhaupt noch zu suchen? Seit zehn Jahren kannte er Marcus nun schon, aber nie war er so wütend auf ihn gewesen, wie in diesen Tagen, nie so frustriert.
    "Hab das von dir und Lartia gehört. Mein Beileid, sie war ein hübsches junges Ding"
    "Sie ist kein... Ding, Marcus"
    Antwortete Lucius verärgert.
    "Warum so empfindlich...? Nun sag bloß nicht, dass da große Gefühle im Spiel waren"
    Marcus lachte.
    "Das kauft dir niemand ab"
    Lucius warf einen Stein ins Wasser, der sofort von den Wellen verschlungen wurde.
    "Ich werde nach Rom zurückgehen"
    Eine Pause. Dann die erwartete Frage.
    "Und warum?"
    "Ich will zur Armee..."
    "Zur Armee?! "
    Marcus konnte sein Erstaunen nicht verbergen.
    "Etwa wegen Lartia? Hör mal, Lucius, mit gebrochenem Herzen sollte man nicht voreilig handeln und schon gar nicht zur..."
    "Es ist nicht wegen ihr"
    unterbrach ihn Lucius schroff.
    "Verdammt Marcus, ich bin es leid, hier zu versauern. Ein Niemand zu sein"
    Marcus' Gesichtsausdruck wurde ernst.
    "Was ist denn los mit dir heute? Wenn du schlechte Laune hast, solltest du sie nicht an mir auslassen"
    Lucius schüttelte den Kopf, nach unten blickend.
    "Glaub mir, diese Entscheidung habe ich nicht gerade eben getroffen. Das hab ich mir schon gründlich überlegt. Seit Jahren hocken wir in Ostia rum, ohne dass sich etwas ändert"
    "Was erwartest du denn, hm? Dachtest du, es wird einfach sein, etwas aus sich zu machen? Dachtest du, es geht von heute auf morgen?"
    "Nein, Marcus. Das dachte ich verdammt noch mal nicht. Aber während du ein Weib hast und bald wahrscheinlich ein Kind, trete ich auf der Stelle. Ich entwickle mich nicht, ich verfolge kein Ziel, ich... ich sehe nicht, dass ich dabei bin, etwas aus mir zu machen"
    "Das ist Unsinn, Lucius. Hat sie dir das eingeredet? Habt ihr euch deswegen getrennt? Hör mal. Der alte Pansa..."
    Pansa war der Besitzer der Taberna mit einem recht luxuriösen Bordell im hinteren Teil des Gebäudes, in der Lucius und Marcus als Aufpasser und Rausschmeißer arbeiteten
    "... gibt bald den Löffel ab. Und ich weiß, dass wir sein Geschäft übernehmen können, weil er sonst niemanden hat, dem er es anvertrauen will. Oder kann"
    "Oh, wie wunderbar. Ein Leben als Zuhälter und Wirt führen. Scheiße, Marcus, das habe ich ganz bestimmt nicht vorgehabt, als ich Rom verließ"
    sagte Lucius verbittert.
    "Aber das ist nur der Anfang. Mit dem Geld können wir in bessere Geschäfte einsteigen, mit Luxuswaren handeln, nach Baiae..."
    "Scheiß auf Baiae! Scheiß auf Luxuswaren. Das sind alles Träume, Marcus. Und sie werden es immer bleiben, verstehst du das denn nicht. Wenn man es zu etwas bringen will, muss man zur Armee"
    Entgeistert blickte ihn Marcus an. Das hatte er ausgerechnet von Lucius nicht erwartet. Doch er tat den Wunsch seines besten Freundes, zur Armee zu gehen, immer noch als überhitzte Reaktion ab. Wenn man es zu etwas bringen wollte, musste man handeln oder intrigieren. Marcus bevorzugte ersteres, denn die Politik war bestimmten Kreisen vorbehalten, zu denen weder er noch Lucius Zugang hatten. Noch.
    "Zur Armee?"
    fragte Marcus, immer noch ungläubig.
    "Jawohl, zur Armee. Wenn man sich Mühe gibt, kann man aufsteigen im Rang. Wenn es Krieg gibt, kann man plündern. Das ist wenigstens eine anständigere Art, sein Geld zu machen, als Huren herumzukommandieren. Selbst, wenn es kleine Schritte sind, ist es immer noch mehr, als dieser Stillstand hier, Tag ein, Tag aus"
    "Ich dachte..."
    Ich weiß, was du dachtest Marcus. Du willst reich werden. Angesehen. Respektiert. Das will ich auch. Nur ist Geld nicht das einzige, was dir Respekt verschaffen kann. Der Rang... und wer weiß, vielleicht eines Tages ein höherer ordo... kann es auch
    "Und du sagst, dass ich ein Träumer bin! Träumst von höherem ordo. Lucius der Senator. Das ich nicht lache! Wir sind Plebejer, Lucius. Einfache Plebs aus den Gassen Roms"
    "Das sagtest du schon mal. Du wirst nicht müde, mich daran zu erinnern"
    "Mag sein. Aber wenn ich Recht behalte, werden wir uns den gesellschaftlichen Rang kaufen können"
    "Bei den Göttern, Marcus, ich gönne dir den Erfolg wie kein anderer. Ich hoffe, dass dein Traum, reich zu werden, sich erfüllen wird. Doch was, wenn nicht? Was dann?"
    Schweigen.

    "Nun, das hängt natürlich von imperator Valerian ab"
    gab Avitus zurück.
    "Er ist mehr Soldat, als Politiker, so zumindest die landläufige Meinung über ihn. Wenn er also der Idee verfallen sollte, in den nächsten Jahren Rom zu meiden und lieber den Legionen seine Aufmerksamkeit zu widmen, dann... nun ja, wer weiß, vielleicht sehe ich Syria oder Germania ja dann wieder"
    Als Legionär kam man viel rum und sah mehr von der weiten Welt, als es sich ein Bauer im Traum vorstellen konnte. Einer der Gründe, warum Avitus zum Militär gegangen war. An die Zeit in Germania bei der Hispana erinnerte er sich natürlich noch gut. Hin und wieder fragte er sich natürlich, was wohl aus den ehemaligen Comilitones geworden war. Maro zum Beispiel, an dessen Seite er in eine üble Schlägerei gegen einen Germanen verwickelt wurde, die beide ziemlich schnell verloren. Das war vielleicht ein schwarzer Tag damals im Leben des Artorius Avitus. Ob Maro es wohl zum Centurio gebracht hatte?


    "Doch sag, legatus"
    wechselte er das Thema
    "Wer ist der miles dort?"
    Er deutete auf Tacitus.
    "Ich frage deswegen, weil es mir... ähm, ungewöhnlich vorkommt, dass du einen miles einlädst. Nicht, dass du mir Rechenschaft schuldig wärst, aber neugierig macht es schon"
    Zwar hatte Avitus vor kurzem noch der Ausbildung des Iuliers auf dem Exerzierplatz beigewohnt, konnte sich aber natürlich nicht an jeden einzelnen Miles erinnern. Drum nahm er an, dass sich dieser entweder irgendwie hervorgetan hatte oder aber verwandt war mit dem Legaten.