Damals, in Germania, hatte Avitus einen Traum. Einen schrecklichen Traum, aus dem er schweißgebadet aufgewacht war und das ganze Contubernium durch sein Geschrei aufgeweckt hatte. Er sah, wie er von Barbaren getöten wurde, niedergestreckt durch ein Schwert der Feinde. Doch am Ende sah er, wie er selbst es war, der sich mit dem Schwert niederstreckte. Ein zweites Ich war es. Doch er hatte Germania überlebt. War älter geworden und nun in Parthia. All diese Jahre hatte er diesen Traum verdrängt, hatte versucht, ihn zu vergessen, nicht über seine Bedeutung nachzudenken.
Bis heute...
Post hatte sie erreicht und eine Acta Diurna Ausgabe war dabei. Ganz beiläufig hatte Avitus sie überflogen, bis eine kleine, unscheinbare Notiz seine volle Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein Name. Sein Name. Artorius. Cnaeus Artorius Severus... sein Sohn. Sein Sohn bei der Legion in Germania. Eiskalt wurde es Avitus in diesem Moment und er erblasste sogar. Trat hinaus aus seinem Zelt, in senen Gedanken verloren, irrte er durch die Gassen, merkte gar icht, wie er sich unbewusst den Zeltreihen der ersten Kohorte näherte.
Sein Sohn bei der Legion. Dieser dumme, verzogene Bengel. Avitus wusste um das gespannte Verhältnis zwischen ihm und Cnaeus. Dass es so gespalten war, hatte er nicht geahnt. Und befürchtete nun, dass der Traum Wirklichkeit werden könnte. Dass er es zugelassen hat, das sein Sohn als gemeiner Soldat im fernen Germania Dienst tat. Dass er im Traum nicht ein zweites Ich gesehen hat, sondern sich selbst aus denAugen seines Sohnes, seines sterbenden Sohnes, der fallen würde durch das Schwert eines Barbaren. Sein Blut... an den Händen irgendeines Germanen.
Nein, dazu durfte es nicht kommen. Cnaeus war viel zu jung. Verdammt, der Junge war kaum erst sechzehn Jahre alt. Hatte bei seiner Probatio bestimmt ein falsches Alter angegeben. Avitus war wütend und besorgt zugleich. Er hasste diesen Traum, hatte ihn schon immer gehasst, schon immer gefürchtet. Weil er Angst hatte vor seiner Bedeutung, Angst davor, dass etwas Schlimmes auf ihn wartete. So schwierig Cnaeus auch war, er war sein Juge, sein Fleisch und Blut.
So schritt Avitus, in Gedanken vertieft, merkte zunächst gar nicht, dass er von einem Miles angesprochen, blickte ihn an. Der decimer. Verdammt, der Bengel war nicht viel älter als Cnaeus.
"Decimus Serapio..."
An die Namen der Milites der Erste Kohorte erinnerte sich Avitus. Kannte sie alle.
Ob er Zeit für den Jungen hatte. Musste etwas wichtiges sein, dass er ihn direkt ansprach. Avitus versuchte, seineGedanken zu ordnen, wollte icht unaufmerksam erscheinen oder gar angeschlagen. Ein abergläubiger Primipilaris, ein Praefectus, der sich vor einem Traum fürchtet. Oh ja, das würde den Milites bestimmt Mut machen.
"Gewiss miles, worum geht es?"
sagte er, setzte sich aber in Bewegung, die Via Principalis entlang... Er ahnte fast, worum es ging.