Beiträge von Servius Artorius Reatinus

    Die Wachmänner erblickten den Germanicer, als dieser auf sie zumarschierte und sie grüßte. Mit einem Nicken erwiderten sie den Gruß von Sedulus und schickten Burrus mit einem leichten Schubser in den Rücken vor, sich des Zivilisten anzunehmen. Er war der Kleinste in der Gruppe. "Ich muss auch immer die Drecksarbeit machen... na die erleben noch ihr blaues Wunder... irgendwie werde ich schon noch größer als die. Muss nur gaaanz fest dran glauben...", motzte der kleiner gewachsene Wachmann erboßt.


    "Salve!", grüßte er Sedulus anschließend richtig, wobei seine Stimme ein wenig ernüchtert klang, "Kannst rein kommen! Einfach nur entlang der Via Preatoria. Geradeaus geht´s zur Principia! Dort ist das Officium des Tribunus Laticlavius!".

    "Heute stirbst du nicht, Artorius...".


    Ja, immer wieder murmelte sich Reatinus diese Worte zu. So auch in dieser Situation, als er hinter seinem Scutum Deckung vor den Steinen suchte, die zuhauf auf die Legionäre niederprasselten. Diese Worte gaben im Kraft, beruhigten ihn und ließen ihn einen kühlen Kopf bewahren. Die beruhigende Wirkung war ihm am Wichtigsten. Es klappte einfach immer und überall. Und wer die Ruhe hatte, hatte die Kraft, über seinen eigenen Schatten zu springen, war Reatinus´ Überzeugung.


    Urplötzlich verstummte das Scheppern auf den Schilden, welche die Steine hervor riefen. Der Optio ergriff die Gelegenheit, um flüchtig über die Testudo hinaus zu spähen und sich ein Bild über die Lage zu machen. Auf einmal war niemand mehr zu sehen. Waren es doch keine Waldräuber, sondern etwa Gespenster? Waren sie vielleicht tatsächlich auf die berüchtigten Furien oder andere bösartige Geisterwesen gestoßen? "Ach, was für ein Abgerglaube...", beruhigte sich Reatinus. Trotzdem fiel er manchmal darauf rein. Man konnte ja nie wissen, was für Gestalten auf der Welt wandelten.


    Zu schön um wahr zu sein war die Vorstellung mit den Gespenstern. Auf einmal ertönten unzählige Schreie aus dem Wald, welche einem durch Mark und Bein glitten. Haarige, wilde... Bestien stürmten auf die Soldaten zu. Doch sie waren letztlich verzweifelt und hatte keine andere Wahl, als einen aussichtslosen Kampf zu beginnen. Der Angriff aus dem Hinterhalt war ihr einziger Vorteil. Den konnte man doch irgendwie zunichte machen...
    Die Testudo wurde vom Centurio aufgelöst. Er reagierte rechtzeitig, denn jetzt war die Zeit gekommen für den blutigen Kampf. So schnell wie sie da war, verschwand die nützliche Anti-pfeil-formation. Es würde schwer werden, in dieser Lage überhaupt zusammen zu bleiben. Angriffe von allen Seiten, von Männern, die bedrohliche Äxte schwangen und im Moment nichts anderes als das Töten im Sinn hatten.


    Reatinus musste nicht lange auf seinen ersten Feind warten, der völlig unbedacht seiner eigenen Sicherheit Angriff. Ein lauter Kampfschrei ertönte, doch Reatinus ließ sich nicht einschüchtern. Er stellte sich einfach vor, dass nichts dahinter steckt. Das wäre schön gewesen, wenn es wirklich so wäre. Der Optio hatte große Mühe, standzuhalten, denn der Räuber schwang seine Axt schnell und mit kräftigen Hieben. Geduldig wartete Reatinus, bis er sich verausgabte, doch es war eine Herausforderung, die Schläge zu blocken. Ein Schlag nach dem anderen schepperte auf des Optios Scutum. Das Scutum war wohl Qualitätsarbeit. Obwohl mehrere Schläge das Material durchbrachen, hielt das schützende Schild stand. Der Räuber geriet ins Schwitzen und wankte, konnte nicht mehr lange. Bis Reatinus nun seine Chance sah. Die Schlage waren langsam und schwach geworden. Keuchend hörte Reatinus´ Gegner auf zu kämpfen und kam kurz zur Ruhe. Er war überströmt mit Schweiß von der Anstrengung und in der Annahme, Reatinus wäre zu ernsthaften Schaden gekommen und könne nicht kontern. Schnell wie ein Schlangenbiss bohrte sich Reatinus´ Gladius in den Hals des verausgabten Plünderers und führte dem Räuber seinen tödlichen Fehler vor Augen. Mit einem schmerzerfüllten Gurgeln und Röcheln fiel er zu Boden. Er nahm nichts mehr wahr. Nicht einmal seine Kameraden, die kämpften und ebenfalls fielen. Der Mann verstarb innerhalb einiger Sekunden mit offenen Augen. Warscheinlich wusste er nicht einmal, was seinem Leben ein Ende setzte. Tragisch, dachte Reatinus. Doch er war Soldat, und das gehörte zu diesem Beruf dazu. Außerdem waren es Räuber und Wilde. Sie haben schon zuhauf getötet und hätten ihrerseits nicht bei Reatinus gezögert... obwohl Reatinus schon so manchmal töten musste, empfand er es als schrecklich. Immer und immer wieder.


    Weiterhin auf alles gefasst ging Reatinus in Stellung...

    Reatinus nickte. Wenn der Mann Ambitionen hatte, zu den Reitern zu gehen, wollte Reatinus nicht die alleinige Entscheidungsgewalt übernehmen. Es war die Sache des Legaten, den er diesbezüglich aufzusuchen hatte. Auf einer kleinen Wachstafel notierte sich Reatinus den Wunsch des frischgebackenen Legionärs, um nur nicht zu vergessen, den Legaten zu fragen.


    Als er fertig geschrieben hatte, blickte der Centurio auf. "Ich werde den Legaten deswegen aufsuchen. Du bist ein guter Soldat, deshalb werde ich dich zu einer Versetzung zu den Reitern empfehlen.", meinte Reatinus und kam dabei selbst schon erfahren rüber. Kein Wunder, schließlich war er ja nicht erst seit gestern in der Legion...


    "Wenn es nichts mehr gibt, darfst du abtreten.", diesmal klang er bürokratisch, "Ich halte dich auf dem Laufenden."

    Reatinus drehte sich spontan um, als er den Tribunen Terentius rufen hörte. Selbigen erblickte er sogleich, und hinter ihm ein fleißiges Schreiberlein mit einigen Listen. Warscheinlich waren wichtige Informationen drinnen, dachte Reatinus. "Salve, Tribunus Terentius!", grüßte der Centurio zackig und salutierte. Danach kam auch schon der Optio an, den Reatinus ebenfalls grüßte. "Salve, Optio!".


    Da Reatinus immer noch nicht genau wusste, was der ritterliche Tribun vor hatte, fragte er eben direkt nach. "Tribun, verzeih die Frage... doch warum hast du uns rufen lassen?". Er wollte unbedingt wissen, warum er die ganze Truppe musste antreten lassen. Es hatte garantiert einen guten Grund.

    Natürlich war der Sold eines einfachen Legionärs nicht gerade hoch. Doch man konnte damit gut leben, zumal man ja Essen und ein Dach über dem Kopf bekam. Andere mussten sich das selbst leisten und brauchten entsprechend mehr Geld. Doch auch war es eine Entscheidende Tatsache, dass ein einzelner Mann zwar wenig Geld bekam, doch die breite Masse der Männer einer Legion horrende Summen aus der Staatskasse verschlang. Reatinus wollte nicht wissen, wie viel Geld allein nur die Stabsoffiziere und Offiziere zusammen bekamen. Bei solch einer Tatsache konnte man doch nur freudige Luftsprünge machen, dass man als Centurio noch seinen recht großen Lohn einsackte.


    "Ja, aber eine Legion hat über 5.000 Mann... ich will mir nicht vorstellen, wie viel das wöchentlich für die Besoldung der Männer Geld aus der Staatskasse verschwinden lässt. Dann nehme man noch die zahlreichen Legionen, die an vielen Stellen im Reich stationiert sind und die Offiziere. Dagegen ist der Verdienst des Legaten ja noch bescheiden!", äußerte Reatinus. Schon erstaunlich, was für Ausmaße der einfache Gedanke eines Legionärslohnes haben konnte.


    Soso, der Tribunus Laticlavius war wirklich ganz anders, als Reatinus es sich vorgestellt hatte. Kein Pritschenhocker also... na immerhin, noch ein positiver Aspekt, den Reatinus in diesem Mann fand. "Dann wünsche ich euch viel Glück. Der Limes ist ein hartes Pflaster, pass auf dich auf, Tribunus.", wünschte der Artorier Glück. Schließlich grenzte der Limes an das Feindesland... unbekanntes Gebiet, wo man nicht lange sicher sein konnte. Schließlich gab es doch zahlreiche Übergriffe auf den Limes.

    Nachdem Reatinus seine Männer endlich über das Bevorstehende - was genau das war, wusste er nicht - informiert hatte, fand er sich letztendlich selbst schon an der Warenausgabe ein. Er war ein wenig neugierig, was der Tribun eigentlich wollte, zumal er Reatinus seine ganze Truppe hierher schleifen musste. Vielleicht war es Arbeit? Vielleicht war die Legion so großzügig, Waren an die Truppe abzugeben?
    Nun, es sollte sich bald herausstellen.

    ... wollte Reatinus die Männer sammeln. Erst seit Kurzem hatte er gesehen, dass er seine ganze 80 Mann starke Truppe an der Warenausgabe der Horrea zusammenscheuchen musste. Der Aufforderung des Tribunen folge leistend setzte sich Reatinus auf den Weg zu den Unterkünften und hakte ein Contubernium nach dem anderen ab. Auch Contubernium III war bald an der Reihe. Mit seinem typischen lauten Türknallen und der kräftigen, hühnenhaften Stimme ließ er die Befehle unter den Männern des Contuberniums verlauten. Diese konnten einem manchmal leid tun.


    "Alle Mann angetreten, ihr Waschlappen! Ich will euch in mindestens 5 Minuten an der Warenausgabe der Horrea sehen! Tribunus Laticlavius Terentius verlangt nach uns! Ich erwarte euch!".


    Noch nicht einmal waren die Worte im Raum verhallt, als der Centurio wieder die Tür hinter sich zuknallte und mit sicheren Schritten das nächste Contubernium aufsuchte. Obwohl dieses schon mitbekommen haben sollte, um was es ging.

    Der Centurio war sicherlich nicht begeistert, einen seiner fähigsten Männer unter den Frischgebackenen zu einer anderen Einheit versetzen zu müssen. Er nahm Platz und rieb sich nachdenklich das Kinn. Dabei merkte Reatinus, dass er sich wieder rasieren musste, bevor sein Dreitagebart unerwünschte Ausmaße erlangte.


    Nun gut. Er wollte den Terentier auf seinem Weg nicht aufhalten. Deshalb hatte er jetzt wohl einfach keine andere Wahl, als einen Reisenden ziehen zu lassen... leider.


    "Nun gut, wenn es dein Wunsch ist, Legionarius...", sprach Reatinus sich zurücklehnend, "... dann werde ich versuchen, dir einen Platz in der Reiterei zu verschaffen. Möchtest du zur Reiterei unserer Legion oder zu den Hilfstruppen?".

    Dass ein Legionär gegenüber einem Offizier so höflich war, verwunderte Reatinus ein wenig. Allerdings gab es keinen Grund, den Terentier jetzt wirklich wegzuschicken, wenn er schon da war. Da musste das Räucherfleisch eben einen Moment lang warten.
    "Nein, Legionarius. Wenn du schon hier bist, können wir deine persönliche Angelegenheit besprechen.", sprach Reatinus, trat zur Seite und bat Lupus mit einer Handgeste in seine Unterkünfte. Schließlich war es jetzt so wohlig warm im Officium. Reatinus wollte aufgrund der offenen Türe nicht wieder in einem kalten Zimmer hocken.


    "Also, was ist denn?", fragte der Artorier im Geschäftston.

    "Heute stirbst du nicht, Artorius...".


    Das war nun also der Angriff dieser fürchterlichen germanischen Räuber. Sie hatten sogar Pfeil und Bogen, einige waren auch mit germanischen Äxten bewaffnet, doch insgesamt war die Räubertruppe nur ein unorganisierter Haufen schlecht ausgerüsteter Bauern. Das Gegenteil der römischen Soldaten. Doch sie kannten sich hier aus. Die Legionäre waren auf unbekannten und vor allem feindlichen Gebiet... nichtsdestotrotz hatte Reatinus Germanen gesehen, die kräftigere Schreie aus ihren Kehlen hatten erklingen lassen. Ein Hinterhalt also... ganz wie Reatinus vermutet hatte.


    Die Pfeile sausten durch die Lüfte und vorne vernahm man schon Kampfschreie, als Reatinus in der nähe des Centurios in Stellung ging. Sein Adrenalinspiegel stieg und die Kampfbereitschaft schnellte bei ihm ins Unermessliche. Nur eines hatte Reatinus jetzt im Sinn... dem Treiben dieser räudigen Hunde ein Ende setzen. Sie waren wie die Pest, wie sie in dieser Gegend marodierten... der Gedanke daran gab Reatinus nur noch mehr Überlebenswillen. Rein instinktiv umklammerte sein Schwertarm das Gladius mit einem festen Griff.
    Reflexartig fing der Optio einige Pfeile mit seinem Scutum auf. Die Pfeile blieben im Schild stecken. Doch es war nicht genug Zeit, sie zu entfernen. Vereinzelt entbrannten hitzige Kämpfe, die schmerzenden Schreie verendender Räuber und einiger weniger Soldaten ersetzten die Nachtgeräusche, ließen diese Nacht von einer düsteren, gruseligen Nacht zu einem schrecklichen Schauspiel der Grausamkeit werden. Alles ging schnell, gerade noch schnell genug, um als Soldat rechtzeitig auf das zu reagieren, was hier an Pflichten bevor stand. Die Männer heil hier raus bringen... die Banditen "richten"... schwierige Aufgaben, aber nichts, was diese Soldaten nicht imstande waren, zu tun.
    Urplötzlich merkte Reatinus ein lautes metallisches Scheppern auf seiner Brust. Verblüfft und schockiert zugleich sah er hinunter. "Verdammte Scheisse!!", stieß er aufgeregt aus. Er fühlte keinen Schmerz...
    Zum Glück gab es auch keinen Anlass dazu. Ein Pfeil traf Reatinus inmitten der Brust, während er mit dem Scutum Pfeile abblockte. Der Pfeil hatte nicht genügend Kraft, um die Lorica Segmentata des Optios zu durchbrechen. Nochmal glimpflich davongekommen, dachte der Artorier schnell.


    Der Centurio hatte genau zur richtigen Zeit den richtigen Befehl gegeben. In einem beeindruckenden Akt der römischen Disziplin bildete sich eine Testudo, welche sogar relativ immun war gegen die Pfeile und Steine der Räuber. Wachsam ging der Optio hinter der Formation in Stellung und blickte sich nach Gegnern um...

    ... was der Centurio sofort vernahm. Mitterweile vollständig routiniert im Empfangen von Besuch sputete der Artorier zur Türe und erblickte den frischgebackenen Legionär aus der Gens der Terentier. Reatinus vergaß kurz sein herzhaftes, saftiges Stück Räucherfleisch, welches er gerade genoss. Er fragte Lupus anschließend ohne große Umschweife nach seinem Anliegen. "Salve, Legionarius! Was ist dein Begehr?".

    Natürlich bildete Reatinus auch aus. Schließlich war es seine Aufgabe, die Centuria bei voller Mannstärke und fit zu halten. Man musste ja was für die 450 Sesterzen Sold tun, die man als Centurio verdiente. Das Fünfzehnfache eines Legionärsgehalts. "Ja klar bilde ich aus!", lachte Reatinus. Danach schilderte er dem Tribunen, wie sich die Grundausbildung eines Probatus gestaltete. Abwechslungsreich in ihren Disziplinen, aber auch in ihrer Härte. "Chrashkurse gibt es übrigens nicht - jeder Legionär bekommt die gleiche Ausbildung. Keine halben Sachen. Jeder wird ausgebildet, bis er seine Fertigkeiten so entwickelt hat, um sie im Schlaf einzusetzen. Nur so lassen sich die Probati anschließend in die Truppe eingliedern. Übrigens werden die Legionäre auch desöfteren fortgebildet. Sie sollen mir ja nicht einrosten!".


    Reatinus sah dem Aurelier ins Gesicht. Symphatisch. Er sollte sein Bild bezüglich der senatorischen Tribune vielleicht wirklich ändern. "Das sind jedoch meine Angelegenheiten.", wandte Reatinus noch feststellend ein, "Deine Aufgaben werden wohl am Schreibtisch ablaufen, oder nicht?".

    Wachsam sah sich der Optio in alle Richtungen um, als er vom Centurio angesprochen wurde. Das war eine gute Frage, die Reatinus sorgfältig grübeln ließ. Sie durften sich keine Fehler erlauben. Ein Fehler kostete nämlich Verluste. Und als Offiziere war es eben die Aufgabe von Reatinus und Crispus, die Männer heil durch diese Situation zu bringen. Die Räuber schienen wohl doch nicht anzugreifen. Vielleicht eine Täuschung, um die Legionäre irgendwie eiskalt zu erwischen. Zumindest konnte Reatinus dem Centurio jetzt schildern, was er davon dachte.
    Sein Schwertarm war jedoch trotzdem bereit und seine Sinne geschärft... man konnte nie wissen, wann die Täuschungen sich zu einem wirklichen Angriff wandeln würden.


    "Diese Irren planen warscheinlich einen Hinterhalt. Wir müssen demnach auf der Hut sein. Ich würde ansonsten auf das Lager zumarschieren. Aber sie könnten an jeder Ecke lauern, Centurio. Vorsicht ist geboten. Wir wissen nicht, wann sie zuschlagen, aber sie scheinen tollkühn zu sein.".

    Irgendwie funktionierte es nie, eine Meinung so zu festigen, dass sie hundertprozentig richtig war, dachte sich Reatinus. Man konnte Gleichgesinnte finden, doch konnte man nie wirklich sagen, dass es so richtig sei. Immer konnte irgendjemand irgendetwas aus einem anderen Blickwinkel betrachten und einem Menschen zeigen, dass keine Tatsache, keine Meinung absolut und vollkommen war. Das war das Besondere an Tatsachen. Manchmal waren sie Tatsachen... und manchmal konnte man sie kritisch beleuchten und verdrehen. Reatinus lächelte, hatte Phaeneas doch mehr Grips, als er zunächst annahm. "Das ist eine Situation, in der man das tun sollte. Doch du kannst nie wie alle anderen sein. Du kannst nur so tun, als ob und den Schein wahren. Du selbst wirst aber nie der Fußgänger neben dir sein. Oder jemand anders."


    Die provokante Frage war eigentlich auch eine gute Frage. Als Optio war man gegenüber einem Legionär selbst schon Vorgesetzter, aber wenn man die anderen Offiziersränge inklusive Stabsoffiziere betrachtete, doch recht weit unten in der Karriereleiter. Trotzdem musste Reatinus schmunzeln. "Ich halte es für völlig normal. Irgendjemand muss die Befehle erteilen, denn wenn jeder Vollmachten hat, kollabiert alles.", erklärte Reatinus überzeugt, wie er es sah. "Oder nicht?", schmiss er gleich noch hinterher.


    Reatinus staunte nicht schlecht auf die Frage des Bythiniers. Als Sklave konnte man sich doch nichts Anderes wünschen als Freiheit... sein eigener Herr sein. Frei durch die Lande zu streifen. Das war in der Tat ein großes Geschenk. "Du meinst aus der Sicht eines Sklaven?", vergewisserte sich Reatinus, "Ich denke, es gibt keinen Sklaven, der die Freiheit nicht schätzt und anstrebt. Und wenn doch, möchte ich diesen Sklaven mal kennen lernen.". Oh, Reatinus hätte jetzt doch so gerne noch ein Vinum zu diesem guten Gespräch... aber er konnte nicht mehr. Er musste nüchtern bleiben und morgen ohne Muskelkater auf dem Exerzierplatz erscheinen.

    "Sehr gut, Optio!", raunte der Centurio erfreut und klopfte dem Optio auf die Schulter. Er sah es immer wieder gerne, mit wie viel Eifer der Optio seine Aufgaben erfüllte. Ein würdiger Nachfolger quasi, würde der Centurio seinen Posten eines Tages nicht mehr ausüben.


    "Morgen gehört der Exerzierplatz dir! Ich werde anwesend sein und zusehen, wie du dich so schlägst! Abite!", sprach der Artorier und suchte seinerseits die Centurionenunterkünfte auf.

    Im Wald waren mehrere Köpfe zu sehen. Schreie, zahlreiches Knacksen im Unterholz. Köpfe, die aus Büschen und hinter Bäumen hinaus spähten, nur um sogleich wieder in der Dunkelheit des Waldes zu verschwinden. Die Wölfe und Krähen verstummten unter den Kampfschreien der Banditen, welche aus dem Hinterhalt anzugreifen versuchten. Das war der erste direkte Feindkontakt.


    Völlig aufgestachelt sprintete der Optio zu seinem Centurio, als dieser ihn herbeiwinkte. Die Banditen würden wohl kaum warten, bis die Legionäre zu ihnen kamen, denn sie kamen schon zu den Legionären. Sie waren völlig aufgebracht und kampfeslustig. Es waren warscheinlich Germanen unter ihnen. Voller Adrenalin und Aufgregung im Blut zückte Reatinus sein Gladius. Sein Scutum wurde von ihm in schützender Haltung vor sich gehalten. Jetzt stellte Reatinus fest: Sie waren in einen Hinterhalt geraten. Wachsam blickte er sich um. Man musste sich jetzt an allen Seiten verteidigen. Sie durften den römischen Soldaten nicht in den Rücken fallen. Denn dort war auch der kampfgestählte Legionär völlig wehrlos. Die Verrückten unterschrieben trotzdem ihr Todesurteil. Nunja, Reatinus sollte es ja recht sein. Ein Problem weniger...

    Das Examen Secundum also... der Lagerbau. Dieses Examen war für Reatinus an einen Alptraum grenzend. Der Centurio dachte sich schon, dass es für den Optio eine Herausforderung sein würde, die er trotzdem bewältigen würde. Zumindest wollte der Schreihals, der seinen Namen zurecht trug nicht im Wege stehen. Schließlich sah er es gerne, wenn der Optio sich fortbilden wollte.


    "Nun gut, Optio. Komm erstmal herein.", bat er den Iulier in seine im Gegensatz zum einfachen Legionär imposant eingerichteten Unterkünfte. Mit 450 Sesterzen Sold konnte man sich eben so Einiges leisten...


    Zielstrebig marschierte Reatinus zu seinem Schreibtisch, schob einige Schriftrollen beiseite und nahm sich eine frische Wachstafel und sein Stilus zur Hand. Dann schrieb er einige Sätze auf...



    Examen Secundum


    Hiermit erteile ich, Servius Artorius Reatinus meinem Optio nach Absprache die Genehmigung, am Examen Secundum teilnehmen zu dürfen.




    Servius Artorius Reatinus




    "Viel Glück, Optio!", drückte Reatinus dem Nachwuchsschreihals die Daumen und reichte ihm die Tabula.

    Es hatte eine ganze Weile gedauert, bis die Probati die Formation ordentlich hinbekommen hatten. Doch das Warten hat sich für den Centurio gelohnt, ließ sich das Ergebnis doch sehen. Kritisch sah er sich die Formation an, welche nach einer kurzen Phase der Verwirrung unter den Probati entstanden ist. Sie schienen schon eingeübt zu sein. Das war eine ordentlich aufgebaute Keilformation. "Sehr gut!", rief der Centurio laut, "Formation auflösen! Venite!".


    Heute hatten sie das Bilden einer Testudo gelernt, die Kavallerieabwehr und die Keilformation. Wichtige Schritte auf dem Weg zum disziplinierten Legionär, aber mindestens genauso wichtig für das Überleben der Truppe im Ernstfall. Und der Ernstfall konnte immer eintreten, zumal sie doch so nah am Limes waren...


    "Probati, ich bin heute zufrieden mit euch! Ihr habt euch wacker geschlagen! Nun könnt ihr guten Gewissens abtreten! Abite! Morgen seid ihr wieder in voller Montur hier!".


    Reatinus wandte sich an seinen allzeit kompetenten Optio...


    "Optio Iulius, möchtest du morgen erklären, wie die Scorpiones funktionieren? Du hast wieder die Möglichkeit, das Kommando für eine ganze Lektion zu übernehmen.".