Rot wie Blut wirkte die Farbe, die auf den Hörnern des Widders aufgebracht war, dessen gewundenes Horn sich unruhig hin und her bewegte, das Tier kämpfte gegen den Mann an, der es fest hielt und war wohl nicht betäubt, wie manche Priester es sonst mit ihren Opfertieren pflegten, damit sie den Moment der Opferung nicht ruinierten. Womöglich galten jedoch bei einer Opferung andere Regeln? Die Augen des Corneliers ruhten einige Herzschläge auf Avitus, dann nickte er mit großem Ernst und Zufriedenheit. Während ein anderer Soldat, der die Maske eines Rabens trug, dessen Federn blau schwarz im Licht einer Öllampe glänzte, die Hörner des Widders fest umpackte und ein Anderer – ebenfalls ein Rabe - die Hinterbeine ergriff. Der Cornelier drehte sich zu dem Altar herum und ergriff eine silberne Schale und einen geschwungenen Dolch, der der parthischen Machart nicht unähnlich war, was man in diesen Landen oft sah. Beide Gegenstände reichte er an Avitus weiter.
„Der Dolch für den Schnitt. Die Schale für das erste Blut.“
, fügte Cornelius Satensus erklärend an.
Dann wandte sich Satensus von Avitus ab und trat vor den Widder und vor den Altar. Mit einer Hand streifte er sich die Maske über, die das menschliche Gesicht darstellte – das eines Jünglings – und mit der phrygischen Mütze. Stille kehrte ein, nur unterbrochen von dem Blöcken des Widders, der sich weiter wehrte, dann jedoch aufgab und mit seinen dunklen Augen nach einer Gelegenheit zu suchen schien, aus zu büxen. Die Stimme von Satensus erhob sich in der Höhle und hallte von den Wänden wieder, geübt und wohlklingend war die Resonanz seiner Stimme. Sanft erhob sich der Klang der Flöte, die eine einfache, aber eindringliche Melodie von sich gab, aber unsichtbar für die Augen blieb.
„Der Ursprung des Ursprungs, Urgrund des ersten Urgrundes, der Du den Ursprung unseres Ursprungs bist, den Hauch in den Erstling geatmet hast, das Feuer in das Urwasser gebracht, den vollkommenen Leib aus dem Erdstoff geformt, gebildet von einem erhabenen Arm und einer unvergleichlichen Rechten, in die lichtlose und die lichtdurchstrahlte Welt hinein. Dein heiliges Feuer erstrahlt jeden Morgen und beglückt uns. Dein lebenserzeugender Äther umfängt uns, deine unsterblichen Augen erblicken wir, in Deinem unsterblichen Feuer, oh Mithras, der Du geboren wurdest aus einem menschlichen Leib und aufgestiegen bist in die Unsterblichkeit. Dich vertrauen wir uns an, Lichtbringer, Heilsbringer, denn wir sind Deine Söhne, oh Mithras!“
Einige Stimmen murmelten wieder beifällig und raunten ehrfürchtig den Namen oder: Dein Sohn bin ich! Satensus pausierte nur einige wenige Herzschläge, ließ die Ruhe wirken. Die Flöte jubilierte in einem fröhlichen Trillern, senkte dann jedoch wieder die Tonhöhe und kehrte zu der simplen Melodei zurück.
„Möge das Blut fließen für Dich, oh Mithras, wie einst der Stier sein edles Blut gegeben hat, um Dir Unsterblichkeit zu verleihen und uns das Licht an den Himmel zu tragen, damit Dein feuriger Kranze uns Leben spendet. Wir danken Dir, oh Mithras, für das göttliche Geschenk und wir vertrauen uns Dir erneut an.“
Satensus wandte sich langsam um, seine Augen hinter der Maske richteten sich auf das Opfertier.
„Möge sein Blut fließen zu Ehren des Mithras! Mögen wir, oh Brüder, die Ankunft eines Gottes damit krönen.“
Kein Agone, kein Age, aber ein Zeichen von dem Cornelier mit einem marginalen Neigen seines Kopfes in Richtung von Avitus. Doch das war gewiß kein Opfer nach römischen Riten. Der andere Rabensoldat ergriff fest die Widderhörner, damit sich das Tier nicht in letzter Sekunde aus dem Staub machte oder eine Opferung vereitelte und alle Blicke richteten sich auf Avitus, der den tödlichen Schnitt ansetzen sollte. Eine Trommel schlug im Hintergrund, langsam und im Takt mit der Flöte, die dem Opfer entgegen zu fiebern schien.