Was für ein Tag! Schon mit dem Alptraum und den Erinnerungen um Parthia hatte der Selbige nicht sonderlich glücklich begonnen, die Flammen, die schmerzverzerrten Gesichter seiner sterbenden Kameraden, noch allzu deutlich standen diese Bilder vor Marcus’ Augen und lasteten auf seinem Gemüt, dann noch die Begegnung mit jener Nymphe, die ihn mit einer verbalen Attacke nach der Anderen traktierte und ihm kaum Zeit gab, zu verschnaufen, nur weil er aus Versehen in ihre Flugbahn gekommen war. Er hatte ein Wechselbad affektiver Eindrücke erleben müssen, von Verwirrung, Ehrfurcht, Sorge, bis hin zum tiefsten Kummer und Schmerz, aber auch großem Zorn. Es war eine Höhen- und Tieffahrt, die ihn an allen Stationen menschlicher Gefühle vorbei brachte und das mit allen Spitzen und tiefsten Tälern, ein Weg der Extremen – für Marcus jedenfalls. Und wieder ging es turbulent weiter auf der Folterbahn der Sklavin Asny. Ihre Worte vermochten tatsächlich ihn aus den Wogen des Zornesmeeres heraus zu reißen und mit einem verächtlichen Schnippen an das Land zu werfen, wo wieder klarere Gedanken möglich waren. Er wußte, er war zu weit gegangen, hatte blasphemisch und Götter erzürnend gesprochen, hatte sich in seiner Wut zu sehr gehen laßen und wahrscheinlich hatte die Nymphe Recht: Er hatte den Fehler begangen, er vermochte nicht stark genug zu glauben, und den Göttern das angemeßene Opfer zu bringen, es war eine Konsequenz seines Handelns. Zum ersten Mal in seinem Leben empfand er das nach, womit sich Gracchus schon seit Jahren plagte: Das Gefühl, in allem versagt zu haben. Leben, Kinder, Karriere. Und ganz besonders bei seiner Tochter; was ihm ein wenig von dem Wind aus den Segeln nahm, gleichwohl seine Nasenflügel bei jedem heftigem Atemstoß, den der Zorn verlangte, heftig blähte.
Einen Moment überlegte Marcus, ob er nicht auf die Bank hinter ihm zusammen sacken und einem Häuflein Erde ähnlich sich dort kauern sollte. Doch die Aufruhr in seinem Inneren hielt ihn zu sehr unter Anspannung, er konnte sich nicht hinsetzen, sondern lief ein oder zwei Schritte auf und ab. Das trockene Gras knisterte unter seinen Sandalen, die deutlich gemütlicher für das Haus waren als das übliche Schuhwerk, was er sonst zu tragen pflegte. Selbst wenn er befürchtete in seinem tiefen Innersten, daß Asny, die Nymphe, durchaus Recht hatte mit ihrer harten Erwiderung, so erwehrte sich der zornige Teil trotzig dagegen, Stursinn, der durchaus hin und wieder bei Marcus geweckt werden konnte, genauso wie manchmal ihn sogar der Ehrgeiz packte, selbst wenn solche Tage selten gesät waren. Doch ehe er eine stursinnige Antwort geben konnte, irritierte ihn die junge Frau noch mehr. Gekichert? Nyphmen, die kichern. Verwirrt runzelte Marcus die Stirn und die tiefe Zornesfalte, die sich vorher noch zwischen seine beiden Augenbrauen gegraben hatte und seinem Gesicht durchaus finstere Züge verliehen hatte, verschwand jäh. Nymphen waren lächerliche Sterbliche? Nun, man konnte sie auch als Jungfrauen sehen und Jungfrauen als Nymphen und Jungfrauen pflegten auch in Marcus’ doch recht einfacher Vorstellung viel zu kichern, zumindest hatten das immer wieder die jungen Frauen getan, denen Marcus in seinem nicht unbedingt kurzen Leben bisher begegnet waren. Und langsam, aber umso deutlicher, meinte Marcus zu erkennen, daß die junge Frau, die er für eine unsterbliche Nymphe, einer niederen Gottheit gehalten hatte, ihn nach Strich und Faden veralbert hatte.
Und wenn Marcus bisher jegliche Subtilität, aber auch das Winken mit dem ganzen Lattenzaun übersehen hätte, so hieb Asny mit ihrem scharfen gladius der Worte jegliche letzte Illusion hinweg und machte deutlich was paßiert war: Er war zum Narren gehalten worden, sie hatte ihn auf den Arm genommen, sich über seine Vorstellung genüßlich amüsiert, gleichwohl sie die ganze Zeit gewußt hatte, wer er war – oder nicht? -, und nicht ein einziges Mal den Versuch gemacht, ihn über seinen Irrtum aufzuklären. Nein, sie hatte ihn sogar noch herunter geputzt. Sie, die Sklavin!! Und sie benahm sich so, als ob er der Sklave wäre und sie die überlegene Herrin, er der tumbe Knecht und sie die verfeinerte Patrizierin, die sich über den Sklaven lustig machen wollte. In den ersten Herzschlägen, als Marcus das volle Ausmaß dieser Komödie, in der er der dumme Narr spielte, bewußt wurde, war er erst mal sprachlos. Unverschämtheiten, Aufsäßigkeit, Rebellion, Gleichgültigkeit, all diese Spektren von sklavischer Auflehnung war ihm durchaus bekannt, aber so etwas hatte er noch nie erlebt, der milde Spott von Hannibal über seine Schwächen, den Marcus hin und wieder auch durchschaut hatte, war rein gar nichts dagegen.
„Eine Sklavin…“
Tonlos und fast flüsternd waren die beiden Worte gesprochen, die das Fazit von Asnys Worten bildeten. Den Mund marginal geöffnet, schüttelte Marcus immer noch fassungslos den Kopf, während das Blut aus seinem Kopf schon wieder hin weg wich. Ein ganz kleiner Teil in ihm fragte sich, was sie mit pläsierlich meinte. Das war ein Wort, das auch Gracchus hin und wieder gebrauchte, es klang sehr klug, es klang eloquent, und absolut unverständlich für Marcus. Doch das schob er auch erstmal als unwichtig ab, er hatte sich heute genug Blößen gegeben, um nicht jetzt auch noch dumm weiter fragen zu müßen, was sie überhaupt damit gemeint hatte; nein, er würde später Gracchus fragen. Weiß traten die Knöchel an seinen Fäusten hervor als er sie noch fester zusammen ballte. Seine Lippen kniffen sich zu einer schmalen Linie zusammen, düstere Wolken schienen sein Haupt zu umkreisen, seine Augen waren vor Zorn verengt. Oh ja, am Liebsten hätte er die junge Frau an ihrem Knöchel gepackt und hätte sie dorthin geschleift, wo hin und wieder seine Verwandten die Sklaven auspeitschen ließen. Es wurden in ihm all jene Anteile geweckt, die normalerweise schlummerten und tief in ihm ruhten, in einem langen Winterschlaf in den Höhlen flavischen Wahnsinns, doch bei sehr, sehr seltenen Gelegenheiten wurde das Erbe der Flavier auch in Marcus geweckt. Er konnte einiges tolerieren, aber DAS hier gewiß nicht. Und was ihn an der ganzen Angelegenheit noch ärgerte war schlicht die Tatsache, daß Asny ihm überlegen war- geistig überlegen. Leicht und spielend hatte sie ihn auf den Arm genommen und das würde Marcus nicht vergeßen, das würde er nicht verzeihen, selbst wenn er über vieles hinweg sehen konnte.
Marcus trat auf Asny zu, während die Kälte von seinem flavischen Blut in die sonst eher sanftmütigen Augen trat, eine grausame Kälte. Selbst in den zwei Schritten war das unmerkliche Hinken zu sehen, was von seinem verletzten Knie ausging.
„Eine Sklavin bist Du also. So, so! Dafür benimmst Du Dich reichlich tolldreist, Kleines!“
Marcus beugte sich nach vorne und seine Stimme nahm einen schneidenden Ton an.
„Mir ist es egal, wie Dein Name ist. Mir ist es auch völlig wurscht, wem Du gehörst, Sklavin! Und wenn Du die Leibsklavin des Consuls persönlich wärest. Aber laß’ Dir gesagt sein, daß ich mich in meinem Haus nicht von einer daher gelaufenen Sklavin derart vorführen laße. Du bist zu weit gegangen, Sklavin. Und wir sind hier nicht in der villa ‚Wir haben uns alle lieb!’, sondern wir sind in der villa Flavia, die schon die Herrschaft dreier flavischer Kaiser erlebt hat. Und diese haben noch nicht mal vor einem Consul Halt gemacht, wenn der sie beleidigt hat. Wer den Respekt nicht besitzt, weil er klug ist und weiß, in welchem Rang er steht, der muß’ es eben auf die schmerzhafte Weise lernen.“
Er richtete sich wieder auf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken, Gutmütigkeit, noch sonst irgendeine Gnade stand nicht mehr in seinem Gesicht geschrieben.
„Ich denke, Du kennst das große Holzkreuz hinter dem Stall? Steh’ auf und geh vorran! Jenes ist unser Ziel.“