Ein Zittern ging durch seine Leibesmitte, von der man nicht gerade sagen konnte, daß sie rank und schlank war, mehr füllig genau da, wo ein Finger hinein piekste. So wie Epicharis' Hals sich seiner Berührung entzogen hatte, wich auch der Bauch von Marcus dem Finger aus, denn Aristides war nun mal leider ziemlich kitzelig; ein glucksender und schnaufender Laut löste sich von seinen Lippen bei dem Ausweichen und er zog seinen Bauch einfach etwas ein, was schon ausreichte. Als er wieder nach der Ablenkung auf den Brief linsen wollte, war er schon seinen Augen entzogen, zudem war Marcus kein großer Leser und hätte länger gebraucht, um aus der elegant verschnörkelten Schrift seiner Ehefrau etwas heraus lesen zu können. Aber womöglich hätte er sehen können, ob sein Name da stand, was er nicht hoffte, aber nicht wirklich daran glaubte, das dem doch nicht so war. Einen Herzschlag lang verfolgte er noch den Brief, wie er seiner neugierigen - oder mehr besorgten – Nase entzogen wurde, doch lange darüber nachdenken mußte er nicht. Überraschung? Marcus' Mundwinkel wanderten nach oben, womit sie zuerst ihren üblichen Höhenstand erreichten und somit den trüben Ausdruck etwas vertrieben und dann so was wie gespannte Freude offenbarten; ob es wohl was gutes zu Essen war? Vielleicht eine fette, köstliche Ente, darauf hätte Marcus jetzt großen Appetit, gefüllt mit Gänseschmalz und in einer schön dicken, sämigen Sauce. Schon bei dem Gedanken daran lief Marcus das Wasser im Mund zusammen und erinnerte ihn daran, wie hungrig er war – was ja ein relativ normaler Zustand bei ihm war, außer nach einem Föllereiessen, wo selbst Marcus keinen Bissen mehr zu sich nehmen konnte.
„Ich weiß auch nicht mehr, wie er heißt, aber er kann gut kochen, das muß man ihm laßen.“
Zur Tür gespäht, nein, die Überraschung kam nicht auf Nennung, Marcus hob seine Hand und kratzte sich an der Wange.
„Was für eine Überraschung denn?“
, fragte er arglos.
Als das Gespräch auf die Merkwürdigkeiten bezüglich des Entlaßungsgespräch kam, nickte Marcus zuerst auf der Nennung des Namens hin. Soterica? Er sollte schon wissen?
„Ah ja...natürlich...“
, erwiderte Marcus leise und etwas lahm. Keinen blaßen Schimmer, wen Epicharis meinte, hatte sie die Frau schon mal erwähnt? Marcus nahm eine bequemere Pose auf der Kline ein und hörte den Ausführungen zu, ja, sicherlich, man hörte ungute Gerüchte über den Kaiser und wenn man ihn mal sah, dann war er reichlich blaß, aber die Worte von Salinator waren dennoch reichlich merkwürdig; war der Kaiser etwa nur eine Marionette? Nein, auf keinen Fall, Marcus verwarf den komischen Gedanken sofort wieder.
„Rennen? Meinst Du das vom cultus?“
Da war Marcus noch mit den Soldaten gewesen; Marcus seufzte leise als er daran zurück dachte, sicherlich, er war ihr Kommandant gewesen und es war dadurch schon eine größere Distanz zu den Männern gewesen, aber irgendwie waren das Männer aus Schrot und Korn, und von der Mentalität einfach ihm näher als die Gesellschaft, die sonst seine Familie pflegte, eben die Oberschicht, die Reichen und manchmal auch Mächtigen, oder jene, die glaubten, mächtig zu sein. Marcus rätselte und melancholisierte gleichzeitig, wobei er sich ausgiebig mit der Hand über Kinn und rechte Wange rieb als ihn die Worte von Epicharis aus den Überlegungen schreckten. Wahlen? Nächste Wahlen? Er? Wie? Was? Verdattert starrte er Epicharis an.
„Wahlen? Wieso sollte ich kandidieren? Wofür?“
Marcus grübelte, nein, ein militärischer Posten stand da nicht zur Debatte, dann weiteten sich seine Augen, sie meinte doch nicht etwa für ein politisches Amt, mit langen Wahlreden, Debatten, Verwaltungskram, seltsamen Dingen, die man zu tun hatte und jedes Fettnäpfchen umschiffen sollte? Herrje.
„Äh...“
Was schon mal ein Zeugnis war für mangelnde Eloquenz, die ihn nicht gerade für ein Redneramt qualifizierte.
Marcus dachte noch nach, wie er sich aus der Affäre ziehen konnte, war noch zu keinem Schluß gekommen als ihn der Kuß auf die Nase erreichte.
„Stolz? Worauf?“
Dann erst erblickte er die phalera und seufzte erneut melancholisch, es war wie der letzte Ziegelstein - der Abschlußstein - über dem Gewölbe, das den Ausgang aus seiner Militärzeit darstellte, und ähnlich wie bei der ersten phalera hatte Marcus nicht das Gefühl, sie verdient zu haben, höchstens wenn sie eine für seine ganze Militärzeit darstellte, aber er hatte nur seine Pflicht getan, so sah Marcus es. Dann stutzte Marcus: Kinder? Er beäugte Epicharis, aber verwarf den Gedanken gleich wieder, nach ein paar Tagen könnte das gar nicht sein. Was aber seine Gedanken auf seinen Sohn lenkte, Serenus: Wie es ihm wohl ging, ob ihm Achaia gefiel und ob er viel dort lernte? Der Junge war ja sehr klug und würde bestimmt das Wissen aufsaugen wie ein trockener Schwamm, und erneut hüpfte Marcus' Gedanken weiter, zu einem anderen Thema.
„Ach, mea stella, ich wollte Dich noch zu etwas fragen, ich weiß einfach nicht mehr weiter, wegen Hannibal. Du weißt ja, mein Sklave, es ist einfach schwierig geworden, er tut ständig Dinge, die einfach...ähm...ja...ach, wie sage ich das jetzt...also, es ist so...nein...hm...also, er macht Dinge, die ich nicht vertreten kann, im Gegenteil, die mich in arge Schwierigkeiten bringen könnten, was soll ich nur mit ihm machen, hm?“
Das er reichlich ominös sprach, war Marcus schon klar, aber er war auch schlicht ratlos, inwiefern er Epicharis damit belasten sollte oder nicht.