SimOff: Einem Star gewähre ich seine Allüren.
Unendlich langsam schien die Zeit zu vergehen, jeder Atemzug verlängerte sich zu einer quälenden Ewigkeit, die kein Ende zu nehmen schien, die Welt hinwieder schien zu verschwimmen und sich auf das kleine Kontinuum namens hortus zu verringern, denn in jenem Augenblick war nichts mehr wichtig als die Begegnung mit einem unsterblichen Wesen, das schon Äonen womöglich gesehen, die Leben unzähliger Menschen und Sterblicher verfolgt hatte und in jedem Leben wohl kaum mehr sehen konnte als ein weiteres Blatt am Baum der Menschheit. Jedes einzelne Blatt war unwichtig, auch wenn die Gesamtheit zählte und den Baum erstarken ließ, dennoch fielen die Blätter irgendwann, vertrockneten, vermoderten und wurden von Würmern zerfressen. Dennoch blieb der Baum kräftig und neue, junge Knospen ersetzten die verlorenen Blätter, die vom Baum bereits vergeßen waren. Und im Angesicht der Bedeutungslosigkeit, die Marcus empfand und sich auch allzu bewußt war, verharrte er, schwieg und blieb in seinem Kokon aus düsteren und schmerzenden Erinnerungen gefangen, die sich quälend und bohrend den Weg zur Oberfläche seiner bewussten Gedanken bahnen wollten, ein hartes und grausames Knäuel der Erkenntnis, der sich Marcus bisher mehr oder minder erfolgreich erwehrt hatte seitdem er jenen verhängnisvollen Brief in der Fremde erhalten hatte, während eines Feldzuges vor einiger Zeit. Schwer wie eine eiserne Rüstung legte sich all das um Marcus und ließ ihn wie eine steinerne Staute verharren.
Die Worte der Nymphe schnitten wie kalter Stahl durch die liebliche Luft, zerstörte die Illusion von einem finsteren Frieden und schreckte Marcus aus seinen Gedanken heraus. Ihre Worte knallten auf die Oberfläche seines Gemütszustandes, wie harte Steine, die von dem Feind geworfen wurden oder wie dicke Hagelkörner, die Iuppiter zu den Sterblichen sandte, um ihre Verletzlichkeit und seine eigene Macht zu demonstrieren. Welchem Mysterium? Wohl wahr, da hatte sie Recht, Marcus verstand es auch nicht wirklich, warum er seiner Tochter stets eher den Vorzug gegeben hatte, obwohl er dennoch sehr an seinem Sohne hing, der doch aufgeweckt, lebenslustig und eben sehr klug war, viel von seiner Großmutter ganz offensichtlich geerbt hatte und niemanden verehrte Marcus so sehr, wie seine eigene Mutter, eine Verehrung, die weit über das normale Maß hinaus ging, das ein Sohn an Liebe seiner Mutter schenkte. Es war wirklich ein Rätsel, warum er dennoch den Großteil seiner Liebe seiner einzigen Tochter geschenkt hatte; vielleicht war es der Moment, in dem er seine Tochter vom Boden aufgehoben hatte, an dem Tag, an dem er sie anerkannte, an dem er ihr den Namen gab, den sie seither getragen hatte. Als er in das kleine Gesicht des Säuglings sah, so fein, so filigran, sein erstes Kind, das ihm von den Göttern anvertraut worden war. An jenem Tag hatte er geschworen, sie zu beschützen vor allen Gefahren, die das Leben für ein zerbrechliches Wesen wie sie es zu sein schien, bereit hielten; bittere Galle stieg in Marcus hoch als die Erinnerung kam, er hatte versagt, deßen wurde er langsam wieder Gewahr.
„Ich…“
Jegliches Wort zerbrach und zerfiel wie trockenes Papyrus in der heißen Wüste von Ägypten; nein, was sollte er sagen? Er konnte es doch selber kaum fassen und letztendlich kam er zu dem Schluß, daß die Nymphe ihm lediglich einen Spiegel vor Augen halten wollte, um all das zu erfassen, was er selber bis her nicht wahr haben wollte, doch dann trafen ihn die Worte wie ein Blitzschlag des Iuppiters, mächtig, gewaltig und vernichtend, es legte jene Stelle frei, die schon seit Monaten bemüht war, sich zu verbergen und nicht den Weg zur Oberfläche zu finden, jener Zaun, um sich selber zu schützen, vor der Gewissheit, daß seine kleine Tochter, sein Sonnenschein, gestorben war, er sie nicht beschützen konnte, weil er viel zu fern war und sie an dem Ort den Styx überquerte, der für ihn der Sicherste der Welt gewesen war, seine Heimatstadt Baiae. Eben wie vom Donner gerührt war Marcus erstarrt und wandte ganz langsam seine braunen Augen dem Mädchen zu.
Herzschlag um Herzschlag verstrich, in dem das Gift in sein Bewußtsein tropfte und zu wirken begann; einem hitzigen Feuer glich die Wirkung, es fing mit einer stichelnden Flamme an, sie flammte hoch wie ein Funke, der in das trockene Stroh einer Scheune fiel und verwandelte sich jäh in ein Infernofeuer; so ähnlich stieg die Wut in Marcus hinauf, Zorn, den wohl selten jemand in ihm zu wecken vermochte, war Marcus doch mehr gutmütiger Natur und von friedliebendem und harmonischen Bestreben, er stritt gar nicht gerne – zumal er auf intellektueller Ebene auch immer den Kürzeren zu ziehen pflegte!- doch Asny hatte es geschafft. Einer Köchin, die die Zwiebel seiner Seele entschält hatte, derart hatte sie Blatt um Blatt herunter gestrichen und war zum wunden Punkt seines ganzen Daseins der letzten Monate gekommen und dort hatte sie jählings mit einem mächtigen gladius ihrer Worte hinein gestochen. Das Blut schoß in Marcus’ Kopf, es begann an seinem Hals und seinen Ohren mit einer tiefen Röte, setzte sich über seine Wangen fort um gleich darauf ihm ein hoch rotes Haupt zu verpaßen.
„Was…hast Du…?“
, bebend vor Zorn war seine Stimme und sie versagte ihm in dem Moment, so daß sein heiserer Beginn verstummte. Fassungslos und ergrimmt starrte er die junge Frau vor sich an.
„Schlechtem Gewißen?“
Wie das Blut in seinem Kopf gestiegen war, derart erhob sich Marcus, während seine Hände sich zu Fäusten ballten.
„Du hast…doch…keine Ahnung!“
, kam es aus ihm schier atemlos heraus, finster und ingrimmig starrte er auf Asny herab, wenngleich noch einige Schritte sie trennten, zwischen der Bank und dem Fischteich; den Schmerz in seinem Bein verspürte Marcus in dem Augenblick nicht mehr, die Hitze wallte zu sehr durch seine Adern.
„Du weißt nichts von meinen Kindern, von meinem Leben und von mir. Ich habe meine Tochter vom ersten Tag an geliebt, vom ersten Atemzug, den sie als kleines Wesen getätigt hatte. Bis weit über jenen Tag hinaus, an dem sie ihren Lletzten getan hatte.“
Mit jedem Wort hob sich seine Stimme, doch er schrie nicht, seine Stimme nahm einen sehr ungewohnten, harten und bitteren Klang an, der den Zorn jedoch nicht verbarg.
„Gänzlich selbstsüchtig soll ich sein? Womöglich habe ich selbstsüchtig gehandelt, als ich meine Tochter hier in Italia zurück ließ, um in Parthia gegen die Feinde des Imperiums zu kämpfen, um meiner Ruhmessucht zu folgen. Aber wenn Du das erbärmlich nennst, was sind dann die Götter und solche wie Du, die sich darin suhlen, angebetet zu werden, die Opfer entgegen nehmen, aber nicht den Tod eines unschuldigen Mädchens verhindern? Do ut des! Seht ihr das nicht so? Hm?“
Du weißt nichts von mir!, dachte er und langsam tropfte auch das in Marcus’ doch – zugegeben! – etwas lahmen Geist. Sie wußte nichts von ihm als unsterbliche Nymphe, die den Fischteich der Flavier offensichtlich als einen ihrer Aufenthaltsorte gewählt hatte? Egal, vorerst schob Marcus das zur Seite, denn er war noch nicht fertig. Daß er sich langsam um Kopf und Kragen vor himmlischen Zeugen redete, das wischte er ebenso beiseite.
„DAS ist traurig! Ihr habt die Macht, Menschenleben zu verschonen, Glück zu sähen, die Ära des goldenen Zeitalters zurück zu holen, und was tut ihr, ihr suhlt euch am Leid der Menschen, erfreut euch, sie zu quälen und weidet euch an den Opfern, die man in Gutglauben euch schenkt. Erbärmlich!“
Herrje, Marcus war nun mal wütend und sagte Dinge, die er eigentlich gar nicht so meinte. Die Verzweiflung um seine Tochter trieb ihn zusätzlich dazu, denn womöglich spürte er auch Verbitterung, den Glauben, die Götter hätten ihn in dieser Hinsicht wirklich im Stich gelaßen. Aber vielleicht hatte er seinen Teil der Abmachung auch nicht eingehalten? Mit einem Mal drang dennoch seine Skepsis zu ihm vor, wieso wußte die Nymphe nicht vom Tod seiner Tochter. Er machte einen Schritt auf sie zu und seine Augen funkelten wütend, selbst wenn er keine Anstalten machte, sie zu packen oder gar ihr etwas anzutun.
„Und jetzt, Nymphe, sag’ mir die Wahrheit, bist Du eine Unsterbliche oder doch nur ein Mensch?“