Beiträge von Lucius Artorius Avitus

    Avitus warf erneut.
    "Hnnng..."
    Das Pilum bohrte sich kraftvoll in den Pfahl, ungefähr auf der Höhe des Brustkorbs eines Menschen. Dann wandte sich der Artorier wieder zum Cyprianus.
    "Als jemand, der mit dir zusammen in Parthia gekämpft hat, denke ich, dass die Legionen dort..."
    also in Ägypten
    "...durchaus gut bedient wären, wenn man dich als praefectus hinschicken würde"
    Dann senkte er kurz den Blick.
    "Nun ja, ich bin eques"
    Dass er gleichzeitig Praefectus Castrorum war, war nichts aussergewöhnliches, wurde dieser Posten nicht selten mit Rittern besetzt.
    "Und habe vor, diese Tatsache nicht ungenutzt zu lassen. Mit anderen Worten... ja, ich hätte nichts dagegen, wenn es hieße, 'Karriereleiter empor'"
    Wer träumte nicht davon, ein Tribunat bei den Gardisten anzutreten oder eine Ala zu befehligen. Avitus selbst zog es nach Rom. Auch er war bereit. Aber wie Cyprianus so wusste auch Avitus, dass das in Rom wohl nichts zählte.


    "Wie kommt es, tribunus? Du hattest doch einst den ordo senatorius inne, hattest die Ämterlaufbahn in Rom beschritten. Was war der Grund, dies aufzugeben?"
    Immerhin schlossen sich militärische und politische Laufbahnen nicht aus, waren vielmehr verknüpft. Doch Avitus konnte sich gut vorstellen, dass die Betätigung auf dem Feld der Politik in Rom unbequem, kostspielig und - in einem System, wo Ritter mehr und mehr wichtige Positionen innehatten und der Senat dafür umso mehr zu einem, zumindest im Angesicht des Kaisers, Ja-Sager-Verein degradiert wurde - nicht gerade befriedigend war.

    Avitus war dankbar um den Hinweis des Praefekten.
    "Durchaus"
    sagte er auf seinen Einwurf hin.
    "Die Hilfstruppen mochte er vernachlässigt haben, in verwaltungstechnischer Hinsicht zumindest. Der Flotte jedoch hat er umso mehr Aufmerksamkeit geschenkt, als er ihr Struktur gab und sie neu ordnete. Neue Schiffe, neue Taktiken, neue Struktur. Und auch hier das bewährte Prinzip der Abgabe der unmittelbaren Befehlsgewalt an geeignete Personen als Bindeglied zwischen sich und den milites"
    sagte Avitus.
    "Und bevor der Einwand kommt, es habe an großen Häfen für die Flotte gefehlt, so wie sie zum Beispiel Claudius oder Traian in Ostia haben anlegen lassen, sei daran erinnert, dass die Konzentration der Flotte in einem einzigen Stützpunkt nicht die Absicht gewesen war"
    Wobei Avitus davon ausging, dass die Gründe dafür allen bestens bekannt waren und er sie deshalb nicht miterwähnte.

    Avitus zählte das Geld ab, während er hörte, dass er selbst schreiben musste. Nun ja, war irgendwo sogar verständlich. Würde ein ziemliches Chaos geben, wenn hier mehrere Prüflinge gleichzeitig anfingen, ihren Scribae zu diktieren. Dass der Magister allerdings von einer Vertretung sprach - Avitus hätte den Scriba eher als 'Werkzeug' bezeichnet - war irgendwie verwirrend. Womöglich hatte er ihn falsch verstanden. Egal. Er legte das Geld auf det Tisch.
    "So, hier das Geld. Ich denke, ich werde mich gleich mal ans Werk machen"
    sagte er und setzte sich nach Erhalt der Unterlagen an den Tisch, streckte sich kurz, knackte die Fingergelenke und begann mit der Bearbeitung...


    Zeit verging...



    Noch mehr Zeit verging...



    Doch dann...


    Müde, aber recht zuversichtlich sammelte Avitus seine Kritzeleien. Hoffentlich würde der Prüfer seine Handschrift lesen können. Er ging zum Tisch des Decimers.
    "Durchaus fordernd"
    sagte er ehrlich.
    "Aber ich denke, ich wär so weit"
    fügte er hinzu und gab die Unterlagen dem Magister Iuris.

    Avitus stützte sich mit den Kinn auf die Faust, den Arm mit dem Ellbogen auf dem Tisch.
    "Ja. Da ist was dran"
    pflichtete er dem flavischen Centurio bei.
    "Allerdings... militärische Kompetenzen an Personen abzugeben, die man für geeignet hält, halte ich nicht unbedingt für einen Nachteil, auch im Hinblick auf die Moral und die Beziehung der milites zum imperator nicht. Gerade hier haben die Nachfolger von Augustus gelernt, nicht hätte er etwas von seinen Nachfolgern lernen können. Die Erfahrung und die Geschichte hat uns gelehrt, dass gerade in dem ausgewogenen Verhältnis eines Kaisers zum Militär und zu den anderen Bereichen des Reiches der Schlüssel zum Erfolg liegt"
    sagte er dann.
    "Man darf nicht vergessen, dass im exercitus hunderttausende milites dienen und in der Zeit des Augustus waren es 28 Legionen, die im Felde standen. Anspruch darauf zu erheben, stets vom Kaiser persönlich befehligt zu werden, also so, dass er stets vor Ort wäre, dürfte die Möglichkeiten - selbst die eines Augustus - übersteigen"
    Avitus nahm einen Schluck Wasser.
    "Und dass Augustus was an seinen Legionen und an den milites lag, zeigt zum Beispiel seine Reaktion auf die die Niederlage und den Verlust dreier Legionen in Germania. Nie ist er über diesen Verlust hinweggekommen und nie wieder wurden Legionen mit den Zahlen XVII, XVIII und XVIIII versehen"
    Er blickte in die Runde.
    "Was die donativa angeht. Das mag sein, dass diese unter dem Principat des Tiberius zu einem regelmäßigen Ereignis wurden. Augustus war es aber, der erstmals die Dienstzeiten und die Besoldung der milites in den Legionen regelte. Es war also ein Prozess, der seine Zeit brauchte. Auch Rom wurde nicht an einem Tag erbaut. Und ob ein Donativum als fester Bestandteil der Besoldung mehr Vorteile als Nachteile gebracht hat, wage ich zu bezweifeln"
    Gerade die Donative bewiesen, wem oder was sich die Milites wirklich verbunden fühlten... Nicht, dass Avitus persönlich an diesen Geldgeschenken etwas auszusetzen hätte.

    Avitus blickte zum Tisch.
    "Ich habe vorher allerdings einige Fragen"
    sagte er.
    "Der cursus kostet sicherlich. Ich nehme an, dass die Gebühr wie bei den anderen Angeboten der schola 500 Sesterzen beträgt?"
    fragte der Artorier. Geld hatte er dabei, wusste aber nicht, ob es ausreichte.
    "Gibt es ausserdem noch eine bestimmte zeitliche Vorgabe?"
    Avitus konnte sich gut vorstellen, dass eine bestimmte Zeit vorgegeben wurde, in der man die Prüfungsunterlagen abgegeben haben musste. Da aber andererseits jeder verschieden schnell arbeitete und verschieden schnell schrieb, konnte er sich auch irren. Unter Zeitdruck zu stehen, würde die Prüfung natürlich nicht unbedingt einfacher machen.
    "Und muss ich selbst schreiben oder kann ich einem scriba diktieren?"

    Avitus kam persönlich vorbei. Hätte er gewusst - zum Beispiel weil er darauf angesprochen worden wäre - dass Tribunus Annaeus sich hier ebenfalls anmelden wollte, hätte er es ihn natürlich mit angemeldet. So aber blieb ihm nur, sich um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern.
    "Salve. Ich bin Lucius Artorius Avitus, praefectus castrorum der legio Prima"
    stellte er sich - etwas zu formell, wie er selbst fand, aber war ja nun ausgesprochen und nicht mehr zu ändern - vor.
    "Ich würde gerne den cursus iuris machen"

    Avitus erwiederte die Begrüßungen der Anwesenden. Drei Mann von der Prima, ein Magistrat. Die Begrüßung des Cyprianus erwiederte er mit einem
    "salve, tribunus"
    die des Aristides erwiederte er mit einem
    "salve et tu, centurio"
    und die des Flottenpraefekten schließlich mit einem von einem Nicken begleiteten
    "praefectus..."
    Dem verspäteten Magistraten - wohl ein angehender Legatus Legionis - nickte er ebenfalls zu. Offenbar hatten diesen die, wie sich Avitus gut vorstellen konnte, zahlreichen Pflichten als Magistrat und Priester aufgehalten... Dann blickte der Artorier zu Macer, sich fragend, wie genau sich diese Prüfung gestalten würde.

    Avitus trat ein, sein Blick glitt zum Kommandeur.
    "Salve. Ich bin Lucius Artorius Avitus, praefectus castrorum der legio Prima"
    stellte er sich vor und reichte dem Senator die Hand.
    "Eine Freude und Ehre, endlich die persönliche Bekanntschaft des Kommandeurs der academia zu machen"
    sagte er. Dann suchte er sich einen Platz, ohne viel darüber nachzudenken, welchen er wählen sollte, nahm einfach den nächstbesten und goß sich etwas Wasser in den Becher.
    "Ich habe gehört, die academia hat einen neuen zweiten Kommandeur. Ein praefectus Annaeus"
    sagte er. Avitus kannte einen Praefectus Annaeus von Germania her, als ihm, der damals noch Optio war, der damalige Befehlshaber der Rheinflotte persönlich Zeit gewidmet und Unterricht im Bogenschießen erteilt hatte. Avitus trank einen Schluck.
    "Liege ich richtig in der Annahme, dass es sich um den praefectus Annaeus handelt, der vor einigen Jahren die classis Germanica befehligte?"

    Avitus ließ sich auf einer Kline im Atrium nieder, schaute sich im Atrium um, während leichte Speisen und Getränke serviert wurden. Medeia hatte Geschmack bewiesen. Und ein kleines Vermögen ausgegeben, um hier in Rom dieses Haus zu erwerben und so einzurichten.
    "Du bleibst lange, Herr?"
    "Das weiß ich noch nicht"
    sagte Avitus.
    "Ich bin hauptsächlich hier, um mein examen tertium zu machen. Das findet in zwei Tagen statt. Bis dahin... nun ja"
    Avitus hatte die letzten Jahre, viele Jahre, in der Castra verbracht und das Leben in der Stadt erschien ihm irgendwie fremdartig, ungewohnt.


    "Das wichtigste zuerst. Sind die sterblichen Überreste meines Sohnes angekommen?"
    fragte er.
    "Ja, Herr. Alles ist erledigt worden. Sie sind in der letzten Ruhestätte der Atorier aufbewahrt. Hier ist ein Brief deines Vetters aus Germania"
    Archias reichte seinem Herrn den Brief. Avitus öffnete ihn nicht, wollte die Zeilen im Anschluss an dieses Gespräch in der Abwesenheit des Personals zur Kenntnis nehmen.
    "Gut. Das hast du gut gemacht"
    "Nicht der Rede wert, Herr. Es tut mir leid um den Verlust deines Sohnes"
    sprach der Freigelassene dem Artorier sein Beileid aus. Avitus blickte zu Archias.
    "Ja, ja ich weiß"


    Dann wechselte er das Thema.
    "Diese Sklaven.... taugen die was?"
    fragte er.
    "Eigentlich schon. Hier war es ruhig in den letzten Monaten, das kannst du dir vorstellen. Gelegentliche Besuche, darunter auch die von den aquarii des curator aquarum, die wir aber bisher abwimmeln konnten. Ich fürchte, auf lange Sicht kommt man um die Abrechnung nicht herum. Bisher haben die Kulanz bewiesen, aber... wer weiß, wie lange das noch so geht"
    "Gut, ich weiß dann bescheid"
    sagte Avitus.
    "Notier das"
    sagte er und Archias machte einen Vermerk in dem Notizbuch.
    "Was noch? Gab es Briefe von Commodus?"
    "Nein, Herr. Wir haben lange schon nichts mehr von ihm gehört. Wir wissen nicht mal, ob er weiß, was mit der domus passiert ist..."
    Archias berichtete weiter und Avitus hörte zu, aß währenddessen, ließ den Freigelassenen gelegentlich Notizen machen, so dass sich das Notizbuch langsam mit Terminen füllte. Er wollte später schauen, was davon gestrichen oder aufgeschoben werden konnte und was dringend erledigt werden musste... Irgendwann winkte er ab
    "... später..."
    und stand auf. Archias zog sich diskret zurück, die anderen Sklaven verließen auf ein Zeichen von ihm das Atrium. Avitus brach das Siegel des Briefes von Reatinus auf und begann zu lesen.

    "Ja, allerdings, das examen tertium ist wohl eine weitere Hürde auf dem Weg nach oben"
    sagte Avitus, der hier noch nicht ahnte, dass ihn der Legatus für die Praetorianer empfehlen würde.
    "Du willst in den Kaiserpalast versetzt werden? Oder in eine Provinz"
    Da man als Ritter zwischen der zivilen und militärischen Laufbahn 'beliebig' wechseln konnte und der Tribun eben sprach, wie ungerne er sich der Lebensgefahr aussetzte, nun, wo er eine Familie hatte, war diese Frage nicht ungerechtfertigt. Allerdings...
    "Oder sehen wir dich bald an der Spitze einer ägyptischen legio als praefectus legionis?"

    "Das werde ich"
    sagte Avitus. Er war bei den Legionen groß geworden, hatte in zwei gedient und es vom Miles zum Praefectus gebracht. So etwas vergaß man nicht so leicht.
    "Aber es ist für derlei Versprechen noch etwas zu früh"
    sagte er dann.
    "Warten wir ab"
    was auf die Empfehlung entgegnet wird... aber das sprach er nicht aus, hoffte auf das Beste, erwartete das Schlimmste.


    edit:
    "Ach ja... Ich wurde von der academia militaria zum colloquium eingeladen"
    fügte er noch hinzu, ehe er es vergaß.
    "Ich muss bald nach Rom aufbrechen. Ich wollte, dass du bescheid weißt. Der primipilus und der tribunus Annaeus könnten mich solange vertreten. Vorausgesetzt, du traust es letzterem zu..."

    Nachdem Livius ihn so weit hatte, dass er zusagen musste, sich den Brief mal durchzulesen und zu sehen, was da überhaupt im Gange war, überflog Avitus die Zeilen, kratzte sich kurz am Kinn, ließ sich dann Schreibzeug bringen und setzte seinen Namen drunter. Dann überlegte er, Livius von dem Latrinendienst zu befreien, schließlich hatte er sich tatsächlich mal als uneigennützig bewiesen. Doch den Gedanken verwarf Avitus wieder. Man wusste nie, wann sich wieder so eine Gelegenheit ergeben würde.


    An die Redaktion der Acta Diurna
    Rom


    Mit grosser Empörung haben wir, allesamt Soldaten der Legio Prima Traiana Pia Fidelis, in der letzten Acta in dem als "Frühlingsmärchen" titulierten Artikel die abfälligen Worte über unsere Leistungen, und die unserer Waffenbrüder der anderen Legionen an der Front in Parthia gelesen. Da wird erbittert über den herzlichen Willkommensgruss, den die Zeitung Imago anläßlich unserer Heimkehr auf die Titelseite gesetzt hat, hergezogen, da werden der Sieg von Edessa, die Erstürmung Circesiums, die Verteidigung Armeniens und unserer Grenzen im Osten gerade mal so lapidar als wohl kaum triumphal herabgewürdigt. Die Rückkehr der Legio Prima aus dem Krieg, die Ankunft in Italia, war der Acta hingegen wohlgemerkt keinerlei Notiz wert.
    Mag diese tendenziöse Schreibe auch dem Zweck dienen, ein konkurrierendes Blatt mit aller Häme zu treffen, so ist solch eine Polemik der kaiserlichen Zeitung doch in keinster Weise würdig!
    Jener Schreiber, der wohl kaum in seinem Leben ein Schlachtfeld von weitem gesehen hat, jener Mann, der in seiner Stube im sicheren Rom solcherlei Schmähungen verfasste, sollte sich besser auf den Patriotismus besinnen, der Rom gross gemacht hat. Er sollte nur einmal der Soldaten gedenken, die auf den Schlachtfeldern des Ostens ihr Leben gaben, um den Feind in die Schranken zu weisen. Sie sind für die Sicherheit unseres Römischen Imperiums gestorben, und für unseren geliebten Imperator - möge er seinen Platz unter den Göttern finden - aber auch für einen jeden Bürger des Reiches. Mit Fug und Recht sind sie als Helden zu bezeichnen, und jener Schreiber möge es sich zweimal überlegen, bevor er das Andenken unserer gefallenen Kameraden auf solch plumpe Weise verächtlich zu machen sucht!



    Die Soldaten der Legio Prima Traiana Pia Fidelis:
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    F. Decimus Serapio, Optio

    Q. Marius Musca, Miles
    Sp. Luscius Silio, Miles
    X X X (S. Velius Rupus, Miles)
    L. Antius Dasius, Miles
    Ser. Seius Nasica, Miles


    K. Caecilius Macro


    Marcus Iulius Sparsus
    Optio, I Kohorte II Centurie


    Livius, librarius praefecti castrorum


    M. Iul. Lic., optio ad spem ordinis


    Caius Valerius Tacitus


    Gaius Tiberius Andronicus
    Duplicarius, I Turma


    Lucius Ovidius Agrippa
    Decurio, I Turma


    Optio Tallius Priscus, Coh IX, Cen IV


    A. Bavius Cat., Leg. I.


    Tiberius Artorius Imperiosus
    Centurio, IX Kohorte IV Centurie


    Miles Gnaeus Aburius Marcellus
    I Kohorte I Centurie


    L. Artorivs Avitvs praefectvs castrorvm


    Q. Tiberius Vit., Leg. I.

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    Lange musste Livius auf den Artorier einreden. Sprüche wie
    "Aber praefecte, da schreibt irgend so ein Zivilist so schlecht über uns und du willst deine Unterschrift nicht unter den Protestbrief setzen?"
    oder
    "Also eigentlich dachte ich, du würdest wie die anderen denken"
    oder
    "Die anderen haben unterschrieben. Du willst doch nicht, dass die denken, du willst sie nicht unterstützen. Sie könnten denken, dass du hochnäsig geworden bist und vergessen hast, was Korpsgeist ist"
    musste Avitus über sich ergehen lassen, bis er schließlich einlenkte.
    "Also gut, also gut. Ich schau mir das bei Gelegenheit an. Zufrieden? Jetzt zurück an die Arbeit mit dir und lass mich in Ruhe"
    Livius grinste. Das klappte doch jedes Mal. Er fühlte sich wie der eigentliche Herrscher dieses Officiums. Geh deinem Vorgesetzten lange genug auf die Nerven - nicht ohne dich vorher unentbehrlich zu machen - und du hast ihn genau da, wo du ihn haben willst.
    "Ja, praefecte. Zu Befehl"
    sagte er zufrieden und ging wieder seinen Aufgaben nach, blieb aber an der Türschwelle stehen, als ihn Avitus nochmal ansprach.
    "Ach, Livius..."
    Er drehte sich um.
    "Ja?"
    "Ich werde bald nach Rom aufbrechen. Die ersten zehn Tage in meiner Abwesenheit hast du Latrinendienst... wegtreten"
    Scheiße... Livius fühlte sich überrumpelt, war empört. Der Alte lernte dazu. Schlecht gelaunt machte sich Livius an die Arbeit, während Avitus froh war, endlich eine Gelegenheit gefunden zu haben, dem Großmaul endlich mal eins auszuwischen. Er fühlte sich gut. Zum ersten Mal hatte er Livius so richtig ausmanövrieren können. Sein Lachen aus dem Innern des Officum war für Livius unüberhörbar gewesen.



    Nach einer schnellen Reise ohne Zwischenfälle und unnötige Pausen hatte Avitus eines Morgens Rom am Horizont erblickt. Einer Wegbeschreibung folgend suchte er das Haus, das ihm und den anderen Artoriern fortan als Heim dienen würde, gespannt darauf, ob es ihm zusagen würde. Er klopfte an die Tür, die sogleich geöffnet wurde. Ein etwas gelangweilt wirkender IANITOR schaute ihn an. Er kannte Avitus nicht und Avitus kannte ihn nicht. Medeia hatte die Domus erworben, ihr gehörte sie samt den Sklaven von Rechts wegen.
    "Ja?"
    Avitus hielt dem Sklaven seinen Ring unter die Augen.
    "Tritt beiseite"
    Irgendwie schien es wie verhext zu sein. Jedesmal, wenn er daheim ankam, musste er sich bei irgendwelchen Sklaven rechtfertigen, sich zu erkennen geben. Damals der kleinwüchsige Wicht, den Medeia in ihrer Nähe duldete, heute dieser Ianitor. Doch die würden ihn schon kennenlernen. Avitus trat herein, ließ sein mitgeführtes Gepäck reinbringen.
    "Artorius, Herr, willkommen daheim. Wir haben dich erwartet. Archias hat deine Ankunft angekündigt"
    grüßte ihn der Ianitor, den Blick nun respektvoll gesenkt. Den strengen Blick des Avitus richtig deutend, ahnte er, dass - zumindest in den nächsten Tagen - ein neuer Wind wehen würde in der Domus Artoria. Die Ankunft hatte Avitus vorher angekündigt, sie war also keine große Überraschung für die Sklaven.
    "Lass die Haussklaven wissen, dass ich nun da bin. Sind alle da? Ich hoffe für euch, dass niemand so töricht war, zu denken, er kann die lange Abwesenheit eines von uns dazu nutzen, sich eigenmächtig für 'frei' zu erklären und das Weite zu suchen"
    "Nein, Herr. Wir sind nicht viele, aber dafür alle vollzählig. Niemand ist geflohen, Herr. Niemand war so dumm"
    Sie hatten ja auch ein tolles Leben gehabt. Nur einige Sklaven in einer Domus, die bisher leerstand. Einzig Archias war da, ein treu ergebener Diener des Avitus, schlich wie ein Schatten durch die Domus und sorgte, wenn nötig, für Ordnung. Schon jetzt vermissten sie dieses bequeme Leben.
    "Lasse ARCHIAS ins atrium kommen. Und dann geh auf deinen Posten"
    "Ja, Herr"
    sagte der Ianitor und machte sich auf, dem Befehl Folge zu leisten. Vorbei war es mit der Bewegungsfreiheit, ab heute würde er den Tag neben der Eingangstür verbringen. Die Tage, in denen hier niemand war, der ihnen Vorschriften gemacht hatte, waren einfach zu herrlich gewesen. Er hatte Blut geleckt. Und hoffte, der Artorier würde nicht lange bleiben. Er war Soldat, würde also früher oder später abhauen.

    Avitus grinste leicht.
    "Wer schon..."
    sagte er.
    "Aber ich verstehe dich. Du hast ein Weib, das daheim auf dich wartet. Ein Kind vielleicht..."
    bei diesen Worte verstummte Avitus für einen Augenblick. Er hatte niemanden. Die Mutter von Severus, seinem Jungen, hatte er vor Jahren verlassen und Severus selbst war gestorben und mit ihm etwas in Avitus. Hätte er diese Nachricht vor einer Schlacht in Parthia bekommen, er hätte sich in das Schwert eines Feindes gestürzt. So aber bewiesen die Götter einmal mehr ihre Grausamkeit, indem sie ihn erst haben davon erfahren lassen, als keine Schlacht mehr anstand, nahmen ihm so die Möglichkeit auf einen Blutrausch und einen ehrenvollen Tod im Kampfe. Was nützte es, dass er lebte, wenn niemand da war, der ihn beerben könnte.
    "Ja, ich verstehe dich nur zu gut, tribunus"
    Er nahm ein weiteres Pilum und warf einen Blick hinüber zu einer Centurie, die in voller Rüstung trainierte. Sogar der Centurio war in voller Rüstung. Kampfformationen, schnelle Wechsel, Vorpreschen und Zurückweichen. Und das alles unter den erbarmungslosen Schreien und gelegentlichen Hieben mit der Vitis des Centurio. Avitus erinnerte sich, wie er selbst so auf dem Campus stand, meist in voller Rüstung, und die Probati und Legionäre drillte, von ihnen alles abverlangte. Ja, als einfacher Soldat hatte man es nicht leicht.
    "Sie sie dir an... ja, er hat es nicht leicht, der miles gregarius"


    Dann wechselte er das Thema.
    "Die Einladung zum colloquium ist gekommen, hast du es schon mitbekommen? Von der academia. Du, ich und der Flavier sollen hin"
    Selbst also, wenn sie zu unterschiedlichen Zeitpunkten aufbrachen, würden sie sich in der Akademie wiedersehen. Aristides hatte aber auch Pech. Verletzt war für ihn der Weg von seiner Unterkunft bis zur Principia schon eine Anstrengung. Eine Reise nach Rom würde da auch kein Spaziergang werden. Er würde wohl als erster aufbrechen müssen. Avitus konnte sich noch einige Tage Zeit lassen. Seine Wunde am Bauch war verheilt, nur eine Narbe war zurückgeblieben, aber er war wieder voll da, konnte eine Reise, wie die nach Rom also ohne große Anstrengungen hinter sich bringen.



    Sim-Off:

    ich hoffe, ich bringe jetzt keine Zeitebenen durcheinander mit dieser Frage, aber es ist auch wie verhext mit Zeitebenen, die in verschiedenen Städten spielen

    "Ach was. Als centuriowar ich nur dem legatus unterstellt. Als tribunus bist du es auch. Ich sehe da keinen Unterschied. Was macht es, wieviele da sind, die einen rumkommandieren. Irgendjemand ist ja immer da, der einen rumkommandiert"
    sagte Avitus schulterzuckend.
    "Was die unterschiedliche Lebensdauer von centuiones und tribuni angeht, hast du allerdings recht. Aber die Mutigsten sind stets die Ersten, wenn's ans Sterben geht"
    sagte er.

    Avitus nahm ein zweites Pilum.
    "Ja"
    sagte er, während er das Pilum wog.
    "Ja, in der Tat. Wenn ich an den Feldzug denke. Daran, wie es war, vorne zu stehen, ganz vorne, mit dem scutum und dem pilum bewaffnet, den Feind vor Augen und die eigene Einheit im Rücken... ha, bei Mars und Minerva"
    Er warf erneut. Ein Wurf, nicht ganz so präzise wie der erste, aber immer noch traf er den Pfahl mit großer Wucht.
    "... nie hatte ich mich lebendiger gefühlt, nie war ich mehr Soldat"
    Als Primipilaris und Lagerpraefekt mochte man ein großes Ansehen genießen in der Legion. Aber es war eine undankbare Aufgabe, die Verwaltungstätigkeit.
    "Was ist mit dir? Auch du hast doch einst die caligae getragen"

    Ein Tribunat bei der Garde... Avitus stockte kurz, senkte den Blick.
    "Was soll ich sagen..."
    Seit seinen ersten Tagen beim Militär hatte er davon geträumt, in die Reihen der Praetorianer einzutreten, hatte sie so sehr beneidet, diese Soldaten mit dem Scorpion in ihrem Signum, hatte sie gehasst, als sie Milites anwarben und ihn stets übergingen und bewundert, wenn er sie in ihren etwas archaisch anmutenden Helmen und Ovalen Schilden aufmarschieren sah.


    Und nun rückte dieses scheinbar unerreichbare Ziel tatsächlich in so etwas wie greifbare Nähe.
    "Das wäre ein großer Schritt für mich, legatus. Ich fühle mich geehrt, dass du das für mich tun willst"
    sagte er. Ob man der Empfehlung entsprach, blieb abzuwarten, aber... zumindest einer, sein Legatus, war der Meinung, dass er es wert war, in ihre Reihen einzutreten.

    "Du lässt nach, tribunus"
    sagte Avitus leicht lächelnd, der den Terentier bei seinen Bemühungen mit dem Pilum beobachtet hatte. Er konnte ja auch gut reden, lag seine Zeit als Centurio und damit als Mann in der Schlachtreihe nicht so lange zurück, wie bei Terentius. Und wenn Avitus etwas konnte, dann war es mit den Waffen eines Legionärs umzugehen.
    "Vielleicht sollte ich meine Stellung als praefectus dazu missbrauchen, dich für ein paar Stündchen bei einem centurio einzuschreiben. Oder einen gedienten gladiator einstellen, der sich fortan um unsere tribuni kümmern wird. Was sagst du?"
    sagte er 'semi-ernst' und nahm sich ein Pilum, wog es in der Hand. Jetzt hatte er sein Maul aufgerissen, nun musste er beweisen, dass er nicht bloß Reden halten, sondern diesen bei Bedarf auch Taten folgen lassen konnte. Mit Kraft und - in jahrelanger Übung erlernter - Präzision warf er das Pilum, das sich in einen etwas entfernt stehenden Pfahl bohrte. Ja, da kam der Primipilus zum Vorschein.