Bereits am Morgen hatte Marcus seinen Sklaven aus geschickt, kurz nachdem er erwacht war und den Beschluß gefaßt hatte, heute dem Tag lasterhafte und allerlei sinnliche Vergnügungen zu schenken, mehr noch sich selber. So sah Marcus einige Male ungeduldig in Richtung des Säulenganges, wo er den Sklaven erwartete, wenn dieser mit der – hoffentlich erfolgreichen, aber daran zweifelte Marcus nicht – Auftragserfüllung zurück kam. Gerade als er erneut einen Blick auf den Säulengang richtete, kam es blitzschnell von oben herab geflogen, ein kleiner Vogel, nicht mal so groß wie Marcus' geballte Faust, landete auf dem kleinen Tisch, den er sich hier hatte aufstellen laßen. Der Vogel beäugte mißtrauisch Marcus und Bridhe, indem er seinen kleinen Vogelkopf ruckartig mal mit der einen Seite zu Bridhe, dann mit der anderen Seite zu Marcus wandte, ehe er in einer sehr eiligen Bewegung einen Brotkrumen vom Teller ergriff, die kleinen braunweiß gemusterten Flügel ausbreitete und sich in die Luft schwang, noch ehe jemand den Vogel packen und an dem Mundraub hindern konnte. Verblüfft sah Marcus dem unverschämten, diebischen Vogel hinter her, doch nicht sonderlich verärgert, Dreistigkeit siegte nun manchmal eben. Marcus zog die Platte mit dem gefüllten Schweineeuter heran, während er sich seine Finger ableckte, die eben noch das Geflügelfleisch gehalten hatten, an dem die goldgelbe Soße herab getropft war und nicht nur seine Finger benetzt hatte, sondern auch noch das Gras, das zu den Füßen seiner Kline wuchs und jetzt von den Füßen, die wie Löwentatzen geschnitzt waren, der Kline nieder gedrückt wurde. Der Gärtner, unter dessen Regie die Sklaven stets Blumen, Gras und Bäume akkurat zurück schnitten, so wie es von je her in der villa gemacht wurde – selten hatte einer der Flavier versucht dem alten Gärtner, der noch unter Felix gedient hatte – in das Handwerk zu reden, dieser Gärtner zumindest würde wahrscheinlich in Ohnmacht fallen, hätte er die grobe Behandlung seiner Pflanzen durch den Flavier gesehen.
Marcus, unbekümmert in Hinsicht der Sorgen viele Sklaven im Haushalt, ließ es sich lieber von dem Euter, der in Scheiben geschnitten war, Mundgerecht, schmecken und kaute langsam, während er die exquisite Füllung darin genoß. Weinverächter hatten bei Marcus eher einen schweren Stand, denn Marcus liebte Wein über alles, es war für ihn auch das wichtigste Getränk überhaupt, selbst wenn er sich selten am Tage den Luxus leisten konnte, den Wein so zu trinken wie jetzt – völlig unverdünnt und in seinem ganzen Aroma so, wie die Winzer und die Natur ihn geschaffen hatte. Marcus ergriff einen zweiten Pokal und führte ihn an seine Lippen, dabei mit einer gewölbten Augenbraue Bridhe betrachtend, schon spürte er den markanten Geschmack des Weines auf seiner Zunge, ließ ihn langsam an seinem Gaumen hinweg gleiten und kostete ihn lange aus, ehe er noch einen weiteren Schluck nahm. Ein herber Wein, viele Nuancen und Schattierungen, keine wässrige Oberfläche, sondern viel Tiefe mit einer interessanten Würzung, selbst wenn kein Gewürz den Wein erst verbeßern mußte. Doch, der gefiel Marcus ausgesprochen gut, darum behielt er den Weinpokal auch in seiner Hand, um, während des weiteren Essens, noch mehr aus ihm zu trinken. Die gewölbte Augenbraue, die einen sanften Schwung auf seiner Stirn bildete und die Familienähnlichkeit zu Flavius Gracchus, Flavia Leontia und manch anderem Flavier deutlich offenbarte, denn derart wölbten nur die Flavier ihre Augenbrauen, diese Braue war immer noch oben, als er bereits nach dem nächsten Gericht griff und dann doch stockte. Irgendetwas fehlte doch auf dem Tisch, etwas, was er für den ersten Gang noch bestellt hatte. Ah ja! Marcus winkte den Sklaven heran, der eilends mit einer Karaffe kam und in den Becher nach schenkte, aus dem Marcus zuletzt getrunken hatte.
„Gehe in die Küche. Der Koch hat die Schnecken vergeßen, aber hurtig. Ich will sie haben, wenn die anderen Speisen noch warm sind! Age!“
Die Jahre der Legionszeit hatten sich wirklich tief in Marcus eingebrannt, jetzt fing er schon an mit dem Sklaven so zu reden, wie mit manch einem Soldaten und ganz bestimmt mit den Sklaven, die er sich im Kastell hielt, damit das Leben als centurio nicht ganz so fade war und er immer ein gutes Mahl auf dem Tisch in Mantua – oder auch während des Krieges, sofern es ging – hatte, morgens säuberlich rasiert wurde, die Unterkunft immer gemütlich und erhellt war, wenn er aus seinem Dienst dort hin kam. Sklaven, eine Notwendigkeit für Marcus' tägliches Leben, ohne sie würde er nicht bestehen können - nicht in dem Luxus, den er brauchte – selbst wenn Marcus, wohl im Gegensatz zu vielen seiner Mitflavier, sich sogar selber versorgen konnte. In der Legion hatte er gelernt, seine Kleidung auszubeßern, selber zu kochen und sogar seine Pritsche selber aufzuräumen. Der Sklave indes eilte schnell davon, nahm er doch den Befehl sehr ernst, während Marcus noch mal nach dem Geflügel griff und das unglaublich zarte Fleisch in seinem Munde zergehen ließ. Abermals musterte er Bridhe; na, immerhin mit dem Essen konnte sie etwas anfangen, ein völliger Sinnesverächter wäre Marcus zu dröge, um mit der Person überhaupt die Tafel zu teilen, egal ob Sklave oder Patrizier, nur bei der Familie würde Marcus eine Ausnahme machen, oder Ehrengästen.
„Schmackhaft? Deliziös ist es. Exquisit und unvergleichlich, puella.“
Marcus schüttelte resigniert den Kopf, das Mädchen hatte von Esskultur ganz sicher keine Ahnung, das merkte man immer mehr, aber als Sklavin war ihr bestimmt auch noch nie der Genuß der römischen, der wirklich hohen römischen Küche zuteil geworden. Marcus sah sie erwartungsvoll an und fragte sich, ob sie noch etwas über ihre Lippen bringen würde. Schüchtern, bei Diana, das Mädchen scheint am Liebsten ganz woanders zu sein. Wer wohl ihr Herr ist, daß sie die Flavier derart fürchtet? Vielleicht war es sogar Leontia gewesen, einst. Leontia hatte ihre Sklaven wirklich immer im Griff gehabt, das hatte sie eindeutig von ihrem Vater in Ravenna vererbt bekommen, der auch Sklaven nicht mit Samthandschuhen anging, Gnaeus Aetius, das war wirklich ein Mann nach Marcus Geschmack; Marcus seufzte leise und wünschte sich, daß sein Onkel zu Besuch wäre, denn dann würde bereits Lachen, derbe Scherze und viel Lebensfrohsinn diesen Garten im Hause füllen. Und die Vergnüglichkeiten, die Marcus später noch vor hatte, ja, diesen wäre sein Onkel mit Sicherheit nicht abgeneigt. Erneut bemaß Marcus Bridhe mit einem längeren Blick, na, eine Gesellschaftsbombe schien die junge Frau nicht zu sein, mehr einsilbig und in sich gekehrt, auf keinen Fall mehr sagen als notwendig, schien ihre Devise zu sein, was Marcus jedoch mehr langweilte. Aber sehr wahrscheinlich war sie dann doch nur eine Waschmagd oder eine Küchensklavin, die aus Neugier nach draußen gekommen war, um zu sehen, welche Gäste wohl das ganze gute Essen verspeisen würden. Marcus musterte erneut ihre Gestalt und beugte sich plötzlich nach vorne, um seine Hand auf ihren Bauch zu legen, unter seiner flachen Hand wölbte sich ihre Bauch, so fest, wie es gutes Essen nicht formen könnte, Marcus Augenbrauen wölbten sich noch mal einen Herzschlag in die Höhe, so, so, schwanger war das junge Ding also; Marcus zog seine Hand wieder zurück. Eigentlich war es ihm egal, ob sie schwanger war oder nicht, für sein Bett wäre sie sowieso nicht in Betracht gekommen, sie war einfach nicht der Typus von Frau, der ihn anregen oder erregen konnte. Und wenn es nicht seine Sklavin war, gönnte Marcus auch jedem Sklaven das Vergnügen, was zu einer solchen Schwangerschaft führen konnte. Ohne ein Wort über ihren Bauch zu verlieren, lehnte sich Marcus wieder zurück.
„Schmackhaft ist schon immerhin besser als ein: So ein Geflügel esse ich nicht oft! Komm, greif noch zu, denn Schwanenfleisch wirst Du bestimmt wirklich nicht oft bekommen!“
Marcus schob ihr aufmunternd die Platte mit dem weißen Geflügelfleisch zu, während er sich etwas von der gebratenen Taube nahm, der daneben lag und in einer rötlich, pfeffrigen Soße schwamm. Schon kam der Sklave zurück, eine tönerne Schüssel mit sich tragend, in denen tatsächlich große Schneckengehäuse lagen, gefüllt mit dem Fleisch dieser Tiere und pikant gewürzt, zudem war das Fleisch gemischt mit anderen Zutaten, die wohl immer ein Geheimnis des Koches bleiben würden, Marcus wußte nur, daß diese Schnecken einfach ambrosisch schmeckten, darum ließ er sie sich auch gleich reichen, um mit dem silbernen Spieß, der daneben lag, das Gefüllte aus der Schnecke zu pulen und in seinem Mund verschwinden zu laßen.
„Greif' ruhig zu, puella, ich habe genug zu Essen hier, außerdem ist das erst der erste Gang! Auch etwas Schnecke, puella?“
Daß er gedachte bis Sonnenuntergang mindestens zu speisen, womit erster Gang die Dimension seiner Gelüste noch mehr verdeutlichen würde, das erwähnte Marcus nicht. Er hob die Schüssel an und hielt sie ihr entgegen, falls sie sich daraus bedienen wollte. Dabei musterte er sie erneut, wäre doch zum Mäusemelken, wenn er nicht doch noch etwas Unterhaltsames aus dem verschloßenen Mädchen heraus bekam, denn langsam fing sie an, ihn zu langweilen. Marcus stellte die Schnecken auf den Tisch, immer noch in Reichweite von Bridhe und erneut zu dem vollen Weinbecher.
„Weißt Du, puella, in Parthia gibt es die ein oder andere Geschichte, die sich die Menschen dort erzählen. Ich habe von einem jungen Mädchen, die als Sklavin bei mir gelandet ist, vor einiger Zeit eine Geschichte gehört. Es ging um einen Shah in Shah, der höchste parthische König, der einen riesigen Harem hatte. Ein Harem ist ein Ort voller Frauen, die alle seine Ehefrauen sind. Die Parthermänner dürfen nämlich über hundert Frauen haben...nun, dieser Shah war dennoch nicht zufrieden mit den Frauen, obwohl sie die Schönsten aller Länder waren, blond und blauäugig, dunkel und schwarz haarig, alles war dort vertreten. Jede Nacht holte er eine von ihnen zu sich und schon am Morgen wurde er ihrer überdrüssig; er ließ sie hinrichten. Bis eines Tages eine junge Frau zu ihm kam, die alles veränderte, denn sie lockte ihn nicht mit ihren Reizen, sie spielte nicht die schüchterne Frau, sondern sie vermochte ihn mit spannenden Geschichten um den Finger zu wickeln. Die Frau überlebte diese Nacht und noch viele weitere.“
Marcus lächelte als er an die Geschichte dachte, die ihm das Mädchen erzählt hatte, wo hatte er sie noch gekauft? Marcus wußte es nicht mehr, aber da sie ihn an seine Tochter erinnert hatte, darum hatte er sie damals erworben. Marcus schob sich noch ein Stück Fleisch in den Mund, kaute und sah zu Bridhe, ehe er anfügte:
„Welch Glück, daß wir Römer doch zivilisiert sind im Gegensatz zu den Parthern und so was nicht in Rom vorkommen würde.“
Was nicht ganz stimmte, wenn man an so manch einen Kaiser zurück dachte, der sich ähnlich seinen Frauen oder sogar seiner eigenen Tochter entledigte, nur, daß diese Kaiser – im Gegensatz zum Shah – noch einen erlogenen Grund vor schoben, wie Untreue und Ehebruch. Marcus sah Bridhe an, ob sie die Andeutung verstanden hatte?
„Nun, puella, vermagst Du auch etwas zu dieser Unterhaltung bei zusteuern oder sollte ich Dich doch besser wieder in die Küche schicken, oder dorthin, wo auch immer Du arbeitest? Kannst Du singen? Kannst Du tanzen? Geschichten erzählen? Mich erheitern? Wenn ja, fühle Dich frei, lebe es aus!“
Gutmütig lächelnd – was im starken Kontrast zu der düsteren Geschichte stand - machte Marcus eine einladende Geste und lehnte sich erwartungsvoll in die Kissen der Kline zurück.