Beiträge von Marcus Flavius Aristides

    Holzscheit um Holzscheit schichtete Marcus in der Kochstelle auf, worüber Pfannen und Topfe stehen konnten, in denen die Speisen gebrutzelt wurden, immerhin hatten die Sklaven genug an Holz bereit gelegt, daß es für ein zünftiges Feuer reichte. Mit einem kleinen Handbeil, das neben dem Binsenkorb lag, konnte Marcus auch einige kleine Holzspäne abspalten, die er unter das große Holz steckte, darunter schob er immer wieder kleine Kügelchen, die er aus Stroh formte, das trocken in seinen Fingern knisterte; er beugte sich vor und blies ganz vorsichtig gegen die noch glühende Kohle, die darauf hin einen intensiveren, roten Ton annahm, etwas an Rauch in die Höhe kräuseln und schließlich einen kleinen Funken nach oben steigen ließ; einige Strohhalme fingen Feuer, verbrannten schnell und verloschen wieder; seufzend blies Marcus weiter und schließlich gelang es, eine kleine Flamme loderte hoch, steckte einen kleinen Bollen an und flog von einem Strohhäuflein zum Anderen, um das Feuer auszubreiten. Schon knisterte das Holz und langsam näherte sich das Feuer nicht mehr nur von den trockenen Grashalmen, zufrieden lächelte Marcus. Ha, eine Hürde war doch schon mal geschafft und das mit dem Kochen, das würde schon klappen, gut, er hatte in seiner Zeit beim Militär nicht die Gourmetfähigkeiten des hiesigen Kochs gelernt, aber das würde doch schon was werden und vielleicht fand sich ja noch ein Bewohner der villa, der noch mehr Ahnung besaß als er, Fortuna konnte sich doch nicht ganz von ihm abgewandt haben für diese Tage. Seine Mütze, die er für die Saturnalien erworben hatte, lag unschuldig auf dem Herd, während er am Schüren war. Gerade wollte er sich erheben und nach einer gußeisernen Pfanne greifen, die an einer Holzstange über ihm hing als er ein leises Wimmern hinter sich vernahm.


    Verdutzt drehte sich Marcus um und erblickte auch sogleich die junge Frau, samt ihres kleinen Kindes. Einige Herzschläge lang stand pure Verwirrung auf Marcus’ Gesicht geschrieben, denn er konnte die junge Frau nicht ganz einordnen, er kannte sie, so viel war klar, somit war auch deutlich, daß sie wahrscheinlich in diese villa gehörte, doch woher war sie ihm bekannt? Grübelnd zog er seine beiden Augenbrauen zusammen und kam erstmal nicht darauf, wer sie war. Vielmehr vermochte das kleine Kind die Aufmerksamkeit von Marcus zu wecken, er hatte von je her schon ein Herz für Kinder gehabt, als er dann selber Vater wurde, hatte sich das noch deutlich potenziert.
    Salve und Io Saturnalia!“
    , grüßte Marcus die junge Mutter und trat auf sie zu, dabei ein Blick auf das Kind werfend. Wie alle Kinder – oder zumindest viele – hatte es große Augen, runde Backen und ein kleines Gesichtchen, sprich, es sprach die Urinstinkte im Menschen an.
    „Ah, wer bist denn Du?“
    , fragte er den Kleinen, er sah auf und direkt in das Gesicht der Frau, doch, langsam dämmerte es ihm.
    „Du bist doch Aquilius' Sklavin, oder? Britta, Brinda, oder so? Ist das Dein Kind?“
    War das vielleicht der Kleine von Caius? Hm, ganz schön gequält sah der Kleine aus und die Tränen standen noch in den kindlichen Augen, offensichtlich wurde es geplagt von etwas.
    „Ist das das Kind von meinem Vetter? Was hat er denn? Hat er Fieber?“
    Womit gleich ehrliche Besorgnis sich auf Marcus' Gesicht zeigte.
    „Darf ich mal?“
    , wobei er fragend eine Hand hob, eine Gestik, um das Kind selber mal zu nehmen.

    SimOff: Einem Star gewähre ich seine Allüren.



    Unendlich langsam schien die Zeit zu vergehen, jeder Atemzug verlängerte sich zu einer quälenden Ewigkeit, die kein Ende zu nehmen schien, die Welt hinwieder schien zu verschwimmen und sich auf das kleine Kontinuum namens hortus zu verringern, denn in jenem Augenblick war nichts mehr wichtig als die Begegnung mit einem unsterblichen Wesen, das schon Äonen womöglich gesehen, die Leben unzähliger Menschen und Sterblicher verfolgt hatte und in jedem Leben wohl kaum mehr sehen konnte als ein weiteres Blatt am Baum der Menschheit. Jedes einzelne Blatt war unwichtig, auch wenn die Gesamtheit zählte und den Baum erstarken ließ, dennoch fielen die Blätter irgendwann, vertrockneten, vermoderten und wurden von Würmern zerfressen. Dennoch blieb der Baum kräftig und neue, junge Knospen ersetzten die verlorenen Blätter, die vom Baum bereits vergeßen waren. Und im Angesicht der Bedeutungslosigkeit, die Marcus empfand und sich auch allzu bewußt war, verharrte er, schwieg und blieb in seinem Kokon aus düsteren und schmerzenden Erinnerungen gefangen, die sich quälend und bohrend den Weg zur Oberfläche seiner bewussten Gedanken bahnen wollten, ein hartes und grausames Knäuel der Erkenntnis, der sich Marcus bisher mehr oder minder erfolgreich erwehrt hatte seitdem er jenen verhängnisvollen Brief in der Fremde erhalten hatte, während eines Feldzuges vor einiger Zeit. Schwer wie eine eiserne Rüstung legte sich all das um Marcus und ließ ihn wie eine steinerne Staute verharren.


    Die Worte der Nymphe schnitten wie kalter Stahl durch die liebliche Luft, zerstörte die Illusion von einem finsteren Frieden und schreckte Marcus aus seinen Gedanken heraus. Ihre Worte knallten auf die Oberfläche seines Gemütszustandes, wie harte Steine, die von dem Feind geworfen wurden oder wie dicke Hagelkörner, die Iuppiter zu den Sterblichen sandte, um ihre Verletzlichkeit und seine eigene Macht zu demonstrieren. Welchem Mysterium? Wohl wahr, da hatte sie Recht, Marcus verstand es auch nicht wirklich, warum er seiner Tochter stets eher den Vorzug gegeben hatte, obwohl er dennoch sehr an seinem Sohne hing, der doch aufgeweckt, lebenslustig und eben sehr klug war, viel von seiner Großmutter ganz offensichtlich geerbt hatte und niemanden verehrte Marcus so sehr, wie seine eigene Mutter, eine Verehrung, die weit über das normale Maß hinaus ging, das ein Sohn an Liebe seiner Mutter schenkte. Es war wirklich ein Rätsel, warum er dennoch den Großteil seiner Liebe seiner einzigen Tochter geschenkt hatte; vielleicht war es der Moment, in dem er seine Tochter vom Boden aufgehoben hatte, an dem Tag, an dem er sie anerkannte, an dem er ihr den Namen gab, den sie seither getragen hatte. Als er in das kleine Gesicht des Säuglings sah, so fein, so filigran, sein erstes Kind, das ihm von den Göttern anvertraut worden war. An jenem Tag hatte er geschworen, sie zu beschützen vor allen Gefahren, die das Leben für ein zerbrechliches Wesen wie sie es zu sein schien, bereit hielten; bittere Galle stieg in Marcus hoch als die Erinnerung kam, er hatte versagt, deßen wurde er langsam wieder Gewahr.
    „Ich…“
    Jegliches Wort zerbrach und zerfiel wie trockenes Papyrus in der heißen Wüste von Ägypten; nein, was sollte er sagen? Er konnte es doch selber kaum fassen und letztendlich kam er zu dem Schluß, daß die Nymphe ihm lediglich einen Spiegel vor Augen halten wollte, um all das zu erfassen, was er selber bis her nicht wahr haben wollte, doch dann trafen ihn die Worte wie ein Blitzschlag des Iuppiters, mächtig, gewaltig und vernichtend, es legte jene Stelle frei, die schon seit Monaten bemüht war, sich zu verbergen und nicht den Weg zur Oberfläche zu finden, jener Zaun, um sich selber zu schützen, vor der Gewissheit, daß seine kleine Tochter, sein Sonnenschein, gestorben war, er sie nicht beschützen konnte, weil er viel zu fern war und sie an dem Ort den Styx überquerte, der für ihn der Sicherste der Welt gewesen war, seine Heimatstadt Baiae. Eben wie vom Donner gerührt war Marcus erstarrt und wandte ganz langsam seine braunen Augen dem Mädchen zu.


    Herzschlag um Herzschlag verstrich, in dem das Gift in sein Bewußtsein tropfte und zu wirken begann; einem hitzigen Feuer glich die Wirkung, es fing mit einer stichelnden Flamme an, sie flammte hoch wie ein Funke, der in das trockene Stroh einer Scheune fiel und verwandelte sich jäh in ein Infernofeuer; so ähnlich stieg die Wut in Marcus hinauf, Zorn, den wohl selten jemand in ihm zu wecken vermochte, war Marcus doch mehr gutmütiger Natur und von friedliebendem und harmonischen Bestreben, er stritt gar nicht gerne – zumal er auf intellektueller Ebene auch immer den Kürzeren zu ziehen pflegte!- doch Asny hatte es geschafft. Einer Köchin, die die Zwiebel seiner Seele entschält hatte, derart hatte sie Blatt um Blatt herunter gestrichen und war zum wunden Punkt seines ganzen Daseins der letzten Monate gekommen und dort hatte sie jählings mit einem mächtigen gladius ihrer Worte hinein gestochen. Das Blut schoß in Marcus’ Kopf, es begann an seinem Hals und seinen Ohren mit einer tiefen Röte, setzte sich über seine Wangen fort um gleich darauf ihm ein hoch rotes Haupt zu verpaßen.
    „Was…hast Du…?“
    , bebend vor Zorn war seine Stimme und sie versagte ihm in dem Moment, so daß sein heiserer Beginn verstummte. Fassungslos und ergrimmt starrte er die junge Frau vor sich an.
    „Schlechtem Gewißen?“
    Wie das Blut in seinem Kopf gestiegen war, derart erhob sich Marcus, während seine Hände sich zu Fäusten ballten.
    „Du hast…doch…keine Ahnung!“
    , kam es aus ihm schier atemlos heraus, finster und ingrimmig starrte er auf Asny herab, wenngleich noch einige Schritte sie trennten, zwischen der Bank und dem Fischteich; den Schmerz in seinem Bein verspürte Marcus in dem Augenblick nicht mehr, die Hitze wallte zu sehr durch seine Adern.
    „Du weißt nichts von meinen Kindern, von meinem Leben und von mir. Ich habe meine Tochter vom ersten Tag an geliebt, vom ersten Atemzug, den sie als kleines Wesen getätigt hatte. Bis weit über jenen Tag hinaus, an dem sie ihren Lletzten getan hatte.“
    Mit jedem Wort hob sich seine Stimme, doch er schrie nicht, seine Stimme nahm einen sehr ungewohnten, harten und bitteren Klang an, der den Zorn jedoch nicht verbarg.


    „Gänzlich selbstsüchtig soll ich sein? Womöglich habe ich selbstsüchtig gehandelt, als ich meine Tochter hier in Italia zurück ließ, um in Parthia gegen die Feinde des Imperiums zu kämpfen, um meiner Ruhmessucht zu folgen. Aber wenn Du das erbärmlich nennst, was sind dann die Götter und solche wie Du, die sich darin suhlen, angebetet zu werden, die Opfer entgegen nehmen, aber nicht den Tod eines unschuldigen Mädchens verhindern? Do ut des! Seht ihr das nicht so? Hm?“
    Du weißt nichts von mir!, dachte er und langsam tropfte auch das in Marcus’ doch – zugegeben! – etwas lahmen Geist. Sie wußte nichts von ihm als unsterbliche Nymphe, die den Fischteich der Flavier offensichtlich als einen ihrer Aufenthaltsorte gewählt hatte? Egal, vorerst schob Marcus das zur Seite, denn er war noch nicht fertig. Daß er sich langsam um Kopf und Kragen vor himmlischen Zeugen redete, das wischte er ebenso beiseite.
    „DAS ist traurig! Ihr habt die Macht, Menschenleben zu verschonen, Glück zu sähen, die Ära des goldenen Zeitalters zurück zu holen, und was tut ihr, ihr suhlt euch am Leid der Menschen, erfreut euch, sie zu quälen und weidet euch an den Opfern, die man in Gutglauben euch schenkt. Erbärmlich!“
    Herrje, Marcus war nun mal wütend und sagte Dinge, die er eigentlich gar nicht so meinte. Die Verzweiflung um seine Tochter trieb ihn zusätzlich dazu, denn womöglich spürte er auch Verbitterung, den Glauben, die Götter hätten ihn in dieser Hinsicht wirklich im Stich gelaßen. Aber vielleicht hatte er seinen Teil der Abmachung auch nicht eingehalten? Mit einem Mal drang dennoch seine Skepsis zu ihm vor, wieso wußte die Nymphe nicht vom Tod seiner Tochter. Er machte einen Schritt auf sie zu und seine Augen funkelten wütend, selbst wenn er keine Anstalten machte, sie zu packen oder gar ihr etwas anzutun.
    „Und jetzt, Nymphe, sag’ mir die Wahrheit, bist Du eine Unsterbliche oder doch nur ein Mensch?“

    Die Tage wurden kürzer, die Nächte länger, morgens lag hin und wieder schon Raureif auf den Dächern von Roms, ehe die Sonne kam und den kalten Frost weg schmolz. Doch mit der Kälte, die auch Einzug in Rom erhielt, wenn auch nicht so grausam wie im Norden des Kontinents, mit jenem eisigen Hauch näherte sich auch einer der beliebtesten Feste: Die Saturnalien. Andenken an ein goldenes Zeitalter und eine Zeit, in der es sich auch die Sklaven der Römer gut gehen laßen konnten. Marcus Flavius Aristides liebte die Saturnalien normalerweise, doch in diesem Jahr war es ganz anders; denn zu dieser Jahreszeit war es an ihn gefallen, die Feierlichkeiten zu organisieren; vorletztes Jahr hatte es noch Gracchus und sein treuer Sklave getan, letztes Jahr fiel das Los auf Aquilius und dieses hatte Marcus keine Entschuldigung mehr, sich vor der Pflicht zu drücken: weder Feldzug, noch Militärzeit in Germania. Verbummelt und vertrödelt hatte Marcus die leidige Pflicht, denn er feierte lieber und ließ es sich gut gehen, statt selber dafür zu arbeiten, dass das Fest gelang. Die Hoffnung, Hannibal würde all die Arbeit tätigen, hatte sich in den letzten Wochen zerschlagen, denn der Sklave tätigte nur das Notwendigste und wirklich auf ihn verlassen konnte sich Marcus nicht mehr; daß dieser seine Bemühungen sogar noch sabotieren würde, um sich zu rächen, daran glaubte Marcus durchaus. Lange Rede, kurzer Sinn: Marcus hatte es auf die letzte Minute verschoben; es war vielleicht sogar mehr die Aufregung der Sklavenschaft, einige Tage vorher, die ihm wieder vor Augen führten, daß doch einiges zu tun war. Und herrje, es war viel zu tun: Von der Dekoration bis hin zum Essen, es musste geplant, eingekauft und all die guten Rohstoffe, aus denen herrliche Speisen werden konnten, in die villa geschafft werden. Immerhin kam es Marcus zu Gute, dass er als ehemaliger centurio und lang gedienter Soldat Erfahrungen im Organisieren hatte. Soldatischer Manier hatte er sich eine Liste geschaffen, bestimmend die Sklaven herum gescheucht- denn noch konnte er das!-, war mit ihnen auf die Märkte marschiert, hatte gekauft, gefeilscht und alles zusammen getragen.


    Im Flug war die Zeit vergangen, ein Punkt nach dem Anderen war auf der Liste abgehackt, sogar an manch ein Saturnaliengeschenk hatte Marcus gedacht, was ja schon ein Novum war, sonst pflegte er diese in Regelmäßigkeit zu vergeßen, darauf vertrauend, daß erneut sein Leibsklave sich um solche Angelegenheiten kümmerte, wie eben in all den Jahren sonst er es auch getan hatte. Und so brachen die Tag der Saturnalien an, an dem die Familie zusammen kommen würde, die Sklaven sich an dem Tisch versammeln und sie gemeinsam speisen würden. Gemeinsam? Nun denn, ein Problem tauchte dann doch auf…an jenem Morgen des Familienfestes.


    Die Sonne war noch nicht wirklich hinter den Horizont gekrochen, der Nebel hing noch über den sieben Hügeln von Rom und den sanft geschwungenen Tälern, die doch die große Hauptstadt ausmachten. Nur langsam würden die ersten Sonnenstrahlen dieses feuchte Grau auflösen und ins Nichts schicken. Marcus war schon früh wach, denn er war aufgeregt wie ein Junge früher bei den Saturnalien. Es galt noch einiges zu tun, ehe er das Haus auch verlaßen konnte und an den Zeremonien in der Stadt teilnehmen würde. In seinen Morgensandalen und einer einfachen Tunika, den pilleus schon in der Hand haltend, schlurfte er noch etwas müde von der kurzen Nacht durch die villa und direkt zur culina, um einen Blick auf die Vorbereitungen zu werfen. Verblüfft blinzelte er und blieb am Eingang stehen. Die Küche war dunkel, das Herdfeuer in der Nacht erloschen und nur noch einige letzte Kohlereste glühten dort, verwirrt kratzte sich Marcus am Nacken und sah auf die leeren Arbeitsflächen. Ein Sklave schlurfte durch den Gang und warf Marcus einen müden Blick zu, denn heute waren ja Saturnalien.
    „Warte mal…“
    , hielt Marcus ihn auf.
    „Ja?“
    Kein Ja, Herr! das bemerkte Marcus schon.
    „Sag’ mal, wo ist denn der Koch? Wo die Küchenmägde? Warum haben sie noch nicht angefangen?“
    Der Sklave glotzte halb irritiert, halb amüsiert.
    „Ähm, heute sind Saturnalien, wir müssen nicht arbeiten.“
    „Ach ja…und wer kocht dann?“
    Der Sklave zuckte mit der Schulter. Ihm war es egal, er wollte so schnell es ging zum Frühstück und danach in die Stadt, um die kostbare, freie Zeit zu nutzen.
    „Wer hat das denn sonst gemacht?“
    „Na, die Freien, die Deine Verwandten für die Saturnalien eingestellt haben.“
    „Ach…wirklich? So ist das, hätte mir ja auch einer sagen können. Dann lauf' und organisier' ein paar von Solchen!“
    „Ne, ne, ich hab schon anderes zu tun. Io Saturnalia!“
    Schwupps, schon war der Sklave von dannen und ließ einen empört- verdutzten Marcus zurück, der leise fluchte und sich abwandte.


    Eine hora später- Enttäusch, fassungslos und aus dem Konzept gebracht sank Marcus auf einen Holzschemel mitten in der culina, von Pontius zu Pilatus war er marschiert, auf der Suche nach diesen ominösen Freien, die sich an den Feiertagen anboten. Richtige Agenturen schien es zu geben, für die Vermittlung in reiche Haushalte, doch alle hatten nur müde mit dem Kopf geschüttelt, wenn man solche Bürger haben wollte, dann musste man schon Wochen vorher anfragen, Claudier, Cornelier, Tiberier, Aurelier, Aelier, Fabier, sie alle und aus noblen Hause schienen die Leute schon angeworben zu haben, zumindest hatte das ein älterer Mann ihm gegenüber behauptet. Die Sandkörner fielen einer nach dem Anderen in der nicht vorhandenen Sanduhr in das untere Stundenglas; Marcus schwieg und sah angestrengt auf den Steinboden, dachte nach, grübelte, verzweifelte schier, seine Vettern würden ihn lynchen, ganz sicher. Die Sonne hatte sich mittlerweile durch die Nebelschicht gefressen und warf helle Punkte durch die Fensterläden auf den Boden; Marcus dachte immer noch nach, aber man wusste ja, dafür brauchte er nun mal länger als andere; schließlich erhob er sich entschlossen und sah zu dem Klienten seines Vetters – Aquilius oder Gracchus, Marcus wusste es nicht mehr! – und nickte entschlossen.
    „Wir werden das selber in die Hand nehmen. Komm, Du kannst mir helfen. Lauf’ und trommel alle freien Bewohner dieses Hauses zusammen, egal ob Flavier, Klient oder Freigelassener. Wir haben nicht viel Zeit zu verlieren. Age!“
    Gewohnt befehlend klang die Stimme, aber es galt ein Fest zu organisieren, es musste gekocht, gearbeitet, geputzt und geschmückt werden, da blieb keine Zeit für zivile Umgangsformen. Marcus schob sich die nicht vorhandenen Hemdsärmel hoch und packte die ersten Holzscheite, um das Feuer wieder zu entfachen.

    Geburt, Verantwortung, Familie, sich würdig erweisen, das waren ganz schön schwere Themen, da war Marcus froh, doch recht schnell entlaßen zu werden aus der Pflicht etwas geistreiches noch beisteuern zu müßen, was ihm ja nicht sonderlich gut gelungen wäre. Er atmete darum tief und erleichtert ein und leere schnell seinen Teller, denn es schien – leider- gen Ende des Mahls zu gehen. Marcus konnte aber auch immerzu und fortwährend weiter essen, doch er wollte ja seinen Vetter nicht gänzlich blamieren, wenn er ihn schon zu dem doch angenehmen Fest des Tiberiers mitgenommen hatte. Was die Frauen anging, konnte es sich Marcus getrost leisten, sich zurück zu halten, er war mit keiner von ihnen verwandt und hatte somit weder für ihr Vergnügen, noch für ihre Sicherheit und Ruf Sorge zu tragen.
    „Es war wirklich vorzüglich, deli…“
    Delikant? Marcus grübelte kurz, verwarf das Wort wieder.
    „Von erlesenem Geschmack die Speisen.“


    Aha! Der Hausherr und Tiberier, Pontifex und Senator, schien also wirklich kein knöcherner Langweiler zu sein, denn als dieser das Trinkgelage erwähnte, zeigte er durchaus die Fähigkeit Leben zu können und das mit Vergnügen; Marcus lächelte erfreut und nickte zustimmend. Als Soldat fiel ihm die Antwort auf Durus’ Frage freilich leicht.
    „Würfeln wir und übelaßen wir es Fortuna zu entscheiden.“

    Ein Rabe krächzte, Dunkelheit umschloß Marcus, umfing seine Gedanken, sein Sehen, sein Fühlen; unter den Füßen knirschte es bei jedem Schritt, den er durch die Dunkelheit tastend tätigte, grau und verschwommen zeichneten sich die Giebel der Dächer ab. Flügelschlag, es rauschte über seinen Köpfen und Marcus meinte das Streifen von Federn an seiner Wange zu spüren, er drehte sich um, folgte dem schlagenden Geräusch durch die Nacht, in der keine Sterne den Himmel bedeckten. Das Rascheln des trockenen Grases verstummte, als auch Marcus stehen blieb und auf den schwarzen Raben starrte, der auf dem Sims eines Grabhauses saß und Marcus mit seinen klugen Vogelaugen taxierte, den Kopf schräg haltend. Nebel verhüllte das Fundament, strich die Wände entlang und verdeckte das Familienwappen, doch Marcus erkannte es auch ohne dieses.
    "Du hast mich vergessen!"
    , ertönte es vorwurfsvoll hinter ihm; gequält schloß Marcus die Augen und atmete schwer ein, ganz langsam schüttelte er den Kopf.
    „Nein, mein Sonnenschein...“
    , antwortete er tonlos. Er wagte es nicht, sich umzudrehen, noch seine Augen wieder zu öffnen, dennoch spürte er sie in seinem Rücken, dann ein Schluchzen, was ihm sein Herz zerriss und seine Kehle noch rauher machte. Er drehte sich um; der Nebel verwischte die Konturen der kleinen Gestalt, nach der Marcus seine Hand ausstreckte, um sie an sich zu ziehen, zu trösten. Das Schluchzen, es wurde immer lauter, doch er bekam sie nicht zu fassen; der Rabe krächzte, es klang höhnisch in seinen Ohren....


    ...aufgeregte Stimmen tönten durch die villa; stöhnend schlug Marcus die Augen auf und sah an die Decke, die mit goldgrünen Fresken bemalt war, es schien schon der Vormittag heran gebrochen zu sein, so lange schlief Marcus gewöhnlich nicht, denn seine Zeit vom Militär hatte es ihm zu Eigen gemacht, schon in der Frühe zu erwachen. Mit einem flauen Geschmack im Mund erhob er sich, er war erst gestern Nacht spät nach Hause gekommen, war noch in der Stadt gewesen und hatte wohl einiges an Wein zu sich genommen; aber er hatte es gestern auch bitter nötig gehabt, nachdem er vom Tode seiner Verwandten am Nachmittag erfahren hatte; er hatte Celerina nicht gut gekannt, aber sie doch als eine lebhafte und stets strahlende junge Frau in Erinnerung gehabt; warum holten die Geister der Unterwelt immer wieder die jungen und vor Leben sprühenden Flavierinnen – Leontia, seine Lieblingsbase, die junge, etwas aufmüpfige Minervina, jetzt Celerina und...und Arrecina, seine eigene Tochter. Verzweifelt ließ Marcus seine Schultern hängen, rieb sich über sein Gesicht und starrte auf das leere Bett, gestern Nacht hatte er Epicharis nicht stören wollen, schon gar nicht in seinem angetrunkenen Zustand. Mit zittriger Hand griff er nach dem Rasiermesser, denn er pflegte an manchen Tagen dieses Geschäft noch selber zu erledigen, eine Angewohnheit vom Militär; er zischte leise durch die Zähne als das scharfe Messer zu tief schnitt; Blut rann über die Metallklinge und tropfte in die Schüssel mit dem öligen Wasser.


    „Verflixt noch mal!“
    , murmelte Marcus und starrte in den gewellten Spiegel, der seine Gesichtszüge grotesk verzerrte. Es dauerte und langsam entfernte Marcus die harten Bartstoppeln aus seinem Gesicht, als es dezent klopfte und ein Sklave herein trat.
    „Dominus, Herr, draußen im Garten, ein Zeichen der Götter! Dominus Flavius Gracchus hat diesen Tag zum Feiertag ernannt her, es soll heute Abend ein Festmahl für den ganzen Haushalt statt finden.“
    Gerunzelter Stirn drehte sich Marcus um und legte das Rasiermesser zur Seite.
    „Feiertag? Götterzeichen? Wo?“
    „Im Garten, Herr! Gleich hinter dem Fischteich!“
    „Zeige ihn mir!“
    , befahl Marcus, gürtete seine Tunika und folgte dem Sklaven hinaus.


    Grübelnd stand Marcus vor dem Baum, um den schon die Absperrung gezogen wurde, damit niemand dem heiligen Baum auch nur zu Nahe kam. Seine Haussandalen versanken in dem Schlamm, der vom nächtlichen Regen geschaffen worden war; die Augenbrauen zusammen gezogen kratzte sich Marcus den Nacken. Ein Glücksbaum? Kopfschüttelnd dachte er darüber nach, wie sollte er an dem Urteil von Gracchus zweifeln, dieser war Pontifex, dieser war...Gracchus, das Genie der Familie, der alle komplexen Zusammenhänge der unsterblichen Mysterien durchschaute!
    Dis pater hat er gesagt?“
    Der Sklave nickte stumm. Marcus seufzte und schüttelte den Kopf, ausgerechnet jetzt, ausgerechnet nach dieser Nacht und mit dem, was kürzlich paßiert war; aber es war Winter, die Nächte waren länger und es schien, als ob die Tore zur Unterwelt offener standen als sonst, womöglich hatte sich ein mundus geöffnet, aus dem die rastlosen Geister strömten, um die Lebenden zu plagen. Um sie an ihre Pflichten zu erinnern, denen sie in ihrer Lebenszeit zu säumen schienen; Marcus preßte seine Lippen fest aufeinander. Für ihn war der Baum ein anderes Zeichen, eines, was er nicht länger ignorieren durfte, den Kopf gesenkt, die Stirn gefurcht grübelte er, was zu tun sei.

    Was wollte er jetzt machen? Das war wirklich eine gute Frage, die Marcus aus dem ersten Impuls heraus mit einem Schulterzucken beantwortete, denn Marcus wußte es einfach nicht.
    „Nun, mir riet der septemvir Aurelius Corvinus, ich solle die Götter befragen, denn ich weiß es leider noch nicht, wohin der Weg in meine Zukunft mich führen wird.“
    Noch einmal ein Schulterzucken und ein schiefes Grinsen, ehe er zu dem Sklaven sah.
    „Zwei Drittel vinum zu einem Drittel aqua, bitte!“
    Was eine deftige Mischung war, aber Marcus war durchaus danach. Zudem war er ja nicht mehr im Dienst.
    „Ah so. Nun ja, ob Frühling oder Sommer, letztendlich ist eine Hochzeit in jeder Jahreszeit ein schönes Ereignis.“
    Insbesondere wenn man nicht selber heiratete, aber auch Marcus hatte seine eigene Hochzeit recht glimpflich überstanden.
    „Sag mal, Annaeus, wo hast Du den Pfau erworben?“
    , fragte Marcus mit einem Blick auf das putzige Tier, ein sehr gutes Geschenk für die Saturnalia bestimmt, vielleicht würde sich ja Epicharis über so ein Federtier freuen?

    Geklaut? Warum sollte ein Decimer klauen müssen? Irritiert runzelte Marcus die Stirn und konnte – trotz der Worte – das nicht recht glauben, denn als Neffe von Livianus war er doch aus der vermögenden Seite der Familie, zumindest nahm Marcus das an. Wahrscheinlich jugendliche Narratei, der Drang sich zu beweisen und Abenteuer zu erleben. Marcus seufzte gequält, warum konnte im Leben manche Dinge nicht ganz einfach und glatt von statten gehen? Der alte Knochen Peltrasius? Irgendwie mochte Marcus den Kerl nicht, vielleicht, weil dieser so humorlos war, nicht wie ein richtiger Mensch wirkte, der ein Leben außerhalb des Dienstes hatte.


    „Hm!“
    , gab Marcus grummelnd von sich und konnte sich eines spöttischen Grinsens nicht erwehren als er die letzten Worte von dem Decimer vernahm. Immer gerecht? Ha, na, vor kurzem in der villa seiner Familie klang das noch ganz anders. Marcus hob die Hand und rieb sich das Kinn, dachte dabei nach, wog die eine Möglichkeit gegen die Andere, überdachte, was er tun sollte und brauchte dabei durchaus einige Zeit, denn wenn es nicht um Leben und Tod ging und er blitzschnell entscheiden mußte, dauerte es eben bei ihm etwas länger.


    „Ich bin kein centurio mehr, Decimus!“
    , erwiderte Marcus schlußendlich nach seiner Überlegung und erhob sich, um einige Dinge selber in die Kiste zu packen, die nebem ihm stand.
    „Seit einigen Stunden bin ich aus dem Militärdienst entlaßen worden!“
    Grüblerisch starrte er auf die phalera, die neben der Kiste lag und die den Abschlussstein in seiner langen Militärzeit darstellte, recht mager das kleine Metallteil.
    „Ich habe Dich zu meinem Nachfolger vorgeschlagen. Es sieht also nicht so aus, daß Du in nächster Zeit aus der CU geworfen wirst.“
    Er legte seine vitis in die Kiste, direkt neben einige Tonbecher.
    „Was die Angelegenheit bei der Prima angeht und Dein Vergehen davor, so werde ich mit Peltrasius reden, bevor ich die castra heute verlaße. Schließlich hast Du mir damals davon erzählt, ich wurde in Kenntnis gesetzt und es stellte kein Hindernis für Deine Grundausbildung dar. Außerdem wußte der Legat der Prima genauso davon! Dein Onkel. Es war nicht notwendig, das noch in dem Rekrutierungsbüro anzugeben. Verstanden?“
    Natürlich war das erlogen, aber Marcus war der Letzte, der die Karriere und Laufbahn eines Mannes zerstörte, weil dieser einmal in seinem Leben eine Dummheit begangen hatte – schließlich kannte er das von sich selber auch genug.

    Vertieft in eigenen Gedanken, die seine Konzentration, die schon Wein geschwängert war, noch mehr zerfaserte, aß Marcus von den vorzüglichen Nachspeisen, schon derenwegen es sich gelohnt hatte an diesem Abend die Gastfreundschaft des umgänglichen Tiberers zu genießen. Ein paar der Wortfetzen drangen bis zu ihm vor, von den Gesprächen der Anderen, doch wirklich dem roten Faden ihrer Unterhaltung folgte er nicht, so daß der Themenwechsel recht überraschend für Marcus kam. Irritiert blinzelte er einige Herzschläge lang und verfolgte das, was Corvinus äußerte mit wachsender Verwirrung. Die Nichte an irgendeinen Plebejer geben? Oh, sie waren beim alten Thema, was schon die Gemüter vor Jahrhunderten bewegt hatte- die Standesdünkel. Ein Thema, worin Marcus nicht unbedingt der beste Verteidiger des Patrizierstandes war, dafür hatte er zu lange in der Legion gedient; zudem je her eine eigene Meinung gehabt, die mit der seiner Mutter nicht konform ging, letztendlich hatte er sich immer dennoch ihren Wünschen gebeugt. Nicht unter Wert verkaufen? Marcus hielt seinen leeren Weinbecher einem Sklaven hin, der ihm auch prompt wieder nach schenkte und schluckte als Corvinus ihn dazu befragte. Ach herrje! Marcus spürte, daß er einen Stoß auf Glatteis bekommen hatte und sich auf solcher Materie immer schlecht bewegen konnte, meistens eine Landung auf der Nase absolvierte.
    „Ähm...“
    , begann Marcus und dachte einige Herzschläge nach, was jedoch nicht viel erhellendes brachte.
    „Also...hm, ja...ich meine, nun, wenn man schon heiraten muß, dann doch wenigstens eine Ehefrau, mit der man gut zurecht kommt. Da wäre mir eine Plebejerin, die...“
    Nein, Ausdrücke wie fesch, schnuckelig, gut bestückt und nicht so eingebildet verbot sich Marcus.
    „...eben umgänglich ist, tausend Mal lieber als eine kalte Patrizierin. Da kann die Ehe wirklich zu einer Tartarusfahr werden, oh ja. Das habe ich bei meiner ersten Ehe genug erlebt. Aber Epicharis ist ein Goldstück in jeder Hinsicht, also hat sich die Frage natürlich nicht gestellt.“
    Den Göttern sei Dank, denn im Grunde hatte Marcus sowieso keine Wahl gehabt, was er jetzt nicht in Deutlichkeit sagen würde, seine Mutter hatte es eingefädelt und dieser Frau widersprach Marcus nun mal nicht. Zumindest nicht länger als ein paar Herzschläge. Vielleicht hätte es Marcus dabei bewenden sollen, aber nach einem Schluck Wein brannte ihm noch etwas anderes auf der Zunge.


    „Um ehrlich zu sein, ich würde meine Nichte, Tochter, oder Schwester – sofern ich eine hätte – aber auch nicht jedem daher gelaufenen Patrizier als Ehefrau geben. Mancheiner sonnt sich doch nur auf dem Glanz eines alten Namen ohne je wirklich in seinem Leben etwas geleistet zu haben; der sich nur von dem Erbe seiner Familie nährt.“
    Aber Marcus würde sowieso eine nahe Verwandte gar nicht gerne überhaupt jemanden zu Heiraten geben, egal wie bekannt der Mann war, was bei seiner Tochter noch schlimmer gewesen war, egal ob ein Patrizier oder ein Plebejer; Marcus befand, daß kein Mann eine Flavierin verdient hatte, zumindest tief verborgen hegte er die Meinung, selbst wenn es ihm nicht ganz bewußt war.
    „Die Zeiten der verstaubten Standesdünkel sind, meiner Meinung nach, schon lange vorbei, zumal sich wohl kaum einer der Familien noch darauf berufen kann, wirklich zu Zeiten der Stadtgründung schon in Rom gewirkt zu haben, keiner der Familien, die hier am Tisch vertreten sind, vermag dies.“
    Womit Marcus die Aurelier, die Tiberier und auch seine Eigene damit meinte.
    „Unsere – also die gens der Flavier - stammt auch von Rittern ab.“
    , sprach Marcus ehrlich und in geradliniger Art aus, so war er nun mal und sich nicht zu schade, kein Blatt vor dem Mund zu nehmen.
    „Wenn man es so betrachtet, hat eher Epicharis das schlechtere Geschäft gemacht. Als Claudia, einer der letzten wirklich alten Familien Roms.“
    Nach den Worten verschwand ein letzter Happen vom Essen in Marcus' Mund.

    Dramatrgschen Elmente? Oh, das klang nach einem sehr griechische anmutenden, völlig unbekannten Begriff für Marcus; einer der vielen, die sein Vetter von sich gab und Marcus in heillose und peinliche Verwirrung stürzte, denn selbst wenn Gracchus einer der wenigen Menschen war, bei denen sich Marcus weniger scheute, auch mal nachzufragen und damit seine Unkenntnis zu offenbaren, so wollte Marcus das nicht bei jedem zweiten Satz tun, den Gracchus von sich gab und die diese fremdartigen Wörter enthielten, die Gracchus ganz offensichtlich mit Genuß kultivierte. Marcus nickte darum, so tuend als ob er Gracchus verstanden hätte, dabei jedoch keinen blaßen Schimmer habend.
    „Ah so...ah...ähm...auf jeden Fall war das Stück ganz formidabel, wundervoll, großartig!“
    Marcus hätte wohl mit der Lobeshymne nicht mehr aufgehört, wenn er nun mal begeistert war, dann war er auch schwer zu stoppen, doch in jenem Augenblick macht eine andere Person auf sich aufmerksam, beziehungsweise wurde durch den Sklavenjungen angekündigt. Marcus blinzelte etwas verblüfft und sah fragend zu jenem Mann und dann zu dem Sack, ah, das war aber ein großer Sack. Das Hochzeitspaar? Ah, damit waren ja wohl offensichtlich sie – Epicharis und er – gemeint, schließlich hatte sonst keiner kürzlich in der villa geheiratet.
    Salve, salve, das sind dann wir. Wer schickt Dich denn?“
    , fragte Marcus und war deßen durchaus neugierig.

    Der kalte Abendwind rüttelte an den verschloßenen Fensterläden, ein paar der ersten Regentropfen prasselten gegen das Holz; ob es noch ein Unwetter geben würde?, fragte sich Marcus in dem Augenblick, denn er würde bald die castra verlaßen und seinen Heimweg zur villa antreten, für das letzte Mal wohl. Doch die Gedanken um das Wetter schob er beiseite und musterte mit wachsender Verwirrung den ehemaligen optio vor sich; schließlich war sicherlich schon die Beförderung durch die Mühlen der Verwaltung durch, so wie er den anderen centurio kannte, der so etwas nicht verschluderte. Die Arme vor der Brust verschränkt lauschte Marcus und runzelte kurz die Stirn, der Abend nach der Schlacht, ja natürlich entsann er sich daran, an die Unterhaltung auch? Marcus grübelte kurz, ehe es ihm langsam, aber etwas schleierhaft wieder in den Sinn kam, ja, aber er hatte an dem Abend mit vielen Soldaten einige Worte gewechselt und zudem war seine Stimmung in jener Zeit von düsteren Schatten verdeckt gewesen, so daß es sich nicht mehr sicher war, mit wem er was gesprochen hatte. Marcus nickte langsam und mit wachsendem Argwohn als er die leidenschaftliche Rede vernahm, denn aus dem Grund hatte er ja den Decimer auch vorgeschlagen für das Amt des centurio, aber hier und jetzt war es verwunderlich die Worte zu hören von dem Decimer. Doch Marcus ließ diesen weiter sprechen, ehe sich am Ende ganz langsam seine linke Augenbraue nach oben wölbte. Was zum Tartaros könnte es sein?, fragte sich Marcus verwundert. Allerlei wilde Einfälle kamen ihm. Zum einen könnte Serapio ein gedungener Mörder gewesen sein, in der subura, weswegen er und Hannibal sich kannten, vielleicht hatten sie gemeinsame Sache gemacht, in jeder Hinsicht. Womöglich war deswesen der Decimer nicht so besorgt gewesen, doch dann kam Marcus wieder die Zeit von Serapios Grundausbildung in den Sinn; nein, der hatte damals nicht den Schneid gehabt, den das skrupellose und kaltherzige Töten verlangte. Oder Serapio war kein Decimer, noch nicht mal ein römischer Bürger!! Aber warum war er dann zum Legaten gerufen worden? Womöglich hatte er Livianus sogar erpreßt, etwas, was er gegen Livianus in der Hand hatte, damit dieser ihn als seinen Neffen deckte? Das war aber auch nicht sonderlich plausibel. Unzufrieden seufzte Marcus.


    „Was ist es denn, was Dir Kopf und Kragen kosten könnte, hm? Ohne konkretes zu wißen, kann ich nicht sagen, ob ich Dir helfen kann oder nicht!“

    Es war wie eine frische Zahnlücke, die ein grober Schmied Marcus gerißen hatte, die Entlaßung aus dem Militärdienst; sie war noch wund und schmerzte gehörig, selbst wenn man ihm von außen wenig oder vielleicht nur die etwas düstere Mimik anmerkte, sofern es überhaupt auffiel. Er konnte jedoch ein schweren Seufzer nicht unterdrücken, was auch daran lag, daß jener Zahn gerade heute gezogen worden war.
    „Es mußte sein! Zum einen macht mein Bein im aktiven Dienst eines Soldaten nicht mehr mit und hinter einen Schreibtisch und tausend staubige papyrusrollen wollte ich mich auch nicht verbannen laßen, zudem habe ich kürzlich geheiratet, das verträgt sich mit dem Posten eines centurio laut der Gesetze nicht!“
    Marcus verfolgte die Gestik von Modestus an den Sklaven gewandt und war durchaus fasziniert, die Sklaven des Annaeers schienen gut erzogen zu sein, wenn sie ihn damit verstanden, daran sollten sie bei den Flaviern vielleicht auch arbeiten.
    „Nun ja, Du kennst ja die Zeiten und die Mühlen von Rom. Wenn man nicht die paßenden Fürsprecher an der richtigen Stelle hat, dann wartet man entweder bis man alt und grau wird oder wird einfach vergeßen. Und da ich keine Zeit zum Warten habe, noch die richtigen Fürsprecher, denn ich will weder Priester noch – verzeih! – Senator werden und nur dorthin strebt meine Familie sonst, hat sich nichts aussichtsreiches in der Zeit ergeben.“
    Und im Dienst konnte er nicht mehr bleiben, das war nun nicht mehr möglich gewesen. Marcus zuckte mit der Schulter.
    „Aber es hat nun ein jüngerer Offizier die Chance, sich in der CU zu beweisen, was auch nicht schlecht ist.“
    Marcus hegte – trotz diverser Schwierigkeiten mit dem Mann – nicht daran, daß dem so war und Serapio seine Sache durchaus gut machen würde; nur fühlte sich Marcus mit einem Schlag um Jahrzehnte gealtert; es wurde ihm auch allzu deutlich bewußt, daß er bald Vierzig werden würde, eine Zahl, die er bis dahin gerne verdrängt hat.
    „Aber in Deinem Hause steht doch bald eine Hochzeit an, hm? Werden Deine Verwandte noch den Winter abwarten oder schon baldig heiraten?“

    Gelb leckten die Feuerflammen der Fackeln in die Höhe, gen Himmel, der sich von Herzschlag zu Herzschlag langsam, aber sicher mit Dunkelheit bedeckte, der Tag würde bald dem Ende zu gehen und die Nacht brach sicher herein. Stimmenmurmeln mischte sich mit dem Knistern des brennenden Holz, das mit Öl und Wachs getränkten Binden umwickelt war, zudem mit dem Rascheln von Stoff und dem Klacken von Schuhwerk auf dem Steinboden der Terrasse. Nachdem Marcus Epicharis aufgeholfen hatte, überließ er auch wieder ihre Hand ihr selber und trat einen Schritt zur Seite, um sich genauso zwischen den Gästen und hinter den Sklavinnen und den drei Knaben aufzureihen. Erst als alle Gäste bereit waren, machte sich der Zug auf und die Knaben liefen voran, insbesondere der junge flavische Verwandte, der seine Weißdornfackel wie die Fackel der olympischen Spiele hoch erhoben hielt und damit als erster Schein, den Weg beleuchtete. Als sie zum Tor kamen, war dieses bereits geöffnet, so daß sie ungehindert in die Stadt tauchen konnten. Dunkel lagen die Gassen der ewigen Haupstadt vor den Füßen, doch die Fackeln vermochten die Schwärze, die Gierende, zu vertreiben. Langsam verebbte an manchen Stellen in der Stadt auch die rege Betriebsamkeit des Tages, aber erlahmt war das Treiben nicht, immer noch kamen auch die einen oder anderen Passanten vorbei, guckten und besahen sich den Brautzug, selbst wenn es bestimmt einige Hochzeiten am Tag in dieser Großstadt gaben, so war dennoch ein solcher Brautzug recht auffällig.


    Schon waren die ersten Reime zu hören, von gar nicht so weit weg war die Stimme zu hören, die Marcus erst nicht zuordnen konnte, dafür war sie ihm doch noch zu unbekannt, er konnte sich jedoch ein Grinsen nicht verkneifen als er das Reimen hörte. Er hoffte natürlich nicht, daß er zum Wein greifen mußte, aber das würde sich erst noch zeigen. Er schluckte und kämpfte die aufkeimende Unruhe mühsam in sich herunter. Er versuchte Epicharis mit einem Seitenblick zu erhaschen und ihre Reaktion zu sehen, was sie wohl davon hielt? Doch schon mußte Marcus selber auf seinen Weg achten, die Pflastersteine ragten zu uneben an dieser Stelle heraus und wenn er nicht darauf achtete, würde er nur eine Nasenlandung hinlegen. Und schon ertönte eine andere Stimme, Marcus Kopf wandte sich in die Richtung, war das nicht der Sklave von Gracchus? Ja, der immer um ihn herum strich und wohl der Verwalter in der villa war. Dann war das bestimmt von Gracchus, was der Sklave von sich gab; irgendwie klang es komisch, wie der Sklave das sagte, aber genau bestimmen, was es denn war, das vermochte Marcus nicht. Jetzt grinste Marcus nicht nur, sondern gab ein leises Lachen von sich; das hätte er seinem Vetter nicht zugetraut, mehr Reime anderer Natur, vielleicht melancholischer Natur, aber auch Ovid zeigte viele Facetten in seiner Dichtkunst. Mit seinen Augen suchte er nach seinem Vetter, zwinkerte ihm vergnügt zu, ehe er weiter schritt. Stetig näherte sich der Zug der villa Flavia. Schon von weitem konnte man die hell erleuchteten Räume sehen, die für die Gäste bereits her gerichtet worden waren, dort würden sie noch weiter speisen und trinken, feiern können und es sich gut gehen lassen. Vor dem Eingang verharrten die Knaben, der flavische Junge senkte die Fackel eine Wenig und trat zur Seite, damit die Braut an den Türrahmen kam. Für den Moment verharrte auch Marcus und ließ Epicharis – und auch ihren Sklavinnen - genügend Platz vor dem Eingang, damit sie ihren Teil des Ritus voll führen konnte.

    Verheißungsvoll war das Klappern, im hinteren Teil des Hauses, oh, es schien wirklich mit dem Abendessen zusammen zu hängen, Marcus' Hunger wuchs noch mehr und ein erfreutes Leuchten erschien in seinen braunen Augen. Womöglich wollte Epicharis mit einem guten und zünftigen Mahl seine düstere Laune aufheitern, hach, wie fürsorglich die junge Frau doch war, was natürlich die Wärme in seiner Brust etwas schürte und ihn zu einem breiteren Lächeln veranlaßte. Er war schon sehr gespannt, nickte jedoch folgsam und fragte nicht weiter nach, denn eine Überraschung wurde selten vorher verraten. Marcus rutschte etwas weiter hoch auf der Kline, um es sich gemütlicher zu machen und stütze sich neben Epicharis ab, um ihr weiter zu lauschen. Sie war ganz offensichtlich deutlich besser über die Zusammenhänge in Rom informiert als er, aber darüber wunderte sich Marcus nicht, Epicharis war nun mal eine Frau und sehr klug dazu, diese schnappten deutlich mehr auf als einer wie Marcus eben. Er staunte nicht schlecht, so hatte er die ganzen Angelegenheiten noch gar nicht betrachtet – Aelius Quarto, doch, dem Mann war er neulich sogar bei dem Gastmahl des Tiberiers – dem angenehmen Tiberier – begegnet. Ach herrje, jetzt fragte Epicharis ihn noch zu seiner Meinung diesbezüglich, aber er hatte doch gar keine! Grübelnd runzelte er die Stirn, konnte aber nicht wirklich diese verworrenen Intrigenfäden auflösen, die sich zu einem komplexen Politiknetz versponnen, womit das Reich immer noch geleitet wurde. Nein, das war zu hoch für Marcus. Er zuckte ratlos mit der Schulter.
    „Wenn ihm sein Bruder hilft, dann ist das doch gut, man muß sich doch auf seine Familie verlaßen können, aber ehrlich gesagt, kann ich unseren neuen Kaiser nicht ganz einschätzen. Aber der göttliche Iulianus wird schon viel in ihm gesehen haben, weswegen er ihn adoptiert und zum Nachfolger bestimmt hat. Hm, aber der praefectus? Komisch ist das Ganze auf jeden Fall. Hm...weißt Du, irgendwie erinnert mich das Ganze an Seianus!“
    Hah, Marcus' Augen leuchteten plötzlich noch mehr, er konnte mit Wissen auftrumphen, der Kurs hatte also doch etwas gebracht.
    „Dem Praetorianerpräfekt des Kaiser Tiberius. Womöglich hat der Mann auch einen ähnlichen Einfluß...ähm...ich meine damit den heute, also den praefectus urbi, ja.“


    Schon wurde er aus dem Nachdenken heraus gerißen, als es seine eigene Person betraf. Tatsache! Donnerwetter! Sie meinte wirklich, daß er kandidieren sollte!! Nein, das war ausgeschloßen, das wußte Marcus intuitiv und sofort, seine Zukunft fand er in der Politik bestimmt nicht mehr. Seine Augen suchten nach etwas, worauf er ablenken konnte, eine Fluchtmöglichkeit vor diesem unangenehmen Thema.
    „Aha.“
    , murmelte er leise.
    „Ah ja...“
    Er wußte, daß Serenus ihn als Soldat interessanter fand als als Politiker, jedoch wohl leider nur so lange, wie er selber Kind war, als junger Mann würden sich die Erwartungen schnell ändern, dennoch änderte es nichts an der Tatsache, daß die Politik für ihn nicht taugte. Er schwieg sich jedoch lieber in dem Moment aus, denn er wußte genauso, daß er gegenüber Epicharis bestimmt den Kürzeren ziehen würde, sobald er widersprach. Mit einer Mischung aus Verlegenheit, des Kompliments wegen, und Unbehagen, der Wahl wegen, starrte Marcus einige Herzschläge lang auf seine Fußspitzen, so daß er erneut froh war, daß Epicharis wieder zu seiner Frage zurück kam und somit er das Glatteis schnell verlaßen konnte. Nichtsdestotrotz war auch das Thema etwas schwierig.


    „Hm...Fiona? Hm...also Hannibal, er hat sich schon früher oft in Schwierigkeiten gebracht. Weißt Du, er ist nicht ganz normal im Kopf, das ist leider der Preis von dieser Sklavenfamilie, die wir Flavier uns halten, sie sind etwas unberechenbar; auf jeden Fall hat er die Angewohnheit ab und an auszurasten, bei bestimmten Umständen; also Eifersucht, um genau zu sein, und er hat schon...hmm...naja, er hat schon einen Mord begangen.“
    Einer war noch untertrieben.
    „Auf jeden Fall hat er mir versprochen, daß eben jene erwähnten Umstände nie wieder eintreten, aber er hat mich belogen, er hat selbige Dinge erneut getan, wobei es – den Göttern sei Dank – noch nicht zu der fatalen Konsequenz gekommen ist. Und das muß ich unter allen Umständen verhindern. Was meinst Du, was soll ich tun? Ihn weg schicken? Nach Baiae?“
    Marcus seufzte leise und unschlüssig.
    „Und was ist mit Fiona? Deine Sklavin, hm? War das die kleine Blonde?“

    Auch Marcus war froh, daß die gesamte Angelegenheit um den CD- Mord, der letztendlich doch kein Mord war, so einfach aufgeklärt worden war; und daß er eben keine weiteren Ermittlungen hatte anstellen müßen oder gar es in die Hände von jemand anders hätte legen müßen, was er in dem Fall nicht getan hätte; schließlich wären die Annaeer dann noch mehr belastet worden, hatten sie doch bestimmt schon wegen dem Artikel genug Ärger. Lucullus? Welch paßender Name; Marcus grinste verhalten und beäugte den Vogel, legte dabei den Kopf etwas schief; doch ein schmuckes und possierliches Tierchen war das, ob Epicharis ein solcher Vogel gefallen könnte? Vielleicht...hm...?
    „Ja, ist er das? Dann fühle ich mich natürlich geehrt.“
    , gab Marcus jetzt breiter grinsend zu und deutete eine Verbeugung vor dem Vogel an.
    „Es ist mir eine Ehre, Dich kennen zu lernen, werter Lucullus.“


    Marcus folgte Modestus zu den Sesseln und nahm ebenfalls Platz, dahin gehend war Marcus immer recht unkompliziert.
    „Gerne doch, ein Wein wäre formidabel.“
    , bestätigte Marcus.
    „Aber dienstfrei habe ich von heute an immer. Zumindest was die CU angeht, denn ich habe heute meinen Dienst aufgegeben und das Militär verlaßen.“
    Marcus zuckte etwas geknickt mit der Schulter.
    „Und Du bist momentan auch nicht in einer Amtzeit eingespannt, hm? Wirst Du bald wieder kandidieren?“

    Es wurde gehörig geschwitzt, gebangt und geschrieben, Marcus hatte sich freilich auch an dem nächsten Tag in der schola eingefunden und nahm nun an der Prüfung teil, ach herrje! Warum konnten sie die Aufgaben nicht einfach zu Hause lösen? Marcus starrte auf die Fragen und verlor jede Hoffnung, die Prüfung zu bestehen, denn im Grunde war alles sehr schleierhaft, was dort gefragt wurde. Marcus hob die Hand und kratzte sich lange und ausgiebig am Nacken, starrte auf sein Pergament und kritzelte einige Antworten dahin, die er nicht als richtig erachtete. Zudem war natürlich jede Antwort mit einem Haufen von Rechtschreibfehlern gespickt. Und wie die Zeit verflogt, grade eben war noch die Glocke für den Beginn geläutet worden und schon wurden die Antworten eingesammelt. Ächzend lehnte sich Marcus zurück, ganz als ob er gerade ein schweres Gefecht durchstanden hatte, was er wohl auch getan hatte. Er sah sich noch um, musterte die anderen Prüflinge, die alle doch recht entspannt wirkten. Die würden bestimmt alle bestehen; Marcus erhob sich, nickte Modestus noch mal zu, von dem er natürlich auch versucht hat abzuschreiben, ohne sich dabei zu genieren. Dann lief er hinaus.


    Etwas später...mit einem Sklaven im Schlepptau kam Marcus zu dem Anschlag an der schola. Und suchte nach seinem Namen; jetzt, wo er so viel Schweiß darin investiert hatte, und das war nicht nur bildlich zu verstehen, wollte er auch wißen, was dabei herum kam.
    „Dominus, Du hast bestanden. Hier! Hier ist Dein Name!“
    „Wo?“
    , fragte Marcus und spähte auf die Bestanden-Liste.
    „Na, da oben! Bei dem diploma-Teil.“
    Irritiert runzelte Marcus die Stirn, Tatsache, da stand sein Name, Marcus schüttelte verwirrt den Kopf, das konnte nicht sein, so ein Gekritzel wie von ihm war bestimmt noch nicht mal das Siegel: Bestanden wert. Dann wanderten seine Augen zu einem Namen ganz weit unten: Caius Flavius Aquilius...nicht bestanden? Nein, das konnte nicht sein. Grübelnd sah er wieder hoch, dann wieder runter. Und einem Geistesblitz kam ihm die Erleuchtung! Natürlich! Ihre Namen waren verwechselt worden, vielleicht hatten die tabulae beim Transport gelitten, womöglich waren die Namen verschmiert, so daß man nur noch das Flavius A zu erkennen war und dann waren die Antworten vertauscht worden; nur so und nicht anders konnte es möglich sein, denn schließlich war sein Vetter der Klügere von ihnen beiden und Marcus nicht gerade die hellste Leuchte. Marcus seufzte und wandte sich um, ob er den Irrtum aufklären sollte...? Marcus rieb sich verwirrt den Nacken, schweigend und in sich gekehrt machte er sich auf den Rückweg.

    Grau und verschwommen, so war die Aussicht, die Marcus seiner Zukunft wegen hatte, aber das war etwas, was er gut zu verdrängen wußte; überhaupt, Marcus war ein Meister des Verdrängens und darüber nicht ganz unfroh, so daß er weiterhin reichlich zu greifen konnten, während Teller um Teller gefüllt wurde, und ein Gang den Anderen abwechselte. Und zu jeder gut gewürzten Speise, gehörte auch ein gehöriger Schluck Wein, Marcus hatte noch nie das Talent gehabt, sich zu sehr zurück zu halten, dafür aber auch die Gabe, recht viel Wein zu vertragen. Es war schon der dritte Becher, den er sich genehmigte, als die Sprache auf seine bevor stehende Entlaßung kam.
    „Hmh!“
    , gab er von sich, schluckte den Wein herunter.
    „Ich muß, muß. Aus zwei Gründen. Zum einen läßt sich der Posten des centurio nicht mit der Ehe vereinbaren, zum Anderen macht mein Bein für den Dienst nicht mehr mit. Ein Mitbringsel auf Parthia.“


    Was Cassim wiederum nicht war, ein Mitbringsel aus Parthia, so daß er bei der Frage nach dem Sklaven mit dem Kopf schütteln mußte; er hatte in Parthia dafür gar keine Zeit gehabt, sicherlich, Kriegsgefangene hatte er gemacht, einige davon waren in Käfige gezerrt worden und von Sklavenhändler aufgekauft; auch Marcus hatte von der Beute seinen Anteil als centurio erhalten, aber damals war er nicht auf den Gedanken gekommen, selber einen mitzunehmen; viel zu störrisch, viel zu unberechenbar und mit zu viel Haß im Herzen. Und genau deswegen mußte Marcus erneut nicken, da hatte der Aurelier einfach Recht, er hatte nicht gerade ein glückliches Händchen bewiesen, in dem er den Sklaven gekauft hatte, aber es war eine gewiße Genugtuung damals gewesen, den Parther zu erwerben, um sich ein wenig zu rächen und ihn -stellvertretend für sein Volk – für die Sache mit Marcus' Bein zu bestrafen. Aber unberechenbar war jener Mann ganz gewiß, bisher hatte der jedoch keine Anstalten gemacht, ihm zu schaden, selbst als er die Gelegenheit hatte, bei dem Ausflug in die Stadt. Schon allein der Gedanke daran ließ etwas vom Blut in Marcus' Ohren rauschen, die Verlegenheit hielt ihn einige Herzschläge lang im Griff. Was? Reh? Falke? Marcus blinzelte und konzentrierte sich wieder auf das Gespräch.


    „Da hast Du schon Recht, aber ich glaube, sie nutzen den Falken mehr für die Jagd von Kleinwild. Wobei sie auch Adler abrichten. Und diese können auch größeres Wild schlagen. Was ich mir selber nicht ganz vorstellen kann. Aber auch das werde ich noch verfolgen. Ja...die Parther, das stimmt, sie sind heimtückisch...dennoch glaube ich, naja, ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, manch einer von ihnen besitzt schon so etwas wie...ähm..Ehrgefühl?! Und nein, den Parther habe ich sogar erst hier in Rom gekauft.“


    Gerade als er sich den vierten Becher füllen ließ, bemerkte auch Marcus die Unruhe unter den anderen Gästen und sah hinüber zu den Tiberiern. Der etwas ältere Mann schien erbost zu sein, weswegen konnte Marcus nicht wirklich einordnen, nur, daß es ein Geplänkel zwischen dem Gastgeber, ihm und der jungen Frau wohl zu geben schien, sowohl mit Worten als auch mit ihren Blicken. Naja, Familie eben, da wurde ab und an mal sich gezofft, das war Marcus nicht unbekannt und er wog die ganze Angelegenheit als nicht so schwer, schon gar nicht etwas, was ihm bei seinem Essen störte.


    „Hmh, das scheint das Los der Politiker zu sein, hm? Immer viel zu tun, dafür zu wenig Zeit für die eigenen Angelegenheiten. Das kenne ich von meinen Vettern auch so, es ist bestimmt Jahre her, daß Gracchus einen Fuß aus Rom heraus gesetzt hat.“

    Der Ausdruck, die Miene des Sklaven, irgend etwas daran gefiel Marcus nicht, ach herrje! Scheinbar wußte der Parther mehr als Marcus lieb war, womöglich erinnerte er sich noch an alles!! Im Gegensatz zu ihm! Herrje, doch daran war im Moment nichts zu ändern, oder doch? Marcus' Gesicht wurde einen Augenblick lang finster und sehr mißmutig, während er nachdachte, was er tun könnte, doch dann verwarf er alle Optionen sofort. Mögen die Götter Cassim gnädig sein, sollte er doch jemanden davon erzählen, denn selbst wenn Marcus oft recht gutmütig, manchmal vielleicht auch zu gnädig wirkte – auf manche – so war er durchaus auch bereit, andere Seiten aufzuziehen. Doch er wollte gewiß in dem Augenblick nicht die Rebellion anstacheln in dem Parther, indem er ihm drohte, das würde nur zum Gegenteil führen, die Erfahrung hatte Marcus mittlerweile gemacht.
    „Also gut!“
    Marcus nickte knapp, warf dem Parther noch mal einen schnellen Seitenblick zu und setzte den Fußweg weiter fort, wobei immer noch der Wein nach hallte, und er nicht in einer ganz geraden Linie lief, zudem blieb er immer mal wieder stehen, um die Luft einzuatmen und die Übelkeit nieder zu kämpfen. In der villa würde er sich was zusammen mischen laßen, was das Leiden nach einer durchzechten Nacht etwas zu lindern vermochte. Schweigend, denn Marcus war immer noch zu verlegen in der Gegenwart des anderen Mannes, setzte Marcus den Heimweg bis in die villa Flavia fort, wo er gegen die Tür pochte und sich nach dem Öffnen dann hinein begab. Im atrium blieb Marcus noch mal stehen, schweifte mit den Augen über die Seerosen im impluvium, dann sah er zu dem Parther.
    „Cassim!“
    Marcus nickte ihm noch mal – etwas reserviert – zu, dann drehte er sich um und schlurfte in Richtung seines Zimmers, wo schon die strahlend weiße toga bereit lag, die er am heutigen Tage tragen sollte.

    Eindeutig schraubte sich das Stück immer weiter in den Höhepunkt der Spannung, das Schwert, drohend schwebte es, wollte sich schon in einen Leib versenken, doch dann trafen alle drei Protagonisten aufeinander, und der Vetter und die Verlobte vermochten die sich anbahnende Tragödie aber haarscharf zu vermeiden. Gebannt griff Marcus nach einem süßen Teilchen...und griff in die Leere, seine Finger irrten noch eine Weile dort hin, wo eben noch der Nachschub gesichert war, jetzt sich aber nur das gähnende Nichts befand, doch noch immer beschlagnahmte das Stück seine ganze Aufmerksamkeit, so daß er nach einer Weile des Herumirrens aufgab und seine Hand wieder sinken ließ. Wunderbar, das Stück endete gut und in keiner Tragödie, wo sich am Ende alle gegenseitig umbrachten, litten und noch einen letzten Abgesang auf der Bühne veranstalteten, um melodramatisch sich in ihr Schwert zu stürzen. Marcus atmete erleichtert auf, natürlich hätte er es interessant gefunden, was das Stück für eine Zukunft ihnen beiden wohl aufzeigen würde, doch es endete da, wo Epicharis und er schon längst darüber hinaus war. Marcus' Wangen waren jedoch schon ganz rot geworden von der Aufregung; er hob sofort seine Hände und klatschte sie begeistert gegeneinander.
    „Bravo! Großartig!“
    , gab er lautstark von sich und wandte sich dann zu seinem Vetter und seiner Schwägerin.
    „Wundervoll, liebe Antonia, lieber Vetter, das war wirklich ein großartiges Stück. Der Autor ist wirklich begabt, ich glaube, der hat noch eine ganz große Karriere vor sich.“
    Marcus nickte bedeutungsvoll, ganz so, als ob er sich gerade zum Theaterkritiker gemausert hätte.
    „Der Autor hat Dinge aus dem echten Leben heraus gegriffen, hm?“
    , fragte Marcus, denn ganz hundertprozentig sicher war er sich immer noch nicht, wollte noch gerne die Bestätigung von Gracchus oder Antonia dazu hören.


    Mißmutig starrte Acanthus den Boten an und runzelte die Stirn. Doch schließlich zuckte er mit der Schulter, denn im Grunde wunderte er sich über das Anliegen nicht, es kamen in letzter Zeit öfters solche Geschenke ins Haus geflattert, was bei einer Hochzeit nicht verwunderlich war. Er nickte kurz und winkte einen Sklaven heran.
    „Folge dem Sklaven in die villa. Was die Milch angeht? Du wirst sie nach Deinem Botengang erhalten können.“
    Der Junge eilte in die villa voran, immer wieder neugierige Blicke über seine Schulter werfend.

    Die Sklaven ließ Marcus draußen warten, während der annaeische Sklave ihn in das Haus führte, durchaus nicht ohne Neugier sah sich Marcus in dem Haus jener berühmten Familie um, schließlich sagte man ihnen ebenfalls nach, von göttlicher Abstammung zu sein. Aber für welchen Familienzweig das galt, das wußte Marcus freilich nicht, er hatte es ja noch nicht mal sonderlich gut mit seiner eigenen Familienchronik. Marcus schüttelte im Eingangsbereich noch seinen Umhang etwas aus, der von den Regentropfen leicht benäßt war und folgte in die Halle hinein. Gerade als Marcus die Verzierungen betrachtete, ohne wirklich diese zu sehen, sondern in düsterem Brüten zu versinken, kreischte etwas auf, verdutzt blickte Marcus in die Richtung und seine Hand schnellte dorthin, wo er eigentlich immer sein gladius trug, was er freilich nicht umgeschnallt hatte, er war nun nicht mehr Soldat. Doch statt einer Gefahr erblickte er einen Pfau, dessen Federn natürlich in der Balzzeit prächtiger als im Herbst waren, dennoch immer noch mit seinem blaulilanen Federkleid und den grünen Nuancen durchaus etwas her machte. Ein Grinsen schlich auf Marcus' Gesicht, das war mal etwas anderes als der Haushund, der den Herrn des Hauses sonst eher zu begleiten pflegte; erst nach einigen Herzschlägen konnte sich Marcus mit seinem Blick von dem putzigen Vogel lösen und wanderte zu dem Annaeer.
    Salve, Annaeus Modestus.“
    , grüßte er ihn freundlich.
    „Es tut mir leid, daß es doch ein paar Tage länger gedauert hat, aber die Ermittlungen bezüglich des Mordes im cultus deorum haben heute ihren Abschluß gefunden. Um es gleich vorweg zu nehmen, Du kannst beruhigt sein, es wird keine weitere Belästigung hinsichtlich des Mordes mehr auf Deine Familie zu kommen. Der medicus hat eine natürliche Todesursache festgestellt und der Abschlussbericht hebt das klar hervor.“