Beiträge von Marcus Flavius Aristides

    Schwer waren die Schritte von Aristides als er auf das Haus zu hielt. Die Dämmerung war schon herein gebrochen und es war kalt draußen, Regentropfen platschten hernieder, ein kühler Wind zog zwischen den Straßen von Rom entlang. Das Wetter war schlicht ungemütlich, aber es entsprach gänzlich seinem Gemüt am heutigen Abend; seine Schultern waren gebeugt, sein Gesichtsausdruck düster. Sein Sklave – Hannibal – folgte ihm einige Schritte und trug, wie noch ein anderer Sklave, einige Dinge, die er aus der offiziellen Unterkunft bei der CU mitgenommen hatte - wo er freilich selten geschlafen hatte meist nur, wenn er zu lange arbeiten mußt; unter den Sachen, da waren auch seine Rüstung, sein gladius, hasta, pilus und Helm, mit der centuriocrista. Die Sklaven hatten mit dem Rüstzeug schwer zu tragen und Marcus mit dem Brocken in seinem Magen, zudem einer neuen phalera, die er mit einer ganz seltsamen Art erhalten hatte; er trat auf die Tür zu und klopfte- Wind stob in das atrium, kalt, Marcus trat hinein und reichte seinen Mantel, der vom Regen nass war, an den Sklaven weiter. Er wechselte einige Worte mit seinem Sklaven, Hannibal, mit dem er seit einigen Tagen nur das notwendigste sprach und wenn, dann recht frostig. Das Metall der phalera ruhte kühl in Marcus' Hand als er durch das atrium ging und Spuren am Boden hinterließ. Feuchte Abdrücke seiner Soldatenstiefel, die er wohl am heutigen Tage das letzte Mal tragen würde. Ob er glücklich war, traurig, wehmütig oder zornig, Marcus hatte immer einen ausgesprochenen Appetit und kompensierte seine Stimmungen gerne durch ein gutes Mahl, somit lenkte er seine Schritte auch gleich in die Richtung des Eßzimmers.


    Gülden strahlte es aus dem Zimmer, warm leuchteten ihm die Lichter der Öllampen entgegen, ein Knabe aus dunklem Eisen hielt in seinen Händen zwei bronzene Lampen, der direkt an der hinteren Wand des Zimmers stand; Marcus war diese Statuette und Lampenhalter nie aufgefallen, heute tat er es, aber nur kurz, denn dann zog ein anderes Kunstwerk seine Aufmerksamkeit auf sich und das war seine Ehefrau. Wie auf einem Gemälde lag sie auf den Klinen, ein Kunstwerk was heutige Künstler noch nicht so anmutig gestalten könnten. Ein Bild, was in späteren Epochen sicherlich wahre Entzückung bei den Romaphilen hätte auslösen können und ein Lächeln auf das eher düstere und melancholische Antlitz von Marcus brachte, denn selbst wenn der Tag umschattet von belastenden Dingen waren, so erschien ihm seine Ehefrau an dem heutigen Tage besonders ein Licht zu sein, ein goldener Schimmer, der zumindest die nächste dunkle Zeit in seinem Leben erhellen vermochte.


    Ein wenig glänzte es noch feucht in Marcus' schwarzen Haaren als er auf die Kline seiner Gattin zutrat. Ohne ein Wort zu sagen nahm er neben ihr Platz und legte das runde Abzeichen achtlos auf den Stoff, seine Hand suchte nach ihrer Wange, strich zart daran entlang und bis zu ihrem Hals, dann beugte er sich vor und gab ihr einen warmen Kuss, auch, um seine Gedanken aus dem trüben Gewässer des Wehmuts heraus zu steuern.
    Mea stella!“
    , raunte er als er seine Lippen von ihr gelöst hatte. Seine Finger fuhren über ihre Kinnlinie; wie schön sie doch war. Er lächelte milde, aber nun schlich doch wieder die Melancholie in sein Gesicht, auch wenn er sie hartnäckig vertreiben wollte, heute war aber ein schwerer Tag für ihn gewesen, er mochte Epicharis damit dennoch nicht belasten.
    „Wunderschön bist Du, corella mea!“
    Er spürte etwas an der Hand kitzeln und erblickte eine Feder, samt Schreibunterlage.
    „Oh, störe ich grade? Was schreibst Du denn, mea stella?“

    Warm glitt sein Atem über die Lippen, kräuselte sich zu einem hellen Hauchen als er auf die morgendliche Kälte traf, feine Schwaden wehten von seinem Mund hinfort und lösten sich bereits vor dem nächsten Herzschlag auf. Um sich herum spürte er die Präsenz der anderen Patrizier, auf seinen Schultern ruhte das beruhigende Gewicht einer Rüstung, des aeneum tegumen. Es fühlte sich gut an, sie zu tragen; vor einigen Tagen hatte er seine eigene Rüstung abgelegt, sie auf einen hölzernen Ständer in eine Kammer gestellt, denn er hatte seinen Dienst als Soldat aufgegeben und fühlte sich immer noch jeden Tag nackt, wenn er nicht das Gewicht der lorica auf sich spüren konnte. Er hatte immer noch damit zu kämpfen, daß er den Dienst eines Soldaten hatte aufgeben müßen. Womit der Tag für ihn einerseits besonders wichtig, dann wiederum auch recht schmerzhaft war. Es war nun das erste Mal seit Jahren, daß er wieder hier unter den Saliern stand, die letzten Feiertage lagen in der Zeit als Marcus im fernen Parthia unter dem Kommando des göttlichen Iulianus diente. Marcus schloß die Augen und sog die kalte Luft in sich hinein, es war wie ein Abklang seiner Zeit als Soldat, während er hier in der archaischen Rüstung ihrer Ahnen stand. Er spürte das ruhige Klopfen seines Herzen, hörte seinen eigenen Atem und spürte Schild und Schwert in seinen Händen, die von seinen schwieligen Händen geübt umgriffen wurden. Rumps! Metall schlug auf Schilde und Marcus öffnete die Augen, der Augenblick der Ruhe, die ihn erfaßt hatte, schwand schlagartig, denn nun kam der Teil der ihm regelrecht schlaflose Nächte bereitet hatte – die Tänze. Mit großer Freude hatte er diese früher vollführt, doch mit seinem Bein waren selbst die Proben schon eine Tortur gewesen, Marcus holte tief Luft und schlug den Takt ein. Der Schmerz schoß bereits beim ersten Schritt in Marcus' Bein, doch er war noch nicht allzu schlimm, um ihn in der ersten Zeit des Tanzens zu sehr zu beeinträchtigen, was aber mit Sicherheit noch kommen würde. Das tripudium begann: Ein Schritt, noch einer, ein Dritter zur Seite, eine Drehung, ein Schlag auf das Schild, Marcus kannte den Tanz mittlerweile sehr gut und konnte ihn noch nach Jahren, wäre nicht sein verfluchtes Bein.
    „Divum empta cante, divum deo supplicate...“
    , hörte er seine eigene, tiefe und geübte Baßstimme singen, immerhin konnte er da ohne Probleme mit den anderen Saliern mit halten. Noch ging es mit seinem Bein, doch er wußte nicht, wie lange er durch halten würde. Wieder eine Drei-Schritt-Kombination, wieder dröhnte laut der Klang von Metall auf Schild. Es war wahrscheinlich die Sicherheit der anderen salier und dann die vertrauten Schritte, die die Nervosität sich zu blamieren, minderte, dennoch verfluchte er seinen Vetter, daß er ihn nicht ganz von den Tänzen befreit hatte, er wollte schließlich keinen Fehler machen bei einem so wichtigen Ereignis.
    Cume tonas, Leucesie, prae tet tremonti quot ibet etinei de is cum tonarem...“
    Im Zuge der salier bewegte auch Marcus sich zwischen all die Menschen, die schon so früh erschienen waren, um den Tänzen der salier beizuwohnen.

    Marcus brummte der Schädel, ach herrje, warum mußte man im Leben nur so viel lernen und wißen, warum so viel studieren und sich so viele Details in den Kopf hämmern? Während er so in den Reihen saß und immer wieder zu seinem Nachbarn gespäht hatte, war ihm dieser leidige Gedanke gekommen. Er war eine marmorne Schreibtafel und der Lehrer meißelte mit einem eisernen Werkzeug die Zahlen und Orte, Namen und Geschehnisse in ihn hinein. Aber Marcus war nun mal ein sehr brüchiger Marmor in Dingen der Gelehrsamkeit, die Fakten ließen sich schlecht auf ihm Schreiben und verwitterten sofort wieder. Er nickte jedoch und versuchte den Eindruck zu zeigen, daß er bei allem mitkam und alles sofort verstand. Den anderen gelang es doch auch? So wie sie Fragen stellten und sich regsam an der Diskussion beteiligten, Marcus seufzte frustriert und spähte zu Modestus, hoffentlich würde er bei ihm abschreiben können später noch, denn Marcus kam gar nicht mit dem selber schreiben hinter her, zumal er nicht genau sortieren konnte, was wohl bedeutsam sein könnte oder was nicht. Grübelnd hob Marcus die Hand und kratzte sich am Kinn. Aber der Aurelier war auf jeden Fall deutlich besser als sein letzter paedagogus in der Kindheit – das letzte Mal, daß Marcus etwas mit einer vergleichbaren Lehre zu tun hatte – denn Marcus fielen nicht die Augenlider herunter, noch sank sein Kinn auf die Brust, auch begann er nicht Wälder zu sägen mit seinem Schnarchen, was schon ein äußerst gutes Zeichen war. Marcus nickte hin und wieder und kritzelte auf seiner Wachstafel herum.


    Selbiges Bild fand man dann auch am nächsten Tag. Einige sehr eindeutige Wachsbilder zierten mittlerweile die ganze Tafel, umrahmt von seltsamen Gekritzel, aber Marcus hatte – entgegen seinem Bruder – keinerlei künstlerische Begabung, mal von seinem Instrument abgesehen, daß er mehr mit Leidenschaft als Virtuosität spielte. Unter der Tafel hatte Marcus noch einen Spickzettel eingepackt, den er schon bei dem dritten Examen der Militärakademie gebraucht hatte, damals ging es ja auch um die Kaiser, vielleicht würde er ihm ja auch hier nützlich sein. Eine nackte und schwer erkennbare Frau gewann durch seinen stylus an Form im Wachs, während er lauschte. Ach herrje, dieser Tiberius schien ein echter Langweiler zu sein, so sein Gedanke, kein Vergnügen am Amüsement. Doch was der Aurelier über den Aelius Seianus berichtete, das geisterte tatsächlich länger in Marcus' Kopf herum, die Aelier, die Aelier, langsam hatte Marcus das Gefühl, irgendetwas stimmte da nicht, aber er kam noch nicht ganz darauf...Marcus sah sich derweil um und sagte nicht, denn sicherlich würden noch schlaue Fragen kommen, Marcus fühlte sich nicht in der Lage, solche zu bringen, seine wären wohl eher simpler Natur.

    Noch lange war kein Leben in die Taverne zurück gekehrt, die in der Nacht so munter war, voller lachender Stimmen, Menschen, die ihren Gelüsten nachgingen, doch im Morgengrauen waren nur wenige auf den Beinen. Es drang somit kein Lärmen bis zum Fenster. Nur wenige Mondsüchtige warteten den heran nahenden Sonnenaufgang ab. Die Wägen, die die Nacht befuhren, und laut polternd über die Straßen ratterten, waren mittlerweile auch verschwunden. Die Stadt erwachte schon und manche waren schon eifrig am Arbeiten, während Marcus immer noch die Folgen einer berauschten Nacht zu glätten versuchte. Erfolglos! Mitten in der Bewegung, die eine Schnecke in Eiltempo hätte überbieten können, stockte Marcus, denn gerade als er versuchte, sich aus dem Knäuel heraus zu winden und sich dezent – und hoffentlich unbemerkt – von der ganzen Szenerie davon zu machen, kam Regung in die Körper. Die junge Sklavin bewegte sich versonnen im Schlaf, aber der Parther schien leider zu Erwachen. Ertappt – so fühlte sich Marcus – blieb er ganz still, halb im Schatten eines Fensterladens. Bleib noch, meine Liebste? Oh...bei den Göttern!, schoß es Marcus durch den Kopf als er unschwer erspüren konnte, daß das sich jemand an seinem Bein zu schaffen machte. Die Verlegenheit, die seinem Gesicht eine tiefe Rötung verpaßte und die gnädigerweise durch die Dämmrigkeit noch verborgen wurde, ließ ihn wie eine Maus erstarren, die eine Schlange erblickt hatte. Gerade spürte er noch die Hand an seinem Bein und langsam machte sich in seinem Kopf der Wille breit, dem Ganzen schnell und radikal ein Ende zu setzen, denn das behagte ihm gar nicht, im Gegenteil, da bemerkte er, daß Cassim aufsprang. Ah je, was nun? Schimpfen und den Sklaven verfluchen? Marcus folgte jedoch seinem Instinkt, den er in seiner Kindheit schon hatte: Ganz fest die Augen schließen und so tun, als ob die Welt um ihn herum nicht bestand hatte sobald die Augenlider geschloßen waren. Ach herrje!


    Für den Moment rühte sich Marcus dann nicht mehr und es wurde wieder still im Raum. So still und dann nur noch erfüllt mit den Atemzügen dreier Menschen, daß er vorsichtig wieder seine Augen öffnete. Nein, Cassim stand nicht mehr. Marcus hob vorsichtig seinen Kopf an und erkannte, daß der Parther etwas weiter entfernt wohl wieder schlief. Hatte sich Marcus nur getäuscht und der Parther hatte nur seine Schlafposition gewechselt? Aber da sein Knie ungünstig auf dem harten Boden lag, die Kissen waren irgendwie verrutscht, hatte Marcus das dringende Bedürfnis sich zu erheben. Zudem schlugen die Nachwirkungen der Nacht gnadenlos zu: Marcus wurde übel und der Schädel brummte nicht minder. Außerdem schien Cassim zu schlafen. Vorsichtig richtete sich Marcus auf seine Ellbogen auf, spähte zu dem Parther und seufzte still in sich hinein, vielleicht sollte er in Zukunft doch die Finger von Rauchpfeifen lassen. Auch seine Knochen schienen laut schreien zu wollen, daß Marcus einfach älter wurde und die Eskapaden nicht mehr so gut weg steckte wie noch vor zwanzig Jahren. Mit einem gepressten Stöhnen auf den Lippen erhob er sich und warf der Syrerin einen ärgerlichen Blick zu, er war sich sicher, daß sie das so arrangiert hatte und wohl ihre Freude an ihrem Spiel gehabt hat. Als er sich auf die Beine kämpfte, ergriff er schon die Tunika, die zerknautscht neben den durcheinander geworfenen Kissen lag. Barfuss trat er an das Fenster und zog sich das etwas klamme Kleidungsstück über den Körper. Blau war der Himmel, wie er nur am frühen Morgen war, wenn sich die Sonne langsam hinter den Horizont hervor quälen wollte, um die Welt einen weiteren Tag mit ihren Strahlen zu erhellen.


    Marcus schob den Festerladen zur Seite. Etwas mehr von dem Dämmerlicht fiel in die Räumlichkeiten hinein und erhellte das wilde Durcheinander. Es war der nächste Tag, heute würde er heiraten, mit einem Schlag kam die wuchtige Erkenntnis über Marcus und zugleich eine Welle abscheulicher Übelkeit. Marcus unterdrückte mühsam ein Würgen und streckte den Kopf hinaus, um ein wenig frische Luft in seine Lungen einzusaugen. Nur noch wenige Stunden, dann würde die Sonne ihrem Zenit entgegen streben und die Gäste würden in dem Garten am Aventin erscheinen, und dann lag es nur noch in den Händen der Götter, wie sein weiteres Leben aussah. Da draußen nur die üblichen üblen Schwaden der subura einzuatmen waren, zog Marcus seinen Kopf schnell wieder in das Zimmer. Einen tiefen Seufzer ausstoßend rieb er sich die Schläfen, seine Haare standen wild in alle Richtungen ab und er spürte schon das Kratzen der dicken und harten Bartstoppeln an seinem Kinn und Wangen. Er gab der Sklavin einen Stoß mit der Fußspitze.
    „Wach auf, Mädchen!“
    Die Syrierin bewegte sich stöhnend und schlug die Augen auf.
    „Bring' mir was zu Trinken. Und beeil' Dich etwas.“
    , wies er sie mit barschem und kaltem Tonfall an. Die junge Frau sah ihn aus verengten Augen an und erhob sich müde, sie wußte schon, daß die meisten Kunden am nächsten Morgen nicht mehr säuselten oder guter Laune waren. Sie ergriff ihr Gewand und trat aufrechter Haltung in den Gang hinaus. Marcus sah ihr nicht nach, sondern zu dem Parther.
    „Cassim, wach' auf!“

    Die Laune des PU schien wirklich mies zu sein und irgend etwas in seinem Blick behagte Marcus nicht, aber er konnte es schwer einordnen, zumal wollte er es gar nicht sehen, er wollte lieber so tun, als ob der PU einfach nur ganz schlicht schlechte Laune hatte, etwas, was er ihm wohl kaum verübeln würde. Außerdem schien er Marcus wirklich keine Steine in den Weg zu legen, sehr anständig, wie Marcus fand. Wenn er auch mit Wehmut daran dachte, daß das nun das Ende war, aber es sollte wohl so sein, mußte wohl so sein, war nicht anders möglich...oder? Hätte er den Arzt bestechen können? Aber nein, dann war da ja auch noch Epicharis...die Hochzeit hätte er jedoch vielleicht doch noch hinaus zögern können, einige Monate, ein Jahr vielleicht? Marcus schwieg für einen Moment, denn er war noch ganz benommen von der Schnelligkeit. Jahre um Jahre hatte er nun hier gedient und nun war es wohl vorbei. Marcus nickte dennoch dankbar.
    „Ich danke Dir, praefectus.“
    Er hatte zwar schon jemanden im Sinn, der seine Nachfolge übernehmen sollte- der Decimer natürlich-, aber das war nicht seine Aufgabe, dem praefectus vorzuschlagen. Das würde er dem ersten centurio der ersten cohors überlaßen, mit dem er schon einige Worte gewechselt hat darüber am Morgen. Somit salutierte Marcus.
    "Es war mir eine Ehre unter Dir gedient zu haben, praefectus! Ave, praefectus!"
    Ahnungslos und blauäugig wie Marcus war, äußerte er das mit durchaus Überzeugung. Erst dann drehte er sich um und verließ das officium.

    Etwas enttäuscht blickte die Frau von der Kanne, die sie bereits in den Händen hielt, zu den jungen Soldaten, doch mit einem Schulterzucken stellte sie das Tongefäß mit der verdächtig dicklichen Milch zurück in das Regal, direkt neben zwei grobe Bürsten auf Schweinsborsten gemacht, mit denen sie das Fell ihrer Katzen pflegte. Und natürlich wirkte der Lächeln auch auf diese ältere Frau, die es mit ihren Zahnlücken zeigend erwiderte.
    „Ach, es ist doch eine Freude, so eifrige junge Soldaten zu treffen, da fühle ich mich schon gleich viel sicherer.“
    Obwohl noch ein Toter unter ihrem Fenster lag, aber diese Tatsache ignorierte Pulicia gekonnt. Sie hatte das Talent vieler Römer, die nur das wahr nahmen, was sie auch wollten und den Rest einfach ausblendeten.
    „Aber sicher...sicher...ganz von Anfang an, ich verstehe...nehmt, doch bitte Platz, bitte!“
    Einladend deutete sie auf einen Hocker, der mit einer groben Decke bedeckt war, die ganz nach einer Flohdecke aussah. Auf eine geschlossene Kiste, auf der ein alter Napf stand, und auf einen Korbstuhl, der mal bessere Tage gesehen hat und mehr Löcher als Sitzfläche aufwies. Als sich Pulicia der ganzen Aufmerksamkeit sicher war, setzte sie zum sprechen an.
    „Also, ich war gerade dabei eine Decke auszuschütteln als ich die Schritte in der Gasse vernahm. Ich bin ja nicht neugierig...“
    Gelogen.
    „...darum habe ich nicht sofort hin geschaut. Aber zufällig sah ich dann doch hin. Es war der Mann, der da jetzt tot liegt. Er ging ganz in sich gekehrt die Straße lang, als ob ihn ein schweres Kümmernis plagte. Dann hörte ich noch mehr Schritte. Zwei üble Gesellen, man sah sofort, dass es Mordgesindel war...“
    Gelogen, Pulicia hatte sich gar nichts dabei gedacht.
    „...und sie folgten dem Mann. Sie riefen ihm üble Beschimpfungen hinter her. Du, wir bringen Dich um. Bleib stehen, Geld oder Leben. Ja, das riefen sie ihm hinter her.“
    Auch gelogen.
    „Er drehte sich darauf hin um...“
    Stimmte auch nicht, aber Pulicias Wangen röteten sich als sie die Geschichte vor ihren Augen neu ersponn.
    „...und sprach: Niemals, eher stürze ich mich in mein Schwert.“
    Ihre Hände wedelten theatralisch in der Luft.
    Das sollst Du haben?, erwiderten sie. Sie drangen auf ihn ein und stachen und stachen immer wieder zu. Bis das Blut des Pflasters sich von seinem Blut tränkte und er mit einem letzten Seufzen auf den Boden sank. Die Männer ergriffen die Flucht...naja, sie suchten erst noch was auf dem Boden, aber dann flohen sie. So war es.“
    Pulicia nickte eifrig.



    Kaum hatte Marcus die Glückwünsche seines Vetters entgegen genommen und grinste ihm noch schief zu als schon andere Glückwünsche ausgesprochen wurden, das Feliciter vieler Gäste drang an sein Ohr. Marcus ' Lächeln wurde für den Augenblick noch etwas breiter und langsam verflog die Anspannung, die ihn den ganzen Morgen – nein all die Tage zuvor – schon sehr geplagt hatte. Was nun kommen würde, das konnten nur die Götter und die Parzen bestimmen, aber der Ritus war erst mal geschafft und das Bauchgrummeln fast schon weg – abgesehen davon, daß ein anderes Grummeln es ersetzte, nämlich der Hunger. Nachdem auch langsam die Übelkeit vom Morgen abklang, der Kater nicht mehr ganz so schlimm war, meldete sich der Appetit wieder und die Speisen drangen Marcus schon an die Nase. Marcus streckte sich ein wenig und spähte in die Richtung der Tische, ah wunderbar, sie konnten schon zum Essen schreiten, gerade wollte er die Gäste – die da wohl noch etwas zögerlich schienen – dazu einladen als zwei seiner Soldaten – gut, einer war nicht mehr unter seinem Kommando – unter die Nase kam.
    Optiones! Salve, schön, daß ihr kommen konntet.“
    , grüßte er die Beiden. Etwas verlegen wurde Marcus doch, er fühlte sich nicht mutig, aber er schob es in die Ecke von den üblichen Reden an einer Hochzeit ab. Er hob die freie Hand und rieb sich kurz an seinem Nacken.
    „Ich danke Dir, Decimus. Auf Fortuna hoffen wir natürlich...und auf Iuno.“


    Das strahlende und fröhliche Lächeln in dem Gesicht von Antonia mutete Marcus – der sie jedoch zu selten gesehen hatte – als sehr ungewöhnlich an, der Segen einer Mutterschaft schien wohl die Frauen wirklich tief greifend zu verändern und ihnen viel Glück zu spenden- zumindest war es sehr ansteckend, Marcus erwiderte es und nickte.
    „Wohl wahr, welche Götter können auch ihrem sonnigen Gemüt widerstehen? Die Sterblichen zumindest nicht.“
    Die Verlegenheit kehrt prompt zurück als er sah, daß der Claudier mit seiner Verwandten ins Gespräch kam, da wollte er wirklich nicht stören, zumal er lieber noch den Mann etwas mied. Mehr als ein unzusammenhängendes Stottern hätte Marcus sowieso nicht hervor gebracht. Er wandte sich wieder den Soldaten, aber auch den anderen Gästen zu.
    „Ich danke für eure Glückwünsche, doch möchte ich euch nicht länger quälen, während uns schon der Essensduft in die Nase steigt. Kommt, laßt uns das Mahl genießen.“
    Marcus klopfte Sparsus freundlich auf die Schulter, nickte Serapio zu und sprach:
    „Kommt, schließt euch doch ruhig uns an. Das Essen wartet schon.“
    Worauf Marcus auch die Tat folgen ließ und sich selber – Epicharis noch immer nicht loslaßend – einfach in Richtung der Klinen bewegte, die so groß gestaltet waren, daß man auch getrost zu zweit darauf liegen konnte, sofern man das überhaupt wünschte. Etwas umständlich war es dann doch, sich auf die Kline zu legen – mitsamt der schweren toga – aber es gelang. Sofort trabten auch die Sklaven heran und begannen, sich um die Gäste zu kümmern. Marcus ließ sich einen Becher gefüllt mit dem guten Tropfen seines Bruders – der wahrscheinlich nicht ganz glücklich darüber wäre! - reichen und nahm einen tiefen Schluck.

    Mit zwei blauen Fähnchen bewaffnet sprang miles Ivinius Pallitius – auch nur Tius – genannt, von seinem Sitz auf, als die Wägen auf die Rennbahn schoßen. Eine ganze Soldatenschar hatte sich heute zu der Rennbahn und dem Wettkampf an diesem Feiertag aufgemacht, um sich ja nicht den Auftritt ihres optio entgehen zu laßen. Sie hatten sogar zusammen gelegt, um genug an Geld zusammen zu kriegen – um von dem Dienst heute befreit zu werden. Tius, Cafo, zudem einige alte Veteranen von der Prima, waren hier, aber auch ein paar von den cohortes urbanae. Denn es hatte sich schnell herum gesprochen, daß der Decimer an dem Rennen teilnahm. Begeistert wedelte Tius mit seinen Fähnchen aus blauem, ausgebleichtem Leinenstoff.
    „Vor, vor, optio, gewinne, für die veneta! Los! Los!“
    „Hey, Tius, der fährt nicht für die veneta. Der fährt für die aurata!“
    „Wie...?“
    Tius starrt auf die Bahn und erkannte die golden leuchtende Beschläge am Wagen.
    „..für den Drecksverein? Das gibt’s doch nicht...!“
    „Was soll das heißen? Drecksverein? Ich geb' Dir gleich Dreck zu freßen, Tius!“
    Ein stämmiger Soldat, Briso hieß er, schon seit Jahren Fan der aurata, wobei er auch hin und wieder mit der russata liebäugelte, stand auf und hob drohend die Faust. Sie waren alle schon recht angetrunken zu dieser Stunde.
    „Jungs, das reicht, hinsetzen. Hier wird nicht geprügelt.“
    Aus einem Reflex heraus setzte sich die Männer als sie ihren Zenturio erkannten, der in zivil, sich einen Weg durch die Menschemengen gebahnt hatte und bis zu den Rängen, die sich die Soldaten bereits vor einigen Stunden ergattert hatten, sie hatten auch nicht zimperlich mit ihren Ellbogen oder Fäusten gesparrt um die praesina Fraktion, eine immer mehr schwindende Anhängerschaft, dort zu vertreiben. Denn in einem waren sich die Männer alle einig, die praesina konnte man wirklich in den Sack stecken und getrost vergeßen.
    „Wir...ähm...centurio, wollten uns gar nicht prügeln. Bestimmt nicht...“
    „Wie steht es denn?“
    „Erste Runde, centurio, noch ist alles offen.“
    „Macht er sich gut?“
    „Bis jetzt ja!“


    Aus kollegialer Solidarität ließ Tius dann auch die blauen Fahnen schnell verschwinden, einige Münzen wurden gewechselt und der Soldat hatte kurze Zeit später eine grellgelbe Fahne in der Hand – golden war zu teuer für den Mann. Erneut sprang er auf, gerade als der Decimer an ihrer Bande vorbei kam, und brüllte aus Leibeskraft – und er hatte ein mächtiges Stimmorgan:
    „Serapio zum Sieg,
    Meister über die Parther flieg.
    Mach sie nieder,
    häng sie ab, immer wieder!“

    Tius hatte noch nie einen Sinn für solche Dinge wie das Reimen gehabt, aber dafür inbrünstige Leidenschaft für den Rennsport. Er sah bestätigend zu seine Kumpanen.
    „Na, wenn der im Krieg sich gemacht hat, dann wird das hier ein Kinderspiel sein, findet ihr nicht auch?“
    Bestätigendes Nicken.
    „Serapio, los, los!“
    , stimmten auch die anderen Soldaten mit ein.

    Undurchsichtigen Schwaden gleichend schwirrten die Gespräche der Senatorenschaft an Marcus vorbei und er mußte zugeben – natürlich für sich selber – daß er nicht im Ansatz verstand, was sie besprachen. Lagerbestände, Decemviri, Aedile, Leumund, Fristen...ach herrje, wenn die Arbeit eines Senator so aussah und man mußte sich immerzu mit solch diffizilen und schwer verständlichen Angelegenheiten befaßen, dann war Marcus' Entscheidung, erst mal keinen Fuß in die Politik zu setzen, wieder bestärkt worden. Nein, das war was für schlaue Männer wie Gracchus und Durus, und ganz offensichtlich auch Macer und Quarto, schienen sie alle doch auf einer Eben diskutieren zu können. Ob er jetzt Corvinus wegen dem profanen Gespräch, in das Marcus ihn verwickelt hatte, von dem Diskurs zwischen den Männern abhielt? Er war doch auch Senator, wahrscheinlich war das Ganze nicht minder interessant wie für die Anderen – die lebhaft sich in der Materie austauschten.


    Oh, der Teller war ja schon wieder leer, aber Marcus hatte ja einige Tage an Abstinenz aushalten müßen, es war kein Wunder, daß er sich hier den Bauch voll schlug. Marcus schob den Teller jedoch erstmal beiseite, damit er noch für den nächsten Gang Platz hatte, was der Sklave jedoch als Aufforderung verstand und ihm wieder nach legte...wie konnte man da schon widerstehen? Marcus aß weiter. „Wirklich? Nun, auf den Rat der Götter zu vertrauen kann niemals schaden. Ich werde das auch bei Zeiten probieren, wenn ich mir allzu unschlüßig bin.“ Und er hoffte, daß die Götter dann mit ihm waren und ihn nicht dorthin führten, wo er nicht hin wollte. In die verstaubten und schrecklich langweiligen Hallen des Senates, wo er – so seine Befürchtung – wohl bei jeder Sitzung einschlafen würde, weil er mitunter die Angelegenheiten in ihrer Wichtigkeit nicht würdigen konnte, weil er a. sie nicht verstand oder b. sich nicht dafür interessierte. Aber die Götter würden schon wißen, wo seine Begabungen lagen – sofern es sie überhaupt interessierte. Aber ein Versuch war es wert. Marcus nickte langsam und spülte den Bißen mit einem vollmundigen Wein herunter – wirklich, Geschmack hatte Durus, auch der Wein war vorzüglich.


    „Womöglich, vielleicht...“, gab Marcus unbestimmt von sich, ob er jemals den Weg in den Dienst der Götter schaffte? Das bezweifelte er doch stark, doch die Zukunft war wie immer ungewiß. „Aber ich muß das Militär verlaßen, morgen werde ich schon den praefectus urbi aufsuchen, um meine Entlaßung zu erbitten.“ Marcus zuckte mit der Schulter und zog eine bedauernde und leidende Miene. Wenn es ihm auch Bauchweh bereitete, es verdarb ihm nicht den Appetit. Und von diesen ernsten Materie sich einem leichten Thema hinzuwenden, war ihm daher nicht ganz unrecht. „Die Zeit, ja, das ist wirklich ein Dilemma, ich bin deswegen leider auch kaum dazu gekommen. Ich habe mir vor einiger Zeit auch einen Sklaven aus Parthia geleistet, der mir allen ernstes erzählt hat, daß sie in seinem Land mit Raubvögeln jagen. Sie richten Falken oder sogar Adler ab, damit diese Wild erlegen für sie. Interessant, hm? Aber ich glaube noch nicht, ob das wirklich geht. Er zieht gerade einen für mich auf, um es mir zu beweisen.“ Mal nach dem Falken sollte Marcus schaun, fiel ihm dabei ein...aber...naja, seit der Nacht vor seiner Hochzeit war Marcus immer reichlich verlegen, wenn es um Cassim ging, mehr, was da in der Nacht paßiert war, über der immer noch der nebulöse Schleier des Opiums lag. „Aber im Sommer, nimmst Du Dir da nicht auch mal etwas Zeit, um Rom zu entfliehen und das Landleben zu genießen?“ Was so manch ein vornehmer Römer tat. Und das war doch die Gelegenheit, all den Dingen zu frönen, zu denen man sonst nicht kam.

    Warum war er eigentlich hier? Das war eine Frage, die sich Marcus just stellte, als er – den dunkel braunen Gehstock in der rechten Hand – gerade den Saal betrat. Ganz genau wußte er es nicht einzuordnen, nur, daß er wohl mußte, er war schließlich angemeldet worden. Etwas unwohl fühlte er sich in der zivilen Kleidung, die er sich angezogen hatte und in die er sich wohl langsam, aber sicher doch eingewöhnen mußte. Wenn der Kurs nicht ein Thema behandeln würde, wo sich Marcus nicht schon der Militärakademie wegen eingeleßen hatte, hätte er wohl blau gemacht und den Kurs wieder sausen laßen, denn er ahnte, daß am Ende so ein Test kam und davor hatte er jetzt schon Bammel. Hoffentlich konnte er irgendwo abschreiben. Marcus sah sich um und erkannte Annaeus Modestus, ah, immerhin ein kluger Mann, der wußte die Antworten bestimmt. Marcus ging auf ihn zu, hinkend, und nahm nach einem Nicken und einem freundlichen: Salve, Annaeus!“ neben diesem Platz. Puh, gerade noch rechtzeitig gekommen, Marcus haßte es, wenn er zu spät kam – was vor seiner Militärzeit oft paßiert war – und die Leute ihn mit pikiert-indignierten Blick anstarrten. Marcus blinzelte verblüfft als er den Aurelier vernahm. Ach, das klang gleich schon viel sympathischer, wenn der Mann schon im Vorfeld sich nicht als überheblich oder allwissend gab. Marcus lächelte gutmütig und nickte marginal, nein, er würde dem Mann bestimmt keinen Strick daraus drehen, daß das sein erster Kurs war. Marcus lehnte sich zurück, so daß der Stuhl knarrte, und harrte der Dinge, die kommen mochten.

    In das wächserne und starre Gesicht sah Marcus als er stumm wartete, dabei weder auf die trotzige Antwort des Decimers antwortete, noch selber einen neuen Faden begann in diesem Knäuel des Zwistes. Genauso starr wie die Totenmaske seines Ahns starrte Marcus in die Seitenflügel des atrium. Wenn nicht der finstere Ausdruck in seinem Gesicht stehen würde, der düstere Glanz in den Augen, der sich nicht legte, als er einige Zeit später, die bis dahin schweigend vergangen war, endlich Schritte hörte. Na, sein Sklave hatte sich aber reichlich Zeit gelaßen, was Marcus in dem Augenblick noch ein wenig mehr ärgerte, aber das ganze Verhalten von Hannibal in den letzten Jahren mißfiel ihm, der Sklave nahm sich immer mehr heraus, was schon früher dauernd in einem Fiasko geendet hatte. Aber damals...nun, da war es anders als heute, womöglich weil Marcus das früher weniger aufgeregt hatte, für ihn weniger auf dem Spiel stand, als nun, wo Position, Familie und Ansehen an ihm hingen. Was mit einem Mal schwer auf seinen Schultern lastete, langsam löste sich Marcus aus dem Schatten der Säule und trat in das Licht des atrium zurück, sein Blick ruhte auf seinem Sklaven, der einst auch ein guter Freund gewesen war...jetzt immer noch? Marcus war sich deßen nicht sicher und auch, ob er es selber noch sein wollte; ärgerlich schob Marcus den Gedanken und die Frage beiseite und atmete tief ein.


    Optio Decimus Serapio ist mit dem Anliegen zu mir gekommen, Dich von mir zu erwerben. Er möchte Dich frei kaufen und Dir wohl die Freiheit schenken. Er glaubt es tun zu müßen, weil Du wohl ein stolzer Adler bist, der nicht in einem Käfig leben sollte.“
    Ob dieser Aussage konnte sich Marcus doch immer noch amüsieren, trotz seines Ärgers.
    „Daß dem nicht so ist, das wissen wir Beide zu Genüge. Ich habe ihm die Einzelheiten und Details erspart, warum wir Beide das nicht glauben. Aber es ist Dir anzuraten, Hannibal, daß Du selber Decimus Serapio darüber aufklärst, was für schmutzige und scheußliche Dinge Du begangen hast, die einem Adler wirklich nicht gut zu Gesicht stehen.“
    Kühler war die Stimme von Marcus bei den letzten Sätzen.
    „Außerdem äußerte Decimus Serapio noch, daß er Dich liebt.“
    Jetzt schwoll die Stimme zu eisiger Kälte an, der düstere Schatten verfinsterte sich noch mehr als er seinen Sklaven fixierte.
    „Und jetzt sage mir, Hannibal, erwiderst Du das?“

    Zitat

    Original von Potitus Vescularius Salinator
    ....


    "Was willst du, Centurio?" fragte der Praefectus abfällig von oben herab und betonte mit der Nennung des Ranges, wie weit Aristides unter ihm stand.



    Schon von Anbeginn des Tages war Marcus angespannt gewesen, denn dieser Schritt war ihm zuwider und gänzlich gegen seinen Willen. Mit Leib und Seele war er in den letzten Jahren Soldat geworden, hatte Erfahrungen gesammelt um schlußendlich eine eigene Zenturie zu befehligen. Darum wirkte er auch verschloßener als er es seinem Naturell sonst wäre, das doch mehr gutmütiger und menschenfreundlicher Art war. Er wollte das Militär nicht verlaßen, ihm waren auch die Männer ans Herz gewachsen, die schon so lange mit ihm gedient und gekämpft hatten – wie die Soldaten der Prima, die mit ihm mitgekommen waren – oder die neuen Soldaten von der CU, für die er sich nicht minder verantwortlich fühlte. Aber die Götter wollten wohl etwas anderes, die Parzen hatten entschieden und Marcus blieb keine andere Wahl. So fiel es ihm schon schwer genug, um einen klaren Gedanken zu faßen, daß ihn die Worte des PU noch viel mehr aus dem Konzept brachten; oder viel mehr der Ausdruck und die Stimmlage, die auch Marcus nicht entgingen. Verwirrt sah Marcus einige Herzschläge lang aus, während es in seinem Kopf rumorte; war da nicht etwas gewesen? Hatte Gracchus nicht gesagt, für die Flavier wären schlechte Zeiten angebrochen? Des Kaisers wegen? Den Aeliern? Und war das nicht ein guter Freund des Kaisers? So sagte man es in Rom zumindest auf den Straßen. Oder war seine Rede einfach so grottenschlecht gewesen, daß es dem Mann schon in den Ohren weh getan hatte, weil er einen ähnlichen Sinn für Worte wie sein Vetter Gracchus hatte? Aber nein, womöglich war die einfachste Erklärung die Nächstliegendste. Der Mann hatte einfach schlechte Laune, weil ihm heute schon eine Laus über die Leber gelaufen war. Außerdem...das mit den Aeliern konnte gar nicht stimmen, Marcus entsann sich doch an die herzliche Nachfrage von Aelius Quarto bezüglich seines Bruders und wenn der Bruder des Kaisers ein Freund von einem Flavier sein konnte, dann waren die Gerüchte und Befürchtungen seines Vetters völlig unbegründet. Marcus war nach dieser Schlußfolgerung etwas erleichtert und suchte danach los zu sprechen, was ein Dilemma war. Die eingeübte Rede war futsch – aus seinem Geist völlig heraus gestrichen.


    „Ähm.....ja...*hust*... nun, praefectus, um es kurz zu erklären: Ich habe in dem letzten Krieg in Parthia unter dem göttlichen Kaiser Ulpius Iulianus bei der Prima gedient. Leider wurde ich während der Kämpfe schwer verletzt, einige Wochen bevor wir wieder nach Italia zurück gekehrt sind. Die Verletzung ...hm...verfolgt mich heute noch, also nein, das ist falsch ausgedrückt, sie macht mir immer noch zu schaffen. Der medicus im valetudinarium hat sie so schwerwiegend eingeschätzt, daß er meinte, er müße mich wohl in absehbarer Zeit für dienstuntauglich erklären, um noch länger auf dem campus zu stehen oder im aktiven Dienst tätig zus ein.“
    Ach herrje, hätte er doch nur einen Funken von Gracchus' Eloquenz.
    „Deswegen möchte ich...nein, möchte ist auch nicht ganz richtig, muß ich meinen Militärdienst leider aufgeben. Ich weiß, daß es das Wort des Kaisers dafür Bedarf, doch ist es natürlich selbstverständlich, daß ich mich an Dich, meinen Kommandanten, deswegen wende, praefectus.“
    Hoffentlich war es nur eine kleine Laus gewesen heute.

    Sosius befand die ganze Angelegenheit immer merkwürdiger, die ganzen Geschehnisse mochten zwar auf einen Mord hinweisen, somit war der Verdacht eines Laien – was der Mann vom CD natürlich für den Soldaten war – womöglich, aber dann paßte zuviel davon nicht. Insbesondere der Ablauf. Hatte die Frau draußen Wache gestanden, während innen der Mord vollführt wurde? War das mit der Verlobung nur ein abgekartertes Spiel, um den Mord zu tarnen? Womöglich waren das gar nicht die Personen gewesen, die nun mit Namen auf dem papyrus standen und das Ganze war in Wirklichkeit eine politische Intrige gegen den Annaeus, wußte man doch, daß die Annaeer in der Politik tätig waren. Sulla kratzte sich grübelnd am Nasenrücken und starrte den Leichnam an, als ob er erwartete, daß dieser die Augen aufschlug und mit Grabesstimme – beseelt von den Larven – von dem Tathergang erzählte. Der Tote tat ihm den Gefallen nicht, Pluto sei Dank, womöglich hätte Sulla sich sonst gleich an seine Seite gereiht. Verwirrt sah Sulla auf, wen sprach Afer da an? Scher Locus? Was für ein Locus? Irritiert schüttelte Sulla den Kopf. Er hatte den Eindruck, daß der Mann auch nicht ganz klar im Kopf war oder war er wirklich so schockiert, wie er wirkte?
    „Nana, Krank zu sein ist doch kein Verbrechen, guter Mann. Für üble Miasmen kann doch niemand etwas. Aber Du hast etwas von einem medicus erzählt? Ist denn einer gekommen? Ist dieser womöglich noch hier?“
    Womöglich konnte dieser die Angelegenheit erhellen. Marcus sah zu dem probatus und nickte, doch, der junge Mann hatte scharfe Augen und einen wachen Geist, ließ sich nicht von dem Naheliegensten, selbst wenn das falsch ist, beirren, sondern drang zum Kern der Wahrheit. Jetzt, wo der Artorier das erwähnte, fiel auch dem Soldaten auf, daß der Tote ein bißchen zu nass war.
    „Ne, Brandspuren kann ich jedoch keine an ihm entdecken. Ich glaub kaum, daß er gebrannt hat. Aber vielleicht war ihm hitzig? Oder es war wirklich ein Kampf vorher?“
    Sulla tastete auch noch mal, ob am Kopf alles in Ordnung war, doch seine Finger konnten nichts auffälliges finden, für ihn als Soldaten.



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    Zitat

    Original von Potitus Vescularius Salinator
    Der Schreiber blickte desinteressiert von seiner Arbeit auf. Er war angewiesen, Unwichtiges von Wichtigem zu trennen. Ein Centurio erschien ihm nicht gerade wichtig. Doch er wusste, dass der Praefectus derzeit sowieso nichts zu tun hatte.


    "Kannst rein." Er nickte mit dem Kopf zur Tür.



    Vielleicht hatte Marcus gehofft, noch etwas warten zu müßen und vor der Tür des PU zu stehen, damit er das sammeln konnte, was er wohl für die nächste und absehbare Zeit brauchte vor seinem Vorgesetzten, dem er bisher kaum unters Gesicht getreten war, scheinbar hatte er es nicht so mit Zenturios, im Gegensatz zu solchen Kommandanten wie Iulius Caesar, der sehr viel auf diesen Rang gegeben hatte. Aber wahrscheinlich eher, weil der Mann einfach schwer beschäftig war, eben einer der wichtigsten Männer von Rom. Marcus war froh, nicht in seinen Schuhen zu stecken und selber die ganze Verwantwortung tragen zu müßen, dazu noch das politische Kalkül was man besitzen mußte. Wie dem auch sei, Marcus blinzelte kurz erstaunt und nickte dann langsam.
    „Danke!“
    , erwiderte er und trat an dem Schreiber vorbei. Er holte tief Luft, klopfte an und trat hinein. Er wußte durchaus, wieviele Schritte man machen mußte, damit man genau an der richtigen Stelle stand, zum Salutieren, eine Distanz, die nah, aber auch weit genug von dem PU war. Marcus tat die drei Schritte und vollführte den Gruß, der ihm mittlerweile in Fleisch und Blut übergegangen war.
    Ave, praefectus!“
    , grüßte Marcus mit respektvollen Ton. Marcus hatte jetzt schon den einen oder anderen Kommandanten erlebt und fand, daß der jetzige PU seine Sache durchaus gut machte, zumindest liefen die Mühlräder der CU weiter im Fluß der Zeit.
    „Mein Name ist Flavius Aristides, praefectus, ich bin centurio der vierte centuria, erste cohors. Es gibt da ein persönliche Angelegenheit, die doch dienstlicher Natur ist, die ich leider gezwungen bin zu äußern.“
    Ach herrje, das war etwas zu kompliziert, dabei hatte es vorher beim Üben richtig eloquent geklungen, jetzt klang es nur unsinnig verwirrend.

    Modestus hatte den Nagel auf den Kopf getroffen, es wurde ermittelt und zwar an Marcus vorbei, aber gut, Hauptsache die Leute waren schon vor Ort und kümmerten sich um die ganze Angelegenheit. Und was dabei heraus gekommen war, das konnte Marcus später genau von den Soldaten erfragen, wahrscheinlich war es nur noch eine kurze Zeit, bis er davon erfuhr. Er schüttelte nur noch einige Male verwundert über die ganze Sache den Kopf und reichte die Zeitung an Modestus zurück. Er würde sich wohl doch mal eine acta bringen laßen, damit er den Artikel später noch genauer studieren konnte.
    „In der Tat, das ist der Fall, Tri...werter Annaeus.“
    Marcus nickte noch mal bestätigend und grinste schief.
    „Nein, ein solches Verhör wird wirklich nicht notwendig sein, wahrlich nicht. Wenn ich genaueres weiß oder noch Fragen bezüglich der Angelegenheit habe, komme ich selbstredend in Deine casa. Und mach' Dir vorerst keine Sorgen, ich kümmere mich um die Angelegenheit. Ich bin sicher, das Ganze ist nur ein dummes, unangenehmes Mißverständnis.“
    Mit jenen Worten ließen sie auch den Carcer hinter sich, deßen Gestank umso deutlicher wurde, als man an die frische Luft trat. Marcus atmete tief ein und aus.
    „Nun, dann werde ich nicht zaudern, und mich gleich der Angelgenheit widmen, damit es aus der Welt geräumt werden kann. Ich bringe Dich aber noch zum Tor. Und sei gewiß, ich melde mich noch im Laufe der nächsten Tage bei Dir.“
    , sprach Marcus und ging tatsächlich auf das Tor zu, was nicht allzu weit weg lag – wenn man die Wege Roms schon in einer toga entlang geeilt war.
    „Dann danke ich Dir, werter Annaeus, daß Du mich bezüglich der Sachlage noch informiert hast. Es wirft ein gänzlich anderes Bild sicherlich auf die Geschehnisse.“
    Er sah, wie die Soldaten am Tor sich aufrichteten als sie ihn erkannten, eher noch seinen Rang, und schon das Tor öffneten.

    Die Genehmigung? Die hätte Marcus jetzt glatt eingesackt, einfach aus einer natürlichen Schußeligkeit heraus, die ihm einfach manchmal zu eigen war, insbesondere in solchen Situationen. Marcus nickte sofort und reichte das entsprechende Dokument an Macer weiter, damit dieser es für weiteren Verwndungszeck an sich nehmen konnte.
    „Nun, dann wünsche ich euch noch viel Erfolg bei den...ähm...baulichen Betätigungen an den Wasserrohren, damit es auch weiter für uns schön fließt...“
    ...oder so, zumindest hatte Marcus derartige Vorstellungen. Marcus lehnte sich gegen den Tisch.
    „Und vielleicht ist die nächste Begegnung dann unter einem eher glücklicheren Stern.“
    Marcus grinste schief, mit einem freundlich-gutmütigen Ausdruck im Gesicht.

    Das war ihm aber jetzt irgendwie schon schrecklich peinlich, daß der curator extra in die castra kommen mußte, weil seine Soldaten den Mann – wie es sich nun heraus gestellt hatte – zu Unrecht in die castra gebeten hatten, Verdacht hin oder her. Marcus warf seinem Soldaten – Tius, dem Primaveteran – einen schrägen Seitenblick zu, nun ja, die Soldaten waren eben gute Kämpfer, gute Soldaten, aber in Ermittlungen...da mußten sie noch etwas üben – wie Marcus selber im Übrigen, dem so manch eine diffizile kriminalistische Angelegenheit dann doch sehr zu denken gab. Marcus hob die Hand und fuhr sich zwei Herzschläge lang über den Nacken – stets ein Zeichen, wenn er verlegen wegen etwas war. Die Frage von Macer war natürlich klug und durchdacht, es war auch eine sehr komplexe Materie mit den Betrügereien und Fälschungen; ganz hatte es Marcus noch nicht verstanden.
    „Es hat einige Probleme in letzter Zeit gegeben, es müßen einige Männer am Werke sein, die mit gefälschten Siegeln um sich schmeißen, gut, es waren bisher nur die Siegel von Rittern und Händlern, aber durchaus auch schwer wiegende Verbrechen. Bisher war aber – den Göttern sei Dank – noch nicht ein Verbrechen dieser Größenart dabei, daß die Siegel eines wichtigen kaiserlichen Beamten oder eben des praefectus urbi gefälscht wurde. Ich bin kein Experte dafür, also kann ich es Dir auch nicht ganz genau erklären, wie das kommt, aber es gibt wohl verschiedene Methoden der Fälschung.“
    Ob er sie noch alle aufzählen konnte? So sicher war sich Marcus da nicht.
    „Zum einen kann natürlich ein neuer Siegelring hergestellt werden, der dem Original nach gemacht wurde. Dann läßt sich damit unbegrenzt Siegel für Fälschungen herstellen. Aber das ist sehr aufwendig und vielen fehlen dafür auch die Möglichkeiten. Dann kann man alte Siegel wieder verwenden. Natürlich taugen nicht alle, aber gerade die Frischen laßen sich wohl leichter noch vom Pergament abziehen. Diese werden manchmal dann durch alte, schon Beschädigte ersetzt. Das ist auch eine Möglichkeit...unter vielen.“
    Marcus zuckte mit der Schulter, Verbrecher hatten – wie er feste gestellt hatte- ein ausgesprochen kreatives Talent, sich alle möglichen krummen Touren einfallen zu laßen, um an Geld zu kommen, wenn sie es auf legale Weise machen würde, würden sie wahrscheinlich sogar reicher werden, meinte Marcus.
    „Aber in diesem Fall hat sich ja – auch den Göttern sei Dank – alles zum Guten gewendet. Ich möchte mich noch mal für die Unanehmlichkeiten entschuldigen, die meine Soldaten bei eurer Arbeit verursacht haben.“

    Kommentarlos und schweigend nahm Asinus die Antwort so hin, runzelte nur kurz die Stirn und fragte sich, was für Kurse der Octavier wohl meinen könnte, aber das war für ihn momentan nicht von Belang. Handwerk wäre schön gewesen, aber nicht immer ergab sich so ein Glücksfall für die Legion. Langsam hob Asinus den Kopf und musterte den Octavier...um hier bei den cohortes urbanae weit zu kommen? Aha! So einer war das also, jemand, der nur auf die Karriere scharf war. Asinus zog eine säuerliche Miene und nortierte noch etwas langsamer.
    „Nimm' Dir einen Stuhl und setze Dich. Ich werde Dich einem Test unterziehen. Wenn Du ihn bestehst und die Musterung im valetudinarium auch für Dich gut verläuft, dann wirst Du bei den cohortes aufgenommen. Wenn nicht, kannst Du es ein anderes Mal noch probieren.“
    Asinus schob dem jungen Mann eine Tafel entgegen, dazu einen stylus, damit er dort, unter den Fragen die Antworten notieren konnte. Dann verschränkte der Soldat die Hände und sah den Octavier an. Nicht, daß er am Ende noch schummelte.





    SimOff: Fragen kommen gleich per PN.



    Da hatte der Mann durchaus Recht, fand Molo, der sah nicht wirklich nach einem agilen Attentäter aus, aber gerade die harmlosen Hunde waren diejenigen, die am festesten zu bißen, die Erfahrung hatte Molo gemacht, so zuckte er ungerührt die Schulter und tat das, was seine Arbeit von ihm verlangte, wenn er auch etwas bedachter vorging als bei einem rauhen Gesellen vom Aventin. Aber da Molo nichts zu finden schien, nickte er nur zufrieden.
    „Danke, procurator, für Deine Geduld und Verständnis. Wenn mir bitte folgen würdest? Ich führe Dich zum officium des praefectus.“
    Das Tor wurde geöffnet und Molo lief voran, bis zur Tür des PU, wo er dann den älteren Tiberier den Schreibern und dortigen Angestellten überließ, oder diesem überließ, ob der Tiberier bereits forsch in das officium trat.






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    Freundlich und mit Mitgefühl nickte Marcus und wies die Soldaten an, den Toten an die Sklavenschaft der Octavier zu übergeben. Damit die Familie sich um den Sohn ihrer Familie kümmern konnte.
    "Noch mal mein Beileid, Octavius. Möge Pluto Deinem Sohn gewogen sein."
    , sprach er zu dem Vater des Toten.
    "Vale."
    Damit nickte Marcus den Soldaten zu, die, nun ohne Last, ihm stumm aus dem Haus hinaus folgten.