Anscheinend machte sich die junge Sklavin nicht sonderlich viel aus den Speisen, selber Schuld, befand Marcus und zog einer der Essensplatten näher an sich heran; die Leber hatte es Marcus angetan, sie war saftig, würzig und hatte dieses feine Aroma, was nur durch die Mästung mit Honig hervor gerufen wurde, eine Köstlichkeit eben, die man nicht überall im Imperium bekam und die auch nicht jeder Koch zubereiten konnte, der von den Flaviern konnte es, womöglich hatte er auch das Rezept aus Baiae erhalten, auf jeden Fall schmeckte es recht ähnlich wie in der villa seiner Mutter. Während Marcus eines von den geschnittenen Stücken nahm, es sich in den Mund schob und genießerisch kaute, dabei ebenso darauf wartete, daß die junge Sklavin etwas von sich geben würde, was ihn womöglich doch noch unterhielt, ließ Marcus seine Gedanken schweifen und dachte mit Wehmut an seine Mutter – die schönste Frau der Welt, selbst wenn Epicharis ziemlich nahe an ihr rangierte, so würde sie doch niemals seiner Mutter den Rang streitig machen können! Doch aus den Gedanken wurde Marcus schnell wieder heraus gerißen – selbst wenn er beschloßen hatte, daß er unbedingt und bald eine Reise nach Baiae machen mußte! - aber der Lärm, der erneut in den Innenhofgarten polterte, der war zu laut, um noch in Grübeleien zu versinken. Legatus Aristides? Glaubt er das also immer noch, sein Junge? Marcus Gesicht offenbarte sofort wieder ein gut gelauntes Lächeln.
„Meine Hilfe, mein Sohn? So...das hast Du also gehört? Natürlich helfe ich Dir, Lucius...!“
Marcus' Schultern zuckten bereits, als er das sprach und sein Junge davon sauste auf seinem Streitwagen, und das Lachen, daß sich in ihm bereit gemacht hatte, bahnte seinen Weg hoch. Dunkel war Marcus' Lachen, zudem ausgelaßen und gelöst. Seine Augen verzogen sich zu schmalen Schlitzen, während sein kollerndes Lachen durch den Garten schallte und ihm die Lachtränen in die fröhlich funkelnden Augen trieb. Er mußte noch ein paar Mal japsen, ehe er wieder Luft holen konnte und stolz und zufrieden über seinen Sohn lächelte. Was für ein Prachtbursche er doch war! Noch eine Weile konnte er sich über die Worte des Jungen amüsieren, denn selbst wenn dieser es haargenau getroffen hatte, was den Geschmack der Männer anging – gut, auf jeden Fall den von Marcus! - so brachte er das mit einer ausgesprochenen Naivität hervor, was dem ganzen wieder eine kindische Note verlieh. Scheinbar war der jungen Frau tatsächlich etwas eingefallen, darum wandte Marcus seinen Kopf ihr zu und fing an ihr zu lauschen, dabei die Köstlichkeiten des Tisches zu sich nehmend. Er lauschte von dem Schicksal des Königs und nickte langsam, ja, seine Kinder zu verlieren war schlimm, als Marcus darüber nachdachte, wurde sein Gesicht von einem düsteren Schatten umwölkt, seine Hand schloß sich fester um den silbernen Pokal, immer noch und beharrlich verdrängte Marcus die Geschichte um Arrecina und wähnte sie in Baiae. Ab und an, bei solchen Gelegenheiten, brach das jedoch wieder hervor, das Wissen, was er dennoch in sich trug, selbst wenn er dieses nicht an sich heran laßen wollte.
Mit einem Zug lehrte Marcus den Becher mit Wein und ließ sich schnell nach schenken. Mit den Namen, wo die Schwäne dann überall lebten, konnte Marcus nichts anfangen. Doch als er weiter aß und sich einen Brocken von Schwanfleisch in den Mund steckte, gerade als Bridhe erzählte, daß es in diesem seltsamen Land namens Éirinn – wo auch immer das lag! - immer noch verboten war, solch ein Fleisch zu essen, da stockte Marcus und sah, langsam kauend und das Fleisch genießend, die junge Frau mit einem durchdringenden Blick an. Ob sie damit ihm etwas sagen wollte? Oder war es nur Zufall? Versteckte Botschaften hatten Marcus noch nie gelegen, er verstand sie meistens nicht und sie gingen oft an ihm vorbei. Zögernd nahm er noch etwas von dem weißen Fleisch in gelber Soße und aß davon, unbeeindruckt, ob er jetzt irgend ein Kind von dem Volk der Sklavin aß. Marcus grübelte einen Moment und zeigte sonst keine Reaktion auf die Geschichte. Erst nach einer Weile, wo er langsam weiter gegeßen hatte, sah er zu Bridhe.
„Eine lebenslustige, kleine Maus tollte übermütig um einen Löwen herum, der in der warmen Mittagssonne vor sich hin döste.“
, begann Marcus, leckte sich dabei noch einen Finger ab und lehnte sich auf die Kissen zurück.
„Die waghalsige Mäusin stieg dem König der Tiere sogar auf die riesigen Pranken und beäugte sie neugierig. Da wurde der Löwe wach, packte die kleine Maus und wollte sie fressen. Das Mäuschen zappelte vor Angst und stotterte:“
Marcus ließ seine Stimme etwas heller werden, als er die Maus imitierte.
„"Lieber Herr König, ich wollte dich nicht aufwecken, wirklich nicht. Bitte, bitte, lass mich leben. Was hast du von so einem geringen, mageren Bissen, den deine großen Zähne nicht einmal spüren? Sonst sind Hirsch und Stier Opfer deiner ruhmreichen Jagd. Was kann dir denn ein so winziges Wesen, wie ich es bin, schon für Ehre einbringen? Ich gebe dir mein Mausewort, wenn du mich freilässt, dann werde ich dir bestimmt auch einmal aus der Not helfen."“
Marcus verstummte einen Augenblick.
„Der Löwe musste über diese kühnen Worte schmunzeln, und versonnen betrachtete er den kleinen Wicht in seinen großen Tatzen. Der Gedanke, daß er jetzt Herr über Leben und Tod war, erschien ihm göttlich.“
Ob Bridhe die Andeutungen verstand? Marcus fand jedoch seinen Einfall noch ganz formidabel. Bei den folgenden Worten, als er den Löwen imitierte, wurde seine Stimme ganz tief.
„"Lauf, kleiner Wildfang, ich schenke dir dein Leben", sagte er feierlich und öffnete langsam seine Pranken. Als die Maus behende davon flitzte, rief er ihr neckend nach: "Vergiß dein Versprechen nicht!"“
Marcus ergriff den Becher mit Wein, um seine Kehle etwas anzufeuchten, ehe er die griechische Fabel - fast ein Jahrhundert alt - weiter erzählte.
„Einige Monate später geriet der Löwe auf seiner Jagd in eine Falle. Ein festes Stricknetz hielt den gewaltigen König der Tiere gefangen. Der Löwe tobte und zerrte an den Maschen, aber es half nichts, das Netz war zu eng geknüpft. Der Löwe konnte sich kaum darin bewegen. Eine Maus huschte vorbei, stutzte und piepste:“
Was Marcus auch versuchte nachzuäffen und dabei großen Spaß fand.
„"Bist du nicht der große Freund von meiner Schwester, den du Wildfang genannt hast?" Im Nu hatte er seine Schwester herbeigeholt, und beide Mäuschen zernagten emsig und mit großer Ausdauer die festen Maschen, Stück für Stück, bis sie ein großes Loch ins Netz gebissen hatten, durch das der dankbare Löwe entkommen konnte.“
Zufrieden legte Marcus seinen rechten Arm auf die Lehne der Kline, trank noch etwas Wein und sah Bridhe erwartungsvoll an. Doch schon gleich griff er wieder nach dem Fleisch und aß weiter. Zwischen zwei Bißen, meinte er zu Bridhe.
„Wo liegt Éireeen, oder wie das heißt?“
Ein taxierender Blick huschte über Bridhe.
„Und willst Du mir vielleicht etwas mit Deiner Geschichte sagen, puella?“