Die Sonne fiel in den großen Raum der Bibliothek, die Strahlen tanzten durch die Luft, beleuchteten die vielen kleinen Staubpartikel, die wie ein silberner Funkenregen in der Räumlichkeit schwebten, ließen den nach Leder und papyrus riechenden Raum etwas lieblicher erscheinen und erhellten die Aufzeichnungen, die kreuz und quer auf einem großen Holztisch lagen, ausgebreitet vor einem weit geöffneten Fenster. Über der gesamten Tischfläche lagen sie verstreut, aber ebenso auf dem Boden und unter dem Stuhl, auf dem Marcus Flavius Aristides höchst persönlich saß und Schriftrollen wälzte, seinen Sklaven Hannibal gleich einige Regale weiter, der von unten aufwärts die Fragen für das Examen tertium beantworten sollte, aber irgendwie hatte ihn der Sklave – geschickt wie er mit den Worten umgehen konnte – Marcus dazu gebracht, sich die Mühe zu machen und selber nachzulesen. Ach ja, irgendwas wegen dem Kolloquium und daß es unangenehm auffallen könnte, sollte Marcus keiner der einzigen Fragen beantworten können. So war Marcus dazu verdonnert sich über Schriften zu beugen und die Fragen eigenhändig zu lösen, was er schon seit dem gesamten Vormittag tat.
Sein verletztes Bein hatte Marcus auf einen gepolsterten Stuhl gelegt und saß gelangweilt an dem Schreibtisch, zahlreiche Skizzen zierten bereits die papyri, Graffiti unkünstlerischer Art und von recht vulgärer Natur hatte er darauf gekritzelt, bis jetzt aber keinen vernünftigen Satz für die Fragen zustande gebracht. Er starrte auf die erste Frage, kritzelte daneben eine Figur, in der man mit viel Phantasie eine Frau mit großer Oberweite erkennen könnte, wanderte zu Frage Zwei und bekam noch ein längeres Gesicht. Bei Frage Drei raffte er sich schließlich auf und fing leise murmelnd an, es sich genauer durchzulesen. Vespasian? Marcus sah auf und sich suchend nach Hannibal um.
„Hannibal, wer war noch mal Vespasian?“
Marcus meinte ein empörtes Grummeln zu hören, ehe es Marcus selber aufging.
„Oh! Ähm...weiß schon!“
Marcus suchte im Stapel von Rollen, die ihm der Bibliothekar vor einer hora gebracht hatte und suchte nach der Paßenden. Anfangs las er lustlos, mühevoll und jedes Wort laut lesend, mit zahlreichem Stottern vor sich her. Mit jeder Minute wurde Marcus jedoch aufmerksamer.
„Hast Du das gewußt, Hannibal, die Flavier stammen aus Raete!“
Erneut ein Brummen, wahrscheinlich wußte es Hannibal sowieso schon seit ihrer Kindheit, schließlich hatte er die Hausaufgaben von Marcus gemacht. Marcus las weiter und ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Schließlich blinzelte er, wiederholte noch mal die Worte, las erneut und lachte herzhaft auf, so daß sein dunkles, kollerndes Lachen durch die ganze Bibliothek dröhnte, denn Marcus erkannte nicht, was wirklich mit Maultiertreiber gemeint war.
„Hast Du das gewußt...? Haha...Vespasian hat als Maultiertreiber gearbeitet, weil er keine Lust auf die Ämterlaufbahn hatte und Pleite war. Herrlich! Der Mann wird mir immer sympathischer! Haha!“
Marcus lachte noch weiter, wurde von seinem Sklaven ganz offensichtlich ignoriert.
„Und hier...er sprach ein bäuerliches Latein...wahrscheinlich konnte der Mann auch kein Griechisch. Erfrischend, erfrischend, Hannibal! Siehst Du, hab ich es nicht immer gesagt, daß man kein Griechisch können muß, um hoch hinauf zu kommen? Na, na? Kaiser ist der Mann geworden, obwohl er mal Maultiertreiber war! Haha!“
Wahrscheinlich war das seinem Sklaven zu blöd, denn Marcus erhielt abermals keine Antwort.
„Hannibal? Bist Du überhaupt noch da?“
Marcus richtete sich auf und spähte zwischen den Regalen hindurch, doch, da war der dunkle Haarschopf seines Sklaven, der an einem Tisch saß, akkurat die Schriftrolle vor sich ausgebreitet, an der er schrieb, keine einzige Schriftrolle lag neben dem Sklaven, der wohl nichts nachzulesen brauchte. Mit Neid betrachtete Marcus seinen Sklaven und griff seufzend zu anderen Rollen.
„Aber wo steht denn was zu diesen komischen Reformen? Ah...hier!“
Marcus entrollte das papyrus und versuchte sie zu lesen, erfolglos.
„Hee! Das ist ja auf Griechisch! Mago! Mago! Gibt es das auch noch mal auf Latein?“
, rief Marcus laut durch die Bibliothek und sah in das mißbilligende Gesicht des Bibliothekars, dem alten Knochen. Kleinlaut ließ Marcus die Schriftrolle sinken und suchte in all den anderen Sachen nach einem Hinweis auf die Militärreformen.
„Ah...hier!“
, jubilierte Marcus lautstark und begann sie zu entrollen. Doch ein dunkler Schatten legte sich über das Pergament, in dem Marcus eifrig lesen wollte.
„Du stehst mir im Licht, Hannibal!“
, murmelte Marcus versunken.