Beiträge von Servius Artorius Reatinus

    Prüfend blickte Reatinus auf die in Einzelteile zerlegten Scorpiones. Bei jeder Gruppe konnte er erstaunt mit einem "Gut..." oder "Richtig..." antworten. Auch bei Fadius, danach bei Lupus und sogar bei der letzten Gruppe, welche sich Reatinus vorknöpfte. Der kühle Windhauch, der durch den Platz fegte, kündigte für die Probati ihre wohlverdiente bevorstehende Beförderung an. Reatinus hielt kurz inne und überlegte sich einige abschließende Worte für die endende Grundausbildung, nachdem er den Befehl gab, die Scorpiones an ihren vorhergesehenen Platz zurück zu bringen.


    "Bringt jetzt die Scorpiones zu den Horrea zurück! Und dann wieder antreten! Ich habe euch etwas zu sagen!".


    Geduldig wartete der Centurio und sah den Probati nach, welche schon bald keine Probati mehr sein würden. Er klopfte seinem Optio anerkennend auf die Schulter. Er hatte hervorragende Arbeit geleistet. "Und wieder eine Gruppe mehr zu Männern gemacht!", raunte der Schreihals erleichtert.



    Als die Probati dann zurück kamen, trug Reatinus seine letzte Rede vor. Die nächste Rede vor diesen Männern würde er ihnen als Legionären vortragen. Obwohl sie ihn mittlerweile garantiert hassten, war Reatinus stolz auf sie. Auf ihre Leistungen...


    "Lange war euer Weg zum Legionär, und steinig durch die Steine, welche wir euch in den Weg gelegt haben! Ihr dürft euch glücklich schätzen, die Steine überwunden zu haben! Denn wenn ich euch jetzt abtreten lasse, tretet ihr als Legionäre ab! Ihr habt die Grundausbildung hinter euch! Glückwunsch Männer, ihr habt es geschafft! Der Rest des Tages gehört euch, feiert eure Beförderung! Abite... Legionarii!"

    Eigentlich hätte Reatinus sich den Spaß ebenfalls nicht verdorben und dem Aurelier nicht verraten, was für Fehler ein senatorischer Tribun vermeiden sollte. Aber er schien ein sympathischer Mann. Und außerdem wollte Reatinus kein schlechtes Bild für seinen Patronen abgeben, zumal dieser doch der gleichen Patrizierfamilie entstammte, wie Ursus. Nein, Reatinus vergaß diesen Spaß ganz schnell und schilderte Ursus seine Sicht der Dinge. Zumindest so viel, wie er schildern konnte. Aber die Fehler eines senatorischen Tribunen sprachen sich selbst unter den Centuriones schnell herum, wie es das Schicksal wollte. Nicht selten waren diese Fehler mit Schaden verbunden. Aber der Aurelier hatte bestimmt etwas auf dem Kasten.


    "Nunja... vermeide es, Schaden anzurichten und alle sind mit dir zufrieden.", erklärte Reatinus gespielt geschäftsmäßig, "Und lass dir nicht unbedingt von jedem auf dem Kopf rumtanzen. Du bist Offizier. Du hast deine Autorität. Schütze sie wie deinen Augapfel.". Während Reatinus erklärte, blieb er kurz stehen. Vor den beiden war eine Truppe Probati, welche einen Übungsmarsch um das Intervallum machte. Frischlinge. Als die Kolonne jedoch passiert war, lief Reatinus wieder gemütlich weiter. Das Lager war nun in dieser Zeit auf Hochtouren. Auf dem Platz hörte man die Soldaten trainieren, überall streiften geschäftige Soldaten an einem vorbei... Lageralltag eben!

    Bequem und gemächlich schritt der Centurio aus dem Geschlecht der Artorier zu seiner Türe, ließ ab von dem kurzen Bericht, in welchen er sich gekonnt vertiefte. Das Klopfen war kräftig und beinahe schon charakteristisch für eine gewisse Person aus Reatinus´ Centuria: Optio Iulius musste es sein.
    Als der Schreihals an der Türe ankam und jene aufsperrte, sollte sich seine Prognose auch schon bestätigen. Mit angenehmer Stimme frage der Artorier nach dem Anliegen von Drusus, seinem Optio und Stellvertreter. "Salve, Optio! Womit kann ich dir helfen?". Der Mann schien ein wenig nervös zu sein. Komisch, so kannte Reatinus seinen Optio doch nicht...

    Reatinus grinste hämisch, als der Optio ihm Steine zum Werfen anbot. "Nichts lieber als das!". Die Idee mit den Steinen schien dem Iulier zu gefallen, denn er übernahm sie schnell und führte sie ebenfalls aus. Zwar waren die Legionäre schon unter Murren weggetreten, aber nun hatten die beiden Offiziere mehr Steine zur Verfügung. Der Schreihals nahm sich einen der Steine aus der Kiste und holte mit viel Schwung zu einem Wurf aus. Das Ergebnis war ein kräftiger, gerader Wurf, der einen ordentlichen Aufprall auf das nächstbeste Scutum verursachen sollte. Dem war auch so, als der Stein am Ende seiner Flugbahn anlangte. Reatinus nahm sich den nächsten Stein, dieser war ja fast schon ein Felsbrocken im Vergleich zu den anderen... und den nächsten... und den nächsten... bis alle Steine aufgebraucht waren. Jetzt war Reatinus mindestens genauso enttäuscht wie die Legionarii von vorhin. Aber die Formation hielt stand, weshalb die Enttäuschung schnell verpuffte.


    "Gut gemacht, Optio!", lobte Reatinus den Nachwuchsschreihals, welcher sich langsam aber sicher eine kräftige Stimme aneignete. Dann übernahm der Centurio wieder selbst das Kommando.


    "Formation auflösen!", gellte es auf dem Platz. Nun war für heute nur noch eine unbeliebte und seltene Formation auf dem Plan. Die Keilformation.


    "Probati, kommen wir zu einer außergewöhnlichen, seltenen, aber für die vorderen Reihen auch gefährlichen Formation! Obwohl sie eher von Reitern eingesetzt wird, ist die Keilformation auch in der Infanterie nicht ganz unbekannt und wird selten dazu benutzt, einen Keil in die Reihen des Gegners zu treiben - daher auch der Name!". Reatinus zeigte mit der Hand ein Dreieck. "Stellt euch die Formation wie eine Pfeilspitze vor! So muss das aussehen! Wenn ihr die Formation aufbaut, hilft es ungemein, euch an der Schulter eurer Vordermänner zu orientieren! Stellt euch nie direkt hinter den Rücken eines Kameraden, sonst macht ihr etwas falsch! Und jetzt wollen wir das mal ausprobieren! Keilformation bilden!".


    Reatinus mochte sich nicht vorstellen, wie sich im Ernstfall der vorderste Mann fühlte. Der Mann in der Spitze der Formation. Er selbst war nie Zeuge, eine solche Formation mit seinen Kameraden bauen zu müssen. Und er musste sie nie befehlen... naja, es gab für Alles ein erstes Mal. Zumindest war Reatinus selbst sicher, ganz hinten in der Formation.

    Mit Argusaugen beobachtete der Schreihals die Probati beim Abfeuern der Scorpiones. Einige Fehlschüsse und kritische Blicke auf die angehenden Legionäre später, fingen sie sogar an, die Ziele zu treffen... Reatinus blickte sichtlich zufrieden auf die Ziele, bis sein Blick sich in einer schockierten Miene wieder auflöste. Während die Probati schossen, tanzte einer aus der Reihe und wollte schon losrennen, um seine Bolzen zu sich zurück zu holen. Kurz dachte Reatinus, er halluziniere, rieb sich die Augen und sah immernoch einen Probatus, der wohl in den (fast) sicheren Tod rannte. Hoffentlich war der wenigstens ein Glückspilz. "Bei Jupiter!", stieß Reatinus aus. Wie vom Teufel gehetzt sputete der Centurio zu dem besagten Probatus, packte ihn an der Schulter und zog ihn gewaltsam wieder zu seinem Scorpion zurück. Zum Glück war der Artorier ja noch nicht allzu alt und kam rechtzeitig an, um das Schimmste abzuwenden. Er war also doch noch ein Glückspilz, wie Reatinus schon für ihn hoffte... und für sich selbst.
    Der Probatus geriet zum Glück noch nicht in die Flugbahn eines Bolzens. "Ja bist du denn völlig durchgeknallt?!", rief der Centurio erbost, "Das hätte dein Ende sein können!".


    "Ce-ce-centurio... tut mir leid... ich... ich wusste nicht.", stotterte der Probatus ängstlich. Moment mal, das war doch Probatus Fadius, welcher Reatinus schon einmal als etwas dusselig auffiel. Reatinus schüttelte leicht erzürnt den Kopf. Das hätte blutig ausgehen können. Aber es ist ja nun nichts passiert. Deshalb ließ der Centurio den Rekruten mit einem kopfschütteln wieder an seine Position gehen. "Probatus, du bist für dein eigenes Leben und das deiner Kameraden verantwortlich. Tu etwas gegen deine Dusseligkeit. Das ist ein Befehl!". Der Mann scherte sich nur nachdenklich zu seiner Position zurück. Reatinus seufzte.



    Als das Problem (vorerst) bei Seite geräumt war, ließ der Schreihals die restlichen Probati nicht mehr länger warten. Da die Schüsse präzise genug waren, bedurfte es nicht mehr viel Übung. Einige Probati taten sich sogar hervor, so dass man ihnen vielleicht sogar "größere Kaliber" wie den Onager oder Ähnliches anvertrauen konnte. Es war immer praktisch, jemanden zu haben, der das beherrschte. Reatinus merkte sich die Namen derjenigen.


    "Probati, die Ergebnisse sind schonmal nicht schlecht! Aber wenn ihr meintet, ihr könnt jetzt schlafen gehen, habt ihr euch zu früh gefreut! Weitere drei Schüsse, danach will ich sehen, ob ihr die Dinger auch abbauen könnt!". Normalerweise wurden Scorpiones nämlich auseinandergelegt transportiert.

    "Warum bevorzugen diese Räuber immer die trostlosesten Ecken der Welt?", dachte sich Reatinus ruhig, während er seinen Platz ganz hinten einnahm und den Nachzüglern nicht einmal eine Chance zum nachzügeln ließ. So vor dem Kampf war auch er aufgeregt, sein Herz kam nicht zur Ruhe, seine Schritte wurden unregelmäßig. Immer wieder blickte Reatinus aufgeregt in die dunklen Wälder, über welche der Mond auftauchte. Hätte man durch das Blattwerk der Bäume sehen können, würde man einen Vollmond erkennen. Man konnte trotz der Fackeln, die Licht spendeten nicht weit in den Wald hinaus blicken. Es war stockdunkel hier, sodass das Fackellicht nur bedingt erhellte. Nach einigen Metern sah man man schon wieder nicht mehr viel.
    Immer wieder heulten die Wölfe durch den Wald, als wüssten sie, dass sie sich mit den "Überresten" der Schlacht die hungrigen Bäuche vollschlagen konnten. Die Krähen sangen in ihrem grauenhaft klingenden Ton und sausten aufgeregt durch die vielen Menschen durch den Wald. Wahrlich, ein düsterer Ort, an dem man sich nachts nicht verirren wollte... zumindest nicht alleine. Jetzt fehlten nur noch die Furien, welche irgendwo da draußen lauerten... es rangen sich in Mogontiacums Nachtszene zahlreiche Geschichten über diese römischen Geistergestalten.


    Die Banditen war in der Überzahl, doch die Legionäre kampfgestählt und ausgerüstet. Qualität gegen Quantität. Hoffentlich siegte in diesem Fall die Qualität. Weiterhin schwieg Reatinus und ließ sich von jedem Windstoß, von jedem Buschrascheln alarmieren. Die Stimmung sollte sehr wohl für Aufregung unter den Männern sorgen.

    Es fanden noch einige letzte Besprechungen statt, ehe der imposante Soldatenzug sich in Bewegung setzte. Das Ziel war der Kampf, für einige, die Pluto jedoch jetzt schon vorbstimmt hatte, war es der Tod... Reatinus nahm sich vor, heute nicht zu jenen zu gehören, die eigentlich in den Tod marschierten. Er durfte sich nicht erwischen lassen. Er dachte während sich die Truppe in Bewegung setzte an seinen Bruder, der bei der Legio I diente. Schon lange hatte der Optio nichts mehr von Imperiosus gehört. Hoffentlich ging es ihm gut, doch gab der Gedanke an die Familie gab dem Artorier Kraft. Und Überlebenswillen.


    "Heute stirbst du nicht, Artorius...", murmelte der Schreihals sich selbst beruhigend.

    "So könnte es man es sagen!", lachte Reatinus. Er war nicht umsonst Centurio geworden, denn er ging aus mehr Gründen zur Legion, als nur ein Dach über dem Kopf zu haben und Speise zu bekommen. Dagegen schien Ursus eine andere Meinung zu haben, aber sie schien nicht weniger richtig zu sein, als jene von Reatinus. Er schmunzelte den Aurelier an.


    "Dein Traumziel ist aber ziemlich hoch gesteckt.", kommentierte Reatinus scherzhaft, "Aber meines ist ja auch nicht gerade bescheiden! Wer wäre denn mal nicht gerne Legat...". Ursus ging nach einem ähnlichen Schema vor, wie Reatinus. Erst ein Ziel, dann das andere... ja, so handhabte Reatinus es auch. Sein zurzeitiges Ziel war die Aufnahme in den Ordo Equester. Auch schien der senatorische Tribun eine Interesse an der Leidenschaft für das Militär zu haben. Nunja, Reatinus war Vollblutsoldat. Von daher war die Leidenschaft für das Militär schon von ganz alleine gegeben, aber unter den Mannschaftsdienstgraden wurde das öfter unterdrückt... zumal die Centuriones und ihre Weggefährten immer wieder für Disziplin sorgen mussten. Die Legion war eben kein Kinderspielplatz. Aber Leidenschaft für das Militär konnte man hier unter Umständen durchaus finden.
    "Wer weiß... vielleicht wirst du sie finden. Du musst nur danach suchen.", resümierte der Artorier.

    Gezielt marschierte der Centurio wieder zurück auf den Exerzierplatz, hinter ihm die Probati, welche stöhnend und ächzend die nichtmal allzu schweren Scorpiones schleppten. Sie wurden ohne Zögern aufgebaut und richtig auf die Ziele ausgerichtet. Gut, jetzt blieb nur noch eine Erklärung übrig, wie man die Geräte bediente. Auf dem Schlachtfeld waren sie eine gefährliche Waffe für die armen Schweine, welche von ihr getroffen wurden. Man musste sich ja nur diese großen Bolzen vor Augen führen... Reatinus wollte nicht in der Haut des Feindes stecken, der dieses Kriegsgerät gegen sich hatte.


    Als alles bereit war, setzte der Centurio nahtlos fort.


    "Probati, jetzt bemannt ihr die Scorpiones und fangt an, auf die Ziele zu schießen! Dies funktioniert recht einfach! An der Seite befindet sich eine Kurbel, die ihr zum Spannen der Sehne verwendet! Danach legt ihr die Bolzen ein und löst dann die Spannung! Wenn ihr alles ordentlich ausgeführt habt, wird sich das Ergebnis sehen lassen! Beachtet die Flugbahn und die Windrichtung!"

    Wenn die Legionen marschierten, vermochte sie nichts mehr aufzuhalten. Naja, schön wäre es. Schließlich bewieß die Schlacht am Teutoburger Wald, dass man nicht zu übermütig sein sollte. Man konnte schnell einen Fehler begehen. Die Niederlage der Schlacht lastete bis heute auf den Römern... hoffentlich würde der Kampf gegen die räudigen Banditen nicht genauso ein Debakel werden, wie damals unter Varus. Das hofften die Soldaten, die kurz vor ihren Kämpfen standen.


    Gespannt hörte der Optio zu, was Crispus zu sagen hatte. Die Rede spendete den Männern ein wenig Ruhe und Moral. Das war gut, dass er die Soldaten noch unter Kontrolle hatte, dachte Reatinus zuversichtlich. Beinahe schon triumphal und sich der Sieges sicher schrie Reatinus laut, während er die Faust in die Luft hob. Eigentlich eine übliche Floskel, hatte der Optio doch schon so viele Rede gehört, um die Männer zu erheitern.

    Es ging los. Das spürte Reatinus im Magen, als er merkte, wie die Truppe ein wenig lauter und geschäftiger wurde. Der Tag verschwand in einer Abenddämmerung, welche sowohl Soldaten als auch Räubern die kalte, dunkle germanische Nacht hinterlassen würde. Fackeln wurden angezündet, Befehle geschrien, welches von den disziplinierten Soldaten immer wieder mit einem "Jawohl, Optio!" oder "Jawohl, Centurio!" bestätigt wurden. Je nach Dienstgrad eben.
    Reatinus´ Plauschgruppe löste sich sofort auf, damit jeder der Optiones wieder zu seinen Einheiten eilen konnte. Mit schnellen, freundschaftlichen Handschlägen wünschte man sich nur das Beste und dass Mars ihnen wohlgesonnen sein würde. Hoffentlich würden die guten Wünsche für jeden der Optiones in Erfüllung gehen, hoffte der Artorier. Mit sicheren Schritten kam der Optio zu seiner Truppe unter dem Petronier an, legte sorgfältig den Helm auf sein Haupt und bedachte den Centurio mit einem entschlossenen, zuversichtlichen Nicken. Das Scutum war bereit und das Gladius geschärft. "Bald ist es soweit...", dachte Reatinus inne haltend, "... wird endlich Zeit, dass die Bastarde bekommen, was ihnen zusteht.".
    Unter dem Schein der Fackeln blickte Reatinus ruhig zu den Männern, denen die Ruhe des Optios hoffentlich abfärbte. Hatten die Offiziere Angst, hatten auch die anderen Soldaten Grund zur Angst. Er beobachtete, wie sich die letzten paar Legionarii mit Fackeln ausrüsteten. Bald würden sie marschieren, unwissend, wen sie morgen wieder lebendig vor sich stehen haben werden.

    Mit den Beinahe-legionären im Schlepptau fand sich Reatinus vor den Horrea ein und überlegte einen kurzen Moment, wo nochmal die Scorpiones waren. Ach ja, Horreum III war es doch. Damit konnte Reatinus die Befehle weitergeben, um diese Ausbildung endlich zu Ende zu führen. Man könnte fast meinen, dass er es eilig hätte, abzuschließen.


    "Probati, holt die Scorpiones aus Horreum III! Danach schafft ihr sie auf den Exerzierplatz und richtet sie auf die Zeile aus, die ich habe aufstellen lassen! Los, wir haben keine Zeit zu verlieren!"

    Erfreut darüber, diese Welle Probati bald zum Rest der Truppe eingliedern zu können, erschien Reatinus wie gehabt auf dem Platz. Obwohl das Wetter auf dem ersten Blick angenehm und mild erschien, pfiffen starke, kalte Windböhen um den Exerzierplatz. "Das Wetter ist hier nicht mehr normal... in Italien müsste man sein...", murmelte Reatinus. Er wünschte sich die warmen Sommertage herbei, wie er sie noch aus Rom kannte. Aber zumindest gab es jetzt eine Gruppe weniger zum ausbilden, wenn er Lupus´ Gruppe bald befördern lassen konnte. Dann musste der Schreihals selbst nicht mehr so frieren.


    Doch stimmte Reatinus der Verlust seines Neffen traurig. Bilder schossen ihm ungeordnet durch den Kopf... wie er auch ihn trainiert hatte und die ganzen Höhen und Tiefen mehr oder minder mit ihm bewältigt hatte. Es war schwierig, solch einen Verlust zu ertragen. Würde der junge Artorier noch leben, würde er heute wohl einen glücklichen Zeitpunkt in der Karriere durch machen. Den Abschluss der Grundausbilung. Der Centurio fühlte sich, als würde ihm ganz Rom auf den Schultern lasten.



    "Venite!", ließ der Artorier wortkarg antreten, während er mit stolz nach oben gerichteter Brust vor sie trat.


    Danach ertönte wieder die kräftige, unermüdliche Stimme des Centurios, wie man sie eben kannte: "Heute steht euer letzter Ausbildungstag bevor! Nun legt einen Endspurt hin und danach steht eurer Beförderung zum Legionarius nichts mehr im Wege! Wir werden uns heute mit dem Aufbauen und Abschießen der Scorpione beschäftigen! Dazu holen wir uns aus den Horrea auch besagtes Gerät! Im Gleichschritt Marsch!"

    So flogen die Steine und mit einem diabolischen Grinsen beobachtete Reatinus das Geschehen. Erfreut stellte er fest, dass die Testudo hielt, während immer mehr Steine auf die Scuta prasselten und knallten. Bald ging jedoch der Vorrat der zehn Legionäre zur Neige und mit leichter Enttäuschung im Gesicht blickten sie auf die leeren Kisten. "Schade...", murmelten und seufzten sie im Chor. Die Probati hatten in ihrer Formation stand gehalten. Sehr gut!


    Kurz vergewisserte sich Reatinus, dass keine Steine mehr flogen und ließ die angehenden Legionäre wieder die Testudo abbauen. "Testudo auflösen, venite!", erschallten die nächsten Befehle. Es dauerte nicht lange, schon wurden die Befehle des Schreihalses in die Tat umgesetzt, während dieser den Nachwuchsschreihals zunickte. "Optio, du hast das Kommando!".


    Anschließend blickte Reatinus autoritär zu den Legionarii, welche sich anfangs freiwillig gemeldet haben. Fießerweise hatte er ihnen nicht gesagt, dass sie sich mit dem Bewerfen der Testudo automatisch auch mit dem aufsammeln der Steine melden würden. Aber hätte Reatinus das gesagt, gäbe es wohl keine Freiwilligen mehr.


    "Und jetzt Steine aufsammeln, Legionarii!". Damit machten die Legionär brummig und ein wenig erboßt ihre Aufgabe. "So ein Arschloch...", dachten sie einige unter ihnen. Aber Reatinus musste manchmal eben zu solchen Mitteln greifen. Selbst wenn sie fieß waren!

    Ach ja, die Gruselgeschichten über den germanischen Winter. Sie waren doch eine der banaleren Dinge, die man hier vorallem von den Heimischen zu hören bekam. Und doch irgendwie waren sie weit verbreitet, da abergläubische Reisende das mit in ihre Heimat nahmen und es wiederum unter den Abergläubischen verbreiteten. Im Prinzip also nach dem Schneeballsystem. In einer Nacht in der Taberna bekam man solche Horrorstorys unweigerlich mit, so auch Reatinus, als er sich einmal entspannt ein Vinum gönnen wollte. Und es war ohne Zweifel die banalste Geschichte, die er je zu hören bekam. Auf jeden Fall spielten Schneeungeheuer, die des Nachts auf Opfer lauerten eine große Rolle... aber das war nun wirklich eine ganze andere Geschichte und sollte viele Jahrhunderte später von dem jungen Mann, der diese Geschichte hier erzählt nicht vertieft werden. ;)


    Stattdessen interessierte sich Reatinus für Ursus´ Ambitionen. Sie waren nicht gerade bescheiden, aber aus der Sicht eines Patriziers wohl noch moderat, dachte Reatinus. Für sie war es ja einfacher, einen der beliebten Senatssitze zu ergattern, als für einen normalen Plebejer.
    "Das kann ich verstehen...", nickte Reatinus, als der Aurelier ihm schilderte, dass er dies verstehen wolle, "Es kann ganz schön in die Hose gehen, wenn man etwas anfängt und keine Ahnung davon hat.". Natürlich sagte der Artorier nicht direkt, dass er selbst mal Legionarius war und einige Erfahrungen mit solchen Fällen sammeln konnte.
    Sein Ziel war Reatinus zumindest schon seit seiner Kindheit klar. "Ja, sie war schon immer mein Ziel. Klingt komisch, aber schon als kleiner Junge habe ich zu meinem Vater ständig gesagt ´Papa, ich will mal Soldat werden um dich zu beschützen!´". Tatsächlich hatte Reatinus schon als Junge diese Ambitionen, doch den Vater beschützen konnte er jetzt leider nicht mehr. Er fand das schade. Sein Vater wäre wohl stolz gewesen, ihn mit der Crista Transversa auf dem Haupt zu erblicken... aber alles Leben fand eben sein Ende.
    Reatinus versuchte, nicht mehr daran zu denken. Das war nun schon Schnee von gestern... "Sag, du möchtest doch zum Senat, Tribunus? Welche Art von Karriere schwärmt dir da vor?".

    "Es gehört viel dazu, in der Menge unterzugehen. Solange jemand seinen eigenen Willen hat, ist er immer sein eigener Teil.", meinte Reatinus, während er mit den Fingern energisch auf den Tisch klopfte und freundlich nickte. Nicken war gut, das war nie misszuverstehen.
    Im Hintergrund verschwand sogar langsam ein Haufen der Gäste aus der vor einer Weile noch vollen Taberna. Nur wenige Nachteulen, wie es Reatinus zurzeit selbst war, waren noch zu finden. Und natürlich auch der Wirt, der brummig einige Geschirrstücke putzte und hoffte, dass die restlichen Gäste bald verschwanden. Vergaß Reatinus schon die Zeit? Naja, immerhin lohnte es sich.
    Komischerweise fühlte sich Reatinus zurzeit wie ein Lebensphilosoph, der versuchte, jemandem Tipps für das Leben einzutrichtern. Das war für ihn fast schon stupide, aber andererseits lernte er eine ganz neue Seite von sich selbst kennen. Ein anderer Reatinus als jener auf dem Exerzierplatz.


    Reatinus schmunzelte unweigerlich über den letzten Satz des Bythiniers. Das war eine gute Frage, die Reatinus´ Einstellung aus der Sicht ganz anderer Maßstäbe sah. Jetzt fiel es dem Artorier etwas schwer, zu antworten, was man ihm auch ansah. Sein Gesichtsausdruck beschrieb gedankliches Chaos, tausende Wortfetzen, die ganz vorsichtig den nächsten Satz des Optios formten. Und es war nicht einfach, jetzt den nächsten Satz wohl zu überlegen. Irgendwie schon skurril, wie Reatinus drein sah. Aber tatsächlich fand er nach einigem Nachdenken die richtigen Worte, obgleich ihm versehentlich seine soziale Einstellung ausrutschte. Da konnte Phaeneas ihm doch glatt mehr Informationen entlocken, als Reatinus hergeben wollte.


    "Gute Frage... im Prinzip schon, da ich diese gesellschaftliche Hierarchie in manchen Punkten als merkwürdig erachte und eigentlich wünschte, dass Sklaven bessere Rechte hätten... hoppla... so viel wollte ich garnicht sagen.". Reatinus sah sich sorgfältig um, ob er schon misstrauische Blicke erntete. Nichts. Puh, war das knapp! Langsam näherte er sich Phaeneas mit einem Zwinkern und flüsterte. "Du hast nicht gehört...".

    Was zog Reatinus überhaupt nach Germanien? Wenn er so darüber nachdachte, musste er selbst noch nachdenklich drein blicken und grübeln. Germanien war kalt und oft auch dunkel und trostlos. In Italia scheinte regelmäßig die Sonne, es gab weit südlich der Alpenregionen keinen Schnee, es war warm und die Wiesen waren so gut wie das ganze Jahr in einem wunderschönen Grünton gehüllt. Wer würde da noch nach Germanien gehen und das alles eintauschen? Naja, Reatinus tat es und er konnte sich nach einigen Augenblicken auch dazu äußern: "Wer freiwillig nach Germanien geht, muss wohl jemand sein, der gerne friert. Zumindest im Winter, der kann hier grauenhaft sein!", erklärte Reatinus lachend. Obwohl er eine kräftige, orkanbeschwörerische Exerzierplatzstimme besaß, war sein Lachen umso angenehmer und seine Stimme umso gemütlicher, wenn sie denn gemäßigt war. "Aber ich habe mich für Germanien entschieden, weil hier der beste Platz für mich war, das römische Volk zu schützen. Selbst wenn wir freundlich gesinnte Nachbarn jenseits des Limes haben, so gibt es doch immer wieder Feinde, die sich auch immer wieder bemerkbar machen.". Das war sein Grund und Reatinus fand ihn gut. Wie immer war es ein Job, den irgendjemand erledigen musste.
    Während die beiden Offiziere wieder um eine Ecke abbogen, fiel Reatinus eine neue Frage ein. Als hätte das Abbiegen Reatinus´ Gesprächsstoff erweitert. Er stellte sie auch gleich, ehrlich und direkt wie er nunmal war. "Hast du dir das römische Reich jemals ohne die Legionen vorgestellt, die es beschützen? Ich mag nicht daran denken, was dann los wäre... ich sehe mich als einer von vielen, die dazu beitragen, dass solche Horrorvisionen nicht Realität werden. Aber auch Neugierede trieb mich in dieses Land - ähnlich wie dich. Ich könnte sagen, dass ich auch mal wissen wollte, wie sich die Kälte anfühlt, im Gegensatz zum sonnigen Italien.". Reatinus schmunzelte, wie zufrieden er doch eigentlich mit seinem Schicksal war.

    Optisch gesehen war die Testudo jetzt schon ordentlich, fand Reatinus. Aber ob sie auch stabil war und etwas aushielt? Nun, das wollte der stimmgewaltige Schreihals nun heraus finden. Denn was wäre wohl ein Centurio, wenn er nicht auch ab und zu eine kleine Überraschung für seine Soldaten auf Lager hätte? Und die Überraschung war sorgfältig geplant, allerdings verzichtete der Centurio im Gegensatz zum letzten Übungsgefecht auf Soldaten aus der I. Cohorte. Diesmal suchte er sich einige erfahrene Legionäre aus seiner Centuria heraus, die wohl um einiges "erträglicher" für die Probati werden würden, die ja noch grün hinter den Ohren waren. Aber trotzdem freuten sie sich darauf, Reatinus´ Überaschung durchzuführen.


    Mit einem lauten Pfeifen holte Reatinus die 10 Legionäre herbei (sie hatten sich übrigens freiwillig gemeldet), welche auf das Signal sofort reagierten. Reatinus musste jetzt schon erfüllt Grinsen, während die Männer ihr Werk vollbrachten. Geplant war, die Testudo frontal mit Steinen zu bewerfen und zu sehen, ob sie bei den Probati genauso stabil war, wie sie aussah. Natürlich waren diese Steine nicht unbedingt Felsbrocken. Es konnte nichts passieren, wenn die Rekruten ihre Helme an hätten. Hastig kamen die Legionäre in Reichweite, ließen ihre Kisten mit Steinen völlig stürmisch auf den Boden knallen und nahmen sich schon erste Steine zur Hand. Spöttisch lachend sahen sie der Testudo entgegen. Das war Reatinus´ Härtetest, ob sich die Testudo nicht so schnell aufzulösen vermochte. Er hoffte es, im Ernstfall konnte er keine Rückzieher gebrauchen. Und wenn die Probati die Testudo halten würden: Alle Achtung, dann konnten sie zufrieden und unverletzt vom Platz gehen.


    "Ihr kennt die Anweisung! Legt los, Legionarii, aber macht mir bloß keine Verletzten! Zielt nicht direkt auf die Probati, das wollen wir doch nicht!"


    Auch wenn die Steine nicht zu groß waren, würde man wohl lautes Knallen auf den Scuta der Probati hören. Und schon flogen die ersten Steine durch die Lüfte... und währenddessen sprach Reatinus zu seinem Optio, der wohl in letzter Zeit ein wenig schweigsam schien. Woran das wohl liegen konnte?


    "Optio, alles in Ordnung? Wenn die Legionäre ihre Steine aufgebraucht haben, bist du an der Reihe!"


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    Eques Geminius
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    Kritisch beäugte der Soldat zu Pferde, wie sich die Probati so machten. Dieser Lupus war ja garnicht mal so schlecht, aber es gab auch einige Rekruten, die sich alles andere als gut anstellten. Da konnten die Pferde einem glatt leid tun. Aber das Leid der Tiere war nicht von langer Dauer, da alles nach einigen kleinen Anschissen in die Köpfe der Probati gelangte. So konnte man bei den Meisten die Übung als abgeschlossenen beobachten, dachte sich Geminius. Für Botenritte reichte es, doch fand er auc einige Talente. Vielleicht würden sie es ja bei der Kavallerie gut machen.


    "Gut gemacht, Probatus. Das sollte für einfache Botenritte reichen!"


    Mit einem ehrfürchtigen Blick gab Eques Geminius wieder das Kommando an Reatinus ab. Mittlerweile stand auch schon jeder in Bereitschaft und wartete auf weitere Befehle.


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    Interessiert sah sich Reatinus die reitenden Probati an, unter denen sich zweifellos auch Begeisterte befanden. Er dachte kurz nach, ob er ihnen einen Wechsel zu den Equites vorschlagen würde, verdrängte den Gedanken jedoch schnell. Es hing von der Eigeninitiative ab. Schließlich riskierte Reatinus nicht selbst, einen seiner zukünftigen Männer einzubüßen. Einen Moment lang schwieg er mit verschränkten Armen, bis er die Probati in den wohl verdienten Feierabend entließ. Bald konnte er diese Gruppe abhaken.


    "Probati, für heute ist Schluss! Ich darf übrigens stolz verkünden, dass ihr vor dem Ende der Grundausbildung steht! Morgen stehen nur noch praktische Übungen an den Belagerungsgeräten auf dem Plan! Abite!".