Beiträge von Lucius Artorius Avitus

    Rom, damals...


    "Ostia?"
    fragte Lucius verwundert.
    "Warum denn ausgerechnet Ostia?"
    Wenn sie schon weg wollten aus Rom und hinaus in die weite Welt, auf der Suche nach Abenteuern, dann war Ostia keine gute Idee.
    "Wir bleiben ja nicht ewig dort. Heute Ostia, morgen Athen oder Alexandria und irgendwann einmal... Baiae"
    entgegnete Marcus. Er träumte davon, einmal wohlhabend genug zu sein, um sich ein Leben in Baiae leisten zu können.
    "Na, ich fürchte, für Baiae sind wir nicht einmal annähernd reich genug. Angeblich wohnen dort zwar selbst die Sklaven besser, als die Bürger hier in Rom, aber mit unseren Mitteln... na ja"
    Marcus lachte.
    "Einmal werde ich es"
    sagte er verträumt.
    "Was? Ein Sklave?"
    versetzte Lucius grinsend, wohl wissend, was Marcus gemeint hatte.
    "Ha ha. Nein, reich sein. Reich genug, um in Baiae leben zu können"
    "Und wenn wir in Ostia sind? Was dann?"
    "Dann heuern wir auf einem Schiff an, sehen uns die Welt an, verdienen uns Geld..."
    "Lassen uns entführen und unsere Familien erpressen"
    fügte Lucius hinzu.
    "Unsinn. Die Meere sind frei von Piraten. Außerdem... sagtest du doch gerade selbst, dass wir nicht reich genug sind. Wer nicht reich genug ist, in Baiae zu leben, der kommt als Beute nicht in Frage"
    Beide lachten. Lucius warf einen Stein ins Wasser des Tiber.
    "Und wann?"
    Marcus zuckte mit den Schultern.
    "So bald es geht. Nächste Woche vielleicht?"
    "Mein alter Herr wird mich umbringen"
    "Ach was. Du hast die toga praetexta doch schon abgelegt"
    "Dennoch... freuen wird er sich nicht gerade. Und Falco, der Schnüffler..."
    damit war Lucius’ älterer Bruder gemeint
    "... wird eh raus finden, wo wir sind"
    "Ach Unsinn. Bis alle kapiert haben, dass wir weg sind, sind wir reich genug und leben in Baiae in Luxus"
    Ein schöner Traum.

    Avitus konnte sich nicht wirklich erinnern, meinte aber, den Namen des Procurator a libellis schon mal gehört zu haben. Vielleicht hat er ihn unter einem offiziellen Brief mal gelesen oder er hatte in der Schola den Namen gehört oder den Mann getroffen. Wie auch immer. Beide waren Aelier und damit Angehörige jener Gens, die mit der kaiserlichen verwandt war.
    "Apropos Reise"
    hackte er ein.
    "Ist zufällig eine geplant in nächster Zeit?"
    Es wäre zwar schade, müsste er Rom wieder verlassen, nun, da er erst angekommen war, aber Pflicht ging nunmal vor und wenn der Kaiser zum Beispiel seinen Legionen einen Frontbesuch abzustatten gedachte, dann war das eben so.

    "Gut zu wissen"
    dass der Magister Domus Augusti es dabei beließ, das restliche Personal des Palatins zu beaufsichtigen und sich nicht auch noch in Angelegenheiten der Garde mischte.
    "Kannst du mir vielleicht ein paar Namen nennen, princeps Prudentius?"
    fragte er.
    "Ich meine jene von hochrangigen Beamten hier am Hofe. Wer zum Beispiel ist der magister domus Augusti, wer der procurator a libellis? Was sind das für Männer?"
    Das war natürlich nicht persönliche Neugier, die Avitus zu dieser Frage verleitete. Vielmehr erachtete er es als nützlich - oder zumindest nicht schädlich - vorab zu wissen, wer die ranghohen Beamten hier vor Ort waren.
    "Ich kann mir vorstellen, dass ich nicht besonders viel mit ihnen zu tun haben werde... aber für den Fall der Fälle wäre es gut, über sie bescheid zu wissen"

    Avitus ließ sich vom Princeps Praetorii zum Officium der Palastwache führen.
    "Rühren, centurio"
    sagte er zum wachhabenden Centurio, der ihn und den Prudentier begrüßte. Obwohl er in Zivil war, hatte er instinktiv und mit typisch militärischer Gestik, Mimik und Stimmlage geantwortet.


    Avitus sah sich im Officium um. Nichts besonderes eigentlich.
    "Gut"
    kommentierte er knapp, während sein Blick die aktuellsten Befehlestreifte, die im Palast galten. Avitus hatte eigentlich erwartet, dass sie nicht von Praetorianern, sondern vom Magister Domus erlassen würden, und sei es pro forma.
    "Ich bin, zugegeben, etwas erstaunt, dass die Garde die Befehle erlässt"
    sagte er. Er hatte sich die Garde als ausführend vorgestellt, stellte aber fest, dass sie den Palast offenbar fest in der Hand hatte. Das sollte ihn eigentlich nicht stören.
    "Nicht, dass ich dagegen auflehnen würde"
    Wär ja noch schöner.

    Der neue Rang ging mit einer Menge Verantwortung einher. Immerhin war der Artorier nunmehr mit für die Sicherheit des Imperators und seiner Familie verantwortlich. Zwar nicht unmittelbar, da er nicht die persönliche Leibwache befehligte, aber die Palastwache zu halten und für Sicherheit auf dem Palatin zu sorgen bedeutete ja kaum weniger Verantwortung. Da Avitus nicht recht wusste, welche Gottheit er am besten anrufen sollte, um für Erfolg zu bitten, entschied er sich für den Gott, den er in seinem Soldatenleben wohl am öftersten um Gefallen gebeten hatte. Die Tatsache, dass er einen Krieg überlebt hatte, obwohl er an vorderster Front gestanden hatte, flößte ihm Zutrauen zu Mars ein. So traf es sich an diesem Morgen, dass er sich in einen Tempel des Mars im Norden der Stadt begab. Ein kleiner Tempel, der außerhalb des Pomeriums lag und wo Avitus bei früheren Besuchen Roms stets seine Waffen zur Aufbewahrung abgab, wenn er die Stadt weiter betreten wollte. Vor den Stufen des Tempels angekommen, schaute er sich ein wenig um, ob sich nicht vielleicht einer der Priester des Mars etwas Zeit für ihn nehmen wollte...

    Aventin, heute...


    Das war das erste Mal damals, dass sie einander begegneten. Avitus schloss sich der Bande an und eine Freundschaft zwischen ihm und Silius Orestes entwickelte sich, im Verlaufe derer ihm der ältere Orestes beibrachte, seine Fäuste zu benutzen.
    Vergiss das Ringen, Lucius pflegte er immer wieder zu sagen. Was bringt es? Gar nichts. Wer will sich schon im Dreck rumwälzen? Also ich nicht. Wenn mir so ein Manlius in die Quere kommt, ich hau ihm eine rein, der steht so schnell nicht wieder auf
    meistens lachte er im Anschluss an eine solche Bemerkung. Von Silius hatte Avitus gelernt, sich auf der Strasse zu behaupten, hatte den Manlius Brüdern alles doppelt und dreifach heimgezahlt, bis sie die Idee, es wiederum ihm heimzuzahlen, als zu unattraktiv ansahen - es lohnte einfach nicht, so viel, wie Lucius mittlerweile austeilte, einzustecken, nur um sich zu rächen.


    Die Erinnerungen wurden verdrängt von dem Bild, das sich Avitus bot, als er in dem Raum schritt, in dem Orestes im Sterbebett lag. Einst voller Leben und voller Träume, ein Bekannter und Vertrauter. Doch nun. Der Anblick war ein Schock. Dünn und blass, mit dunklen, eingefallenen Augen, vorstehenden Wangenknochen und ergrautem, unnatürlich lichtem Haar lag Orestes im Bett, scheinbar kraftlos, leblos. Als jedoch der Ianitor auf ihn zuschritt und ihm leise ins Ohr flüsterte, dass Avitus da sei, drehte der Sterbende den Kopf, blickte zu Avitus. Dieser Blick jagte Avitus einen Schauer über den Rücken.
    "Lucius..."
    gab Orestes mit schwacher, fast flüsternder Stimme von sich. Avitus trat näher.
    "Ich hätte... hätte nie gedacht, dass du tatsächlich herkommen würdest"
    "Ich kam, so bald ich erfuhr, dass..."
    Avitus stockte, doch Orestes vollendete den unbeendeten Satz
    "... dass ich sterbe? Leider ja"
    "Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Marcus. Es schmerzt mich, dich so zu sehen"
    "Es freut mich, dich wieder zu sehen, Lucius. Es ist lange her... "
    Das war es. Sie hatten sich seit vielen Jahren nicht gesehen. Irgendwie plagte Avitus nun sein Gewissen. Nicht, dass es Orestes in der Zwischenzeit schlecht ergangen wäre. Das Haus war bescheiden in seiner Größe, aber die Tatsache, dass es alleine Orestes gehörte und vor allem die Innenausstattung des Hauses zeigten Besuchern, dass der erste Eindruck, den man gewann, wenn man es von außen betrachtete, ganz und gar täuschte und dass der Besitzer ein wohlhabender Mann war.
    "Wie ist es dir ergangen, Lucius?"
    Avitus setzte sich auf einen Stuhl, der ihm von einem Sklaven gebracht wurde.
    "Wo soll ich anfangen?"
    Orestes schaute ihn an, brachte ein müdes Lächeln zustande.
    "Lucius Artorius, Tribun bei der Garde. Respekt. Wer hätte das gedacht?"
    Diese Worte hatte er wohlwollend gesprochen, ohne Neid oder ähnlichem in der Stimme. Er war offenbar gut informier, trotz seines Gesundheitszustandes.
    "Ja. Wer hätte das wohl je gedacht!"
    pflichtete Avitus bei. Wieder kamen Erinnerungen hoch...

    Das Verhältnis zwischen Imperiosus zu Valeria war in etwa so, wie sein eigenes zu Severus' Mutter.
    "Sie schätzt mich?"
    Avitus lächelte. Eigentlich kannte sie ihn doch kaum. Bestimmt war dies nicht der Fall, denn Avitus sah nichts, wofür Valeria ihn schätzen konnte. Er hatte als Vater versagt und seine Karriere... nein, seine Pflicht! allem voran gestellt. Im Grunde war er nicht viel anders als sein Vetter in dieser Hinsicht, nur einige Schritte weiter.
    "Nun, das freut"
    Aber bestimmt hatte Menas es nur aus Anstand gesagt.


    Dann wechselten sie wieder das Thema.
    "Rekrut ist man hundertzwanzig Tage lang"
    Ob das eine lange Zeit war...? Das empfand jeder anders.
    "Was ich dir sagen kann, ist... es wird nicht einfach werden. Ich hoffe, du hast etwas für deine Ausdauer getan in der letzten Zeit"
    Unausgesprochen ließ er, dass es vor allem für Menas nicht einfach werden würde. Aber der junge Mann verstand es wohl auch so.
    "Die Zeit als Rekrut ist bei den cohortes im Grunde wie bei der legio. Den ganzen Tag exerzierst du unter den Schreien und Stockhieben deines centurio. Oder unter der Aufsicht des optio. Ich hoffe für dich, dass ein optio dich ausbildet, der hat wenigstens keine vitis. Deinen centurio übrigens dürftest du in dieser Zeit von ganzem Herzen hassen lernen. Aber tröste dich, das geht allen so. Wenn man den centurio nicht haßt, stimmt etwas nicht mit dem Mann"
    Es sei denn, man erwischte einen Exoten wie den Flavier. Aber wie groß war schon die Chance...

    Zitat

    Die zweite Aufgabe war die einer Kriegsschule für die Kavallerie des Feldheeres. Viele Gardereiter wurden später als Decurionen zu den Alen zurückversetzt, um diesen das in Rom Gelernte zu vermitteln. So wollte man dafür sorgen, dass die vorherrschende taktische Doktirn an die Fronttruppen weitergegeben wurde. Die zentrale Bedeutung als Gefechtsschule der Kavallerie, vergleichbar derer der Praetorianer für das Heer, zeigt sich deutlich an der Menge von Exerziermeistern, Manöverspezialisten und anderen Dienstgraden besonderer Art.


    Das war ja auch das, was die Praetorianer zur sogenannten "Elite" machte. Ein Legionär wird sie sicherlich nicht als kampfstärker oder disziplinierter gehalten haben, als den eigenen Verein. Vielmehr hat man das Gefühl, wenn man über die Garde liest, dass man an der Kampfstärke der Garde eher zweifelte, bis sie sich von Zeit zu Zeit im Feld bewies (und damit gerade mal bewies, ebenso gut wie die Legionen zu sein, nicht mehr, nicht weniger). Aber die Primi Ordines in den Legionen wurden laut Domaszewski überwiegend mit ehemaligen Angehörigen der Praetorianer besetzt. So konnten eben diese die höheren Ränge erreichen, während für einen Centurio, der in der Legion groß geworden war, beim Rang Centurio dann auch Schluß war. Der Grund war, wie Macer schon sagte dass die vorherrschende taktische Doktirn an die Fronttruppen weitergegeben wurde und dass die höheren Ränge nicht durch Provinziale "unterwandert" wurden, da die Garde bis Sept. Sev. mit Italikern besetzt war.



    Eine weitere Frage habe ich noch:


    Die beiden Threads, die jeweils "Torwache" (CP und CU) heißen, sind die aus "spieltechnischen Gründen" parallel angelegt? Ich frage deswegen, weil es mir seltsam vorkommt, da es in der Castra doch nur eine Porta Praetoria gab (hab mal irgendwo gelesen, es konnten Nicht-Soldaten nur über diese ein Militär-Lager betreten). Wurde also die Wache von Angehörigen der CP und Angehörigen der CU am selben Tor gleichzeitig gehalten? Oder wie kann man sich das vorstellen?

    "Alle Achtung"
    Eine Ala zu kommandieren bedeutete normalerweise einen Höhepunkt auf der Karriereleiter eines ritterlichen Offiziers, vergleichbar dem Tribunat, das Avitus nun innehatte. Dass der Princeps - immerhin jünger als Avitus - diesen Zenit bereits überschritten hatte, war nicht zu verachten. Über die Gründe, warum er nun wieder als Verwaltungsoffizier und nicht als Tribun in der Garde diente, zerbrach er sich aber nicht den Kopf. Erraten würde er es vermutlich eh nicht und das wiederum würde dazu führen, dass er sich nur ein Vorurteil bilden konnte. Und fragen wollte er vorerst auch nicht, zumal er den Offizier gerade erst kennengelernt hatte. Da durfte man nicht zu neugierig oder gar aufdringlich erscheinen. Als Praetorianer war man bestimmt eh nicht daran gewöhnt, viele Fragen zu beantworten, da man vermutlich derjenige war, der sie stellte...


    Sim-Off:

    von mir aus können wir den Sprung zum Palatin machen an dieser Stelle

    Was auch immer im Innern des Artoriers vorging, als Menas ihn bat, hin und wieder nach Valeria zu sehen, er wusste es hinter einer Maske zu verstecken. Irgendwie verstand es Avitus aber nicht, wieso Imperiosus lieber diese Sklavin in seiner Nähe hatte, als sein Eheweib.
    "Ich werde hin und wieder nach ihr sehen..."
    versicherte er seinem 'Neffen'.
    "Obwohl ich zu bezweifeln wage, dass ausgerechnet meine Gegenwart für viel Abwechslung für sie sorgen könnte"
    Und er fragte sich, worüber er und Valeria sich wohl unterhalten könnten. Was sagte man, worüber sprach man mit der Frau seines Vetters, die man kaum kannte und die allein zurück blieb, während Imperiosus in Mantua weilte.
    "Will sie ihn denn nicht nach Mantua begleiten?"
    Ein schwacher Versuch zurückzurudern, der nicht funktionieren würde, das wusste Avitus...

    Salvete.


    Ich habe da eine Frage bezüglich der Organisation der Praetorianerkohorten:


    - und zwar hab ich gelesen (Domaszewski oder so ähnlich heißt der Autor), dass die Kohorten je 1000 Mann umfassten und sog. cohortes equitatae darstellten, dh 6 centuriae und 3 turmae umfassten*.


    Was mich jetzt ein bißl verwirrt:


    - dass die Größe der Kohorten sich änderte, ist bekannt und dass deren Größe in der hier gesimmten Zeit bei ca. 1000 Mann liegen dürfte, auch.


    Aber dass sie cohortes equitatae waren, ist mir neu. So wie ich den Eindruck habe, wird - zumindest hier im IR - strikt zwischen Reitern und Fußsoldaten bei den Praetorianern unterschieden, dh die Equites Singulares werden als in selbstständigen Einheiten organisiert gesehen. Auch die IR-Wiki spricht von 500 Mann pro Kohorte, was auf normale Infanterie-Kohorten deutet. Auch die Grundvorlesung in der Academia Militaris spricht von separaten Kavallerie-Einheiten (insofern fällt sogar auf, dass sich die Aussagen der Grundvorlesung und der Wiki zwar nicht widersprechen, aber immerhin irgendwie nicht vollständig ergänzen).


    Weiß jemand von den Historikern etwas genaueres?


    (edit:
    * dass eine cohors equitata normalerweise 4 turmae hat, ist klar)

    Rom, damals...


    Wie der Wind rannte der junge Lucius Artorius durch die Strassen Roms. Hinter ihm erklangen bösartige Rufe wie
    "Wir kriegen dich"
    und ähnliches. Lucius war allein und hatte sich mit der falschen Bande angelegt. Wären Servius und Tiberius hier, dann... Nun, zu dritt hätten sie es mit den drei Verfolgern aufnehmen können. Besser wäre noch gewesen, wenn Falco und Castus dabei wären. Die waren älter und hätten hier ein Machtwort sprechen können. An Verwandtschaft mangelte es ihm eigentlich nicht, an Freunden ebenfalls nicht. Lucius hatte eben Pech an diesem Tag. Schon lange hatten ihm die drei Manlius Brüder versprochen, ihn mal allein zu erwischen. Dummerweise lag das mehr als drei Monate zurück und Lucius hatte einfach nicht daran geglaubt, dass die Rachsucht der Dreien so lange anhielt. Am meisten ärgerte ihn aber, dass der jüngste der drei um ganze zwei Jahre jünger war als er und von einem solchen Bengel Schläge einstecken zu müssen wäre wirklich bitter.


    Und so rannte Lucius was das Zeug hielt, wich den Passanten aus, ignorierte die empörten Schreie der Händler, wenn er ihre augestellten Waren umrannte und manches zu Bruch ging. Er wollte auf eine größere, belebte Strasse raus, um in der Menge schwerer zu entdecken zu sein und dann, während die Manlius Brüder ihn in der Menge suchen würden, durch die Gassen das Weite zu suchen. Ein guter Plan. Doch wie so oft gehen viele gute Pläne mit dem ersten Hindernis zu Bruch. Das Hindernis, das sich Avitus in den Weg stellte, war eine kleine Stufe, die er übersah, weil er sich in dem Augenblick, da sie näher kam, nach seinen Verfolgern umdrehte. Er stolperte, fiel böse hin und zerkratzte sich die Knie und Hände blutig, schrie vor Schreck, und dem Schmerz, der ihm gleich folgte. Im nächsten Augenblick schon waren die Manlius Brüder bei ihm und Lucius spürte einen heftigen Schlag mit der Faust auf seinen Rücken, gefolgt von einem Tritt. Er versuchte, sich zu schützen und fragte sich, warum um alles in der Welt ihm keiner von den Erwachsenen zu Hilfe kam. Drei gegen einen. Dieses Verhältnis alleine schon musste doch jemandem widerlich aufstoßen und Grund genug sein, einzuschreiten. Doch die Bürger interessierte der Streit zwischen den Jungen wohl nicht im geringsten und Magistrate oder Stadtwachen waren keine in der Nähe.


    Doch dann.
    "Hey, ihr"
    Ein Schrei. Eine unbekannte Stimme. Die Schläge hörten auf. Die Manlius Brüder schauten in die Richtung, aus der die Stimme kam, ließen kurz von Lucius ab. Ein junger Anführer einer Bande von Halbwüchsigen stand da, mit seinen Freunden hinter seinem Rücken.
    "Ihr seid die Manlius Brüder, stimmt?"
    Die Bande kam näher. Und nun wurde Lucius – und den Manlius Brüdern – schlagartig klar, dass sie sich dem Hafen etwas zu sehr genähert hatten und damit das Revier einer anderen Jugendbande betreten hatten. Eine Böse Sache. Der Anführer war in etwa genau so alt, wie der älteste Manlius, wirkte insgesamt aber noch kräftiger und gefährlicher auf Lucius und hatte außerdem das größere Gefolge hinter sich. Sie näherten sich den Brüdern und dem immer noch am Boden liegenden Lucius, dem die Tränen kamen. Das war einfach nicht sein Tag und die Abreibung, die ihm bevorstand, würde er wohl so bald nicht vergessen.
    "Was kümmert es dich? Leg dich mit uns lieber nicht an, Silius"
    rief der älteste Manlius. Er bluffte natürlich, versuchte die einzige Karte auszuspielen, die ihm neben der Flucht zur Verfügung stand... Drohen. Doch beeindruckt war dieser Silius nicht.
    "Ha... wusste ich doch. Auf sie!"
    brüllte Silius. Nun, da Drohen nicht gewirkt hatte und sie der Mut verließ, sich mit einem Dutzend mit Stöcken bewaffneter Jugendlicher anzulegen – was ein hoffnungsloses Unterfangen gewesen wäre – ergriffen die Manlius Brüder die Flucht. Die Bande verfolgte sie nicht lange und die Manlius Brüder waren entkommen.


    Lucius Knie schmerzten zu sehr, dieser Silius Bande zu entkommen war unmöglich. Er machte sich auf einiges gefasst.
    "Steh auf, du"
    forderte Silius ihn auf. Lucius erhob sich, wischte sich die Tränen aus den Augen, suchte instinktiv nach einem möglichen Fluchtweg.
    "Du Schwächling. Warum heulst du?"
    "Fall du mal so hin und lass dich verprügeln!"
    versetzte Lucius giftig, selbst über seine Reaktion überrascht. Seine Mutter schimpfte öfter mit ihm, dass er zu schnell laut werde, zu impulsiv sei. Seine Antwort jedenfalls brachte Silius nicht aus der Fassung.
    "Ooooh, große Klappe, aber nichts dahinter. Kein Wunder, dass du Ärger mit den Manlius hast"
    "Alleine gegen drei ist auch unfair"
    "Na, dir scheint es aber nicht geschadet zu haben. Wie heißt du?"
    "Ich bin Lucius"
    "Ich bin Marcus Silius. Und das ist meine Bande"
    Silius machte einen Wink in Richtung seiner Leute, die ziemlich zufrieden darüber, die unbeliebten Manlius Brüder verjagt zu haben, in der Strasse standen.
    "Keine Sorge. Hier können dir die Manlius Brüder nichts tun. Das ist unser Revier hier"
    sagte er stolz.

    Sein Vater, der Praetor? Avitus überlegte. Auf die Gefahr hin, einem Irrtum erliegen zu können, antwortete er.
    "Dann bist du also der Sohn..."
    des ermordeten Konsuls? Aber das hatte Avitus nicht zu Ende laut ausgesprochen. Der Name Prudentius war ihm zwar nicht entgangen, aber dass der Princeps so verwandt mit jenem Konsul war.
    "Du hast mein Beileid, princeps. Sein bedauernswerter Tod ist ein großer Verlust für Rom"
    Das war nicht mal übertrieben, auch wenn das Amt des Konsul bei weitem nicht mehr so wichtig und prestigeträchtig war, wie früher einmal. Aber hin und wieder walteten durchaus große und respektierte Männer jenes Amtes, die es - zumindest nach außen hin - nicht (nur) aus Ruhmsucht, sondern (auch) aus Pflichtgefühl Rom gegenüber taten.


    Die Antwort auf seine Frage war eindeutig, aber insgeheim wünschte sich Avitus, sie wäre positiver ausgefallen.
    "Verstehe..."
    Avitus war also ausgenommen von jenem kleinen Kreis, die mit dem Pferd unterwegs sein durften. Er wohnte am Esquilin, hatte also ein schönes Stück zu rennen, wenn es irgendwann mal - ob wortwörtlich oder im übertragenen Sinne - irgendwo brannte. So keimte in ihm in diesem Moment die Idee, stets eine kleine Abteilung in seiner Nähe zu wissen, eine Art persönliche Eskorte, die ihm den Weg bahnte, damit er schnell und ungehindert durch die Strassen schreiten konnte. Eine kleine Abteilung, vielleicht ein halbes Dutzend Mann stark, je einer aus jeder Centurie.


    Lange war es nicht mehr zum Palatin, die Senke der Subura lag vor ihnen. Dahinter lag das Forum und von da war es ein Katzensprung zu ihrem Zielort.
    "Du hast also in Germania gedient? Bei den Legionen?"
    fragte er.

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    Eigentlich spielte er nur ungern den Laufburschen, wusste aber, dass sich diese lästige Aufgabe von Zeit zu Zeit auch ihn traf, obwohl der Artorier eigentlich auch einen der Sklaven hätte schicken können. Drum redete sich Archias ein, dass der Brief, den er überbrachte, wenigstens wichtig sein musste.
    "Salve. Ich habe hier einen Brief. Nach Germania"
    sagte er und reichte dem Beamten den in einem runden Behältnis sicher verwahrten Brief.
    "Die Wertkarte der Artorier belasten bitte"


    An den
    centvrio legionis
    Servivs Artorivs Reatinvs
    castra legionis II
    provincia Germania
    bei Mogontiacvm


    [Blockierte Grafik: http://img76.imageshack.us/img76/6909/001ga4.png]
    Sei gegrüßt, Reatinus.


    Es freut natürlich, einen Brief zu bekommen, besonders, wenn der letzte lang zurück liegt. Und es freut, zu erfahren, dass bei dir alles seinen gewohnten Gang geht. Die Germanica scheint wohl überaus beliebt zu sein. Aber ich denke, es ist wie überall, so, dass man kaum die eine Gruppe Probati ausgebildet hat, schon die nächste wartet.


    Obwohl... überall ist es so nicht. Nicht bei den Praetorianern. Ja, du hast richtig gehört oder gelesen. Ich diene nun als Tribun bei den Praetorianern. Ich muss aber schon sagen, Vetter, dass ich zuweilen erstaunt bin, wie schnell sich Nachrichten doch verbreiten, dass du es bereits weißt. Ich danke dir für dein Lob, Vetter und ich werde zusehen, dass ich die mir anvertrauten Aufgaben pflichtbewusst erfülle.


    Was den Tod meines Jungen angeht. Ich habe gehofft, du hättest etwas herausgefunden. Doch wie ich deinen Brief verstehe, ist dies nicht der Fall. Ich weiß, dass es einer Suche nach einer Nadel in einem Heuhaufen gleichkommt und die Chancen, dass man diese Verbrecher aufspürt, überaus gering ist. Halt trotzdem die Augen offen, Vetter. Wer weiß, warum man es ihm antat. Vielleicht war es Zufall, vielleicht aber auch ein gezielter Anschlag und wir - oder du - haben Feinde vor Ort. Auch unwahrscheinlich, aber man kann nie vorsichtig genug sein. Ich merke gerade, dass hier wohl schon der mißtrauische Praetorianer aus mir spricht.


    Nun denn, Vetter. Überbringe Grüße an meinen alten Freund Petronius Crispus. Ich werde zusehen, dass ich mir die Tage Zeit nehme, ihm ein paar Zeile zu schreiben. Ansonsten wünsche ich dir alles Gute, mein Vetter und verzweifle nicht. Ich bin sicher, dass du deinen Dienst vorbildlich erfüllst und das ist schon mal eine gute Voraussetzung, um voranzukommen. Ländereien besitzt du nun auch und viel dürfte einem Vorankommen nicht im Wege stehen. Wenn du etwas brauchst, hast du nicht nur deinen Patron hier in Rom, vergiß das nicht.


    Mars sei mit Dir, Reatinus


    Lvcius Artorivs Avitvs
    [Blockierte Grafik: http://img129.imageshack.us/img129/5084/artoriasiegelhj8.png]


    ROMA ANTE DIEM VI KAL AUG DCCCLVIII A.U.C.


    Ohne Befehl, aber die Männer standen in militärischer Haltung da, professionell, wie man es von der Garde erwarten durfte. Wirklich viel ablesen konnte man nicht in den Gesichtern dieser aus allen Einheiten des Reiches ausgesuchten Männer. Avitus sprach langsam und während er sprach, stieg er von der Tribüne herab und näherte sich den Milites. Wenn er inmitten der Reihen war, konnte man ihn zwar nicht mehr so gut sehen, aber besser hören.
    "Diejenigen unter euch, die eine stundenlange Rede voller pathetischer Ausdrücke erwarteten... oder befürchteten"
    war das eben wirklich so etwas wie ein Scherz, den sich der Tribun da erlaubt hatte?
    "... werde ich leider enttäuschen. Wir sind nicht auf dem forum..."
    womit das Forum Romanum gemeint war, aber das dürfte klar sein. Immer, wenn Römer den Begriff Forum gebrauchten, ohne ihn durch Zusätze wie zum Beispiel "Boarium" oder "Traiani" zu präzisieren, war nur ein Forum gemeint, nämlich jenes, das nach alter Überlieferung das Zentrum der zivilisierten Welt darstellte
    "... ihr seid kein Mob und ich kein Politiker. Doch da wir nun in ein und derselben Einheit dienen und ihr meinem Befehl untersteht, habt ihr einen Anspruch darauf, mehr zu wissen, als nur den Namen von mir. Ihr sollt wissen, wer ich bin und ihr sollt wissen, was ich von euch erwarte. Ich diente einst in den cohortes urbanae. Ich diente in der legio IX Hispana und zuletzt, als primus pilus und später praefectus castrorum, in der legio I Traiana"
    Dass er Primipilus und Praefectus Castrorum war, hatte Avitus bewusst erwähnt, um den Milites zu signalisieren, dass er nicht ein Mann war, der den ritterlichen Cursus Honorum gegangen war, sondern wie die Milites vor ihm als einfacher Soldat angefangen hatte. Ob ihm das Pluspunkte bei den Männern sicherte oder eher das Gegenteil, würde sich zeigen.
    "Ich weiß nicht, ob man es der Garde nachsagt oder ob es die Garde von sich aus behauptet... aber die Garde steht in dem Ruf, Elite zu sein"
    Eine kurze Pause...
    "Diese cohors kämpfte tapfer und ehrenvoll an der Seite anderer Einheiten im erst kürzlich zurückliegenden Feldzug in Parthien. Ich kann also mit Recht behaupten, zu wissen, wozu sie, wozu ihr!, imstande seid. Ich bin daher guter Hoffnung, was die Zukunft angeht und überzeugt, dass wir Rom und Kaiser ergeben und tapfer zur Seite stehen werden... ROMA VICTOR!"
    Naja, ein paar (halb-)pathetische Ausdrücke hatten sich dann vielleicht doch noch eingeschlichen. Aber die Ansprache war noch nicht vorbei...

    Nur selten eine Gelegenheit, sich als Anwalt zu betätigen?
    "Liegt es daran, dass selten etwas passiert oder schließen sich die Pflichten eines Soldaten und die eines Anwalts meistens aus? Oder trauen einem die Leute nicht zu, Anwalt zu sein, weil man Praetorianer ist?"
    fragte er neugierig.
    "Was ich fragen wollte... kannst du mir vielleicht erklären, wie genau es sich mit dem Verbot verhält, in der Stadt bei Tage zu Pferd oder mit Wagen zu reisen? Zwar dürfte die Überwachung dafür in den Zuständigkeitsbereich der Urbaner fallen, aber dessen ungeachtet wäre es sicher nicht verkehrt, genau zu wissen, für wen dieses Verbot gilt, für wen nicht"
    fragte er. Letzten Endes stellte Avitus fest, dass er nach und nach dann doch einige Fragen hatte.